Die Dissertation von Annika Requardt untersucht Visualisierungs- und Narrativierungsstrategien im US-amerikanischen Kriegsfilm der Stummfilmzeit, indem sie die Theorie des kollektiven Gedächtnisses mit Bildanalyseverfahren kombiniert. Ob fiction oder non-fiction: Die Arbeit schlägt einen weiten Bogen vom Spanisch-Amerikanischen Krieg, über den Ersten Weltkrieg bis hin zum amerikanischen Bürgerkrieg, um zu zeigen, wie durch Verdichtung und Wiederholung standardisierte und schematisierte Bildtraditionen entstehen, die Kriege potentiell mit Sinn versehen und als nationale Identifikationsangebote fungieren können. Allerdings schließt die Autorin, ohne einen entsprechenden empirischen Nachweis zu führen, in einem rezeptionstheoretischen Kurzschluss von den Filmbildern direkt auf die Erinnerung des Krieges. Während sie das erklärende Potential des erinnerungskulturellen Ansatzes so leider nicht ausschöpfen kann, wissen die Filmanalysen zu überzeugen. ; Annika Requardt's dissertation analyses strategies of visualization and narrativization in American war films of the silent era, employing theories of collective memory and visual culture. It covers a wide range of fictional and non-fictional films that depict the Spanish-American War, World War I, and the Civil War. Requardt shows how, by concretion and repetition, there emerges a standardized and schematic tradition of filmic images that provides war with meaning, and offers a way for the nation to identify itself. However, lacking empirical evidence, the author deduces the remembrance of war simply from the existence of films and their images without taking the particular reception into account. While she therefore cannot utilize the full potential of the memory culture approach, the analyses of the films are very convincing in their own right.
This book offers a critical survey of film and media representations of black masculinity in the early twenty-first-century United States, between President George W. Bush's 2001 announcement of the War on Terror and President Barack Obama's 2009 acceptance of the Nobel Peace Prize. It argues that images of black masculine authority have become increasingly important to the legitimization of contemporary policing and its leading role in the maintenance of an antiblack social order forged by racial slavery and segregation. It examines a constellation of film and television productions-from Antoine Fuqua's Training Day to John Lee Hancock's The Blind Side to Barry Jenkin's Moonlight-to illuminate the contradictory dynamics at work in attempts to reconcile the promotion of black male patriarchal empowerment and the preservation of gendered antiblackness within political and popular culture
Der Realismus im Film war seit den 1920er- bis in die 1960er-Jahre ein beliebtes Thema von Filmtheoretiker*innen und -kritiker*innen, vom sowjetischen Filmemacher Dziga Vertov bis hin zum deutschen Filmhistoriker Siegfried Kracauer, aber auch etwa für die einflussreiche Filmzeitschrift Cahiers du Cinema und ihren Mitbegründer André Bazin. In Bezug auf die Frage nach Realismus und Film hatten Bazins Analysen und Theorien großen Einfluss, etwa auf den italienischen Neorealismus und Regisseure wie Roberto Rossellini, Vittorio De Sica und Luchino Visconti. Obwohl das Interesse am Realismus in den 1960er- und 1970er-Jahren, etwa bedingt durch (Post-)Strukturalismus, Semiotik und Psychoanalyse, abgenommen hatte, beschäftigt sich das kürzlich erschienene Buch von Lúcia Nagib wieder mit dem filmischen Realismus in Bazin'scher Tradition, während die Diskussion um den Realismus-Begriff in den letzten Jahren auch etwa für spezifischere Kontexte wie das japanische, brasilianische und iranische Kino geführt wurde (vgl. Nagib/Mello 2009).Für Bazin meint Realismus die wirkliche Zeit der Dinge, die Dauer des Geschehens, die der Film in sich aufnehmen soll, daher versteht Bazin etwa die italienischen Nachkriegsfilme mit ihren long takes und der Suggestion eines realitätsnahen Zeitvergehens als realistisch. Während Bazin Filmemacher*innen in verschiedene, dem Bild oder der Realität verschriebene Interessensgruppen einteilt, und die Frage nach dem Einfluss der