I. Zielsetzung und Geschichte des Projekts "Menschenbilder und Menschenwürde" II. "Schulprojekt Menschenwürde" III. Projekt "Menschenbild und Neurowissenschaften" IV. Projekt "Menschenwürde am Lebensanfang" V. Projekt "Menschenwürdig sterben" VI. Fazit
"Wie schrecklich schwer ist doch das Schicksal jedes einzelnen Soldaten in diesem grässlichen Krieg, und wie wenig wird an den unbekannten Soldaten gedacht, an Jedermann." Bestandssituation. Der eingangs zitierte Satz stammt von Heinrich Böll, dessen "Briefe aus dem Krieg" im Herbst 2001 in zwei Bänden herausgebracht wurden. Seine Briefe lesen sich wie die vieler anderer und tragen doch - wie jene der unbekannten Soldaten - eine ganz persönliche Handschrift. Ihre Subjektivität verbindet sie und macht sie zu einer einzigartigen Quelle. Das Chaos aus persönlicher Aussagen zu strukturieren und systematisch zu erschließen, erfordert die Einbindung verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen mit ihren ganz unterschiedlichen Fragestellungen und Methoden. Kommunikationsmedium. Innerhalb der Medienwissenschaft hat man sich bislang in der Beschäftigung mit dem "Dritten Reich" intensiv mit der Massenkommunikation beschäftigt. Feldpostbriefe lenken den Blick auf die Kommunikation der Massen. Der Brief ist ein Individualmedium, das ein filigranes Informationsnetz zwischen den Soldaten und ihren Angehörigen über das gesamte Operations-, Okkupations- und Heimatgebiet spannte. Andere Disziplinen haben sich dem Medium als wissenschaftliche Quelle bereits angenähert. Der heterogene Wissensstand und die vielfältige Problematik im Umgang mit den Briefen werden in der Arbeit erläutert und auf einen einheitlichen Stand gebracht. Es geht hierin um die Koordination des bisherigen Wissens- und Dokumentationsstandes, um daraus auf der Basis eines Forschungsabgleichs fachübergreifende Methoden und Umgangsformen zu entwickeln. So ist diese Arbeit ein Ausgangspunkt für eine Quellennutzung durch die Medienwissenschaft und andere Forschungsfelder. Das Individualmedium "Feldpostbrief" wird hier erstmals aus kommunikations- und medienwissenschaftlicher Sicht beleuchtet. Die medien- und kommunikationsbedingte Geschichte wird vorgestellt, seine Entstehungs- und Kommunikationsbedingungen dargelegt sowie eine differenzierte Definition der Kriegspost vorgenommen. Sie erlaubt einen exakten formalen Umgang mit dem Medienzeugnis. Relevanz. Obwohl bald nach 1945 damit begonnen worden war, die Einzelheiten des Krieges zu erforschen, sind bis heute nicht alle Fragen hinreichend geklärt. Die Zahlen stimmen, aber die Rechnung geht nicht auf. Eine unbekannte Variable bildet darin der Einzelne im Kriegsgeschehen. Er stellt das Greifbare des Zusammenhangs dar. Die gewonnenen Erkenntnisse bleiben porös, hinter den drückenden Fragen nach der Involviertheit des "unbekannten Soldaten", nach der erschreckenden Stabilität und Effizienz des totalitären Systems. Jene Erkenntnisse über anonyme Zahlen und Daten erlauben aber auch erst Fragestellungen nach dem Individuum. Vorgehensweise. Ziel der Arbeit ist es, die Quellenlage und den Stand der wissenschaftlichen Debatte für die dringend notwendige Auseinandersetzung durch die Forschung zu koordinieren und forcieren. Daraus ergeben sich die folgenden drei Themenkomplexe: 1. Kontext und Begriffsbestimmung, 2. Bestand, Forschungsstand und Dokumentation, 3. Wissenschaftliche Nutzungsmöglichkeiten. Perspektive. Die Arbeit demonstriert, dass ein interdisziplinärer Umgang sowie eine transdisziplinäre Kooperation verschiedener Fachgebiete symbiotisch ist. Hierfür bietet der Feldpostbrief als Quelle die Chance eines Austausches unterschiedlicher Fachgebiete. Die Verfahrensweise eines arbeitsteiligen, auf Austausch basierenden und interdisziplinären Wissenschafts-Managements wird die Forschung an dem Alltagszeugnis voranbringen. Sie basiert auf einer transparenten Quellenutzung und einer interdisziplinären Geschichtsbetrachtung.
