Arbeiterbewegung
In: Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945: ein Handbuch, S. 157-186
Die Arbeiterbewegung hat, so der Verfasser, im Verlauf ihrer langen Geschichte zweifellos dazu beigetragen, die soziale und kulturelle Lage der Arbeitnehmer über alle Entwicklungsbrüche hinweg kontinuierlich zu verbessern. Dies geschah in den bei den deutschen Staaten auf unterschiedliche Weise. In der Bundesrepublik schuf eine lang anhaltende wirtschaftlichen Prosperität und die Hinwendung der liberal-konservativen Regierungen zu einem vom Leitbild der Sozialpartnerschaft beeinflussten Konzept der "Sozialen Marktwirtschaft" günstige Bedingungen für eine Zustimmung und Folgebereitschaft großer Teile der Arbeitnehmerschaft. Die Teilhabe am Wohlstandszuwachs einerseits, die Möglichkeiten zur Partizipation an unternehmerischen Entscheidungen durch das System der Mitbestimmung andererseits, konnten von gewerkschaftlichen Interessenvertretungen erstritten und sogar ausgebaut werden. In der ehemaligen DDR vollzog sich die Integration der Arbeiterschaft in einen von der kommunistisch dominierten Einheitspartei totalitär geführten Staat, der als "Arbeiter- und Bauernstaat" die Einlösung der Ziele der frühen Arbeiterbewegung zu erreichen vorgab. Als dieser Staat auch ökonomisch scheiterte, brach das System an seinen inneren Widersprüchen zusammen und diskreditierte nicht nur die Symbole der Arbeiterbewegung, sondern auch ihre Ziele und Mittel - mit weit reichender Wirkung in die Zukunft. Die Perspektiven der Arbeiterbewegung liegen eher im Ungewissen. Die einstige Arbeiterpartei SPD hat sich in einem langen Reformprozess in eine Volkspartei verwandelt, die ihre Wähler in allen Schichten der Gesellschaft sucht, Anleihen bei neoliberalen Paradigmen macht und sich nur noch gelegentlich in symbolischen Ritualen an ihre Wurzeln in der Arbeiterbewegung erinnert. Die Gewerkschaftsbewegung, für die Durchsetzung ihrer Ziele auf die fallweise Mobilisierung ihrer Mitglieder angewiesen, bewahrt aus diesem Grund Restbestände ihres Bewegungscharakters, leidet aber unter einer starken bürokratischen Verkrustung ihrer Strukturen und unter ungünstigen Kontextbedingungen im Zeichen der Entgrenzung der nationalen Ökonomien. Ihre Fähigkeit zu innerer Erneuerung bleibt unsicher. (ICF2)