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Wenn Fördermittel gestrichen werden, ist der Aufschrei meist groß, auch in der Wissenschaft. Dabei wäre Differenzierung oft angebracht.
Foto: Tim Reckmann, CCO.
"EINE KATASTROPHE für die Sozialwissenschaften", erkannte die taz vergangene Woche angesichts der Mitteilung, dass das Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS), einst gegründet und bis heute finanziert durch Jan Philipp Reemtsma, 2028 schließen soll. Ausgerechnet der Ort, befand die taz, wo empirische und unabhängige Sozialforschung stattfinde, die an Universitäten immer weniger möglich sei.
Und als bekannt wurde, dass die Ampel-Koalition eine dreistellige Millionensumme bei der Förderung der Batteriezellforschung einsparen wollte, warnten die im "Kompetenznetzwerks Lithium-Ionen-Batterien" (KLiB) organisierten Forscher und Unternehmen vor "dramatischen Konsequenzen" und dem "Ende der deutschen Batterieforschung". KLiB-Geschäftsführer Michael Krausa sagte laut Tagesspiegel Background, die wertvolle Struktur "Dachkonzept Batterieforschung" könne so nicht aufrechterhalten werden.
Die Reaktionen sind fast immer die gleichen: Soll etwas geschlossen, sollen Fördermittel wegfallen, passiert das immer genau an der falschen Stelle, steht die ganze Zukunft auf dem Spiel. Da ist die Wissenschaft wie andere Branchen.
Differenzierungen bleiben dann schnell auf der Strecke. Dass etwa, wie die Münchner Soziologieprofessorin Paula-Irene Villa Braslavsky anmerkte, das HIS kaum eigene empirische Sozialforschung gemacht habe, im Gegensatz zu Steffen Mau, Jutta Allmendinger oder Olaf Groh-Samberg, die alle (auch) Uniprofessoren sind.
Oder dass besagtes "Dachkonzept Batterieforschung" vor allem eine politisch ausgehandelte Kompensation war, um diejenigen Bundesländer zufrieden zu stellen, die sich 2019 im Streit um die Batterie-Forschungsfabrik Münster von der damaligen Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) ausgebootet fühlten. Der noch laufende Bau der Fabrik, der übrigens nicht von den Kürzungen bedroht war, machte in den ersten Jahren wiederum vor allem durch seine Verzögerungen Schlagzeilen.
Hinzu kommt: Es war die Industrie, die, bevor sie endlich aufwachte, die Batterieforschung selbst über Jahre dramatisch vernachlässigt hatte. Und jetzt sollte ein drohendes Minus von 155 Millionen öffentlicher Projektförderung ihr den Garaus machen?
Priorisieren in der Krise
Das HIS wird aus Privatvermögen bezahlt, die Batterieforschungsförderung aus dem Staatshaushalt. Beide sind endlich, letzterer derzeit erst recht nach dem Verfassungsgerichtsurteil zum Klima- und Transformationsfonds (KTF).
Bildung und Forschung sollten eine besondere Stellung genießen bei den öffentlichen Ausgaben. Das bedeutet aber nicht, dass nicht auch innerhalb der Forschungshaushalte priorisiert werden muss. Weil dazu in normalen Zeiten oft der politische Mut fehlt, passiert das meist in der Krise.
Das ist nicht schön, kann aber manchmal sogar heilsam sein bei der Auflösung von Verkrustungen. Und selbst wenn dabei Fehler passieren, täte es dem öffentlichen Diskurs gut, auch in der Forschung die Empörungstonlage herunterzudimmen.
In seiner Bereinigungssitzung am Donnerstag hat der Haushaltsausschuss des Bundestages die Kürzung übrigens abgeschwächt – um zunächst 20 Millionen Euro für 2024 und insgesamt 70 Millionen. Hinzu kommt, dass viele Bundesländer eigene Forschungsmittel in dieses Technologiefeld stecken.
Eines ist trotzdem klar: Auch künftig hängt die Batterieforschung in Deutschland vor allem von der Bereitschaft der Unternehmen ab, weiter kräftig zu investieren. Und zwar Milliarden. Dann können sie sich übrigens mehr staatliche Förderung holen, als durch die eingesparten Millionen aus dem Klima- und Transformationsfonds verlorengehen. Die steuerliche Forschungszulage macht es möglich.
Dieser Kommentar erschien in gekürzter Fassung zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
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Fachgesellschaften und Wissenschaftler aus aller Welt schreiben Protestbriefe an die Max-Planck-Gesellschaft, nachdem diese sich von dem australischen Ethnologen getrennt hatte.
NACH ANTISEMITISMUS-VORWÜRFEN hatte sich die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) Anfang Februar von dem australischen Gastprofessor Ghassan Hage getrennt, laut MPG-Pressemitteilung im Einvernehmen. Seitdem ist es ruhiger geworden um Hage, zumindest in den deutschen Medien. In der internationalen Wissenschaftsszene verursacht der Fall dagegen weiter Aufregung. Zahlreiche Unterstützungsbekundungen für Hage in den vergangenen Wochen zeigen eine Dimension der internationalen Debatte über Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, die im deutschen Kontext gelegentlich weniger wahrgenommen wird.
So hat die Provost der Universität von Melbourne, Hages Heimathochschule, dem forschungsstarken Ethnologen gerade erst in einem Schreiben an seine gesamte Fakultät der universitären Rückendeckung versichert. "Akademische Freiheit ist grundlegend für unsere Werte und Regeln", schrieb Nicola Phillips. "So, wie wir sie in der Vergangenheit aktiv verteidigt haben unter anderen Umständen, so tun wir es jetzt wieder in diesem Fall." Hage sei ein respektierter Kollege und Gelehrter mit internationaler Reputation.
Phillips‘ Schreiben ist auch deshalb bemerkenswert, weil die Max-Planck-Gesellschaft die Beendigung von Hages Aufenthalt am Max-Planck-Institut in Halle ebenfalls mit Verweis auf die "Grundwerte der MPG" begründet hatte, mit denen viele der "von Ghassan Hage in jüngerer Zeit über soziale Medien verbreiteten Ansichten" unvereinbar seien.
Unter anderem hatte der in Beirut geborene Wissenschaftler Israel als "sich überlegen fühlender Schläger" bezeichnet, dessen Ende als jüdischer Staat prognostiziert und laut WELT am Sonntag in einem inzwischen gelöschten Post geschrieben, "die Zionisten mit ihrer Siedlergewalt" würden zu "den wilden Bestien des Westens". Laut Zeitstempel noch am Tag des Hamas-Überfalls auf Israel schrieb Hage in seinem Blog ein Gedicht, das in der Feststellung kulminierte: "Die Palästinenser, wie alle kolonisierten Völker, beweisen noch immer, dass ihre Fähigkeit zum Widerstand endlos ist. Sie graben nicht nur Tunnel. Sie können über Mauern fliegen."
Die Erklärung der Max-Planck-Gesellschaft
Der inzwischen nach Australien zurückgekehrte Forscher bestritt, während er in Deutschland war, ein Antisemit zu sein, und betonte auf "X", die Autoren, von denen er am meisten gelernt habe, seien fast alle Juden gewesen. "Und hier lebe ich nun inmitten der Kulturen, die den Judenhass, das Verbrennen jüdischer Bücher und Geschäfte, das Einsperren von Juden in Konzentrationslager und deren massenhafte Ermordung zu einer makabren Kunstform erhöht haben, und muss mir moralische Vorträge anhören, wie man sich nicht antisemitisch verhält."
Nachdem zuerst die WELT am Sonntag über Hages Posts berichtet hatte, geriet die MPG zunehmend unter Druck. Nach tagelangem Schweigen veröffentlichte die MPG schließlich eine Mitteilung, in der sie den Abschied von Hage verkündete. "Rassismus, Islamophobie, Antisemitismus, Diskriminierung, Hass und Hetze haben in der Max-Planck-Gesellschaft keinen Platz."
Derweil hat eine vor drei Wochen gestartete Online-Petition zu Hages Unterstützung inzwischen über 3.500 Unterzeichner gefunden, viele davon aus englischsprachigen Ländern und nicht wenige, die nach eigenen Angaben Juden und sogar Verwandte von Holocaust-Überlebenden sind.
Briefe von Fachgesellschaften und Wissenschaftlern aus aller Welt
Fachgesellschaften und Wissenschaftler aus aller Welt haben sich in öffentlichen Briefen an MPG-Präsident Patrick Cramer gegen Hages "Entlassung" bzw. deren Begründung gewandt, darunter die Australische Anthropologischen Gesellschaft, die Britische Gesellschaft für Nahost-Studien und die Europäische Gesellschaft für Sozialantrophologie.
Auch der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie sprang Hage in einer Erklärung zur Seite und betonte die "unbedingte Notwendigkeit, Antisemitismus, Rassismus, und Islamophobie in Deutschland und weltweit zu bekämpfen". Dies lasse sich jedoch nicht durch "die Überwachung von Wissenschaftler:innen, ihrer wissenschaftlichen Arbeit und ihrer persönlichen Stellungnahmen erreichen". Auseinandersetzungen um den Israel-/Palästina-Konflikt ließen sich nicht ausschließlich mit den Mitteln der Antisemitismustheorie oder -kritik einordnen.
Über 50 israelisch-jüdische Wissenschaftler von Wissenschaftseinrichtungen in aller Welt, auch einige, die an deutschen Hochschulen und Forschungsinstituten arbeiten, schrieben ebenfalls an Cramer "in Unterstützung" Hages und "in Protest gegen die Anschuldigungen gegen ihn". Es sei bekannt, dass Hage ein Unterstützer des Boykotts israelischer akademischer Institutionen und Teil der BDS sei. "Obwohl viele von uns nicht einverstanden sind mit den Methoden dieser Bewegung, erkennen wir an, dass sie nicht die Diskriminierung individueller Juden oder Israelis vorgibt, und wir können versichern, dass Professor Hage auch nicht diese Form der Diskriminierung praktiziert."
Mehrere israelisch-jüdische Wissenschaftler hätten das "Privileg des Austausches und der Debatte" mit ihm gehabt, "und uns ist immer mit Respekt, Freundlichkeit und einer professionellen Antwort begegnet worden." Weiter schrieben die Unterzeichner an MPG-Präsident Cramer: Inmitten einer Zeit der Polarisierung, des tiefen Misstrauens, nationalistischer Radikalisierung und der Verfolgung kritischer Stimmen "appellieren wir an Sie, sich nicht auf das brutale Mundtotmachen kritischer Stimmen einzulassen und die akademischen Werte unvoreingenommener Evaluation und des fairen Umgangs aufrechtzuerhalten".
MPG-Präsident Cramer will die Diskussion in den Max-Planck-Sektionen abwarten
Die Liste an Stellungnahmen zugunsten Hages ließe sich fortsetzen, er selbst hat sie auf seinem X-Account dokumentiert. Nicht weniger lang ist – vor allem in Deutschland – die Liste seiner Kritiker und all derjenigen, die eine weitere Aufklärung von der MPG fordern, etwa seit wann sie von Hages Äußerungen gewusst habe und warum sie nicht früher eingeschritten sei. In jedem Fall aber zeigen die internationalen Wortmeldungen zu seiner Unterstützung, warum die international so stark vernetzte MPG sich so schwertut, einen kommunikativ geradlinigen Umgang mit Fällen wie dem Hages zu finden.