Die am 14. November 1960 eröffnete Musikgeschichtliche Abteilung des Deutschen Historischen Instituts in Rom entwickelte sich sehr schnell zu einer Schnittstelle zwischen "italienischer" und "deutscher" Musikwissenschaft und zu einer wichtigen Anlaufstelle für musikwissenschaftliche Fachkolleginnen und Fachkollegen aus dem In- und Ausland. Anlässlich des 50. Jahrestages ihres Bestehens versammelt der vorliegende Band Beiträge, die sich vor dem Hintergrund wissenschaftlicher und kulturpolitischer Diskurse mit der Gründung und Geschichte der Abteilung, mit ihren Forschungsfeldern und ihrem Selbstverständnis beschäftigen und so ein exemplarisches Stück Wissenschaftsgeschichte aus der Perspektive des Deutschen Historischen Instituts in Rom beschreiben.
The group of Children Born of War (CBOW) has existed under the notion of different wordings throughout history of mankind. Being fathered by foreign and often enemy soldiers and local mothers these children are known under a variety of different names in their respective home countries. Although different, these particular groups of children seem to share some similar characteristics across time, nations, and conflicts. In order to facilitate a systematic comparative analysis, the research field of Children Born of War was established in 2006 unifying the various research activities, information and knowledge on these children cross-nationally. This article summarizes the achievements obtained so far focusing on the following questions: How was the conceptual framework developed to analyze CBOW interdisciplinary and internationally? How was the empirical evidence base on CBOW expanded and consolidated? What are the results obtained so far? The article concludes that developing new research programs is a cumbersome and challenging process as basic components of the research field do not exist a priori. With respect to the field of Children Born of War this process is further complicated as the topic is highly sensitive. Nevertheless, by systematically expanding collaboration and research networks, presenting the topic in relevant research settings and engaging in knowledge transfer the research program today has reached a level of consolidation which provides a sustainable basis for future development. It thereby supports further research on the topic. As the best interest of Children Born of War is often neglected, the expansion of this research field may also give this group a higher visibility in national and international politics and facilitate their empowerment in today's conflict and post-conflict zones.
Die ethnographische Forschung rückt das "Wie" interdisziplinärer Wissenspraxis ins Zent-rum. Dabei steht interdisziplinäre Forschung im Forschungsalltag im Zentrum, die hier in der Meeresforschung natur- und sozial-/geisteswissenschaftliche Disziplinen verbindet. Das 'Wie" interdisziplinärer Forschung wird anhand von fünf miteinander verbundenen Praktiken entwickelt. 1. Kreuzen in einer Meeresforschungslandschaft: Interdisziplinär Forschende bewegen sich zwischen unterschiedlicher Anforderungen und Erwartungen, die räumlich in dieser Landschaft vorgegeben werden. 2. Legitimieren: Es gibt unterschiedliche Praktiken der Legitimation von interdisziplinä-rer Forschung. Legitimiert wird Interdisziplinarität über die Forschungsfrage, ihr Er-möglichen durch entsprechende Strukturen wird allerdings zu wenig mitgeführt. 3. Auslagern: Interdisziplinarität wird vielfach an Projekte ausgelagert, u.a. an "Beute-gemeinschaften". Sofern Wissenschaftler*innen in der Qualifikationsphase interdis-ziplinär forschen, müssen speziell die Auswirkungen auf Karrierewege mit bedacht werden. 4. Interdisziplinär Wissen produzieren: Je nachdem, wie legitimiert/ausgelagert wird, ergeben sich bestimmte Praktiken der Wissensgenerierung. Die Idee des Gemeinsa-men ist durchsetzt von einem 'Nebeneinanderher'. 5. Veröffentlichen: Interdisziplinäre Forschungsergebnisse veröffentlichen, findet nach disziplinären Gesichtspunkten statt. Forschende sind dabei Ab-und Entwertungen ausgesetzt. Zwei Hauptschlussfolgerungen sind: a) Forschung ist in einem Ausmaß ökonomisiert, das interdisziplinäre Forschung in der Um-setzung – trotz der politischen Forderungen – eingeschränkt. (Infra-)Strukturen werden zu wenig mitgeführt. b) Kollaborative Interdisziplinarität benötigt in der Wissensgenerierung von Wissen (mehr) Bereitschaft zur Anerkennung von Verschiedenheit, (mehr) Bereitschaft, den Pluralismus an Theorien und Methoden "auszuhalten" und in diesem Fall (mehr) institutionalisierte Exper-tise in einer sozial-/geisteswissenschaftlichen Meeresforschung.
