Fake news, Faktenignoranz und politische Unterdrückung der Zirkulation von Wissen – die Wissenschaft muss angesichts dieser Herausforderungen ihre Rolle neu definieren. Soll sie sich in die Politik einmischen und mehr Verantwortung für die Lösung gesellschaftlicher Probleme übernehmen? Wird sie glaubwürdiger, indem sie ihre Werte transparent macht? Oder sind solche Massnahmen sogar kontraproduktiv, um einem Vertrauensverlust in die Wissenschaft entgegenzuwirken? In jedem Fall sollte Wissenschaft sich dem Gemeinwohl verpflichten, öffentliche Diskurse anstoßen und zu gesellschaftlicher Orientierung beitragen.
Es wird die These vertreten, dass Richtung und Tempo des wissenschaftlichen Fortschritts von außen nur in gewissen Grenzen beeinflusst werden können. Dieser Befund wird in fünf Schritten näher erläutert: (1) Die Governance der Wissenschaft muss der eigentümlichen sozialen Ordnung der Fachgemeinschaften Rechnung tragen, die durch ein endogenes Governance-Defizit charakterisiert ist. (2) Dadurch entsteht ein systematisches "Gemeinschaftsversagen" der Wissenschaft bei der Erfüllung externer Leistungserwartungen. (3) Formale Organisationen und Förderprogramme kompensieren dieses Leistungsversagen. (4) Sie sind jedoch auf die Partizipation der Wissenschaft in ihrer eigenen Governance angewiesen und deshalb in ihrer Wirksamkeit begrenzt. (5) Neue Entwicklungen in der sozialen Ordnung und der Governance der Wissenschaft verringern die Autonomie des einzelnen Wissenschaftlers, können aber die inhärenten Begrenzungen einer Governance der Wissenschaft nicht grundsätzlich überwinden. (GB).
»Was ist [...] der Sinn der Wissenschaft als Beruf, da alle diese früheren Illusionen: >Weg zum wahren SeinWeg zur wahren KunstWeg zur wahren NaturWeg zum wahren GottWeg zum wahren GlückSie ist sinnlos, weil sie auf die allein für uns wichtige Frage: >Was sollen wir tun? Wie sollen wir leben?keine< Antwort gibt, und ob sie statt dessen nicht doch vielleicht dem, der die Frage richtig stellt, etwas leisten könnte.« (Aus dem Text).
Das Politische der Wissenschaft stellt eine hintergründige, aber entscheidende Herausforderung für alle dar, die an Universitäten, in der Forschung und im Bildungsbereich tätig sind. Fragen nach der gesellschaftlichen Verantwortung, dem kritischen Potential und möglichen normativen Gehalten der Wissenschaft werden in den Hintergrund gedrängt; es zählen messbare Daten und unmittelbare Anwendbarkeit. Doch genau die Forderung, Wissenschaft habe »unpolitisch« und »wertfrei« zu sein, verfällt umso eher den Prämissen einer bestimmten Politik und dem Diktat der Ökonomie – auf diese Zusammenhänge und (höchst politischen) Bedingungen von Wissenschaft und Gesellschaft wollen die Beiträge dieses Sammelbandes aufmerksam machen.
Das Geschlecht einer Person sollte in der Wissenschaft lediglich ein "Unterschied sein, der keinen Unterschied macht". Doch belehrt bereits der Blick in die Statistik eines Besseren: Deutlich wird, dass das Geschlecht offenbar mehr Differenz erzeugt, als in dem modernisierungstheoretischen Statement angenommen wird. Der vorliegende Beitrag geht sowohl einigen Ursachen dieser Diskrepanz als auch dem Umgang damit seitens der staatlichen Gleichstellungspolitik nach. Zunächst wird anhand von statistischen Belegen ein Überblick über die unterschiedlichen beruflichen Erfolge von Frauen und Männern im Wissenschaftssystem gegeben, dies sowohl im internationalen Vergleich als auch im Vergleich zwischen verschiedenen Fächergruppen. Anschließend werden verschiedene soziologische Ansätze vorgestellt, in denen zur Erklärung der statistischen Befunde die Eigenlogiken des wissenschaftlichen Systems im Hinblick auf ihre "gendered substructure" als Erklärung herangezogen und disziplinspezifische Unterschiede fokussiert. Die anschließende Darstellung von Gleichstellungspolitik im Wissenschaftsbereich folgt einer Rekonstruktion der historischen Entwicklung seit Mitte der 1980er Jahre vor dem Hintergrund der Eigenlogiken des politischen Systems. Hinter der für diese Beschreibung gewählten Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Politik steht die differenzierungstheoretische Annahme, dass staatliche Politik und Wissenschaft unterschiedliche Eigenlogiken kennen und (Gleichstellungs-)Politik lediglich versuchen kann, über die Kontexte, in denen Wissenschaft stattfindet, steuernd einzugreifen, vor allem durch gesetzliche Rahmenvorgaben und via Ressourcenverteilung. (ICA2).
Der Autor behandelt das Thema der Toleranz im sozialen System der Wissenschaft. Für ihn ist Toleranz gegenüber den ungewöhnlichen, innovativen und von der Mehrheitsmeinung abweichenden Ideen ein gewisser "Artenschutz" in der Welt des Wissens, denn sie sichert den "Mempool", den das System für seine zukünftige Entwicklung braucht. Eine betrügerische, aber auch methodisch defekte Wissenschaft dagegen verbraucht Ressourcen, ohne einen Beitrag zum Reservoir der Ideen zu leisten. Damit verengt sie den Überlebensraum der echten Konkurrenten. Dies gilt auch für die sogenannte Pseudowissenschaft, sofern sie in betrügerischer Absicht oder ohne methodischen Sachverstand betrieben wird. Davon abgesehen stellen "schräge" Ideen auf einem funktionierenden Konkurrenzmarkt der Theorien kein großes Problem dar und die Zahl ihrer Anhänger unter den Wissenschaftlern wird gering bleiben. Sie durch Diffamierung als "pseudowissenschaftlich" auf Null zu bringen, ist nach Ansicht des Autors unnötig und schädlich; schließlich haben es viele einst als "schräg" angesehene Ideen zuwege gebracht, in den Rang "ernsthafter Wissenschaft" erhoben zu werden. (ICI2)
Main description: "Was ist [...] der Sinn der Wissenschaft als Beruf, da alle diese früheren Illusionen: 'Weg zum wahren Sein', 'Weg zur wahren Kunst', 'Weg zur wahren Natur', 'Weg zum wahren Gott', 'Weg zum wahren Glück', versunken sind. Die einfachste Antwort hat Tolstoi gegeben mit den Worten: 'Sie ist sinnlos, weil sie auf die allein für uns wichtige Frage: 'Was sollen wir tun? Wie sollen wir leben?' keine Antwort gibt.' Die Tatsache, daß sie diese Antwort nicht gibt, ist schlechthin unbestreitbar. Die Frage ist nur, in welchem Sinne sie 'keine' Antwort gibt, und ob sie statt dessen nicht doch vielleicht dem, der die Frage richtig stellt, etwas leisten könnte." (Aus dem Text)