Spätestens seit der Krim-Krise 2014 liegen die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen im Argen. Diese neue Phase der Spaltung und Konfrontation beschert allen Seiten hohe Kosten und keine Lösungen. Mithilfe eines Dissoziationsmodells entschlüsseln die Autoren die Dynamik des Konflikts und entwickeln ein Konzept, unter welchen Normen und mit welchen Institutionen eine neue Koexistenz geordnet werden könnte.
Seit Anfang 2019 ist Deutschland für zwei Jahre gewähltes Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Die Rahmenbedingungen sind schwierig: Die Zahl staatlicher und nichtstaatlicher Gewaltkonflikte ist auf einem historisch hohen Niveau. Gleichzeitig machen Auseinandersetzungen mit und zwischen den Großmächten den Sicherheitsrat in zentralen Fragen handlungsunfähig. Auch sind die Einflussmöglichkeiten der gewählten Mitglieder begrenzt. Allerdings können durch den geschickten Einsatz diplomatischer Instrumente und Initiativen durchaus wichtige Akzente gesetzt werden. Die Auor.innen des Reports diskutieren in ihren Beiträgen, inwieweit es Deutschland bislang gelungen ist, eigene Schwerpunktthemen auf die Agenda zu setzen und und die Bearbeitung aktueller Konflikte voranzubringen. Sie ziehen eine Halbzeitbilanz und formulieren Empfehlungen für das Jahr 2020.
Una Jakob untersucht ein Phänomen der multilateralen Abrüstungs- und Nichtverbreitungspolitik: Das proaktive Engagement für den Aufbau, Erhalt und die Stärkung der zugehörigen internationalen Regime. Sie zeichnet die Politik Irlands und Kanadas zu den Themenfeldern Nuklearwaffen, biologische Waffen und Antipersonenminen über mehrere Jahrzehnte nach und analysiert die innenpolitischen Ursprünge und begleitenden Diskurse vor dem Hintergrund der Frage, welche Rolle staatliche Identität für die Ausgestaltung der untersuchten Politik spielte. Ihre Analyse zeigt, dass die jeweilige Identität, übersetzt und vermittelt durch die abrüstungspolitische bürokratische Kultur, die beobachtete Politik direkt oder über Pfadabhängigkeiten wesentlich prägte.
Künstliche Intelligenz, insbesondere selbstlernende KI, ist in aller Munde: auch in der Rüstung spielen solche Systeme eine zunehmend größere Rolle: Manche Waffensysteme sind bereits in der Lage, Ziele eigenständig zu identifizieren und zu bekämpfen. Dies stellt die klassische Rüstungskontrolle zunächst vor Probleme, denn ihre Verfahren sind auf die Regulierung physischer Gegenstände wie Raketen und Sprengköpfe und deren innerer Funktionsweise ausgelegt. Auch weitere wichtige Effekte einer verlässlichen Kontrolle wie Vertrauensbildung und Stabilisierung von diplomatischen Beziehungen werden erschwert. Solchen Risiken muss sich die Rüstungskontrolle stellen.
Zum ersten Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte ist mit der AfD eine extrem rechte Partei in allen Landesparlamenten, dem Bundestag und dem Europaparlament vertreten. Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen und warum wird sie gerade jetzt virulent? Die Autoren diskutieren die Erklärungsmuster, die bisherige Forschung bereitstellt und identifizieren Forschungslücken. Sie weisen auf regressive Tendenzen und die tiefe Verwurzelung extrem rechter Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft hin. Sie plädieren für eine qualitative Forschung, die aus einer lokalisierten Sichtweise Gesellschaft als Ganzes "von unten" in den Blick nimmt.
