Susan Leigh Stars (1954-2010) Werk bewegt sich zwischen Infrastrukturforschung, Sozialtheorie, Wissenschaftsgeschichte, Ökologie und Feminismus. Die wegweisenden historischen und ethnografischen Texte der US-amerikanischen Technik- und Wissenschaftssoziologin liegen mit diesem Band erstmals gesammelt auf Deutsch vor. Ihre Arbeiten zu Grenzobjekten, Marginalität, Arbeit, Infrastrukturen und Praxisgemeinschaften werden interdisziplinär kommentiert und auf ihre medienwissenschaftliche Produktivität hin befragt. Mit Kommentaren von Geoffrey C. Bowker, Cora Bender, Ulrike Bergermann, Monika Dommann, Christine Hanke, Bernhard Nett, Jörg Potthast, Gabriele Schabacher, Cornelius Schubert, Erhard Schüttpelz und Jörg Strübing.
Susan Leigh Star's (1954-2010) research encompasses aspects of infrastructural and social theory, knowledge ecologies, feminism and theories of marginality. For the first time, this volume introduces the American science and technology sociologist's most important writings in German. Her texts on border objects, marginality, infrastructures and standards are commented upon by academics and scientists in these fields, and analyzed for their relevance to media studies. With commentaries by Geoffrey C. Bowker, Cora Bender, Ulrike Bergermann, Monika Dommann, Christine Hanke, Bernhard Nett, Jörg Potthast, Gabriele Schabacher, Cornelius Schubert, Erhard Schüttpelz and Jörg Strübing
Grenzobjekt' - Boundary Object - ist ein sozialwissenschaftliches Konzept, das intendiert, die Arten von Wissen und Praktiken begrifflich zu fassen, welche unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen miteinander verbinden: oder auch Wissenschaft und andere Soziale Welten zusammenbrignen. Gemeinsam ist der Vielzahl wissenschaftlicher und praktischer Bezüge, die sich als 'Grenzobjekte' lesen lassen, dass sie heterogene und starker Eigenlogik folgende Sinnsysteme mit 'schwachen' Verbindungen untereinander ausstatten, die aber genau dadurch bedingt verlässliche Arbeitsbeziehungen zum beiderseit
Im Zentralen Bereich von Berlin befindet sich die zur Zeit größte Baustelle Europas. Eine Vielzahl von Organisationen ist damit beschäftigt, die neue Berliner Mitte unter enormem Termindruck aus dem Boden zu stampfen. Wie wird das unter der Bedingung gemacht, daß es keine Organisation gibt, die das Gesamtgeschehen steuert, und welche Rolle spielt Wissenschaft dabei? Ein konkreter Fall wird herausgegriffen und analysiert: Die Erfindung eines rechtswissenschaftlichen Argumentes im Zusammenhang mit Ausschreibungen von Bauaufträgen der Deutschen Bahn AG für den Tiergartentunnel. Das Argument wird von der Idee bis zu seiner Verwendung im Streit um Ausschreibungspraktiken der DB-AG begleitet. Es wird davon ausgegangen, daß sich die Implementierung wissenschaftlichen Wissens als Institutionalisierung eines Grenzobjektes erfassen läßt. Es wird vermutet, daß das Objekt über fortlaufende Verknüpfungen von Repräsentationen und Praktiken zu einem institutionalisierten, tendenziell universell einsetzbarem Objekt wird. Repräsentationen sorgen in dieser Sicht dafür, daß das Objekt mit Legitimität und Autorität versehen wird, so daß es sich gegen Konkurrenz durchsetzen kann. Praktiken hingegen versehen das Objekt mit den, auf dem Weg zur Institutionalisierung nötigen Eigenschaften. Abschließend wird der Wert des Modells für die Wissenschaftssoziologie diskutiert.
