"Deutschland und sein Sozialstaat" ist das abschließende Werk einer Trilogie, die 2020 ihren Anfang nahm und sich in ihren beiden vorausgegangenen Bänden mit den Themen Föderalismus und Finanzen beschäftigte. In der Auseinandersetzung mit diesen Aspekten unseres Staatswesens kristallisierte sich eine Erkenntnis heraus: Vielen Menschen in Deutschland ist der Überblick verloren gegangen, wie unser Land in diesen grundsätzlichen Fragen eigentlich funktioniert. Dieser fehlende Überblick führt bei manchen bis hin zur Ablehnung unseres demokratisch verfassten Staats. Vieles ist gegenwärtig ungewiss: Aufgrund der Coronapandemie und des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wurde in den vergangenen Jahren so viel über die Themen Föderalismus, Finanzen und Sozialstaat diskutiert wie selten zuvor. Bei vielen Bürgerinnen und Bürgern macht sich derweil die Sorge bemerkbar, wie viel Sozialstaat wir uns noch leisten können. Immerhin: Nicht viele andere Länder verfügen über ein so gut ausgebautes soziales Sicherungssystem oder über so ergiebige finanzielle Mittel wie wir. Die oftmals verstrüppt erscheinenden Finanzverflechtungen und Organisationsstrukturen, welche die stark bürokratisierte Verwaltung in unserem Land durchziehen, gelten auch für den deutschen Sozialstaat. Vielen Bürgerinnen und Bürgern ist oftmals nicht bewusst, auf welche Leistungen sie Anspruch haben oder auch nicht - und wer für deren Finanzierung überhaupt verantwortlich ist. Hier besteht Handlungsbedarf! Bevölkerungsentwicklung, Gesundheitswesen, Rente, Pflege, Bildung - das sind nur einige der gravierenden und drängenden Themen, für die Deutschland über den Tag hinaus tragfähige und finanzierbare Lösungen finden muss. Vieles wird derzeit diskutiert, aber nicht grundlegend entschieden. Denn Ziel muss ja sein, weiterhin in Deutschland einen zukunftsfähigen Sozialstaat zu entwickeln, der gerade individuelle Entfaltungsperspektiven ermöglicht. Unser Band "Deutschland und sein Sozialstaat" soll zur Diskussion und Beitragsfindung einladen.
In aktuellen Diskussionen wird Rechtsextremismus häufig als etwas außerhalb der Gesellschaft Stehendes verstanden. Dagegen zeigen Stimmgewinne rechtsextremer, nationalistischer Parteien in Deutschland und Europa ein anderes Bild. Diese Bewegungen lediglich als "Betriebsunfälle" zu interpretieren, verkennt die historischen Kontinuitäten in rechtsextremen Milieus ebenso wie soziale Brüche und ideologische Neuausrichtungen. Die Beiträge des Bandes liefern Ansätze zu einer Gesellschaftsgeschichte des Rechtsextremismus. Zu fragen ist insbesondere, was gestern und was heute Rechtsextremismus ausmachte. Lassen sich soziale und politische Veränderungen im rechtsextremen Milieu seit 1945 feststellen, und welche Ursachen können dafür genannt werden? Welche Akteur*innen prägten und förderten rechtsextreme Bewegungen? Wie reagierten Institutionen und Gruppen, die durch Rechtsextreme bedroht wurden oder diese bekämpften? Der Band erkundet die historische Genese, die Bedeutungen und die gesellschaftlichen Funktionen von Rechtsextremismus nach 1945 bis hinein ins 21. Jahrhundert.
