Entpolitisiert der Alltag die Geschichte?: Bemerkungen zur Kontroverse um die Alltagsgeschichte
In: Widerspruch: Beiträge zu sozialistischer Politik, Band 1985, Heft 10, S. 58-69
ISSN: 1420-0945
In dem Beitrag werden einige Entstehungs- und Entwicklungslinien der 'Alltagsgeschichte' sowie deren wissenschaftliche Standortbestimmung durch Anhänger und Kritiker skizziert. Die Vertreter der Alltagsgeschichte knüpfen an die Tradition der Schulen um die Zeitschriften 'Annales' und 'Past and Present' an. Mit Hilfe von Ethnologie, Anthropologie und Volkskunde wollen sie die Geschichte des Alltags und der Unterschichtsangehörigen erforschen. Dabei bedienen sie sich der Methode mikroskopisch genauer Beschreibung. Auf allgemeine theoretische Entwürfe gesellschaftlicher Systeme wird dagegen verzichtet. Die Verabschiedung der Theorie in der Alltagsgeschichte löste scharfe Kritik bei Vertretern der Historischen Sozialwissenschaft und der traditionellen marxistischen Geschichtsschreibung aus. Leuenberger hebt die gemeinsame Frontstellung von Alltagsgeschichte und von theoriegeleiteter Strukturanalyse gegenüber einer herrschaftslegitimierenden Geistes- und Ideengeschichte hervor und plädiert für eine Verknüpfung der beiden Methoden. (ES)