Susan Leigh Star's (1954-2010) research encompasses aspects of infrastructural and social theory, knowledge ecologies, feminism and theories of marginality. For the first time, this volume introduces the American science and technology sociologist's most important writings in German. Her texts on border objects, marginality, infrastructures and standards are commented upon by academics and scientists in these fields, and analyzed for their relevance to media studies. With commentaries by Geoffrey C. Bowker, Cora Bender, Ulrike Bergermann, Monika Dommann, Christine Hanke, Bernhard Nett, Jörg Potthast, Gabriele Schabacher, Cornelius Schubert, Erhard Schüttpelz and Jörg Strübing. - Susan Leigh Stars (1954-2010) Werk bewegt sich zwischen Infrastrukturforschung, Sozialtheorie, Wissenschaftsgeschichte, Ökologie und Feminismus. Die wegweisenden historischen und ethnografischen Texte der US-amerikanischen Technik- und Wissenschaftssoziologin liegen mit diesem Band erstmals gesammelt auf Deutsch vor. Ihre Arbeiten zu Grenzobjekten, Marginalität, Arbeit, Infrastrukturen und Praxisgemeinschaften werden interdisziplinär kommentiert und auf ihre medienwissenschaftliche Produktivität hin befragt. Mit Kommentaren von Geoffrey C. Bowker, Cora Bender, Ulrike Bergermann, Monika Dommann, Christine Hanke, Bernhard Nett, Jörg Potthast, Gabriele Schabacher, Cornelius Schubert, Erhard Schüttpelz und Jörg Strübing.
In: Differenz und Integration: die Zukunft moderner Gesellschaften ; Verhandlungen des 28. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Oktober 1996 in Dresden ; Band 2: Sektionen, Arbeitsgruppen, Foren, Fedor-Stepun-Tagung, S. 698-702
"Warum sollte sich die Soziologie für materielle Gegenstände interessieren? Weil man die Konflikte um Dinge in einem evokativen Sinn benutzen kann: Sie offenbaren die sozialen Strukturen der Situationen, in denen diese Konflikte stattfinden. Der Beitrag schlägt vor, das Konzept der 'sozialen Welten' und 'Arenen' von Anselm Strauss für die Untersuchung von 'Grenzobjekten' in der Intensivmedizin einzusetzen. Der Ort, innerhalb dessen die Interaktionen in einer Organisation stattfinden, wird als eine 'Arena' untersucht. Die Arena ist eine Situation, zu der alle Ressourcen gezählt werden müssen, die interaktiv mobilisiert werden können. Dinge sind in diesen Interaktionen natürlich ebenfalls, ihre Widerstände und Hartnäckigkeiten sind strukturelle Momente dieser Situationen. Eine Schüsselfrage dieses Ansatzes ist demnach, welche Chancen die Dinge in einer Arena für die Akteure in dieser Arena darstellen. Mit Dingen kann man - um an das Thema dieser Tage zu erinnern -integrieren ebenso wie differenzieren. Die Bedeutung aller situativen Ereignisse in einer Arena entstammt ihrer Einbettung in Diskurse, die Strauss 'soziale Welten' nennt. Die sozialen Welten, die an einer Arena teilnehmen, teilen sehr wichtige Überzeugungen, befinden sich also in einer gemeinsamen historischen und symbolischen Welt, doch sie haben auch konfligierende Perspektiven und konkurrieren um Ressourcen. Diese Situation macht nun das Konzept der Grenzobjekte nach Star und Griesemer attraktiv. Damit ist ein analytisches Konzept für solche Objekte gemeint, in denen sich die Interessen verschiedener sozialer Welten überschneiden. Grenzobjekte werden sozial konstruiert, aber je verschieden nach den Perspektiven der einzelnen sozialen Welten. Die Konstruktion solcher Grenzobjekte ist ein Schlüsselprozess für die Erhaltung der Kohärenz von Arenen, die von starken Konflikten konkurrierender sozialer Welten geprägt sind. Grenzobjekte haben demnach keinen festen ihnen anhaftenden Sinn, da sie auch ganz verschiedenen Erwartungen dienen müssen." (Autorenreferat)
Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind zwei gegenwärtig dominante Transformationsdynamiken, die sich sowohl entsprechen als auch widersprechen können. Mit ihrem Verhältnis befasse ich mich in diesem Beitrag. Digitale Technologien bergen das Potenzial für einen nachhaltigen Wandel (Energieeffizienz), gleichzeitig haben digitale Technologien (z.B. Rechenzentren) einen hohen Energiebedarf. Auf die daraus resultierenden Handlungsprobleme müssen gesellschaftliche Akteur*innen legitime Lösungen finden und Strategien entwickeln. Offen bleibt, wie diese Lösungen beschaffen sind. Um die Entstehung und Entwicklungen solcher Lösungsstrategien zu analysieren, schlage ich die Verknüpfung zweier pragmatistischer Theorietraditionen vor: die französische Soziologie der Konventionen und die US-amerikanische Theorie sozialer Welten und Arenen. Das Ziel ist es, Konzepte und Ansätze miteinander zu kombinieren, um sowohl die Entstehung als auch die Etablierung von Institutionen empirisch untersuchen zu können. Am Beispiel des "Action Plan for a Sustainable Planet in the Digital Age" der Multistakeholder-Initiative Coalition for Digital Environmental Sustainability (CODES 2022a) wird die Bedeutung der Analyse von sozialen Welten, Arenen und Grenzobjekten für die Soziologie der Konventionen aufgezeigt.
