Der Verfasser begreift religionsgeschichtliche Prozessbegriffe als heuristische Konzepte und hilfreiche Bezugspunkte, wenn sie einen diachronen und synchronen Vergleich der Religionsgeschichte ermöglichen. Entlang der Begriffe Säkularisierung, Sakralisierung, Individualisierung und Pluralisierung, die er zunächst jeweils theoretisch abstrakt erläutert und dann zum Religiösen in Bezug setzt, sucht er nach deren erklärendem Erkenntniswert im Hinblick auf die religiöse Gegenwartsentwicklung. Ihm geht es vor allem darum zu zeigen, unter welchen Bedingungen Prozessbegriffe angemessen sind, weil sie etwas erschließen, und unter welchen sie zu meiden sind, weil sie zu falschen Schlüssen führen. (ICE2)
Der Beitrag untersucht die wechselseitige Entstehung von Genozid-Forschung und völkerrechtlicher Kategorienentwicklung um das Phänomen und den Tatbestand "Völkermord". Die Autoren fordern eine "Archäologie des Genozids": dabei geht es ihnen nicht nur darum, Muster aufzudecken, die in neuzeitlichen Genoziden spezifisch "modern" sind oder "historische Muster" für spezifische Genozide darzustellen, sondern sie suchen eine neue Einschätzung historischer Völkervernichtungen, die mit den anders gelagerten Ansätzen der Religionsgeschichte, Ägyptologie usw. für eine interdiziplinäre Perspektive fruchtbar zu machen sind. Für die Moderne wird als Haupttyp der "ideologische" Genozid mit folgenden Merkmalen konstatiert: Eine "der Zweck heiligt die Mittel"-Strategie, rechtsstaatliche Systeme zur Legitimation der Verfolgung und eine Durchdringung von Glauben, Ideologie und Wissenschaft. (pre)
Der Verfasser leitet seinen Beitrag aus der Konstitutions- und Rezeptionsgeschichte des Faches Soziologie und dem geringen Stellenwert, den Religion heute darin einnimmt, ab. Ihm geht es um die Paradoxie, dass die beiden Gründungsväter des Faches, Max Weber und Emile Durkheim, einen universalhistorischen Anspruch verfolgten, bei dem die Religionsgeschichte eine zentrale Position einnahm, die heute in der Soziologie kaum noch eine Rolle spielt. Dass Religion in der Soziologie so marginal werden konnte, liegt dem Verfasser zufolge auch darin begründet, dass die Theorien Webers und Durkheims der Rezeption einer fortschreitenden Säkularisierung und spezifischen Form der Moderne, die zu problematischen Dichotomien zwischen Religion und Moderne führten, Vorschub geleistet haben. Auf der Basis dieser Problemdiagnose kritisiert der Verfasser die Prozessbegriffe Differenzierung, Rationalisierung und Modernisierung, vor deren Gefahr er im Hinblick auf Simplifizierungen, gerade dann, wenn sie einen systematisierenden Anspruch erheben, mit Nachdruck warnt. (ICE2)
In: Differenz und Integration: die Zukunft moderner Gesellschaften ; Verhandlungen des 28. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Oktober 1996 in Dresden ; Band 2: Sektionen, Arbeitsgruppen, Foren, Fedor-Stepun-Tagung, S. 455-459
"David Martins 'General Theory of Secularization' stellt die bisher beste historisch-soziologische Typologie von Religionsentwicklung und Prozessen der Säkularisierung in der europäisch-christlichen Zivilisation (einschließlich Nord- und Südamerikas) dar. Seit ihrer Veröffentlichung im Jahr 1978 haben sich sowohl in der Religionsgeschichte und Religionssoziologie als auch in der empirischen Anschauungsgrundlage (vor allem in Osteuropa, Südeuropa und Südamerika) enorme Entwicklungen vollzogen, ohne daß die Systematik dar Martinschen Säkularisierungstheorie erneut aufgegriffen und fortentwickelt worden wäre. Aus dieser Perspektive