Ein ethnisches Leporello: Exemplifizierung ethnischer Kooperationen aus Mitteleuropa
In: Schriftenreihe Socialia Bd. 133
In: Schriftenreihe Socialia Bd. 133
In: Studien Zur Schul- und Bildungsforschung Ser. v.50
Intro -- Inhaltsverzeichnis -- Habitus - Schule - Schüler: Eine Einleitung -- 1. (Schüler-)Habitus - reflexive Vermittlung von Struktur und Akteur, Sozialität und Subjektivität? -- 2. Die Schule als universalistische Instanz der Moderne oder als "kulturelle Willkür" der Bildungsreproduktion? -- 3. Feld und Habitus - das Konzept der Passung -- 4. Crossing borders: Der "jugendliche" Habitus und die Felder - Familie, Schule, Peers -- 5. Stabilität oder Wandel, Reproduktion und/oder Transformation? Überlegungen zur "Habitusbildung" -- 6. Ausdifferenzierungen des Habitus: Schulen und ihre Schüler -- 7. Wie lässt sich der Schülerhabitus erschließen? Qualitative methodische Zugänge -- Literatur -- I. Theoretische und methodologische Grundlagen zur Analyse des Schülerhabitus -- Habitus, Norm und Identität -- 1. Habitus, Orientierungsrahmen und Orientierungsschemata -- 2. Habitus, Norm und soziale Identität: empirische Exemplifizierung -- 3. Der exteriore Charakter normativer Erwartungen -- 4. Normen, Institutionen und Rollenbeziehungen im Sinne der Phänomenologischen Soziologie -- 5. Strategische Selbstpräsentation und die Konstitution persönlicher Identität im Unterschied zur habituellen Übereinstimmung -- 6. Identitätsversus Habitusdifferenzen: empirische Exemplifizierung -- 7. Habitus, Rollendistanz und die Bewältigung diskrepanter sozialer Identitäten -- 8. Mehrebenenanalyse und mehrdimensionale Typenund Kategorienbildung als Äquivalente zur Konzeption des Feldes -- Literatur -- Die Pluralität der Habitusund Milieuformen bei Lernenden und Lehrenden. Theoretische und methodologische Überlegungen zum Verhältnis von Habitus und sozialem Raum -- 1. Das Problem der fehlenden horizontalen gesellschaftlichen Differenzierung -- 2. Die Pluralität der Habitus- und Milieuformen -- 3. Habitusforschung und Hermeneutik des Habitus.
In: Handbuch Migration und Bildung., S. 140-154
Das Ziel der hier vorgelegten Systematisierung des Forschungsstandes zum Problem "Sprache und Integration" ist die Untersuchung dieser Hypothese: Ethnische Schichtungen hängen eng mit sprachlichen Fertigkeiten zusammen und lassen sich darüber bereits weitgehend erklären, und erst wenn diese "meritokratischen" Einflüsse berücksichtigt sind, kann an andere Mechanismen gedacht werden, wie leistungsunabhängige Stereotype oder Diskriminierungen. Die zentralen Ergebnisse der Untersuchung lassen sich in relativ wenigen Punkten zusammenfassen. Der Spracherwerb ist, unter Zusammenführung entsprechender Hypothesen aus der Linguistik, der Sprachpsychologie, der Ökonomie und der Soziologie, theoretisch als eine - mehr oder weniger intentionale - Investition unter bestimmten sozialen Bedingungen aufzufassen, die allgemein von der Motivation, dem Zugang, der Effizienz und den Kosten dieser Investition abhängig ist. Es ist ein Spezialfall der verschiedenen Prozesse der sozialen Integration allgemein, speziell der kulturellen Integration, und das Modell lässt sich für alle Formen des Spracherwerbs anwenden: Muttersprache, Zweit- und Drittsprache(n) und damit für alle Formen der Multilingualität. Bei den sozialen Bedingungen des besonders wichtigen Falles des (Zweit-)Spracherwerbs von Migranten sind vier Ebenen zu unterscheiden: die Familien- und Migrationsbiografien der individuellen Migranten, das Herkunftsland, das Aufnahmeland und der ethnische Kontext. Die sozialen Bedingungen bilden jeweils konkrete Exemplifizierungen der (vier) grundlegenden theoretischen Konstrukte des Spracherwerbs, und die mit ihnen verbundenen statistisch feststellbaren Wirkungen erhalten ihre theoretische Erklärung über entsprechende Zuordnungen (Brückenhypothesen) zum theoretischen Modell. Die in den verschiedenen Studien vor diesem Hintergrund vorfindbaren empirischen Ergebnisse konvergieren damit nicht nur nahezu ausnahmslos, auch im internationalen Vergleich und über verschiedene Konstellationen ethnischer Gruppen hinweg, sondern finden bis hinein in einige kaum zu erwartende Details, etwa bestimmter statistischer Interaktionseffekte bei den relevanten Bedingungen, eine nachhaltige Unterstützung. Das trifft auf alle vier behandelten inhaltlichen Felder zu: Zweitspracherwerb, Bilingualität und language shift, schulische (Sprach-)Leistungen beziehungsweise Bildungserfolg und die Positionierung und der Erfolg auf dem Arbeitsmarkt. (DIPF/Orig.).
