Die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik weisen eine deutliche Überrepräsentation des männlichen Geschlechts unter den eines Gewaltdelikts Verdächtigen aus. Der Beitrag fragt im Rahmen des interdisziplinären Handbuchs zur Gewalt nach dem Zusammenhang von Gewalt und Geschlecht. Nach kurzen Erläuterungen zum Gewaltbegriff werden in dem Beitrag über die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik hinausgehende, empirische Befunde zur geschlechtlichen Verteilung von Gewalt sowie unterschiedlicher Gewaltformen referiert. Anschließend wird, mit Bezug auf Erklärungsansätze aus der Geschlechterforschung, dargelegt, in welcher Weise sich Gewalt als ein spezifischer Modus von Vergeschlechtlichung fassen lässt. Vergeschlechtlichung meint kulturelle Diskurse und soziale Praktiken, in denen soziales Handeln eine geschlechtliche Bedeutung erhält. Geschlecht ist mithin nicht nur als eine bei der statistischen Erfassung von Gewaltverhältnissen zu berücksichtigende Variable zu verstehen, sondern als eine theoretische Kategorie, die hilft, die Geschlechtslogik von Gewalt bzw. deren geschlechtlichen Sinn zu entschlüsseln. (ICA2)
Zwei Fragen stehen im Mittelpunkt der gegenwärtigen Diskussion um Sex und Gender. Zum einen geht es darum, wie tiefgreifend Geschlechtsmerkmale überhaupt sexualisiert worden sind und wie weitreichend folglich die theoretische Operation einer Entnaturalisierung angelegt werden sollte. Zum anderen wird diskutiert, ob ein affirmativer Rekurs auf Geschlechterdifferenzen politisch geboten ist oder ob er wegen kontraproduktiver Folgen vermieden werden sollte. Der Beitrag zeichnet die Geschichte der schrittweisen Entbiologisierung der Kategorie Geschlecht nach und weist abschließend auf praktische Konsequenzen der geschlechtertheoretischen Grundpositionen für die Geschlechterpolitik hin. (ICE2)
Das Geschlechterverhältnis verbindet in westlichen Gesellschaften die wichtigsten Lebensbereiche der Individuen, insbesondere die Arbeitsverhältnisse und die private Lebensführung, zu einem einheitlichen Muster. Es prägt die objektiven Lebensbedingungen ebenso wie die subjektive Wahrnehmung dieser Bedingungen und bestimmt dadurch das Ausmaß der Lebenschancen beiden Geschlechter in umfassender Weise. Das Geschlechterverhältnis durchdringt die gesellschaftlichen Vorstellungen von zufriedenstellenden Lebensverhältnissen. Die Logik des Geschlechterverhältnisses führt zu ungleichen Lebensverhältnissen und Lebenschancen für beide Geschlechter. Die Prinzipien des Geschlechterverhältnisses, das durch die produktive und reproduktive Arbeit geschlechtsorientiert getrennt und doch gleichzeitig vermittelt wird, bilden den Grund dafür, dass von einheitlichen Lebenschancen für beide Geschlechter keine Rede sein kann. (ICE2)
Zahlreiche Studienergebnisse und auch Daten der Gesundheitsberichterstattung belegen die vielfachen Unterschiede zwischen Männern und Frauen in der Entstehung und Prävalenz von Krankheiten, im Krankheitsverlauf und in der Prognose. Die Erkenntnisse der frauen- und geschlechtsspezifischen Gesundheitsforschung wie auch der jüngst etablierten Gendermedizin konnten inzwischen zahlreiche Erklärungsfaktoren und Wirkungsketten aufdecken, die den Einfluss des biologischen Geschlechts (sex) und des sozialen Geschlechts (gender) getrennt und in ihrer Interaktion aufzeigen. Die Perspektive der Frauen- und Geschlechterforschung hat zudem zu nachhaltigen Veränderungen in der Analyse von Gesundheit bzw. Krankheit geführt. Zum einen wurde die Bedeutung sozialer Lebensverhältnisse mit ihrer Unterschiedlichkeit und Kontextualität hervorgehoben. Zum anderen wurden neue Versorgungsstrategien entwickelt, die von einem umfassenden Gesundheitsbegriff ausgehen. In dieser Weise werden Standards für die (Gesundheits-) Forschung gesetzt, mittels derer Verzerrungen nach Geschlecht und zunehmend auch nach anderen Diversity-Merkmalen aufgedeckt und minimiert werden können. (ICI2)