Das zentrale Thema der vorliegenden Dissertation ist die theoretische Fundierung interdisziplinärer Forschung im Bereich der Erforschung menschlicher Kognition. D.i. die Kognitive Anthropologie. Im Kanon der philosophischen Disziplinen bewegt sich diese Arbeit in der Wissenschaftsphilosophie mit Überschneidungen zur Philosophie des Geistes und verwandten Disziplinen. Sie ist inspiriert durch die empirischen Einzelwissenschaften, insbesondere der Psychologie und der biologischen Verhaltensforschung (Ethologie) und versteht sich als kritische Reflexion der Bedingungen der Möglichkeit interdisziplinärer Forschung im bezeichneten Forschungsfeld. Methodisch ist sie als dialogischer Abgleich zwischen Michael Tomasello und Aristoteles entworfen, dessen Resultat – soweit möglich – eine Synthese beider Positionen zur Natur des Menschen als von Natur aus kooperatives und politisches Lebewesen ist, vor deren Hintergrund u.A. aktuelle Forschungen und ihre Vorannahmen in der kognitiven Anthropologie geprüft werden. Als Ergebnis zeigt sie auf, dass wir den Menschen als von Natur aus kooperatives und politisches Lebewesen begreifen müssen, um im interdisziplinären Dialog einen gemeinsamen Untersuchungsgegenstand zu haben, auf welchen hin gemeinsame Forschungsfragen gestellt werden können. Außerdem zeigt die Arbeit auf, dass jede wissenschaftliche Perspektive innerhalb der menschlichen Kognitionsforschung bereits auf ein kulturell geprägtes Vorverständnis des Menschen und seiner kulturellen Lebensweise aufbaut, das nur in seltenen Fällen auch reflektiert wird, aber in jedem Fall das Ergebnis beeinflusst.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat jüngst Richtlinien für Studien, die Basisdaten für gesundheitspolitische Entscheidungen im Pandemiefall liefern können, veröffentlicht. Durch die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Disziplinen kann es gelingen, evidenzbasierte Entscheidungen durch qualitativ hochwertige, längsschnittliche Befragungsdaten aus den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Verbindung mit wiederholten Labortests zum Virus- und Antikörpernachweis sowie Erhebungen des Gesundheitsstatus mit soliden statistischen Analysen zu unterfüttern. Der hier vorgestellte Studienplan und das erhebungstechnische Konzept zur Erforschung des Umfangs und der Dynamik von SARS-CoV-2-Infektionen und COVID-19-Erkrankungen unter Nutzung der haushaltsbasierten Multi-Kohortenstudie Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) erfüllen die Anforderungen der WHO zur Messung der Prävalenz von COVID-19 in vollem Umfang und bieten darüber hinaus weitreichende Analysemöglichkeiten zu gesundheitlichen und sozio-ökonomischen Auswirkungen der Pandemie.
