Mit dem Aufkommen der Covid-19-Pandemie standen ab 2020 medizinische, speziell virologische Themen im Fokus des öffentlichen und wissenschaftlichen Interesses. Erst allmählich bildeten sich gesellschaftswissenschaftliche Forschungsfelder heraus, die die Pandemie, den Lockdown und andere Begleitumstände unter Aspekten der sozialen wie wirtschaftlichen Folgen der Krise in den Blick nahmen.Die Dr. Hans Riegel-Stiftung, Bonn und die Kaiserschild-Stiftung, Wien haben ab dem ersten Lockdown im März 2020 Forschungsprojekte von Nachwuchswissenschaftler:innen initiiert, die sich methodisch und interdisziplinär innovativ mit den Auswirkungen der Pandemie und ihrer Bekämpfung aus wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Perspektive beschäftigt haben. Diese Studien zeichnen sich durch die unterschiedlichen Forschungsfelder und -fragen sowie durch empirisch dichte und z. T. methodisch innovativ erhobene Daten aus, die im "sozialen Epizentrum der Krise" generiert und ausgewertet wurden. Sie weisen eine zeitlich große Unmittelbarkeit auf, die in Form dieser Publikation ein wissenschaftliches Zeitdokument ermöglichen und zu einem erweiterten retrospektiven Verständnis der Corona-Pandemie beitragen
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Im Kampf für ein Klima der Offenheit und Freiheit sind die Hochschulen allein überfordert – weshalb den Bundesländern jetzt eine besondere Verantwortung zukommt. Ein Gastbeitrag von Stephan Seiter.
Stephan Seiter ist seit 2021 Mitglied des Bundestages für die FDP und Sprecher seiner Fraktion für Forschung, Technologie und Innovation. Bis zu seiner Wahl war er Professor für Volkswirtschaftslehre an der ESB Business School der Hochschule Reutlingen. Foto: DBT/Stella von Saldern.
AN DEN DEUTSCHEN HOCHSCHULEN kam und kommt es aktuell zu Ausschreitungen und Vorfällen, die in ihrem Ausmaß, ihrer Intensität und ihrem Inhalt betroffen machen. Das Behindern von Rednerinnen und Rednern und die Gewalt insbesondere gegen jüdische Studierende gefährden das Klima der Offenheit und Freiheit des wissenschaftlichen Diskurses. Es geht um nichts Geringeres als die Verteidigung der nach Artikel 5 des Grundgesetzes garantierten Freiheiten.
Insbesondere die Bundesländer müssen ihre legislative und exekutive Macht zur Durchsetzung der Wissenschaftsfreiheit einsetzen, allein sind die Hochschulen damit überfordert. An den folgenden Leitsätzen muss sich die Wissenschaftspolitik dabei meiner Auffassung nach orientieren:
1. "Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung." Der Verfassungsgrundsatz nach Artikel 5 des Grundgesetzes definiert die einzige legitime Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit. Die Wissenschaftsfreiheit schützt keine Verfassungsfeinde und ist zu jeder Zeit und insbesondere im Hochschulraum durchzusetzen.
2. Die Wissenschaftsfreiheit ist eine konstituierende Eigenschaft der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Deutschland. Die deutsche Geschichte – vom Nationalsozialismus bis hin zum DDR-Unrechtsstaat – lehrt uns: Freiheit und Demokratie brauchen eine unabhängige Wissenschaft. Sie ist ein unverzichtbarer Teil der wehrhaften Demokratie.
3. Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre sind unfrei, wenn Hochschulmitglieder im Rahmen ihrer Hochschulaktivität Hetze, Bedrohungen oder sogar Gewalt ausgesetzt sind. Die Bundesländer sind maßgeblich für die innere Sicherheit verantwortlich. Sie tragen auch die Verantwortung für die Sicherheit an Hochschulen. Zu diesem Zweck müssen Bund und Länder Beratungsstellen zur juristischen, psychologischen und kommunikativen Unterstützung bedrohter Wissenschaftler stärken und Täter mit allen Mitteln des Rechtsstaates zur Rechenschaft ziehen.
4. Die Länder sind in der Pflicht, ihre Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit den geeigneten rechtlichen Mitteln auszustatten, damit diese ihrer Aufgabe der Wahrung der Wissenschaftsfreiheit und Sicherheit an ihren Institutionen nachkommen können. Dazu zählt unter anderem die Möglichkeit der Zwangsexmatrikulation antisemitischer Gewalttäter.
5. Hochschulen und Forschungseinrichtungen müssen geprägt sein von einem Klima der Freiheit. Pauschale Selbstbeschränkungen der Wissenschaft, die über die verfassungsrechtlichen Beschränkungen hinausgehen, sind aus diesem Grund abzulehnen. Dazu zählen weitreichende Zivilklauseln.
6. Das Behindern von Lehr- und Diskussionsveranstaltungen durch Einschüchterungsversuche oder Gewalt sind keine Formen des legitimen Protests. Es ist die Aufgabe des Rechtsstaats, seine Bürger und Institutionen von derartigen illegitimen Formen des Protests zu schützen, zugleich müssen die Hochschulen aber auch konsequent die Unterstützung der Polizei in Anspruch nehmen.
7. Hochschulen müssen ein Ort des freien Austausches sein. Keine Theorie oder politische Ideologie – auch nicht der Postkolonialismus – hat einen Anspruch auf absolute Wahrheit. Studien und Berichte, die darauf hindeuten, dass Studierende und Forschende aus Angst vor Repressionen Selbstzensur betreiben, sind alarmierend. Diesen Entwicklungen muss die offene Gesellschaft konsequent mit Diskurs, Streit und Debatte begegnen.
Das deutsche Wissenschaftssystem ist für die Zeitenwende noch nicht gewappnet. Im Umgang mit einer neuen sicherheitspolitischen Realität sind deutsche Hochschulen fast machtlos einem Spannungsfeld aus öffentlicher Erwartung, dogmatischer Selbsteinschränkung und teils realitätsferner Landesgesetzgebung ausgesetzt. In allen Feldern ist es nun angesagt, sich verstärkt von der Freiheit leiten zu lassen.
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Wer glaubt, Rechtsradikale mit einem eigenen Ruck nach rechts schwächen zu können, hat die Lektionen der Geschichte nicht verstanden. Und wer glaubt, Wutbürger durch Nachgeben zu besänftigen, der füttert nur deren Unersättlichkeit. Ein Essay.
