Diese Studie untersucht die Relationen zwischen der Virtuosen-Religiosität und der Ablehnung »der abweichenden Anderen«. Der Forschungsfokus liegt auf der diskursiven (Re-)Produktion der Subjektpositionen für »das Eigene« und »die Nicht-Eigenen« sowie auf der damit einhergehenden Konfliktdramaturgie im streng religiösen Feld. Zur Untersuchung dieser Relationen wird anhand der Analyse unterschiedlicher Forschungsperspektiven die Theorie der positionalen Konfliktperformanz entwickelt. Der konzeptionelle Analyserahmen dieser Theorie erfasst sowohl die Positionierungen religiöser Virtuosen zum »Nicht-Eigenen« als auch die dadurch ausgeführte positionale Konfliktperformanz. Zwei grundlegende Elemente werden dabei analysiert: Einerseits ist es die Struktur der Positionierungen selbst (bzw. Positionsstrukturierung, Relationsstrukturierung und Relationsbildungsart in den diskursiven Beiträgen der sozialen Akteure). Andererseits sind es diskursive Formationsregeln, welche die Reproduktion der Akteurspositionierungen bestimmen (bzw. Signifikationsregeln, Regeln zur Aussageproduktion und Dispositive). Die empirische Untersuchung erfolgt entsprechend diesem konzeptionellen Analyserahmen und zeigt folgende Relationen zwischen der Virtuosen-Religiosität und der Ablehnung »der Abweichenden«. Die religiös begründete Weltablehnung konstituiert die Virtuosen-Religiosität und stützt den moralischen Kode in den Mitgliedschaftsstrukturen einer streng religiösen Kollektivität. Der Letztere begründet die Exklusivität der internen und externen Grenzziehungen entlang den typisierten soziodemografischen Merkmalen des jeweiligen (streng religiösen) korporativen Akteurs. Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Austragungsmodus der religiös begründeten Weltablehnung. Die vorliegende Untersuchung zeigt eine direkte Verbindung zwischen dem Modus der religiösen Weltablehnung und dem Modus der Ablehnung »der Abweichenden« mit Ingroup- und Outgroup-Positionen. Die Struktur der Positionierungsprozesse und die positionale Konfliktperformanz zur »Welt« und »den Abweichenden« unterschiedlicher sozialer Typen weisen weitgehende rhetorische Übereinstimmungen auf.
In seiner filmtheoretischen und filmästhetischen Studie führt Chris Tedjasukmana die Leser_innen mit Roland Barthes in den Darkroom und analysiert Filme, die sich im Treibsand verlorener Utopien bewegen oder Lust auf sexuelle Revolution machen könnten. In luziden Filmanalysen und auf hohem theoretischen Niveau wird Film als Medium einer alternativen, affektiven Geschichtsschreibung entworfen: Im Kino wird die Wirklichkeit des Möglichen zur geschichtsmächtigen Kraft. Den zentralen Begriff der mechanischen Verlebendigung entwickelt Tedjasukmana im kritischen Anschluss an klassische Filmtheorien bei einer gleichzeitigen Veränderung der Perspektive. "Verlebendigung" zielt dabei ins Herz einer zentralen Debatte um den Zusammenhang von Lebendigkeit, Medientechnik und Subjektivierung, die gegenwärtig im Kontext "neuer Lebensphilosophien" (S. 22) ebenso wie in Reflexionen über Biomacht und Biopolitik stattfindet. Der strategische Einsatz dieser filmtheoretischen und filmphilosophischen Studie verläuft dabei über die Aufwertung und Neufassung des Begriffs "ästhetische Erfahrung". Im ersten Teil des Buches wird das Konzept einer "Ästhetik der Lebendigkeit im Kino" (S. 24) entwickelt, aufbauend auf der Re-Lektüre von Autoren der klassischen Filmtheorie (Benjamin, Kracauer, Balazs, Epstein, Bazin, u. a.), über Bergson und Deleuze bis hin zur kritischen Einbeziehung phänomenologischer und poststrukturalistischer Ansätze. Ein zentraler Ausgangspunkt der Argumentation ist die Auseinandersetzung mit der Philosophie Bergsons, dessen "vitalistische Metaphysik als eine Ästhetik des Kinos" reformuliert werden soll, um daraus Grundlagen für eine "Ästhetik filmischer Verlebendigung" (S. 30) zu gewinnen. Mechanische Verlebendigung wird dabei aber nicht als mechanistischer Prozess der apparativen Illusionserzeugung gedacht. Vielmehr beruhe die Kinoerfahrung, so eines der zentralen Argumente, als eine ästhetische Erfahrung "auf dem Primat der erlebten Zeit" (S. 20) und lasse sich darum nicht als bloßer Effekt apparativ konstruierter Bewegungsillusion verstehen. Im weiteren Verlauf stellen schließlich Phänomenologie, Filmontologie, Diskursanalyse und postmoderne Körpertheorie das Theoriegerüst, um eine aktuelle Theorie ästhetischer Erfahrung im Kino zu entwerfen, die sich vermittelnd zwischen Diskursanalyse, politischer Kinotheorie und Filmphänomenologie positioniert. Heide Schlüpmanns Konzept 'Öffentlicher Intimität' findet in diesem umfassenden Theorieentwurf ebenso souverän einen Platz wie Michel Foucaults Machtbegriff oder Heterotopiekonzept. Kinoerfahrung wird von Tedjasukmana als eine "verkörpernde Wahrnehmung" verstanden, über die ästhetische Erfahrungen als "spezifisch geschichtlich-fiktionale Erfahrung" möglich werden (S. 18). Sein kritischer Einsatz orientiert sich dabei an der Idee, das Kino als einen 'anderen Ort' zu verstehen. Die raumzeitlich entgrenzte Erfahrung des Kinos, die für die Zuschauer_innen eine vorübergehende Entlastung vom Identitätszwang bedeuten kann, wird im Anschluss an Foucault als heterotope und heterochrone Dimension des Kinos gedeutet. Kino kann darum auf sein Potenzial für die Erfahrung widerständiger, oppositioneller und politisch-utopischer Möglichkeiten hin befragt werden. In der Auswahl der untersuchten Filme wird diese Perspektive konsequent entfaltet, indem ein Schwerpunkt auf den Komplex von Film, Trauma und Erinnerung gelegt wird, auf Fragen nach Verlust und Erinnerung und nach dem Zusammenhang zwischen einer Politik der Form und einer Politik der Lebensformen. Ein zentraler Begriff für die Filmanalysen ist dabei der einer "affektiven Geschichtsschreibung" (S. 190). Film wird als Erinnerungsmedium gedacht, jedoch nicht im Sinne einer medientechnischen Konservierung, sondern als Vermittlung ästhetischer Erfahrungen, durch die neue Kombinationen und Schichtungen von Vergangenheit und Gegenwart entstehen. Kinoerfahrung gründet aus dieser Perspektive auf der Simultanität von Vergangenheit und lebendiger Wahrnehmung, auf der Gleichzeitigkeit von Gedächtnis und rezeptiver Gegenwart. Die einzelnen Filmanalysen reichen vom dekonstruktiven Dokumentarismus von Hito Steyerl über den analytischen Realismus von Alexander Kluge bis zu den allegorischen Verfahren in so unterschiedlichen Arbeiten wie den Videoessays von Gregg Bordowitz, Rainer Werner Fassbinders Warnung vor einer heiligen Nutte (BRD 1971) oder Velvet Goldmine (USA 1998) von Todd Haynes. In den Film- und Formanalysen begegnen sich Theorie und Politik auf dem Schneidetisch. Der Blick wird auf politische Kämpfe und deren filmische Reflexion gelenkt: Wie verbindet Film historische Reflexion und Aktualisierung? Wie können Verbindungen zwischen mehreren Zeiten hergestellt werden? Wie kann ein "(queeres) Begehren nach Geschichte" (S. 289) erzeugt werden, das die Vergangenheit als Horizont vergangener Möglichkeiten wahrnehmbar werden lässt? In den Filmuntersuchungen fokussiert Tedjasukmana immer wieder die Bedeutung von Gefühlen: zwischen Zurücksehnen und Heimsuchen; zwischen Trauer und Hoffnung. Puzzlesteine aus einem Panorama politischer und gegenkultureller Kämpfe von 1968 über den AIDS-Diskurs der 1980er und 1990er Jahre bis zu queeren Politiken und Lebensformen. Die filmtheoretisch akzentuierte 'Gegenwart' der Kinoerfahrung wird stets als eine ästhetisch vermittelte beschrieben, die sich jedoch auf Seiten der Rezeption in eine reale Kinoerfahrung verwandelt, gedacht als eine "prinzipiell offene, dritte Zeit der Gegenwärtigkeit oder Präsenz" (S. 296). In den hellsichtigen Analysen werden allegorische Stile entziffert und als Elemente einer Politik der Form herausgearbeitet. Dies erfolgt mit Blick auf die Formulierung einer ästhetischen Erfahrung der Kontingenz von Geschichte, die sich als "affektive Geschichtsschreibung" vermittelt, von einer Ästhetik der Trauer bis hin zu einem Begehren nach vergangenen Möglichkeiten. Der Begriff von Film als Medium für eine "Erfahrung vergangener Möglichkeiten" (S. 276) wird dabei nicht romantisierend auf Formen von Wunsch oder Nostalgie reduziert, sondern als "wechselseitige Bezugnahme von Erfahrungs- und Reflexionsebene" (S. 188) konzipiert. Entscheidend ist hierfür ein an Benjamin orientierter Begriff der Allegorie, gedacht als "Mittel zur potenziellen Wiedergewinnung und Neuerfindung von Geschichte" (S. 280). Somit perspektivieren die Analysen Film als Teil politischer Praktiken. Über die Filmauswahl gelingt dadurch auch ein Einblick in feministische, homosexuelle und queere Politikperspektiven, entlang der Spuren von politischen Kämpfen, Traumata und vergangen-zukünftigen Möglichkeiten. Im Kino, so die affekttheoretische Zuspitzung, kann die Wirklichkeit des Möglichen als Element einer affektiven Geschichtsschreibung 'fühlbar' werden. Die Aufwertung des 'Gefühls', die damit filmästhetisch und politiktheoretisch vollzogen wird, balanciert zwischen repräsentations- und präsenztheoretischen Ansätzen und schlägt eine Brücke zu aktuellen Affekttheorien. So werden Gefühle zugleich subjektiv und kollektiv gedacht; die affektive Dimension der Kinoerfahrung wird als 'unmittelbar und real' und zugleich vermittelt vorgestellt. Gegenüber ihrer medialen Vermittlung wird die Autonomie der Affekte und Emotionen betont, bezogen auf die lebendige Kraft der Körper: "Affekte und Emotionen [lassen sich] nicht auf ein äußeres Eindringen sozialer Macht zurückführen. Vielmehr werden sie im und durch den eigenen Körper produziert und entfalten eine Eigenlogik, die von außen bisweilen unberechenbar und geschichtslos erscheint" (S. 294). Mechanische Verlebendigung ist ein dicht argumentierendes und theoretisch vielschichtiges Buch. Der Bogen reicht von der Re-Lektüre klassischer Filmtheorie zur Medienanthropologie, von Gedächtnistheorien bis zu zeitgenössischen Gefühls- und Affekttheorien. Tedjasukmana gelingt dabei eine kritische Weiterentwicklung wichtiger filmtheoretischer Positionen, die in den letzten Jahrzehnten die Theoriebildung vorangetrieben haben. Als Beitrag zur gegenwärtigen Filmtheorie entwirft Tedjasukmana in seiner Arbeit einen Begriff der ästhetischen Erfahrung im Kino, der medienontologische und ästhetische Ansätze geschickt zueinander in Bezug setzt. Geschärft wird damit der Blick auf das kritische Potenzial des Kinos als Ort anderer Erfahrung und als politische Kraft. Wer etwas über die gegenwärtige Entwicklung der Filmtheorie erfahren möchte, dem kann die Lektüre dieser – vielleicht zukunftsweisenden – Studie zur Ästhetik und geschichtsmächtigen Kraft von Kinoerfahrung nur empfohlen werden.