Interdisziplinäre Arbeiten gewinnen längst nicht nur in der Hochschullandschaft an Aufmerksamkeit. Selbst dort, wo viele verschiedene Disziplinen auf dichtem Raum nebeneinander existieren, wurde dieses Potential in der Vergangenheit noch allzu selten genutzt. Mittlerweile wird von der Wissenschaftspolitik interdisziplinäre Forschung zunehmend gefordert und ist zudem mit hohen Erwartungen verknüpft (siehe z.B. Hollaender 2003). Daher werden vielerorts nun Kooperationen nicht nur an Rändern der klassischen Disziplinen sondern auch zwischen völlig themenfremden Disziplinen gebildet, wobei der Ruf nach Interdisziplinarität aus Gesellschaft und Politik an die Wissenschaft herangetragen wird (Jungert 2010). Auch in der industriellen Produktentwicklung gewinnt die interdisziplinäre Arbeit getrieben durch kürzere Entwicklungszyklen und komplexere Produkte sowie Funktionsintegration stetig an Bedeutung. Teams in der Produktentwicklung sind meist interdisziplinär und interfunktional zusammengesetzt (Ehrlenspiel 2003, Prasad 1996). Absolventen wissenschaftlicher Disziplinen erwartet daher im späteren Arbeitskontext trotz weiterhin meist fachspezifischer Ausbildung immer häufiger interdisziplinäre Team- und Projektarbeit. [. aus dem Text]
Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts gelten Aktionsräume in den deutschsprachigen Raumwissenschaften weitgehend als randständigesKonzept. In der internationalen Forschung wurde die Methodik zu Aktionsräumen jedoch weiterentwickelt und sie erfahren seit einiger Zeit wachsende Aufmerksamkeit. Dieser Beitrag nimmt eine umfassende Definition von Aktionsräumen vor und stellt ak tuelle Anwendungsbereiche anhand von Verkehrs-, Segregations- und Gesundheitsforschung dar. Für die räumliche Forschung, Planung und Politik sind Aktionsräume relevante Konzepte: Mit den gewonnenen Erkenntnissen lassen sich Wechselwirkungen zwischen Individuen und ihren jeweiligen sozialen bzw. baulichen Umgebungen besser abschätzenund darauf aufbauend adäquate Maßnahmen entwickeln. Um in diesem Kontext die systematische Generierung künftiger Forschungsfragen, Hypothesen, Forschungsdesigns und praxisrelevanter Erkenntnisse zu erleichtern, werden ein neues analytisches Konzept und etablierte Methoden zur Untersuchung von Aktionsräumen präsentiert. Der Beitrag schließt mit Überlegungen zu möglichen Forschungsperspektiven, die über den gegenwärtigen Forschungsstand hinausreichen. ; Since the late 20th century activity spaces have mainly been perceived as a niche concept in German-speaking spatial research. Meanwhile, international research on activity spaces has developed further and gained quite some attention recently. This paper elaborates a comprehensive definition of activity spaces and presents current fields of application with special regard to research on travel behaviour, segregation and public health. Activity spaces as a concept improve estimates of the interactions between individuals and their respective social or built environments. Therefore, insights on activity spaces might ease the development of adequate planning and policy measures. In order to facilitate the systematic generation of future research questions, hypotheses, research designs and practice-oriented insights, this paper presents both a novel analytical concept and ...
Die anstehenden demographischen Veränderungen, die den ländlichen Raum besonders stark betreffen werden, sind auch eine Spätfolge des Fordismus. Die reflexive Modernisierung konnte die Folgen des Fordismus bisher nur langsam und teilweise verarbeiten. Im Biosphärenreservat Rhön als Modellregion für nachhaltige Entwicklung besteht die Chance, durch die Weiterentwicklung des ländlichen Leitbilds ein neues nachhaltiges Modernisierungsleitbild zur ländlichen Regionalentwicklung zu entwerfen, wodurch das Biosphärenreservat mit seinen Projekten auch das Stadium des überwiegend Beispielhaften verlassen könnte. Die soziale Agenda des Biosphärenreservats Rhön sollte deshalb mit der Erarbeitung nachhaltiger Lösungen zu ländlichen Fragestellungen aus den Themenbereichen Arbeit und Bildung, Wirtschaft und Infrastruktur, Bevölkerungsentwicklung und Lebensqualität, Energie sowie mit effektiver Projektbegleitung und interdisziplinärer Forschung (BRIM) in der Zukunft gut gefüllt sein. Außerdem müssen die MAB-Leitlinien, das Rahmenkonzept und die Regionalen Entwicklungskonzepte fortgeschrieben werden. Bei der Bewältigung dieser Aufgaben sollten die modernen Sozialwissenschaften mehr als bisher einbezogen werden.