ES GEHT MIR wie so vielen im Augenblick: Ich erledige meine Arbeit, doch etwas ist anders als sonst. Ich berichte aus Bildung und Forschung, versuche, am Puls der Zeit zu sein, lesenswerte Analysen und Interviews zu liefern. Ich freue mich, wenn ich wieder einmal einen Scoop landen kann, wie wir Journalisten das nennen: eine Nachricht, eine Neuigkeit, die sonst noch keiner hat.
Doch alles, was ich tue, wird zunehmend überlagert von der einen großen Sorge, die ich in meinem gesamten Erwachsenenleben so nicht gekannt habe. Die Sorge um die Zukunft unserer Demokratie, unserer offenen Gesellschaft. Natürlich, tröste ich mich, trage ich mit meiner Arbeit zu dieser Offenheit bei, ich tue meinen Teil. Doch beschleichen mich jeden Tag ein bisschen mehr die Zweifel: Tue ich genug? Verliere ich mich zu sehr im politischen und journalistischen Alltag, im Klein-Klein, anstatt für das Große und Ganze einzutreten?
Mir – und hoffentlich auch Ihnen – ist klar: Jetzt ist es ernst. Wenn wir jetzt nicht loslegen und verteidigen, was wir – bei allen Unzulänglichkeiten, Verkrustungen und Modernisierungsrückständen – an unserer Republik haben, dann kann keiner von uns irgendwann behaupten, wir hätten nicht gewusst, was da auf uns zukommt.
Wer das Einknicken vor einer lautstarken Minderheit als demokratisches Einlenken verklärt, verliert die Mehrheit aus dem Blick.
Für mich heißt verteidigen: nicht hart gegen die Schwächsten zu sein, nicht gegen Benachteiligte und Geflüchtete. Sondern hart zu stehen mit und für die Werte, die wir haben. Gegenüber allen, die sie in Frage stellen. Egal, woher sie kommen. Wer glaubt, Rechtsradikale und Rechtspopulisten mit einem eigenen Ruck nach rechts schwächen zu können, hat die Lektionen der Geschichte nicht verstanden. Wer glaubt, Wutbürger und Ellbogen-Lobbyisten durch Nachgeben zu besänftigen, der füttert nur deren Unersättlichkeit. Kompromisslosigkeit versteht nur Kompromisslosigkeit.
Und wer Einknicken vor dem Druck einer lautstarken Minderheit als demokratisches Einlenken verklärt, verliert die Mehrheit aus dem Blick. Und am Ende verliert die Mehrheit die Macht an eine Minderheit.
Eine wehrhafte Demokratie fängt da an, wo sie sich nicht die Diskurse der Undemokraten aufzwingen lässt. Wo nicht aus einer demokratischen Partei populistische Sprüche zulasten einer anderen kommen, sondern allen klar ist: Billige Schuldzuweisungen von Demokraten untereinander zugunsten kleinster politischer Geländegewinne ist immer ein Minusgeschäft für die Demokratie insgesamt zugunsten der Rechten.
Eine Demokratie ist dann wehrhaft, wenn sie nicht die Interessen der Laut-Aggressiven bedient auf Kosten derjenigen, die sich nicht wehren können. Wenn Politik nicht unhaltbare Versprechungen macht, dass sich nichts ändert, sondern unermüdlich erklärt, warum und wie Deutschland sich anpassen muss an den demografischen Wandel, an tiefgreifende technologische und wirtschaftliche Umwälzungen. Wenn die Politik dann auch durchzieht, was sie sagt, und Belastungen nach Vernunft und Fairness verteilt und nicht dorthin, wo der öffentliche Widerstand geringer ist. Ich habe hierzu Anfang 2023 einen Essay geschrieben, und ich finde, er trifft es immer noch. "Mit dem Modell der 70er Jahre gewinnen wir nicht das 21. Jahrhundert" hieß er.
Wieder Gefallen an der eigenen Zukunft finden, Zuversicht und Spaß an dem, was möglich ist.
Eine wehrhafte Demokratie würde deshalb, und da spricht jetzt doch wieder der Bildungsjournalist, gerade in einer Zeit wie jetzt nicht an Bildung und Wissenschaft sparen, sondern versuchen, Geist, Kreativität, Neugier und intellektuellen Widerspruch wie nie zuvor zum Blühen zu bringen. Und dabei wieder Gefallen an der eigenen Zukunft finden, Zuversicht und Spaß an dem, was möglich ist. Immer noch und gerade jetzt.
Was mich selbst ein wenig optimistisch macht: Viele äußern sich gerade ganz ähnlich wie ich in Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, gehen demonstrieren oder denken darüber nach. Es ist noch nicht so weit, aber es könnte etwas in Gang kommen, die Demokratie könnte endlich ihre Zähne zeigen. Legen wir los?
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Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe tritt zurück. Für die Bildungspolitik der Hansestadt und Deutschlands ist das ein Einschnitt – und für die Kultusministerkonferenz ein Verlust zu einem kritischen Zeitpunkt.
Foto: Daniel Reinhardt / Senatskanzlei Hamburg.
ES IST EINE ZÄSUR, und sie kommt völlig überraschend. Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe wird am Montagabend seinen Rücktritt erklären. Offiziell scheidet er am Mittwochfrüh aus dem Amt aus. Das Hamburger Journal berichtete von ausschließlich gesundheitlichen Gründen: Der 63-Jährige müsse sich mehrere Monate schonen.
Damit verlässt nicht nur der dienstälteste Kultusminister die politische Bühne, sondern der erfolgreichste. Er hat die Bildungspolitik weit über Hamburg hinaus geprägt, sein strategisch-langfristiger Ansatz einer datenbasierten Schulentwicklung wurde von Bildungsforschern bundesweit zum Vorbild erklärt und von vielen seiner Ministerkollegen aus anderen Ländern kopiert.
Abgesehen von Edelgard Bulmahn, die bis 2005 als letzte Sozialdemokratin das BMBF führte, war der studierte Gymnasiallehrer der einflussreichste SPD-Bildungspolitiker seit zwei Jahrzehnten. Als langjähriger sogenannter A-Koordinator führte er die Bildungspolitik aller SPD-geführten Bildungsministerien zusammen, war ihr Gesicht. Und auch wenn Rabe den Regularien der Kultusministerkonferenz (KMK) entsprechend nur ein einziges Jahr, ganz zu Anfang seiner Amtszeit 2012, ihr Präsident war, so galt er doch parteiübergreifend als der mächtigste Strippenzieher des Ministerclubs, nicht wegen eines Hangs zu Winkelzügen, sondern im Gegenteil, wegen seiner beeindruckenden Geradlinigkeit.
