Vorspann Martin Niemöller ist bekannt als ein Anführer der Bekennenden Kirche, der für seine Haltung mit jahrelanger KZ-Haft belegt wurde, und als Nachkriegsmahner für ein kirchliches Bekenntnis zur Mitschuld am Nationalsozialismus. Auch eigenes Schweigen angesichts politisch-moralischer Herausforderungen hat er selbstkritisch thematisiert. Benjamin Ziemann indes zeigt im vorliegenden Beitrag auf, dass sich die Problematik von Niemöllers Verhalten vor seiner Konfrontation mit dem NS-Staat nicht in Passivität erschöpft. Während seiner Studienzeit in Münster leistete er vielmehr als völkisch-deutschnationaler Studentenfunktionär Demokratiefeindschaft und Antisemitismus aktiv Vorschub.
In: L' homme: European review of feminist history : revue europénne d'histoire féministe : europäische Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft, Band 29, Heft 2, S. 91-108
Der Beitrag diskutiert zunächst die für eine historisch-soziologische Analyse von Parametern der Religiosität und Kirchlichkeit vorhandenen quantitativen Daten. Dazu gehört auch eine kritische Betrachtung der Kontextbedingungen, in denen diese Daten als Ausweis kirchenorganisatorischen Erfolgs entstanden sind, und damit zugleich eine Kritik ihrer Verlässlichkeit und Aussagekraft. In einem zweiten Schritt werden die für Deutschland vorliegenden Daten zu zentralen Parametern für den Zeitraum von 1900 bis 1960 vorgestellt und in ihrer Signifikanz analysiert. Neben Unterschieden zwischen Katholiken und Protestanten wird vor allem in zeitlicher Hinsicht die innere Aushöhlung konfessioneller Milieus bereits vor 1945 betont, also schon vor den weithin als Zeit beschleunigten religiösen Wandels angesehenen 1960er Jahren. In einem dritten Schritt werden diese empirischen Befunde dann auf Fragen der historischen und soziologischen Forschungsdiskussion bezogen, die um Konfessionalisierung und Säkularisierung als zentrale Kategorien kreist. Daraus leitet sich ein Plädoyer für eine modifizierte und differenzierte Form des Säkularisierungskonzepts ab, eine These die auch im vergleichenden Blick auf Entwicklungen in anderen Ländern Westeuropas erörtert wird.