diskutiere ich vier Aspekte der Martinschen Säkularisierungstheorie in einem europäisch-amerikansichen Vergleichsrahmen 1. Den Begriff und die Dimensionen der Säkularisierung bei David Martin; 2. Das Verhältnis von Stsatsentwicklung, Nationbildung und Religion (vor allem im Blick auf Osteuropa); 3. Das Verhältnis von Ethnizität, Migration und Religion (vor allem hinsichtlich Nord- und Südamerikas): und 4. Das Verhältnis der Martinschen Typologie zum historischen Wandel von Konfigurationsbeziehungen von Religion und Säkularisierung im Rahmen von Modernisierungsprozessen." (Autorenreferat)
Der Beitrag ist ein Kapitel aus Blochs "Erbschaft dieser Zeit" und beschreibt die im Nazismus ideologisch verbrämten Wurzeln historischer, revolutionärer Utopien. Den Anknüpfungspunkt bildet u. a. der Terminus Drittes Reich, dessen christliche Ursprünge von Joachim v. Floris ausgehend durch die europäische Geistes- und Religionsgeschichte verfolgt wird. Dieses Dritte Reich ist in Abgrenzung zum Zeitalter der Knechtschaft und dem der Kirche und der Kleriker als Vollendung humanitärer Freiheit von äußerem und innerem Zwang bestimmt. Urkommunistische und andere derartige Utopien werden als der Menschheitsgeschichte inhärente Triebmomente bestimmt, ihre unterschiedlichen Erscheinungsformen fragmentarisch den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen zugeordnet. Diese selbst wiederum finden ihre Vollendung in der konkret-utopischen sozialistischen Praxis, die, marxistisch fundiert, die Ideologie der Notwendigkeit, indem sie sie aufzeigt, vernichtet und gleichzeitig die Utopien der Freiheit, indem sie ihren humanitären und rationalen Kern freilegt, vollendet. (MB2)
In das Thema einführend, erörtert der Autor eingangs die Bedeutung der Gewaltthematik in der Religionswissenschaft. Dabei kristallisieren sich zwei Handlungsformen heraus, in denen Gewalt eine bedeutende Rolle spielt: das Opfer und der Krieg. Anschließend erfolgt in einem historischen Rückblick eine länderübergreifende Darstellung dieser beiden gewalttätigen Handlungen. Zunächst werden die wichtigsten Menschenopferpraktiken skizziert, die sich grundsätzlich in blutige und unblutige Vorgehensweisen unterteilen lassen. Kriege und gewaltsam ausgetragene Konflikte in der Religionsgeschichte werden unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und nationalen Faktoren erläutert. Vor diesem Hintergrund folgt eine Auseinandersetzung mit der Theorie des Verhältnisses von Gewalt und Religion im Rahmen anthropologischer und kulturtheoretischer Erklärungsansätze. Bei der Darlegung der maßgeblichen Opfertheorien konzentriert sich der Autor auf (1) eine kulturanthropologische Theorieart vom Jagen (Karl Meuli), (2) eine ethologische von der Aggression (K. Lorenz, I. Eibl-Eibesfeldt) und (3) eine kulturtheoretisch-ethologische Perspektive von der rituellen Eindämmung mimetischer Gewalt (R. Girard). Die Beleuchtung des Zusammenhanges von Krieg und Religion umfasst sowohl Ausführungen zur Heiligung bzw. Heiligkeit eines Krieges und der Krieger als auch eine Diskussion der Frage, ob der Krieg als Fortsetzung des Opfers mit anderen Mitteln zu sehen ist. (ICG)
Der Autor versucht im vorliegenden Beitrag den Vergleich zwischen nationalsozialistischer und realsozialistischer Zeit mit einem Seitenblick auf die Religionspolitik und religiöse Bindung in der UdSSR zu kombinieren. Auf diesem Wege gelingt es, die insgesamt dramatischen, jedoch schubweise und regional unterschiedlich verlaufenden Entkirchlichungsprozesse in der DDR als Ergebnis einer "diktaturstaatlichen Doppelschädigung" erklären. Kombiniert man kirchenhistorische, generationsgeschichtliche und religionssoziologische Sichtweisen, so ergibt sich eine Entkirchlichungsphase von 1933 bis 1958, die zur grundsätzlichen Infragestellung der herkömmlichen Epochengliederungen zwingt. (ICE)