Zugleich war sein sich über die Jahre zunehmend einstellender bildungspolitischer Erfolg Inspiration vieler später hinzugekommener Ministerkollegen – zeigte er doch, was mit Reformmut und Ausdauer möglich ist in einem so oft verkrustet wirkenden deutschen Bildungssystem.
Hamburger Erfolgsgeheimnisse
2018 setzte Ties Rabe einen Tweet ab, da war gerade der langjährige bayerische Kultusminister zurückgetreten. "Sieben Jahre Schulsenator und seit heute bin ich dienstältester Schulminister Deutschlands", schrieb Rabe. Ein Bildungspolitiker in Angeberlaune? Nicht ganz, denn dann folgte Rabes eigentliche Botschaft: "Kein Grund zu triumphieren - denn es tut Schulen nicht gut, wenn alle zwei Jahre der Minister wechselt und das Ministerium alles neu erfindet." Rabes Philosophie, in 280 Zeichen.
Seine Strategie war langfristig angelegt. Rabe ließ die Schüler häufiger als anderswo zu Untersuchungen des Leistungsstandes antreten, zusätzlich zu den (inzwischen bundesweit üblichen) Tests in Klasse 3 und 8 kommen in Hamburg landesweite Vergleichsarbeiten in den Klassen zwei, fünf, sieben und neun hinzu. Die Behörde sammelt weitere Leistungsdaten der Schulen, den Unterrichtsausfall etwa oder die Zahl der Schulabbrecher.
Entscheidend, sagte der Senator einmal, seien nicht nur die Daten, sondern das, was man damit mache: kein medientaugliches Schulranking, sondern eine Rückmeldung für jede Schule und jeden Lehrer. "Wir schauen genau hin, stellen die Schulen nicht an den Pranger, aber lassen sie auch nicht allein", sagte Rabe, der sein System "freundliche Belagerung" nannte.
Spätestens alle zwei Jahre schauen in Hamburgs Schulen externe Experten für eine Schulinspektion vorbei. Und der Senator selbst besuchte lange jeden Freitag eine Schule, setzte sich in den Unterricht, traf sich mit der Schulleitung zum Vieraugengespräch und mit dem ganzen Kollegium zur Konferenz. Und während andere Länder umstrittene Reformen noch diskutierten, handelte der ehemalige Gymnasiallehrer (Fächer: Deutsch, Religion Geschichte): Er führte einen verpflichtenden Deutschtest für Vierjährige ein und, falls Förderbedarf festgestellt wird, den verpflichtenden Besuch der Vorschule. Er pushte die Ganztagsschule, bis sie an den Grundschulen einen fast hundertprozentigen
Deckungsgrad erreichte, und installierte mit "Starke Schulen" schon vor Jahren ein Programm für Brennpunktschulen, wie der Bund es so ähnlich jetzt mit den "Startchancen" deutschlandweit umsetzen will. Hamburg brachte auch ein bundesweit einmaliges Schulbauprogramm auf den Weg, vier Milliarden wurden seit 2011 investiert.
Bevor Rabe Senator wurde, schien es ausgemacht, dass Stadtstaaten in nationalen Bildungsvergleichen schlecht abschneiden, doch trotz einer mit Berlin oder Bremen vergleichbaren Sozialstruktur gelang es Hamburg in den vergangenen zehn Jahren, zur Spitzengruppe aufzuschließen, sich teilweise sogar ganz vorn zu platzieren.
Hamburg habe "sich in den vergangenen 13 Jahren sukzessive hochgearbeitet", obwohl es 2009 noch zu den Schlusslichtern zählte, lobte erst im Oktober 2023 Petra Stanat, Direktorin des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), das regelmäßig den bundesweiten IQB-Bildungstrend erstellt. "Und das bei einem sehr hohen Anteil an Einwandererkindern wohlgemerkt."
Rabes Nachfolgerin als Senatorin wird Ksenija Bekeris, 45, stellvertretende SPD-Fraktionschefin und -Landesvorsitzende, und Berufsschullehrerin mit mehreren Jahren Schulerfahrung. Lorz folgt als hessischer Kultusminister der CDU-Bundestagsabgeordnete Armin Schwarz, 55, nach, Oberstudienrat und früherer bildungspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion. Neuer hessischer Minister für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur wird der 48 Jahre alte Politikwissenschaftler Timon Gremmels (SPD), zurzeit ebenfalls Bundestagsabgeordneter
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) kommentierte auf "X", sie bedaure Rabes Rücktritt sehr. Es sei sein Verdienst, das Schulsystem in Hamburg vorangebracht "und für viele zum Vorbild gemacht zu haben".
Und er wurde gebraucht, gerade erst wieder im vergangenen Jahr, als Eklats zwischen Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) und der Kultusministerkonferenz die Verhandlungen um Startchancen-Programm und Digitalpakt 2.0 mehrfach um ein Haar gesprengt hätten. Er war an den richtigen Stellen unerbittlich und kompromissbereit, im Rücken sein nicht weniger versierter Staatsrat Rainer Schulz, der Vorsitzender der KMK-Amtschefskommission "Qualitätssicherung in Schulen" ist.
Inzwischen sind die Startchancen fast im Ziel, verhandelt von einer Vierer-Ländergruppe mit Hamburg, Rheinland-Pfalz, NRW und Schleswig-Holstein mit dem BMBF. Aktuell schauen die übrigen zwölf Länder auf die Details, Anfang Februar soll die Vereinbarung dann stehen. Allerdings ist immer noch unklar, ob die Bundesregierung nicht doch die für die Länder nicht weniger wichtige (und im Ampel-Koaltionsvertrag versprochene!) Digitalpakt-Fortsetzung wegspart.
Für die KMK ist Rabes Rücktritt noch in anderer Hinsicht geradezu dramatisch. Als am Freitag die diesjährige KMK-Präsidentin, Saarlands Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD), offiziell das Amt übernahm, fiel auf, dass bei dem Festakt in der saarländischen Landesvertretung in Berlin-Mitte neben Rabe auch sein CDU-Konterpart fehlte: Alexander Lorz, seit 2014 Hessens Kultusminister und Koordinator der unionsgeführten Bildungsministerien. Wie jetzt bekannt wurde, wird er in der neuen CDU-/SPD-Koalition das Finanzministerium übernehmen. Womit der KMK auf einen Schlag zwei ihrer wichtigsten und erfahrensten Protagonisten abhanden kommen.
Kontinuität in der zweiten Reihe, an der Spitze neue Hoffnungsträgerinnen?