"Theatervermittlung ist kein einheitlich definierter Begriff […] und die Grenzen zu Pädagogik, Marketing oder Kunsttheater sind uneindeutig", erklären Myrna-Alice Prinz-Kiesbüye und Yvonne Schmidt in ihrem 2010 erschienenen Beitrag Theater für alle, aber nicht von allen?. Das aktuelle Forschungsfeld der Theatervermittlung konstituiert – durch die spezifischen Funktionen und die unterschiedlichen Vermittlungspraktiken und Zielgruppen, die begreiflicherweise in dieses Gebiet eingewoben sind – ein breites (Wissenschafts-)Spektrum. Dabei tritt immer häufiger der wissenschaftliche Diskurs in den Vordergrund. Aufbauend auf theoretische Überlegungen und aktuelle Publikationen befasst sich der vom Institut für Theaterwissenschaft der Universität Bern in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule der Künste herausgegebene Sammelband mit einem herausfordernden Vorhaben: Er will die Diskrepanz zwischen wissenschaftlichem Diskurs und Praxiswissen verringern und die Theatervermittlung als reflexive Praxis mitgestalten. Durch die fachlich soliden und praxisorientierten Beiträge von Wissenschaftler_innen und Praktiker_innen aus verschiedenen Disziplinen wird auf reflexiver Ebene das Berufsfeld der Theatervermittlung (nach Ute Pinkert) 'auf dem Weg zur Professionalisierung' bestätigt. Die Analyse und Systematisierung des vorhandenen Praxiswissens unterstützt zudem die Herausarbeitung eines Fachdiskurses und die Positionierung von Theatervermittlung innerhalb des Tätigkeitsbereichs von Theater. Die im Band enthaltenen Beiträge thematisieren in vielfältigen Vermittlungsansätzen die kulturelle Teilhabe verschiedener sozialer Schichten am Theater. Zahlreiche Formen der Partizipation stehen dabei zur Diskussion. Aus unterschiedlichen Perspektiven wird die gesamte Bandbreite der Ausgestaltungen von Theatervermittlung auf ausgewogene Weise dargelegt, wobei der Schwerpunkt auf der Politik-, Theater- und Kulturlandschaft der Schweiz liegt. Andreas Kottes Vorwort eröffnet den Band aus einer sehr öffentlichkeitsbezogenen, ökonomischen Perspektive mit der Frage nach den gesellschaftlichen Effekten von Kultur; einer Kultur, die sich – bestimmt durch wirtschaftliche Faktoren – in einem Kampf um Aufmerksamkeit, Öffentlichkeit und Zahlen anpreisen muss. Im ersten Teil des Bandes mit der Überschrift "Vermittlung – Kunst – Pädagogik" präsentiert Alexander Henschel Überlegungen zum "Begriff der Vermittlung" in kunst- und kulturwissenschaftlichen Diskursen. Sarah Uwer leistet anschließend einen historischen Überblick über die institutionelle "Kulturvermittlung in der Schweizer Kulturpolitik". Der vorwiegend theoretisch konzipierte und einleitende Teil wird durch die praktisch-vermittelnde Sichtweise von Myrna-Alice Prinz-Kiesbüye abgerundet. Sie veranschaulicht die Beziehungen von Theater und Öffentlichkeit anhand des Vermittlungsprojekts "Theaterattaché(e)s", welches vor allem für die erwachsene Zuschauer_innenschaft konzipiert ist und die Erweiterung des Publikums sowie den Austausch zwischen Publikum und Theaterhaus fokussiert. In Folge stehen spezifischere Themenbereiche sowie die Exemplifizierung unterschiedlicher Perspektiven, die sich aus diesem Spannungsfeld (Vermittlung, Pädagogik, Kunst) entwickeln, im Vordergrund. Die an der Praxis orientierten Beispiele, die hauptsächlich in den transformativen Diskurs innerhalb der Theatervermittlung einzuordnen sind, legen Vermittlungsansätze aus den Bereichen