Nach dem II. Weltkrieg wuchsen in Deutschland viele Kinder ohne Väter auf. Viele Väter waren im Krieg gefallen oder als vermisst gemeldet oder worden oder noch Jahre lang in Kriegsgefangenschaft gewesen. Auch für die wieder zurückgekehrten Väter war es nicht leicht. Denn die nun im Pubertät stehenden Jugendlichen erlebten die sich von ihnen als entfremdet empfundenen Väter nicht als vertrauensvolle Personen, denen man sich in allen Fragen ihres Lebens zuwenden kann, sondern lehnten in der Regel die Inanspruchnahme der väterlichen Autorität ab. Oftmals gab es noch größere Komplikationen, wenn der für tot erklärte Vater plötzlich wieder vor der Tür stand und ein der nach der Neuverheiratung seiner Frau neue Mann öffnete. Die Soziologen untersuchten in den 50iger Jahren die Folgen der "unvollständigen Familien". Als unvollständig galt eine Familie, deren Vater entweder durch den Tod oder durch eine Toterklärung für die Erziehung der Kinder als Erziehungsfaktor ausfiel. Heute sprechen die Soziologen in bezug auf die Alleinerziehung der Mütter von "Einelternfamilien". Nachdem das ganze Ausmaß der Zerstörung II. Weltkriegs der Mehrheit der deutschen Bevölkerung bewusst wurde und nachdem in den 60er Jahre das ganze Ausmaß der Vernichtung der Juden in das Bewusstsein der Öffentlichkeit rückte, wurde zunächst im Bereich der Universitäten und dann in der breiten Öffentlichkeit diskutiert, wie man durch eine an Selbstentfaltung des Kindes und der Jugendlichen orientierte Erziehung in den Familien, dem Kindergarten, den Schulen und Hochschulen erreichen kann, dass Werte wie Gehorsam, Fleiß und Pflichterfüllung ihren Wert verlieren. Die Pädagogik in Westdeutschland wollte sich nach 1945 abgrenzen von der Devise, die Hitler für die Erziehung der Jugend ausgegeben hat. "Seid hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder und flink wie Windhunde". Durch die Studentenbewegung 1968 verbreitete sich das Konzept der antiautoritären Erziehung und gewann in vielen gesellschaftlichen Bereichen in Westdeutschland eine große Resonanz. Orientiert an Jean-Jaques Rousseau und an der Reformpädagogik der 20er Jahre stand nun nicht mehr die Orientierung an Werten wie Gehorsam, genaue Pflichterfüllung und Ausdauer und Zähigkeit, sondern Selbstentfaltung der in jedem Menschen seit der Kindheit angelegten Fähigkeiten im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die radikalste Konsequenz zogen die Vertreter der Antipädagogik. Sie lehnten jede Form der Erziehung überhaupt als repressiv ab. Sie betrachteten die Abwesenheit jeder Erziehungsmaßnahme als Voraussetzung für die Entfaltung der in jedem Kind schlummernden Kräfte und Fähigkeiten. Im Unterschied zu dieser Antipädagogik beharrten die Vertreter der demokratisch-emanzipatorische Erziehung darauf, dass sehr wohl auf Erziehung ankomme, allerdings auf die Erziehung der heranwachsenden Kinder zu bestimmten Werten wie Toleranz und gegenseitiger Respekt. Ende der 90er Jahre kam dann mehr und mehr die Auswirkung der vaterlosen Gesellschaft in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit, auf die bereits Alexander Mitscherlich in den 60iger Jahren hinwies. Mitte der 90er Jahre machte das Buch über die vaterlose Gesellschaft von Matthias Mattusek der Öffentlichkeit bewusst, dass der Abbau der väterlichen Autorität in Familie, Betrieb, Universität, Kirche negative gesellschaftliche Folgen hat. Vor allem für die Knaben hat die vaterlose Erziehung negative Folge. Die heranwachsenden Jugendlichen sind in der Regel instabiler, aggressiver und bleiben in den schulischen Leistungen immer mehr gegenüber den jungen Mädchen zurück. Der Ruf nach dem Vater als einer natürlichen Autorität wurde seitdem immer lauter. Heute sind wieder manche Pädagogen davon überzeugt, dass für die Herausbildung eines festen Charakters und für die Entwicklung lebenstüchtiger Menschen eine starke Persönlichkeit erforderlich ist, was im Fall der Familie der Vater ist bzw. sein sollte. Sogar