Und das zu Beginn des Jahres, in dem Streichert-Clivot die lang vorbereitete Grundsatzreform der KMK, ihrer Gremien, Abläufe und ihres Sekretariats, zum Abschluss bringen will. Bei der KMK-Feier in der saarländischen Landesvertretung sagte KMK-Generalsekretär Udo Michallik, bei der nächsten Amtsübergabe in einem Jahr werde die KMK eine andere sein.
Der Bildungsföderalismus will seine Leistungsfähigkeit beweisen. Er muss es nicht nur angesichts seines schlechten Rufs oder eines (von den Kultusministern mutig selbst beauftragten) "Prognos"-Gutachtens mit teilweise katastrophalen Ergebnissen. Sondern auch weil, woraufhin zuletzt der ehemalige Berliner Bildungsstaatssekretär Mark Rackles in Table.Bildung hinwies, die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen eine AfD-Regierungsbeteiligung bringen könnten. Mit unabsehbaren Folgen für eine bislang auf dem Einstimmigkeitsprinzip beruhende Entscheidungsfindung bei allen wichtigen Fragen in der KMK.
Wie tief die Zäsur gerade durch Rabes Weggang ist, konnte man am Nachmittag auch daran erkennen, dass Streichert-Clivot umgehend eine Pressemitteilung veröffentlichen ließ, um den beiden scheidenden KMK-Präsidiumsmitgliedern zu danken. Es sei für die KMK "ein herber Verlust, an einem Tag beide Koordinatoren von A- und B-Seite zu verlieren", sagte Streichert-Clivot. Rabe und Lorz hätten über ein Jahrzehnt im Amt die Geschicke der KMK entscheidend mitgeprägt. "Hart in der Sache debattieren, aber immer wieder auch Kompromisse schließen können, immer orientiert an gemeinsamen, länderübergreifenden Handeln – das hat ihre Arbeit ausgezeichnet." Es folgte in der Pressemitteilung die Versicherung der eigenen Handlungsfähigkeit: "Die Mitglieder der KMK blicken zuversichtlich in die Zukunft und sind fest davon überzeugt, dass die positive Entwicklung des deutschen Bildungssystems unter der Führung neuer engagierter Persönlichkeiten fortgesetzt wird."
Was jedenfalls Hoffnung macht: Sowohl in Hessen als auch in Hamburg bleiben die Amtschefs hinter den Ministern im Amt. Rainer Schulz bestätigte mir auf Anfrage, dass er auf jeden Fall bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt bleibe. Gewählt wird in Hamburg im Frühjahr 2025. Schulz gilt als Treiber und Ideengeber für die KMK-Reform. Ob er allerdings Vorsitzender der Amtschefkommission bleiben kann, wird sich zeigen. Denn solche Posten sind traditionell eng an die Koordinatoren geknüpft.
Apropos: Als mögliche Nachfolgerin in der Koordination der SPD-Bildungsministerien gilt Stefanie Hubig aus Rheinland-Pfalz, seit 2016 im Amt. 2020, im ersten Corona-Jahr, war sie KMK-Präsidentin und führte die Kultusministerkonferenz durch die Krise. Bis heute berichten Kultusminister, in den Pandemiejahren sei ihr Club sich nahe wie nie gewesen, seitdem sei die Arbeit miteinander eine andere geworden. Wird sie am Ende des Jahres mit dem Mut einer echten Reform gekrönt?
Eine, die als neue CDU-Koordinatorin sicherlich ihren Teil dafür tun würde, ist Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien, stellvertretende Vorsitzende der Bundespartei, die über die Jahre zur einflussreichsten CDU-Bildungspolitikerin avanciert ist. Neben einem enormen politischen Instinkt hat Prien, die 2022 KMK-Präsidentin war, vor allem ein Erfolgsgeheimnis: Sie schaut sich um, was anderswo besonders gut funktioniert – und macht es nach. Besonders oft das Vorbild: Hamburg.
Nachtrag am 17. Januar, 19 Uhr
Neue Koordinatorinnen stehen fest
Nach den SPD-Kultusministern haben am Mittwoch auch die CDU-Ressortchefs entschieden, wer ihre Arbeit künftig in der Kultusministerkonferenz koordinieren wird. Wie erwartet votierten die Sozialdemokraten bereits am Dienstag für die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig als sogenannte "A"-Koordinatorin, ihre Unionskollegen wählten am Mittwoch Karin Prien aus Schleswig-Holstein zur Koordinatorin der "B"-Seite.
Die ebenfalls neue KMK-Präsidentin, die saarländische Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD), lobte Hubig und Prien am Nachmittag als "zwei engagierte und erfahrene Kolleginnen, die in ihren Ländern erfolgreich und mit Herzblut Bildungspolitik gestalten". Sie freue sich auf die Zusammenarbeit und sei sicher, dass die neuen Koordinatorinnen "in enger Abstimmung mit der saarländischen Präsidentschaft für Kontinuität und zugleich Erneuerung sorgen können, die die KMK jetzt benötigt".
Die neue A-Koordinatorin Hubig sagte, ihr Vorgänger und langjähriger Hamburger Bildungssenator Ties Rabe werde als "sehr kluger und hoch geschätzter Kollege" fehlen. Dem ebenfalls ausgeschiedenen B-Koordinator Alexander Lorz wünschte sie für sein neues Amt als hessischer Finanzminister gutes Gelingen und dankte ihm für die stets enge Zusammenarbeit, "ganz besonders in der gemeinsamen Zeit im KMK-Präsidium".
Das Bildungssystem stehe vor vielfältigen Herausforderungen, sagte Hubig weiter und nannte unter anderem die Stärkung der Basiskompetenzen bei allen Schülern, Bildungsgerechtigkeit, den Umgang mit KI und die Demokratiebildung junger Menschen. "Wir leben im Zeitalter der Transformation – auf neue Fragen können wir dabei nicht mehr alte Antworten geben, stattdessen müssen wir das Lernen und Lehren neu denken." Auch ihr Ziel sei es, die KMK gemeinsam neu aufzustellen, "ebenso wie die neue Präsidentin Christine Streichert-Clivot dies vorhat." Schon seit dem Jahr 2020, dem Beginn der Pandemie in Hubigs Zeit als KMK-Präsidentin, sei es den Kultusministern gelungen, deutlich agiler zusammenzuarbeiten. "Hieran möchte ich anknüpfen."
Die neue B-Koordinatorin Prien sprach nach ihrer Wahl von einer verantwortungsvollen Aufgabe, "der ich mich angesichts der großen Herausforderungen vor denen unser Bildungssystem steht, gerne stelle". Dabei wolle sie an die Schwerpunkte der schleswig-holsteinischen KMK-Präsidentschaft von 2022 anknüpfen und den Weg der Reform der Kultusministerkonferenz fortsetzen.
