Der Beitrag schließt an die Darstellung der Begutachtungs- und Urteilsdilemmata im Fall des norwegischen Attentäters Anders Behring Breivik durch Stroeve (in diesem Heft) an. Auf der Matrix erkenntnistheoretischer Arbeiten von Bachelard, Canguilhem und Althusser werden Charakteristika der Gutachtenerstattung in den als 'konjektural' einzuordnenden Wissenschaften der Psychiatrie und Psychologie herausgearbeitet, hinsichtlich komplementärer Diskursformen von Wissenschaft - Ideologie - Theorie - Praxis - Ethik diskutiert und auf soziale Repräsentationen von Wissenschaft und 'common sense' bezogen. Am Beispiel Breiviks werden Probleme gutachterlicher Ideologie benannt, vor der Matrix eines dichotomen 'bad or mad' Versuchungen einer Pathologisierung politisch Radikalisierter aufgezeigt, die Notwendigkeit ethnopsychiatrischer bzw. -psychologischer Feldkompetenz hergeleitet, Implikationen objektivierender Dekonstruktion bzgl. einer ethisch gebotenen Re-Instituierung des Täters erörtert sowie die Aufspleißung gutachterlicher Wissenschaftlichkeit in eine reduktionistische Methodik und eine positivistische Wissenschaftsideologie belegt.
Der Beitrag gibt die Auseinandersetzung des Herausgeberkomitees der Zeitschrift Les Temps Modernes wieder, die sich 1969 um den Abdruck des transkribierten Tondokuments 'Der Mann mit dem Tonband' von Jean-Jacques Abrahams drehte. Die vordergründig unterschiedlichen Auffassungen von Psychoanalyse spiegeln nicht nur eine "tiefe Spaltung" von Jean-Paul Sartre, Jean-Bertrand Pontalis und Bernard Pingaud wider. In ihren persönlichen Stellungnahme diskutieren sie grundlegende Aspekte indizierter Sorgeethik, un-/dialektischer Subjekt-Objekt-Verhältnisse, der Freiheit / Unfreiheit sowie Gewalt in - therapeutischen - Beziehungen, der Grenzsituationen psychischer Störung und Behandlung.
"Der Beitrag bringt einen Aufriss der von der Aufklärung bis in die Gegenwart reichenden Strafrechtsreform. Hierbei dienen Cesare Beccaria und Michel Foucault als Zeitzeugen, Kritiker wie Impulsgeber und Oktanten: Die Re-Lektüre ihrer Arbeiten ermöglicht, die gesellschaftliche Funktion von Strafe, den Übergang von der Straf- zur Disziplinargesellschaft, die Substitution des legalistischen Strafdiskurses durch einen politischen, pragmatisch-polizeilichen Kontroll- und Überwachungsdiskurs nachzuzeichnen." (Autorenreferat)
"Der Beitrag bringt Auszüge einer (selbst-)kritischen Reflexion sozialarbeiterischer Betreuungs- und Wohnheimpraxis. Text-Collagen aus therapie- und sozialkritischen Arbeiten der siebziger und achtziger Jahre punktieren Praxiskontext wie -alltag und skandalisieren jene (ausweglose?) Wiederholungsschleife sich modernisiert perpetuierender Hilfe-Praxen ohne Subjekt-, Problem- und Geschichtsbewusstsein." (Autorenreferat)
"Der Beitrag kommentiert die 1565 als Songes drolatiques de Pantagruel erschienenen und fälschlich Rabelais zugeschriebene grotesken Holzschnitte. Die karnevalesken Kreaturen erscheinen ob ihrer konvulsiv-monströsen Gestalt(ung) als Antidot idealisiert-normativer Ästhetik- und eingefrorener Sprachkonventionen. Diskursanalytisch fungieren Sprachbild (Symbolisches) und Bildersprache (Imaginäres) als simulakrum eines traumatischen Kerns (Reales)." (Autorenreferat)
'Der Beitrag diskutiert 'Wahrheit' als ein eine instituierende gesellschaftliche Institution. Im Kontext von Heiliger Veronika, wahrem Zeichen ('veron ikon') und der heilpflanzlichen Veronica wird der fiktionale Charakter von Wahrheit aufgezeigt. Der Initiationsstatus des Geständnisses als das Diskursritual des Wahrsprechens ('parrhesia') in der abendländischen Kultur offenbart den Fetischcharakter der eingeforderten 'Wahrheit'. Dabei setzt Demokratie die Redefreiheit ebenso voraus, wie sie von der ausgesprochenen Wahrheit infrage gestellt wird. Skizziert wird diese Wahrheitslogik und -dialektik am historischen Beispiel des vor 30 Jahren dienstsuspendierten Psychologieprofessors Peter Brückner und seiner Haltung zur 'institutionellen Umklammerung des Lebens'.' (Autorenreferat)
'Der Beitrag thematisiert die intrapsychische und interpersonelle Dynamik der Stigmatisation: Anhand der Extremfälle Stigmatisierter lassen sich Aspekte der Verschränkung von Psyche und Soma - bzw. Leib und Seele - sowie Funktion, Struktur, Dynamik und Genese der Symptombildung aufzeigen. Internalisierungsprozesse der Spiegelung, der Imitation und der Identifikation werden in ihrer Bedeutung für das konkrete Subjekt diskutiert und vor dem Hintergrund einer prothetischen Abstützung durch religiöse Systemelemente erörtert.' (Autorenreferat)