Kinder- und Jugendtheater, Theater im öffentlichen Raum, Theater mit professionellen und nicht-professionellen Darsteller_innen, Theater mit Menschen mit Behinderung und Theaterprojekten von und mit Migrant_innen dar. Dabei wird das Verhältnis zwischen Kunst, Vermittlung und Pädagogik neu bewertet. Besonders herzuheben sind hierbei die vielen praxisnahen Beiträge, wie Ralph Fischers Workshopbeschreibung der im öffentlichen Raum arbeitenden britischen Gruppe Wrights&Sites, Virginia Thielckes Untersuchungen der freien experimentellen Theaterszene im Schulunterricht in Deutschland oder Charlotte Baumgarts Einblicke und "Beobachtungen zur ästhetischen Kommunikation im Kindertheater" der Schweiz. Im zweiten Teil des Bandes, betitelt mit "Über Theater schreiben – über Theater lesen", der aus einem einzigen Artikel von Pia Strickler besteht, wird die Produktions- und Rezeptionsseite von Theaterberichterstattung am Beispiel des Berner Traditionsblattes Der Bund und der Berner Zeitung analysiert. Dieser umfangsmäßig schmal ausgefallene Teil des Bandes fokussiert die Frage, wie heutzutage in Printmedien zwischen Theater und Öffentlichkeit vermittelt wird. Strickler erklärt darin die vermittelnde Funktion der Theaterberichterstattung mit der Aufgabe, zwischen Gegenwärtigem, Vergangenem der "Geschichtlichkeit" (S. 201) und der Öffentlichkeit zu verhandeln. Sie unterstreicht damit den transitorischen Charakter des Theaterereignisses. Mit einem deutlich auf die Medienlandschaft der Schweiz gelegten Schwerpunkt stellt sie dabei Bezüge zur 200-jährigen Praxis der Theaterberichterstattung im deutschsprachigen Raum her. Strickler öffnet das Untersuchungsfeld in Richtung 'kulturelles Gedächtnis' und Theaterkritik als unverzichtbares Erinnerungs- und Rekonstruktionsmaterial: "Theaterkritik [trägt] das Theaterereignis als künstlerischen Vorgang nach au[ß]en, befreit es von seiner räumlichen Begrenztheit und bringt es in schriftlicher Form ein in den regionalen, nationalen und internationalen Diskurs über Theater" (S. 248). An diesem Artikel zeigt sich: der Band richtet sich an eine sehr praxisbezogene, im Theaterbereich arbeitende und mit theaterpädagogischen Thematiken vertraute sowie an Theatervermittlung/Rezeptionsforschung interessierte Leser_innenschaft. Auffallend ist der stark disziplinenübergreifende Charakter. Indem Vermittlung in diesem Sammelband in ihrer gesamten Bandbreite verstanden wird, stecken manche Artikel einen zu großen Rahmen an Themengebieten ab: vom Chormodell der Antike in zeitgenössischen Produktionen bis hin zu Fragestellungen der Postcolonial Studies, kulturellem Rassismus und dem von "Rassismen durchzogenen Diskursumfeld wie dem aktuellen Migrationsdiskurs in Deutschland" (S.175). Kaum anders verhält es sich mit den Beiträgen, die sich mit der Arbeit von Theatervermittler_innen im Kinder- und Jugendbereich sowie mit der Vermittlung zwischen Künstler_innen und Schulen (z. B mit dem Projekt Theater und Schule: TUSCH) beschäftigen, wobei hier die Suche nach neuen Verknüpfungen zwischen Theater und Öffentlichkeit besonders deutlich in den Vordergrund tritt. Trotz dieser Kritikpunkte ist Theater und Öffentlichkeit. Theatervermittlung als Problem in summa betrachtet ein anregender, informativer und durchwegs notwendiger Forschungsbeitrag, der sowohl theoretisch als auch anhand von praxisnahen Beispielen die Vermittlungsprozesse zwischen Theater und Öffentlichkeit nachdrücklich thematisiert.