Prien danke ihrem Vorgänger Lorz "für seinen unermüdlichen Einsatz als B-Koordinator für einen starken und kooperativen Bildungsföderalismus". Die über Parteigrenzen hinweg vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit in der Kultusministerkonferenz würden die B-Länder weitergehen und gemeinsam mit den A-Ländern die Bundesregierung "an ihre Versprechen, Zusagen und die gemeinsame Verantwortung" erinnern. "Jetzt geht es darum, das Startchancenprogramm und den Digitalpakt zu Ende zu verhandeln."
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Es ist ein wichtiger Tag für die deutschen Schulen: Bund und Länder sagen Ja zum Startchancen-Programm. Jetzt gilt es, schnell die Formalitäten und offenen Verfahrensfragen zu klären. Die zähen Verhandlungen verlagern sich währenddessen auf ein anderes Programm.
Foto: Anne, Flickr, CC BY-NC-ND 2.0.
ES WAR EIN FOTO-FINISH für die Startchancen. Noch am Mittwochabend wagte in den 16 Kultusministerien kaum jemand die Prognose, ob ihre Chefs am Freitag tatsächlich den finalen Haken setzen würden unter den Vertrag mit dem BMBF über dieses Milliardenprogramm zur Förderung benachteiligter Schüler. Obwohl alle wussten: Wenn es jetzt nichts wird, wäre die Blamage maximal. Für Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), die bildungspolitisch seit langem fast alles auf die "Startchancen" setzte. Aber auch für die Kultusminister und den Bildungsföderalismus, der aktuell wieder einmal besonders unbeliebt ist.
Seit 2022 hatten die Länder untereinander und mit dem Bund verhandelt, ein beständiges Stop-And-Go, ein Vor und Zurück zwischen dem Feilschen um die großen Verteilungsmechanismen und die kleinen Details. Begleitet von Phasen, in denen es zwischen Bund und Ländern eher darum ging, sich gegenseitig mit Vorwürfen mangelnder Ernsthaftigkeit zu überziehen.
Den Termin zur digitalen Sondersitzung der Kultusministerkonferenz (KMK) am Freitagmorgen hatte man vor Wochen bereits vorsorglich gemacht, dazu den Auftritt gemeinsam mit Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) am Freitagnachmittag in der Bundespressekonferenz eingefädelt. Aber immer, und das trotz maximalen öffentlichen Erwartungsdrucks, unter Vorbehalt.
"Substanzielle Fortschritte" beim Digitalpakt als Voraussetzung?
Zuletzt hing die Entscheidung vor allem an einigen wenigen Ländern mit Unionsregierung, die zusätzliche Garantien forderten. Dafür, dass der Bund nach der Startchancen-Besiegelung noch genug Wille und Geld hat, um die Fortsetzung eines anderen Milliardenprogramms durchzuziehen: des Digitalpakts. Der aus Sicht aller Kultusminister genauso wichtig ist wie die Startchancen, nach Meinung etlicher sogar noch wichtiger. Wiederholte Bekenntnisse Stark-Watzingers in den vergangenen Monaten, sie setze sich mit Nachdruck für diesen Digitalpunkt 2.0 ein, hatten zumindest Bayern und Sachsen bis diese Woche nicht gereicht.
Am Mittwoch saß die Digitalpakt-Verhandlungsgruppe erneut zusammen. "Substanzielle Fortschritte" hatten die Länder vorab verlangt, und einige Unionsminister ließen diese auf den Digitalpakt bezogene Forderung immer noch wie eine Bedingung für die Startchancen klingen. Bis am Donnerstag im Anschluss an verschiedene Schaltkonferenzen auf Länderseite durchsickerte: Alle 16 Kultusminister machen mit. Auch Bayern und Sachsen.
Die Zustimmung der Länder sei letztlich auch deshalb möglich geworden, weil der Bund ein deutliches politisches Zeichen für den Digitalpakt 2.0 gegeben habe und auch hier substanzielle Fortschritte hätten erzielt werden können, sagte die neue Koordinatorin der CDU-Bildungspolitik in den Ländern, Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien, nach der Startchancen-Besiegelung am Freitag. Von einem "klaren Bekenntnis" zur Digitalpakt-Forsetzung, das die Länder vom BMBF bekommen hätten, sprach auch KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot.
Unklar war allerdings zunächst, worin genau dieses deutliche politische Zeichen und Bekenntnis bestanden hatte. Zumal nicht alle von Priens und Streichert-Clivots Kollegen offenbar ein solches gesehen haben. So kritisierte Armin Schwarz, der neue CDU-Bildungsminister von Hessen, am Freitag, es werde ein neues Projekt aufgesetzt, ohne die Fortführung eines für die Zukunft entscheidenden Programmes geklärt zu haben: des Digitalpakts. Hier benötigten die Länder und die kommunalen Schulträger langfristige Planungssicherheit. "Dies wäre eine wirkliche, effektive Unterstützung, die ohne neue bürokratische Hürden umgesetzt werden könnte." Doch habe ausgerechnet "die selbsternannte Digitalpartei FDP beim Digitalpakt bisher alles blockiert".
Woraus man umgekehrt folgern könnte, dass Stark-Watzinger diesen Teil der politischen Geduldspiels mit den Ländern für sich hat entscheiden könnten. Zumindest ging sie am Freitagnachmittag auch in der gemeinsamen Pressemitteilung von BMBF und KMK mit keinem Wort auf die Digitalpakt-Fortsetzung ein, sondern hob allein die Bedeutung des Startchancen-Programms hervor, "das größte und langfristigste Bildungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland". In der Pressekonferenz sagte Stark-Watzinger laut Bildung.Table, sie wolle beim Digitalpakt zunächst über das Konzept sprechen, während Streichert-Clivot sagte, dessen Finanzierungsvolumen sei "noch offen".
Wobei das BMBF in internen Gesprächen gesagt haben soll, dass der neue Pakt mindestens das gleiche Volumen – eine Milliarde pro Jahr – haben soll wie bisher. Nur eben nach Vorstellung des Bundes mit einer anderen Kostenbeteiligung der Länder (50 statt zehn Prozent), was mit ein Knackpunkt bei den Verhandlungen ist. Doch gilt schon die BMBF-Aussage übers Volumen unter den meisten Ländern als das, was sie als "substanziellen Fortschritt" sehen, ebenso die Verabredung eines festen Zeitplans mit einer nächsten Klausurtagung im März und der Fertigstellung der Bund-Länder-Vereinbarung bis Mitte Mai – also genau dann, wenn der Digitalpakt 1.0 offiziell ausläuft.
