Ich bin noch nicht lange genug Politikerin, um in so etwas eine sinnvolle Gestaltung meiner Zeit zu erkennen
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NRW-Wissenschaftsministerin Ina Brandes über ihre Pläne gegen den Fachkräftemangel und Sanierungsstau, ihre Erwartungen an die Hochschulen – und die Verstimmungen mit dem BMBF.
Ina Brandes, 45, war über viele Jahre Geschäftsführerin eines Bauplanungskonzerns. 2021 wurde die CDU-Politikerin Verkehrsministerin, nach der
Landtagswahl 2022 übernahm sie das
Ministerium für Kultur und Wissenschaft. Foto: MKW.
Frau Brandes, Ihre Vorgängerin hat einst die Bezeichnung Ihres Ministeriums geändert. Seitdem steht die Kultur vor die Wissenschaft. Sie haben die Reihenfolge so gelassen. Verbirgt sich
bei Ihnen auch eine politische Aussage dahinter?
Ich gehe die Dinge gern pragmatisch an und frage mich bei Problemlösungen grundsätzlich, wem sie nützen. Mir sind beide Arbeitsbereiche meines Ministeriums gleichermaßen wichtig, in beide
investiere ich ungefähr gleich viel Zeit. Deshalb sehe ich keine Notwendigkeit und keinen praktischen Nutzen für eine Namensänderung.
Sie waren zehn Jahre lang Sprecherin der Geschäftsführung in einem Bauplanungsunternehmen, dann ein Dreivierteljahr Verkehrsministerin in Nordrhein-Westfalen. Was davon hat Sie auf Ihren
jetzigen Job vorbereitet?
Als Verkehrsministerin habe ich das Politikerhandwerk gelernt. Politik ist ein Beruf, für den es Handwerkszeug braucht, und zwar unabhängig von den inhaltlichen Themen. Fachlich hat mir die Zeit
als Geschäftsführerin eines Planungsunternehmens sicher weitergeholfen, wenn ich an die Bauten unserer Hochschulen, Uniklinika und Kultureinrichtungen denke – und all die Herausforderungen, die
damit zusammenhängen.
Wenn ich die Reihe Ihrer Vorgängerinnen und Vorgänger durchgehe, hatten die alle ein Leitthema. Bei Andreas Pinkwart von der FDP waren es das Hochschulfreiheitsgesetz und Innovation, bei
Svenja Schulze von der SPD die Partizipation an den Hochschulen, bei der parteilosen Isabel Pfeiffer-Poensgen die Förderung der Kultur. Und bei der CDU-Politikerin Ina Brandes?
Ich möchte im Bereich Wissenschaft vor allem drei Schwerpunkte setzen. Erstens: den Fachkräftemangel und was das Wissenschaftsministerium zu seiner Linderung beitragen kann. Zweitens: der
Hochschulbau, wie wir ihn beschleunigen und kosteneffizienter machen können. Und drittens: die Unterstützung der Forschung in ihrer gesamten Bandbreite. Als sechstgrößte Volkswirtschaft Europas
muss Nordrhein-Westfalen den Anspruch haben, wissenschaftlich an der Spitze dabei zu sein.
Mindestens die ersten beiden Themen haben Bezugspunkte zu Ihrem Werdegang. Als Sie Referentin im Niedersächsischen Landtag waren, haben Sie eine Enquete-Kommission zum Demografischen
Wandel betreut. Das war 2006, als sich kaum einer vorstellen konnte, dass wir statt Rekordarbeitslosigkeit bald einen Mangel an Arbeitskräften haben würden.
Schon damals war absehbar, in welche Situation wir hineinlaufen. Der Mangel betrifft gerade auch die akademischen Berufe. Das gilt besonders für die MINT-Disziplinen, den Gesundheitsbereich, die
Pflege und das Lehramt. Inzwischen steht fest, dass der Fachkräftemangel zu den größten Risiken für unseren volkswirtschaftlichen Wohlstand gehört.
"Ich weihe gerade Bauprojekte ein, die schon unter meinem Vorvorvorgänger beschlossen wurden."
War Ihnen auch bei dem Bauthema vor Ihrem Amtsantritt klar, wie dramatisch die Lage an vielen Hochschulen ist?
Klar war mir, dass wir in Sachen Infrastruktur viel werden tun müssen. Denn wir haben großen Bedarf bei Sanierungen und Neubauten. Wahrscheinlich gibt es nirgendwo sonst eine solche Dichte von
Campus-Universitäten aus den 70er Jahren. Da gibt es viel zu tun. Sehr viel. Ich weihe gerade Projekte ein, die schon unter meinem Vorvorvorgänger beschlossen wurden.