'Zuschauen ist schlecht!', lautet das Credo der Ankläger. Wer nur zusieht, bleibt passiv und wer nur betrachtet, kann nicht erkennen. So sei es die Pflicht der Künste, die Partizipation des Publikums voranzutreiben. Gerade im Theater müsse die Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum aufgehoben werden. Der/die ZuschauerIn als AkteurIn, als aktiver Teil einer jeden Aufführung – so die Utopie. Rancière stellt diesen Forderungen gleich zu Beginn des Buches die interessante Frage gegenüber, "ob nicht gerade der Wille, die Distanz abzuschaffen, erst die Distanz schafft" (S. 22). Innerhalb 'natürlich' bestehender Distanzen, auch jener zwischen Kunst und Leben, sieht er nämlich die Macht zu assoziieren und zu dissoziieren. Eine Macht, die zur "Emanzipation von jedem von uns als Zuschauer" (S. 28) führt. Obwohl Der emanzipierte Zuschauer, wie andere Bücher Rancières, fünf völlig eigenständige Manuskripte beinhaltet, verbinden zwei Quintessenzen diese wie ein unsichtbares Band – 'Partizipation ist nicht gleich Emanzipation' und 'auch Sehen ist eine Handlung'. Der erste von fünf Texten, dessen Titel namensgebend für den gesamten Band ist, beschäftigt sich überwiegend mit Theater. Im weiteren Verlauf des Buches wird dann aber von allen 'schönen Künsten' die Rede sein, ein Umstand der ab und an zu Verwirrungen führt. Rancière führt zuallererst den Begriff des 'Paradox des Zuschauers' (in Anspielung auf Diderots 'Paradox des Schauspielers') ein, welches darin besteht, dass es kein Theater ohne ZuschauerInnen gibt, aber das reine Zuschauen, wie schon angemerkt, als unbefriedigend gilt. Was aber geschieht, wenn nun auch das Sehen als Handlung verstanden, wenn der Mythos des passiven Zuschauens ad absurdum geführt wird? Rancière schlägt vor, Gegenüberstellungen wie "Sehen/Wissen, Erscheinung/Wirklichkeit, Aktivität/Passivität" nicht als logische Gegensätze zu betrachten, sondern sie als "Aufteilungen des Sinnlichen" (S. 22) zu definieren. Eine Emanzipation beginnt ab jenem Zeitpunkt, an dem solche Gegensätze infrage gestellt werden; "sie beginnt wenn man versteht, dass Sehen auch eine Handlung ist." (S. 23) Sie beginnt also, wenn sich das Publikum im Theater als als gleichberechtigte Instanz begreift. Im Text "Die Paradoxa der politischen Kunst" geht Rancière von einem vorherrschenden "pädagogischen Modell der Wirksamkeit der Kunst" (S. 66) aus, welches versucht, die Trennung von Kunst und Leben aufzuheben. Dieses verdeckt jedoch die eigentliche politische Wirksamkeit von Kunst, da es einer "repräsentativen Logik" (S. 81) verhaftet ist. Die eigentliche "Politik der Kunst" (S. 80) begründe sich durch die Verflechtung dreier Logiken: der "ästhetischen Wirksamkeit" (S. 69), welche ihre Realisation gerade in der Trennung verschiedener sinnlicher Formen findet; der "Arbeit der Fiktion" (S. 79), welche Normen des Sicht- oder Sagbaren verändert; und der "metapolitischen Strategie" (S. 80), die die Formen sinnlicher Erfahrung radikal verändern will. Anhand mehrerer Beispiele verweist Rancière auf ästhetische Brüche und Distanzen, welche er mit seinem Dissens-Begriff übersetzt und somit zur Grundvoraussetzung politischer Kunst werden lässt. Schlussendlich merkt er an, dass es keine Modelle gäbe, die beschreiben, wie Kunst zur politischen Kunst werden kann. Jedoch gäbe es durch Veränderung und Dynamik unserer Wahrnehmung Möglichkeiten neuer Formen politischer Subjektivierung. Eine durchaus berechtigte Hypothese, die allerdings das Wissen um Rancière'sche Termini voraussetzt, welche sich 'unwissende' RezipientInnen erst anzueignen haben. "Was macht ein Bild unerträglich?" Dieser Frage geht Rancière in einem weiteren Text nach und verweist dabei auf die eigene Schuldigkeit der BetrachterInnen, welche die politische Wirksamkeit begünstige. Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen diskutiert der Autor verschiedene Werke und deren Strategien, eine solche Unerträglichkeit, eine solche Politik zu gestalten. Ob die Bemühungen der Künstler fruchten, ist bedauerlicherweise nicht klar erkennbar. Konkreter ist Rancières Verhandlung der Undarstellbarkeit von Barbareien wie zum Beispiel der 'Shoah'. Hier kommt er zum Schluss, dass die politischste Form nicht die direkte Repräsentation, sondern die Metonymie ist, "die die Wirkung an Stelle der Ursache oder den Teil für das Ganze zeigt" (S. 116). Was das nun eigentlich Unerträgliche der Bilder ist, bleibt leider weiterhin offen; geklärt wird allerdings, dass Kunstwerke die Möglichkeit haben, "andere Wirklichkeiten, andere Formen des Gemeinsinns zu erzeugen" (S. 120). Ein Potential, welches Rancière mit dem Begriff der "Fiktion" (S. 120) übersetzt. Der letzte Teil des Buches, "Das nachdenkliche Bild", stellt einen kritischen Umgang mit einigen fototheoretischen Paradigmen dar. Vor allem Roland Barthes' Ausführungen über 'punctum' und 'studium' sind Mittelpunkt der Analyse. Rancière verortet dabei eine Nachdenklichkeit des Bildes nicht so sehr in diesen beiden Funktionen, sondern in der "Eigenschaft der Unbestimmtheit" (S. 132). Ähnlich kritisch steht er Walter Benjamins Differenzierung zwischen Kult- und Ausstellungswert gegenüber. Weder 'Aura' noch 'punctum' gründen die Nachdenklichkeit des Bildes, so sagt er, sondern ein "neue[r] Status der Figur, die zwei Ausdruckregimes zusammenfügt" (S. 141). Eine These, die er erstaunlicherweise mittels Samples der Literatur erläutert, um sie dann anhand der Filmkunst, beispielsweise jener von Godard, zu belegen. Schlussendlich verweist er auf Kants 'ästhetische Idee' – die Verbindung zwischen einer 'Absicht der Kunst' und ihrer 'Einbildungskraft'. Eine 'Idee', die Rancière durch die Verflechtung mehrerer "Ausdruckregimes und der Arbeit mehrerer Künste und mehrer Medien" (S. 150) sieht und derart den neuen Techniken und Medien unerhörte Möglichkeiten zuschreibt, – eine Meinung, die durchaus geteilt werden kann. Die Ausführungen des Philosophen sind nicht immer sofort nachvollziehbar. Seine Überlegungen und Verhandlungen stellen meist keine stringente Analyse, kein konkretes Theoriegefüge dar. Vor allem für diejenigen Leserinnen und Leser, die sich noch nicht im 'Rancière'schen Universum' heimisch fühlen, wird die Rezeption des Buches durchaus zur Herausforderung. Unverhohlen setzt der Autor die Kenntnisse seiner ganz eigenen Begrifflichkeiten bzw. deren Verwendung voraus. Auch die Nachvollziehbarkeit der von ihm gegebenen Beispiele scheint erst auf den zweiten oder gar dritten Blick gegeben zu sein. Am 'problematischsten' wirkt der Text "Die unglücklichen Abenteuer des kritischen Denkens", denn Rancières Weg – der ihn von einer Diskussion kritischer Kunstwerke, über eine Verhandlung der "Melancholie der Linken" (S. 51) und der "rechten Wut" (S. 49) bis hin zu seinen Ausführungen über die Bedeutung des Dissens (S. 60f.) führt – erscheint auf den ersten Blick nur bedingt schlüssig zu sein. Erkennbar ist jedoch allenfalls eine durchaus nachvollziehbare und berechtigte Kritik an einer "postkritische[n] Kritik" (S. 52), die sich an einer (Spektakel-)Gesellschaft, an einem kapitalistischen System reibt, welchem sie dann zumindest auf Ebene des Sinnlichen selbst zuzuordnen ist. Trotz einiger Kritikpunkte – manchen wird wohl das Fehlen konkreter Lösungsvorschläge nicht behagen – schafft Rancière einen kritischen und mit einiger geistiger Anstrengung durchaus nachvollziehbaren Blick auf vorherrschende Praktiken und Denksysteme. Mit einigen scharfsinnigen Beobachtungen gelingt es ihm, deren Schwächen herauszustreichen und zu einem kritischen Umgang mit vorherrschender Kunst, Theorie und Kritik zu ermuntern. Dabei ist er sich jedoch durchaus bewusst, dass auch seine Ausführungen nichts weiter sind als: "Wörter, immer wieder und nichts als Wörter." (S. 33) Wörter allerdings, die helfen zu verstehen und somit einen nicht zu verkennenden Teil der Wissenschaft bilden.
This book, now in its second edition, centres on the question of how the working population's opportunities for participation develop under the conditions of flexible work, project work or remote work. Its authors adopt a comparative perspective in their approach to addressing this question, which through stark contrasts offers extremely interesting insights. Using empirical research, they examine both companies that provide information technology services and those that offer mobile care services. Mobility, flexible working times and the subjectification of work play an important role in both fields, but the workers' conditions and the way they shape and handle the aforementioned features of this kind of work vary greatly. While this study finds that the information technology sector can, generally speaking, be seen as the paradigm of a genuinely dynamic and 'modern' working environment, it reveals that the ostensibly much more traditional field of care work also deviates from the conventional Fordist idea of employment relationships in some respects; the only difference is that in the latter field this is not the result of recent radical changes but has been common practice for some time now.