Im Zeitalter von ökonomischer Globalisierung stellt sich auch die Frage der Demokratisierung völlig neu. Während das demokratische Institutionengefüge historisch auf der Ebene des National- bzw. Zentralstaats angesiedelt ist, bedarf Demokratisierung im Zeichen von politischer Internationalisierung einer supranationalen Dimension. Sie bieten Möglichkeiten für eine geschlechtersensible Verknüpfung von Frauenbewegung und institutioneller Frauenpolitik - möglicherweise sogar aussichtsreicher als die männerzentrierten nationalstaatlichen Institutionen. Die Autorin fragt hier: Öffnen sich damit geschlechterpolitische Chancen in der "post-nationalen" Demokratie? Für sie ist die Idee des "Regierens ohne Regierung", die unter dem Schlagwort Governance diskutiert wird, zu kurz gegriffen. Auch wenn in Governance-Foren soziale Bewegungen und Frauengruppen eine größere Bedeutung im politischen Diskussions- und Entscheidungsprozess bekommen, so ist Governance doch eine neuartige Form der Artikulation sozialer Machtverhältnisse - also auch von ungleichen Geschlechterverhältnissen - in einer sich globalisierenden Welt. Geschlechterdemokratisierung muss aber vor allem an der Verteilung von Arbeit und Reproduktion und den damit verbundenen Ungleichheiten ansetzen, da sich über die Definition von Arbeit - nämlich bezahlte Erwerbsarbeit und unbezahlte Care-Arbeit - und den daran geknüpften Zugang zu Ressourcen sich vornehmlich geschlechtsspezifische Ungleichheit herstellt. (ICA2)
Im vergangenen Jahrzehnt haben in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen Diskussionen um die Bedeutung der Kategorie Geschlecht stattgefunden. Der Begriff der Kategorie wird dabei meist selbstverständlich und ohne weitere Erklärung verwendet. Wenn ich das Wort Kategorie höre, fällt mir als empirisch arbeitender Soziologin und Methodikerin als erstes dessen Verwendung im Zusammenhang mit Inhaltsanalyse als Auswertungsverfahren ein. Ein inhaltsanalytisches Kategoriensystem folgt in seiner Konstruktion den theoretischen Annahmen der Forschenden über den zu analysierenden Gegenstand, muss sich im Konstruktionsprozess an die empirischen Erscheinungsformen des interessierenden Gegenstandes anpassen, und ist trotz seiner Entwicklung in einem solchen Aushandlungsprozess zwischen Forschungssubjekt und -objekt immer selektiv! Verfolge ich derartige Überlegungen für Geschlecht als Kategorie weiter, so kann es im Weiteren nicht um die Frage gehen, was Geschlecht ist, sondern nur um die, wie uns Geschlecht begegnet. Eine weitere Frage lautet: Welchen Einfluss haben theoretische Konzeptionen der Zweigeschlechtlichkeit auf die Forschungspraxis? Dazu werde ich mich zunächst etwas ausführlicher dem Begriff der Kategorie widmen und sodann die Veränderung westeuropäischer Geschlechtermodelle im historischen Vergleich skizzieren, die für die heutige Wissenschaftspraxis zu einer Dualität von Modellen geführt hat. Der Beitrag schließt mit methodologischen Empfehlungen für den forscherischen Umgang mit der Kategorie Geschlecht.
