Sammelrezension zu: 1) Ernst Basler: Strategie des Fortschritts: Umweltbelastung, Lebensraumverknappung und Zukunftsforschung. München: BLV Verl.-Ges. 1973. 2) Werner Braunbek: Die unheimliche Wachstumsformel. München: List 1973. 3) Richard Bailey (u.a.): Energie, Mensch und Umwelt. Bern u.a.: Lang 1973. 4) Helmut Swoboda: Die Qualität des Lebens: vom Wohlstand zum Wohlbefinden. Stuttgart: Dt. Verl.-Anstalt 1973.
In: Sozialwissenschaftliche Informationen für Unterricht und Studium: sowi, Band 1, Heft 4, S. 3-6
ISSN: 0340-2304, 0340-2304
Am Beispiel der wissenschaftlichen Beschäftigung mit China läßt sich der überwiegend konservative Charakter der Asienforschung in den USA und der BRD belegen. Die traditionelle Asienforschung geht davon aus, daß nicht die Ausbeutung durch westlichen Imperialismus, sondern ein konfuzianisch begründeter Immobilismus China an einer angemessenen Reaktion auf das Industriezeitalter hinderte. Die imperialistischen Wirtschaftsinteressen und die von ihnen ausgehende Wirtschafts- 'Invasion' wirkten sich jedoch so nachhaltig auf China aus, daß sich nie ein modernes chinesisches Gewerbe entwickelte. Dieser Hintergrund bestimmte auch die Ausgangslage der Volksrepublik China 1949. Die Gesamtwirtschaft zerfiel in drei ökonomisch voneinander weitgehend isolierte Teile: den Schwerindustrie-Komplex, Industrie- und Handelsbetriebe in den Küstenstädten, den großen landwirtschaftlichen Sektor. Im Umwandlungsprozeß der Wirtschaft wurde der Landwirtschaft eine Schlüsselstellung zugesprochen, die über Agrarreformen, Bildung von Kooperativen und landwirtschaftlichen Produktionsgemeinschaften bis hin zu den Volkskommunen zu realisieren versucht wurde und in deren Gefolge die landwirtschaftliche Produktion einen beträchtlichen Aufschwung nahm. Trotzdem mußte sich China einen Teil seines Getreidebedarfs in den 60er Jahren noch durch Importe sichern, wodurch seine Zahlungsbilanz stark belastet wurde. Der Ausbau der landwirtschaftlichen Produktion war jedoch eine unabdingbare Voraussetzung eines erfolgreichen Entwicklungsprozesses und auch jeglicher industriellen Entwicklung. Das Problem landwirtschaftliche versus industrielle Entwicklung hat gerade in China im Zentrum der internen entwicklungspolitischen Auseinandersetzung gestanden und verschiedene Stadien durchlaufen, die die Strategie von der Landwirtschaft als Grundlage und der Industrie als dem treibenden Faktor der Volkswirtschaft bestätigt haben. Neben einem kontinuierlichen Wirtschaftswachstum ist dieser Entwicklungsstrategie die weitgehende Beseitigung regionaler Ungleichgewichte und der Ausbau der Klein- und Mittelindustrien sowie der örtlichen Industrien zu danken. Auf lange Sicht sollen damit die Voraussetzungen für eine Integration von Industrie und Landwirtschaft, Stadt und Land, körperlicher und geistiger Arbeit geschaffen werden. (HH)
In: Sozialwissenschaftliche Informationen für Unterricht und Studium: sowi, Band 1, Heft 4, S. 10-13
ISSN: 0340-2304, 0340-2304
Baer und Sunkel versuchen nachzuweisen, daß die von den Industrieländern propagierte Form der Entwicklungshilfe 'Industrialisierung zur Ersetzung von Importen' (ISI) die Lage der Entwicklungsländer strukturell eher noch verschlechtert. ISI ist ein Versuch der ökonomisch weniger entwickelten Länder, aus der globalen Arbeitsteilung (Export von Nahrungsmitteln und Rohmaterial und Import verarbeiteter Güter aus Europa und den USA), wie sie sich seit dem 19. Jahrhundert entwickelte, auszubrechen. Dahinter steht im Grunde die These eines unilinearen Evolutionsschemas, nach der sich alle Länder an der Entwicklung der ersten Industrienation Großbritannien zu orientieren hätten. Um 1950 wurde ISI zu offiziellen UN- Politik für Lateinamerika erhoben. Die erstrebten Ergebnisse der eingeleiteten Industrialisierungsmaßnahmen- -Absorption der Arbeitslosen, Deckung des internen Bedarfs, Streuung des Exports, hohe Zuwachsraten, Schaffung einer eigenständigen und konkurenzfähigen Industrie - stellten sich jedoch nicht im erwünschten Ausmaß ein. Baer unterscheidet zwei 'Schulen', die das Versagen