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Wie bilden sich Erlebens- und Deutungsweisen des eigenen Körpers heraus? In welchem Zusammenhang stehen sie mit Erfahrungen? Das Buch bietet einen Ordnungsversuch der Relationen von biografischem Verlaufs- und Körpererleben sowie ihrer Erforschbarkeit. Dafür wurden narrative Interviews mit Berufstanzenden mit einer modifizierten, leibphänomenologisch angereicherten sozialwissenschaftlichen Prozessanalyse ausgewertet. Mit dieser 'Leibheuristik', die Körper als Erfahrungselemente auch mit spürenden Qualitäten berücksichtigt, liegt nicht zuletzt ein Empirisierungsvorschlag für Körper vor, der grundlegende forschungspraktische Anschlüsse eröffnet. Die Studie mit dem Ziel, Körpererleben über biografische Darstellungen zu analysieren, nimmt es sich zur Aufgabe, Sinnkonstitutionen deutend zu verstehen, indem Körper als Erfahrungselemente mit spürenden Qualitäten berücksichtig werden. Ziel ist es, die Relevanz des er- und gelebten Körpers für das eigene Sogewordensein auszuloten, indem über zusammenhängende lebensgeschichtliche Prozessdarstellungen Entstehungszusammenhänge von leiblichem Körper und biografischem Verlauf systematisch einzelfallanalytisch und fallvergleichend untersucht werden. Das Forschungsanliegen ist über die Fragen konkretisiert, wie sich im- und explizites Körperwissen (gefasst als Erfahrungs- und Deutungswissen) entwickelt, wie es im Verlauf in Handeln und Erleben einfließt, und wie das Verhältnis von Bedingungskonstellationen, Körperperspektiven und Emergenz in ihrer Relevanzentfaltung für das Erleben zu beschreiben ist. Da die Leibfundierung von Erfahrungen, insbesondere in empirischer Forschung, bisher nur wenig Beachtung findet, sind im Rahmen der Untersuchung zwei Erkenntnisstränge zentral. Auf der einen Seite wird im Sinne der vorangehenden Fragen die Absicht verfolgt, empirieverankerte Erkenntnisse für den Erfahrungsgegenstand des er- und gelebten Körpers zu generieren. Auf der anderen Seite obliegt es der Forschung wegen des mangelnden forschungspraktischen Wissens zum Gegenstand, eine konsistente Methodologie zu erarbeiten sowie ein methodisches Vorgehen im Forschungsprozess erprobend zu plausibilisieren. Insgesamt bietet die Arbeit, deren Befunde auf narrativen Interviews mit Berufstanzenden basieren, einen ersten Ordnungsversuch der Relationen von Körper- und biografischem Verlaufserleben ebenso wie von (leib-)phänomenologischen mit method(olog)ischen Bezügen an. Dabei werden mit bildungs-, sozialisations- und biografietheoretischen ebenso wie organisationspädagogischen Bezügen relevante Fragen der Erziehungswissenschaft diskutiert.
"In den entwickelten Arbeitsgesellschaften vollziehen sich seit Jahren grundlegende Veränderungen, die im Rahmen des Forums Neue Politik der Arbeit als Epochenbruch bewertet werden. Dieser Bruch hat weitreichende Konsequenzen auch für die arbeitsbezogenen Wissenschaften. Die arbeitswissenschaftliche Analyse dieser Umbruchsituation gestaltet sich schwierig. Kriterien und Methoden der am alten kulturellen Modell der Arbeit geschulten Arbeitswissenschaft 'greifen nicht mehr richtig'. Dies macht Grundlagenarbeit und interdisziplinäre Forschung im Bereich der arbeitsbezogenen Wissenschaften erforderlich. Der nachfolgende Bericht zeugt von einer derartigen grundlagenorientierten Kooperation und Diskussion zwischen dem Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen und der Sozialforschungsstelle Dortmund. Sie erfolgte im Rahmen des von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projektes 'Analyse und Bewertung subjektivierter Arbeit - ein interdisziplinärer Methodenvergleich' und des Forums neue Politik der Arbeit." (Autorenreferat)
Unter dem programmatisch verschränkenden Titel Disability Media Studies versammeln Elizabeth Ellcessor und Bill Kirkpatrick exzellente Artikel, die die Medienwissenschaft durch Begriffe und Perspektiven der Disability Studies erweitern und herausfordern wollen. Durch die jeweils medienwissenschaftliche Problemstellung und medienanalytische Methodik zeigen die Beiträge – umgekehrt – auch für die Disability Studies mögliche theoretische Verschiebungen in der kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der soziokulturellen Konstruiertheit von Behinderung auf, indem sie diese Konstruiertheit als Effekt medialer Dispositive in Form von Repräsentation aber auch "beyond Representation" (Mack Hagood, S. 312) denken. Dem Sammelband liegt ein erweiterter und intersektionaler Begriff von Disabilities zugrunde. Gemeinhin werden unter Behinderungen klinisch konnotierte, vermeintlich 'stärkere' und 'merkliche' motorische, sensorische oder geistige Beeinträchtigungen verstanden. Die überzeugende Erweiterung des Begriffs von Behinderung erfolgt, indem bspw. auch Gegenstandsbereiche der Neurodiversität und der Illness Studies besprochen werden: Dazu zählen unter anderem das Leben mit Autismus oder AD(H)S, oder auch mit chronischen Schmerzerkrankungen und sensorischen Erkrankungen wie Tinnitus, potentiell tödlichen viralen Infektionen wie AIDS/HIV sowie psychischen Dispositionen wie Depressionen und Angstzuständen. Der Begriff wird mithin nicht auf klinische oder legislative Definitionen von Behinderung verengt, sondern erstreckt sich auf alle mittel- und längerfristigen oder wiederkehrenden Formen der Reduktion von Handlungsfähigkeit durch Barrieren, die einer mutmaßlich idealen oder normalen motorischen, sensorischen, kognitiven und emotional-stabilen Befähigung von Körpern in den Weg gestellt sind. Aufgrund ebendieser Erweiterung des Begriffs von Disabilities im Plural empfiehlt sich schließlich notwendig auch seine intersektionale Perspektivierung, die Aspekte erweiterter Disabilities im Kontext von Rassismus, (Hetero)Sexismus, Klassissmus, ageism, lookism etc. sichtbar machen soll, wie im Band überzeugend ausgeführt wird. So geht es im Sammelband mitunter um die Verschränkung von Abnormalisierung und Effemination von Anxiety Disorders (D.Travers Scott/Magan Bates); um den verandernden, euro-ethnischen Blick auf nicht-weiße, vermeintlich animalisch-monströse Freak-Show-Künstler_innen (Lori Kido Lopez); und um Arbeiter_innen im globalen Süden, die durch den Medienproduktionsimperialismus des globalen Nordens ausgebeutet, geschwächt, verletzt und verbehindert werdern (Toby Miller). Auf Basis des intersektionalen, erweiterten Begriffs von Disabilities schließen die Artikel eine breite Palette von medialen Untersuchungsgegenständen für eine medienkulturwissenschaftliche Bearbeitung auf. Das heißt, es geht bei diesen Artikeln keineswegs schlicht um eine Beschäftigung mit Disabilities 'am Beispiel von' Medien. Medien wären dann die Trägermedien, die angeblich präexistente Themen, Ideen, Stereotype oder kritische und widerständige Botschaften in Bezug auf Disabilities lediglich transportieren oder verstärken. Im medienkulturwissenschaftlichen Denken der Autor_innen wird stattdessen davon ausgegangen, dass Disabilities sich in besonderem Maße erst 'in' ihren Mediatisierungen verwirklichen. Mediale Alltagsgegenstände, mediale Narrative und Motive, mediale Räume und Architekturen stellen das Bild von und das Leben mit vermeintlicher körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung unter Bedingungen, die von der Mediatisierung selbst erst hervorgebracht werden. Besprochene Beispiele sind etwa die Darstellung eines Rollstuhlnutzers in einer Jugend-TV-Serie der 2010er Jahre 'durch' einen able-bodied Schauspieler (Ellcessor, S. 31–51) oder die Bewerbung eines Radiogeräts in den 1920er Jahren für invalide Bettlägerige 'als' Angebot zur gefühlten Teilhabe an gesellschaftlichem Leben (Kirkpatrick, S. 311–353). Wie die differenziert argumentierenden Beiträge aufzeigen, verhalten sich diese Phänomene nicht einfach sekundär zur sozialen Wirklichkeit. Sie sind nicht nur die abbildende Darstellung von Behinderung (in der TV-Serie) oder die technologische Antwort auf eine Behinderung (Radioempfang). Vielmehr wird überzeugend aufgezeigt, dass sich das Politische an der (Nicht-)Behinderung von Körpern (d. h. ihre Verstrickung in Machtverhältnisse) erst durch Mediatisierungen und Technologien realisiert und stets Aktualisierungen und Revidierungen von dem hervorbringt, was als motorisch, sensorisch oder kognitiv 'normales' Befähigungsausmaß gilt. Die Frage nach der Medialität von Disabilities zu stellen, ist damit für die Autor_innen des Buchs keine Fleißaufgabe für kulturwissenschaftliche Illness und Disability Studies, sondern zielt auf eine medienwissenschaftlich-epistemologische Grundierung ihrer Kernthemen wie etwa accessibilty (Barrierefreiheit/Zugänglichkeit), debilitation (Schwächung/Verbehinderung), Mobilität, Zeitempfinden und Arbeits(un)fähigkeit. Dieser intersektionale medienkulturwissenschaftliche Zugang fragt damit danach, wie die Beziehungen von Medienhandeln und Mediatisierungen zur ungleichen Verteilung von Handlungsmacht und Privilegien verschiedener (nicht-)behinderter Körper aussehen, wirken und normalisiert sind – aber auch danach, wie diese Beziehungen dekonstruiert und verändert werden können. Mit Medien sind im Sammelband zum einen kulturelle Medien-Technologien im engeren Sinn gemeint: Film, Fernsehen, Radio, Internet, Graphic Novels, klinische Technologien wie bildgebende Diagnostik. Aber auch Sprechakte oder Diskursstränge zur (Ab)Normalität bestimmter Körper werden – einem erweiterten Begriff davon entsprechend – als mediale Operationen begriffen. Dies gilt auch für konventionelle Blickregime des Starrens, des Ekels oder der Bemitleidung oder für proxemische (Nicht-)Möglichkeitsräume der (Im)Mobilität oder der (Un)Zugänglichkeit. In den Augen von Ellcessor und Kirkpatrick soll die Beschäftigung mit Medien im engsten ebenso wie im erweiterten Sinn die Beforschung der kulturellen Konstitution von Behinderung stärker anleiten, da Medien – seien es Film, Radio oder Zeichnung, seien es Sprach-, Raum- oder Wahrnehmungsanordnungen – jeweils die Infrastrukturen sind, die soziale, kulturelle, informationelle und auch materielle Barrieren organisieren, kanalisieren und regulieren.(Vgl. S. 10–20) Dementsprechend wird im Band Medialität nicht nur als eine Frage der Repräsentation verstanden (wie wird etwas – in Bildpolitiken, als Motiv, als Narrativ – dargestellt und dadurch politisch wirksam?), sondern auch als eine Frage nach dem 'Handeln mit Medien': In welchen technischen, strukturgebenden, vermittelnden, ordnenden, speichernden, ästhetischen, übersetzenden sowie selbst- und fremd-regierenden Medien-Praxen konstituieren sich Beeinträchtigungen, Barrieren und Beschränkungen von Handlungsmacht? Die medienwissenschaftliche Epistemologie, die von den Artikeln nominiert wird, besteht damit in der Annahme, dass die Prozesse der Subjektivierung stets mit Prozessen des Agierens/Erleidens im Rahmen medialer Praxen korrespondieren. "When scholars study moments such as these, in which bodies and technologies interact, they shift the analytical frame from one of representation to one of biomediation." (Mack Hagood, S. 312) Auch subversive Biomediationen werden im Sammelband besprochen. So beschäftigen sich Shoshana Magnet und Amanda Watson mit den auto-analytischen, ästhetischen Strategien von Künstlerinnen, die ihre durch Depressionen und chronische Schmerzen intensivierte Trägheit, Motivationslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit in Graphic Novels übersetzen. Von den künstlerischen Arbeiten leiten Magnet/Watson die These ab, dass Biomediationen von Disabilities eine paradigmatische Machtkritik formulieren, die anders als etablierte Machtkritiken zentral aus einer problematisierenden Verschränkung von Zeit- und Leistungs-Konzepten heraus argumentieren, denn "narratives about disability are haunted by time and temporalities. […] [W]e argue that an undertheorized piece of the structure of ableism is the way that people with disabilities are both shamed and haunted by time and its passing under late-capitalist narratives obsessed with normative forms of productivity and efficiency." (S. 247f) Während es das Verdienst der Queer Theory sei, kritische Perspektiven und Begriffe gegen normative Imperative von sexueller Reproduktion entwickelt zu haben, bestünde das größte Potenzial einer Crip Theory darin, neue Perspektiven und Begriffe gegen kapitalistische, meritokratische und neoliberale Imperative von Produktion, Effizienz und 'erfüllter Zeit' zu theoretisieren. Die Artikel stellen einen herausragenden Beitrag zum wichtigen – und leider im deutschsprachigen Raum eher minoritären – Bestreben nach intersektionaler Medienwissenschaft dar. Eine entsprechend intersektionale Ausrichtung von Media Studies begreift die kritische Analyse und Theoretisierung von Medien als eine Wissenschaftspraxis, die die medialen Infrastrukturen von Machtverältnissen ins Auge fassen und freilegen will. Besonders positiv fällt dabei auf, dass die Konzeption des Sammelbands diesen Gedanken auf die Frage der 'Lektüre' akademischer Texte zu übertragen scheint und kleinere Versuche in Richtung neurodiversitätsgerechter Aufbereitung unternimmt: Begonnen bei vorangestellten Abstracts und gründlichen Conclusios bis hin zur überaus leser_innenfreundlichen Sprache, zeichnet sich auch das Textmanagement der Beiträge stilistisch durch eine gewisse Sachlichkeit und Schlichtheit aus, die hochgradig 'accessible' ist und daher auch als Einstieg in Disability Studies oder Medientheorie empfohlen werden kann. Zugänglichkeit wird auch maximiert, indem zwei Inhaltsverzeichnisse vorangestellt werden: Eines, in dem die Beiträge in theoriebasierte Cluster geordnet sind und ein zweites, in dem die Artikel hinsichtlich der unterschiedlichen besprochenen Medienformen aufbereitet wurden. Obwohl es sich nicht um einen Reader oder ein Handbuch handelt, möchte mensch diesen Sammelband auch nach der Lektüre in Griffweite verwahren: denn er zeichnet sich auf theoretischer, methodischer und konzeptioneller Ebene durch viele instruktive Ideen aus, die ebenso herausfordernd wie erhellend sind.
