Das Scheitern der Referenden über den Verfassungsvertrag für Europa (VVE) in Frankreich und den Niederlanden hat erkennen lassen, daß der politische Anspruch der europäischen Staats- und Regierungschefs nicht mit dem Willen der Wahlbevölkerung übereinstimmt. Damit wurde eine Integrationskrise offenbar: Eine Fortsetzung der Integration auf dem von den politischen Entscheidungsträgern vorgesehenen Weg erscheint vorerst nicht möglich. Die Ablehnung des VVE könnte auch Auswirkungen auf Politikbereiche haben, deren Integration von den Bürgerinnen und Bürgern befürwortet wird. Dies trifft etwa für die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) zu, die seit ihrer Lancierung Ende der neunziger Jahre in der Bevölkerung eine sehr hohe Zustimmung erfährt. Bedarf es zur Fortentwicklung der ESVP zwingend des Inkrafttretens des VVE? Welche Auswirkungen könnte die Integrationskrise auf die ESVP haben? (SWP-aktuell / SWP)
Der Verfasser zeigt, dass Europa gegenwärtig in konventioneller militärischer Hinsicht nicht gefährdet erscheint. Es ist sicherheitspolitisch konsolidiert, solange die EU und die NATO funktionieren. Diese Situation ist aber nur bedingt gültig, weil das Funktionieren von EU und NATO ein dafür vorausgesetzter Umstand ist. Ein Scheitern der EU könnte fatale Folgen für die europäische Sicherheitssituation haben. In diesem Fall würde die Bedeutung außereuropäischer Mächte als Akteure für die europäische Situation steigen. Es wird betont, dass alle Anstrengungen unternommen werden müssen, um die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU weiterzuentwickeln. Außerdem ist der Weiterentwicklung der europäisch-amerikanischen Beziehungen größtes Augenmerk zu schenken. Bis dahin, das heißt bis zum Funktionieren der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Identifizierung gesamteuropäischer Interessen als Basis europäischer Politik und gemeinsamer Zielsetzungen, werden die Mitgliedsstaaten als sicherheits- und verteidigungspolitische Akteure über ein hohes Maß an autonomen Fähigkeiten auf diesem Gebiet verfügen, und sie tragen als eigenständige Akteure die Verantwortung für die Entwicklung im Bereich der Sicherheitspolitik. Als Indiz für das Erreichen der Unumkehrbarkeit der europäischen Integration kann erst die Aufstellung europäischer Streitkräfte, über die die Mitgliedsstaaten keine unmittelbare Kontrolle mehr haben, angesehen werden. Das scheint derzeit noch in sehr weiter Ferne. (ICG2)
In: Europäische Sicherheit und Streitkräftereform in der Weltgesellschaft: ausgewählte Beiträge zu einem Seminar an der Landesverteidigungsakademie Wien (Dezember 2004), S. 58-75
Der Beitrag beschreibt hauptsächlich die außen-, sicherheits- und verteidigungspolitisch relevanten Aspekte, die in der EU-Verfassung angeführt sind, und deren Umsetzung. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und ihre integrale sicherheits- und verteidigungspolitische Komponente bewegen sich im Spannungsverhältnis zwischen zwei Faktoren: Auf der einen Seite soll sich die EU zu einem umfassenden sicherheitspolitischen Akteur entwickeln, um auf die vielfältigen und weltweiten Herausforderungen reagieren zu können. Auf der anderen Seite ist dieser Bereich durch die interessegeleitete nationale Außen- und Sicherheitspolitik der EU-Mitgliedstaaten dominiert. Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes veränderte sich die internationale Sicherheitssituation. In Europa setzte sich das Bewusstsein durch, diesen neuen sicherheitspolitischen Anforderungen nicht gewachsen zu sein. Deshalb beschlossen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), sich im außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich stärker zu engagieren und ihre Handlungsfähigkeit auszubauen. Um diesem sicherheits- und verteidigungspolitischen Projekt mehr Bedeutung beizumessen, verankerten sie die rechtliche Grundstruktur der ESVP, die ein integrativer Bestandteil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ist, im Vertrag von Nizza, der am 1. Februar 2003 in Kraft trat. Trotz der EU-internen Fortschritte in diesem Bereich konnten die Mitgliedstaaten auf die neuen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht angemessen reagieren: sie standen dem Irak-Krieg machtlos gegenüber. Weltpolitische Ereignisse wie z.B. die Anschläge vom 11. September 2001, die Irak-Krise 2003 und die damit verbundene Handlungsunfähigkeit der EU-Staaten im außenpolitischen Bereich sowie die gegenwärtigen terroristischen Bedrohungen bewogen die EU-Repräsentanten, die ESVP weiterzuentwickeln und zu stärken. (ICA2)
Der Autor diskutiert zukünftige integrationspolitische Szenarien in der EU sowie die Konsequenzen, die aus dieser Debatte für die Bemühungen um eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) bzw. Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) gezogen werden können. Er weist zunächst auf einige Ambivalenzen der europäischen Politik hin und gibt einen kurzen Überblick über die derzeitige europapolitische Problemagenda. Er hebt anschließend die Bedeutung von flexiblen Integrationsformen hervor und skizziert die Reformansätze in der Außen- und Sicherheitspolitik der EU. In Bezug auf die untersuchten Szenarien zur Finalität des Integrationsprozesses stellt er fest, dass die Wahrscheinlichkeit des "Muddling-Through-Szenarios" größer sei als diejenige des "Staatswerdungsszenarios". Die Chance für substanzielle Veränderungen in einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik Europas ist nach Ansicht des Autors eher gering einzuschätzen. Eine radikale Verlagerung sicherheitspolitischer Souveränität und die Einführung von Mehrheitsentscheidungen sind nämlich gerade auch im Bereich der GASP/ESVP notwendig, aber zur Zeit nicht mehrheitsfähig. Es ist daher nicht zu erwarten, "dass mit 25 Staaten das gelingen könnte, was schon mit 15 Staaten nicht erreicht werden konnte: die wirksame Einbringung einer gemeinsamen europäischen Stimme in die internationale Politik." (ICI2)
Defence date: 8 December 2006 ; Examining Board: Prof. Gunther Hellmann (Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a.M.) ; Prof. Jens Otmar Höll (Österreichisches Institut für Internationale Politik, Wien) ; Prof. Alexander H. Trechsel (EUI, Florenz) ; Prof. Firedrich Kratochwil (EUI, Florenz, Supervisor)
"Wenn die EU ab 1. Januar 2003 die Internationale Polizeieinsatztruppe in Bosnien-Herzegowina und vielleicht auch die Mission in Mazedonien übernimmt, tut sie dies vor allem, um der bisher erst an ihrem Anfang stehenden Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik Leben einzuhauchen. Mit den beiden Einsätzen kann die EU zu einer besseren Lastenteilung mit den USA beitragen und die ESVP in einem überschaubaren Rahmen in der Praxis erproben." (Autorenreferat)