Aufsatz(gedruckt)1979

Kultursoziologie: zur Begriffsgeschichte der Disziplin

In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie: KZfSS, Band 31, Heft 3, S. 422-449

Verfügbarkeit an Ihrem Standort wird überprüft

Abstract

Der Aufsatz ist ein begriffsgeschichtlicher Beitrag zu den in Wissenschaft und alltäglicher Sprache vielschichtig und widersprüchlich gehandhabten Begriffen Kultur, Zivilisation und Alltag. Die Darstellung verfolgt zunächst diese drei semantischen Entwicklungslinien: 1. In der Begriffsgeschichte Kultur beginnt der Verfasser mit der Kulturauffassung der antiken Klassik. Der sprachliche und konzeptionelle Durchbruch des Begriffes Kultur im deutschen Sprachraum gelingt der Aufklärung. Er ist verknüpft mit politisch emanzipatorischen Hoffnungen. Der Anspruch dieses Kulturbegriffs konnte aber nicht gesamtgesellschaftlich, sondern nur sektoral in der bürgerlichen Kultur eingelöst werden. Damit änderte sich im 19. Jhd. der Blickwinkel von der Kulturkritik zur Gesellschaftskritik. Kultur wird hinsichtlich ihrer klassentrennenden und herrschaftsstabilisierenden Funktion durchleuchtet; die ehedem wegweisende Kulturidee sinkt in den neuen revolutionären Konzeptionen und in der bürgerlichen Kulturpraxis ab zu einer machtpolitisch gefärbten Folgekategorie. 2. Der Begriff Zivilisation wird bestimmt als Ausdruck des sozialhierarchischen Standesbewußtsein der Kultureigner, als Mittel zur differenzierenden Wertzuschreibung. Die Entwicklung des Begriffs wird verfolgt von den Römern übers Mittelalter bis zu den französischen Aufklärern. Im Begriff der Zivilisation als Gestaltungsmacht wird ein naturnotwendiges Prinzip gesehen, dem sich alles außerhalb der bürgerlichen Herrschaftssphäre zu unterwerfen habe. Deutsche Theoretiker blieben angesichts der mangelnden Vermittlung von Theorie und Praxis im Zivilisationsprozeß dem zivilisatorischen Fortschrittsoptimismus gegenüber skeptisch. Mit Marx und Engels wird der herrschaftsverdächtige Zivilisationsbegriff zu einer Ablehnungskategorie. 3. Das semantische Feld des Wortes Alltag wird aus dem Griechischen und Lateinischen übers Frühneuhochdeutsche bis ins Hochdeutsch der Neuzeit verfolgt. Diese Semantik wird derjenigen von Kultur und Zivilisation im 18. und 19. Jhd. gegenübergestellt. Für die Aufklärer war Alltag ein Ablehnungsbegriff, ein Sprachmittel zur Beschreibung der kulturlosen und niederen sozialen Realität. Im 19. Jhd. wandelten sich die der Alltagssemantik zugehörenden Worte aus dem Status von Ablehnungsbegriffen zu Modifikationsbegriffen, die auch auf die bürgerliche Kultur gerichtet sind. Unter dem Druck der soziokulturellen Verhältnisse, in denen eine restaurative Kultur und Zivilisation eine sozial gerechte Alltagskultur verhinderte, fand die systematische Forschung in der Alltag genannten Realität ihr vorrangiges Betätigungsfeld. Im abschließenden 4. Abschnitt werden unter dem Aspekt der Kategorien Kultur, Zivilisation und Alltag die kultursozialen Traditionen bei Max Weber und Georg Simmel erörtert. (HM)

Problem melden

Wenn Sie Probleme mit dem Zugriff auf einen gefundenen Titel haben, können Sie sich über dieses Formular gern an uns wenden. Schreiben Sie uns hierüber auch gern, wenn Ihnen Fehler in der Titelanzeige aufgefallen sind.