Die Amtszeit von Andreas Pinkwart endete 2010.
Natürlich sind viele dieser Bauprojekte sehr komplex. Und das Tempo spielt bei allen Bauten der öffentlichen Hand leider eine eher untergeordnete Rolle. Deshalb erleben wir gerade regelmäßig,
dass es bis zu 15 Jahre dauert, bis ein Wissenschaftsbau fertig ist. Ich bin sicher: Das können wir besser und vor allem schneller.
Das ist doch in der nordrhein-westfälischen Verkehrspolitik nicht anders, oder?
Auch da sind die Herausforderungen groß – wenn auch aus anderen Gründen. Vorankommen werden wir nur, wenn wir auch hier das Thema Fachkräftemangel entschlossen angehen.
Der neue Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Walter Rosenthal, nannte den Hochschul-Sanierungsstau bei Research.Table neulich eine "Ewigkeitsaufgabe" und will den
Bund zurück in der Mitverantwortung. Weil die Länder es nicht allein hinbekommen?
Wir können – und müssen – es als Land allein hinbekommen. Der Bund ist als Folge der Föderalismusreform von 2006 zwar völlig raus bei der Frage der Hochschul-Infrastruktur. Mit der
Föderalismusreform 2014 ist aber eine Bund-Länder-Zusammenarbeit bei Einrichtungen im Hochschulbereich, also auch im allgemeinen Hochschulbau, wieder ermöglicht worden. Für eine lange
verfassungsrechtliche Diskussion fehlt uns aber die Zeit. Deswegen warten wir nicht auf den Bund, sondern helfen uns selbst.
"Im Moment macht es in Nordrhein-Westfalen keinen Unterschied, ob Sie eine Polizeidienststelle, ein Finanzamt oder eine Hochschule bauen."
Sie haben Ministerkolleginnen und -kollegen in den Ländern, die sehen das komplett anders, bezeichnen die Reform von 2006 als einen historischen Fehler und würden sie am liebsten wieder
rückgängig machen. Auch der Wissenschaftsrat riet vergangenes Jahr dazu, zumindest in Bezug auf die Nachhaltigkeitsziele neue Kooperationsmöglichkeiten von Bund und Ländern zu prüfen.
Als Verfechterin des Subsidiaritätsprinzips stelle ich fest, dass noch nie ein Bauprojekt dadurch schneller fertig geworden ist, dass eine weitere Entscheidungsebene einbezogen wurde. Ich möchte
meine Zeit als Ministerin lieber nutzen, konkrete Verbesserungen zu erreichen, statt mich in Struktur-Debatten zu verkämpfen, die am Ende nur sehr mittelbar und in keinem Fall kurzfristig zur
Problemlösung beitragen können. Zumal der Bund meint, er sei verfassungsrechtlich daran gehindert, sich beim Hochschulbau finanziell zu engagieren. Was aber nach unserer Rechtauffassung nicht
stimmt.
Sie werden aber auch in Nordrhein-Westfalen keine wundersame Geldvermehrung zur Finanzierung des Hochschulbaus erwarten können.
Wir können eine Menge Geld einsparen, wenn wir Bauprojekte künftig statt in zwölf oder 15 in fünf oder sechs Jahren realisieren. Dann bauen wir nicht nur halb so lange, sondern auch deutlich
günstiger. Dafür müssen wir Prozesse ändern. Im Moment macht es in Nordrhein-Westfalen keinen Unterschied, ob Sie eine Polizeidienststelle, ein Finanzamt oder eine Hochschule bauen. Auf die
Bedürfnisse und Besonderheiten des jeweiligen Umfeldes nehmen die geltenden Regularien kaum Rücksicht. Und die Abläufe verkomplizieren alles unnötig.
Was meinen Sie damit?