außerfilmischen Realität (vgl. Bazin 2004, S. 90–109) nur am Rande thematisiert, stellt sich Lúcia Nagib die Frage nach Realismus und Film in einer breiteren Perspektive. In der Einleitung ihres Buches führt sie verschiedene Perspektiven auf Realismus zusammen und klassifiziert so drei verschiedene Ebenen von Realität im Film: - Realismus als Modus der Produktion- Realismus als Modus der Rezeption, den sie in den letzten Jahrzehnten als besonders präsent empfindet- Realismus als Modus der Ausstellung, worunter sie etwa Kinosäle, 3D- oder 4D-Arrangements oder Virtual Reality fasst (vgl. S. 28). Mit ihrem Fokus auf den Modus der Produktion beschreibt Nagib, basierend auf Bazins Theorien, die Rolle von Schauspieler*innen, die Drehorte der Filme sowie die Bewegungen der Kamera für die Filmaufnahme (wie etwa long takes). Diesen Realismus als Modus der Produktion unterteilt sie dabei erneut in drei Kategorien: Non Cinema, Intermediale Passage und Total Cinema.Unter "Non-Cinema" versteht Nagib die Reproduktion des 'realen Lebens' qua Film. Diese Perspektive analysiert sie anhand der Produktionssituationen von diversen Filmen. Dabei spielen für sie die Beziehungen innerhalb des Filmteams oder die Konflikte zwischen Filmemacher*innen und Schauspieler*innen eine zentrale Rolle – eine Perspektive, die einen neuen Blick auf Filmanalyse in Bezug auf die Verzahnung von Produktion und Realität ermöglicht. Als "Intermediale Passage" versteht Nagib die Transformationen zwischen verschiedenen Kunstformen und Kino, die ebenfalls eine eigene Realität produzieren können. Zum Schluss beschreibt sie das sogenannte "Total-Cinema" als ein Kino, das den Wunsch nach einer Totalität insofern verkörpert, als dass es etwa versucht, mit einem Film die gesamte Geschichte eines Landes zu erzählen oder die ganze Welt durch monumentale Landschaften zu repräsentieren. Die eingangs genannten Realismus-Perspektiven werden im zweiten Teil des Buches dann auf den Begriff des "World-Cinema" übertragen. Nagib versteht das World-Cinema als neuen Begriff für "Realist Cinema". Sie kritisiert die eurozentrischen Perspektiven von Filmwissenschaft und -theorie und arbeitet heraus, dass der Dualismus zwischen Hollywood und Europa, der meist im Fokus des Fachdiskurses stünde, einen Blickwinkel auf das Welt-Kino, mit dem sie die Perspektive marginalisierter Nationalkinematografien beschreibt, verstellen würde.Die Auswahl der Filme, die im Buch analysiert werden, passt sehr gut zu diesem Argument. Fast jedes Kapitel beschäftigt sich mit einem oder mehreren Filmen aus verschiedenen Ländern – ob diese aus Deutschland oder Japan, Brasilien oder dem Iran kommen, ist dabei zweitrangig, im Vordergrund stehen die Effekte der Zusammenschau dieser heterogenen Arbeiten. Die Filme sind zwar nach den drei Kategorien (Non-Cinema, Intermediale Passage und Total Cinema) ausgewählt, ihre bricolagehafte, heterogene Auswahl erzeugt trotzdem einige Verwirrung beim Lesen des Buches. Im ersten Kapitel analysiert Nagib beispielsweise Wim Wenders The State of Things (1982) und im zweiten This is not a Film (2011) des Iraners Jafar Panahi. Es handelt sich um einen Spielfilm und um einen Dokumentarfilm, die beide sehr diverse Themen verhandeln, wie etwa Kolonialismus, Feminismus oder Gender. Diese Auswahl hat auf der einen Seite den Vorteil, ein heterogenes Bild zu formen, anderseits wirkt die Beliebigkeit zeitweise chaotisch. Die zentrale Frage, die Nagib diesen Filmen stellt, ist jene danach, wie diese Filme als realistisch verstanden werden können. Das erste Kapitel stellt außerdem die Frage nach dem Tod des Kinos. Der dort analysierte Film The State of Things solle, so Nagibs steile These, zeigen, dass das Hollywood- und das europäische Kino bereits tot seien. Wenders, so Nagib weiter, inszeniere diesen Status durch zwei unterschiedliche Filmästhetiken. Dabei greife er einerseits auf Special Effects, Farben und rapide Kamerabewegungen zurück und andererseits auf Schwarz-Weiß-Kontraste als Realismus-Elemente.Um das Konzept des Non-Cinema anhand konkreter Beispiele zu erklären, verwendet Nagib den im Iran verbotenen Film This is not a Film von Jafar Panahi. Weil Jafar Panahi offiziell nicht mehr