Der Autor wirft die grundsätzliche Frage nach einem Kulturbegriff auf, welcher es erlaubt, bestehende Kulturunterschiede herauszuarbeiten und instruktive Kulturvergleiche zu ziehen. Er problematisiert zunächst die Engführungen des Kulturbegriffs auf die nationale Gesellschaft und gibt einen theoriegeschichtlichen Überblick über die sozialwissenschaftliche Nationalisierung des Kulturbegriffs. Er setzt sich anschließend mit den Konsequenzen einer Nationalisierung und Homogenisierung von Gesellschaft und Kultur kritisch auseinander, um schließlich einen alternativen Kulturbegriff vorzustellen, der auf die funktionale Differenzierung der Weltgesellschaft abgestimmt ist. (ICI)
Ausgehend von vorindustriellen Formen der Volkskultur schildert der Autor die Entwicklung einer spezifischen Kultur der Arbeiterbewegung, die ihren Ausdruck einerseits in Zeitungen, Fachblättern und Karikaturen fand, zu der aber auch die Arbeitersportbewegung mit ihrer Betonung des Breitensports und bestimmte Formen des Massentourismus zu zählen sind. Geringes Interesse von Seiten der Führer der Arbeiterbewegung und unzureichende materiellen Mittel hätten die Entwicklung der Arbeiterkultur jahrzehntelang behindert. Erst die Neuentdeckung der Kultur des Alltags in den siebziger Jahren habe zu einer Neudefinition der Arbeiterkultur und zu einer Proklamierung des Rechtes auf eine eigene Kultur der Arbeiterschaft geführt. Zu verstehen sei dies aber nicht als Rückzug in eine Subkultur. Der Autor legt seiner Analyse vielmehr einen sehr weit gefaßten Kulturbegriff zugrunde. Nach dem Motto 'Kultur ist, wie der ganze Mensch lebt', gehören zur Kultur auch Frieden, Gleichberechtigung der Völker und die Humanisierung des Arbeitsplatzes. (KF)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 882-897
"Die Kulturpolitik der 1970er- und 1980-Jahre zielte unter dem Schlagwort 'Kultur für Alle' auf die Erweiterung des Kulturbegriffs und die Integration neuer, populärkultureller Formen ab, um damit Kultureinrichtungen auch für breitere Bevölkerungskreise attraktiv zu machen. Damit trug sie zur Delegitimierung traditioneller kultureller Hierarchien und der Entwertung des an der bürgerlichen Ästhetik orientierten kulturellen Kapitals bei. Kultur als Mittel sozialer Reproduktion verlor dadurch aber nicht an Bedeutung. An die Stelle der Hochkulturorientierung trat die 'Allesfresser'-Kultur, die auf paradoxe Weise soziale Grenzen bekräftigt: Während ein ausschließlich auf Populärkultur gerichteter Geschmack nach wie vor als Zeichen von Unbildung gilt und damit den Zugang zu gesellschaftlichen Eliten erschwert, gewinnt die symbolische Grenzüberschreitung zwischen Hochkultur und Populärkultur für die Definition und Legitimation sozialer Privilegierung an Bedeutung. Die Kulturpolitik der 1970er- und 1980-Jahre hat, so die zentrale These des Papers, durch die Delegitimierung traditioneller Hierarchien unintendiert zur Veränderung der sozialen Reproduktionsmechanismen beigetragen. Dieser Prozess wird anhand von Beispielen aus Österreich in drei Bereichen nachgezeichnet. 1. am Beispiel der öffentlichen Kulturfinanzierung, 2. anhand von Musiklehrbehelfen in Gymnasien und 3. anhand der Kulturberichterstattung in Qualitätszeitschriften. In allen drei Bereichen kam es zu einer Öffnung gegenüber der Populärkultur, einer Relativierung traditioneller Hierarchien und damit zu einer breiten Institutionalisierung kultureller Grenzüberschreitung, also jener Kultur der 'Allesfresser', die, wie statistische Analysen zeigen, soziale Unterschiede nach wie vor erklärt." (Autorenreferat)
Ausgehend von Huntingtons Thesen eines 'Clash of Cultures' diskutieren die Autoren ein diesem widersprechendes Konzept, das sich zwischen den Polen Multikulturalismus und einem Universalismus, der kulturelle Differenz als Auslöser von Identitätskämpfen und religiösen Konflikten postuliert, bewegt. Die Verfasser nehmen die Position ein, dass kulturelle Differenz zwar durch Kulturkontakte erzeugt wird, aber diese Konflikte nicht primären Ursprungssind, sondern durch ökonomische und soziale Differenzen bestimmt werden. Somit ist Interkulturalität einem pragmatischen Verständnis unterworfen. Die im Zuge der Globalisierung entstandene Dekonstruktion der Nationalkulturen führt verstärkt zu Phänomenen wie Akkulturation und Transkulturation. Diese Entgrenzung der Nationalkultur führen die Verfasser exemplarisch am Beispiel der Weltkultur aus, wobei das Spannungsfeld von An- und Enteignung kultureller Identitäten in den Vordergrund rückt. Die Verfasser rücken neben dem sich abzeichnenden kulturellen Pluralismus auch die Entwicklung der Religionen ins Licht; sie konstatieren, dass eine parallel verlaufende Entwicklung von Säkularisierung und Sakralisierung dazu führen muss, diese Ambivalenz auszuhalten und dafür Sorge zu tragen dass der soziale Raum als etwas Gemeinsames erscheint. (ICC)
Die Kultur bietet dem Menschen nach der Theorie Zygmunt Baumans besonders dann Orientierung und Sicherheit, wenn der Konstruktionscharakter der kulturellen Ordnung als "natürlich" erscheint. Kultur verkörpert somit einerseits die wachsende Freiheit des Menschen, die Welt zu strukturieren, und erscheint andererseits oftmals wie ein Naturgesetz, das schicksalhaft und unveränderbar ist. Diese Ambivalenz der modernen Kultur sowie die Rolle von Machtausübung und Exklusion in der kulturellen Ordnung bilden den Gegenstand des vorliegenden Beitrages. Die Autoren erläutern insbesondere Baumans These, dass die moderne Kultur die moralische Neutralisierung ("Adiaphorisierung") mit Hilfe von Bürokratie und Technologie zur Perfektion gebracht hat. Bauman interpretiert aus dieser Perspektive auch den Holocaust und betrachtet die durch die Adiaphorisierung erzeugte privatisierte Gewalt als Warnsignal für einen "Holocaust neuen Stils". Die Autoren gehen ferner der Frage nach, ob es angesichts des dargestellten Wandels von der modernen zur postmodernen Kultur aus der Perspektive Baumans noch Hoffnungen für eine "moralische Erneuerung" gibt, um "die von der Moderne verrichtete Arbeit der Entbettung zu ihrem Ende zu bringen". Die fortschreitende Freisetzung der Individuen aus den Sozialstrukturen kann Bauman zufolge auch zur Freilegung des ursprünglichen moralischen Impulses beitragen, eine Wahl zwischen Gut und Böse zu treffen und damit individuelle Verantwortung zu übernehmen. Bauman sieht die postmoderne Kultur somit gleichzeitig als "Fluch und Chance der moralischen Person". (ICI2)