Am Bau der meisten öffentlichen Gebäude sind das Finanzministerium, der Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW, das Ministerium für Kultur und Wissenschaft und die Hochschulen beteiligt. Alle vier
arbeiten mit unterschiedlichen Anforderungen und unterschiedlichen Prozessen. Ein Beispiel: Die Hochschulen sind mit zusammengenommen fünf Millionen Quadratmetern der größte Mieter des
Liegenschaftsbetriebs und wenden im Vergleich zur Privatwirtschaft sehr viel Geld für die Nutzung ihrer Gebäude auf. Gleichzeitig widmen sich die Hochschulen neben ihren wissenschaftlichen
Aufgaben auch dem alltäglichen Gebäudebetrieb. Das ist historisch alles so gewachsen, macht das Bauen und den Betrieb aber extrem komplex. Als Seiteneinsteigerin interessiert mich der Blick nach
vorn. Deshalb entwickele ich mit allen Beteiligten Ideen, wie wir schneller und in gleicher Qualität bauen können. Mir hilft dabei, dass ich im Baubereich Sinn und Unsinn ganz gut
auseinanderhalten kann.
Sie mögen es ja konkret. Geben Sie uns bitte ein Beispiel.
Wir drehen zu viele Freigabeschleifen. Wir tun bei jedem Projekt so, als sei es das erste seiner Art, das jemals gebaut wird, als stünde es auf einer leeren grünen Wiese und wäre nicht Teil eines
bestehenden Ökosystems, das jede Hochschule für sich darstellt. Um besser auf die ja sehr unterschiedlichen Bedarfe der Hochschulen eingehen zu können, möchte ich individuelle Bauprogramme mit
ihnen vereinbaren. Vor zehn, 15 Jahren hatten wir kein Homeoffice, kaum digitale Lehr- und Lernformate und eher steigende Studierendenzahlen. Weil unsere Projekte so lange dauern, arbeiten wir
vielfach mit veralteten Parametern. Mein Ziel: Wir vereinbaren einen Rahmen, in dem sich die Hochschulen freier bewegen können. Wir rühmen uns in Nordrhein-Westfalen für unsere stark ausgeprägte
Hochschulautonomie. Auch beim Bau können die Hochschulen von mehr Autonomie profitieren.
"Wenn ich mit den anderen Landesministerinnen
und Landesministern rede,
sehe ich mich immer als ein Sechzehntel."
Als drittes Leitthema haben Sie vorhin die Forschung genannt. Das ist das Thema, mit dem Sie bislang am wenigsten Berührungspunkte hatten, oder?
Wir haben in Nordrhein-Westfalen einen sehr schlagkräftigen Mittelstand und eine starke Industrie. Für die Transformation, die sie durchlaufen, sind sie auf anwendungsnahe Forschung angewiesen,
wie sie zu einem Großteil an den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften und auch an den Universitäten passiert. Zugleich müssen wir unsere ausgezeichnete Position in verschiedenen Bereichen
der Grundlagenforschung sichern und ausbauen. Ich denke da etwa an die Künstliche Intelligenz, vor allem in Hinblick auf ihre ethisch verantwortbare Weiterentwicklung, an Krebs- und
Demenzforschung, an Quantencomputing, an Cybersicherheit und an Wasserstoff-Forschung.
Inwieweit ist Wissenschaftspolitik in Nordrhein-Westfalen eigentlich immer auch Bundespolitik? Oder anders gefragt: Sind Sie sich Ihrer Verantwortung als mit Abstand größtes Bundesland
bewusst?
Natürlich nimmt Nordrhein-Westfalen unter den Bundesländern in der Wissenschaftspolitik eine der führenden Rollen ein. Das hat auch schlicht etwas mit der Größe unseres Hauses im Vergleich zu
anderen Wissenschaftsministerien zu tun. Wir haben hier exzellente Fachleute, die in den verschiedenen Arbeitsgruppen der Länder inhaltlich zuarbeiten und unterstützen. Gleichwohl sehe ich mich,
wenn ich mit den anderen Landesministerinnen und Landesministern rede, immer als ein Sechzehntel. Was die Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung angeht, würde ich mir
mehr Offenheit und Transparenz wünschen.
Sie klingen verärgert.
Eher verwundert und ein bisschen besorgt. Die Wissenschaftspolitik von Bund und Ländern zeichnet aus, dass sie normalerweise nicht sonderlich parteipolitisch ist, sondern an der Sache orientiert
– und daran, gemeinsam unsere Wissenschaftslandschaft in Deutschland voranzubringen. Nur so haben wir auch eine hörbare Stimme in Europa. Von einer Zusammenarbeit von Bund und Ländern sehe ich
allerdings zu wenig ...
"Dass beim Wissenschaftszeitvertragsgesetz jetzt ein Referentenentwurf vorliegt, bringt uns ja noch keinen Schritt näher an ein neues Gesetz, wenn sogleich zwei
Koalitionspartner die Zustimmung verweigern."