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Das von Peter W. Marx jüngst herausgegebene Handbuch Drama wählt einen Ansatz, der auf ein ahistorisch-transkulturelles, evolutionäres und traditionelles Verständnis der dramatischen Gattung verzichtet. Vielmehr trägt der Band der Besonderheit Rechnung, "dass das Drama keine in sich ruhende Form darstellt, sondern per definitionem eine Schnittstelle zur szenischen Darstellung bereit hält" (S. VII). In den Blickpunkt rücken somit der liminale Charakter des Dramas, dessen inhärente Offenheit für das Theater sowie seine Verortetheit innerhalb des Spannungsfeldes von Textualität und Performativität, deren historisierende Exemplifizierung das erklärte Ziel dieser Publikation darstellt. Das in diesem Methodenansatz implizit angelegte Eröffnen verschiedener dramentheoretischer "Zugangsweisen in einem nicht-homologisierbaren Diskurs" (S. 1) bedingt auch die interdisziplinäre ReferentInnenauswahl. Neben Marx beteiligen sich 27 weitere AutorInnen aus unterschiedlichen Fachgebieten: Theater-, Musik- und Literaturwissenschaft, Klassische Philologie, Japanologie und Anglistik. Das Handbuch Drama gliedert sich in drei umfassende Abschnitte. Im ersten Teil ("Begriffe und Konzepte") werden in zehn Beiträgen dramentheoretische Grundlagen beschrieben und zentrale Termini sowie Diskurspositionen erörtert. Einführend stellt Marx mit seiner Darlegung heuristisch gezogener "Linien der Dramentheorie" (S. 1) drei grundlegende Ansatzrichtungen der traditionellen Wissenschaftsdiskussion vor. Anschließend widmet sich Julia Stenzel eingehend der aristotelischen Poetik. Unter steter Reflexion älterer und neuerer Forschungspositionen diskutiert sie wesentliche Kernbegriffe und gattungs- wie medientheoretische und rezeptionsästhetische Überlegungen. Die folgenden drei Beiträge thematisieren Wirkungskategorien des Dramas und des Theaters: Das Tragische als Wirkungsart nimmt Alexandra Portmann in den Blick, während Marx das Komische anhand neuerer anthropologischer Forschungsansätze beleuchtet, die bei der Bewertung der Funktion des Lachens ansetzen. Der ebenfalls von Marx verfasste Beitrag zum Wunderbaren, das als ästhetische Kategorie im dramentheoretischen Kontext gegenwärtig nur wenig beachtet wird, beleuchtet vor dem Hintergrund ästhetischer Diskussionen des 18. Jahrhunderts die Korrelationen zwischen Drama, Theater und Wunderbarem, die im Spannungsfeld von Kunst bzw. Kunsttheorie, Natur und Technik evident werden. Peter M. Boenisch reflektiert das Verhältnis von Drama und Dramaturgie. Nach der Vorstellung zentraler Wegbereiter (Lessing, Brecht), unter deren Einfluss sich dramaturgische Arbeit zunehmend als polyrelationale Vermittlungsinstanz etabliert habe, wird Dramaturgie als analytischer Prozess ausgewiesen und auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse definiert. Der gattungstheoretisch-systematischen Verortung des Dramas gilt der Beitrag von Michael Bachmann. Er leistet eine historisch weitreichende Analyse der innerhalb des Gattungsdiskurses propagierten (hierarchischen) Differenzkriterien sowie solcher Konzepte, die von starr eingrenzenden Gattungssystematiken Abstand nehmen. Miriam Drewes' Artikel befasst sich mit Ansätzen, welche postdramatisches Theater zu kategorisieren versuchen und skizziert die performative Neupositionierung wichtiger Konstituenten des traditionell-textzentrierten Dramas innerhalb dieser Theaterformen. Die letzten beiden Aufsätze des Theorieteils befassen sich gezielt mit Interdependenzen interkultureller und intermedialer Wechselbeziehungen. Während Christopher Balme in seinem Beitrag zur interkulturellen Dramaturgie den "Austausch