This article considers the construction of the market of Impact Investing – financial investment with the intentional pursuit of "impact" alongside financial return – as one case of the broader turn to Social Finance. Impact Investing is championed by proponents for its ability to provide a sustainable and scalable market-based solution to societal and environmental problems, in contrast to the limited efforts of government and civil society. This article delineates the work of the market maker who motivated the construction of a judgment device to address the issue of quality uncertainty in this new market. I offer a genealogy of this rating system for firms as potential impact investments, showing that it was commissioned by proponents of Impact Investing who, having first engaged in boundary work to distinguish Impact Investing from other spaces of Social Finance, then sought to appeal to traditional investors by mimicking the calculative tools used in traditional capital markets. Yet, the adaptation of a financial rating system to the new field was complicated by the multivocal status of "impact" as a boundary object involving multiple, disparate actors committed to the common project of creating a judgement device for impact investment yet diverging on the question of how impact was to be created by businesses and for whose benefit. The result was a slippage between the conception of impact espoused by the market maker of Impact Investing and the type of impact gauged by the rating system itself, with likely reactive effects for impact investors and investees. I conclude by positing that the development of suitable judgement devices that capture and communicate the impact of socially or environmentally oriented financial activity is one critical yet understudied condition for the ability of social finance markets to achieve their promise.
This article considers the construction of the market of Impact Investing – financial investment with the intentional pursuit of "impact" alongside financial return – as one case of the broader turn to Social Finance. Impact Investing is championed by proponents for its ability to provide a sustainable and scalable market-based solution to societal and environmental problems, in contrast to the limited efforts of government and civil society. This article delineates the work of the market maker who motivated the construction of a judgment device to address the issue of quality uncertainty in this new market. I offer a genealogy of this rating system for firms as potential impact investments, showing that it was commissioned by proponents of Impact Investing who, having first engaged in boundary work to distinguish Impact Investing from other spaces of Social Finance, then sought to appeal to traditional investors by mimicking the calculative tools used in traditional capital markets. Yet, the adaptation of a financial rating system to the new field was complicated by the multivocal status of "impact" as a boundary object involving multiple, disparate actors committed to the common project of creating a judgement device for impact investment yet diverging on the question of how impact was to be created by businesses and for whose benefit. The result was a slippage between the conception of impact espoused by the market maker of Impact Investing and the type of impact gauged by the rating system itself, with likely reactive effects for impact investors and investees. I conclude by positing that the development of suitable judgement devices that capture and communicate the impact of socially or environmentally oriented financial activity is one critical yet understudied condition for the ability of social finance markets to achieve their promise.
In this article we outline the creation of boundary objects as just one of the means to communicate the results of the Youth's Voices research study that sought to understand young people's experiences of living with anxiety. Fifty-eight young people living with anxiety took part in open-ended interviews complemented by photovoice. As one knowledge translation strategy, themes emerging from the data were transformed into boundary objects of a series of video vignettes representing dance interpretations of the themes. The video vignettes revealed meaningful interpretations of the young people's experiences, creating the potential for enhanced empathy and understanding, and reduced stigma for young people living with anxiety. The creation of boundary objects affords the opportunity to communicate the experiences of young people living with anxiety to a wider audience of policy makers, health care practitioners, researchers, as well as the general community.