der Ruf nach getrennten Jungen- und Mädchenschulen – gerade in der Zeit der Pubertät – wird nach der überall in Deutschland eingeführten Koedukation wieder diskutiert, da man feststellte, dass Jungen und Mädchen sich intellektuell und charakterlich positiver entwickeln, wenn sie getrennt unterrichtet werden. Nach Auffassung der Psychoanalytiker verhindert der Einfluss der Eltern – vor allem des Vaters – die harmonische Persönlichkeit. Nach Freud resultieren alle inneren Konflikt und alle psychischen Störungen von der väterlichen Autorität. Alle Versuche, den Einfluss der Eltern einzudämmen, führten aber nicht zu dem erwarteten Erfolg. Bereits die Tochter Freuds, Anna Freud, musste deprimierend feststellen, dass durch das Schwinden der elterlichen Strenge die Gewissensangst und die Angst vor der eigenen Triebstärke gewachsen sind. Dass die psychoanalytische Pädagogik hinter ihren anfänglich gesteckten Zielen zurückbleibt, hat Ermanno Pavesi in seinem Aufsatz "Die Krise der Familie und die Ideologie vom 'Tod des Vaters' , deutlich gemacht. Die antiautoritär aufgewachsenen Kinder sind zwar anders als die früherer Generationen, aber sie sind nicht frei von Angst und Konflikten, wie die Psychoanalytiker hofften. Die antiautoritäre Erziehung beugt nicht Neurosen vor und führt nicht zur Bildung freier, selbstverantwortlich ihr Leben bestimmenden Persönlichkeiten. Durch die Verfehlung des angestrebten Ziels ist die Gültigkeit der von der psychoanalytischen Theorie abgeleiteten Hypothesen in Frage gestellt worden. Es hat sich heute allgemein die Erkenntnis durchgesetzt, dass die fehlende Identifikation mit den Eltern die Bildung der individuellen Identität verhindert. Nur eine angemessene Beziehung zu den Eltern ermöglicht die Findung eines psychischen Gleichgewichts der heranwachsenden Jugendlichen und zur Identifikation mit einer bestimmten Rolle innerhalb der Gesellschaft. Die antiautoritäre Erziehung begünstigt die Übernahme der Rolle des ewigen Jugendlichseinwollens und verhindert die Übernahme der Mutter- bzw. Vaterrolle. Der Psychoanalytiker Erich Fromm und der Philosoph Herbert Marcuse glaubten im Sinne eines naiven Narzissmus, dass mit der Rückkehr zur Kindheit das Endziel des Sozialismus und der Revolution erreicht werden könne. Das hat sich als eine falscher Traum erwiesen, von dem nach dem Zusammenbruch des Kommunismus viele ernüchtert erwacht sind. Viele antiautoritär erzogene Kinder und Jugendliche haben das Gefühl tiefer Enttäuschung, da sie nicht zu fundierten Überzeugungen und ein Zentrum in sich selbst gefunden haben. Sie neigen als Erwachsene zu Verbitterung, Apathie, Fanatismus und Zerstörung. Ermanno Pavesi kommt zum Abschluss seiner Überlegungen zur Krise der Familie zu dem Ergebnis, dass sich auf dem Weg einer vermeintlichen Selbstverwirklichung sich der moderne Mensch allmählich von den Autoritätspersonen emanzipiert hat, die seine Autonomie einschränken: "Theologie des Todes Gottes, Anonymisierung oder Kollektivierung der Produktionsmittel und Ablehnung der Autorität sowohl in der Politik wie auch innerhalb der Familie sind verschiedene Aspekte dieses Prozesses. Mit dem Abbruch oder mindestens mit der Redimensionierung solcher Bindungen hat sich der Mensch die eigenen Wurzeln ausgerissen: er hat die Freiheit gesucht und er hat sich entwurzelt gefunden. Mit der Tötung des Vaters" ist der Mensch nicht Übermensch , sondern Waise geworden." Der Prozess der 'Tötung des Vaters' begann mit der Köpfung des Königs während der französischen Revolution und endete mit der verantwortungslosen Propagierung der Antipädagogik, Kinder nicht zu erziehen, sondern ohne erzieherischen Einfluss aufwachsen zu lassen. Eine künftige Pädagogik müsste nach dieser Erfahrung wieder an die Erkenntnisse der Antike anknüpfen. Nur wenn die Entwicklung zur Reife und Tugendhaftigkeit oberstes Ziel der Erziehung ist, kann es gelingen, verantwortungsbewusste, leistungsbereite und tüchtige Menschen heranzubilden.