zwischen Dramenformen unterschiedlicher kultureller Provenienz" (S. 85) in den Blick nimmt, konturiert Wolf-Dieter Ernst an konkreten Fallbeispielen das Konzept der 'intermedialen Dramaturgie' aus phänomenologischer, historischer sowie forschungs- bzw. medientheoretischer Sicht. Der insgesamt acht Beiträge umfassende Mittelpart des Handbuches ("Annäherung an das Drama in analytischer Perspektive") ist der Systematik der Dramenanalyse verschrieben. Nicolette Kretz präzisiert die Termini 'Figur', 'Handlung' und 'Dialog' in ihren Erscheinungsformen sowie in ihrer gegenseitigen Relation, während Boenisch einen Einblick in die Prinzipien der dramaturgischen Komposition des Dramas gibt und hierbei dessen theatrale Medialität aufzeigt. Anschließend fokussiert Marx in einem knappen Beitrag die Regieanweisung als dramatisches Textelement und leistet einen kompakten entwicklungsgeschichtlichen Abriss von der Antike bis in die jüngste Gegenwart. Kurt Taroff widmet sich der Frage nach dem mutmaßlichen Standpunkt des Rezipienten, welcher ein zentrales Thema der Theater- und Dramenforschung darstelle. Im Durchgang durch verschiedene Theaterformen und zeitliche Kontexte verdeutlicht er Positionierungen des Publikums vor dem Hintergrund wechselnder Identifikationspotenziale, Figurenkonzeptionen und narrativer Strategien. Bettina Brandl-Risi veranschaulicht, dass den dramentheoretischen Konzepten, die seit dem 18. Jahrhundert mit einem auf Kontinuität, Kohärenz und Progression setzenden, aristotelisch geprägten Handlungsbegriff operierten, in der Aufführungspraxis des 18. und 19. Jahrhunderts retardierende Dramaturgien der Diversität und der Unterbrechung (Tableaux, Intermezzi sowie Nach- und Vorspiele) entgegenstanden. Mit Peter Szondis dramentheoretischem Ansatz (vgl. Theorie des modernen Dramas) und dessen historisch-strukturanalytischer Relevanz beschäftigt sich Boenisch. Er erläutert konstitutive Aspekte des Konzepts der 'Absolutheit des Dramas' sowie die dramenspezifischen Veränderungen, die laut Szondi seit Ende des 19. Jahrhunderts die 'Krise des Dramas' herbeigeführt haben. Die letzten beiden Aufsätze des analytischen Teils behandeln explizit die Liminalität des Dramas. Während Marx das Verhältnis von Drama und Performativität untersucht und Positionen aus der Literatur- und Theaterwissenschaft sowie der Performance-Forschung diskutiert, spürt Drewes den neuen Herausforderungen nach, die sich nach der Auflösung traditioneller Gattungsnormen und durch den dramatischen und theatralen Formwandel seit Beginn des 20. Jahrhunderts für die Analysepraxis ergeben haben. Der dritte Abschnitt der Publikation ("Gattungen des Dramas im historischen Kontext") skizziert in achtzehn Beiträgen mit einem größtenteils europäischen, aber auch außereuropäischen Fokus, der zwischen dramatischer Textgattung und jeweiliger theatraler Praxis oszilliert, eine Auswahl diverser Dramen- und Theaterformen. Im Anschluss an eine knappe problematisierende Einstimmung (Marx) setzt die historische Überblicksdarstellung bei der Antike ein. Martin Hose reflektiert die Genese der griechischen Tragödie und Komödie sowie deren institutionelle Einbindung ins Kultische samt den Orten ihrer Aufführung und erläutert neben formalen Aspekten die anthropologisch-theologische Disposition der tragischen Gattung sowie die zwischen Überzeichnung und Realitätsnähe changierende Verfasstheit der Komödie. Auch die römische Dramatik findet Berücksichtigung. Traditionelle Gattungen des asiatischen Theaters behandeln die folgenden Beiträge. Stanca Scholz-Cionca und Andreas Regelsberger veranschaulichen essentielle Parameter des Nô-Dramas sowie des Puppen- und Kabuki-Theaters