Entsprechend hat die MPG auch auf alle Briefe und Erklärungen zur Unterstützung Hages bislang nicht reagiert. Auf Anfrage sagte eine Sprecherin, Präsident Cramer werde erst die Diskussion in den Fächer-Sektionen der Forschungsgesellschaft in der neuen Woche abwarten "und dann entscheiden, wie wir antworten". Unterdessen kündigte Hage vor dem Wochenende an, gerichtlich gegen die MPG vorgehen zu wollen, "hier geht es um viel mehr als mich“.
Dieser Beitrag erschien heute leicht gekürzt zuerst im Newsletter ZEITWissen3.
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Antisemitismus-Streit in Halle: Max-Planck-Gesellschaft trennt sich von Gastprofessor Ghassan Hage
Nach mutmaßlich antisemitischen Äußerungen eines Wissenschaftlers geriet die Max-Planck-Gesellschaft seit dem Wochenende unter Druck, klar Stellung zu beziehen. Der Forscher selbst betonte, er sei kein Antisemit. Jetzt reagiert die Forschungsorganisation. (07. Februar 2024) >>>
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Über zwei Drittel der promovierten Forschenden spielen mit dem Gedanken, aus der Wissenschaft auszusteigen. Der Ampel-Koalitionsvertrag versprach ein Bund-Länder-Programm für besser Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft. Was ist daraus geworden?
Bald keiner mehr da? Foto: Brian Penny, Pixabay.
ES SIND BESORGNISERREGENDE ZAHLEN. Laut dem neuen "Barometer für die Wissenschaft", erhoben vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), haben 71 Prozent aller befristet beschäftigten Postdocs in den vergangenen zwei Jahren ernsthaft den Ausstieg aus der Wissenschaft erwogen. Und nur noch 16 Prozent der Promovierenden haben als Berufsziel die Professur. Die Ergebnisse "sollten alle Beteiligten aufhorchen lassen", kommentierte Lambert T. Koch, Präsident des Deutschen Hochschulverbands (DHV). Politik und Hochschulen müssen ihre Hausaufgaben machen. Teil der Lösung können verlässlichere und planbarere, aber auch gegenüber außerhochschulischen Märkten attraktive Karriereperspektiven sein."
Wer wissen will, warum Deutschlands Wissenschaft im Wettstreit um die knappen Fachkräfte zu unterliegen droht, wie international, findet seine Antworten nicht nur in Umfragen, sondern mitunter auch auf dem früheren Twitter. Am Sonntag zum Beispiel berichtete die Politikwissenschaftlerin Federica Genovese unter der Überschrift "Eine kurze akademische Geschichte" über ihre Erfahrungen mit einer deutschen Wissenschaftseinrichtung.
"Deutschlands Verlust ist unser Gewinn"
"Juli 2022“, begann Genoveses "X"-Thread: "Ich werde ermutigt, mich für einen Job in Deutschland zu bewerben. Ich bewerbe mich."Damals war sie Associate Professor an der University of Essex, eine Karriereposition auf dem Weg zur Vollprofessur, die es in Deutschland bislang kaum gibt.
Im Februar 2023, schreibt Genovese weiter, habe sie dann eine "semi-kryptische E-Mail" erhalten, die sie einlud, mehr Bewerbungsunterlagen zu senden als Voraussetzung, auf die Bewerbungs-Shortlist zu kommen. Im Großen und Ganzen dieselben Unterlagen, die sie schon 2022 gesendet habe, "aber ja, okay, in Ordnung."
Im März 2023 folgte die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Als Genovese aus familiären Gründen um einen anderen Termin oder alternativ um ein Online-Interview gebeten habe, um die Kinderbetreuung zu organisieren, lautete die Antwort des Berufungskommitees, das Gespräch gehe nur persönlich und eine Nichtbestätigung des vorgeschlagenen Termins sei gleichbedeutend mit einer Absage Genoveses. "Ich sage ab."
Seitdem erhielt sie eine Vollprofessur in Essex und wechselte vor wenigen Wochen an die Universität Oxford. Jetzt, genau ein Jahr später, erreichte die Wissenschaftlerin ein weiterer Brief aus Deutschland mit der Information, dass die Ausschreibung gescheitert sei, also keiner berufen wurde – wegen Bedenken hinsichtlich der Geschlechterrepräsentation. "Der Vorhang fällt", schreibt Genovese in ihrem inzwischen hunderttausende Male gelesenen Post – woraufhin ein Wissenschaftler aus Oxford kommentierte: "Deutschlands Verlust ist unser Gewinn."
Die WissZeitVG-Novelle hängt seit Sommer 2021 in der Ressortabstimmung
Unterdessen stellt sich nicht der Eindruck ein, dass alle wissenschaftspolitisch Verantwortlichen den Ernst der Lage bereits erkannt haben. Zwar trommeln seit Jahren unter dem Hashtag "#IchbinHanna" junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für bessere Karrierebedingungen und gegen die Rekord-Befristungsquote unter Postdocs. Der Druck reichte, dass SPD, Grüne und FDP im Ampel-Koalitionsvertrag versprachen, das sogenannte Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), das die Beschäftigungsregeln vorgibt, zu ändern.
Doch schon die Erstellung eines diesbezüglichen Gesetzentwurfs führte zu einem monatelangem Hin und Her zwischen den Koalitionspartnern und am Ende zu einem Ergebnis, das seit Mitte 2023 in der Ressortabstimmung zwischen den beteiligten Ministerien festhing. Haupt-Streitpunkt: Die FDP von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger wollte erst nach vier Jahren eine verbindliche Entfristungszusage für Postdocs, SPD und Grüne hingegen früher, um eine frühere Karriereplanbarkeit zu ermöglichen. Als sich das BMBF im Referentenentwurf vom vergangenen Juni einseitig auf die vier Jahre festlegte, zeigte sich derselbe DHV-Präsident Koch, den die jüngsten Wissenschaftsbarometer "aufhorchen" lassen, damals per Pressemitteilung "erleichtert". Und zwar, dass das BMBF die vier Jahre anstatt der drei Jahre bevorzugt hat.
Am Sonntag wurde bekannt, dass der Gesetzentwurf jetzt zeitnah, voraussichtlich bereits am 27. März, ins Kabinett soll, nachdem sich die Ressorts geeinigt haben. Wobei die Einigung im Kern nur bedeutet, dass der Streit ins Parlament verschoben wird – also wohl weitergeht. Unterdessen wächst der Frust in der "#IchbinHanna"-Community weiter.
Angesichts der Wissenschaftsbarometer-Zahlen wundert noch mehr, dass das BMBF ein weiteres im Koalitionsvertrag angekündigtes Vorhaben aussitzen könnte. Von einem "Bund-Länder-Programm" war darin die Rede, das "Best-Practice-Projekte für 1) alternative Karrieren außerhalb der Professur, 2) Diversity-Management, 3) moderne Governance-, Personal- und Organisationsstrukturen fördern" sollte. Also im Kern genau das, woran es in Deutschlands Wissenschaft hapert: attraktive Jobs und Aufstiegsmöglichkeiten, mehr Betonung von Chancengerechtigkeit und Vielfalt – und, siehe Genovese, moderne Verwaltungs- und Berufungsverfahren.
Vom geforderten Dauerstellen-Programm hat in der GWK noch keiner gehört
Verhandelt werden müsste ein solches Programm in der sogenannten "Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz" von Bund und Ländern, der GWK, doch wurde eine entsprechende Initiative vom BMBF nicht einmal angekündigt bislang. Gerade erst traf sich die GWK in Bonn, inklusive vertraulichem Kaminabend mit Stark-Watzinger. Doch von einem solchen Programm: noch immer kein Wort.
Obwohl das Ministerium inzwischen sogar unter explizitem Zeitdruck steht: Bis September, legte der einflussreiche Haushaltsausschuss des Bundestages vergangenen Herbst fest, muss Stark-Watzinger über eine mögliche Bund-Länder-Vereinbarung für ein befristetes Programm zum Ausbau wissenschaftlicher Dauerstellen neben der Professur berichten. "Da zum aktuellen Zeitpunkt noch kein Konzept zu Dauerstellen im Mittelbau vorliegt und auch keine Entwicklungen erkennbar sind, mussten nun wir Abgeordnete im Haushaltsausschuss tätig werden", begründete der grüne Haushaltspolitiker Bruno Hönel damals die Ungeduld der Koalitionsfraktionen, die durch die Verzögerungen beim WissZeitVG noch verstärkt wurde. Zugestimmt hatten bei dem sogenannten Maßgabebeschluss übrigens auch die FDP-Abgeordneten.
Vor September trifft sich die GWK-Minsterrunde jetzt nur noch einmal: im Juli. Und das BMBF? Betont, wie wichtig attraktive Karriereperspektiven für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seien, damit Deutschland an der Spitze von Forschung und Innovation bleibe. Und verweist neben dem Tenure-Track- und Professorinnenprogramm auf die – ebenfalls festhängende – WissZeitVG-Reform als Beispiel für die "wichtigen Beiträge", die das BMBF hierzu leiste. Auch eine Art von Zirkelschluss.
Und was ist mit dem geforderten Bund-Länder-Programm? Das BMBF habe "einen Beratungsprozess mit Expertinnen und Experten von Universitäten, Hochschulen für angewandte Wissenschaften und außeruniversitären Forschungseinrichtungen initiiert und wird dem Haushaltsausschuss auf Basis dieser Gespräche zur Umsetzung des Maßgabebeschlusses berichten." Außerdem erarbeite der Wissenschaftsrat Empfehlungen zu Personalstrukturen in der Wissenschaft, die voraussichtlich Ende 2024/Anfang 2025 veröffentlicht würden.
Ob das den Haushaltspolitikern reichen wird? Haushaltspolitiker Hönel kommentiert auf Anfrage, er begrüße es ja, wenn aktuell Gespräche mit Fachverbänden stattfänden. Doch müsse das BMBF jetzt zeitnah Gespräche mit den Ländern aufnehmen, die zentral für die Ausgestaltung dieses Programms seien. "Gute Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft sind eine Frage des Respekts und der Wertschätzung gegenüber unseren Wissenschaftler*innen, sie werden aber auch zunehmend zu einem relevanten Standortfaktor für den Wissenschafts- und Technologiestandort Deutschland."
Sonst heißt es künftig häufiger: Deutschlands Verlust ist der Gewinn für andere.
Dieser Beitrag erschien in leicht gekürzter Fassung zuerst im Tagesspiegel. Ich habe ihn außerdem vorm Erscheinen hier im Blog aktualisiert.
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Ja, sagt der Vorsitzende des Rats für deutsche Rechtschreibung – und erklärt, wo Hessens neue Landesregierung mit ihrem geplanten Verbot trotzdem falsch liegt. Die Kultusminister dürften sich dagegen nicht drücken, sondern müssten klare Regeln für die Schulen erlassen.
Josef Lange war Referatsleiter in der DFG und beim Wissenschaftsrat, Generalsekretär der Hochschulrektorenkonferenz und lange Jahre Staatssekretär, zwischen 2003 und 2013 im Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur. Seit 2017 ist er Vorsitzender des Rats für deutsche Rechtschreibung und am 1. Januar in seine zweite Amtsperiode gestartet. Foto: Karin Kaiser, MHH.
