Der Beitrag befaßt sich aus kritischer Sicht mit der Entwicklung der Industrie- und Betriebssoziologie im Nationalsozialismus. Dazu werden zunächst der Stand der industriellen Sozialforschung vor 1933 und der Entwurf einer Betriebssoziologie durch G. Briefs (1931) dargestellt, um dann ausführlich - vor allem am Begriff der Arbeit wirtschaftlichen Organisationsprinzipien und der Wertung von Arbeit, Leistung und ethischen Prinzipien - Theorie und Praxis der Industriesoziologie im NS-Staat zu analysieren. Ergebnis ist, daß die Beziehung zwischen Sozialwissenschaft und Politik im Faschismus lange stabil gewesen ist, daß das Kernmodell einer "Sinnstiftung der Arbeit" sehr wirksam war, sodaß aus der Wissenschaft keine Gesellschafts- oder Wissenschaftskritik kam. Insgesamt war die akademische Industriesoziologie dabei nach Ansicht des Verfassers nicht von relevantem Einfluß auf die Sozial- und Wissenschaftspolitik. (HA)
"Dass die Arbeits- und Industriesoziologie organisationstheoretisches Rüstzeug braucht, wird heute kaum mehr bestritten. Das war nicht immer der Fall. So verstand sich die Industriesoziologie in der Nachkriegszeit, insbesondere in ihrer politökonomischen Ausrichtung und der intensiven Marx-Rezeption, eher als ein Fach mit gesellschaftsanalytischer und gesellschaftspolitischer Orientierung. Dementsprechend wurde die außerhalb des Faches und überwiegend auch außerhalb Deutschlands entstehende Organisationssoziologie teils ignoriert, teils wegen ihrer mangelnden gesellschaftstheoretischen Anschlussfähigkeit als Angebot zurückgewiesen. Allerdings wurde so eine Chance verpasst, die Eigensinnigkeit und Widersprüchlichkeit betrieblicher Prozesse und Strukturen erklären zu können. Mit dem Spannungsverhältnis zwischen Organisationssoziologie auf der einen Seite sowie der Arbeits- und Industriesoziologie auf der anderen ist jedoch erst ein Problemfeld angesprochen. Denn schließlich wird die ungeklärte gesellschaftstheoretische Anbindung arbeits- und industriesoziologischer Forschung mit der Rezeption organisationstheoretischer Ansätze nicht beseitigt. Auch diese Frage ist neu aufzuwerfen. Die Beiträge des Sammelbandes greifen beide Themen auf mit dem Ziel, eine Zwischenbilanz der verstreuten theoretischen Auseinandersetzung mit Organisationstheorien innerhalb des Faches zu ziehen. Neben reinen Theoriebeiträgen versammelt der Band auch Texte, die empirische Fragestellungen aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven bearbeiten. Dabei werden jeweils Verbindungen zwischen den Analyseebenen Arbeit, Organisation bzw. Betrieb/Unternehmen und Gesellschaft diskutiert." (Autorenreferat). Inhaltsverzeichnis: Michael Faust, Maria Funder, Manfred Moldaschl: Einführung: Hat oder braucht die Arbeits- und Industriesoziologie Organisationstheorien? (9-20); Hans J. Pongratz: Industriesoziologie als Institution. Eine organisationstheoretische Deutung ihrer organisationstheoretischen Defizite (21-42); Klaus Schmierl, Sabine Pfeiffer: Lego-Logik der kapitalistischen 'Netzwerkökonomie' - Theoretische Spekulationen zum Wandel von Betrieb und Technik (43-66); Ursula Holtgrewe (Kommentar zu Schmierl/Pfeffer): Ein Netzwerk aus Legosteinen? (67-72); Hermann Kotthoff: 'Call me Barney' (73-110); Stefan Kühl: Testfall Dezentralisierung. Die organisationssoziologische Wendung in der Diskussion über neue Arbeitsformen (111-146); Birgit Riegraf: Mikropolitische Analysekategorien und der Wandel vonVerhandlungssystemen in Organisationen (147-164); Arnold Windeler, Carsten Wirth: Strukturation von Arbeitsregulation: eine relationale Mehrebenenperspektive (165-194); Sylvia M. Wilz: Der Arbeitskraftunternehmer - Yeti oder Prototyp? Ein Plädoyer für aktive Grenzgängerei zwischen Arbeits-, Industrie- und Organisationssoziologie (195-226); Dorothea Jansen: Von Organisationen und Märkten zur Wirtschaftssoziologie (227-258); Katharina Bluhm: Institution, Organisation und Strategie. Konzepte institutioneller Einbettung von Unternehmenshandeln (259-282); Michael Bruch, Klaus Turk: Organisation als Regierungsdispositiv der modernen Gesellschaft (283-306); Thomas Kurtz: Arbeit, Organisation und Systemtheorie (307-320); Holger Lengfeld: Arbeitsstruktur und soziale Ungleichheit in der Organisationsgesellschaft. Eine Einladung zum Perspektivenwechsel (321-346); Andrea Maurer (Kommentar zu Lengfeld): Individuum - Organisation - Gesellschaft. Gesellschaftstheoretische Perspektiven der Organisationstheorien (347-354); Manfred Moldaschl: Institutionelle Reflexivität. Zur Analyse von 'Change' im Bermuda-Dreieck von Modernisierungs-, Organisations- und Interventionstheorie (355-382).