im Iran drehen darf, versucht dieser, sein Leben mit Smartphone-Kameras zu filmen. Die Orte seiner Filme sind etwa seine eigene Wohnung oder seine private Villa in Nord-Iran und der Protagonist des Films ist Panahi selbst. Sein eigenes Leben zu filmen, ist eine politische Reaktion auf das über ihn verhängte Berufsverbot durch die islamische Regierung. Auch im Dokumentarfilm Act of Killing (2012) von Joshua Oppenheimer erkennt Nagib das Prinzip des Non-Cinema: hier würden Realität und Fiktion zusammenfallen, wenn indonesische Kriminelle ihre eigene brutale Geschichte des historischen Massakers von 1965 bzw. 1966 erzählen. Nagibs Analyse inkludiert filmtheoretische Prämissen, Interviews, politische Nachrichten und Produktionsmodelle des Films. Im zweiten Teil des Buches steht neben dem World-Cinema auch die Intermediale Passage im Fokus. Wie andere Kunstformen, etwa Malerei oder Theater, könnten Filme eine andere Form von politischen, sowie historischen Realitäten der Gesellschaft darstellen. Dafür analysiert Nagib die Rolle von Schauspielmethoden und Theater in den zwei sehr wichtigen japanischen Filmen The Story of the Last Chrysanthemums (1939, Kenji Mizoguchi) und Floating Weeds (1959, Yasujirō Ozu) mit einem Blick auf das Kabuki-Theater (vgl. S. 127). Nagib versucht hier zu zeigen, wie japanische Filme eine andere Realität, basierend auf der japanischen Geschichte und Theatertradition, reflektieren können. Dabei greift sie auf unterschiedliche Quellen zurück, wie etwa auf autobiografische Bücher über die beiden Regisseure, die Geschichte des Kabuki-Theaters im Japan und Interviews mit den Schauspieler*innen der Filme. Darauf folgt eine Analyse von Mysteries of Lisbon (2011) des chilenischen Regisseurs Raúl Ruiz. Am wichtigsten für den analytischen letzten Teil von Nagibs Publikation ist aber das zeitgenössische brasilianische Kino, für das die Autorin den Zusammenhang zwischen Nationalidentität und Diktaturzeit erklären will. In diesem zweiten Teil gerät die Bazin'sche Perspektive aus dem Fokus und die Autorin verwendet weitere Theorien zum Realismus, etwa von Bertolt Brecht, Walter Benjamin, Gilles Deleuze, Alain Badiou und Jürgen Habermas. Klar wird allerdings auch durch diese theoretische Unterfütterung nicht, warum die von der Autorin angesprochenen intermedialen Passagen eine Rolle für ein neues Verständnis von Realismus und Film spielen. Der letzte Teil des Buchs soll schließlich das dritte Konzept, das Total Cinema, durch die strukturelle Nähe zu anderen Künste wie Oper oder Musik erklären. Nagib versucht durch eine sehr genaue Analyse der Strukturen der Opernvorlage von Luchino Viscontis Film Ossessione (1943) zu zeigen, dass ein Film die "Totalität" einer Oper besitzen kann. Totalität bedeutet für sie eine Kunstform, die sich aus verschiedenen Kunst- und Literaturformen wie Musik, Tanz, Schauspiel und Lyrik zusammensetzt und so ein eigenes Wesen ausbildet (vgl. S. 201). Außerdem wird in dieser Sektion noch Edgar Reitz' Langzeitdokumentation Die zweite Heimat: Chronik einer Jugend (1992) analysiert. Edgar Reitz erzählt die deutsche Geschichte in dieser langen Serie durch verschiedene Themen (Migration, Krieg, Tradition), Zeiträume (Erster und Zweiter Weltkrieg) und andere Kunstformen (Musik, Tanz, Theater). Nagib versteht diese vielfältigen Themen als Totalität, weil Reitz auf diese Weise eine 'ganze' Geschichte erzählen will. Der Begriff des Total Cinema bleibt trotzdem bis zum Ende des Buches unklar, weil anschließend noch sehr diverse Filme aus Brasilien mit sehr unterschiedlichen Inhalten als 'Total Cinema' beschrieben werden. Die Heterogenität von Material und Themen zieht sich durch das gesamte Buch und hinterlässt schlussendlich den Eindruck, dass Lúcia Nagib dem Diskurs über Realismus und Film – selbst über die Perspektive des World Cinema – keine neuen Befunde hinzufügen konnte. Hergestellt wird vielmehr ein chaotischer Blick auf Realitätsdarstellungen in einer Vielzahl an heterogenen Filmen unterschiedlicher Nationalität. Literatur: Bazin, André: Was ist Film? Hg. v. Robert Fischer. Berlin: Alexander 2004. Nagib, Lúcia/Mello, Cecília: Realism and the Audiovisual Media. Wiesbaden: Springer 2009.