Die grundsätzliche Annahme des nicht nur ästhetisch ansprechenden, sondern auch sehr leser*innenfreundlich lektorierten Buchs Dividuationen. Theorien der Teilhabe (2015) von Michaela Ott, liegt in der Beobachtung, dass Einzigartigkeit und "Unverwechselbarkeit" (S. 20) aufgrund von Vernetzung nicht möglich ist. Zwar wird die Unmöglichkeit von gedachter und wahrgenommener Einheit und harmonischer Balance nicht zum ersten Mal diskutiert, sondern ist in unterschiedlichen Ent- oder Desubjektivierungstheorien ein stets wiederkehrendes Moment, doch betont Ott zurecht die neu aufgekommene Relevanz der heutigen digitalen Kommunikationssituation. Räumlich und zeitlich klar definierte und abgeschlossene Kollektive werden von flexiblen Teilhaben abgelöst, weshalb die Definition eines einheitlich-handelnden Individuums nicht länger tragbar ist (und, wie Ott betont, nie tragbar war). Die Gefüge, in denen wir agieren, sind offen, teilbar, kurzfristig und wandelbar. Das von Ott beschriebene Dilemma ist nun, dass das Subjekt dementsprechend weder als Individuum noch als Gemeinschaftswesen gedacht werden kann. Ott bringt deshalb den Begriff der 'Dividuation' in die Debatte über Neusubjektivierungen ein. Dieser Terminus impliziert die Wandelbarkeit und die Unabgeschlossenheit der "Einzelexistenz" ebenso wie die miteinander verschränkten "Teilhabeprozesse" selbst (S. 21). Den Begriff leitet Ott von Simondons Terminus der 'Individuation' her, der Subjekte als "nicht abschließbares Gefüge verschiedener (Teil)Individuationen von Einzelpersonen" (S. 54) definiert und damit eine Absage an Begriffe wie 'Individuum' und 'Individualisierung' erteilt. Den Einstieg sucht Ott über ein Filmbeispiel (A Prairie Home Companion, 2006), das die Defizite des menschlichen Wahrnehmungsprozesses veranschaulichen und einen vereinzelten Wirklichkeitsbezug verdeutlichen soll. Dabei demonstrieren die filmische Kadrierung, Perspektivwechel, Kamerafahrten und damit das Gezeigte ebenso wie das Nicht-Gezeigte Verflechtungen, die auf der einen Seite über einen individuellen Blick hinausgehen, auf der anderen Seite den rezipierenden Blick unvorhersehbar teilen, verdoppeln oder brechen. In der Annahme, das menschliche Sehen und in Folge dessen das Wahrnehmen selbst sei grundsätzlich eingeschränkt, fragt Ott nach den individuellen Anteilen der Konstruktion einer Außenwelt sowie zugleich nach äußeren "Kräfteverhältnissen" (S. 14), die die menschliche Wahrnehmung mitbestimmen. Das einleitende Beispiel dient dabei der Veranschaulichung ihrer Grundannahme, dass Subjektivierungen niemals unabhängig von affizierenden Außeneinflüssen betrachtet werden können. Die Argumentationsstruktur folgt gemäß der Gliederung einem klassischen Aufbau. In der im Verhältnis zu den anderen Kapiteln eher untypisch detaillierten Einleitung wird die anschließend folgende Argumentation verstärkt über die Beschreibung der Ausgangssituation dargelegt. Dabei geht Ott nicht von einer 'Krise des Subjekts' aus, der die irrige Annahme einer fixen ontologischen Zuschreibung vorausgehen würde, sondern betont eine historische Variabilität innerhalb der Subjektivierungstheorien, welche immer (auch) den fluiden, widersprüchlichen Charakter des Subjekts berücksichtigten. Diese nicht gesicherte und deshalb unzuverlässige Instanz des Subjekts wird demnach nicht als eine Zäsur verstanden. Aus diesem Grund ist es nur konsequent, dass Ott unterschiedliche Subjektivierungsansätze, die die menschliche Wahrnehmung in ein Verhältnis mit dem Weltwerden stellen, in dem ersten Kapitel Individuum/Individualität/Individuation voranstellt. Hierin präsentiert Ott eine chronologische Zusammenstellung unterschiedlicher Betrachtungsweisen, an deren abschließende Terminologie ihr Konzept der Dividuation direkt anknüpft. Begonnen bei den griechischen Atomisten richtet sich der Fokus noch sehr grundsätzlich auf die Frage nach einer möglichen Zusammensetzung eines vormals als Entität gedachten Kosmos, die eine Teilbarkeit bzw. miteinander in Zusammenhang stehende Teile impliziert. Diese erste Annäherung an das Teilbare wird über die philosophischen Ansätze des 17. Jahrhunderts weitergeführt. Interessant sind hier nicht nur das Wechselverhältnis zwischen Staat und Individuum, sondern zugleich die Vorwegnahme einer globalisierten Dimension, die aktuell in den Debatten um digitale Kommunikationsapparate aufgrund ihres scheinbar welt-verbindenden Elements wieder aufgegriffen werden. So liegen Assoziationen zwischen einer angestrebten "Menschengemeinschaft" (S. 84) und dem heutigen weltweiten Vernetzungsgedanken nahe. Ott verfällt hinsichtlich dieser Gedanken jedoch erfreulicherweise nicht in techno-euphorische Phantasmen, sondern behält ihren kritischen Blick, indem sie Schieflagen in ökonomischen und politischen Verteilungen sowie soziale, finanzielle und andere gesellschaftliche Ausgrenzungen immer mitbedenkt. Die Historisierung von Subjektivierungsweisen verbleibt hingegen bei westlichen Philosophien, wenn (Ent-)Individualitätskonzepte etwa von Marx, über Nietzsche, Locke, Rousseau, Freud, Canetti, Adorno und Arendt bis zu gegenwärtigen Gesellschaftstheorien wie die von Luhmann chronologisch abgehandelt werden. Zwar mag die Unverhältnismäßigkeit in Länge und Ausführung auf den ersten Blick verwirrend erscheinen (dieses erste Kapitel nach der Einleitung ist mit knapp 100 Seiten fast viermal so lang wie das zweite, das sich unter dem Titel Dividuell/Dividuationen mit dem zentralen Thema des Buches zu beschäftigen scheint), doch beinhaltet die Vorarbeit in Rückbezug zu Individuationstheorien bereits einige wesentliche argumentative Anknüpfungspunkte zum Dividuations-Ansatz. Zudem liegt der Schwerpunkt primär auf der Einordnung in verschiedene Dispositive, denen Ott insgesamt drei Kapitel widmet sowie auf der Herausarbeitung der digitalen Medienspezifik. Die damit verbundenen Subjektivierungsstrategien werden von Ott jedoch wiederkehrend in einen historischen Bezug gestellt, der die genauere Betrachtung vergangener Entwicklungen nötig macht. Nichtsdestotrotz hätte diese historische Einordnung einen weniger allumfassenden Charakter erhalten können, um dem Gegenstand des Dividuellen auch formal Rechnung zu tragen. Die an mancher Stelle eventuell unnötig verkomplizierenden Formulierungen (z.B. "bedingt unteilbare Vielfachunterteiltheit" S. 21) behindern die Klarheit der Ausgangsfragen und des Argumentationsverlaufs nicht wesentlich, wodurch die grundlegenden Überlegungen hinter Otts Gedanken des 'Dividuums' deutlich hervorgehen: Wie können wir uns noch als Agierende empfinden, bei dieser Vielzahl und Diversität von Vereinnahmung und Beeinflussung? Stets geht es dabei um das Verhältnis von Beteiligungsmöglichkeit und Autonomie. Sind wir in der Lage unsere Teilhabe selbstbestimmt zu steuern? Auch hier vergisst Ott nicht, diese Frage in den Rahmen von sozialer und gesellschaftlicher Ausgrenzung zu stellen. Denn neben dem Zweifel an Selbstbestimmung ist es auch eine, global betrachtet, ungleiche Verteilung von "Partizipationschancen" (S. 17), die Ott kritisiert. Ganz im Gegenteil zum ersten haben die darauffolgenden Kapitel einen fast rhizomatischen Charakter. Dabei arbeitet Ott sehr überzeugend die Verknüpfungen unterschiedlicher Diskurse heraus. Mögen in der Einleitung Vergleiche zwischen biologischen Mikroorganismen und digitaler Beeinflussung, die eben nicht nur auf das Verhalten einwirken, sondern gleichermaßen an neuronale Reize 'andocken' und diese mitdeterminieren, noch befremdlich wirken, werden in Kapitel III bis V durchaus schlüssige Vernetzungen zwischen den Dispositiven der Biologie, Soziologie und Kunsttheorie hervorgehoben, die die Verhältnisse von Einheit und Teilbarkeit ebenso hinterfragen, wie die von Selbst- und Fremdbestimmung. Die gekonnten Überleitungen tragen zu einem größeren Argumentationsverständniss bei, zugleich eröffnet Ott durchlässige Verbindungslinien zur kognitiv-neuronalen Fremdbestimmung durch digitale Apparate. So ergibt sich die Medienspezifik nicht aufgrund eines unbekannten Phänomens, da Subjektivierungsdebatten und der Zweifel an einem einheitlichen Individuum nicht neu sind. Vielmehr argumentiert Ott, dass sich die Ambivalenz und die widersprüchliche Erfahrung von Partizipation und Vereinnahmung in der digitalen Kommunikation am deutlichsten widerspiegeln. Ihrer Meinung nach führt die Nutzung aller vernetzenden Angebote zu einer Verschmelzung mit den Geräten, indem unser Nervensystem auf die Reize der Dauerrezeption reagiert. Die hervorgerufenen Empfindungen, der Wunsch nach Partizipation wird als eigen-evoziert und nicht fremdbestimmt wahrgenommen. Die Frage nach dem Einfluss ist hierbei entscheidend, der über die dividuelle Identität beschrieben wird, indem das Subjekt von diversen Eindrücken und Teilhaben beeinflusst ist und darüber hinaus überhaupt erst aus diesen entsteht. Im letzten Kapitel Ästhetisch-künstlerische Dividuationen schafft Ott es, von einer spezifischen Medien-Anschauung auf ein größeres Weltverständnis zu verweisen ohne an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Mithilfe konkreter Beispiele werden globale Zusammenhänge, die die unterschiedlichen Teilhaben berücksichtigen herausgearbeitet. Hieraus entstehen Angebote für ein neues "menschliches Selbstverständnis" (S. 311), die sich entschieden gegen Annahmen eines gesteigerten Individualitätsbestrebens richten. Dabei verfallen sie aber nicht in nostalgische Vorstellungen einer ökonomischen Gleichberechtigung durch globale Vernetzung. Einem 'One World'-Gedanken genau entgegengestellt, eröffnet Ott einen grundsätzlich kritischen Blick auf Subjektivierungsprozesse (S. 262) und Wirklichkeitsverhältnisse. Der vielfältige Blick auf unterschiedliche Gesellschaftsbereiche der bio(techno)logischen, sozio(techno)logischen und ästhetisch-künstlerischen Ausverhandlungen unterstreicht ohne Zweifel die Relevanz der von Michaela Ott ausgeführten Darlegungen. Zugleich zeigt sich hierdurch verstärkt die Innovation ihrer Arbeit. Neben einigen sprachlichen Verkomplizierungen, die der ansonsten so auf Verständnis ausgerichtete Text nicht nötig hätte, fällt insbesondere die akribische Differenzierungsarbeit positiv auf. Und zuletzt trägt auch der strukturelle Aufbau zur Überzeugungskraft bei. Man kann davon ausgehen, dass sich am Ende des Buches das letzte künstlerische Beispiele mit dem Thema Wasser beschäftigt – das Element, mit dem die griechische Philosophie anfing über Einheit und Weltbezug nachzudenken.
