In: Blätter des Informationszentrums 3. Welt, Heft 167, S. 17-45
ISSN: 0933-7733
Die Regierenden Spaniens, Portugals und Lateinamerikas rüsten sich für den fünfhundertsten Jahrestag der "Entdeckung" Amerikas. Die Vorbereitungen der Feierlichkeiten verdeutlichen indes die Kontinuität des kolonialistischen Bewußtseins und der Abhängigkeitsstrukturen. In verschiedenen Beiträgen wird auf Kampagnen und Gegenkampagnen zu diesem Thema, die geschichtlichen Hintergründe sowie die heutige Situation der Indianer in Lateinamerika eingegangen
Die kolonialen Strukturen in den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas sind durch die staatliche Unabhängigkeit der Länder nicht aufgelöst worden. Mehrere Theorien wurden zur Erklärung dieser Erscheinungen entwickelt. Der Autor stellt hier das Konzept des "internen Kolonialismus" vor, mit dem lateinamerikanische Soziologen die Lage der Indios in den Andenstaaten und in Mittelamerika zu interpretieren suchten. Das Konzept wurde später vielfältig abgewandelt und für die Beschreibung der verschiedensten ethnischen, religiösen und regionalistischen Unterdrückungen und Ausbeutungsbeziehungen angewendet. Nach Ansicht des Autors ist das Konzept zwar plausibel, aber nur schwer operationalisierbar. Eine Abgrenzung des Begriffs bereitet erhebliche Schwierigkeiten, da Ursachen und Erscheinungsformen des Kolonialismus stark variieren. Der Autor schlägt vor, daß der Begriff "interner Kolonialismus" nur dann verwendet werden soll, wenn eine aktive politisch-rechtliche Diskriminierung gegenüber einer ethnisch-kulturell definierten ortsansässigen Bevölkerung erkennbar ist und die ökonomische Ausbeutung dieser Bevölkerung ohne die rassisch-kulturelle Komponente nicht möglich wäre. (KA)
Die Rückwirkungen der kolonialen Erfahrungen sind nicht nur in Frankreich, sondern in den meisten ehemaligen Kolonialmächten Anfang des 21. Jahrhunderts zu einem wichtigen Thema geworden. Der Algerienkrieg, der Aufstand der Mau-Mau und der Krieg gegen die Herero sind Beispiele für die Gewalttaten und Kriegsverbrechen, derer sich Frankreich, Großbritannien und Deutschland schuldig gemacht haben. Die Angst vor Reparationen hält viele europäische Politiker davon ab, sich öffentlich für die kolonialen Verbrechen zu entschuldigen. (ICE2)
Muss die deutsche Kolonialgeschichte neu geschrieben werden? Mit dem vorliegenden Band stellt der US-amerikanische Politologe Bruce Gilley unser sicher geglaubtes Wissen über die koloniale Vergangenheit des Deutschen Reiches auf den Kopf. Faktenbasiert, schonungslos und stets humorvoll entlarvt Gilley die post-moderne Kolonialforschung als Geisel politischer Korrektheit. Nicht die historischen Tatsachen, sondern die Bedürfnisse des politischen Zeitgeistes bestimmen heute in Berlin über die Wahrnehmung dieser historischen Epoche, so Gilley. Entstanden ist dadurch eine semi-religiöse, schuldbeladene Weltsicht, in der weiße Europäer immer Täter, Afrikaner aber stets die Opfer zu sein haben. Eine folgenreiche Fehldeutung, die in diesem Werk gründlichen Widerspruch erfährt. Im Gegenteil war die Kolonialzeit "für die Kolonisierten objektiv gewinnbringend" und für die Kolonisatoren "subjektiv gerechtfertigt", wie Gilley unter Verweis auf prominente Quellen beweist. Eine Sicht auf die Vergangenheit vorzulegen, in der die Deutschen nicht ausnahmslos bösartig, ihre kolonialen Errungenschaften nicht allein von Gräueltaten und Rassismus geprägt waren, braucht Mut – heute mehr denn je. Gilley hat der historischen Forschung mit diesem Grundlagenwerk eine Schneise geschlagen. Es bleibt zu hoffen, dass seine Thesen und Argumente zu lebhaften Debatten anregen und perspektivisch eine Kehrtwende in der erinnerungspolitischen Kultur Deutschlands initiieren können.
"Koloniale Herrschaft stand häufig unter Rechtfertigungsdruck. Der Kampf gegen die Sklaverei und die Zivilisierungsmission waren wichtige Argumente. Aspekte dieser Ideologie haben bis heute überlebt." (Autorenreferat)