Was sehen Sie denn?
Ich sehe, dass wir beim Wissenschaftszeitvertragsgesetz gerade – schon wieder – eine Extrarunde drehen, die das ganze System aufhält. Dass jetzt ein Referentenentwurf vorliegt, bringt uns ja noch
keinen Schritt näher an ein neues Gesetz, wenn sogleich zwei Koalitionspartner die Zustimmung verweigern. Und wir Länder warten noch immer darauf, was da aus Berlin auf uns zukommt, nachdem der
erste Entwurf nach nur wenigen Stunden wieder einkassiert worden war. In Nordrhein-Westfalen haben wir gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Hochschulen als Arbeitgeber und den
Landespersonalräten als Arbeitnehmer einen Vertrag über gute Beschäftigungsbedingungen für das Hochschulpersonal erarbeitet, der über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hinausgeht. Wir würden
den Rahmenvertrag für gute Beschäftigung gerne weiterentwickeln. Dazu brauchen wir aber Klarheit, was in Berlin entschieden wird. Zu meiner Begeisterung für Subsidiarität gehört, dass Bund und
Länder innerhalb ihrer Zuständigkeiten so agieren sollten, dass ihr Handeln ineinandergreift. Auch in der Forschungsförderung unternehmen wir in Nordrhein-Westfalen daher große Anstrengungen, um
möglichst anschlussfähig zu sein an die Bundesprogramme. Wenn dann die andere Seite an allen Stellen Unsicherheiten schafft, wie es weitergeht, ist das für uns Länder nicht erfreulich. Beispiel
HAW-Forschungsförderung: Die stellt der Bund gerade grundlegend in Frage.
Der Bund will, dass die Länder künftig einen Eigenanteil leisten. Und bei den Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung will er eine 50-50-Aufteilung der Kosten. Dagegen können doch
gerade Sie, die die Eigenverantwortung der Länder so betont, eigentlich nichts haben, oder?
Es gibt in der Politik auch so etwas wie die normative Kraft des Faktischen. Das HAW-Programm zahlt der Bund im Augenblick allein. So ist es vertraglich geregelt. Stellen Sie sich vor, zwei Leute
haben einen Vertrag, und bei der Neuverhandlung fällt einem von beiden plötzlich ein: Ich will das alles ganz anders haben, und zwar zu meinen Gunsten. Im echten Leben wäre die Diskussion an der
Stelle sehr schnell vorbei. Im BMBF dagegen ist plötzlich von einer angeblichen moralischen Mitverantwortung der Länder die Rede, weil die Hochschulen ja Sache der Länder sind. Ich bin bereit,
über eine Kofinanzierung der Länder zu reden und etwas draufzulegen. Ich bin allerdings nicht bereit einzuspringen, damit der Bund seine eigenen Forschungsmittel kürzen kann.
Die Länder wollen auch, dass die vom Bund finanzierte Qualitätsoffensive Lehrerbildung weitergeht, während das BMBF auf das lange vereinbarte Ende des Programms pocht. Verhalten sich die
Länder da nicht genauso, wie sie es dem Bund gerade noch vorgehalten haben?
Die Ampel-Koalition hat sich im Koalitionsvertrag verpflichtet, die Qualitätsoffensive Lehrerbildung weiterzuentwickeln. In der aktuellen gesellschaftlichen Lage sollte es völlig klar sein, dass
wir mehr Ausgaben für Wissenschaft und Bildung brauchen. Ob Lehrerbildung, Digitalisierung oder Unterrichtsqualität: Wir haben doch gerade erst wieder durch die IGLU-Grundschulstudie gesehen,
dass wir alle mehr tun müssen. Darum habe ich die Hoffnung, dass der Bund noch umschwenkt.
"Das hat wenig mit der Verhandlungstaktik der Länder zu tun und viel damit, dass wir alle am Vertrauensverhältnis zwischen Bund und Ländern arbeiten
müssen."
Unterdessen sehen wir viel Klein-Klein. In fast schon kafkaesker Weise streiten Bund und Länder darüber, ob es nun bis zu vier oder doch mindestens vier neue Exzellenzuniversitäten geben
soll.
Diesen Eindruck kann man gewinnen. Und ich bin noch nicht lange genug Politikerin, um in so etwas eine sinnvolle Gestaltung meiner Zeit zu erkennen.
Das verstehe ich auch als Selbstkritik an der Verhandlungstaktik der Länder?