Die Auseinandersetzung mit weiblichen Körpern im TV ist durch einen kritischen Tenor geprägt, der implizit oder explizit den Medieninhalt als konstituierend für dessen Rezeption zugrunde legt. Vernachlässigt wird dabei, dass Medientexte weniger Normierungen liefern, als vielmehr gesellschaftlich vorhandene Normalisierungen widerspiegeln. Die Autorin zeigt anhand ihrer Analysen und Gruppendiskussionen mit jugendlichen Zuschauerinnen von Germany's Next Topmodel, dass das weibliche Aussehen in den eigenen Lebenswelten zwar eine zentrale Rolle spielt, in der Sendung aber nur peripher interessiert. Hochbedeutsam sind stattdessen Leistungsethiken im Radius von Leistung-Lernen-Können und disziplinierte, kontextangemessene Selbsthervorbringung.
Individualisierungsprozesse und die Umverteilung sozialer Risiken lassen auch die tradierten Geschlechterverhältnisse nicht unberührt. Welche Veränderungen sich für Geschlechtsidentitäten, Geschlechterbeziehungen und geschlechtstypische Positionierungen in der Gesellschaft ergeben (können), untersuchen die Beiträge im vorliegenden Band. Nach dem von Ulrich Beck geprägten Schlagwort von der "Risikogesellschaft" wirken die von modernen westlichen Gesellschaften produzierten Risiken individualisierend und führen typischerweise dazu, dass die entstehenden Gefährdungslagen von den einzelnen Individuen selbst getragen und bewältigt werden müssen. Das wachsende Gefühl, dass die Ungleichheit erzeugenden Umstände zwar in die eigene Verantwortung fallen, sich aber dem individuellen Zugriff entziehen und von der einzelnen Person nicht mehr beeinflussbar sind, nivelliert jedoch tendenziell sowohl das Bewusstsein möglicher Ungerechtigkeit gesellschaftlicher Umstände wie auch von individuellen und gesellschaftlichen Verantwortlichkeiten. Spezifisch für die Reflexive Moderne ist gerade, dass 'Verursacher' ungünstiger Lebensumstände nicht mehr erkennbar sind, die Strukturen der Verteilung dieser ungünstigen Umstände auf die Individuen verdeckt und tendenziell undurchschaubar werden. Damit wird auch die Geschlechterordnung, der 'Geschlechtervertrag', schwerer durchschaubar. Eine geschlechterbezogene Betrachtung muss deshalb danach fragen, welche Wirkungen diese Prozesse auf die Ausgestaltung der Geschlechterbeziehungen haben, nach den je unterschiedlichen Wirkungen auf die Lebensumstände von Frauen und Männern und danach, wer was erhält und nicht erhält, wer welche Rechte und Verpflichtungen übertragen bekommt, wer woran gemessen, wem was abverlangt, wer woran gehindert wird und welche Konsequenzen das hat - für die Einzelnen, ihre jeweilige geschlechtstypische Positionierung, für die Positionierung von Geschlechtergruppen und für die Gesellschaft insgesamt.
"Das Buch präsentiert vor dem Hintergrund eines empirischen Forschungsprojektes mit der Perspektive der subjektivierten Taylorisierung einen neuen Blick auf medienvermittelte Dienstleistungen. Jenseits euphemistischer Verweise auf ganzheitliche Aspekte berücksichtigende Arbeitsorganisation, wie sie insbesondere den betrieblichen Selbstdarstellungen eigen sind, aber auch in Distanz zu fatalistisch anmutenden Diagnosen rein tayloristischer Arbeitspraxis wird die Organisation medienvermittelter Arbeit in Call Centern als lebendige Auseinandersetzung zwischen betrieblichen Akteuren gefasst, die eine facettenreiche Arbeitswirklichkeit konstruiert. Die im Zuge der Rationalisierung der Kundenbeziehungen ursprünglich nur als notwendige Ergänzung technisierter Kommunikationswege vorgesehene Nutzung personaler Qualitäten der Arbeitenden verselbständigt sich: statt partieller Kompetenzen wird die ganze Person in die Tätigkeit eingebracht. Den Beschäftigten kommt die Rolle eines mehr oder weniger offen agierenden eigensinnigen Akteurs zu, der individuelle Ansprüche an die Arbeit unter Umständen nicht nur (ggf. kollektiv) formuliert, sondern alltäglich praktiziert. Das Management sieht sich vor einen neuen Legitimationsdruck hinsichtlich des eigenen Wirkens gestellt und zieht sich durch das Delegieren praxisnaher Gestaltungsfelder an untere Hierarchieebenen auf Rahmensetzungen und deren Kontrolle zurück. In diesen gegenläufigen Bewegungen des Eindringens und des Rückzugs etabliert sich eine Arbeitswirklichkeit, die gleichermaßen durch kleinteilige Kontrolle wie partiell große Freiräume gekennzeichnet ist. Subjektivierte Taylorisierung stellt damit eine erweiterte Entäußerung personaler Kompetenzen wie den Zwang zur, aber auch die Chance auf ausgeweitete Partizipation dar." (Autorenreferat)
"In light of the challenges of globalization, hybridization of cultures, and transnational migration movements worldwide, some central deficits of socialization theory have been identified. As a response to these challenges, the necessity of developing 'biographical socialization research' and a 'subject-oriented socialization theory' are underlined. In this paper, the notion of 'biographical agency', embedded in the social and temporal context of biographies, is proposed to overcome shortcomings of the theories of socialization. Drawing on the concepts of biographical knowledge, biographical work and biographical reflexivity, biographical research can show how individuals develop biographical agency and engage in meaningful social actions within their life courses under the conditions of globalization. On the basis of Samira's case, I will point out the kinds of multiple exclusion/ inclusion mechanisms that operate in multicultural societies, mechanisms produced both by majority and minority groups, and how daughters of migrants can acquire biographical resources through their socialization in multicultural contexts to struggle against hierarchical gender norms, conflicting expectations, and restrictive social sites as well as enlarge their sphere of action." (author's abstract)
Gabriele Dietze untersucht in ihrem Essay Sexueller Exzeptionalismus das Wie und Warum von Überlegenheitserzählungen der Neuen Rechten. Sie konzentriert sich auf das Erklärungspotenzial der Kategorie Geschlecht für die zunehmende Verbreitung rechtspopulistischer Positionen. Ihre Analyse soll etablierte sozioökonomische Erklärungsansätze ergänzen und wendet sich Rassismus und Sexismus als "zweiten Strom des neurechten Kraftfeldes" (S. 9) zu. Für dieses Vorhaben betrachtet sie Zeitschriften, Karikaturen, Socialmediaprofile, Romane und Memes, die durch neurechte Akteur*innen erstellt wurden, sie zu Wort kommen lassen oder ihre Überlegenheitsnarrative aufgreifen. Der Essay führt zwei Begriffe ein, die eine Auseinandersetzung mit der Verquickung von Rassismus und Sexismus ermöglichen sollen. Ethnosexismus erfasst Formen "von Sexismus, dem Rassismus zugrunde" (S. 12) liegen, und eine abwertende und rassifizierende "Kulturalisierung von Geschlecht, Sexualität und Religion" (S. 12). Die so produzierte Hierarchie ermöglicht ein Gefühl von Freiheit und Überlegenheit gegenüber den vermeintlich sexuell Unfreien. Die ethnosexistische Konstellation, die titel- und richtungsgebend für den Essay ist, nennt Dietze sexuellen Exzeptionalismus. Angelehnt an den american exceptionalism steht sexueller Exzeptionalismus für die Überzeugung, dass der globale Norden über die "'beste' aller denkbaren Sexualordnungen" (S. 27) verfügt und dass diese in die Welt getragen werden müsse. Dieses Narrativ lenkt von den eigenen Defiziten und Ambivalenzen in Bezug auf Emanzipationsfragen ab: Das eigene Unbehagen und die eigene Rückständigkeit werden zu jenen der Anderen. Das erste Kapitel beschäftigt sich unter diesem Gesichtspunkt mit der Fixierung auf Sexualität im Zusammenhang mit Migrationsbewegungen und macht drei Themen aus, an denen sich die Wirkungsweise des sexuellen Exzeptionalismus exemplarisch zeigen lassen: Die sogenannte "Kopftuchfrage" (S. 29), die Infragestellung der Akzeptanz von Homosexualität (S. 30) und die Figur "des sexuell gefährlichen Geflüchteten" (S. 31). Diesen aktuellen Beispielen stellt Dietze eine historische Kontextualisierung zur Seite: Vorgänger des gegenwärtigen sexuellen Exzeptionalismus' sind im sexual-hygienischen Kolonialdiskurs (vgl. S. 33) und der Sexualmoral des fin de siècle zu finden. Ethnosexistische Konstellationen verändern sich also mit der Sexualmoral: "Was [früher] als Schande galt, gilt jetzt als