In diesem Beitrag veranschaulichen wir, wie wir Grenzobjekte genutzt haben, um Ergebnisses der Studie Youth's Voices zu kommunizieren, die die Untersuchung von Angsterfahrungen junger Menschen zum Ziel hatte. Insgesamt interviewten wir 58 Jugendliche mit Angststörungen unter Hinzuziehung des Photovoice-Verfahrens. Themen, die im Zuge der Datenauswertung eruiert wurden, wurden dann in Grenzobjekte transformiert, in unserem Fall in eine Serie von Videovignetten mit tänzerischen Umsetzungen dieser Themen. Die Videovignetten führten zu bedeutungsvollen Interpretationen der Erfahrungen der Jugendlichen und eröffneten wichtige Potenziale für Empathie und gegen Stigmatisierung. Sie halfen, deren Erlebensweise einem breiteren Publikum – Politiker/innen, Praktiker/innen, Forscher/innen und der interessierten Öffentlichkeit – zu kommunizieren. ; In this article we outline the creation of boundary objects as just one of the means to communicate the results of the Youth's Voices research study that sought to understand young people's experiences of living with anxiety. Fifty-eight young people living with anxiety took part in open-ended interviews complemented by photovoice. As one knowledge translation strategy, themes emerging from the data were transformed into boundary objects of a series of video vignettes representing dance interpretations of the themes. The video vignettes revealed meaningful interpretations of the young people's experiences, creating the potential for enhanced empathy and understanding, and reduced stigma for young people living with anxiety. The creation of boundary objects affords the opportunity to communicate the experiences of young people living with anxiety to a wider audience of policy makers, health care practitioners, researchers, as well as the general community.
Susan Leigh Star war eine US-amerikanische Soziologin, Feministin, Technik- und Wissenschaftsforscherin deren Denken in der Chicago School of Sociology und dem symbolischen Interaktionismus verwurzelt ist. Sie beschäftigte sich in Kooperation mit anderen Forscher_innen ab den 1980ern mit Wissenschaftsphilosophie, Sozio-Informatik, Artificial-Intelligence-Forschung und Bürokratie-, Wissens- und Wissenschaftskulturen. Es war ihr ein Anliegen über die kooperative Produktion von Wissen unter heterogenen Bedingungen zwischen Menschen und zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Entitäten in Erarbeitung einer jeweils adäquaten Grounded Theory zu reflektieren. Interessant für die Medienforschung im engeren Sinn sind vor allem ihre medienethnografischen und medientheoretischen Zugänge zur Informationsverarbeitung anhand "vermittelnde(r) Praktiken und Objekte" (S. 14), ihre frühen Arbeiten zu Computerforschung (Computer-Supported Cooperative Work, CSCW) und marginalisierter Arbeit sowie ihre Kritik an der Akteur-Netzwerk-Theorie von Michel Callon, John Law und Bruno Latour. Sebastian Gießmann und Nadine Taha von der Universität Siegen haben 2017 ein Buch zu Susan Leigh Stars wissenschaftlichen Arbeiten herausgegeben. Das Buch erfüllt dabei verschiedene Funktionen: Einerseits werden damit Stars wichtigste Texte gebündelt und in deutscher Sprache publiziert, andererseits bot sich damit auch die Möglichkeit einer systematischen Kontextualisierung und Kommentierung der Texte. Das Buch ist infolgedessen so aufgebaut, dass neben übersetzten Texten von Star und Schreibpartner_innen kommentierende Texte anderer Medien- und Praxistheoretiker_innen gestellt wurden, sodass diese in unmittelbaren Dialog treten und eine Einbettung in aktuelle medienwissenschaftliche Debatten und