In einer allgemein biographisch-theoretischen Sicht wird die Verbindung dieses Forschungszweigs mit allgemeinsoziologischen Diskussionen dargestellt. Damit soll die Lebenslaufforschung in Relation zur übrigen soziologischen Biographieforschung und zu traditionellen Themenkreisen der allgemeinen Soziologie gestellt werden. Es werden Fragen gestellt nach Sinn, Funktion, Struktur und Genese von Biographie. (SH)
Aus phänomenologisch-empirischer Sicht wird der Wandel der Einstellung zur Technik am Beispiel des Lebens und Gewöhnens von Patienten an eine Dialysestation in einem Krankenhaus analysiert. Bei dieser Population stellt sich die Frage nach der Einstellung radikaler als bei anderen, denn hier ist "Technik" äquivok mit "Leben", ihre Verneinung wäre Selbstmord. Der Autor konzipiert Patientenarbeit als Arbeit der Patienten im Sinne einer Verknüpfungsleistung biographischer und trajektoraler Erfahrungs- und Handlungsketten zur Wiederherstellung lebensweltlicher Idealisierungen in einem Rahmen, der durch die medizinische Technologie gesetzt wird. (psz)
In: Lebenslage, Lebensalter, Lebenszeit: ausgewählte Beiträge aus den ersten fünf Jahrgängen der "Zeitschrift für Sozialisationsforschung und Erziehungssoziologie", S. 157-171
Der Verfasser beschäftigt sich mit einigen temporalen Merkmalen der biographischen Konstitution und stellt die These auf, daß in der temporalen Konstitution von Lebensgeschichten lineare Zeitmuster überlagert sind von zyklischen Zeitstrukturen und Zeitperspektiven, die sich mit Vergangenheits- und Zukunftshorizonten um wechselnde Gegenwarten bilden. Als Datengrundlagen dienen die Lebensgeschichten von chronisch Kranken. Zunächst werden einige temporale Bedingungen für die Konstruktion von Lebensgeschichten als Konsequenzen zweier chronischer Krankheiten (rheumatoide Arthritis; Nierenversagen) beschrieben und schließlich spezifische Unterbrechungen von lebens- und alltagszeitlichen Strukturen und Strategien zur Reparatur in der Lebensgeschichte von Arthritikern und Dialysepatienten thematisiert. Abschließend wird die Perspektivität von Zeitstrukturen in den Mittelpunkt gestellt und festgestellt, daß die soziale Leiblichkeit als Mittelpunkt der Erfahrung und Wahrnehmung nicht nur eine räumliche Perspektive vom Standpunkt eines "Hier" in den Horizonten eines "Dort" mit sich bringt, sondern als integralen Bestandteil des Lebens auch eine temporale Perspektive vom Mittelpunkt eines "Jetzt" in den Horizonten eines "Vorher" und "Später". Von der Gegenwart aus bestimmen wir in den Horizonten inhaltlich bestimmbarer Vergangenheit und Zukunft die temporalen Dimensionen unserer Identität. Die Konstruktion einer Lebensgeschichte ist immer perspektivisch in dem Sinne, daß in sie Erinnerungen und Erwartungen eingehen. (TR)
In: Industrialisierung, sozialer Wandel und Arbeiterbewegung in Deutschland und Polen bis 1914: XVI. deutsch-polnische Schulbuchkonferenz der Historiker, 24. bis 29. Mai 1983 in Warschau, S. 29-42
Der vorliegende wirtschaftsgeschichtliche Konferenzbeitrag präsentiert neuere deutsche Forschungsergebnisse zu dem Problemkomplex von Industrialisierung und sozialer Frage in Preußen. Traditionelle Legenden, wie Preußen sei Nachzügler der Industrialisierung oder der preußische Staat habe frühzeitig die Industrialisierung vorangetrieben, geraten in Beweisnot. Die vorgestellten Forschungsergebnisse zeigen, daß Preußen im Vergleich mit anderen Industriestaaten sowohl hinsichtlich der Industrialisierung als auch bezüglich der sozialen Frage den allgemeinen Entwicklungstendenzen industrieller Gesellschaften folgte. (RG)
Amongst the many problems economic historians have been studying recently in the context of industrialization, the interaction of rural industrialization and population change in a period preceding and accompanying the Industrial Revolution proper is one of the most exciting and promising ones. It is exciting because it enables us to shed light on one of the crucial questions in the whole complex of industrialization: why did some regions industrialize early and successfully and others did not? It is promising because here is a field where the employment of new methods and assiduous labor can lead to fairly exact results. Perhaps this is a point where finally a breakthrough may be accomplished which cuts the vicious circle in which much of the debate about the role of population change in the Industrial Revolution was caught for so long. Was it a precondition or a consequence, or both, and if either, in what respect?
In the process of industrialization Western Europe went through a period of serious social tensions. For a while this phenomenon became of the utmost concern to all men engaged in socio-political thinking and action. In some countries one spoke - and sometimes still does - of "the social problem" or "the social question" in the singular to indicate its over-all importance.
Wenn wir von sozialen Unterschichten im Zusammenhang mit dem Prozeß der Industrialisierung sprechen, denken wir unwillkürlich an die Fabrikarbeiterschaft. Es liegt daher nahe, unser Thema als eine Frage nach der Entstehung der industriellen Lohnarbeiterschicht aufzufassen. In der Tat möchte ich mich auch im wesentlichen auf diese Frage konzentrieren; doch sei gleich eingangs bemerkt, daß, wie immer wir auch die Periode der Frühindustrialisierung zeitlich abgrenzen, das Thema "soziale Unterschichten" damit bei weitem nicht ausgeschöpft ist, ja daß wir uns den Zugang zur Beantwortung wesentlicher Fragen nach Herkunft, Zusammenset2ung, sozialer Bewertung und Lebensgefühl der Fabrikarbeiterschaft verbauen, wenn wir unseren Blick zu eng auf diese selbst richten. Deshalb müssen andere Gruppen, die sog. "unterbäuerliche Schicht", die Handwerksgesellen, die bald agrarisch, bald gewerblich tätigen Tagelöhner, die ländliche und städtische Heimarbeiterschaft, die Dienstboten und ebenso das herren- und heimatlose Volk der Bettler und Vagabunden einbezogen werden, auch wenn wir sie hier nur als Reservoir für die gewerblich-industrielle Unterschicht behandeln können.