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In: Analysen nationaler und supranationaler Politik: Festschrift für Roland Sturm, S. 397-405
Die aktuelle Krise der Europäischen Union ist nicht nur eine Krise der Wirtschaft und der Finanzen. Sie ist zu einer schier unerträglichen sozialen Krise ausgeartet, trifft sie doch mit ihrer brutalen Sparpolitik jene Bürgerinnen und Bürger, die für ihren Ausbruch am wenigsten können. Die Euro-Mitgliedstaaten kürzen Apparate zusammen, entlassen Staatsdiener, streichen Unterstützungsleistungen, erhöhen Steuern und kürzen Renten. Damit ist jene Funktion in Frage gestellt, die für die meisten Europäer in dem Auftrag unserer Staaten besteht, eine einigermaßen gerechte Einkommensverteilung, einen annähernd adäquaten Lebensstandard und staatsbürgerliche Teilhaberechte für möglichst große Teile der Bevölkerung zu garantieren. Die Autorin fragt in ihrem Plädoyer für ein Europa der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit, wie viel Europa wir brauchen, um wessen Europa es eigentlich geht und welches Europa wir wollen. (ICA2)
Der 656-seitige Sammelband, dessen Beiträge teilweise aus der Konferenz "Mythos Europa. Vom Stier zum Sternenkranz" im Dezember 2001 an der Universität Greifswald hervorgegangen sind, führt in 34 Aufsätzen erstmals Perspektiven verschiedener Disziplinen auf den antiken Mythos von der Entführung Europas durch Zeus zusammen. Namhafte VertreterInnen eines weiten Fächerspektrums – von den Geschichts- und Literaturwissenschaften über Philosophie und Kunstgeschichte bis hin zu Ethnologie und Politologie – aus europäischen und außereuropäischen Ländern liefern dabei einen umfassenden Einblick in die vielfältigen Deutungsmöglichkeiten und Interpretationsansätze, die der Europa-Mythos im Laufe der Geschichte bot. Auf informative Weise werden dem Leser die Grundlagen des gemeinsamen kulturellen Erbes Europas enthüllt, zu dem der Europa-Mythos eindeutig gehört. ; This anthology of 34 articles is partly based on the conference "Mythos Europa. Vom Stier zum Sternenkranz" (The Myth of Europa/e: From the Bull to the Circle of Golden Stars) at the University of Greifswald in December 2001 and brings together for the first time perspectives from different disciplines on the antique myth of the abduction of Europa by Zeus. Prominent representatives of a wide range of academic fields – from history and literary studies to philosophy and art history, ethnology and political science – and from European and non-European countries alike give a deep insight into the various possibilities of interpretation offered by the myth of Europa throughout history. In an informative manner readers are initiated inEuropean cultural heritage, which clearly includes the myth of the ancient princess Europa.