Herr Lange, der Rat für deutsche Rechtschreibung hat im vergangenen Jahr entschieden, dass Gender-Sonderzeichen nicht zum "Kernbestand der deutschen Orthographie" gehören. Bevor wir darüber sprechen, was genau das bedeutet: Wer gibt dem Rat eigentlich das Recht zu solchen Beschlüssen?
Der Rat für deutsche Rechtschreibung wurde 2004 von den deutschsprachigen Ländern gegründet. 18 seiner Mitglieder stammen aus Deutschland, je neun aus Österreich und der Schweiz. Südtirol, Liechtenstein und die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens entsenden je ein Mitglied, Luxemburg ist ohne Stimmrecht vertreten. Der Rat hat den Anspruch, das entscheidende Gremium für die Interpretation der deutschen Rechtschreibung zu sein, wie sie im Amtlichen Regelwerk festgehalten ist. 1996 haben sich die Teilnehmerstaaten verpflichtet, diese Regeln verpflichtend umzusetzen für alle ihre Schulen und die öffentliche Verwaltung. Ob die Kommunen dazu gehören, wird rechtlich immer wieder diskutiert.
Aber wer legitimiert den Rat zu seiner Rolle?
Die österreichischen Mitglieder werden von den zuständigen Bundesministerien bestimmt, in der Schweiz einigen sich Kantone und Bundesrat auf die Entsendung. Deutschland hat die Auswahl verschiedenen Einrichtungen und Verbänden übertragen, um die deutsche Sprache in ihrer ganzen Realität und Breite abzudecken, darunter Lehrergewerkschaften, die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Repräsentanten von Nachrichtenagenturen und Medien. Wichtig ist aber, dass alle Beschlüsse, die der Rat fasst, anschließend von den staatlichen Stellen in allen deutschsprachigen Staaten bestätigt werden müssen. Tut es nur eine Regierung nicht, muss es ein erneutes Beratungsverfahren mit dem Rat geben. Das ist aber bislang noch nie vorgekommen.
Und was hat der Rat gegen Binnen-I, Gender-Sternchen & Co?
Der Rat hat nichts gegen diese und weitere Sonderzeichen. Er kann nicht die Augen davor verschließen, dass sich da eine bunte Mischung entwickelt hat und genutzt wird. Darum haben wir uns nach langen und durchaus kontroversen Diskussionen im Juli 2023 verständigt, dass diese Zeichen in der deutschen Schriftsprache vorkommen, aber nicht zum Kernbestand gehören.
"Da entstehen Konstruktionen und Wortungetüme, die in sich nicht stimmig sind."
Das hat große Aufregung bei Gegnern und Befürwortern des Genderns verursacht, zwischendurch fühlte sich der Rat gar missverstanden.
Wichtig ist darum zunächst der Hinweis, dass wir geschlechtergerechte Schreibung nicht per se aus dem Amtlichen Regelwerk ausschließen. Es gibt viele übrigens auch von mir genutzte Möglichkeiten dieses Schreibens, die ohne Sonderzeichen auskommen und nicht rechtschreibschwierig sind: Lehrerinnen und Lehrer zum Beispiel, Lehrkräfte oder Lehrende.
Sieh da! Bayerns Ministerpräsident Markus Söder scheint sich mit solchen Differenzierungen nicht aufzuhalten und will offenbar grundsätzlich "das Gendern in Schulen und Verwaltungen" untersagen.
Was nicht gedeckt wäre mit unserem Beschluss. Und mit dessen Begründung, die wir im Dezember 2023 veröffentlicht haben, darin erläutern wir den Unterschied. Im Gegensatz zur geschlechtergerechten Schreibung ohne Sonderzeichen beeinträchtigt die Nutzung von Wortbinnenzeichen zur Kennzeichnung einer geschlechtsübergreifenden Bedeutung die Verständlichkeit und Grammatik der deutschen Sprache so stark, dass wir sie als Rat nicht empfehlen können. Nur ein Beispiel: "Ein:e gute:r Forscher:in ist bei weitem kein:e gut:e Manager:in." Kommt Ihnen bekannt vor? Stand in einem Interview bei Ihnen im Blog. Da entstehen Konstruktionen und Wortungetüme, die in sich nicht stimmig sind.
Das klingt jetzt aber mehr nach Stilkritik.
Es geht um mehr. Der Einsatz dieser Sonderzeichen lässt sich nach heutigem Stand sprachwissenschaftlich nicht begründen. Außerdem soll das Amtliche Regelwerk dafür sorgen, dass amtliche Texte eindeutig und rechtssicher sind. Und dass sie sich automatisch übersetzen lassen. Das erscheint uns in Deutschland vielleicht nicht so wichtig, aber in mehrsprachigen Ländern wie Belgien oder in der Schweiz oder Bozen-Südtirol müssen Gesetzestexte mit exakt gleicher Bedeutung in allen Sprachen zur Verfügung stehen.
Apropos eindeutige Sprache: Wenn der Rat sagt, Genderzeichen gehörten nicht zum "Kernbestand der deutschen Orthographie", dann spricht er damit in Wirklichkeit ein Verbot ihres Einsatzes aus, oder?
Moment! Jeder Mensch kann als privater weiter reden oder schreiben, wie ihm oder ihr der Schnabel gewachsen ist. Richtig ist aber: Bei strikter Auslegung des Amtlichen Regelwerks ist die Nutzung dieser Sonderzeichen in den Schulen dann ein Rechtschreibfehler. Das bundesweit und im deutschen Sprachraum einheitlich umzusetzen, ist jetzt Aufgabe der Politik. Was auf keinen Fall sein darf, ist, dass es an der einen Schule so und an der zweiten anders gehandhabt wird. Was im Augenblick so passiert. Und was man nur als Rückfall in die Zeit vor Einführung der amtlichen Rechtschreibung Anfang des 20. Jahrhunderts bezeichnen kann. Die Kultusminister dürfen sich nicht wegducken.
"Wie sollen wir Kindern und Jugendlichen in der Schule vermitteln, sich an Regeln zu halten, wenn der Staat selbst es nicht tut?"
Und wenn ein Kultusminister sich gegen die Umsetzung Ihres Beschlusses entscheidet?
Es ist nicht unser Beschluss, sondern ein Beschluss aller deutschsprachigen Staaten und Regionen. Das heißt, dann würde sich dieses Bundesland aus der Gemeinschaft der deutschen Rechtschreibung verabschieden. Dahinter steht eine politische Frage, die weit über die Schulpolitik hinausgeht: Hält sich die Politik an ein gemeinsam beschlossenes Regelwerk? Als Vorsitzender des Rates und als Bürger kann ich nur sagen: Wie sollen wir Kindern und Jugendlichen in der Schule vermitteln, sich an Regeln zu halten, wenn der Staat selbst es nicht tut?
Hessens neue Landesregierung versucht sich derweil an der Übererfüllung. Sie will mit Verweis auf den Rat die Sonderzeichen verbieten, und das nicht nur in Schulen und Ämtern, sondern auch in öffentlich-rechtlichen Institutionen wie Schulen, Universitäten und dem Rundfunk.
Vorsicht, kann ich da nur sagen. Rechtlich umstritten, aber meines Erachtens wahrscheinlich ist, dass das Amtliche Regelwerk für Universitäten als Institutionen da gilt, wo wir von amtlichen Bescheiden oder Prüfungsordnungen reden. In ihrer individuellen Arbeit können sich Forschende dagegen auf die Wissenschaftsfreiheit berufen. Studierende allerdings auch – wenn sie gendern genauso, wie wenn sie es nicht tun. Allerdings: Neulich habe ich 120 Seiten wissenschaftlichen Text eines Psychologen und einer Philosophin gelesen, und vor lauter Sonderzeichen ist es mir selten schwer gefallen zu verstehen, was sie mir sagen wollten. Die Zahl an Grammatikfehlern war extrem hoch, ich bin immer wieder gestolpert und stecken geblieben. Nun kann man mir vorwerfen, es liege an meinem fortgeschrittenen Alter. Das glaube ich aber nicht.
Und wie ist das bei Medien und Rundfunk?
Für privatwirtschaftliche Medien gilt das Amtliche Regelwerk ohnehin nicht, auch sonst sind sie von der Pressefreiheit geschützt. Genauso wie die redaktionelle Arbeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Spannend wird es freilich, wenn ich in die Satzung von Sendern wie dem Deutschlandradio schaue. Wenn es darin heißt, die Sendeangebote sollten auch die "gesamtgesellschaftliche Integration" fördern, kann man schon fragen: Wird dieser Auftrag erfüllt, wenn der Einsatz von Sonderzeichen im Wortinnern gesellschaftlich derart umstritten ist? Als der Tagesspiegel im November 2023 vom Gender-Doppelpunkt abrückte, tat er das ja nur, weil so viele mit Hinweis auf dessen Nutzung ihre Abos gekündigt hatten. Aber das ist keine Frage, über die der Rat für deutsche Rechtschreibung zu entscheiden hat.
"Das Verbot von Gendern – oder auch nur dessen Ankündigung – grenzt an Populismus. Aber es ist natürlich spektakulärer als, wie wir im Rat das tun, zu differenzieren."
Was halten Sie persönlich von so plakativen Anti-Gender-Aktionen wie in Hessen und Bayern?
Das Verbot von Gendern – oder auch nur dessen Ankündigung –grenzt an Populismus. Aber es ist natürlich spektakulärer als, wie wir im Rat das tun, zu differenzieren. Einmal zwischen geschlechtergerechter Schreibung ohne und "Gendern" mit Sonderzeichen im Wortinneren. Und zwischen den Bereichen, für die das Amtliche Regelwerk gilt und sinnvollerweise gelten muss – und anderen, wo der Staat sich heraushalten sollte. Eigentlich geht es aber um etwas Anderes.
Worum?
Hinter dem Streit um die Gender-Sonderzeichen im Wortinneren verbirgt sich eine tiefgreifende gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Auseinandersetzung, in der beide Seiten mit Unterstellungen arbeiten. Wer die Sonderzeichen nutzt, wird von deren erbitterten Gegnern als links und entrückt vom wahren Empfinden der Bevölkerung gebrandmarkt. Wer sie nicht nutzen will, gilt unter uneingeschränkten Befürwortern als konservativ und rückständig, als würde er oder sie automatisch Frauen und nichtbinäre Personen missachten. Beide Seiten malen schwarzweiß und sind sich dabei mitunter sehr ähnlich. Ich rate insgesamt zu mehr Gelassenheit.
Wird es nach dem Genderzeichen-Beschluss demnächst wieder ruhiger um die Arbeit des Rats?
Mal sehen. Wir haben im Amtlichen Regelwerk gerade das Kapitel zur Zeichensetzung überarbeitet. So werden künftig "infinite Nebensätze", d. h. erweiterte Infinitive, wieder mit einem Komma vom Hauptsatz abgetrennt, weil das nach unserer Beobachtung die Fehlerquote senkt und die Lesbarkeit verbessert. Außerdem haben wir das amtliche Wörterverzeichnis mit zahlreichen Änderungen überholt, die sich aus der alltäglichen Schreibbeobachtung von Fremdwörtern ergeben. Ein Beispiel: Weil keiner Spagetti schreibt, heißt es künftig auch laut amtlicher Rechtschreibung wieder Spaghetti – genau, wie die Italiener sich das vorgestellt haben und schreiben. Bis Mitte des Jahres wissen wir hoffentlich, ob alle deutschsprachigen Länder zustimmen.