Das hat wenig mit der Verhandlungstaktik der Länder zu tun und viel damit, dass wir alle am Vertrauensverhältnis zwischen Bund und Ländern arbeiten müssen. Es gibt eigentlich keinerlei Dissens
darüber, dass die Exzellenzstrategie ein wissenschaftspolitisch sehr erfolgreiches Instrument ist. Doch statt gemeinsam danach zu suchen, was das für die Auswahl von Exzellenzclustern und
Exzellenzuniversitäten bedeutet, hängen wir im Kleingedruckten fest – und verlieren die große Linie.
Auch zwischen den Bundesländern geht es nicht immer nur um ein nettes Miteinander. Sie befinden sich im Wettbewerb. Wenn ein Land wie Berlin jetzt beabsichtigt, die Grundfinanzierung
seiner Hochschulen um jährlich fünf Prozent anzuheben als Reaktion auf die Inflation, was folgt daraus für Sie?
Wir haben in Nordrhein-Westfalen die praktische Regelung, dass die Hochschulen einen Großteil der Tarifsteigerungen automatisch erstattet bekommen. Hinzu kommt, dass sich die Finanzausstattung
unserer Hochschulen in den vergangenen zehn Jahren extrem verbessert hat und weiter nach oben geht. Wir haben erreicht, dass unsere Hochschulen anständig finanziert sind. Abgesehen vom
Sanierungsstau, um den wir uns wie gesagt mit Nachdruck kümmern. Ich meine, wir sollten schnell eine andere Debatte führen: Über Jahre haben wir bei steigenden Studierendenzahlen über
Betreuungsrelationen diskutiert. Jetzt spüren wir den demografischen Wandel, und hinzu kommt ein sehr eingeschränkter Abiturjahrgang durch die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium. Wenn die
Hochschulen nun wie vereinbart über lange Zeit automatisch mehr Geld erhalten, müssen wir darauf achten, dass sie umso stärker an der Qualität ihres Angebots arbeiten.
Was bedeutet das?
Das bedeutet, dass wir wieder beim Thema Fachkräftemangel angekommen sind und bei der Frage, wie die Hochschulen besonders in den MINT-Fächern, im Lehramt und in den Gesundheitsberufen die
Studierendenzahlen hochhalten können. Wie können wir die Studierfähigkeit der Erstsemester verbessern – etwa über nullte Semester und über Orientierungs-Studiengänge? Wie können wir die
Abbrecherquoten senken und insgesamt die Absolventenzahlen erhöhen? Aus meiner Sicht ist es unsere gemeinsame Verpflichtung, für das Geld, das der Steuerzahler überweist, neben exzellenter
Forschung auch die Fachkräfte für die nächsten 30, 40 Jahre auszubilden.
Weil Sie erneut das Thema Fachkräftemangel ansprechen: Sehen Sie den eigentlich auch beim Personal für Forschung und Lehre? Und was hat das mit den Beschäftigungsbedingungen an den
Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu tun?
Die Debatte um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz wird zurzeit sehr emotional geführt und noch dazu mit zum Teil ambitionierten Forderungen. Ich sehe tatsächlich einen Zwiespalt: Einerseits ist
da die Notwendigkeit, veränderten Anforderungen und Erwartungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gerecht zu werden, um als Hochschule ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Andererseits
dürfen wir darüber ein Wissenschaftssystem, das in vielen Bereichen sehr erfolgreich läuft, nicht komplett aus den Angeln heben. Deshalb sind auskömmliche Mindestvertragslaufzeiten wichtig —wir
haben sie sogar in unseren Koalitionsvertrag geschrieben —obwohl für ihre Festlegung ja der Bund zuständig ist. Die Vertragslaufzeiten müssen so ausgestaltet sein, dass das Qualifizierungsziel,
vor allem das der Promotion, gut und vor allem realistisch erreichbar ist. Minilaufzeiten und Kettenverträge werden uns nicht helfen, junge Menschen für eine Karriere im Wissenschaftsbetrieb zu
begeistern. Bei den Postdocs plädiere ich für Arbeitsverträge zwischen minimal drei und maximal sechs Jahren.
Sie plädieren bei der besonders umstrittenen Postdoc-Höchstbefristungsdauer also für den Status Quo.