The Silent University', initiated by artist Ahmet Ö?üt in 2012, is an autonomous platform for academics who cannot share their knowledge due to their status of residence, because their degrees are not recognized or regaining access to academia is blocked for other reasons. It is a solidary school by refugees, asylum seekers and migrants who contribute to the program as lecturers, consultants and researchers. 00'The Silent University' proposes a new institution outside of the restrictions of existing universities, migration laws and the other bureaucratic or juridical obstacles many migrants face. At the same time it mimics the idea of exiting universities, using their representational logics by developing alternative structures of pedagogy beyond border politics, race/ethnicity and normative education. 00This first comprehensive publication about the Silent University introduces the initiative and contextualizes it in the wider framework of both radical pedagogy and socially engaged art projects. In addition, all current branches of the Silent University?in Amman, Athens, Hamburg, London, Mülheim/Ruhr, and Stockholm?describe their very different achievements as well as their struggles and failures. 00The book contextualizes this initiative within a broader picture of migration policies, critical pedagogy, artistic involvement and institutional engagement. It also hopes to be an introduction for all those who might want to get involved in the Silent University?as contributors, lecturers, students in the existing branches, or by initiating new SUs wherever they are needed: a need which is becoming urgent in more and more cities and countries all around the world. 00This book is published as an edition of Impulse Theater Festival, which initiated the foundation of Silent University Ruhr in Mülheim in June 2015
In: Orient: deutsche Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur des Orients = German journal for politics, economics and culture of the Middle East, Band 32, Heft 2, S. 265-284
Die britisch-sowjetische Invasion in Iran vom 25.8.1941 wurde offiziell damit begründet, daß von der Anwesenheit einer großen Zahl Deutscher in Iran, ihrer Agententätigkeit und der impliziten deutschlandfreundlichen Haltung des Schahs eine große Gefahr für die Neutralität des Landes und die iranische Nation ausginge. In einem Rückblick auf die iranische Außenpolitik gegenüber Deutschland, Großbritannien und der Sowjetunion zwischen 1921 und 1941 sowie unter Bezugnahme auf dokumentarisches Material und wissenschaftliche Analysen wird die Ansicht vertreten, daß die Anwesenheit der Deutschen lediglich als Vorwand für die Besetzung Irans diente. Abschließend wird die Behandlung der Invasion in der persischsprachigen Literatur im Überblick dargestellt. (DÜI-Hns)
Mitte der Sechziger Jahre hatten in Happenings die verschiedensten Kunstformen zu einander gefunden. Im Moment verankerte Ausdrucksformen waren entstanden, die die Verschmelzung von Kunst und Körper, Kunstproduktion und Erfahrung vorantrieben, oft spartenübergreifend operierten und sich im grösseren politischen Zusammenhang als "Underground" verstanden. Der Begriff Expanded Cinema, der sich in der Filmszene für diese Art Veranstaltungen einbürgerte ist bis heute ein "elastischer Name für viele Arten von Film- und Projektionsveranstaltungen" (Rees 2011, S.12) geblieben, unter welchem Filmemacher/innen und Filmkünstler/innen wiederholt auch Projekte subsummierten, die formal nur noch wenig mit traditionellen Filmvorführungen gemein haben. Experimente mit dem Dispositiv des Kinos und ihrer Kontextualisierung stehen im Zentrum der Tournee Underground Explosion die 1969 Musik, Performance, Theater sowie Licht- und Filmprojektionen kombinierte. Dieser Beitrag versucht diese Tournee als Expanded Cinema zu begreifen und fragt sich, wieso diese Veranstaltungsreihe ephemer bleiben musste und keine Fortsetzung fand. ; + ID: 586504 + Reihentitel: subTexte + PeerReviewed: Peer Reviewed
