Dissoziativer Föderalismus (2): Föderalismus in Italien
In: Handbuch Föderalismus - Föderalismus als demokratische Rechtsordnung und Rechtskultur in Deutschland, Europa und der Welt: Bd. 4, Föderalismus in Europa und der Welt, S. 797-817
Auch wenn Italien bislang nicht als eindeutig föderativ zu klassifizieren ist, so durchläuft das Land doch - über einen längeren Zeitraum betrachtet - einen evolutionären Prozess vom Unitarismus über die Dezentralisierung und Regionalisierung hin zum Bundesstaat. Es handelt sich nach Meinung des Autors vor allem deshalb um einen interessanten Fall, weil er generelle Tendenzen der Anwendung des föderativen Prinzips in modernen westlichen Demokratien bzw. Gesellschaften vor Augen führt: Zum einen dokumentiert der Fall Italien ein Anwachsen von innerstaatlicher Asymmetrie de jure wie auch de facto, mit unterschiedlichen Kompetenzen der Gliedstaaten bzw. unterschiedlich stark ausgeprägter Politikfähigkeit. Zum anderen handelt es sich um ein Paradebeispiel für einen Trend, der als "dissoziativer Föderalismus" bezeichnet werden kann. Ein intensiv geführter öffentlicher Diskurs über die Veränderung der Bestimmungsmerkmale von Staat, Politik und Gesellschaft kann zu einem Konsens führen, der als eine Art Neugründungsakt verstanden werden kann. Es geht dabei um die Revision der Verantwortlichkeiten und bisweilen auch um eine Neubestimmung von Werten, die einem Gemeinwesen bislang zugeschrieben wurden. In jedem Falle ist es aber das Ziel, die staatliche Einheit zu erhalten. Gefragt ist letztlich - wie beim klassisch assoziativen Föderalismus - die integrierende Kraft, die dem Föderalismus bzw. seiner mehrfachen Dialektik innewohnt: Einheit durch Teilung, Komplexitätsreduktion durch Komplizierung und Universalität durch Pluralismus. (ICI2)