Der Autor diskutiert die Frage, inwieweit die Religionen trotz der Herausforderungen von Säkularisierung und Pluralisierung in der Lage sind, eine "europäische Bürgerschaft" hervorzubringen. Die Vermittlung religiöser Grundlagen in der Erziehung sollte seines Erachtens aus einer anthropologischen Perspektive erfolgen, die die Auseinandersetzung mit der Alltagswirklichkeit einer multireligiösen Gesellschaft nicht scheut. Weiterhin erscheint es sinnvoll, diesen Unterricht im Rahmen einer Erziehung zur europäischen Bürgerschaft anzusiedeln, und zwar aus drei Gründen: Erstens sind die Religionsgeschichten auf europäischer Ebene untrennbar miteinander verflochten. Zweitens befinden sich alle Religionen in Europa in einer ähnlichen Situation, was häufig als "europäische Ausnahme" bezeichnet wird. Und drittens besteht ein Zusammenhang zwischen Religionskenntnis, Toleranz und interreligiösem Dialog. Die Religion spielt deshalb eine wichtige Rolle bei der Identitätskonstruktion und der Selbstdefinition im Kontakt mit dem Anderen. Würde man ein Schulsystem, das den Pluralismus aus ideologischen Gründen ablehnt, durch ein System ersetzen, das die Pluralität in den Mittelpunkt stellt, würde dies ein wirkliches Verständnis der unterschiedlichen Lebenswelten erlauben. (ICI2).
Der Autor diskutiert die Frage, inwieweit die Religionen trotz der Herausforderungen von Säkularisierung und Pluralisierung in der Lage sind, eine "europäische Bürgerschaft" hervorzubringen. Die Vermittlung religiöser Grundlagen in der Erziehung sollte seines Erachtens aus einer anthropologischen Perspektive erfolgen, die die Auseinandersetzung mit der Alltagswirklichkeit einer multireligiösen Gesellschaft nicht scheut. Weiterhin erscheint es sinnvoll, diesen Unterricht im Rahmen einer Erziehung zur europäischen Bürgerschaft anzusiedeln, und zwar aus drei Gründen: Erstens sind die Religionsgeschichten auf europäischer Ebene untrennbar miteinander verflochten. Zweitens befinden sich alle Religionen in Europa in einer ähnlichen Situation, was häufig als "europäische Ausnahme" bezeichnet wird. Und drittens besteht ein Zusammenhang zwischen Religionskenntnis, Toleranz und interreligiösem Dialog. Die Religion spielt deshalb eine wichtige Rolle bei der Identitätskonstruktion und der Selbstdefinition im Kontakt mit dem Anderen. Würde man ein Schulsystem, das den Pluralismus aus ideologischen Gründen ablehnt, durch ein System ersetzen, das die Pluralität in den Mittelpunkt stellt, würde dies ein wirkliches Verständnis der unterschiedlichen Lebenswelten erlauben. (ICI2)
Der Autor gibt detaillierte Einblicke in die Rezeptionsgeschichte von "Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" (PE) von Max Weber in Frankreich. Er beginnt mit der Rezeptionsgeschichte der französischen Übersetzung des Werkes, die erst im Jahr 1964 erschienen ist - 35 Jahre nach Parsons' Übersetzung, während Sombarts Studien, die sich größtenteils auf Webers Analysen beziehen, bereits sehr früh übersetzt worden sind, z.B. "Die Juden und das Wirtschaftsleben" im Jahre 1923 und "Der Bourgeois" im Jahr 1926. Tawneys Studie "Religion and the Rise of capitalism" (1926), die von den französischen Kritikern der PE oft herangezogen wurde, wurde im Jahr 1951 übersetzt, während