Ohne Staat: Traum und Albtraum der Dichter
In: Der Staat: wie viel Herrschaft braucht der Mensch?, S. 217-236
Am Beispiel von Daniel Defoes Figur Robinson zeigt der Verfasser, dass das, was ihn während der unglaublich langen Zeit in der Einsamkeit aufrechterhält, gerade nicht ein naturwüchsiges Selbstvertrauen und ein konventionsloser Nonkonformismus sind, sondern die Segnungen der Zivilisation, die er - mangels Zivilisation - in Form von Ritualen und Konventionen in seinem unvergleichlichen Leben installiert. Robinson entwickelt sich zu einem exemplarischen Zwangsneurotiker. Er liebt und verehrt Konventionen. Er hält an ihnen fest, auch und gerade wenn ihnen jede reale Grundlage entzogen ist. Gerade die Abwesenheit des Staates verleiht dessen Symbolen, Ikonen und Ritualen eine übermächtige Präsenz und: verleiht rückwirkend dem Staat Transzendenz - vergleichbar der Präsenz und Transzendenz eines abwesenden Gottes. Robinson ist nicht nur Herrscher und Volk, er ist auch der Priester des vergöttlichten Staates. Nicht ein individueller Anarchismus wird im Robinson Crusoe besungen: Die Vorteile einer alle und zwar tatsächlich alle menschlichen Tätigkeiten regelnden Organisation werden in einem 'Labor' aufgeführt und vorgeführt, eine nach der anderen geprüft und sämtliche als gut empfohlen. Robinson Crusoes Geschichte stellt sich als das Modell einer bis in ihre letzte Konsequenz durchdachten Totalisierung des Staates dar. Wenn sich der Staat auf eine einzige Person reduziert, füllt er diese Person zur Gänze aus und wird absolut. Der absolute Staat hat einen absoluten Herrscher, der vom absolut Höchsten eingesetzt wurde. (ICF2)