"Wir brauchen eine bildungspolitische Trendwende", sagt BMBF-Chefin Stark-Watzinger
Zurück zur Startchancen-Einigung. Noch nie sei der Handlungsdruck so groß wie jetzt gewesen, sagte Stark-Watzinger. "Wir brauchen eine bildungspolitische Trendwende, und sie muss bei den Grundkompetenzen beginnen. Mit der Verständigung auf das Startchancen-Programm werden Bund und Länder den großen Hebel ansetzen: 20 Milliarden Euro in zehn Jahren für etwa 4.000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler."
60 Prozent der geförderten Kinder sollen an Grundschulen sein. Der Fokus des liegt auf einer Stärkung der Basiskompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen und der Entwicklung der Schulen als Lernort. Der Bund zahlt eine Milliarde pro Jahr, die Länder beteiligen sich in gleichem Umfang – wobei ein Teil der komplizierten Verhandlungen sich zuletzt genau darum drehte: Was genau können die Länder als ihren Anteil einbringen?
Auch KMK-Präsidentin Streichert-Clivot, im Hauptberuf SPD-Bildungsministerin im Saarland, sagte, Bund und Länder unterstützten mit den "Startchancen" die Schulen im Transformationsprozess. "Mutig und mit vereinten Kräften können wir Schule verändern – mit wissenschaftlicher Begleitung, einem veränderten Ressourcen-Ansatz und multiprofessionellen Teams." Im Zentrum stünden dabei die Belange von Kindern und Jugendlichen. "Sie fordern zu Recht, dass wir stärker auf ihre Bedürfnisse eingehen und uns nicht in Kompetenzgerangel verlieren. Deshalb ist es unsere gemeinsame Verantwortung, diesen Bedürfnissen mit gezielter und individueller Unterstützung gerecht zu werden."
Karin Prien wiederum sprach von einem guten für gerechtere Bildung in Deutschland, "auch wenn es ein sehr langer und beschwerlicher Weg gewesen ist". Das Programm, das auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und guten Erfahrungen in einigen Ländern aufbaue, könne für die im Ergebnis aufwachsend 4000 Schulen "als ein Element" dafür sorgen, mehr Bildungsgerechtigkeit in Deutschland umzusetzen. "Ein Wermutstropfen ist auch in diesem Fall wieder die bürokratische Belastung, die Schulträgern und Schulen durch das Programm droht." Bevor Prien wieder einen Schlenker zum Digitalpakt 2.0 machte: Bei dem "müssen wir sehr darauf achten, die bürokratischen Hürden abzubauen und Verfahren zu vereinfachen." Und Prien forderte: Der zweite Digitalpakt dürfe sowohl vom Volumen als auch von der Aufteilung der finanziellen Belastungen nicht hinter dem ersten Digitalpakt zurückstehen.
"Jetzt fängt die Arbeit richtig an", sagt SPD-Bildungsministerin Hubig
Priens Konterpart Stefanie Hubig, Koordinatorin der SPD-Bildungspolitik in den Ländern, formulierte etwas überschwänglicher. Bund und Länder stärkten die Bildungsgerechtigkeit und Bildungsqualität in Deutschland und zeigten, dass sie gemeinsam handeln könnten. "Wir schnüren ein großes Paket für jene Kinder und Jugendliche, die unter schwierigen Bedingungen ins Leben starten." Noch immer hänge der Bildungserfolg zu sehr vom Geldbeutel oder vom Status der Eltern ab. "Mit Hilfe des Startchancen-Programms werden Schulen zu besseren Lern- und Lebensorten. Sie fügte hinzu: "Und jetzt fängt die Arbeit richtig an!“
In der Tat. Zumal das Startchancen-Vertragspaket formal noch längst nicht unterschrieben ist. Jetzt startet erst einmal der Ratifizierungsprozess in Bund und Ländern, im Frühjahr wollen Stark-Watzinger und Kultusminister dann zur rechtsverbindlichen Unterschrift antreten. Vielleicht ist ja genau das der Grund, warum Bayern und Sachsen sich am Donnerstag doch einen Ruck geben konnten? Schon in der Vergangenheit hatten CDU-Minister wiederholt darauf hingewiesen: Wirklich besiegelt ist das Programm erst, wenn alle 16 Länder rechtskräftig ratifiziert haben. Dient diese vermeintliche Formalie so als letztes im Hintergrund gehaltenes Druckmittel, bis der Digitalpakt 2.0 von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) im Haushaltsentwurf für 2025 verankert ist? Umgekehrt hat der Bund womöglich das noch bessere Druckmittel: den Lockruf des Geldes. Erst wenn alle 16 Länder unterschrieben haben, kann Lindner die laut Vertrag vorgesehene Änderung des Finanzausgleichsgesetzes für die Umsatzsteuerpunkte-Umverteilung (siehe unten) angehen.
Offiziell tun Bund und Länder jetzt ohnehin so (und müssen es), als sei das Programm auch formaljuristisch unter Dach und Fach, denn zum 1. August 2024 soll es starten. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, was Prien in ihrem Statement andeutet: Auch wenn im Endausbau rund 4.000 Schulen in herausfordernder Lage und damit rund zehn Prozent aller Schülerinnen und Schüler in Deutschland unterstützt werden sollen, fängt es erstmal in kleinerem Rahmen an. Darauf haben sich Bund und Länder zuletzt verständigt. Ganz einfach, weil es nicht möglich sein wird, gleich zum Schuljahresanfang alle 4000 Schulen ausgewählt zu haben, und so kurzfristig überall das nötige zusätzliche Personal dafür eingestellt zu haben. Darum sollen es nun zunächst mindestens 1.000 Schulen im ersten Programmjahr sein, bis zum Schuljahr 2026/27 sollen dann alle 4.000 Schulen feststehen.
Das Besondere ist, dass die Höhe der Fördermittel, die ein Land erhält, auch die dortigen sozialen Rahmenbedingungen berücksichtigt, konkret den Anteil der Kinder und Jugendlichen aus armutsgefährdeten Familien und mit Migrationsgeschichte, darüber hinaus in geringerem Umfang die Wirtschaftsleistung pro Kopf der Bevölkerung. Der einst erhoffte ganz große Paradigmenwechsel in der Bildungsfinanzierung weg von der Gießkanne ist es aber nicht geworden, weil ein Großteil des Geldes doch nach üblichen Verteilungsmechanismen (Umsatzsteuerpunkte) in die Länder fließen soll.