Emanzipationsausweis" (S. 36). Gegenstand des zweiten Kapitels sind die Geschehnisse der Silvesternacht 2015 auf der Kölner Domplatte. Diese konnten zu einem wirkungsvollen Ereignis werden, weil sie auf ein "noch unstrukturierte[s] Meinungsklima" (S. 41) zur Ankunft hunderttausender Geflüchteter im selben Jahr gestoßen sind. Sie hatten zahlreiche (rechts)politische Konsequenzen und wurden unter der Chiffre Köln "zu einem Topos für neurechtes Denken und Fühlen" (S. 43). Dieser Topos wird weltweit von Neuen Rechten aufgegriffen. Er konnte so wirkmächtig werden, weil die damit verbundenen Gefühle und vermeintlichen Zusammenhänge gefühlt und gesehen werden wollen (vgl. S. 45). Davor sind auch zunächst betrauerte Schicksale nicht gefeiht: Aus den Toten des europäischen Grenzregimes werden potenzielle Gewalttäter, jedes zugewanderte Kind könnte zu einem "erwachsenen Belästiger" (S. 46) heranwachsen. Fantasien der Vernichtung der Anderen zum Schutze der Eigenen infiltrieren Diskurse, die sich zuvor noch wohlwollend zur Aufnahme von Geflüchteten geäußert haben. Der liberale sexuelle Exzeptionalismus wird vom rechtspopulistischen "überholt und angepasst" (S. 48). Die liberale, bürgerliche Presse beteiligt sich, so vollzieht Dietze einleuchtend nach, an der Konstruktion eines "Wissensobjekt[es] 'arabischer Mann'", das nicht Fakten entsprechen muss, sondern Wahrheiten über dieses Wissensobjekt produziert. Die Presse dokumentiert, welche Auswirkungen sexueller Exzeptionalismus auf die Subjektivierung von jungen muslimischen Männern hat, und bedient sich zugleich der von Edward Said herausgearbeiteten Sexualisierung des 'Orientalen'. Ethnosexistische Konstellationen müssen nicht dauerhaft präsent sein, um Wirksamkeit zu entfalten, sondern werden strategisch aufgerufen, um später, wenn sie keinen Vorteil mehr bieten, wieder zu verschwinden (S. 55). Dabei setzen diese Konstellationen asymmetrische Geschlechterverhältnisse voraus und verstärken sie, indem sie sich immerzu auf eine vermeintlich schützenswerte weibliche Schwäche berufen. Zu Beginn des dritten Kapitels unterzieht die Autorin die diagnostizierte Krise weißer Männlichkeit einer kritischen Revision. Weiße Männlichkeit sei nicht ernsthaft gefährdet, vielmehr nehmen "(heterosexuelle) weiße Männer" (S. 60) wahr, dass vereinzelt Menschen in ihren Machtfeldern auftauchen und mitreden, die nicht mit ihnen identisch sind. Dieser Exklusivitätsverlust sei es, der als Krise empfunden wird. Im Angriff gegenüber dieser Krisenabwehr werden all jene aufgestellt, die keine weißen Männer sind. Und diese Abwehr "bewegt sich also immer in ethnosexistischen Konstellationen." (S. 60) Die von Dietze diskutierten Selbstinszenierungen weißer Männlichkeiten, wie beispielsweise die postheroische und die heroische Männlichkeit, und dessen, was sie abwehren, führen vor Augen, wie vielgestaltig sexueller Exzeptionalismus und seine Konstruktionen sind. Ihre Überlegenheitserzählungen bedienen sich dabei nicht nur offenkundiger Rassismen und Misogynie, sondern greifen auch Remaskulinisierungsfantasien, sozialdarwinistische Ideen und Homonationalismen auf. Das vierte Kapitel widmet sich den Anknüpfungspunkten der Neuen Rechten im Feminismus. Dietze bespricht zu Beginn die Wirkmächtigkeit von Alice Schwarzers Positionen als feministische "Bewegungspionierin" (S. 99) und stellt deren Ermöglichungsbedingungen heraus. Auch Schwarzer nutzt sexuellen Exzeptionalismus als Argumentationsgrundlage. Durch die Universalisierung der weißen Frau in der Kategorie Frau und die "Ethnisierung von Sexismus" (S. 101) als Eigenschaft der Anderen stellt sie eine Überlegenheit weißer Männer her und lässt deren Sexismus und Rassismus vergessen. Der hier fehlenden Verknüpfung von Antirassismus und Feminismus wird Sara Farris' Konzept des Femonationalismus' gegenübergestellt. Dieses identifiziert und erklärt die neoliberale und nationalistische Indienstnahme feministischer Forderungen. Jedoch bewertet Dietze das Konzept als für ihre Analyse zu wenig differenziert und übernimmt lediglich den Begriff des feministischen Ethno-Nationalismus'. Beispielhaft für feministischen Ethno-Nationalismus führt Dietze den französischen Mainstreamfeminismus an. Diesem Feminismus sei es ein Anliegen, muslimische Frauen vom Kopftuch zu befreien und den Männern die Freiheit zu lassen, Frauen gegenüber aufdringlich (oder auch übergriffig) zu sein (vgl. S. 115). Er macht sich so zum Komplizen des französischen Machismo und Nationalismus'. Im Rest des vierten Kapitels widmet sich die Autorin rechten Frauen(politiken). Sie portraitiert Frauen, die innerhalb der Neuen Rechten, sei es in deren ThinkTank, in der identitären Bewegung oder der AfD, eine gewisse Bekanntheit genießen und für unterschiedliche Seiten der Geschlechterpolitiken der Neuen Rechten stehen. Sie knüpfen in ihrer öffentlichen Selbstinszenierung an Bedrohungs- und Überlegenheitserzählungen an und führen teilweise paradoxe Existenzen, wie Dietze am Beispiel der Frauen an der Spitze rechtpopulistischer Parteien herausarbeitet: Sie vertreten eine Frauenpolitik, die politische Arbeit, wie sie sie betreiben, verunmöglichen würde. Zugleich stellen "[r]echtspopulistische Frontfrauen […] ein dynamisches Paradox dar. Als weibliche Anti-Feministinnen delegitimieren sie Gleichheitsforderungen von Frauen. Das geht umso besser, je erfolgreicher und sichtbarer sie selbst sind." (S. 140) Raewyn Connells Konzept hegemonialer Männlichkeit bietet im letzten Kapitel den Interpretationsrahmen für das Verhältnis zwischen den von Dietze herausgearbeiteten Männlichkeiten, deren Vorstellungen von Macht und Überlegenheit und der Komplizinnenschaft bestimmter feministischer Strömungen. Zur Erklärung dieser Komplizinnenschaft führt Dietze, leider etwas knappgehalten, drei Thesen an. Die erste bezieht sich auf die Angst der Frauen vor der Freisetzung als ökonomisches Subjekt im Neoliberalismus, den unter anderem die stete Aushöhlung des Staates kennzeichnet. Die Verunsicherung des Staates übertrage sich auf dessen Subjekte, die darauf mit Renationalisierung reagieren. Die zweite greift das Thema Komplizinnenschaft explizit auf: Sich mit dem Rechtspopulismus gemein zu machen, ermöglicht ein Gefühl der Überlegenheit, das Selbstermächtigung verspricht. Die letzte These geht von einer Emanzipationsverdrossenheit aus. Diese Verdrossenheit stelle sich bei jenen ein, die sich durch die permanente Thematisierung der noch nicht abgeschlossenen Gleichstellung der Geschlechter, abgewertet fühlen. Dietze schließt ihren Essay mit der Forderung nach einer selbst- und herrschaftskritischen, intersektionalen Analyse rechter Erzählungen. Gabriele Dietze bezieht in ihrem Text sprachlich klar Position gegen die neue Rechte. Der Essay macht es so leicht, sich von neurechten Personen, Positionen und ihrer öffentlichen Wirksamkeit zu distanzieren. Pauschalisierungen und Pejorative verhindern an vielen Stellen eine Auseinandersetzung mit der Mehrdeutigkeit des Materials, die ebenfalls zu ihrer Wirkmächtigkeit beiträgt. Diese fehlende Differenzierung holt die Autorin nur in ihrer Diskussion der feministischen Antworten auf die Silvesternacht 2015 in Köln ein. An anderen Stellen bleiben medien- und literaturwissenschaftlich zweifelhafte Einordnungen unkommentiert stehen und trüben die analytische Schärfe des Essays. Der Autorin gelingt es, entlang zahlreicher Beispiele nachzuweisen, wie Sexualität und Geschlecht im Rechtspopulismus diskursiv in Stellung gebracht werden und diese Narrative in liberalen Medien Eingang finden. Die Fülle und Medienwirksamkeit des Materials verdeutlichen, dass die neue Rechte kein Randphänomen (mehr) ist. Die Arbeit mit dem Konzept des sexuellen Exzeptionalismus zeigt, wie Fortschritts- in Überlegenheitserzählungen kippen und von reaktionären politischen Kräften in Dienst genommen werden. Allerdings gerät durch das Augenmerk auf die neue Rechte und ihre Narrative die deutsche Vergangenheit aus dem Blick. Da die neue Rechte im deutschen Kontext keineswegs geschichtslos ist, ist eine Berücksichtigung der Kontinuitäten altrechter Positionen in der neuen Rechten und der deutschen Öffentlichkeit, gerade im Hinblick auf das Erklärungspotenzial von Geschlecht und Sexualität für die Verbreitung derartiger Positionen vielversprechend.