In: Zeitschrift für politische Psychologie: ZfPP ; offizielles Organ der Sektion Politische Psychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) ; offizielles Organ der Walter-Jacobsen-Gesellschaft e.V. für Politische Bildung und Politische Psychologie (WJG), Band 13, Heft 3/4, S. 335-352
Die strategische Figur des dilettantischen demokratischen Subjekts ist nicht nur sozioökonomisch und/oder symbolisch-kulturell determiniert, sondern unter psychodynamisch-strukturellen Gesichtspunkten auch in seiner idealistisch-illusionären Abwehr infrage stellender Beziehungen begründet: Einerseits ist das demokratische Subjekt nur sehr bedingt in der Lage, die Unvollkommenheit des Anderen zu ertragen, anstatt am Phantasma seiner Vollkommenheit festzuhalten und dadurch zu verleugnen, dass niemand vom Mangel verschont wird. Dabei erweisen sich die Ursprungsmythen der Demokratie als Beispiele dieses Vollkommenheitsphantasmas, indem der Citoyen als das Ich-Ideal des reellen Bürgers entworfen wird. Andererseits liegt in dieser Beziehung insofern eine Gefährdung des demokratischen Subjekts - und der 'kommenden' Demokratie - begründet, als die moralisch verordnete Nächsten- oder Bruderliebe als Moment, in dem die Brüderlichkeit der Brüder zum Gesetz wird, in eine politische Diktatur der Fraternokratie zu münden droht. (ICF2)
'Der Autor diskutiert Kaminskis Forderung, jedes psychologische Paradigma müsse 'sich mindestens auch dieses fragen: ob ihr homo psychologicus lebensfähig wäre, ob er Gesellschaft entwickeln könnte, ob er Psychologie hervorzubringen und anzuwenden imstande wäre'. Zum Teil komplementär, zum Teil im Widerspruch zur akademischen Psychologie vertritt er ein psychoanalytisches Subjektmodell, das die selbst- und ich-psychologischen Vorstellungen eines autonomen Ich als Illusionsbildung verwirft, die zentralen Determinanten des Unbewussten, des Begehrens, des Phantasmas sowie die Topologie des Realen, Symbolischen, Imaginären herausarbeitet. Als kritische Psychologie ist sich diese psychoanalytische Psychologie dennoch ihrer unausweichlichen Selbstverkennung, ihres provisorischen Charakters als theoretisches 'Exoskelett' bewusst.' (Autorenreferat)
In: Zeitschrift für politische Psychologie: ZfPP ; offizielles Organ der Sektion Politische Psychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) ; offizielles Organ der Walter-Jacobsen-Gesellschaft e.V. für Politische Bildung und Politische Psychologie (WJG), Band 12, Heft 1/2, S. 25-46
Um Entsolidarisierungsprozesse verstehen zu können, versucht der Beitrag ein intra- und intersubjektives Modell der Solidarität zu entwickeln. Dazu werden für eine Ontologie des Subjekts psychoanalytisch-philosophische Theorien (Lacan, Castoriadis, Levinas, Zizek, Kant, Hegel, de Sade) herangezogen. Ziel ist es, die Solidarisierungsprozesse bzw. Entsolidarisierungsprozesse nicht nur psychologisch zu fassen, sondern auch im Rahmen des "Sozialen" und der intersubjektiven Verhältnisse einzuordnen. Thematisiert wird auch die in den 10 Geboten ausgedrückte intersubjektive Ethik, die sich imperativ in Form von Verboten gegen ein unmäßiges Begehren den "Nächsten" gegenüber wendet. In der Solidarität geht es auch darum, die gegenseitigen Begehren in einem dialektischen Verhältnis zu bewahren, d.h. nicht selbstunterwerfend und selbstaufopfernd Vasall des Anderen (Nächsten) zu werden, sondern reziproke, achtsame intersubjektive Beziehungen zu wahren. Somit bedarf jede Solidarisierung differenzierter ethischer Bedingungen, die eine Anerkennung des Andersseins des Anderen erlaubt. (ICH)
Anhand aktueller klassifikatorischer Diskurse lässt sich das Design der forensischen Psychiatrie und Psychologie diagnostizieren: Im Comeback der Psychopathie-Konzepte werden biologisch-psychiatrische Determinanten "antisozialen" respektive "dissozialen" Verhaltens favorisiert, überwunden geglaubte biologistische Argumentationsfiguren reaktualisiert und interdisziplinäre Verstehens- und Behandlungszugänge zum Subjekt in Frage gestellt. Die Kritik richtet sich auf die defizitorientierte, reduktionistische Ergebnisinterpretation mancher biologisch-psychiatrischer und psychologisch-physiologischer Forscher. Dem Mainstream psychopathiefixierter forensischer Wissenschaften wird ein Dialogmodell von Neurowissenschaften mit psychoanalytischer Hermeneutik, eine entwicklungspsychologisch-psychodyamisch und psychosozial ausgerichtete Diskussion gegenüber gestellt. Gefordert wird ein kritisch-integrativer, interdisziplinärer Dialog der Psycho-Wissenschaften, um der (Selbst-)Instrumentalisierung einzelner Disziplinen, der Aufgabe fachlicher wie ethischer Standards und den Risiken des ideologisch verkürzenden Designs des psychiatrischen - speziell forensisch-psychiatrischen - Praxisfeldes konstruktiven Widerstand entgegen zu setzen.