Unternehmen begegnen im Laufe ihres Lebenszyklus unterschiedlichsten Herausforderungen. Im Rahmen dieser Dissertation werden ausgewählte Fragestellungen innerhalb der verschiedenen Zyklen diskutiert. Darüber hinaus hat es in den letzten Jahren Reformen der Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung gegeben, welche hinsichtlich ihres Einflusses auf Unternehmen untersucht werden. Die dargelegten Beiträge analysieren insbesondere: (I) ob Crowdinvesting für innovative Start-Ups als effektive Finanzierungsmöglichkeit im Vergleich zu herkömmlichen Formen der Finanzierung dienen kann. Insbesondere wird untersucht, wie Gründer von Start-Ups je nach Innovationsgrad beim Crowdinvesting strategisch zwischen einer besseren Ausnutzung von Marktpotentialen durch Werbung und der Gefahr des Ideendiebstahls durch Veröffentlichung von Informationen abwägen; (II) ob ein Abschlussprüferwechsel in einer Krise die Möglichkeiten kennzahlenbasierter Bilanzpolitik von Unternehmen erhöht; (III) inwiefern die Entlohnung und Anreize eines Insolvenzverwalters im Insolvenzverfahren ein möglicher Grund für fehlerhafte Verwertungsentscheidungen zwischen Restrukturierung und Liquidation von insolventen Unternehmen sind; (IV) inwieweit Unternehmen des Prime Standards die erhöhten Anforderungen des Abschlussprüferreformgesetzes (AReG) an den Prüfungsausschuss bereits vor dessen Einführung im Hinblick auf Größe, Sitzungshäufigkeit und personelle Eigenschaften erfüllen; (V) ob ausgewählte Jahresabschlusskennzahlen aufgrund des Wegfalls des außerordentlichen Ergebnisses und der Neugliederung der Gewinn- und Verlustrechnung durch das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG) Veränderungen unterliegen, obwohl es zu keiner substantiell veränderten Finanzlage der Unternehmen durch BilRUG kommt. Dabei werden auch Kennzahlen von Genossenschaften betrachtet.
Verglichen mit dem Themenkomplex "Radikalisierung" wurde "Deradikalisierung" in der Wissenschaft bisher eher zweitrangig behandelt. Dieser Report arbeitet systematisch die zentralen Erkenntnisse aus der theoretischen Literatur und aus der Deradikalisierungspraxis auf. Es zeigt sich, dass zentrale Akteure aus Praxis, Wissenschaft, (Sicherheits-)Behörden und Politik nicht nur unterschiedliche Definitionen verwenden, es herrscht auch keine Einigkeit darüber, was Deradikalisierung (praktisch) zu bedeuten hat. Hinzu kommt, dass die Trägerlandschaft der Extremismusprävention in Deutschland so divers ist wie das föderale System der Bundesrepublik. Das in Deutschland bestehende Hybridmodell aus staatlichen und zivilgesellschaftlichen Zuständigkeiten sowie die Vielfalt an Ansätzen und Profilen der Beratenden können, bei richtiger Akzentuierung, als Chance für die Arbeit gewertet werden. Der Report schließt mit entsprechenden Handlungsempfehlungen für Entscheidungsträgerinnen und -träger.
Probleme der Normkomplexität, insbesondere die soziale Konstruktion von Normbeziehungen, stehen im Mittelpunkt dieses Arbeitspapiers. Diese Thematik, so die Ausgangsthese des Papiers, wurde in der Forschung zu globalen Normen innerhalb der Internationalen Beziehungen (IB) bislang vernachlässigt. Zwar haben viele Beiträge zur Normenforschung in den vergangenen Jahren aufgezeigt, dass globale Normen auch nach ihrer formalen Annahme oft Gegenstand von Streit und Neuinterpretationen sind, doch haben sich diese Untersuchungen auf die dynamische Entwicklung einzelner Normen konzentriert. Konflikte und Synergien zwischen unterschiedlichen globalen Normen werden lediglich als "Erklärungsfaktoren" diskutiert, die die Entwicklung einer einzelnen Norm beeinflussen können. Das vorliegende Arbeitspapier nimmt hier einen Perspektivwechsel vor. Es argumentiert, dass Normkonflikte und -synergien selbst Gegenstand und Produkt sozialer Konstruktion und diskursiver Auseinandersetzungen sind. Dynamiken des "norm linkage", die positive und negative Normbeziehungen generieren, gilt es daher besser zu verstehen. Zu diesem Zweck, so der Vorschlag des Papiers, können rationalistische Theorien der Regimekomplexität auf der einen Seite, und pragmatistisch inspirierte Beiträge zur IB-Theorie auf der anderen, die konstruktivistische Normenforschung bereichern. Indem es diese unterschiedlichen Ansätze vergleicht und miteinander in Verbindung bringt, skizziert das Papier eine gemeinsame Forschungsagenda zur Thematik der Normkomplexität. Deren mögliche Anwendung illustriert es am Beispiel von Linkage-Dynamiken zwischen Schutz- und Strafverfolgungsnormen (wie sie z.B. in der "Schutzverantwortung" bzw. im Statut des Internationalen Strafgerichtshofs andererseits zum Ausdruck kommen), die in Debatten über Massenverbrechen und die richtige internationale Reaktion darauf zu beobachten sind.