In: AIS-Studien: das Online-Journal der Sektion Arbeits- und Industriesoziologie in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS), Band 3, Heft 2, S. 5-13
Auch vor dem Hintergrund aktueller Veränderungen von Erwerbsarbeit bleibt die Fallstudie aufgrund ihrer vielgestaltigen Einsatzmöglichkeiten eine zentrale Forschungsstrategie für die Arbeits- und Industriesoziologie. Sie steht jedoch vor einer Reihe von Herausforderungen, die eine wesentlich intensivere Reflexion methodischer und methodologischer Probleme erfordern als bisher üblich. Offene Fragen bestehen vor allem im Hinblick auf die Fallkonstruktion, die Methodenkombination und den Theoriebezug. Da auch die internationale Diskussion zur Case Study Methodology erst am Anfang steht, sind kaum lehrbuchmäßige Lösungen verfügbar. Fallstudienempirie erfordert deshalb eine Reihe von projektspezifischen forschungsstrategischen Entscheidungen: klare Schwerpunktsetzung in den Erkenntniszielen, eine gezielte (und begründete) Auswahl von methodischen Variationen und die bewusste Reflexion praktischer Forschungserfahrungen innerhalb und zwischen Forschungsteams.
In: AIS-Studien: das Online-Journal der Sektion Arbeits- und Industriesoziologie in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS), Band 11, Heft 2, S. 91-106
Angesichts massiver Investitionen in Digitalisierungstechnologien und einem politischen Agenda-Setting, das die Alternativlosigkeit einer 'digitalen Transformation' beschwört, mehren sich auch in der Arbeitsforschung Stimmen, die der Technik eine hohe, quasi-deterministische Prägekraft auf Arbeit zuschreiben. Digitalisierung steht dabei häufig als technische Grundlage für einen erweiterten Kontroll- und Steuerungszugriff auf Arbeit, der zunehmend auch höher qualifizierte Tätigkeiten erfasst. Im Anschluss an vorliegende Konzepte der Arbeitssoziologie sowie auf Basis aktueller Forschungsergebnisse plädiert der Beitrag für die Fruchtbarkeit von drei analytischen Zugängen bei der Analyse der Zusammenhänge zwischen Digitalisierung und Arbeit. (1) Eine arbeits- und subjektorientierte Analyse von Aneignungsprozessen auf der Basis von Beobachtungs- und Interviewmethoden, (2) die Berücksichtigung stofflich-tätigkeitstypischer Eigenheiten von Branchen und Tätigkeitsfeldern sowie (3) ein Fokus auf arbeitspolitische Leitbilder, Organisationskonzepte und Aushandlungsprozesse sind zentrale Bestandteile einer nicht-deterministischen, differenzierungsfähigen Analyse des Zusammenhanges von Technik und Arbeit, die in der Lage ist typische Muster von Arbeitsfolgen der Digitalisierung sowie Gestaltungsmöglichkeiten zu identifizieren.
Am Beispiel der Entwicklung und Durchsetzung der Tastatur der Schreibmaschine bzw. des Personalcomputers belegt der vorliegende Beitrag in Anlehnung an Arbeiten von M. Granovetters folgende These: Stabile ökonomische Institutionen entstehen und entwickeln sich nicht - gleichsam automatisch entsprechend der ökonomischen Logik - als die effizienten oder gar effizientesten Antworten auf jeweilige ökonomische und technologische Probleme und Herausforderungen. Vielmehr restringieren die ökonomischen Bedingungen nur, welche Möglichkeiten zugelassen werden. Dann bestimmt individuelles und kollektives Handeln, orientiert an persönlichen Netzwerken, welche Möglichkeit tatsächlich implementiert wird. Die Tatsache, daß Institutionen, einmal etabliert, trotz möglicherweise größerer Effizienz anderer institutioneller Formen kaum geändert werden können, basiert auf Verallgemeinerungen der Idee der "Verriegelung" ineffizienter Technologien. (pmb)