Evolution und Revolution: hat die Evolution des politischen Systems eine normative Seite?
In: Das System der Politik: Niklas Luhmanns politische Theorie, S. 326-335
Luhmann beobachtet Moderne und Postmoderne, um zu erkennen, dass beide sich offenbar darin einig sind, dass es in der aktuellen Gegenwart keinen "Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit" (Hegel) mehr gibt. Statt Fortschritt zu einem Ziel gibt es nur ziellose Evolution. Für Luhmann sind alle Vorstellungen absichtsvoller, geplanter und nur deshalb akzeptabler - den Subjekten verantwortlich zurechenbarer - Veränderungen von Geschichtsverläufen und Gesellschaftsstrukturen ebenso unwissenschaftlich wie die Idee normativer Lernprozesse. Soziale Evolution ist kognitives Lernen sozialer Systeme, bei dem Normen und normativ motivierte Interventionen nur die Rolle von "Lernblockaden" spielen. Das Beste, was man tun kann, so lehrt die Beobachtung zweiter Ordnung, ist, alle "Machbarkeitsillusionen" aufzugeben und es die Evolution selbst richten lassen. Der vorliegende Beitrag bezweifelt, ob die Alternative Planung oder Evolution, wie sie Luhmann stellt, tatsächlich exklusiv ist. Das hängt mit dem Doppelsinn von "Planung" zusammen. Entweder Planung oder Evolution - das ist nur dann eine echte Alternative, wenn wir für Planung ein Makrosubjekt, Gott, Weltgeist etc. unterstellen. Unterhalb der Perspektive des Weltgeistes ist Planung selbst ein Produkt der Evolution, das die Möglichkeit erschließt, in der Evolution in die Evolution zu intervenieren. (ICA2)