zu erklären versuchen: die Marktkritiker, nach deren Theorem der komparativen Vorteile Länder sich jeweils auf diejenigen Produkte spezialisieren sollen, die von ihnen im globalen Vergleich am kostengünstigsten herstellbar sind; die strukturellen Kritiker, die monieren, das ISI die Arbeitslosigkeit nicht beseitigt, sondern die ungleiche Einkommensverteilung eher noch verstärkt habe; desgleichen verweisen sie auf die Gefahr eines Binnenkolonialismus in Form von Abhängigkeit und Ausbeutung des Hinterlandes von den ökonomischen Metropolen. Baer und Sunkel beschränken sich nicht auf eine Kritik der nationalen Regierungen und ihrer Strategien, sondern betonen die notwendige Bereitschaft Europas und der USA, lateinamerikanische Produkte zu importieren, denn neben der Weltmaktstruktur und den Kreditbedingungen wirken sich auch die üblichen Industrieförderungsmaßnahmen der Regierungen der Industrienationen und der Aufbau internationaler Superkonzerne negativ für die Entwicklungsländer aus. Außer ökonomischen ergeben sich daraus auch soziale und politische Konsequenzen, die die Abhängigkeit verstärken: die Einführung kapitalintensiver Techniken zerstört die traditionell arbeitsintensive Produktionsstruktur; die Mittelklassen sinken ab, in der Arbeiterschicht kommt es zur Bildung einer kleinen Arbeiteraristokratie und einer Mehrheit von Unterbeschäftigten. (HH)
In: Sozialwissenschaftliche Informationen für Unterricht und Studium: sowi, Band 1, Heft 4, S. 14-17
ISSN: 0340-2304, 0340-2304
Den von Bohnet vorgestellten verschiedenen entwicklungstheoretischen Ansätzen ist gemeinsam, daß sie die Ursache der Armut der Entwicklungsländer erklären helfen und Überwindungsmöglichkeiten aufzeigen wollen. Dualismustherorien wie Strategietheorien wenden sich ökonomischen Aspekten und Folgen von Armut zu, die Außenhandelstheorien heben die ungleichen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Industrieländern und den Ländern der Dritten Welt hervor und bestätigen mit ihrem empirischstatistischen Material bedeutende Teile der marxistischen Entwicklungstheorie von der 'neokolonialen Ausbeutung'. Die demographisch orientierten Theorieansätze untersuchen das generative Verhalten und die Faktoren, die zu seiner Veränderung führen. Von den soziologischen Modernisierungstheorien wird Modernisierung als ein Vorgang aufgefaßt, in dem sich der Grad der Anpassungsfähigkeit der Gesellschaft an ihre inneren und äußeren Existenzbedingungen und gleichzeitig der Grad ihrer Gestaltungsfähigkeit dieser Bedingungen erhöht, ihre Neuerungs- und Selbststeuerungsfähigkeit, ihre Effizienz und Rationalität zunehmen. Bezüglich der Mehrzahl der von Bohnet angeführten Entwicklungstheorien zeigt sich, daß Wertbezüge und Werturteile nur vorgeblich ausgeklammert sind: eine Zielbestimmung der für notwendig gehaltenen Entwicklung unterbleibt. Psychologisch orientierte Denkansätze versuchen die Persönlichkeitsmerkmale und psychische Struktur zu bezeichnen, ohne die eine 'Modernisierung' der Gesellschaftsstrukturen nicht stattfinden kann. Die Sozialisationspraktiken traditionaler Gesellschaften begünstigen jedoch die Herausbildung unschöpferischer Persönlichkeitstypen mit geringem Autonomie- und Leistungsbedürfnis. In einem mangelden Leistungsbedürfnis sehen mehrere Erklärungsversuche von Armut einen wichtigen Grund für deren Fortbestehen. Dieser Ansatz ist nach Seibel revisionsbedürftig, da viele nichtmodernisierte Gesellschaften etwa gleich stark in dem Grad der in ihnen verbreiteten Leistungsorientierung variieren wie modernisierte Gesellschaften. Aus dieser Erkenntnis entwickelt Seibel zwei Entwicklungsmodelle, die zwischen Modernisierung von unten bzw. von oben unterscheiden. Albrecht führt den Mangel an Leistungsmotivation nicht primär auf die statischen Gesellschaftsstrukturen zurück, sondern sieht darin eine Anpassungsform an die Situationszwänge der Armut, die bei der vorgegebenen Verteilung der Lebenschancen die einzige Alternative des Überlebens ist. Nur gesamtgesellschaftliche Strukturveränderungen können diesen Zustand letzlich beheben. (HH)