in Japan. Balme und Michael Gissenwehrer explizieren die Entwicklungsgeschichte und konstitutive Charakteristika des indischen Sanskrit-Dramas sowie der frühzeitlichen chinesischen Theaterkultur. Julia Stenzel und Jan Mohr befassen sich in einem gemeinsamen Artikel mit den geistlichen Spielen des Mittelalters und beschreiben die Formen, Themen, liturgischen Strukturen, Textträger sowie die diversen Spielvarianten innerhalb ihrer spezifischen sozialen Situierungen. Die Anglistin Virginia Richter führt in das englische Drama und Theater der Frühen Neuzeit ein. Mit Fokus auf Shakespeares Werk diskutiert sie das zeitgenössische Gattungsbewusstsein, arbeitet das epochencharakteristische Wechselspiel von Textualität und Performativität heraus und analysiert divergente Repräsentationsmodi von Tragödie und Komödie. Die italienische Improvisationscomœdie im 16., 17. und 18. Jahrhundert ist, wie Stefan Hulfeld zeigt, eine hochgradig ambivalente Theaterform. Entstanden unter dem Einfluss zweier einander konträr gegenüberstehenden theatralen Spielrichtungen der frühen Neuzeit tritt ihre spezifische Dramatik zutage als reziprokes Resultat einer aus szenischer Sukzessivität konstruierten Fabel und dem Spiel der Masken, die als mikrodramaturgische Einheiten fungieren. Dirk Niefanger befasst sich mit der dramatischen und theatralen Vielfalt im barocken Deutschland und resümiert wesentliche Dramen- und Theaterformen. Er unterstreicht die interkulturelle Prägung des Barockdramas und verweist durch die Kontrastierung von theatrum mundi-Konzept und Theatersemiotik auf soziale, theologische und anthropologische Konnotationen, die das Barocktheater als transinstitutionelle, "kulturelle, gesellschaftliche und religiöse Alltagspraxis" (S. 233) manifestieren. Julia Pfahl betrachtet die im Kontext von aristotelisch-antiker Rückbesinnung und kulturellem Absolutismus entwickelte Regelpoetik der Französischen Klassik näher. Sie unterzieht die Etablierung der Académie française sowie den des Öfteren eklatanten Widerstreit von normativer Dramentheorie und Aufführungspraxis einer tiefgehenden Analyse. Mit der von vielschichtigen Veränderungen innerhalb des Theaters geprägten Epoche der Aufklärung beschäftigt sich Beate Hochholdinger-Reiterer. Ihr kritisch-reflektierter Durchgang reicht von Gottscheds Reformprogramm und Lessings theoretischem wie praktischem Wirken über die im ausgehenden 18. Jahrhundert stetig populärer werdende Unterhaltungsdramatik bis hin zum Sturm und Drang sowie den klassizistisch-idealistischen Theorien Schillers und Goethes. "Bühne und Musik / Bühnenmusik" lautet der Titel des Aufsatzes von Arne Stollberg. Anhand historischer Rückgriffe exemplifiziert er, dass die Bühnenmusik bis Mitte des 19. Jahrhunderts ein konstitutiver Bestandteil gattungshybrider, "multimedialer(r) Bühnenereignisse" (S. 266) war und im 18. und 19. Jahrhundert zunehmend in den Blick reformistischer Überlegungen geriet. Weiterhin thematisiert er die Genese des Melodrams sowie die antinaturalistische Ausrichtung der Weimarer Klassik. Klaus Müller-Wille betrachtet den (poetischen) Realismus und den Naturalismus: Anhand von konkreten, europazentrierten Beispielen beleuchtet er die ästhetisch-konzeptionellen Differenzen, die experimentell-reformistische Bühnenpraxis sowie die dramatische Gattungs- bzw. Methodengeschichte beider Strömungen. Nic Leonhardts Beitrag thematisiert das vom Gros der deutschen Theatergeschichten wenig gewürdigte oder gar ridikülisierte Wachstum theatraler Gattungen und Aufführungsformen seit Mitte des 19. Jahrhunderts – das Spektrum reicht von Opernparodien, Possen, Ausstattungstücken über Singspiele und Ballette bis