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Deutschlands Wissenschaftsfinanzierung ist eine föderale Erfolgsgeschichte – und beruht auf einem Wertekonsens, der politisch bislang nie in Frage gestellt wurde. Was wäre, wenn sich das änderte? Ein Gastbeitrag von Hans-Gerhard Husung.
Hans-Gerhard Husung (SPD) war Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung in Berlin und von 2011 bis 2016 Generalsekretär der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK). Foto: privat.
EIN BLICK IN DIE WELT genügt, um zu erkennen, dass das Gedeihen der Wissenschaft von den politischen Rahmenbedingungen abhängt. Die Niederlande und Skandinavien sind aktuelle Beispiele dafür, dass populistische Regierungen und Parlamentsmehrheiten für das Wissenschaftssystem, insbesondere die Hochschulen, spürbar negative Auswirkungen haben. Ein erstes Opfer ist regelmäßig die Internationalisierung, indem beispielsweise englischsprachige Studienangebote gestrichen, Visabestimmungen geändert oder Kapazitäten zurückgefahren werden. Wenn in Großbritannien die Tories und ihr Premierminister das Ziel "50 per cent of 18 to 30-year-olds being able to enter higher education" für "one of great mistakes of the last 30 years" halten, ist es höchste Zeit für eine kurze Besinnung über die eigene Lage.
75 Jahre Grundgesetz bedeuten auch eine Erfolgsgeschichte für die Wissenschaft und ihre Finanzierung in Deutschland. Die Pflicht des Staates, die Wissenschaftsfreiheit nach Artikel 5, Absatz 3 materiell zu gewährleisten, gehörte ebenso zum breiten politischen Grundkonsens aller Parteien und Regierungen wie die freie Wahl des Berufs und die Gewährleistung entsprechender Studienmöglichkeiten, zuletzt umgesetzt im Hochschulpakt und im Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken. In diesen Grundkonsens haben sich die im Laufe der Jahrzehnte neu entstehenden Parteien regelmäßig eingebracht, zunächst die Grünen und nach 1990 auch die PDS bzw. die Linkspartei. Ihre Integration in den kooperativen Föderalismus für die Wissenschaft ist überall gelungen, wo sie in den Ländern politische Verantwortung übernommen haben.
Wie Bund und Länder gemeinsam die Wissenschaft finanzieren
Dieser politische Grundkonsens über die Bedeutung einer den Werten der Aufklärung verpflichteten, rationalen Wissenschaft war und ist die Voraussetzung für ihre gemeinschaftliche Finanzierung zunächst nur durch die Ländergemeinschaft, mit der Verfassungsreform von 1969 durch die Länder und den Bund. Zweimalige Änderungen des Grundgesetzes 2006 und 2015 haben die gemeinsamen Handlungsmöglichkeiten jeweils noch erweitert. Rund 18 Milliarden Euro fließen jährlich auf dieser Basis ins Wissenschaftssystem, ein großer Teil davon über den Pakt für Forschung und Innovation an die außeruniversitären Forschungseinrichtungen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und über den "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken" in die Hochschullehre.
Geht das Grundgesetz in der deutschen Verfassungstradition von der Trennung der Aufgabenbereiche zwischen Bund und Ländern aus, so wird mit den Gemeinschaftsaufgaben, zu denen die Wissenschaftsfinanzierung gehört, ein gesetzlich nicht geregelter Zwischenraum eröffnet, der von den Regierungen durch Verwaltungsvereinbarungen exekutiv ausgestaltet werden kann. Die damit verbundene finanzielle Selbstbindung der Beteiligten unterliegt dem Einstimmigkeitserfordernis, entweder der Wissenschaftsminister und Finanzminister oder der Regierungschefs von Bund und Ländern. Die Arena für die Aushandlung ist in der Wissenschaft die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern. Das Risiko der damit 17 potenziellen Veto-Spieler wurde bislang durch den wissenschaftspolitischen Grundkonsens unter allen Beteiligten wirkungsvoll eingehegt. Äußerst seltene Veto-Situationen etwa bei Haushaltsnotlagen ließen sich auf der Ebene der Ministerpräsidenten pragmatisch auflösen.
Ob das auch bei einer populistischen Landesregierung gelingen würde, deren sie tragende Partei mit ihren "verfassungsfeindlichen Strömungen" eher auf alternative Fakten und Verschwörungstheorien als auf Aufklärung und Rationalität setzt, ist mehr als fraglich. Und was würde ein solches Szenario für die bestehenden Verwaltungsvereinbarungen bedeuten?
Mit den Vereinbarungen verpflichten sich zunächst die Regierungen von Bund und Ländern, in ihren jeweiligen Haushaltsentwürfen die entsprechenden Summen vorzusehen. Alle Vereinbarungen stehen mit Blick auf die finanzielle Ausstattung dann jedoch unter dem Vorbehalt der Zustimmung der 17 Parlamente von Bund und Ländern. Nicht zuletzt wegen der konkreten finanziellen Vorteile für die Wissenschaftseinrichtungen im eigenen Land hat allerdings noch nie ein Parlament die Bereitstellung der notwendigen Mittel verweigert. Was bislang deshalb eher formelhaften Charakter hatte, könnte ein Landesparlament bei entsprechenden wissenschaftsaversen Mehrheiten scharf schalten – mit dramatischen Folgen nicht nur für die Wissenschaft im Land, sondern darüber hinaus für die Gemeinschaftsfinanzierung der Wissenschaft in Deutschland.
Zwei Programmgruppen, zwei Szenarien
Was könnte konkret passieren? Die laufenden Programme lassen sich unter dem Risikoaspekt in zwei Gruppen unterteilen: Erstens geförderte Maßnahmen, bei denen eine bilaterale Finanzierung von Bund und jeweiligem Sitzland vorgesehen ist ("Forschung an Fachhochschulen", "Innovative Hochschule", das Professorinnenprogramm,) oder der Bund allein die Mittel bereitstellt ("Wissenschaftlicher Nachwuchs", "Qualitätsoffensive Lehrerbildung"). Alle diese Programme haben den Charakter eines Projekts, sind deshalb zeitlich befristet und laufen automatisch aus, wenn sie nicht durch einen entsprechenden Beschluss in der GWK verlängert werden. Aus ihnen könnte jedes Land durch eigene Entscheidung faktisch ausscheiden, zum Beispiel indem es keine Anträge weiterreichte, mit entsprechenden Konsequenzen für die eigenen Einrichtungen, jedoch ohne unmittelbare Folgen für das Gesamtprogramm während seiner Laufzeit.
Die zweite Gruppe betrifft Verwaltungsvereinbarungen, die auf unbestimmte Zeit geschlossen wurden und die von einem einzigen Land, das den wissenschaftspolitischen Grundkonsenses nicht mehr mitträgt, nicht einseitig gekündigt werden könnten. Das gilt für die Exzellenzstrategie, den "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken" und die Innovative Hochschullehre, die für die Hochschulen von ganz besonderer Bedeutung sind. Für eine Kündigung wären im Ernstfall zwischen drei und acht Länder notwendig, allerdings mit einer gewichtigen Ausnahme: Beim Zukunftsvertrag besteht für jedes Land die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung, also eine individuelle Ausstiegsoption.
Eine wissenschaftsaverse Landesregierung beispielsweise in einem ostdeutschen Land hätte demnach die Möglichkeit, für ihre Hochschulen aus dem Zukunftsvertrag auszusteigen: mit erheblichen Nachteilen für die betroffenen Hochschulen des Landes, jedoch ohne unmittelbare Auswirkungen auf das gesamte Hochschulsystem – zumindest so lange, wie der bestehende Zukunftsvertrag keine Änderung erfahren soll.
Der hypothetisch durchgespielte Fall verweist jedoch auf ein Defizit der bestehenden Regelungen: Es ist in der Verwaltungsvereinbarung keine Wiedereinstiegsmöglichkeit vorgesehen. Im hypothetischen Fall bliebe das Land auch bei einem Wechsel zu einer wissenschaftsfreundlichen Landesregierung dauerhaft ausgeschlossen. Die Austrittsoption sollte deshalb durch eine entsprechende Wiedereintrittsoption ergänzt werden.
Sollte der Zukunftsvertrag inhaltliche Änderungen erfahren, würde wieder nach Grundgesetz-Artikel 91 b das verfassungsrechtliche Erfordernis der Einstimmigkeit greifen. Ähnliches gilt für den Pakt für Forschung und Innovation, der zwar keine Kündigungsklauseln enthält, wohl aber eine zeitliche Befristung, aktuell bis zum Jahre 2030. Für seine Verlängerung wäre ein einstimmiger Bund-Länderbeschluss notwendig.
Weil keiner es sich vorstellen konnte
Die grundsätzliche gemeinsame Bund-Länder-Finanzierung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen und der DFG sieht dagegen keine Kündigungsmöglichkeit vor. Die entsprechenden Vereinbarungen unterliegen lediglich dem Risiko, dass das Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern über die Errichtung der GWK außer Kraft tritt. Als diese Vereinbarung 2007 geschlossen wurde, wurden die Konditionen einer möglichen Kündigung relativ dilatorisch behandelt, weil der wissenschaftspolitische Grundkonsens weitergehende Überlegungen als vollkommen abwegig erscheinen ließ. Während eine Kündigungsfrist von zwei Jahren genannt wird, ist nicht einmal ein Länderquorum vorgesehen. Gleichwohl ist die politische Kündigungshürde außerordentlich hoch. Ob sie zur Abwehr eines destruktiven politischen Willens ausreicht, wird hoffentlich keinem Praxistest unterzogen.
Wie könnte das System der gemeinsamen Wissenschaftsfinanzierung von Bund und Ländern wetterfester gemacht werden? Im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung könnte der Bund zum Beispiel ein Gesetz zur Forschungsförderung beschließen, das seine Rolle im System der Forschungsförderung gesetzlich festschriebe. Eine Option, die historisch lediglich in den 1950er Jahren der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer als Drohpotenzial ins Spiel brachte – gegenüber der Weigerung der Länder, den Bund in das Königsteiner Abkommen aufzunehmen. Der gesetzgeberische Aufwand wäre vermutlich erheblich, die Wirkung im Vergleich mit dem Status quo begrenzt, denn die Vorhaben an Hochschulen und vor allem der Zukunftsvertrag blieben außen vor.
Im Zusammenhang mit der Verfassungsreform 2006 wurden unterschiedliche Modelle einer konsequenten Entflechtung diskutiert, die dem Gedanken einer Aufgabentrennung zwischen Bund und Ländern folgten. Sie sind damals vor allem wegen der Pfadabhängigkeit im erfolgreichen kooperativen Föderalismus nicht zum Tragen gekommen. Auch eine solche konsequente Zuständigkeitstrennung wäre sehr aufwändig und mit großen Unsicherheiten verbunden, da verfassungsändernde Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat notwendig wären. Der begrenzte Vorteil bestünde in der entkoppelten Risikoverteilung für das Wissenschaftssystem auf 17 unabhängige Akteure; dem würde als Nachteil die Abhängigkeit der betroffenen Einrichtungen von einem einzigen Akteur – Land oder Bund - entgegenstehen. Ein mit Blick vor allem auf die Länderhaushalte wenig attraktives Szenario.