Die Verfasserin erläutert aus feministischer Perspektive, wie sich kapitalistisch-patriarchale Machtverhältnisse an konkreten Arbeits- und Lebensverhältnisse kristallisieren und wie sich der Arbeitsmarkt in einen männlich dominierten Kernarbeitsmarkt und einen weiblich marginalisierten Arbeitsmarkt mit schlechterem Einkommen und mangelnden Aufstiegschancen teilt. Vertieft werden diese Ungleichheiten durch die Erwerbsarbeitszentrierung des Sozialsystems, das vor allem die Dauer der Erwerbsarbeit sowie die Höhe des Erwerbseinkommens honoriert. Als die fünf zentralen Mechanismen ökonomischer Geschlechterreproduktion werden die Zuweisung von Kapital, (Reproduktions-)Arbeit, Erwerbstätigkeit, sozialer Sicherheit und Entscheidungsbefugnissen beschrieben. Die Verfasserin fordert eine radikale Reduktion von Erwerbsarbeit, die Anerkennung von Reproduktionsarbeit und die Redistribution von Erwerbsarbeit wie von unbezahlter Versorgungsarbeit. Sie spricht sich darüber hinaus dafür aus, Kritik gerade im Bereich der Wirtschaftswissenschaften zu forcieren. (ICE2)
Bezogen auf die Rolle und den Einfluss der Frauen im politischen System Deutschlands stellen die Verfasserinnen fest, dass die Demokratie der Bundesrepublik sich trotz formal gleicher politischer Rechte nach wie vor durch eine quantitative wie qualitative politische Unterrepräsentation von Frauen auszeichnet ("Androkratie"). Politische Entscheidungen entziehen sich zunehmend jenen demokratischen Gremien, zu denen sich Frauen durch Quoten Zugang erkämpft haben. Wesentliche Aufgabe der Demokratie ist es, die gleichen sozialen Bedingungen der Partizipation von Männern und Frauen zu ermöglichen. Geschlechterdemokratisierung muss daher vor allem an der Verteilung von Arbeit und den damit verbundenen Benachteiligungen ansetzen. Die gerechte Verteilung von Arbeit, von gesellschaftlich notwendiger Fürsorge- und Pflegearbeit sowie von Erwerbsarbeit, muss daher Gegenstand eines neuen demokratischen Geschlechtervertrags sein. (ICE2)
"In den gesellschaftlichen Naturverhältnissen der europäischen Geschichte findet der soziale Geschlechter-Antagonismus seine 'Fortsetzung' in der 'äußeren Natur'. Neben der geläufigen engen semantischen/ symbolischen Verbindung von 'äußerer Natur'/ Landschaft mit 'Weiblichkeit' gibt es eine solche mit 'Männlichkeit'. Es lassen sich so historisch variable 'soziale Geschlechter' des Waldes ausfindig machen: Alterisierte 'weibliche Wälder': Au-, Bruch-, Sumpfwälder, 'ungezügelte' Dschungel etc. einerseits, 'Schutzgebiete' als Quasi-Gärten, männlicherseits kultivierte und vor der eigenen inneren Wildheit, der 'ersten Natur' geschützte Areale andererseits. Entalterisierte 'männliche Wälder' zwischen 'Wildnis' und streng geordneten Formationen: mittelalterliche Königsforste, 'heroische Urwälder' als Orte 'ewiger Werte', 'soldatische' Wälder, 'Maschinen-Wälder', geregelte Forsten. 'Innere' und 'äußere Natur' sind in historischen Prozessen wechselseitig verflochten. Der Geschichtlichkeit der Körper-Produktionen entsprechen je die Wahrnehmungen/ Konstruktionen von Naturorten. Wichtig sind hier die Transformationen von aggregativen Bedeutungsräumen in vorbürgerlichen Gesellschaften in einen generativen Bedeutungsraum bürgerlicher Gesellschaften und der damit verbundene Wandel des Körpers vom ständischen Besitzer zum modernen Repräsentanten von Eigenschaften; mit Ausnahme des weiblichen Körpers, der nun zum Besitzer von Eigenschaften szientifiziert wird. Naturorte (hier: Waldformationen) sind 'Bild- und Erfahrungsräume', 'Bilder': Orte sozialer Konstruktion (mittels tätigen Um- und Aufbaus oder alleiniger Wahrnehmung). Sie bilden (als Idyllen oder 'erhabene Orte' bzw. Orte des verschlingenden Schreckens, der Inversion usw.) die 'Rahmen' für affektive Erfahrungen, 'leiblichen Nachvollzug', die wechselseitige Repräsentation von Körper und Raum/ Ort, die gegenseitige Erzeugung von Plausibilität. Das ist eng verbunden mit Diskursen. Diese 'Bilder' sind 'Hybride', bezeichnen aber kein Sich-Auflösen binärer Strukturen; es bedarf der dialektischen Vermittlung. Zudem muss zwischen den sozialen Funktionen vormoderner und moderner sowie postmoderner 'Hybride' unterschieden werden. Erstere 'beweisen' in der sozialen Wahrnehmung einen existierenden Antagonismus Kultur - Natur, die Herrschaft (bzw. deren Notwendigkeit) der Kultur über die Natur. Letztere (Mutationen, Klone usw.) stellen eine paradoxe Bedrohung der Herrschaft dar." (Autorenreferat)