Bildungspolitische Seltenheiten und zeitliche Herausforderungen
Weil die Länder das Geld wiederum an diejenigen Schulen verteilen sollen, die es besonders brauchen, müssen sie dafür laut Vereinbarung geeignete, wissenschaftsgeleitete Kriterien anlegen. Für die gute Hälfte der Länder, die bereits sogenannte Schul-Sozialindizes einsetzt, gut machbar. Solche Sozialindizes bilden den sozialen Hintergrund der Schülerschaft aller Schulen im jeweiligen Bundesland ab. Für die Kultusministerien, die Vergleichbares (noch) nicht haben, eine weitere zeitliche Herausforderung.
40 Prozent des Startchancen-Geldes gehen in die sogenannte Säule eins, bauliche Investitionen in eine bessere und damit lernförderlichere Infrastruktur und Ausstattung der Startchancen-Schulen. 30 Prozent können die Schulleitungen frei verfügbare "Chancenbudgets" in vor Ort passende Maßnahmen der Schul- und Unterrichtsentwicklung stecken (Säule zwei), etwa in die gezielte Lernförderung in den Kernfächern Deutsch und Mathematik. Die übrigen 30 Prozent dienen zur personellen Verstärkung der Schulsozialarbeit und mulitprofessioneller Teams (Säule drei), rein rechnerisch lässt sich laut BMBF und KMK allein mit den Bundesmittel eine volle zusätzliche Stelle pro Startchancen-Schule finanzieren.
In dieser Form immer noch eine bildungspolitische Seltenheit ist auch, dass die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation als integrale Bestandteile des Programms vorgesehen sind, ebenso der Transfer der gewonnenen Erkenntnisse über die geförderten Schulen hinaus. Allerdings soll es jetzt auch bei der wissenschaftlichen Begleitung erst später losgehen.
"Reicht nicht, ein Elterncafé oder eine Bibliothek zu bauen"
Der bildungspolitische Sprecher der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion, Thomas Jarzombek, sagte, es sei ein gutes Signal, dass sich der Bund nicht vollständig aus bildungspolitischen Fragen herausziehen werde. Doch löse das "Startchancen-Programm von Frau Stark-Watzinger" die drängenden Probleme der Schulen nicht. "Wenn die Kinder in die Schule kommen und kein Deutsch können, dann reicht es nicht, ein Elterncafé oder eine Bibliothek zu bauen." Dringend notwendig sei ein verpflichtendes, vorschulisches Programm für Kinder mit Förderbedarf im fünften Lebensjahr. "Stattdessen investiert die Bundesbildungsministerin vor allem in Baumaßnahmen und erhöht die Berichtspflichten für Schulleitungen und Lehrkräfte." Die Gelder für Baumaßnahmen würden vermutlich über Jahre nicht abfließen. "Und die weiteren Mittel vergibt der Bund nach Umsatzsteuerpunkten, ohne ihre Verwendung tatsächlich steuern zu können."
Stark-Watzinger habe sehr lange gebraucht, um ein verhandlungsfähiges Konzept für ihr "Prestige-Projekt" vorzulegen. Ab jetzt beginne für Länder und Kommunen ein sehr sportlicher Umsetzungszeitplan, fügte Jarzombek hinzu. "Das setzt nun alle Akteure unter erheblichen Druck, insbesondere die Kommunen, die wesentliche Elemente in kurzer Zeit umsetzen müssen und bis heute noch nicht darauf vorbereitet wurden."
Eine parlamentarische Anfrage der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion hatte ergeben, dass es bislang nur ein einziges Gespräch des BMBF mit den kommunalen Spitzenverbänden hatte, und zwar auf Staatssekretärsebene. "Die Ministerin hat sich selbst überhaupt nicht eingebracht", kritisierte Jarzombek. Auch in den Verhandlungen zum Digitalpakt 2.0 brauche es jetzt einen echten Durchbruch und wieder mehr Planungssicherheit für Kommunen, Schulen und Lehrkräfte.
Von einem guten Tag für die Bildungsgerechtigkeit in Deutschland sprachen die Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, Katharina Dröge, und Nina Stahr, die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion. Das Programm werde besonders Schüle aus einkommensschwachen Familien erreichen. "Dies ist dringend notwendig, denn die jüngsten alarmierenden PISA-Ergebnisse belegen zum wiederholten Male, dass der Bildungserfolg in Deutschland viel zu sehr mit der sozio-ökonomischen Herkunft zusammenhängt". Über das Startchancen-Programm hinaus brauche es aber endlich auch eine gemeinsame bildungspolitische Strategie von Bund, Ländern und Kommunen mit gesamtstaatlichen Bildungszielen. "Als Gesellschaft und auch als Volkswirtschaft können wir es uns nicht leisten, weiter an der Bildung zu sparen. Deswegen erwarten wir auch eine zeitnahe Einigung beim Digitalpakt 2.0, dem zweiten großen bildungspolitischen Leuchtturmprojekt unserer Koalition."
Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Gyde Jensen nannte das Startchancen-Programm einen lange ersehnten "Paradigmenwechsel in der
Bildungsfinanzierung". Mit dem Ja zu dieser Kooperation bewiesen die Bundesländer Verantwortungsbewusstsein und den Mut, "endlich neue Wege in der Bildungspolitik zu wagen, um Bildungschancen von der Herkunft zu entkoppeln. Die großen Herausforderungen des Bildungsstandorts Deutschland werden endlich als gemeinsame Aufgabe erkannt." Die monatelangen Verhandlungen seien nicht immer einfach gewesen, doch zähle das Ergebnis. "Auf diesem Fundament der Zukunft unserer Kinder müssen Bund und Länder jetzt weiter gemeinsam und zielorientiert aufbauen."
Der Geschäftsführer der Wübben Stiftung Bildung, Markus Warnke, mahnte, mit der Einigung seien nun alle 16 Bundesländer in der Pflicht, die Schulen im Brennpunkt in ihrem Land zu identifizieren "und bis Sommer ein Programm zu entwickeln, das ihnen wirklich hilft. Das ist ein großer Erfolg für mehr Bildungsgerechtigkeit in Deutschland." Das Ziel, den Anteil der Schülerinnen und Schüler, die die Mindeststandards in den Fächern Mathematik und Deutsch nicht erreichen, innerhalb von zehn Jahren zu halbieren, sei ambitioniert", sagte Warnke. "Der Weg ist anspruchsvoll, das Ziel mit einer Kennziffer klar formuliert. Das ist für die deutsche Bildungspolitik ungewöhnlich und mutig."