Von der Wirkung her durchaus vergleichbar wäre, den grundsätzlichen Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern und der Länder untereinander zu verändern. Überlegungen, das unterschiedliche finanzielle Engagement der einzelnen Länder für ihre Hochschulen als "Hochschullast" in den vertikalen und horizontalen Länderfinanzausgleich einzubeziehen, gab es bereits in den 1950er Jahren. Die Verlagerung zusätzlicher Umsatzsteuerpunkte vom Bund auf die Länder wäre eine weitere theoretisch denkbare Möglichkeit, die jedoch nur bei einer Entflechtung Sinn machen würde. Alle haushaltssystematischen Varianten hätten zudem den großen Nachteil, dass die Finanzflüsse in den Finanzministerien der Länder ankämen und in Konkurrenz mit anderen Politikfeldern im Kabinett und im Parlament für die Wissenschaft erkämpft werden müssten. Demgegenüber weist die Gemeinschaftsfinanzierung den großen Vorteil auf, dass sie ohne politische Umwegrisiken in den Wissenschaftsministerien der Länder und damit zielgenau etwa bei den Hochschulen ankommt.
Eine "Koalition der Willigen"? mithilfe des Grundgesetz-Artikels 91b?
Schließlich sei im Zusammenhang mit der Ausstiegsoption beim Zukunftsvertrag der naheliegende Gedanke einer "Koalition der Willigen" weitergeführt: Der Bund legt ein Förderprogramm beispielsweise für eine größere hochschulpolitische Zielsetzung auf, verbunden mit einem Opt-in-Angebot an die Länder, die sich beteiligen möchten. Aber auch dafür bräuchte der Bund die Zustimmung aller Länder.
Eine Zwei-Drittel-Mehrheit von Bundestag und Bundesrat wäre nötig für eine Änderung des Artikels 91b, um eine Mitfinanzierungsverpflichtung des Bundes im Bereich der Hochschulen gesetzlich zu verankern, wie es sie beispielsweise im föderalen System der Schweiz gibt. Eine solche Änderung könnte sich für den Hochschulbereich insofern auf den Artikel 91a stützen: "(1) Der Bund wirkt auf folgenden Gebieten bei der Erfüllung von Aufgaben der Länder mit, wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist (Gemeinschaftsaufgaben)", und hier den Spiegelstrich "Stärkung der Hochschulen (durch die Förderung eines angemessenen Studienangebots und eines qualitativ hochwertigen Hochschulstudiums)" hinzufügen. Durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates würden die Gemeinschaftsaufgabe sowie Einzelheiten der Koordinierung näher bestimmt. Der Bund trüge einen definierten Anteil der Ausgaben für die Hochschulen in jedem Land.
Es bleibt am Ende dieser Betrachtung nur eine Erkenntnis: Eine auf geteilten Werten und gegenseitigem Grundvertrauen aufgebaute institutionalisierte Kooperation zwischen Bund und Ländern, wie sie die Gemeinschaftsfinanzierung im Bereich der Wissenschaft darstellt, muss sich ihrer Risiken bewusst sein und sie künftig verstärkt mitdenken. Ein einfacher gesetzgeberischer oder verwaltungstechnischer Weg zu ihrer Vermeidung ist aus heutiger Sicht jedoch nicht erkennbar. Deshalb sind wir alle und unsere Institutionen aufgerufen, aktiv darauf hinzuwirken, dass wissenschaftsaverse politische Parteien bei den bevorstehenden Wahlen zum Europaparlament und zu den drei ostdeutschen Länderparlamenten keine Chance bekommen.
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Lambert T. Koch reagiert auf die Vorwürfe einer zu großen Nähe des Hochschulverbands zum "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit". Im Interview sagt der DHV-Präsident, wo er die Berufsvertretung wissenschaftspolitisch verortet sieht, wie er um nichtprofessorale Mitglieder wirbt – und welche Rolle für ihn Gender Studies und die Postkoloniale Theorie spielen.
Lambert T. Koch, 58, ist Wirtschaftswissenschaftler und war von 2008 bis 2022 Rektor der Bergischen Universität Wuppertal. Viermal wurde er von DHV-Mitgliedern zum "Rektor des Jahres" gekürt. 2023 trat Koch die Nachfolge von Bernhard Kempen als Präsident des Deutschen Hochschulverbandes an. Foto: Deutscher Hochschulverband/BeAStarProductions.
Herr Koch, der Deutsche Hochschulverband (DHV) bezeichnet sich selbst als "Berufsvertretung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland". Wäre es nicht fairer zu sagen, dass er lange vor allem eine Vertretung arrivierter Professoren und ihre Interessen war? Und ist er es immer noch?
Wie es der Begriff "Berufsvertretung" nahelegt, versteht sich der DHV schwerpunktmäßig als ein Interessenverbund von Menschen, die hauptberuflich und dauerhaft in der Wissenschaft tätig sind oder sich für eine solche Tätigkeit qualifizieren. Natürlich passt er sich dabei an veränderte Karrierewege an. So hat er sich schon vor Jahren nicht nur für Habilitierende und Juniorprofessorinnen und -professoren, sondern generell auch für Postdocs geöffnet. Die Serviceangebote des DHV wollen Mitglieder in jedem beruflichen Stadium ansprechen – von der Phase der Qualifizierung bis in die Zeit nach der Emeritierung. Was Studierende und Promovierende anbetrifft, strebt rein statistisch am Ende nur ein geringer Prozentsatz eine wissenschaftliche Karriere an. Dennoch sind uns auch berechtigte Interessen dieser Gruppen nicht gleichgültig.
Rund 70 Prozent der DHV-Mitglieder sind unbefristet beschäftigte Professorinnen und Professoren. Was tun Sie, um den Anteil von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu erhöhen, die keine Professur, aber eine Dauerstelle haben? Und wie wollen Sie mehr junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Karrierephase als Mitglieder gewinnen? Zuletzt gab es in zwei Protestwellen sogar zahlreiche Austritte.
Zu den zentralen wissenschaftspolitischen Zielen des DHV gehört es, über alle Personalkategorien hinweg Wissenschaft als Beruf attraktiv zu halten. Deshalb legen wir regelmäßig dort den Finger in die Wunde, wo sich Rahmenbedingungen verbessern müssen. Wir nehmen natürlich Rücksicht darauf, dass die Interessen unserer Mitglieder divergieren. So haben beispielsweise junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein mehr als verständliches Interesse daran, dass für sie verlässliche Perspektiven im Wissenschaftssystem gegeben sind. Dies nimmt der Verband genauso auf, wie er unermüdlich auf eine auskömmliche Budgetierung von Hochschulen drängt, damit junge Menschen überhaupt eine wissenschaftliche Karriere anstreben können. Vielerorts werden zusätzliche Dauerstellen im Mittelbau benötigt, auch im Rahmen neuer Personalkategorien unterhalb der Professur. Das mahnen wir an. Dass es trotz unserer Bemühungen, möglichst alle Gruppierungen mitzunehmen, Austritte gegeben hat, bedauere ich. Der DHV konnte diese Austritte bislang zwar immer durch Eintritte mehr als kompensieren. Doch unser Anspruch ist es, artikulierte Unzufriedenheit ernst zu nehmen. Dass ansonsten die schon erwähnten Serviceangebote und persönlichen Beratungen insbesondere auch von jüngeren Mitgliedern immer wieder sehr gutes Feedback erhalten, ist dann doch zumindest ein Indikator dafür, dass der DHV einiges richtig macht.
Ihr Vorgänger Bernhard Kempen hat den DHV sehr konservativ positioniert. An welcher Stelle und bei welchen Positionen unterscheiden Sie sich von ihm?
In der öffentlichen Debatte ist man für meinen Geschmack heute zu schnell dabei, Menschen und Institutionen Stempel aufzudrücken oder Bekenntnisse abzufordern: rechts oder links, konservativ oder progressiv, für mich oder gegen mich. Wenn man dies bezüglich meiner Person versuchte, wäre ich darüber nicht glücklich. Gerade in einer Zeit, in der Politik an den Hochschulen wieder eine größere Rolle spielt, müssen wir uns als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das leisten, was Wissenschaftsfreiheit ja Gott sei Dank ermöglicht: Wir sollten Sachverhalte differenzierter betrachten und dabei auch unterschiedliche Sichtweisen respektieren – fair und ohne Polemik, mit der man nach meinem Eindruck heute allzu schnell bei der Hand ist. Der DHV vereinigt rund 33.500 fachlich, biografisch und von ihrer politischen Anschauung her höchst unterschiedliche Mitglieder. Diese Vielfalt bereichert den Verband. Was uns verbindet, ist das Interesse an freier Forschung und Lehre sowie guten Arbeitsbedingungen. Darüber hinaus sind wir alle dem Streben nach Erkenntnis verpflichtet. Wir sind gewissermaßen immer auf dem Weg und offen für neue Positionen und Perspektiven. Nur so bleiben wir auch als Verband glaubwürdig und interessant. Davon bin ich überzeugt.
"Der DHV arbeitet institutionell mit dem Netzwerk Wissenschaftsfreiheit nicht zusammen und hat keinen Einfluss auf dessen Entwicklung."
Wenn der DHV, wie geschehen, das "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit" als "willkommenen Mitstreiter" bezeichnet, was sagt das über das Verhältnis zwischen DHV und Netzwerk?
Die Bezeichnung halte ich für missverständlich. Sie ist meines Wissens ein einziges Mal verwendet worden und bezog sich auf das wichtige Anliegen, die Freiheit der Wissenschaft gegen Übergriffe zu verteidigen. Missverständlich deshalb, weil damit zu keinem Zeitpunkt eine pauschale Zustimmung zu sämtlichen Aktivitäten und Positionen des Netzwerks verbunden war, erst recht nicht zu problematischen Personalia. Der DHV arbeitet institutionell mit dem Netzwerk nicht zusammen und hat keinen Einfluss auf dessen Entwicklung. Das Netzwerk hat gut 700 Mitglieder, die sich aus einer gemeinsamen Problemwahrnehmung heraus zusammengefunden haben. Wir vertreten wie gesagt mehr als 33.000 Mitglieder und sprechen dabei für eine große Zahl von Kolleginnen und Kollegen, die heterogene Perspektiven und voneinander abweichende Erwartungen pflegen. Was unterschiedliche wissenschaftliche Positionen angeht, kommt es uns nicht zu, eine Schiedsrichterrolle einzunehmen.
Und wissenschaftspolitisch? Anhand welcher Kriterien sollte sich eine Berufsvertretung da positionieren?
Eine Berufsvertretung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern muss für die Freiheit von Forschung und Lehre eintreten. Das ist ihr klarer wissenschaftspolitischer Auftrag. Welche konkreten Positionen und Forderungen daraus erwachsen, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Bewertungsrundlage ist aber stets die freiheitlich demokratische Grundordnung. Das heißt beispielsweise, dass auch unliebsame, den eigenen Überzeugungen zuwiderlaufen Ansichten im wissenschaftlichen Diskurs zuzulassen sind. Sollte bestimmten wissenschaftlichen Positionen oder Fachrichtungen die Daseinsberechtigung abgesprochen werden, muss der DHV die Stimme erheben. Er würde aber sein Mandat überziehen, wenn er sich beispielsweise in politischen Diskussionen dazu einmischte, welche Fachrichtungen auf Kosten anderer besonders gefördert werden sollten. Dies ergibt sich schon aus der Vielzahl von Fächern, die in unseren eigenen Reihen vertreten sind.
Wie stehen Sie zu der per Offenen Brief geäußerten Kritik des "Netzwerks Wissenschaftsfreiheit", die Postkoloniale Theorie habe "erheblichen Anteil an der Diskreditierung und Erosion fundamentaler Prinzipien der Wissenschaftlichkeit und der Wissenschaftsfreiheit"?