Radikalität und Radikalisierung werden heutzutage als zentrale Kennzeichen der globalen politischen Krise angesehen. Das täuscht darüber hinweg, wie ambivalent der Begriff ist. Dieser Report plädiert für ein weites Verständnis von Radikalisierung, um die ganze Bandbreite von Radikalisierungsphänomenen in den Blick nehmen zu können: von der Radikalisierung ohne Gewalt über die Radikalisierung in die Gewalt bis hin zur Radikalisierung in der Gewalt. Damit trägt er den verschiedenen Facetten des Radikalisierungsbegriffs stärker Rechnung, denn Radikalität kann politisch durchaus produktiv sein. Ein breiter Radikalisierungsbegriff verschließt sich weder der Kritik an Beschränkungen von Freiheitsrechten noch der Beförderung von Stigmatisierung und löst sich aus der scheinbar untrennbaren Verknüpfung mit unmittelbaren Gefährdungslagen. Er öffnet den diskursiven und regulativen Raum im Bereich der primären, sekundären und tertiären Prävention.
Radikale Gruppen stellen nicht nur die Sicherheitsbehörden, sondern die gesamte Gesellschaft vor enorme Herausforderungen. Dieser Report arbeitet aus der bestehenden Forschung heraus, wie Radikalisierungsprozesse innerhalb und zwischen Gruppen ablaufen und welche Rolle derartige Gruppenprozesse im gesamtgesellschaftlichen Kontext spielen. Er fokussiert insbesondere auf die Schnittmengen bestimmter ideologischer Elemente unterschiedlicher radikaler Gruppen. Diese Gemeinsamkeiten werden im Report als Brückennarrative bezeichnet. Das erste dieser Narrative umfasst Anti-Imperialismus, Anti-Modernismus und Anti-Universalismus und hat als gemeinsamen Fluchtpunkt den Antisemitismus. Im zweiten Brückennarrativ, dem Antifeminismus, treffen sich völkische Nationalisten, christliche und islamische Fundamentalisten und islamistische Dschihadisten. Das dritte Brückennarrativ bildet die Vorstellung, im (legitimen) Widerstand zu handeln und dadurch Gewalt zu rechtfertigen. Der Report legt dar, wie wichtig es ist, diese Narrative in der Präventionsarbeit zu berücksichtigen, das heißt, Maßnahmen zu entwickeln, die das gemeinsame ideologische Muster verschiedener radikaler Gruppen ansprechen.
Welche Faktoren begünstigen eine gesamtgesellschaftliche Radikalisierung? Es gibt wenige Arbeiten in der internationalen und nationalen Radikalisierungsforschung, deren Interesse direkt auf die gesellschaftliche Ebene gerichtet ist, und die diskutieren, welche Wirkung radikalisierte Gruppen, Milieus und Schichten auf die Gesamtgesellschaft und ihre potenzielle Radikalisierung haben. Dieser Report arbeitet die aktuelle Forschung auf und diskutiert begünstigende Faktoren einer gesamtgesellschaftlichen Radikalisierung. Gesellschaftliche Radikalisierung entsteht in dem Maße, in dem die Legitimität des politischen Systems in Frage gestellt wird und eine Abkehr von herrschenden sozialen Normen im politischen Umgang, insbesondere eine Abkehr von der Ablehnung politischer Gewalt, stattfindet. Die Radikalisierung Einzelner, wie auch von Gruppen, Milieus oder Schichten kann gesamtgesellschaftliches Radikalisierungspotenzial bergen. Dabei können gesellschaftspolitische Veränderungen in Summe zu nachlassender gesellschaftlicher Kohäsion führen. Angesichts dieser Möglichkeit fordern die Autorinnen und Autoren gesellschaftliche Resilienz zu stärken sowie die öffentliche Debatte zu zivilisieren.