Ausgehend von den Debatten über 'Hate Speech' im Netz erarbeitet Jennifer Eickelmann in ihrem Buch 'Hate Speech' und Verletzbarkeit im digitalen Zeitalter ein Konzept über verletzende Sprache, welches insbesondere die Konstitution von Subjekten im Spannungsfeld von Realität und Virtualität in den Fokus rückt. In Anlehnung an Judith Butler, Donna Haraway und Karen Barad kommt die Autorin zu einer Betrachtungsweise, die "Subjekte und ihre Körper […] erst durch performativ wirksame Intraaktionen von Mensch und Technologie im Entstehen" begreift (S. 280). In Bezug auf verletzende Sprache im Netz bedeutet dies folglich, dass "eine machtförmige und potenziell gewaltsame Internetpraxis diese Medienkörper verändern, angreifen, verletzen kann" (ebd.). Grundsätzlich geht die Autorin – performativitätstheoretisch gedacht – von Butlers These aus, dass Subjekte sprachlich konstituiert werden, wodurch Sprache eine Handlungsmacht zugestanden wird. Daran anschließend stellt sie die Frage nach dem konstitutiven Potenzial mediatisierter (Sprech-)Akte. Die Verletzungsmacht mediatisierter Sprache wird dabei auf unterschiedlichen Realitätsebenen gedacht, die in einem komplexen hybriden Verhältnis zueinanderstehen. Um die Frage nach der Materialisierung von mediatisierter Sprache im Netz und damit die Aufhebung der Grenzen zwischen Virtualität und Realität bearbeitbar zu machen, nutzt Eickelmann die Konzepte von Barad sowie Bruno Latour, "da beide Ansätze für sich beanspruchen, die oben aufgeworfene Trennung zu unterlaufen und Prozesse der Materialisierung entsprechend jenseits klassischer Dualismen diskutieren zu können" (S. 31). Eickelmann nimmt in ihrer Arbeit eine Differenzierung von Begrifflichkeiten wie 'Hate Speech', 'Cybermobbing', 'Trollen' oder 'Shitstorm' vor und erarbeitet in der Folge ein Konzept der "mediatisierten Empörung", die sich bei verletzender Sprache zur "mediatisierten Missachtung" transformiert. Die Ausarbeitung dieser mediatisierten Missachtung im Kontext von souverän gedachten Subjekten sowie ihre materiellen Effekte stehen im Zentrum ihrer materialreichen Analyse. Eine grundlegende These ist dabei, "dass internetbasierte Dienste und Diskurse einen noch zu diskutierenden Effekt auf die Materialisierung des Lebens insgesamt haben" (S. 17). Dieses konstitutive Moment medientechnologisch bedingter Kommunikation ergibt eine Denkweise nicht von den Subjekten her – Adressierende und Adressierte –, sondern aus den Effekten selbst heraus. Die damit angedeutete Abkehr von einem "Konzept souveräner Subjektivität" (S. 23) – die als zentraler Punkt der Arbeit zu verstehen ist – verbindet die Autorin mit der Methode des diffraktiven Vorgehens (Kapitel 2), das verschiedene Relationalitäten und Ebenen ineinander verschränkt, statt sie (im Gegensatz zur Reflexion, vgl. S. 25) neben- und getrennt voneinander zu verstehen. Dies entspricht dem dualismuskritischen Ansatz, indem vermeintliche Gegenpole wie "Gender und Medien, das Menschliche und das Technische" (ebd.) aber auch Virtualität/Realität und später Opfer/Täter_in als Interferenzen betrachtet werden. Eingebunden wird hier auch Butlers Performativitätstheorie, die ähnlich wie Barads Konzept des 'Agentiellen Realismus' Gleichzeitigkeiten und Prozesse in den Vordergrund rückt, die wiederum Brüche, Widersprüche und Neuaneignungen einer widerständigen Praxis zulassen. Inhaltlich setzt sich das darauffolgende Kapitel mit den "Prozesse[n] der Subjektivierung im Netz" (S. 25) auseinander. Dabei betrachtet Eickelmann Subjektkonstitutionen "im Spannungsfeld von Mensch und Technologie" (S. 26) ohne medienspezifische Phänomene wie Dauervernetzung, Distanzlosigkeit, gesteigerte Mobilität und die stetige Veränderbarkeit des Datenmaterials unberücksichtigt zu lassen. Genau hier siedelt die Autorin die Frage nach der Konstitution von Geschlecht an, da "Gender und Medientechnik in einem konstitutiven relationalen Verhältnis zueinander" stehen (S. 85). Damit zusammenhängend wird die performative Herstellung von Subjektivität mittels der Hypermedialität des Internet herausgearbeitet: Entgegen gängiger Annahmen von Selbstpräsentations- und Dauersichtbarkeitskonzepten erzeuge die digitale Vernetzung eben kein autonomes Subjekt, weshalb sich die Wirkmacht eines Sprechaktes "aus der Prozessualität, Historizität wie Diskursivität" (S. 96) des Aktes selbst heraus konstituiert. Dennoch ist die hier angebrachte Analyse nicht techno-pessimistisch zu verstehen. Eickelmann denkt die Möglichkeitsräume und das handlungsmächtige Potenzial der User_innen stets mit – angelehnt an Foucaults differenzierten Begriff der Macht (vgl. S. 112) und durch Butlers Denkweise der Wiederholung statt Determinierung, die ebenfalls Möglichkeitsräume einer widerständigen Praxis eröffnet. Diese Auffassung steht einer souveränitätskritischen Perspektive deshalb nicht widersprüchlich gegenüber, da die Autorin die Materialisierungen nicht von den Sprechenden, sondern von den Effekten her denkt. Ob also mediatisierte Missachtung funktioniert, ist nicht durch die Intention der Sprechenden garantiert. Ebenso wenig kann vorhergesagt werden, ob und welche Art der widerständigen Praktik gegen mediatisierte Missachtung Erfolg haben kann. In Folge wird das oppositionelle Konzept von 'Hate Speech' und 'Free Speech' hinterfragt. Mithilfe Derridas différance-Begriff hält Eickelmann fest, dass beide Positionen "konstitutiv aufeinander angewiesen" (S. 141) sind, also das Eine aus dem Anderen hervorgeht und somit keine gegensätzlichen Pole darstellen können. Die Gemeinsamkeit beider Diskurse besteht im behaupteten Souveränitätsphantasma (vgl. S. 142). Butlers Betrachtungen der Prozesshaftigkeit von Subjektivationen folgend distanziert sich Eickelmann von der Souveränitäts-Annahme, indem sie Subjektivitäten eingebunden in "komplexe[] politische[], historische[], medientechnologische[] und ökonomische[] Entwicklungen" sieht (S. 144). Aus diesem Grund versteht sie mediatisierte Missachtung nicht – dem Hate Speech-Diskurs entgegensetzt – als illokutionäre, sondern als perlokutionäre Sprechakte, "deren Effekte nicht im Vorhinein festgelegt werden können" (S. 144). Diese souveränitätskritische Perspektive ermöglicht es mediatisierte Missachtung sowie Subjekte als Ergebnisse "diskursive[r] Aushandlungsprozesse zu begreifen" (S. 145). Dies schlägt sich auch in der Ausdifferenzierung der Diskurse dreier unterschiedlicher Figurationen mediatisierter Missachtung im Netz nieder, nämlich jenen des Trollens, des Cybermobbings und des Shitstorms, die auf unterschiedliche Weise vergeschlechtigte sowie vergeschlechtigende Dualismen evozieren. Konsequent werden hier die drei aufgeworfenen Figurationen nicht als etwas Feststehendes verstanden. Eickelmann arbeitet die Intraaktionen innerhalb der "wechselseitigen performativen Herstellung von Gender und Internet" (S. 151) heraus, wodurch der prozesshafte Charakter beider immer mitgedacht wird. Alle Figurationen werden dabei von ihr als Normen und Souveränitäten stabilisierend beschrieben. Die diffraktive Methode findet konsequenterweise auch im Bereich der Fallanalysen Anwendung, die in ihrer Strukturierung selbst einen Mehrwert darstellen. Die Beispiele werden in unterschiedliche Diskursformationen eingebunden und zugleich zergliedert, wodurch Zusammenhänge in der performativen Herstellung von (Geschlechter-)Positionen sowie die spezifische Medialität resp. die spezifischen Diskurse nachvollziehbar gemacht werden. So wird der 'Fall' um Anita Sarkeesian nicht auf ihre Person individuell zugeschrieben, sondern in einen größeren Kontext diskursiver Formationen wie die Spielenden, die Entwickler_innen, Journalist_innen, wissenschaftliche Disziplinen und das Produkt selbst (das Spiel), aber auch den medientechnologischen und -kulturellen Raum (z. B. Image Boards) eingebunden und ihre jeweiligen Intraaktionen herausgearbeitet. Auch in Bezug auf die Frage nach widerständigen Praktiken nutzt Eickelmann das Potenzial der diffraktiven Lesart, indem sie das dialektische Verhältnis von Medienöffentlichkeiten betont, das die Verletzbarkeit konstitutiv mitbestimmt, zugleich aber "im Sinne der Herstellung von Zeugenschaft und damit die Ermöglichung von Komplizenschaft zentral für die Frage nach den Möglichkeiten zur Rekonfiguration von Relationalitäten" ist (S. 228). Die zweite Fall-Analyse, die sich mit dem YouTube-Video der 15-jährigen Amanda Todd befasst, erfolgt aus einer Lesart über Diskursformationen des Bekenntnisses und des Sentimentalen. Eickelmann argumentiert hieraus die Konstitution eines "weibliche[n] Opfertypus […], der als verletzungsoffen gilt" (S. 244), wie er innerhalb des Diskurses über Geschlechterdualismen verhandelt wird. Ob hierfür die Analogie zur filmtheoretischen Figur des Melodrams tatsächlich ausschlaggebend war, bleibt zu hinterfragen. Abschließend argumentiert Eickelmann schlüssig, inwiefern die Erfahrung der Adressierten aufzeigt, dass eine vorher als widerständige Praxis beschriebene Möglichkeit der Wiederholung nicht zwingend eine Rekonfiguration mediatisierter Missachtung darstellt, sondern, "dass Wiederholungen je nach Öffentlichkeit und Kontext immer auch riskant sind, da keineswegs sichergestellt ist, dass jene Wiederholung verschiebende Effekte zur Folge haben wird" (S. 275). Die Relevanz dieses Buchs ergibt sich zweifelsohne aus dessen thematischer Aktualität, insbesondere aber durch die differenzierte und differenzierende Herangehensweise der Autorin. So wird die spezifische Medialität des Internets, die sich vor allem über die multimediale Hybridisierung vieler Medienformate und Zeichensysteme definiert, in die Gedanken über mediatisierte Missachtung im Netz eingeschlossen. Diese wiederum wird in einen Zusammenhang von Geschlechterkonstitution gestellt und demnach als "wirklichkeitskonstituierend" (S. 22) verstanden. Dies evoziert ein Denken über Intraaktionen von Realität und Virtualität und ermöglicht das Erarbeiten der realweltlichen Effekte mediatisierter Missachtung. Für eine gute Leseorientierung in dieser doch komplexen Denkstruktur sorgt die kurze Einführung aller zentralen Begriffe theoretischer und methodologischer Art (mediatisierte Missachtung, Diffraktion, Intraaktion u. a.); eine Vorgehensweise, die sich konsequent im gesamten Analyse-Verlauf widerspiegelt, wodurch sich Eickelmanns Denkweise äußerst präzise strukturiert. Der Verständlichkeit zuwider läuft leider das auffällig häufig gegen den Lesefluss gerichtete Layout. Zudem hätte man sich – der Komplexität des Themas sowie dem präzisen Sprachgebrauch der Autorin angemessen – ein aufmerksameres Lektorat seitens des Verlags gewünscht. Doch diese Formalitäten schmälern den inhaltlichen Wert des vorliegenden Buchs keineswegs, so dass damit ein bedeutsamer Beitrag zu sowohl aktuellen als auch zukünftigen Debatten und Diskursen über 'Hate Speech im digitalen Zeitalter' geliefert wird.