Von den drei Programmsäulen aus Schulbau und -ausstattung, Chancenbudget sowie Personal für multiprofessionelle Teams sei das Chancenbudget wohl mit größten Erwartungen verbunden. "Hier haben sich die Länder einen großen Gestaltungsspielraum ausgehandelt", gab Warnke zu denken: "Eine noch deutlichere Fokussierung auf die Stärkung der Basiskompetenzen wäre wünschenswert gewesen. Es bleibt zu hoffen, dass das primäre Ziel des Programms auf der Ebene der Schülerinnen und Schüler die Richtschnur sein wird."
Die linke Bildungspolitikerin Nicole Gohlke sagte: "Den Enthusiasmus vieler eines angeblich bevorstehenden 'Paradigmenswechsels' in allen Ehren, aber dieses Startchancen-Programm ist angesichts der immensen Herausforderungen im Bildungssystem völlig unterdimensioniert und von einer Trendwende sind wir weit entfernt." Allein der Sanierungsstau der Schulen belaufe sich auf 50 Milliarden Euro. Das sei umso dramatischer, als dass das Startchancen-Programm durch keinerlei weitere Maßnahmen flankiert werde. Die Bundesregierung habe ebenfalls keine Strategie, woher die benötigten Fachkräfte kommen sollten. "Das hat heute Morgen auch die SPD-Parteivorsitzende eingesehen, die in der letzten Minute auf die Idee kommt, das Ganze müsse doch größer sein."
Am Freitagmorgen hatte Saskia Esken ihre Forderung aus dem November wiederholt, die Startchancen-Mittel zu verfünffachen. "Es wäre notwendig, das Programm auf zumindest die Hälfte der Schulen auszuweiten", sagte die SPD-Chefin dem Handelsblatt. Das seien zehn Milliarden Euro pro Jahr.
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Klappentext: Spätestens mit dem Angriff auf die Ukraine stellt sich die Frage, wie Russland zu dem wurde, was es heute ist. Olaf Kühl, langjähriger Osteuropareferent der Regierenden Bürgermeister von Berlin, kennt das Land wie nur wenige; er hat es über Jahrzehnte intensiv bereist, auch abseits der grossen Metropolen, bis nach Sibirien und in den Fernen Osten. In seinem Buch zeigt er, wie sich Russland seit dem Zerfall der Sowjetunion entwickelt hat - wie hellere, freiere Köpfe allmählich durch regimehörige Funktionäre ersetzt wurden, bevor eine mafiöse Geheimdienstelite die Macht an sich riss. Fassbar wird all das in den Schicksalen der Menschen, von denen Kühl erzählt: darunter ein erfolgreicher Unternehmer, der, weil er sich vom Geheimdienst nicht erpressen lassen wollte, im Gefängnis gefoltert und getötet wurde; oder auch ein Separatistenführer, der 2014 an der Annexion der Krim beteiligt war und mittlerweile auf Konfrontation zu Putin geht. Eines lässt sich schon jetzt erkennen: Die völkisch-nationalistische Aussenpolitik wird zu heftigen, gewaltsamen inneren Umbrüchen führen, bis hin zum Zerfall des Landes - mit gefährlichen Konsequenzen auch für Europa. Ein ebenso fesselndes wie weitsichtiges Russland-Porträt.
Teil I: Einleitung - Europa von A bis Z -- Einleitung: Die EU erklären -- Das Taschenbuch als "living edition`` -- Zur Handhabung des Taschenbuchs -- Thematische Gliederung des Taschenbuchs -- Zur Entstehung des Taschenbuchs -- Europäische Einigung im historischen Überblick -- Ausgangslage: Motive und Interessen nach dem Zweiten Weltkrieg -- Gründungsmoment und Entwicklungsgeschichte -- Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl -- Europäische Verteidigungsgemeinschaft und Europäische Politische Gemeinschaft -- Die Römischen Verträge -- Integrationspolitische Erfolge, Krisen und Reformversuche in den 1960er- und 1970er-Jahren -- Dialektik von Krise und Reform: der Problemkatalog zu Beginn der 1980er-Jahre und der Weg zur Einheitlichen Europäischen Akte -- Das Ende der Spaltung: Reformmarathon und die größte Erweiterung in der Geschichte der Europäischen Union -- Die Begründung der "Europäischen Union`` mit dem Vertrag von Maastricht -- Der Vertrag von Amsterdam: ungenutzte Chance zur Kurskorrektur -- Der Versuch von Nizza -- "Europa XXL``: Erweiterungsvorbereitungen und die Entgrenzung Europas -- Der Verfassungsprozess: das erste Großprojekt der erweiterten EU -- Innovatives Reformgremium: der Europäische Konvent -- Die Referenden in Frankreich und den Niederlanden: jähes Ende des Verfassungsprojekts -- Vom Verfassungsvertrag zum Vertrag von Lissabon -- Die Reflexionsphase: Suche nach möglichen Auswegen aus der Verfassungskrise -- Führungsimpuls unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft -- Die Wirtschafts- und Finanzkrise -- Die Euro-Rettungsschirme: von der EFSF zum ESM -- Intensivere Koordinierung der Wirtschaftspolitik und supranationale Impulse -- Auf dem Weg zur Fiskalunion -- Das neue Spezifikum: auf der Suche nach der Strategie -- Europas Seele suchen -- Teil II: A -- Afrikapolitik.
In: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht: ZaöRV = Heidelberg journal of international law : HJIL, Band 83, Heft 1, S. 193-198
Questo volume presenta la tesi del dottorato discussa alla Facoltà di Scienze ecclesiastiche orientali presso Pontificio Istituto Orientale a Roma, il 16 dicembre 2019. L'opera ricostruisce, sulla base di numerosi documenti d'archivio, soprattutto vaticani (di cui molti sono pubblicati per la prima volta) le relazioni tra la Santa Sede e la Serbia dopo il congresso di Berlino e la sua indipendenza (1878) fino alla creazione del regno dei Serbi, Croati e Sloveni (1918). Sono trattati temi importantissimi: la questione del concordato (il lungo periodo dei negoziati che precedettero la firma avvenuta nel 1914, la ratifica e la breve vita di esso), le relazioni e la corrispondenza tra la corte serba e il Palazzo apostolico, le viste di sovrani e degli statisti serbi a Roma, e alla fine gli aiuti della Santa Sede in favore del popolo serbo durante la Prima guerra mondiale.