Die gegenwärtige, seit 2007 Wissenschaft, Wirtschaft und Politik intensiv beschäftigende internationale Finanzmarktkrise hat die Bedeutung von interdisziplinärer Forschung zu konstitutionellen Grundlagen globalisierter Finanzmärkte im Spannungsverhältnis von Stabilität und Wandel deutlich vor Augen geführt. Allerdings ist das wissenschaftliche Interesse an dieser Thematik nicht situationsbezogen auf die Ereignisse seit 2007 beschränkt, im Gegenteil: Die aktuellen Diskussionen beziehen sich im Kern in weiten Bereichen auf wissenschaftlichen Fragen, die schon vor 2007 immer wieder thematisiert wurden. Allerdings fehlte und fehlt es bis heute an übergreifenden inhaltlichen und methodischen Ansätzen, die die Komplexität globalisierter Finanzmärkte insgesamt erfassen. An dieser Stelle setzt das Forschungsprogramm zu konstitutionellen Grundlagen globalisierter Finanzmärkte an. Konkret geht es insofern um drei Untersuchungsfelder, die sachlich eng miteinander verzahnt sind: I. Finanzsystemstabilität als internationale Regulierungsaufgabe, II. Adäquanz der Internationalen Finanzarchitektur, III. Finanzmärkte und Realwirtschaft.
Seit den frühen 1990er Jahren wird transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung in Form von problemorientierten Forschungs- und Lernprojekten konzeptioniert und praktisch umgesetzt, an denen außeruniversitäre Akteur_innen beteiligt sind. Diese Forschungsarbeit verfolgt drei Ziele: Erstens, die Konzeptualisierung der Begriffe Kultur, Multi-, Inter- und Transkulturalität in der Literatur zur transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung zu untersuchen. Zweitens, die Konzeptionierung und Umsetzung von transdisziplinären Forschungs- und Lernprojekten in Hinblick auf kulturelles Differenzieren zu analysieren. Drittens, konzeptionelle Beiträge zur Gestaltung von transdisziplinären Forschungs- und Lernprojekten zu entwickeln. Methodisch wird auf Literaturanalysen und eine qualitative Untersuchung zweier transdisziplinärer Lernforschungsprojekte zurückgegriffen. Unter dem Begriff Forschungs- und Lernprojekt werden in dieser Forschungsarbeit sowohl Forschungsprojekte als auch Lehr-Lernforschungsprojekte gefasst. Zentrale Ergebnisse der Forschungsarbeit sind die Folgenden: Erstens wird der Kulturbegriff in der transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung zwar vielfältig verwendet, als Forschungsthema, Hintergrund von Beteiligten, Kooperationsweise, Projektkontext, in Hinblick auf Interkulturalität oder als Wissenskultur, allerdings kaum ausdifferenziert und konkretisiert. Zweitens besteht auf der Ebene der Konzeptionierung von transdisziplinären Forschungs- und Lernprojekten: 1) ein starkes Übergewicht von Integration und Konsens gegenüber einer Auseinandersetzung mit Differenz, 2) eine implizite Vorauswahl von Beteiligten durch bestimmte Begrifflichkeiten und methodologische Ansätze und 3) eine Reproduktion von Machtverhältnissen durch (dichotome) Symmetrie- und Ausgleichsvorstellungen. Drittens zeigt sich auf der Ebene der Umsetzung von Lernforschungsprojekten: 1) eine starke Prozessorientierung der Projekte, 2) ein Spannungsfeld zwischen einer Öffnung und Steuerung in Hinblick auf den Projektverlauf und 3) vielfältige Differenzaushandlungen in Interaktionen (wie Zeitlichkeit, Verantwortung, Erfahrung, Relevanz). Die Ergebnisse zeigen, dass politische Implikationen der Forschung und zentrale Ungleichheitskategorien der Kultur- und Sozialwissenschaften (u.a. race, class, gender, body) kaum thematisiert werden. Vorschläge zur Gestaltung transdisziplinärer Forschungs- und Lernprojekte werden in Hinblick auf ein Verständnis von Forschungsdesigns als Prozesse, einem Erkunden von Differenzierungen und Forscher_innen-Positionen und der Bedeutung eines Verlernens entwickelt. Die folgenden Vorschläge zur Gestaltung von transdisziplinären Forschungs- und Lernprojekten werden aus den Ergebnissen entwickelt: Kulturkonzepte sollten nicht als voneinander getrennt, sondern als miteinander verschränkt betrachtet werden. Generell sollten Kulturkonzepte stärker definiert werden. So können durch offene Kulturkonzepte problematische Implikationen (Stereotypen, Rassismus, Kulturalisierung) vorgebeugt werden, die Zielen transdisziplinärer Forschung entgegenstehen. In Hinblick auf die Arten und Weisen kulturellen Differenzierens sollte bewusster mit Differenzierungen umgegangen werden (Wer differenziert wen wie?). Dies schließt ein, eine Sensibilität gegenüber kulturellem Differenzieren zu entwickeln und Differenzierungen in Forschungsprozessen zu erkunden. Kulturelles Differenzieren entfaltet ein wichtiges epistemologisches und transformatives Potential in der transdisziplinären Forschung, um Selbstverständlichkeiten zu reflektieren und Gemeinsamkeiten zu entdecken. ; Since