Sammelwerksbeitrag(gedruckt)2004

Politische Kultur

In: Politische Theorie und Regierungslehre: eine Einführung in die politikwissenschaftliche Institutionenforschung, S. 302-323

Abstract

Die politische Kultur-Forschung ist gegenwärtig in der paradoxen Situation, dass sie nur erfolgreich sein kann, wenn sie ihre Herkunft verleugnet und sich neue multiple Identitäten sucht. Als Begriff ist politische Kultur unausrottbar. In der Vergleichenden Regierungslehre nimmt politische Kultur, zumindest so wie sie ursprünglich von Almond und Verba einmal als Konzept eingeführt wurde, heute eine Randexistenz ein. Politische Kultur ist ein wissenschaftlicher Zugang zur Gesellschaftsanalyse, der zwar Einblicke gewährt, aber für den Erfolg einer Gesellschaftsanalyse nicht unabdingbar ist. Die normative Wiedergeburt von Fragestellungen der politische Kultur-Forschung unter der Überschrift "Zivilgesellschaft" ist erneut dabei, eine Landschaft unübersichtlicher und theoretisch wenig anspruchsvoller Publikationen zu generieren. Die Fluchtwege aus den Ungewissheiten der politischen Kulturforschung führen zum einen in den Mainstream der empirischen Sozialwissenschaften, in das Erforschen politischer Einstellungen und politischen Verhaltens mit Hilfe statistischer Methoden, wobei politische Kultur nur als Oberbegriff konstruierbar ist für spezifische Formen der logischen Verknüpfung von Ergebnissen der unternommenen Erhebungen. Welche Ergebnisse dabei die relevanten sind, bleibt offen. Vergleichende Forschung vergleicht diachron oder synchron Einstellungen. Wie diese den Charakteristika politischer Systeme zuzuordnen sind, oder gar, ob diese in der Lage sind, politische Systeme zu stabilisieren, ist ohne weiteren normativ-interpretatorischen Aufwand nicht zu entscheiden. Ein zweiter Fluchtweg ist die "Bindestrich-Forschung". Politische Kultur wird untersucht als Regionalkultur, Elitenkultur, Verwaltungskultur oder Verfassungskultur. Das Erkenntnisinteresse solcher Ansätze führt vom Gegenstand der politischen Kultur weg hin zu Forschungsthemen, die selbst bereits in ein beachtenswertes Umfeld theoretischer Bemühungen eingebettet sind. Das Anwenden empirischer Forschungsmethoden alleine reicht aber in der Regel für das Herausarbeiten einzelner Kulturdimensionen nicht aus. Hierfür ist eine Verbindung zum dritten Fluchtweg aus der traditionellen politischen Kultur-Forschung nötig, nämlich zur kulturwissenschaftlichen Forschungsrichtung. Diese hat das Problem der Unbestimmtheiten des politische Kultur-Ansatzes so für sich gelöst, dass sie apriori politische Relevanz für sich reklamiert. Dies ist prinzipiell nicht falsch, aber bleibt dennoch ein Etikettenschwindel. Nur in den Fällen des echten Kulturvergleichs kann erwartet werden, dass Hypothesen generiert werden, die helfen, gesellschaftliche Entwicklung zu erklären. Das Ausweichen der politischen Kultur-Debatte in einen ideengeschichtlich strukturierten Kulturalismus hilft dem politikwissenschaftlichen Anliegen der vergleichenden Regierungslehre nicht weiter. Es bleibt zum einen sicherlich die Hoffnung, dass die politische Kulturforschung so etwas wie eine besondere 'Brille' sein kann, mit der man und durch die man auf die politische Wirklichkeit blickt und dabei gegebenenfalls Phänomene entdeckt, die ausgeblendet bleiben, wenn man die üblichen politikwissenschaftlichen 'Brillen' aufsetzt. Zum anderen aber gibt es auch das nicht ausgeräumte Bedenken der theoretischen und empirischen Beliebigkeit des Konzepts "politische Kultur", für das zwar immer neue Verwendungen, aber bisher keine exklusive Zuordnung eines wissenschaftlichen Kontextes gefunden wurde. (ICG)

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