BASE
Blog: DPI-Blog
Der Schweizer Medienanalyst Heimito Nollé hat den Beginn des Kommunistischen Manifest von Karl Marx mal so umformuliert: "Ein Gespenst geht um in Europa: Europa". Der Kommunismus ist besiegt, jetzt bedroht Europa sich selbst. Es ist beängstigend, dass man über diesen Aphorismus gar nicht so richtig lachen kann, weil er doch zu viel Wahrheit enthält. Zumindest, wenn wir über das politische Europa sprechen. Als Polen im Jahr 2004 der Europäischen Union beigetreten ist, war die politische Landschaft Europas noch klar erkennbar, ihre Konturen deutlich sichtbar. Offenheit, Vielfalt und Toleranz wurden damals nicht diskutiert, sondern postuliert. Heute scheint das politische Europa in immer dichterem Nebel zu versinken, und schwarze Schatten geistern gespenstisch durch das Grau.Und weil wir selbst unsere Nachbarn nicht mehr so richtig erkennen, widmen wir uns lieber unseren eigenen, nationalen Angelegenheiten. Deutschland versucht die Flüchtlingsprobleme im Alleingang zu lösen, und in Polen steht politisch gelebter Nationalstolz über europäischen Kompromissen. In Deutschland schaut man kritisch auf die Renationalisierung in Ungarn und Polen, in Polen fühlt man sich durch Brüssel bevormundet und in seinen nationalen Werten und Vorstellungen eingeschränkt. Diese Konflikte täuschen aber darüber hinweg, dass es auch ein Europa jenseits politischer und juristischer Auseinandersetzungen gibt. Ein Europa, das nicht nur geographisch definiert ist, sondern das man auch historisch und kulturell als Einheit betrachten kann.Man mag überrascht sein darüber, dass der polnische Kartograph und Astronom Szymon Antoni Sobiekrajski im Jahr 1775 das heute im Osten Polens liegende Städtchen Suchowola sogar als den geographischen Mittelpunkt Europas berechnet hat. Der Mittelpunkt Europas in Polen? Nicht selten blickt man dann in Deutschland in erstaunte Gesichter, die Polen doch gerne und häufig irgendwie im Osten positionieren. Die politischen Gespenster täuschen auch darüber hinweg, dass gerade in der polnischen Gesellschaft die Empathie für Europa – nicht das politische, sondern das ideelle, auch historische – besonders groß ist. Der Stolz auf den Beitrag von Fryderyk Chopin zur europäischen Musikgeschichte oder auf König Sobieski, der 1683 in der Schlacht am Kahlenberg Europa vor dem Einfall der Türken bewahrte, scheint ungebrochen. Ganz zu schweigen von den Leistungen von Papst Johannes Paul II. Zu Recht.Aber wie bekommt man diese Begeisterung für eine europäische Identität einerseits und die politische Skepsis gegenüber Europa anderseits unter einen Hut? Es scheint schwierig, den Deutschen diese zwei Europas, die in Polen nebeneinander existieren, zu vermitteln. Das liegt auch daran, das in Polen sowohl die kritische Auseinandersetzung um politische Themen als auch die vorhandene Begeisterung für die ideelle europäische Identität mit viel mehr Emotionen verbunden sind als in Deutschland. Der Direktor des Deutschen Polen-Instituts, Peter Oliver Loew, hat diese mentale Auseinandersetzung der Polen mit Europa mal in folgende Kurzform gebracht: "Polens Traum: Europa. Polens Zweifel: Europa. Polens Realität: Europa". Vielleicht wäre es hilfreich, wenn wir in Deutschland uns diesen Fragen auch emotionaler stellen würden. Nicht nur in Talkshows oder politischen Debatten. Auch im Dialog mit Freunden oder Arbeitskollegen. Bei uns wird Europa nur dann emotional, wenn es um Meisterschaften geht. Im Fußball. Im Handball. Oder im Europäischen Song-Contest. Ansonsten begegnen wir Europa eher mit Achselzucken, stehen der Worthülse oft ratlos gegenüber, weil wir nicht genau wissen, was sich – und ob sich was – in ihr verbirgt. Leider. Dabei sind Emotionen der Schlüssel für den Dialog. Untereinander im eigenen Land. Aber auch miteinander über die Landesgrenzen hinweg. Dann verschwindet auch der Nebel und es gelingt vielleicht, die beiden Europas in Polen mit dem schalen Europagedanken in Deutschland zu vereinen und daraus ein Europa zu entwickeln, das politisch wie ideell wieder eine Einheit bildet. Eine Einheit, die durchaus Unterschiede und Konflikte beinhalten kann. Aber nicht an den Grundfesten des großen Ganzen rütteln. Europa braucht keine Fragezeichen. Es braucht ein Ausrufezeichen. In Deutschland. Und in Polen.
In: Berichte / Forschungsinstitut der Internationalen Wissenschaftlichen Vereinigung Weltwirtschaft und Weltpolitik (IWVWW) e.V, Band 11, Heft 105, S. 1-5
ISSN: 1022-3258
World Affairs Online
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