When Qatar won the bid to host the 2022 FIFA World Cup on December 2, 2010, at first sight it appeared to be the crowning achievement of an unparalleled development and the diplomatic success story of the 21st century. In fact, the rentier state of Qatar, which had still been suffering from major development policy deficits in the 1980s and had been acting from a position of weakness in its foreign policy, then rose to become one of the richest countries under the rule of Hamad Al-Thani (1995-2013). It was also able to achieve remarkable successes in foreign policy, too. As is discussed in Section 2, however, many of the structural problems associated with rentier statehood had by no means been overcome. The decade following the announcement was also to present unexpectedly significant challenges: the Arab Spring of 2010-11, the collapse of oil and natural gas prices in 2014, and the blockade of Qatar imposed by Saudi Arabia, the United Arab Emirates (UAE), Bahrain, and Egypt in 2017. The wealth of the country notwithstanding, a number of structural factors placed severe pressure on the regime in Doha to further develop internal and external legitimacy so as to stabilize its rule. Because of the prominence of the World Cup, the regime in Doha faced a whole new set of challenges. Until then, Qatar's sports diplomacy had been a clear success story that had raised the country's international reputation, whereas Doha now faced massive criticism from Western media and nongovernmental organizations. Initially, the main accusation was that the choice of Qatar for the 2022 FIFA World Cup by the Fédération Internationale de Football Association (FIFA) was also the result of corrupt practices. In addition, Qatar had at times been accused of supporting terrorism. However, the most sustained criticism of Qatar being awarded the 2022 FIFA World Cup came from a debate launched by Western media, nongovernmental organizations, and human rights organizations about labor conditions in the country. The criticism focused on the construction of stadiums by migrant workers. Their labor contracts are based on the kafala (Arabic for sponsor) system, which does not meet social human rights standards. Against this background, Section 3 illuminates the historical development of the Qatari kafala system, as well as its functionality for the rentier state and its limits. It shows that the prevalence of the kafala system in contemporary Qatari labor relations does not emanate from an anachronistic local tradition. Rather, Kafala was established by London as a tool for the comprehensive control of labor migration, because it was most suitable to serve the needs of the international oil companies in their endeavor of transforming Qatar into an oil country. At the same time, as kafala does not require intense administrative effort, it did not overstretch limited British capacities in Qatar. Furthermore, it becomes apparent that it is Qatari society that has a vested interest in maintaining the kafala system, because it provides Qatari citizens with significant privileges. The interest of the Qatari state, however, is mostly rooted in its need to acquire legitimacy toward its citizens. Although the abolishment of the kafala system is thus very unlikely, there are chances for further reforms to be launched, not least because the Qatari leadership is aware of the problems the system poses with regards to development policy. The fourth section, which takes a normative perspective, addresses and reviews the criticism that the kafala system is an expression of modern slavery, as it is held directly responsible for the deaths of thousands of construction workers in the 2010s. Among the major findings of this discussion is that - significant deficits of the kafala system with regards to social human rights notwithstanding - the concept of slavery does not accurately capture the nature of Qatari labor relations. Indeed, this concept tends to convey a problematic orientalist perspective that presents the Qatari political economy as a local anomaly instead of elaborating its integral embedment in the global capitalist system. The fifth section applies a political angle and argues that Western scandalization of Qatar's political economy beyond the regular politicization of social human rights violations in Qatar is inappropriate as a way of dealing with the World Cup taking place in the winter of 2022, because it reveals Western double standards, ignores the co-responsibility of the Global North, and disregards the reform efforts of the Qatari state. The final chapter proposes a number of policy recommendations. These recommendations are based on the reasonable assumption that the Qatari state has a pronounced interest in enhancing its external legitimacy. Therefore, Europe, and particularly Germany, should try to use the envisioned energy partnership to promote the consolidation of reforms in the kafala system.
Im digitalen Zeitalter ist das Internet zu einem wichtigen Raum für die Ausübung unserer Rechte geworden. Politische Debatten und zivilgesellschaftliches Engagement finden (nicht erst seit der Covid-19-Pandemie) vermehrt im Netz statt – wenngleich auch in Deutschland nicht alle Menschen Online-Zugang haben und noch weniger das Internet selbstermächtigt nutzen können. Zur Kehrseite der digitalisierten Kommunikation gehört unter anderem, dass Online-Hass und -Hetze zunehmen (mit Wirkungen für die Offline-Welt) und neue Macht- und Ausschlusssysteme entstehen. Algorithmische Diskriminierung und ein unterkomplexes Verständnis von Desinforma- tion führen zu erheblichen Herausforderungen für Menschenwürde und Menschrechte. Aufgabe der Bundesregierung (und auch der EU) ist es, die Menschenrechte auch im Digitalen zu sichern und allen Bürger_innen einen diskriminierungsfreien, ermächtigenden Zugang zum Internet zu gewährleisten. Dafür bestehen einige Handlungsoptionen.
"Bildung" ist ein zentraler und schillernder Begriff der Gegenwart. Mit ihr werden hohe Ziele von gesellschaftlicher Emanzipation verknüpft und sie soll entscheidend dazu beitragen, soziale Ungleichheiten zu beseitigen. Zugleich stellt sie eine wichtige ökonomische Ressource dar und schafft selbst soziale Unterschiede zwischen "Gebildeten" und "Bildungsfernen". Bildung kann als Motor individueller Befreiung und Erfüllung erfahren, aber als stetige Aufforderung zum »lebenslangen Lernen« auch mit Auslese, Leistungsdruck und Situationen des Scheiterns in Verbindung gebracht werden. Vor diesem Hintergrund diskutiert der Band politische, kulturelle und soziale Aspekte von Bildung im historischen Wandel. Welche Rolle spielte sie in gesellschaftlichen und politischen Transformationen? Welche Vorstellungen und Praktiken von Bildung entwarfen soziale Bewegungen? Welche Errungenschaften, aber auch welche Widersprüche und Probleme zogen Bildungsreformen nach sich? Und gibt es eine Tendenz zur Ökonomisierung, wird Bildung durch vielfältige private Anbieter und internationale Angleichungen (PISA, Bologna-Prozess) zur "Ware"?