Ich halte diese Position für zu pauschal. Die mir bekannten postkolonialen Theorieangebote weisen eine hohe Heterogenität und Differenziertheit auf. Sie gehen auch unterschiedlich weit, was ihre implizite oder explizite Normativität betrifft. Hier besteht vor allem auf fachlich-inhaltlicher Ebene viel Diskursbedarf. Zum Teil wurde in der Kritik an dem von Ihnen erwähnten Offenen Brief ja behauptet, dass das Netzwerk die Politik dazu auffordere, postkoloniale Studien an Universitäten zu unterbinden. Tatsächlich heißt es aber in dem Schreiben: "Wir wenden uns selbstverständlich nicht dagegen, dass postkoloniales und anderes postmodernes Gedankengut an unseren Universitäten vertreten wird. Es muss aber jederzeit kritisch diskutiert werden können." Da halte ich es schon für wichtig, bei aller Erregung, korrekt zu bleiben. Ich persönlich mag den polemischen Stil auf beiden Seiten nicht und glaube auch nicht, dass wir uns als Wissenschaft mit Blick auf die interessierte Öffentlichkeit damit einen Gefallen tun. Das Thema ist wichtig. In der Sache sollte daher gerne auch hart diskutiert werden. Dabei sollten die Beteiligten aber gelassener bleiben und nicht immer wieder unter die Gürtellinie zielen.
"Viele, die selbst eine wissenschaftliche Laufbahn durchschritten haben, werden mir zustimmen, dass es in frühen Karrierephasen riskanter ist, sich gegen den Mainstream des eigenen Fachs zu positionieren."
Besteht die eigentliche Gefahr einer mangelnden Meinungs- und Perspektivenvielfalt in der deutschen Wissenschaft nicht in der mangelnden Vielfalt in den wissenschaftlichen Führungspositionen?
Ich halte Perspektivenvielfalt in einer offenen und innovativen Wissenschaft für wesentlich und unverzichtbar. Das deutsche Wissenschaftssystem verträgt fraglos mehr biografische Heterogenität. Vielfalt darf dann aber auch unterschiedliche politische Positionen nicht ausschließen. Außerdem darf nicht aus dem Blick geraten, dass Wissenschaft vor allem einem Wahrheitsanspruch verpflichtet ist. Ihre Positionen entwickeln sich methodengeleitet und dürfen nicht leichthin auf schlichte Meinungen reduziert werden. Dies kommt mir bisweilen in der aufgeheizten Debatte um Vielfalt zu kurz. Wir müssen genauer fragen, wo mehr Vielfalt benötigt wird und was wir davon erwarten. Es gibt viele gute Gründe dafür, Chancengleichheit zu fordern und Benachteiligungen auf dem Karriereweg zu bekämpfen. Doch das allein führt nicht notwendigerweise zu besserer Erkenntnis. Im Übrigen ist es eine Stärke des DHV, dass so viele unterschiedliche Fächer vertreten sind, die mit dem Thema Vielfalt je eigene Perspektiven verbinden. Diese gilt es zusammenzubringen, um zu differenzierten Antworten zu gelangen. Darin liegt zugleich ein großer Vorzug, der Wissenschaft gegenüber Politik auszeichnet.
Wessen Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit ist stärker gefährdet: die verbeamteter Professor:innen oder wissenschaftlicher Mitarbeiter:innen in frühen Karrierephasen?
Es gibt nur eine Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit für alle, unabhängig vom Beschäftigungsstatus. Aber viele, die selbst eine wissenschaftliche Laufbahn durchschritten haben, werden mir zustimmen, dass es in frühen Karrierephasen riskanter ist, sich gegen den Mainstream des eigenen Fachs zu positionieren. Grundsätzlich sollten die Organisationsstrukturen in der Wissenschaft für alle so sein, dass die Bereitschaft, Überkommenes infrage zu stellen und innovative Pfade zu beschreiten, unterstützt und geschützt wird, ohne die Verantwortung für Qualitätssicherung zu vernachlässigen. Das heißt etwa auch, Professorinnen und Professoren müssen ebenso selbstverständlich mit dem begründeten Widerspruch von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern leben wie umgekehrt.
Wie soll das gehen angesichts des Machtgefälles, das vielerorts immer noch herrscht?
Ich bin optimistisch, dass sich Varianten der alten Idee einer so gearteten Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden in einem transparenten, offenen Wissenschaftsbetrieb auch heute realisieren lassen.
Inwiefern braucht es für eine Steigerung der Exzellenz und für eine größere Perspektivenvielfalt in der deutschen Wissenschaft auch mehr Vielfalt und Diversität unter den Professor:innen, und wie wollen Sie sich als DHV konkret für Veränderungen einsetzen?
Der DHV setzt sich in vielerlei Hinsicht für ein offenes und faires Wissenschaftssystem in Deutschland ein. Dieser Einsatz betrifft die grenzüberschreitende Offenheit für Menschen unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung, Nationalität, Sprache, Religion oder sozialem Status. Unter Berücksichtigung des Prinzips der Bestenauslese können zusätzliche Perspektiven die Ergebnisse von Wissenschaft bereichern. Ansatzpunkte, in diese Richtung zu wirken, ergeben sich bei jeder Beteiligung an Hochschulgesetzesnovellen, bei der Auditierung von Hochschulen für transparente und faire Berufungsverhandlungen oder auch mit Blick auf viele Serviceangebote, gerade für neue Mitglieder.
"Als wenig redlich empfinde ich es, wenn der Eindruck erweckt wird, als wäre es an der Tagesordnung, dass der DHV gegen Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler namentlich Stellung bezieht."
Könnten hier auch die Gender Studies willkommene Mitstreiter des DHV sein? Welche Bedeutung haben diese grundsätzlich an deutschen Universitäten?
Jede Disziplin, die mit wissenschaftlichen Methoden nach rationaler Erkenntnis sucht und dafür Wissenschaftsfreiheit einfordert, ist eine willkommene Mitstreiterin des DHV. Ich sehe keinerlei Grund, warum dies für Gender Studies nicht gelten sollte, sofern sie, wie jedes andere Fach auch, danach trachten, methodengeleitet einen Teilausschnitt der Welt besser zu verstehen. Worauf es hier für Universitäten ankommt, hat beispielsweise der Wissenschaftsrat in seiner jüngsten Bestandaufnahme zur Geschlechterforschung hervorgehoben.
War es klug, dass der DHV in einer Debatte über die Wissenschaftsfreiheit eine einzelne kritische Wissenschaftlerin per Tweet namentlich angegangen ist?
Ich persönlich mag den rauen oder teils sogar sehr derben Stil, der in Debatten auf Plattformen wie "X" zuweilen vorherrscht, nicht. Das kam ja schon raus. Ihre Frage, ob es im konkreten Fall, den ich natürlich kenne, klug war, eine einzelne Wissenschaftlerin per Tweet namentlich zu nennen, lässt sich nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten. Am besten macht sich jeder selbst ein Bild. Ich weiß, dass der Fall in einem Blog-Beitrag harsch kritisiert wurde. Als wenig redlich empfinde ich es allerdings, wenn der Eindruck erweckt wird, als wäre es an der Tagesordnung, dass der DHV gegen Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler namentlich Stellung bezieht. Richtig ist, dass ein großer Berufsverband sicherlich mehr aushalten kann und muss als eine Einzelperson, selbst wenn diese gelegentlich im Verbund mit meinungsstarken Netzwerken und Akteuren agiert. Die konkrete Namensnennung erfolgte im Tweet zu einem FAZ-Artikel. In diesem wird die Wissenschaftlerin zwar nicht namentlich erwähnt, jedoch unter offensichtlicher Bezugnahme auf zuvor öffentlich im Blog getätigte Äußerungen kritisiert. Dass die Weiterleitung des Artikels und der Tweet die Gemüter derart erhitzen, hat mich überrascht. Aber natürlich nehme ich den Unmut zur Kenntnis.
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Hamburgs Universitätspräsident Hauke Heekeren über seine Ambitionen in der Exzellenzstrategie, den langen Schatten seines Vorgängers, die Strategie der Hansestadt als Wissenschaftsstandort – und die Frage, woran er sich persönlich messen lassen will.
Hauke Heekeren, 53, ist Neurowissenschaftler, seit März 2022 Präsident der Universität Hamburg und Sprecher der Hamburger Landeshochschulkonferenz. Foto: UHH/Esfandiari
Herr Heekeren, knapp zwei Jahre nachdem Sie Ihr Amt als Präsident der Universität Hamburg angetreten haben, kam es zu Ihrer ersten großen wissenschaftspolitischen Bewährungsprobe: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat am vorvergangenen Freitag bekanntgegeben, welche der bundesweit 143 eingereichten Skizzen für neue Exzellenzcluster zum Vollantrag ausgearbeitet werden dürfen. Die Universität Hamburg (UHH) war mit drei Bewerbungen am Start, nur eine davon blieb im Rennen. Geht so, oder?
Das sehe ich anders: Wir waren erfolgreich. Der ExStra-Wettbewerb ist äußerst kompetitiv und wir behaupten uns als Exzellenzuniversität gegen starke Konkurrenz. Neben unseren vier bestehenden Exzellenzclustern in den Gebieten Physik, Chemie, Klimaforschung und Manuskriptkulturen, geht nun eine weitere Forschungsinitiative in der Infektionsforschung ins Rennen. Wir bewerben uns damit für fünf Exzellenzcluster. Als LHK-Sprecher gratuliere ich auch der TU Hamburg zu der erfolgreichen Initiative im Bereich der Materialforschung, an der auch die UHH beteiligt ist. Zwei erfolgreiche Antragsskizzen sind ein starkes Signal für den Wissenschaftsstandort Hamburg.
Ihr Vorgänger Dieter Lenzen kam wie Sie von der Freien Universität (FU) Berlin nach Hamburg. Schon die FU hatte Lenzen zur Exzellenzuniversität gemacht. Als er ankündigte, das gleiche in Hamburg schaffen zu wollen, wurde er von manchen belächelt. 2019 fuhr die Universität unter seiner Leitung fünf erfolgreiche Antragsskizzen und dann vier Exzellenzcluster ein, 2020 wurde Hamburg mit dem Exzellenz-Titel gekürt. Ist Lenzens langer Schatten seit vorvergangenem Freitag noch länger geworden?
Als ich mich vor über zwei Jahren um Dieter Lenzens Nachfolge beworben habe, war diese Aufbruchstimmung, die er an der Universität Hamburg geschaffen hatte, ein wesentlicher Punkt für meine Bewerbung. Er hat viel geleistet, strategisch sehr erfolgreich gearbeitet, natürlich nicht er allein, sondern im Zusammenspiel mit der ganzen Uni, unseren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Und mit den Partnern der anderen Hamburger Wissenschaftseinrichtungen, DESY mit seinem Direktoriumsvorsitzenden Helmut Dosch zum Beispiel. Wir verfolgen in Hamburg die Vision einer Wissenschaftsmetropole im 21. Jahrhundert, hinter der die Stadt und auch die ganze Landesregierung steht, mit Katharina Fegebank als kompetenter und erfahrener Wissenschaftssenatorin. Dieter Lenzen hat die Gelegenheit, die sich bot, mit großem Gespür genutzt. Diese Dynamik geht weiter. Wir wollen weiter machen, noch besser werden, und das fühlt sich richtig gut an.