eine Nuancierung auf jeweils spezifische Fragestellungen erfahren können. Die kommentierenden Texte entstanden im Rahmen des Workshops "Translation of Boundary Objects", der im Mai 2015 an der Universität Siegen stattfand. Hervorzuheben ist auch der besonders dichte und umfangreiche Einleitungstext von Gießmann und Taha, der in das wissenschaftliche Denken und Arbeiten von Star einführt. Das Buch gliedert sich hiernach in drei Hauptkapitel, die sich um die Begriffe 'Grenzobjekte', 'Marginalität und Arbeit' sowie 'Infrastrukturen und Praxisgemeinschaften' drehen. Die umfangreiche Einleitung spinnt einen roten Faden zu Stars Werk, der den Leser_innen hilft Stars Konzepte einzuordnen, und bespricht wichtige Stationen ihres Lebens und einflussreiche Menschen und Ereignisse, um besser zu verstehen, wie sie ihre Positionen entwickelt hat. Susan Leigh Kippax wurde 1954 in Rhode Island in eine Working-Class-Familie geboren. Sie studierte zuerst Social Relations am Radcliff-College in Harvard und belegte dort vor allem Philosophie-Kurse, brach ihr Studium aber ab, heiratete und zog nach Venezuela um eine Kommune mitzugründen. Sie kehrte jedoch bald ans College zurück um sich intensiviert mit feministischen und ökologischen Fragen zu beschäftigen. Die wichtigen Themen der 1968er-Bewegung prägten Stars wissenschaftliche Auseinandersetzung stark. Insbesondere methodologische Fragen wurden für sie interessant, da sie durch die Hinwendung zu Vertreterinnen eines intersektionalen Feminismus, wie Cherríe Lawrence Molaga und Gloria Anzaldúa, begann race-, klassen- und geschlechterkritisch bspw. blinde Flecken der zu dieser Zeit entstehenden Hirnforschung aufzuzeigen, die die Gehirnhälften streng in 'männlich' und 'weiblich' einteilte. Star promovierte zu diesem Thema 1983 bei Anselm Strauss, der zu Medizinsoziologie arbeitete und den Ansatz der Grounded Theory als Weiterentwicklung des symbolischen Interaktionismus in den 1960ern erarbeitete. Stars Doktorarbeit wurde 1989 als Regions of the Mind publiziert und ist den Laboratory Studies zuzuordnen. 1989 erschienen zudem die Aufsätze zum Naturkundemuseum von Berkley und "Structure of Ill-Structured Solutions" – die wichtigsten Texte zum Konzept der 'Grenzobjekte' bei Star. Grenzobjekte entstehen für Star aus kooperativer Bearbeitung (nicht unbedingt unter Konsens) aber in "Interaktionen und unter Machtverhältnissen" (S. 33). Sie entstehen durch diese Bearbeitung, indem "Informationen sichtbar, lesbar, berechenbar und zugänglich gemacht werden" (S. 34) und können daher zwischen heterogenen sozialen Sphären vermitteln. Sie haben keine Medienspezifik als solche, sondern "handeln von einer situierten Vermittlungsspezifik des Sozialen" (S. 39), sind "n-dimensional" (S. 215) und entsprechen damit medienökologischen Auffassungen von Relationalität im buchstäblichen Sinne. 'Grenze' meint bei den Grenzobjekten damit eher eine Schwelle zwischen unterschiedlichen sozialen Wissensformationen und wird als Ort des Übersetzungsprozesses 'vieler zu vielen' aufgefasst. In einem von Stars letzten Texten, "This is not a Boundary Object", widmete sie sich 2010 noch einmal den Grenzobjekten und bespricht sie in Zusammenhang mit Standardisierungen und Kritik, die an das Konzept herangetragen wurde. Zentrale Fragen sind für sie daher die Beschaffenheit und "das Ausmaß der unsichtbaren Arbeit, der alle wissenschaftlichen Experimente und Darstellungen unterliegen, und die Materialität, die dazu dient, die Durchführung von Wissenschaft zu vermitteln" (S. 218). Für Star hängt Standardisierung stark mit unsichtbarer Arbeit zusammen, etwa so wie