Der Beitrag unterzieht die von Thilo Sarrazin in seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" aufgestellten Thesen zunächst einer wissenschaftlichen Prüfung und formuliert Erklärungsansätze für den großen Erfolg des Buches. Dabei zeigt sich, dass die Behauptungen Sarrazins weitgehend unhaltbar sind. Da diese sich aber einer hohen Popularität erfreuen, verweist der Sarrazin-Diskurs auf elementare soziale und politische Problemlagen, die letztendlich eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Funktionalität der Demokratie in Deutschland darstellen können. Als zentral für die Sympathien für Sarrazins Argumente erscheinen die seinem Buch immanente Verteidigung bürgerlicher Mittelschichtswerte und –privilegien, die aufgrund eines beschleunigten sozioökonomischen Wandels zunehmend infrage gestellt werden, sowie die vermeintliche Legitimierung tief in der Gesellschaft verwurzelter Ressentiments gegenüber Minderheiten. Vor diesem Hintergrund analysiert der Beitrag bestehende Möglichkeiten und Handlungsbedarfe für entsprechende Interventionen im Rahmen der migrationspolitischen Bildung. Abschließend werden neuere didaktische Ansätze vorgestellt, deren Implementierung im Bildungssystem aufgrund der analysierten Problemlage anempfohlen wird.
Durch die Allegorie der Waldeinsamkeit, die in der Spiegelsymmetrie der Verse eingeschlossen ist, erzeugt Tieck eine Reflexionsfigur des in sich verspiegelten Subjektes und verweist auf einen selbstreflexiven Index, der die poetische Schrift mit der Schrift der Natur konvergieren lässt. Fast zwei Jahrhunderte später fängt ein Emigrant in New York die Natur so zu verfilmen an, wie sie in seinem Heimatland Litauen aussah: mit Schnee, voller Blumen, Bäume und Wind. Er verwendet "das Motiv der Romantik im modernen Kontext: die Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart" (Möbius 1991, 22). Er filmt nicht nur die Natur, sondern auch sich selbst und seine unmittelbare Umgebung. Diese Person trägt auch einen Namen, sie heisst Jonas Mekas und zählt zu den ganz grossen noch lebenden Kunstlegenden des 20. Jahrhunderts. Im Westen ist Jonas Mekas als avantgardistischer Filmemacher und vor allem als Erfinder und Schöpfer einer neuen autobiografischen Filmform bekannt, den Filmtagebüchern. Mekas porträtiert die New Yorker Avantgarde-Kunstszene und politische, kulturelle, soziale Geschehnisse genauso wie seine private Familie und entwickelt mit den filmischen Mitteln der Doppelbelichtung, der Jump-cut-Methode, Single Frame und manipulierten Filmgeschwindigkeiten eine eigenartige Filmästhetik. Fast alle seine Filme sind mit narrativem, meist lyrischem extra-diegetischem Voice-Over kommentiert und mit Musik begleitet, was sehr an die Stummfilmästhetik erinnert.
Der Beitrag widmet sich den "silent citizens" in Frankreich, also den Leuten, die nicht wählen und nicht am aktiven politischen Leben teilnehmen. Insbesondere fallen hierunter jene, die wahrscheinlich auch an keiner Befragung teilnehmen, Personen aus dem populären Milieu. Der Begriff fasst Individuen zusammen, die sich in der Lage von Ausführenden befinden, die bei der Arbeit von anderen beherrscht werden und die außerdem sozial und ökonomisch angreifbar sind. Mittels qualitativer Interviews wird u. a. gefragt: Wann und mit wem sprechen diese Probanden über Europa? Für viele ist dies außerhalb des außergewöhnlichen Kontextes dieser Interviews niemals der Fall. Der Großteil der Befragten pflegt eine Bewertung aus der Distanz der europäischen Realitäten, die sehr schwach positiv und vor allem negativ ausgeprägt ist. Die Autoren unterscheiden innerhalb des populären Milieus drei Gruppen: die Politisierten, die mit einer ambivalenten Beziehung zu Europa und die Gruppe der Europa-Fremden, die kaum über Wissen verfügt und deshalb nicht in der Lage ist, Fragen zu Europa zu beantworten. (ICB2)