"Das ist vielleicht so ähnlich wie bei einem Trainer, der ein extrem erfolgreiches Team übernimmt und von dem wie selbstverständlich erwartet wird, dass er weitere Titel gewinnt."
Der große Unterschied ist, dass es unter Lenzen nur besser werden konnte. Unter Ihnen kann es zumindest in Sachen Exzellenzstrategie nur schlechter werden.
Das ist Teil des Berufsrisikos, das war mir bewusst, als ich hier anfing. Das ist vielleicht so ähnlich wie bei einem Trainer, der ein extrem erfolgreiches Team übernimmt und von dem wie selbstverständlich erwartet wird, dass er weitere Titel gewinnt. Aber ich bin keineswegs besorgt, im Gegenteil: Die bestehenden Cluster arbeiten auf einem sehr hohen wissenschaftlichen Niveau und haben national wie international eine starke Reputation erreicht. Und auch die neuen Initiativen haben hervorragende wissenschaftliche Arbeit geleistet. Trotz des Exzellenztitels gibt es immer noch Luft nach oben: Intern wie extern. Intern müssen wir deutlicher vermitteln, warum es für alle Studierenden sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Universität ein Gewinn ist, wenn wir bei der Exzellenzstrategie erfolgreich sind. Und extern in der Stadtgesellschaft müssen wir Wissenschaft in all ihrer Exzellenz und Breite noch viel mehr zum Gespräch machen. Das ist unser Auftrag als Universität der Stadt.
Ist es eigentlich noch zeitgemäß, dass der Erfolg Ihrer Arbeit zu einem guten Teil vom Abschneiden in der Exzellenzstrategie abhängt? Anders gefragt: Passt so ein Wettbewerb noch in die 20er Jahre des 21. Jahrhunderts? Die frühere Wissenschaftsratsvorsitzende Dorothea Wagner stellte bei ihrem letzten Jahresbericht vor ihrem Ausscheiden die Frage in den Mittelpunkt, ob die Wettbewerbsorientierung in der Wissenschaft an ihre Grenzen gestoßen sei.
Da sind wir bei einer sehr grundsätzlichen Diskussion angelangt. Wie wettbewerblich sollte unserer Wissenschaftssystem organisiert sein? Wie stark sollte man die Kooperation betonen? Und muss man dieses Verhältnis nicht neu denken?
Und, muss man? Zumal sich die Erwartungen an die Wissenschaft offensichtlich geändert haben. Der Umgang mit den großen gesellschaftlichen Herausforderungen vom Klimawandel über die Digitalisierung bis zum Umbau unserer Energieversorgung steht für viele im Vordergrund, gleichzeitig betont die Wissenschaft die Bedeutung des Transfers wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Anwendung.
Alles richtig, aber das bedeutet ja nicht, dass die Förderung herausragender Grundlagenforschung sich erledigt hat. Die Exzellenzinitiative hat mich mein gesamtes Wissenschaftlerleben lang begleitet. Für mich war sie immer viel mehr als ein Wettbewerb, sie hat den Universitäten Anlass und Gelegenheit gegeben, neue Dinge auszuprobieren und ihr strategisches Profil zu schärfen. Umgekehrt kann ich die Kritik verstehen, dass hier Gelder eher einseitig vergeben werden. Die Alternative wäre, dass die Politik die Grundfinanzierung für alle Universitäten so auskömmlich erhöht, dass überall sehr gute Grundlagenforschung möglich ist.
In vielen Bundesländern grassiert zurzeit eher die Angst vor Einsparungen im Wissenschaftsetat. Beispiel Berlin: Dort sollen die Hochschulen jedes Jahr fünf Prozent mehr Geld bekommen, fünf Jahre lang, doch parallel streiten der CDU-Finanzsenator und die SPD-Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra um Einsparungen von fast sechs Prozent in diesem Jahr. Früher blickte man in Hamburg neidvoll nach Berlin. Hat sich das unter der grünen Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank geändert?
Berlin und Hamburg kann man nicht miteinander vergleichen, dazu sind die Städte zu unterschiedlich. Berlin hat in den vergangenen zwanzig Jahren eine unglaublich positive Entwicklung hin zur Wissenschaftsmetropole geschafft. Es war toll, das als Wissenschaftler und in verschiedenen Positionen aktiv begleiten und erleben zu können. Hamburg hat damit insgesamt später angefangen, dafür aber zuletzt deutlich an Tempo aufgenommen, und wir gehen einen ganz eigenen Weg, der aus Hamburgs Tradition als Hafen- und Handelsstadt kommt. Hamburg ist der größte Industriestandort Deutschlands, auch daraus ziehen wir Kraft für die Wissenschaft. Ein Flaggschiff-Beispiel ist für mich die Science City Hamburg- Bahrenfeld mit faszinierenden Projekten wie dem von Experimentalphysiker Florian Grüner, dem es gelungen ist, per Röntgenfluoreszenz-Tomografie präzise kleinste Tumore nachweisen zu können oder die Verteilung von Medikamenten in lebenden Organismen zu beobachten. Und die Methode jetzt in Kooperation mit Siemens Healthineers in die Anwendung bringt. Das ist unser klares Zukunftsbild: Dieser Geist, die Ergebnisse von Grundlagenforschung in Innovationen weiterzuentwickeln und umzusetzen
"Mein Anspruch ist, dass wir als Universität kluge theoretische Beiträge leisten und ebenso praktisch zeigen, was alles möglich ist."
Ist Wissenschaft für Hamburg jetzt das, was vorher immer der Hafen war?
Beide ergänzen sich gegenseitig. Der Hafen kann Innovationsmotor für die Wissenschaft sein und umgekehrt. Beispielsweise verfolgen exzellente Wissenschaftler von uns die Vision, dass der Einsatz von Quantencomputing die Logistikbranche nachhaltig verändern wird. Klar ist, Wissenschaft ist ein Motor der Innovation und leistet einen entscheidenden Beitrag zum Wohlstand unserer Stadt und zu einer prosperierenden sowie nachhaltigen Zukunft.
Apropos nachhaltig: Sie haben in Hamburg das Leitbild einer nachhaltigen Universität. Was heißt denn das praktisch?
Die Nachhaltigkeit hat an der Universität Hamburg eine lange Vorgeschichte mit unserem "Kompetenzzentrum Nachhaltige Universität", dort wurde viel "Denkarbeit" geleistet. Aus Mitteln der Exzellenzstrategie haben wir ein neues Amt geschaffen: Die "Chief Sustainability Officer" mit einem Team, das das gesamte Spektrum an Nachhaltigkeitsfragen strategisch neu erfasst. Das Thema energetisiert unsere Uni. Mein Anspruch ist, dass wir als Universität kluge theoretische Beiträge leisten und ebenso praktisch zeigen, was alles möglich ist: Von einer starken Klimaforschung ausgehend bis hin zu einem robusten Klimaschutzplan. So haben wir beispielsweise eine Biodiversitätsmanagerin, Myriam Rapior, die bei uns in Hamburg zu nachhaltigen Lieferketten promoviert und im Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung mitarbeitet. Klar muss man Rankings immer differenziert betrachten, aber wir nehmen mit Freude zur Kenntnis, dass wir im anerkannten QS-Ranking für Nachhaltigkeit zur drittbesten deutschen Universität aufgestiegen sind. Daraus schlussfolgern wir, dass unsere Maßnahmen beginnen zu wirken. Besonders wichtig ist uns das praktische Zusammenspiel von Digitalisierung und Nachhaltigkeit, die sogenannte "Twin Transformation", die einer unserer strategischen Schwerpunkte ist. Wir möchten sie als Hebel nutzen, um unsere Universität zur bestmöglichen Version ihrer Selbst zu machen.
Von welchen anderen Universitäten in Deutschland lernen Sie in Hamburg? Wo sind Ihre persönlichen Vorbilder, Herr Heekeren?
Ich sage hier schon manchmal: Schaut nach Berlin, was da alles entstanden ist, in Sachen Dynamik können wir da schon etwas lernen. Und ein Vorbild ist natürlich die TU München (TUM), gerade im Bereich Transfer und Gründung. Aber wir müssen wie gesagt immer überlegen, was davon zu uns hier Hamburg passt.
Weil Sie gerade die TUM nennen: Wenn wir fünf Jahre in der Zeit zurückgehen, gab es an deutschen Universitäten zwei scheinbar ewige Präsidenten, die jeder kannte, ihre Unis, aber auch eine ganze Ära prägten: Dieter Lenzen erst in Berlin, dann in Hamburg, und Wolfgang Herrmann an der TUM. Herrmann wurde 2019 von Thomas Hoffmann beerbt, Lenzen 2022 von Ihnen. Stehen Sie jetzt vor vergleichbaren Aufgaben?
Beide stehen wir sicherlich für einen anderen Führungsstil. Mein Anspruch ist eine Kultur der Kommunikation zu leben. Es geht um Offenheit, Transparenz und um Kommunikation auf Augenhöhe. Praktisch bedeutet das für mich in Hamburg, vor Entscheidungen, die wir im Präsidium fällen und die Menschen betreffen, mit diesen vorher zu sprechen und sie möglichst von Anfang an in den Beratungsprozess einzubeziehen. Das darf aber nicht heißen, dass wir langsamer werden. Im Gegenteil: wir wollen schneller, partizipativer, agiler und projekthafter handeln. Wir wollen den Kolleginnen und Kollegen in der Verwaltung mehr Eigenverantwortung ermöglichen.
"Ein Begriff, der Universitäten gut beschreibt, ist der von der robusten Flexibilität. Eine gewisse Starrheit in der Struktur, aber trotzdem so flexibel, dass sie die Veränderungen um sich herum aushält und mit ihnen umgeht."
Alles Begriffe, die toll klingen. Zur Wahrheit gehört aber, dass die Universität Hamburg aus einer linken, antiautoritären Vergangenheit herauskommt mit traditionell starken Abwehrtendenzen gegen Führungsversuche von oben. Hat sich das geändert? Ist die Universität heute das, was Hochschulmanager gern "strategiefähig" nennen?
Die Vergangenheit, von der Sie da sprechen, kenne ich nur aus Berichten, über die kann ich mir kein Urteil anmaßen. Ich sehe aber auch diesen starken Gegensatz nicht. Mein Anspruch ist schon, als Unipräsident visionär und strategisch unterwegs zu sein. Wenn ich aber ein klares Bild davon habe, wo ich hinwill, dann kann ich dieses auch den verschiedenen Mitgliedern der Universität vermitteln und sie bei anstehenden Entscheidungen mitnehmen sowie für Veränderungen begeistern. Strategisch und partizipativ, das geht zusammen und muss zusammengehen in einer Universität, die von der akademischen Selbstverwaltung geprägt ist. Manchmal wird es dann kontrovers, das muss so sein, wenn wir pluralistisch sein wollen. Wenn wir über unsere Nachhaltigkeitsstrategie diskutieren, laden wir dazu die gesamte Universität ein, stellen unsere Ideen vor und sind gespannt auf die Resonanz. Aus dem ersten "Offenen Forum Nachhaltigkeit" vergangenes Jahr haben sich fünfzehn Arbeitsgruppen gebildet, deren Ergebnisse in unsere Strategie integriert wurden. So bleiben wir als Universität mutig, neugierig und ermöglichen wirkliche Innovationen.