auch Identität mit Marginalität zusammenhängt. Anhand des sog. "Zwiebelaufsatzes" (1990/91) konnte sie zeigen, wie über Marginalität (ihre eigentlich unbedeutende Zwiebelallergie) Gemeinkosten verteilt werden, "die mit der Art verbunden sind, wie Individuen, Organisationen und standardisierte Technologien aufeinandertreffen." (S. 250) Wenn Star nämlich Essen ohne Zwiebeln bestellte, musste sie feststellen, dass sie bspw. im Fastfood-Lokal wesentlich länger warten musste, oder ihr nicht geglaubt wurde oder sich Zwiebeln zumindest als Deko auf ihrem Essen wiederfanden und zwar überall auf der Welt und in Restaurants und Lokalen mit ganz unterschiedlicher Servicequalität. Daraus zog sie Schlüsse zum Umgang mit Standardisierungen: Hätte eine signifikante Anzahl von Menschen nämlich ähnliche Bedürfnisse gehabt wie sie, wären Standardisierungen in der Gastronomie und im Einzelhandel vermutlich eher zu ihren Gunsten ausgefallen. Star beschreibt Abweichungen aber nicht als Randbereiche oder Abgesonderte, sondern als Mutationen: "Diese sind das, was sich permanent entzieht und widersetzt, aber gleichwohl in Beziehung zum Standardisierten steht. Das ist nicht Nonkonformität, sondern Heterogenität. Oder um es mit Donna Haraway zu formulieren: Dies ist das Cyborg-Ich." (S. 255) Im zweiten großen Kapitel des Buches geht es um Auseinandersetzungen mit der "Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit von Arbeit" im Kontext von Computer-Supported Cooperative Work (CSCW), denn was als Arbeit gilt und dementsprechend auch entlohnt wird, wird unterschiedlich definiert. Im Text "Schichten des Schweigens, Arenen der Stimme" (1999) den Star gemeinsam mit Anselm Strauss geschrieben hat, wird von mindestens vier unterschiedlichen Modi der (Un-)Sichtbarkeit gesprochen, je nachdem ob die Arbeitnehmerin oder ihre Arbeit (un-)sichtbar ist oder beides. Im Fall von Hausangestellten wird anhand von Judith Rollins Between Women (1987) aufgezeigt, wie diese zumeist von den Arbeitgeberinnen beaufsichtigt, aber sozial nicht wahrgenommen werden, ähnlich 'Nicht-Personen' nach Goffman. Durch stummen Widerstand und Sabotage können sich Hausangestellte jedoch auch unter ihren extremen Arbeitsbedingungen (Isolation und Diskriminierung aufgrund von race und Gender) ihre Autonomie erhalten oder Freiräume schaffen. Ein weiteres Beispiel dieses Forschungsinteresses ist ein Projekt zur Identifizierung unsichtbarer Arbeit von Pflegekräften ("Infrastructure and Organizational Transformation. Classifying Nurses' Work", 1995). Die Erkenntnisse aus diesen Studien flossen in die Beschäftigung mit CSCW, denn "in der Gestaltung großangelegter vernetzter Systeme kann dieser Prozess [Verhältnis der (Un-)Sichtbarkeit von Hintergrundarbeit] kaskadieren" (S. 300) und negative Effekte bis zum Zusammenbruch des Systems produzieren. Solche Beobachtungen haben jedoch für alle Bereiche, in denen es zu unsichtbarer Arbeit kommt, einen gewissen Geltungsanspruch – denken wir nur an das Verhältnis von (Un-)Sichtbarkeit von Hintergrundarbeit in der wissenschaftlichen oder kulturellen Praxis. Unsichtbarkeit sei aber auch nicht immer schlecht, weil sie vor übertriebener Kontrolle schützen kann und unsichtbare Arbeiten sollen auch nicht immer notwendigerweise sichtbar gemacht werden, aber dass sie vorhanden sind, muss erkannt und mitbedacht werden, so Star. Im abschließenden Kapitel kommen viele Stränge in gesteigerter Komplexität zusammen, die über die Befassung mit Grenzobjekten und unsichtbarer, marginalisierter Arbeit kenntlich geworden sind: Es geht nämlich um Infrastrukturen und ihre Bedeutung als "großangelegte