Für den Umgang mit dem fremden Anders- und dem eigenen Selbstsein wird Foucaults Konzept der "Selbstsorge" vorgestellt und hinsichtlich seiner Bedeutung für die Entwicklung einer ethischen Haltung diskutiert. Über eine die Analyse der Mechanismen des Macht-Wissens hinterschreitende Untersuchung antiker ethischer Praktiken des Selbst läßt sich ein Subjektbegriff konzeptualisieren, der die Freiheit des Subjekts zur eigenständig-individuellen Wahl ebenso anerkennt wie diese dem Subjekt imperativ abverlangt: Als konkrete soziale Praktik kann dieser Nexus von Selbstsorge, Sorge um den anderen und Wahrheitssorge dazu dienen, die Freiheit des anderen - wieder - insofern anzuerkennen und zu respektieren, als sich hieraus einseitige Zuschreibungen von Schuld, Krankheit usw. versus Verantwortung, Kompetenz usw. aufheben und sich wechselseitige, kongruente und komplementäre Interaktionsmöglichkeiten herstellen lassen.
'Die Basis bilden idealistische Forderungen der anti- und sozialpsychiatrischen Diskussionen früherer Jahre, deren Verbindlichkeit und praxisbezogene Konkretheit anhand der real vorfindbaren Praxis diskutiert werden muß. Es wird versucht, die tatsächlichen Auswirkungen im konkreten Krankenhausalltag einer forensischen Psychiatrie zu exemplifizieren, in der sich Diskurse der Politik, Justiz, Medizin und Psychologie treffen, ergänzen und zugleich in Frage stellen. Die Problematik ethisch-moralischer Verantwortung wird am konkreten Beispiel der Anwendung unmittelbarer Gewalt als Gefahrenabwehr diskutiert.' (Autorenreferat)
In: Zeitschrift für politische Psychologie: ZfPP ; offizielles Organ der Sektion Politische Psychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) ; offizielles Organ der Walter-Jacobsen-Gesellschaft e.V. für Politische Bildung und Politische Psychologie (WJG), Band 7, Heft 99, S. 237-256
"Die öffentlichen Diskurse werden u.a. von vehementen Forderungen nach höherer Sicherheit, konsequenterer Bestrafung und Gesetzesverschärfungen geprägt. Parallel zur Verschärfung des Sexualstrafrechts 1998, zur Neufassung der Maßregelvollzugsgesetze in mehreren Bundesländern beherrscht das Schlagwort 'Kinderschänder' eine Berichterstattung über scheinbar gehäufte, real jedoch eher abnehmende pädosexuelle Gewaltdelikte, wird im Strafvollzug für 'Sexualstraftäter' programmatisch eine 'Pflicht' zur Therapie eingefordert, reaktualisieren öffentliche Diskussionen das pauschale Bild vom 'therapieresistenten Psychopathen', thematisieren Politiker die Herabsetzung des Schuldfähigkeitsalters und die Unterbringung jugendlicher Straftäter in geschlossenen Heimen. Der Beitrag untersucht die als Effekt Sozialer Repräsentationen aufzufassenden Stigmatisierungsprozesse und die Sicherheitsspirale der gesellschaftlichen Diskurse auf ihre sozialpsychologischen, psychotherapeutischen und institutionellen sowie ihre rechtsdogmatischen und kriminalpolitischen Implikationen und Auswirkungen. Die Dialogform ermöglicht sog. 'doppelte' Diskurse als Widerstreit der komplementären, im gesellschaftlichen Diskurs oft unverbundenen, psychologischen und Rechtswissenschaften. Die Disputation untersucht verschiedene Facetten eines befriedungspolitischen Mainstreams auf ihre Konsequenzen für die psychologische Praxis wie für die politische Kultur des demokratischen Gemeinwesens." (Autorenreferat)