hin zu Tableaux vivants und magischen, ethnischen sowie bildmedialen Vorführungen – und plädiert für eine wissenschaftliche Neubewertung dieser polykausal bedingten Gattungs-Proliferation hinsichtlich ihrer produktionsästhetischen Leistungen. Auf die moderne "Theaterkultur der kleinen Formen" (S. 286) des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts richtet Hans-Peter Bayerdörfer seine Aufmerksamkeit. Er konturiert das Modell des Einakters anhand seiner variantenreichen Ausdifferenzierungen und spezifischen Relevanz in der symbolistischen, expressionistischen, englischsprachigen und absurden Kurzdramatik und erklärt diese zu einer wesentlichen Prämisse der avantgardistischen Theaterreformen seit 1900. Im folgenden Beitrag beschreibt Marx in Anlehnung an Martin Puchner zwei unterschiedliche Traditionsstränge des gattungstheoretisch schwerlich fixierbaren Lesedramas: das "zurückhaltende" (S. 293), über den Dialog organisierte und das aus diversen Gründen als unspielbar geltende, "überschäumende" (S. 295) Lesedrama. Konstituenten des epischen Theaters erörtert Ulrich Kittstein. Zunächst bestimmt er episches Theater im weiteren Sinne als Gesamtheit aller nicht-aristotelischen Theaterformen, um es anschließend im engeren, Brecht'schen Sinne vorzustellen. Diese Fokussierung beinhaltet eine entwicklungsgeschichtliche Skizzierung, eine Reflexion über Brechts Lehrstücke, eine Darlegung der Grundzüge des epischen Theaters sowie eine nähere Beleuchtung von der Verfremdungstechnik und dem Gestus des Zeigens. Bachmann behandelt in seinem Aufsatz drei Phasen des Dokumentartheaters bzw. -dramas und umreißt die diskursiv viel diskutierte Form-Inhalt-Problematik. Dabei verweist er auf die Dramenzentriertheit des dokumentarischen Theaters und die Differenzierbarkeit von Geschichts- und Dokumentardrama anhand der Aspekte Politisierung und Belegbarkeit. Abschließend werden aktuelle theatrale Formen des Dokumentarischen besprochen. Dem Verlust der Gattungsmerkmale des Dramas in Deutschland nach 1945 gilt die Übersichtsdarstellung Norbert Otto Ekes. Sie erstreckt sich vom Drama und Theater der frühen Nachkriegsjahre und den unterschiedlich motivierten Entwicklungsprozessen in Ost- und Westdeutschland über die Diskussion neuer Dramenformen im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen seit den 1960er-Jahren bis hin zur Beschreibung der Diversifikation der Formen und Stile im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. Der letzte Beitrag des historischen Kapitels und zugleich des Buches ist ein Ausblick von Stefan Tigges. Anhand konkreter Beispiele wird die Frage diskutiert, ob und inwiefern sich eine Renaissance des dramatischen Erzählens im Gegenwartstheater abzeichnet. Das Handbuch Drama erreicht sein Ziel, eine multiperspektivische, systematische und historisch-komparatistische Betrachtung der vitalen Reziprozität von Drama und Theater zu ermöglichen. Dazu trägt insbesondere auch die wohlüberlegte Auswahl renommierter AutorInnen bei. Dass ein historisierender und auf die Wechselbeziehungen von Textgattung und Theaterpraxis gerichteter Fokus wie der gewählte dabei notgedrungen an seine Grenzen stößt und die Publikation keinen Anspruch auf dramen- und theatergeschichtliche Vollständigkeit erheben kann, liegt in der Komplexität und Methodik des Vorhabens begründet, ist jedoch zu verschmerzen. Viel zu interessant und aufschlussreich erscheinen die sichtbar werdenden, multiplen Bezüge und Zusammenhänge, deren Ermittlung die besondere Leistung der Publikation darstellt und diese zu einer sehr empfehlenswerten und fruchtbaren Neuerscheinung macht.
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