Informationsräume" (S. 359). So verhandelt der Text "Schritte zu einer Ökologie von Infrastruktur" (1995/96) anhand des Worm Community Service (WCS) (Software zur Forschung an Nematoden die zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms gebraucht werden) Überlegungen zu Informations- und Wissensverarbeitungssystemen, die für die alltägliche wissenschaftliche Praxis unerlässlich sind. Vernetzt wurden mit dem WCS ca. 1400 Wissenschafter_innen in 120 Laboratorien verstreut über die ganze Welt. Die Texte, die von Star in diesem Kapitel versammelt sind, verstärken ihren Anspruch, dass es lohnend ist, sich auch mit vordergründig langweiligen Dingen wie Infrastrukturen zu beschäftigen. In diese scheinbar neutralen Strukturen sind nämlich politische Kämpfe eingeschrieben oder es treten bei genauerer Betrachtung Medienspezifiken zutage, die zunächst unsichtbar bleiben. Aus einer medienkulturwissenschaftlichen und technikphilosophischen Perspektive sind Susan Leigh Stars Überlegungen zu Medien, (wissenschaftlicher) Arbeit und Informationsinfrastrukturen absolut lesenswert, auch weil Star mit großem Interessen die Computerisierung der Wissenschaften und die Entwicklung zahlreicher noch immer aktueller feministischer Debatten verfolgt und reflektiert hat. * Open Access PDF/EPUB verfügbar unter: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3126-5/grenzobjekte-und-medienforschung/
Die Gegenwart der Vergangenheit von 'Community' -- Zur Linearität und Selektivität der Geschichtsschreibung zu 'Community' -- Methodisches Vorgehen -- Die Entwicklung der National Conferences of Charities and Correction -- Zusammenhänge: Family, Neighborhood, Migration -- Education, Religion, Nation -- City, Research, Organization -- School, Playgrounds, Housing -- Individuum, Relationships, Cooperation -- Grenzobjekte und die Chancen von Gestaltungsfenstern -- Anhang: Biographische Informationen zu den Autor_innen der Originaltexte.
In der Diskussion um eine gerechtere zwischenstaatliche Verantwortungsteilung in der europäischen Asylpolitik wurden wissenschaftliche Vorschlägen gemacht, welche die relative Aufnahmefähigkeit von Staaten anhand von Schlüsselindikatoren bemessen. Allerdings steckt deren politische Verwendung bisher noch in den Kinderschuhen. Der vorliegende Artikel analysiert, inwiefern wissenschaftlich generierte Schlüsselindikatoren in der Politik Resonanz finden. Dabei werden Schlüsselindikatoren heuristisch als Grenzobjekte (boundary objects) konzipiert. Theoretisch sind Grenzobjekte aufgrund ihrer interpretativen Flexibilität in der Lage, Kooperation auch zwischen Akteuren mit divergierenden Orientierungen zu vermitteln. Die empirische Analyse von 13 Modellen physischer und finanzieller Verantwortungsteilung ergibt, dass wissenschaftliche Vorschläge ausnahmslos auf einer relativen Bemessung von Aufnahmequoten basieren. Mit der Konstruktion einer erwarteten Aufnahmequote gehen diese Modelle über das politisch etablierte Prinzip freiwilliger zwischenstaatlicher Verpflichtungen hinaus, das einerseits auf einer absoluten Quantifizierung der zu teilenden Verantwortung sowie andererseits auf der Konvention der souveränen Gleichheit der Staaten basiert. Die am häufigsten verwendeten Schlüsselindikatoren sind das Bruttoinlandsprodukt und die Bevölkerungszahl eines Landes, was sich als Anzeichen einer beginnenden Konventionalisierung von Modellen relativer zwischenstaatlicher Verantwortungsteilung deuten lässt. Gleichwohl beinhalten die meisten Modelle weitere Kriterien, die auf spezifische wissenschaftliche oder politische Kompromissanforderungen hindeuten.