die Übersetzung der PE erst später und ohne einen kritischen Anmerkungsapparat veröffentlicht wurde. Erst im Jahr 2000 erschien eine neue Übersetzung, die jedoch von einer jungen, der Religionsgeschichte und Max Webers Werken unkundigen Übersetzerin durchgeführt wurde. Der Autor geht vor diesem Hintergrund der Frage nach, ob die Hauptmerkmale der Rezeptionsphase in den 1950er und 1960er Jahren - eine massive Ablehnung seitens der Historiker, ein "verlegenes Schweigen" bei den Soziologen und erbitterte Kontroversen in protestantischen Kreisen - für die Gesamtgeschichte der französischen Rezeption von Max Webers Schrift repräsentativ sind. (ICI2)
Der Autor befasst sich in seinem Beitrag mit der Kulturgeschichte des Wassers als lebensschenkende und lebenserhaltende Kraft. Er beschäftigt sich dabei sowohl mit christlichen als auch mit muslimischen und jüdischen rituellen Brauchtümern im Zusammenhang mit dem Wasser. Er stellt fest, dass es seit Menschengedenken bei der Nutzung des Wassers neben der Fruchtbarmachung, Reinigung und Heilung in den Hochkulturen immer auch um körperliche und seelische Erquickung und Beruhigung ging. Der Autor konstatiert, dass die zunehmende Verschmutzung des Grundwassers durch Industrieabwässer viele Jahre in den westlichen Ländern verharmlost und auch von den christlichen Kirchen wenig artikuliert wurde. Als Pendant zu der heilenden Wirkung des Wassers betrachtet der Autor die reißende zerstörerische Eigenschaft des Wassers, die die Welt in Form von Tsunamis und Sturmfluten überschwemmt. (ICB)
Die Religion ist weltweit auf dem Vormarsch: War die strenge Religiosität in den USA lange Zeit eine Ausnahmeerscheinung in der westlichen Welt, ist nunmehr die Säkularisierung Westeuropas zur Ausnahme geworden. Der Beitrag wendet sich dem Verhältnis von Staat und Religion in den USA zu, wo 300000 religiöse Gemeinden existieren. Aus einer "Trennung" von Staat und Religion wurde allmählich die "Gleichbehandlung" religiöser und säkularer Gruppierungen. In Europa hingegen muss unterschieden werden zwischen individueller Religiosität, Kirchlichkeit und Zivilreligion. Die Lage ist in den Staaten Europas sehr heterogen: Religion bekommt neue Ausprägungen und zivilgesellschaftliche Ausgestaltungen und Repräsentationen. Der Beitrag wendet sich dann der Geschichte und Entwicklung der Religion in Europa zu. Abschließend wird in einem kurzen Abriss noch auf die Rolle der Religionen in den sozialen und kulturellen Ordnungen Europas eingegangen. (ICB)
"Die folgende Darstellung wird zunächst einen Überblick über die Religionsvorlesungen geben (1.) und im Anschluss daran die historische Plausibilität der These Constants unterstreichen, dass die Glaubensfreiheit im Zuge der Versuche zur Wiederbelebung der Freiheit der Alten bedroht war (2.). Schließlich soll gezeigt werden, dass diese Reden die fundamentale Schwäche eines allein ökonomisch begründeten Liberalismus herausstellen (3.). Während der erste Teil der Arbeit eher historischer Natur ist, finden sich im zweiten Teil philosophische Erwägungen. Auf diese Weise soll untermauert werden, dass der Vortrag Über die Freiheit der Alten und der Modernen, der als grundlegend für das Verständnis der Grundlinien und Spannungen des politischen Denkens im 19. Jahrhundert gilt, unvollständig ist ohne die Ideen, die Constant bereits ein Jahr zuvor entwickelt hat - dass folglich die Motive am Grunde der Entwicklung des Liberalismus mit religiöser Freiheit und dem positiven Ziel der menschlichen Selbstentwicklung verbunden sind." (Textauszug)