Welche Rolle spielen die Möglichkeiten des Internets bei der Radikalisierung von Individuen und Gruppen? Dieser Report liefert eine Übersicht über die bestehende Forschung. Er geht der Frage nach, wie und warum extremistische Organisationen und Individuen das Internet verwenden. Darüber hinaus diskutiert er Möglichkeiten (und Grenzen), wie Online-Extremismus wirksam entgegengetreten werden kann. Es zeigt sich unter anderem, dass die Nutzung von Internetangeboten durch extremistische Gruppen oftmals eher laienhaft und herkömmlich ist. Dies sollte auch bei der Entwicklung von Gegenmaßnahmen beachtet werden. Reine Online-Gegenmaßnahmen stoßen an Grenzen, da Offline- und Online-Radikalisierung auf das engste verschränkt sind und nicht getrennt betrachtet werden können. Um der Struktur und den Nutzungsgewohnheiten des Internets gerecht zu werden, bedarf es einer engen Interaktion zwischen öffentlichen und privaten Akteuren in der Strategieentwicklung. Der öffentliche Sektor sollte hier Anreize setzen und muss die Konsequenzen von kritischen Maßnahmen im Bereich der Zensur gründlicher als bisher abwägen.
Warum radikalisieren sich Individuen? Dieser Report gibt einen systematischen Überblick über den Forschungsstand zu den Ursachen und Folgen der Radikalisierung von Individuen und beschreibt wie diese in Wechselwirkung und Interaktion mit anderen Personen, sozialen Gruppen sowie Organisationen oder Institutionen stattfinden. Die Aneignung extremistischer Denkmuster sowie die Zugehörigkeit zu einer extremistischen Gleichaltrigengruppe im Jugendalter helfen bei der Befriedigung allgemeiner Bedürfnisse wie Anerkennung und Gruppenzugehörigkeit, aber auch bei der Reduktion von Unsicherheiten und Identitätskonflikten. Ideologien bieten Individuen nachvollziehbare Deutungsmuster und individuelle Handlungsalternativen für spezifische Problemlagen an. Der Report leitet aus seinen Erkenntnissen Vorschläge für zukünftige präventive und therapeutische Maßnahmen ab.
Dieser Report nimmt das gesteigerte öffentliche Interesse an verschiedenen Maßnahmen und Ansätzen der Radikalisierungsprävention zum Ausgangspunkt einer Diskussion über Evaluation. Evaluationen helfen zu verstehen, wie die Prävention von Radikalisierung und Extremismus im gesellschaftlichen Kontext wirkt. Sie können damit wesentliche Anhaltspunkte für die häufig artikulierte Frage nach den sichtbaren Erfolgen von Prävention liefern. Gleichzeitig existieren in der Debatte um die sogenannte "evidenzbasierte" Prävention teilweise überzogene Erwartungen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit und Durchführbarkeit von Wirkungsevaluationen. Das berechtigte Interesse an belastbaren Wirksamkeitsnachweisen stößt bei der Planung und Umsetzung von Evaluationsstudien im Bereich der Deradikalisierung, Distanzierung und Prävention von Radikalisierung auf beträchtliche Herausforderungen. Dieser Report geht auf einige dieser Schwierigkeiten ein und zeigt beispielhaft verschiedene Ansätze dafür, wie sich Evaluationen im Rahmen realistischer Möglichkeiten umsetzen lassen. Die Idee einer "evidenzbasierten" Prävention kann nur dann funktionieren, wenn der Evaluationsforschung die Eigenheiten, Widersprüche und Kontroversen in Wissenschaft und Praxis bewusst sind und sie diese kritisch reflektiert.
"Nach dem Sturz der tunesischen Diktatur 2011 haben sich die Hoffnungen auf eine Verbesserung der sozioökonomischen Lage im Land nicht erfüllt. Seit 2015 gibt es immer größer werdende Wellen von Protesten für Arbeit und bessere Lebensbedingungen. Die Autoren untersuchen auf Basis quantitativer und qualitativer Analysen, wer in welchen Formen protestiert und welche Forderungen gestellt werden. Sie klären außerdem, warum zivilgesellschaftliche Akteure bisher scheiterten, zwischen Politik und Protestakteuren zu vermitteln. Sie zeigen, dass bereits die Inklusion von Protestierenden in soziale Dialogforen und die Reform von Einstellungsverfahren einen ersten Schritt in Richtung des sozialen Friedens darstellen können." (Autorenreferat)