Der Zeitraum ist angepasst an die Vertragslaufzeiten von Juniorprofessuren. Das halte ich systemisch für richtig. Eine andere Frage, die diskutiert wird, ist, ob man die Anzahl der Verträge
reduzieren darf – sowohl prä- als auch postdoc. Da sollten wir sehr vorsichtig sein. Wenn man aus guter Absicht heraus Kettenbefristungen unterbinden will, stellt sich die Frage, was denn
passiert, wenn die Anzahl überschritten ist? Was machen wir dann, wenn der- oder diejenige nach drei Verträgen nicht promoviert ist? Das ist aus meiner Sicht nicht zu Ende gedacht. Man muss
Stabilität geben, damit die Qualifikationsziele erreicht werden können. Grundsätzlich bin ich der Auffassung, dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz nicht das richtige Instrument ist, um
Personalentwicklung an der Hochschule zu betreiben.
"Sagt uns die Dinge, die ihr schon immer geändert
haben wolltet, dann reden wir gemeinsam darüber,
was davon sinnvoll und umsetzbar ist."
Gilt die gleiche Vorsicht bei der von Ihnen geplanten Novelle des Landeshochschulgesetzes? Man könnte aktuell zu dem Ergebnis kommen, die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen hätten ein
Governance-Problem. Es gibt Berichte von Machtmissbrauch, an der Universität Paderborn hat die Hochschulratsvorsitzende ihren Rücktritt erklärt, aus Protest gegen die Entscheidung, den Vorsitz
der Findungskommission für die anstehende Präsidentenwahl nicht extern zu besetzen. In Südwestfalen wiederum soll die gewählte Rektorin noch vor ihrem Amtsantritt abgesetzt werden – gegen den
Widerstand des Hochschulratsvorsitzenden. Ihre Schlussfolgerung?
Mir sind die Rolle und die Position der Hochschulräte in unserem System extrem wichtig. Sie sind die Brücke zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Hochschule. Ich lege großen Wert auf den Dialog
mit den Gremien und den Vorsitzen. Die Hochschulräte haben einen großen Anteil an der Verankerung der Universitäten in der Gesellschaft. Wir geben den Hochschulräten viel Gestaltungsspielraum.
Das ist auch gut so. Wir haben ein im Kern sehr gut funktionierendes System und eine gut funktionierende Rechtsgrundlage dafür. Problematische Fälle, die es immer wieder geben wird, schauen wir
uns genau an und werden jeweils die richtigen Schlüsse daraus ziehen, aber wir sollten deshalb nicht das Kind mit dem Bade ausschütten.
Wo wollen Sie denn überhaupt das Hochschulgesetz ändern?
Die große Überschrift über der Hochschulgesetz-Novelle muss lauten: Fachkräftesicherung. Dazu haben wir bereits eine Reihe konkreter Punkte erarbeitet. Ich denke da zum Beispiel an eine gute
gesetzliche Regelung, die den dringend notwendigen Ausbau dualer Studiengänge ermöglicht. Was wir darüber hinaus machen, hängt vor allem von den Rückmeldungen aus den Hochschulen ab. Unsere
Botschaft lautet: Sagt uns die Dinge, die ihr schon immer geändert haben wolltet, dann reden wir gemeinsam darüber, was davon sinnvoll und umsetzbar ist. Gesetzt durch den Koalitionsvertrag ist,
dass wir die Viertelparität im Senat verpflichtend einführen. Eine Reihe von Hochschulen haben sie ohnehin längst. Wichtig ist, dass die Einführung verfassungskonform unter Beachtung der
Professorenmehrheit bei den entscheidenden Fragen von Forschung und Lehre geschieht.
Was halten Sie vom Vorstoß der NRW-SPD, die Semesterferien den Sommerferien anzupassen? Wäre das nicht auch bundesweit ein Signal hin zu mehr Familien- und damit
Arbeitnehmerfreundlichkeit?
Die Semesterferien sind abgestimmt auf die Prüfungszeiten, die bundesweit teilweise einheitlich sind. In Nordrhein-Westfalen sind alle Hochschulen, die Landesrektorenkonferenzen, die
Landes-Asten, die Landeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten der Hochschulen und Universitätsklinika, die Landespersonalrätekonferenz und die Landesarbeitsgemeinschaft der
Schwerbehindertenvertretungen in die Ferienplanung eingebunden. In dem Verfahren wurde bislang die Anregung, die Semesterferien den Sommerferien anzupassen, in keiner Stellungnahme geäußert. Als
Verfechterin der Hochschulautonomie bin ich gern bereit, das politisch aufzugreifen, wenn die Hochschulen wirklich einen Änderungsbedarf sehen.
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