Der 2016 erschienene Sammelband Beseelte Dinge. Design aus Perspektive des Animismus dokumentiert das gleichnamige Symposium am Fachbereich Design der Hochschule Niederrhein vom 10. Juli 2015. Dieser interdisziplinär ausgerichtete, schwerpunktmäßig design-orientierte Band umfasst Beiträge von Designer_innen sowie Kultur- und Designwissenschaftler_innen, die sich mit Phänomenen, Gestaltungsmöglichkeiten, Reflexionspotenzialen und Herausforderungen dinglicher 'Beseeltheit' auseinandersetzen. Dass animistische Vorstellungen einer beseelten Dingwelt mitnichten irrationale Phantastereien darstellen, da sie selbst den hochtechnologischen Geräten von heute eingeschrieben sind, skizziert Judith Dörrenbächer in ihrer reich annotierten Einführung. Gerade nämlich die durch solche Geräte ermöglichten Immersions- und Interaktionserfahrungen lassen die vermeintlich kategorialen Differenzen beseelt/unbeseelt oder Mensch/Ding diffus werden. Vor diesem Hintergrund und von der Annahme einer "formative[n]", ihre Gebrauchsweisen bestimmenden "Macht" (S. 16) der Dinge ausgehend, setzen sich die Designforschung und -wissenschaft mit der Gestaltbarkeit und Handlungsfähigkeit interaktiver Objekte auseinander. Mit eben den Problemen und Potenzialen dieser Gestaltbarkeit und Handlungsfähigkeit befassen sich auch die Einzelbeiträge dieses Bandes, für die Dörrenbächer je prägnante Abstracts bereitstellt. Dass es dem dualistischen Weltbild, das die Unterscheidbarkeit von Mensch und Ding postuliert und allein ersterem Handlungsfähigkeit zuspricht, an Konsistenz mangelt, argumentiert Hartmut Böhme zu Beginn seines mit rhetorischer Verve verfassten Beitrags Agency, Performativität und Magie der Dinge philosophie- und kulturhistorisch. Sein Interesse gilt dem Aspekt der Agency der Dinge, für die er den Begriff der Magie (im Sinne von Eigenaktivität) ins Feld führt. Die Schattenseiten dinghafter Agency sieht Böhme zumindest in "ästhetischer Evidenz" (S. 28) in Émile Zolas Roman Au Bonheur des Dames, Franz Kafkas Tagebuch-Schrift Konvolut 1920 und Herbert J. Wimmers Buch Nervenlauf. Die Tücke der Objekte verschiedenartig bezeugt. Als positive Verkörperung dinghafter Magie in konkreter Evidenz hingegen betrachtet er das Automobil, das, weit über seine eigentliche Funktion hinaus, eine "komplexe soziokulturelle Figuration" (S. 45) von Sehnsüchten und Aneignungen innerhalb unserer performativen Konsumgesellschaft darstellt. Vom Automobil abstrahierend plädiert Böhme emphatisch für die Untrennbarkeit und Gleichwertigkeit der Funktionen und Bedeutungen von Dingen. Andreas Muxel reflektiert in Der Aufstand der Dinge über die Widerständigkeit des Materials und deren Potenzial für die Designforschung. Sein Fokus richtet sich zunächst auf die Gestaltbarkeit der Wechselwirkungen zwischen dem programmierbaren Verhalten und der stofflichen Erscheinung technischer Geräte. Hierzu stellt er "hybride Dinge" (S. 57) aus der Designforschung vor – u.a. reaktive Metallfolien und programmierbare Textilien –, die diese Wechselwirkungen in Form von Bewegung sichtbar machen. Über die Gestaltung solcher Artefakte hinaus interessiert Muxel aber auch das Design ganzer Handlungsnetzwerke zwischen Dingen und ihrer Umwelt, für welches er Agustina Andreolettis "künstliches Ökosystem" (S. 66) Ultima Materia exemplarisch anführt. Muxels interaktionsgestalterischer Ansatz, der eine "'Co-Kreation' mit den Dingen" (S. 68) vorsieht, gründet dabei auf der Maxime, dass hybride Dinge bzw. Handlungsnetzwerke nicht aus einem rationalistischen Anspruch auf Beherrschbarkeit des Materials heraus zu entwickeln sind, da erst in der experimentellen Entdeckung der Widerständigkeit des Materials Potenziale für dessen Gestaltung sichtbar werden. In ihrem theoretisch fundierten Aufsatz Design zwischen Anthropomorphismus und Animismus. Mimesis als relationale Designpraxis befragt Judith Dörrenbächer "das wachsende Interesse" von Designprojekten "an experimentellen Formen der Subjektivierung von Nicht-Menschen auf Ursachen, Potenziale und Grenzen" (S. 72) hin. Die Ursache liegt ihr zufolge in einer Paradoxie westlicher Epistemologie begründet. Während nämlich der Objektivitätsanspruch der modernen Wissenschaft die Trennung von Subjekt und Objekt voraussetzt, bringt der durch sie ermöglichte technologische Fortschritt Dinge hervor, die diese Trennung unterwandern. Auf alternative subjekt- und erkenntnistheoretische Positionen, mithilfe derer diese Paradoxie umgangen werden könnte, macht die jüngere ethnologische Forschung unter dem Begriff des 'Neuen Animismus'aufmerksam: Als eine, verschiedenen Kulturen gemeinsame, Praxis stellt dabei die Mimesis als kontrollierte, differenzfokussierende, empathische Einfühlungstechnik dar. Dörrenbächer veranschaulicht anhand dreier Fallbeispiele aus dem Bereich Design, wie diese kulturelle Praxis einerseits angewendet wird, um auf performative Weise die Interdependenz zwischen Menschen und Dingen auf ihre moralischen, politischen und ökologischen Implikationen hin zu befragen, und wo die Anwendung dieser Praxis andererseits die Grenzen einer unumgänglich anthropozentrischen Perspektive aufzeigt. Ihren anspruchsvollen Aufsatz Immanente Relationen. Von der Handlungsmacht der Dinge zur nicht-repräsentionalistischen Kunst und relationalem Design leitet Susanne Witzgall mit einer Problematisierung netzwerktheoretischer Ansätze ein, die jeweils entweder Dinge oder Netzwerke als ontogenetisch vorgängig betrachten. Diesen Ansätzen stellt sie zwei sich in ihren Grundgedanken ähnelnde Modelle entgegen: Das des Philosophen Brian Massumi, demzufolge Dinge und Netzwerke gleichermaßen als Effekte seins-immanenter Relationen zu verstehen sind, und das der Physikerin Karen Barad, demzufolge jegliche Phänomene sich erst in dynamischer "Intraaktion" untereinander als solche konstituieren. Ausgehend hiervon betrachtet Witzgall Relationen bzw. "Intraaktionen" als "Voraussetzung und Ursprungsort [.] der 'Handlungsmacht' der Dinge und Menschen" (S. 103), wobei sie Handlungsmacht als Attribut mit Abstufungen betrachtet, je nach Grad der in der jeweiligen Handlung zum Ausdruck kommenden Intentionalität. Nach den gesellschaftspolitischen Konsequenzen und ethischen Bedingungen einer solcherart konzipierten relational-intentionalen Handlungsmacht fragend, schlägt die Autorin mit Bezug auf Rosi Braidotti vor, diese könnten im "offene[n] Experiment der [.] Verschränkungen von Menschlichem und Nichtmenschlichen" (S. 106) erprobt werden. Als paradigmatisches offenes Experiment betrachtet Witzgall die Arbeit der zeitgenössischen Künstlerin Nora Schultz, in welcher Dinge weniger weltabbildend-repräsentionalistisch denn werkerzeugend-bedeutungsgenerierend wirken. Hiervon abstrahierend optiert Witzgall für eine "Designpraxis, die sich ihrer direkten materiellen Involvierungen mit der Welt bewusst ist und ihre 'Intraaktionen' mit einer Vielzahl menschlicher und nichtmenschlicher Akteur_innen offenlegt" (S. 114), statt ihre Erzeugnisse als "funktionale und kulturelle Symbolträger" (S. 114) zu behandeln. In ihrem weniger theoretischen, dafür umso plastischer geschriebenen Essay Acting Things. Oder kann die Gestaltungsdisziplin von den performativen Künsten lernen? gibt die Designerin Judith Seng Auskunft über ihr eigenes künstlerisches Schaffen, das sich mit Fragen nach "neuen Formaten, Werkzeugen und Methoden der Gestaltung" befasst, "die in der Lage sind, materielle und immaterielle Akteure zu integrieren und in ihrem Zusammenspiel sichtbar und erfahrbar zu machen" (S. 119). Seng stellt fünf innerhalb der Projektserie Acting Things entstandene Produktionen vor, in denen das jeweils zu verarbeitende Material (wie etwa Holzleisten oder Wachs) "Handlungen in Form von Performances hervorruft, die wiederum das Material in Form bringen" (S. 119). In Beantwortung der im Titel ihres Beitrags gestellten Frage schlägt Seng vor, den theatralen Modus des So-Tuns-als-ob bei der "Gestaltung komplexer Interaktionen von Menschen, Objekten, Räumen und immateriellen Aspekten" (S. 133) anzuwenden. Solcherart Interaktionen oder "dynamische Prototypen" (S. 134) könnten dann, als "Neuinterpretation des Rituals" (S. 134) verstanden, Erfahrungsräume öffnen, in denen "kollektive Werte kontinuierlich aktualisiert" und "Praktiken und Formen gemeinsam neu verhandelt" (S. 134) würden. Gewissermaßen eine Sonderstellung innerhalb des Bandes nimmt der Aufsatz Beseelte Gegenstände oder intentionale Systeme? Ein Beitrag zur Handlungsfähigkeit der Dinge von Georg Kneer ein, der begründete Zweifel an der vermeintlichen Universalität des dualistischen Verständnisses der Moderne äußert (welches in den übrigen Beiträgen weitestgehend als gegeben vorausgesetzt wird). Konkret führt er drei Argumente gegen die Modernitätskritik nach Bruno Latour ins Feld: Erstens sei sie reduktionistisch, da sie die "Vielzahl an Theoriesprachen, Semantiken und Beobachtungsperspektiven" (S. 138) der Moderne negiere zugunsten einer "Einheitsfiktion" (S. 138) derselben als dualistisch strukturiertes Weltbild. Zweitens begehe sie einen "intellektualistischen Fehlschluss" (S. 139), da sie die Bedeutung der cartesianischen Trennung von Subjekt und Objekt für die "Anfertigung moderner Selbstbeschreibungen" (S. 139) überschätze. Und drittens unterlaufe ihr ein "fundamentalistische[r] Fehlschluss" (S. 140), weil sie "der philosophischen Frage nach der ontologischen Einteilung der Welt Vorrang vor allen anderen Fragen" (S. 140) einräume. Als Beispiel für ein weithin ignoriertes nicht-dualistisches Weltverständnis führt Kneer den Philosophischen Naturalismus an, demzufolge die Welt von "vielfachen Abstufungen, graduellen Übergängen und evolutionären Prozessen" (S. 141) durchzogen ist. Abschließend stellt Kneer ein überzeugendes alternatives Handlungsmodell vor, "das nicht allein Menschen als Handlungsakteure begreift, also nicht den Denkzwängen des Dualismus folgt, sich aber umgekehrt auch nicht in den Fallstricken des Animismus verfängt: das Modell der Handlungsfähigkeit intentionaler Systeme" (S. 137). Abgeschlossen wird diese Sammlung lesenswerter und differenzierter Beiträge – deren gemeinsamer (wenn auch nicht von den Herausgeberinnen als solcher diskutierter) Tenor das Interesse an performativen Strategien animistischen Designs zu sein scheint – mit einer als Autopsie der Dinge betitelten Bilddokumentation studentischer Arbeiten, die im Rahmen eines im Juni 2015 am Fachbereich Design der Hochschule Niederrhein gehaltenen Workshops entstanden sind.