Der Verfasser gibt einen Überblick über theoretisch-konzeptionelle Ansätze in der neueren soziologischen Europaforschung. Vor dem Hintergrund einleitend skizzierter allgemeiner Perspektiven vor allem der soziologischen Institutionentheorie werden fünf Konzeptionen vorgestellt, die unterschiedliche analytische Schwerpunkte setzen: (1) die EU als rechtlich konstruierter Herrschaftsverband; (2) Bürokratisierung als Merkmal der Herrschaftsstruktur des EU-Verbandes; (3) das Öffentlichkeitsdefizit des europäischen Entscheidungssystems; (4) das Defizit an europäischer Identität; (5) Inklusion und Wohlfahrtsstaat. Der Verfasser sieht Desiderata der soziologischen Theoriebildung vor allem in Bezug auf Prozesse der politischen und gesellschaftlichen Supranationalität und Transnationalisierung. Als Anhang ist ein tabellarischer Überblick über theoretische Konzepte der sozialwissenschaftlichen Europaforschung beigefügt. (ICE)
Die europäische Integration hat nicht nur auf supranationaler Ebene ein weitgehend demokratiefernes und -resistentes Herrschaftsgebilde hervorgebracht. Ihr wohnt gleichfalls eine Tendenz zur endogenen Devolution demokratischer Strukturen und Verfahren inne, die einen systemübergreifenden Institutionenwandel in den Mitgliedstaaten mit tiefgreifenden Folgen für die politischen Systeme in Gang gesetzt hat. Die Tendenz zur Entdemokratisierung vollzieht sich über die Verstärkung bekannter Pathologien, Paradoxien und Defizite demokratischer Systeme. Zu den Prozessen der Entdemokratisierung in der Europäischen Union zählen folgende Phänomene: (1) Bedeutungsüberhang von Ministerrat und Kommission auf Kosten des Europäischen Parlaments im Sinne von Oligarchisierung und Elitenkartellen; (2) konkordanzpolitische Institutionalisierung von Konfliktregelungen; (3) Bürokratisierung, Informalisierung und Arkanisierung der Entscheidungsprozesse im Rahmen eines ausgedehnten national-supranationalen Ausschusssystems. Aussichten auf eine grundlegende Parlamentarisierung der EU sieht der Verfasser gegenwärtig nicht. (ICE)
Der Beitrag untersucht die Rahmenbedingungen der transnationalen Institutionenpolitik im politisch administrativen Binnensystem der Europäischen Union. Empirischer Gegenstand sind die Verwaltungs- und Expertenstäbe des europäischen Regierungssystems. In Anbetracht der Vielfalt an Stäben richtet sich der Focus der Untersuchung auf das Ausschußwesen der Europäischen Kommission. Die Komiteepolitik ist Ausdruck einer Strategie der segmentären transnationalen Politik-Netzwerkbildung, mit der sich dieses Organ seine politische und administrative Handlungsfähigkeit sichert. Der Autor zeigt, daß das europäische politisch-administrative Handlungssystem in den Kategorien der traditionellen Bürokratiesoziologie und bürokratischen Politik nicht mehr angemessen verstanden werden kann. Erforderlich ist die Entwicklung eines begrifflich-theoretischen Bezugsrahmens, der der transnationalen Institutionenpolitik der Kommission Rechnung trägt. (pre)
"Der Prozeß der europäischen Einigung hat eine eigene, differenzierte und inzwischen weitgehend konsolidierte Institutionenordnung hervorgebracht. Die ständige Erweiterung und Dynamisierung des legitimen Wirkungsradius der Europäischen Union ist - außer auf das politische Engagement individueller Akteure und beteiligter Funktionseliten - auf bestimmte institutionelle Mechanismen der endogenen Machterweiterung zurückzuführen. Unter diesem Gesichtspunkt werden in diesem Beitrag die administrativen Binnenstrukturen des zentralen 'korporativen Akteurs', der Kommission, im Verhandlungssystem der Europäischen Gemeinschaft untersucht. Gefragt wird nach den formalen und institutionellen Voraussetzungen der Freisetzung dieses Organs gegenüber nationaler politischer und demokratischer Kontrolle. Die zentrale Hypothese lautet, daß durch die Prozesse der Institutionenbildung auf supranationaler Ebene eine Wachstumsspirale in Gang gesetzt wurde. Diese Spirale schraubt die 'sektorale' politische Leistungskompetenz des Gemeinschaftssystems immer höher. Vieles spricht dafür, daß die meisten Errungenschaften der Integration, der sog. acquis communitaire, irreversibel sein werden." (Autorenreferat)
Es wird oft verkannt, wie sehr sich das Institutionengefüge der Europäischen Union (EU) hinsichtlicher seiner normativen Legitimationsprämissen, organisatorischen Binnenstrukturen sowie politischen und funktionalen Steuerungsstrukturen von den herkömmlichen nationalen Staatsstrukturen bereits unterscheidet. Der vorliegende Beitrag arbeitet heraus, daß und wie durch die fortschreitende europäische Einigung zentrale Funktionszusammenhänge der nationalen politisch-administrativen Systeme partiell desintegriert worden sind. Weiterhin hat sich auf europäischer Ebene eine in ihrer körperschaftlichen Struktur weitgehend autonome Verbandsordnung mit eigener Legitimität und Souveränität herausgebildet. Ein der Regimekomplexität angemessenes Verständnis erfordert zweierlei: (1) Die stärkere Berücksichtigung der legitimatorischen und strukturellen Spezifika der institutionellen EU-Ordnung; (2) Die institutionell vermittelte Integrationsdynamik ist stärker unter Berücksichtigung der Eigengesetzlichkeiten des politisch-administrativen Handlungszusammenhänge auf EU-Ebene zu analysieren. (ICE)