the early 1990s, transdisciplinary sustainability research has been conceptualized and implemented as problem-oriented research and learning projects in which actors from outside the university are involved. This thesis has three objectives: the first objective is to investigate how the terms culture, multi-, inter-, and transculturality are conceptualized in the literature on transdisciplinary sustainability research. Second, this thesis analyzes the conceptualization and practical implementations of transdisciplinary research and learning projects with regard to cultural differentiation. And third, conceptual contributions were developed to improve the design of transdisciplinary research and learning projects. Therefore, a literature analysis on conceptualizations of transdisciplinary research and learning projects and qualitative research on two transdisciplinary learning projects has been conducted. The term culture is used in a variety of ways in the literature on transdisciplinary sustainability research (as research topic, background of participants, mode of cooperation, context, interculturality, or knowledge culture), but not clearly defined and differentiated. Key findings relating to the conceptualization of transdisciplinary research and learning projects are: 1) a strong focus on integration and consensus is preventing a more fundamental work on cultural differences of the participants, 2) the selection of participants is limited through the terminology and methodological concepts, and 3) ideas of symmetry and balance between participants lead to a reproduction of power relations. Key findings related to the implementation of research based learning projects are: 1) a strong focus on process orientation and experimentation within the projects, 2) a tension between openness and control with regard to the cooperation and project design, and 3) multiple negotiations of differences in interactions (such as temporality, responsibility, experience, relevance). The results show that the political implications of the research and major categories of inequality as discussed in social and cultural research (such as race, class, gender, body) are hardly addressed. Finally, implications of the results for transdisciplinary sustainability research have been discussed with regard to literature from social, cultural, and sustainability research and contributions to the design of transdisciplinary research and learning projects were developed with regard to adequate concepts of culture, an understanding of research designs as processes, the exploration of differences and positions, as well as the importance of unlearning. The findings have implications for the design of transdisciplinary research and learning projects: concepts of culture should not be understood as separate, but as interlinked. In general, concepts of culture should be more defined and open concepts can prevent problematic implications (stereotypes, racism, culturalization) that can conflict with the goals of transdisciplinary research. Furthermore, differentiations should be approached more consciously (e.g., Who differentiates from whom in which way?). This includes developing a sensitivity towards differentiations and exploring them in the research process. Cultural differentiation bears an important epistemological and transformative potential for transdisciplinary research by reflecting own matters of course and exploring commonalities.
Unter dem Oberbegriff "Genomchirurgie" werden neue Verfahren der Gentechnik zur gezielten Änderung von Genomen subsumiert. Brisant ist dabei, dass die Methodik grundsätzlich auch beim Menschen anwendbar ist. Durch die Veränderung von Keimzellen könnten die Genomänderungen an die Nachkommen vererbt werden. Gerade solche Keimbahn-Eingriffe sind heftig umstritten. Die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht fordert in ihrer Analyse ein Moratorium von Keimbahnexperimenten zur Klärung der mit ihr verbundenen offenen experimentellen, ethischen und rechtlichen Fragen. Die Analyse führt zunächst in die Thematik ein, es folgt eine Auflistung möglicher rechtlicher und ethischer Fragen, die es während des geforderten Moratoriums zu diskutieren gilt.
Globales Lernen ist ein inhaltlich breites Forschungs- und Praxisfeld, das sich auf interdisziplinäre Wissenschaftsbezüge und transdisziplinäre Kooperationen stützen muss. Die Einleitung gibt einen kurzen Überblick über die einzelnen Beiträge des Heftes. (DIPF/Orig.) ; Global Learning/Global Education encompasses a variety of contemporary issues and presents an area of research, educational advocacy and practice. Therefore interdisciplinary and transdisciplinarity are required. This introduction gives a brief overview of the following articles. (DIPF/Orig.)