Sie klingen wie der einzige deutsche Unipräsident, der wunschlos glücklich ist mit der Governance seiner Hochschule. Hand aufs Herz: Wo sehen Sie Reformbedarf?
Natürlich ist das eine Frage, über die ich viel nachdenke. Mit Jetta Frost haben wir eine ausgewiesene Expertin für Organisationsfragen und wir diskutieren Fragen dieser Art im Präsidium. Meine Antwort ist: Universitäten sind stabile Organisationen. Ein Begriff, der Universitäten meines Erachtens gut beschreibt, ist der von der "robusten Flexibilität". Eine gewisse Starrheit in der Struktur, aber trotzdem so flexibel, dass sie die Veränderungen um sich herum aushält und mit ihnen umgeht. Eine gute Hochschulleitung wird diese Flexibilität situationsangemessen zu nutzen wissen und weit kommen.
Auf der Metaebene klingt das stimmig. Aber hält diese These auch den Praxistest? Sie haben in Hamburg mit den übrigen Hochschulen die "Hamburger Erklärung zu Hochschulkarrieren in der Wissenschaft" beschlossen. Sie selbst sehen sich damit in einer bundesweiten Vorreiterrolle und ein "Signal gegen den Karrieretypen-Konservatismus in der deutschen Wissenschaftslandschaft". Ihre Kritiker sehen ziemlich viele Luftblasen.
Solche Reaktionen sind nicht neu für hochschulpolitische Debatten. Es heißt häufig, dass ohne Umsetzungszwang und ohne mehr Geld Reformen nicht funktionieren würden. Ich bin immer noch stolz, dass wir es geschafft haben, die unterschiedlichen Hochschultypen in enger Abstimmung mit der Wissenschaftsbehörde auf eine gemeinsame Veränderungsperspektive einzustimmen. Unser Signal kommt an in der Hochschulpolitik, und wir tun, was wir versprochen haben, daran lasse ich mich auch gern messen.
Und ich nehme Sie gern beim Wort. Nennen Sie bitte ein paar Vorhaben, deren Umsetzung in einem Jahr konkret überprüfbar ist.
Wir haben die "Hamburger Erklärung" vor nicht einmal drei Monaten verabschiedet. Jetzt sind wir in Abstimmungsprozessen, um unsere Personalstruktur um attraktive Karrierewege auf Dauer zu erweitern. Wir binden alle ein, die für diesen Prozess wichtig sind, über alle Ebenen hinweg. Nehmen wir beispielsweise das neue Stellenprofil für Dauerstellen ("Staff Researcher") neben der Professur. Ein wichtiger Meilenstein für seine Etablierung ist die Zustimmung durch den wissenschaftlichen Personalrat, denn die Einstellungs- und Weiterbeschäftigungsverfahren verändern sich. Die UHH gehört schon heute zu den wenigen Universitäten, die in Berufungsverfahren Assessmentcenter und potenzialdiagnostische Verfahren einsetzen. Daraus ziehen wir systematische Schlussfolgerungen für die Ausgestaltung des "Staff Researchers" und etablieren ein Verfahren für die wissenschaftsgeleitete Entfristung der Stellen. Ein weiterer Meilenstein ist die übersichtliche, transparente Darstellung der wissenschaftlichen Karrierewege an der UHH.
Auch wenn Sie Ihre Pläne ohne zusätzliches Geld umsetzen wollen, finanziell sichere Rahmenbedingungen brauchen Sie natürlich schon. Wie optimistisch sind Sie da?
Grundsätzlich optimistisch und gleichzeitig realistisch. Der Hamburger Senat wird seine Zusagen einhalten, auch und gerade was den Ausbau der Science City Hamburg-Bahrenfeld betrifft. Die Pläne für Bahrenfeld und der zeitliche Ablauf sind vereinbart, die Finanzierung ist gesichert. Der S-Bahnanschluss kommt, der Bund gibt seinen Teil dazu, in der Zwischenzeit entstehen wunderbare neue Forschungsbauten. Und die Menschen, die im Quartier leben, sind aktiv involviert. Auch anderswo erlebe ich ein starkes Commitment der Politik. Gerade erst hat Finanzsenator Andreas Dressel nach einer umfangreichen Analyse aller Hamburger Hochschulbauten angekündigt, in den nächsten 20 Jahren mindestens sechs Milliarden Euro in die Sanierung zu investieren. Per Senatsbeschluss wurden vergangene Woche gleich die ersten 75 Millionen Euro freigegeben, um die dringendsten Vorhaben zu starten.
"So klar, wie sich die Politik zu Hamburg als Wissenschaftsmetropole bekannt hat, fehlt mir die Fantasie, was passieren müsste, dass die Beteiligten von diesem Weg abkommen."
Als Sie Vizepräsident an der FU Berlin waren, hat der dortige Senat 2018 nach einer Analyse auch ein massives Sanierungsprogramm versprochen. 2023 musste die TU Berlin mehrere Gebäude kurzfristig schließen, und ihre Präsidentin Geraldine Rauch warnt vor dramatischen Konsequenzen für die Hochschullehre.
Meine Erfahrung in Hamburg ist, dass erst Aussagen getätigt werden, wenn man einen Plan hat und Klarheit über dessen Finanzierung besteht. An der Stelle bin ich beruhigt. Weniger beruhigt bin ich bei der Frage, wie wir als Hamburger Hochschulen die hohen Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst abbilden sollen. Für 2024 sind wir abgesichert, aber wie geht es 2025 weiter? Da brauchen wir eine Antwort der Politik. Aber auch hier gilt: So klar, wie sich die Politik zu Hamburg als Wissenschaftsmetropole bekannt hat, fehlt mir die Fantasie, was passieren müsste, dass die Beteiligten von diesem Weg abkommen.
Ist Ihr Vertrauen in die Bundespolitik ähnlich ausgeprägt?
Ich würde mir von der Bundesregierung mehr Taten wünschen, um Deutschland in Bildung und Wissenschaft voranzubringen. Wir sind leistungsstark, wir stehen im internationalen Vergleich nicht schlecht da, aber die wirkliche gesellschaftliche Prioritätensetzung drückt sich auch im baulichen Zustand der Schulen und Universitäten aus. Was sendet das für eine Botschaft der Wertschätzung an die Talente der Zukunft, an die jungen Menschen, die unser Land irgendwann steuern und gestalten sollen? Ich finde, da ist auch die Bundesregierung gefragt. Das ist ein dickes Brett. Aber es gibt viele weitere Themen, auf die es in der Zukunft ankommt. Zu nennen wäre die dringend nötige Umsetzung einer forschungsfreundlichen Gesetzgebung zu Datenschutz und Datennutzung. Oder die seit Jahrzehnten immer wieder diskutierte, aber nie forcierte Veränderung im Kapazitätsrecht, das uns als Hochschulen in unserer Entwicklung einschränkt.
Dieser Wunsch richtet sich aber schon wieder sehr stark an die Länder, oder?
Ich sage ja nicht, dass meine generelle Zufriedenheit mit der Hamburger Wissenschaftspolitik bedeutet, dass da nicht noch mehr geht. An letzterem arbeiten wir als Hochschulleitung der Universität Hamburg gemeinsam jeden Tag.
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In: Wiadomości statystyczne / Glówny Urza̜d Statystyczny, Polskie Towarzystwo Statystyczne: czasopismo Głównego Urze̜du Statystycznego i Polskiego Towarzystwa = The Polish statistician, Band 2023, Heft 9, S. 15-33
Web scraping is a technique that makes it possible to obtain information from websites automatically. As online shopping grows in popularity, it became an abundant source of information on the prices of goods sold by retailers. The use of scraped data usually allows, in addition to a significant reduction of costs of price research, the improvement of the precision of inflation estimates and real-time tracking. For this reason, web scraping is a popular research tool both for statistical centers (Eurostat, British Office of National Statistics, Belgian Statbel) and universities (e.g. the Billion Prices Project conducted at Massachusetts Institute of Technology). However, the use of scraped data to calculate inflation brings about many challenges at the stage of their collection, processing, and aggregation. The aim of the study is to compare various methods of calculating price indices of clothing and footwear on the basis of scraped data. Using data from one of the largest online stores selling clothing and footwear for the period of February 2018–November 2019, the author compared the results of the Jevons chain index, the GEKS-J index and the GEKS-J expanding and updating window methods. As a result of the calculations, a high chain index drift was confirmed, and very similar results were found using the extension methods and the updated calculation window (excluding the FBEW method).
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Die Regierung kürzt bei der jungen Generation? Ja, stimmt. Umso mehr wundert, dass sich die öffentliche Empörung auf die geplanten Einsparungen beim Elterngeld konzentriert.
AN DIESEM MITTWOCH soll das Bundeskabinett den Haushaltsentwurf für 2024 beschließen. Was das für Bildung und Forschung bedeutet, habe ich bereits aufgeschrieben. Die Kernaussage: BMBF-Chefin Bettina Stark-Watzinger hat sich in den Verhandlungen insgesamt gut geschlagen. Vielleicht weil sie wie Finanzminister Christian Lindner FDP ist, vielleicht weil die Ampel das mit der Prioritätensetzung für Bildung und Forschung ernst meint. Wobei letztere Vermutung zumindest bei der Bildung nur mit Blick auf die eingeplante zusätzliche ( in 2024 zunächst halbe) Bildungsmilliarde aufrechtzuerhalten ist.
Nicht aber mit Blick auf das BAföG: Die Ausbildungsförderung soll rechnerisch den gesamten Sparbeitrag des Ministeriums erbringen (rund 500 Millionen Euro) und sogar noch mehr. Vor dem Hintergrund, dass vor allem das Studierenden-BAföG schon jetzt faktisch kaputt ist, ist das bitter. Nicht bitter, aber nachdenklich stimmt mich, dass darüber bislang kaum diskutiert wird, es dafür aber eine massive öffentliche Debatte über die geplante Kürzung beim Elterngeld gibt. Gestern Abend der Aufmacher in der Tagesschau, heute Morgen allein beim Spiegel dazu drei Top-Meldungen. Die Aufregung ist so groß, dass sich FDP und Grüne inzwischen gegenseitig vorhalten, wer die Kürzung (nicht) erfunden hat.
Um einmal die Dimensionen zu vergleichen: Nur etwas mehr als elf Prozent der Studierenden bezogen zuletzt BAföG, obwohl je nach Statistik ein Drittel und mehr als armutsgefährdet gilt. Umgekehrt wären von der Elterngeldkürzung, so kritikwürdig sie aus gleichstellungspolitischer Perspektive ist, nach Schätzungen maximal fünf Prozent der potenziellen Eltern betroffen. Die mit dem höchsten Einkommen – während 95 Prozent die Leistung weiter bekämen. Können Sie verstehen, warum ich die Verteilung der öffentlichen Aufmerksamkeit schräg finde?
Natürlich wäre es am besten, wenn gar nicht bei der jungen Generation oder den Familien gespart würde. Aber jene, die sich nach eigener Aussage genau deshalb über die Elterngeld-Kürzung erregen, müssten sich dann mit gleicher Verve fürs BAföG einsetzen –und erst recht dafür, dass die versprochene Kindergrundsicherung bald kommt, und zwar in einer vernünftig ausgestatteten, nicht um Milliarden gekürzten Version.
So bleibt der Eindruck, dass Gesellschaft und Medien auch den Ampel-Sparhaushalt durch die Brille der gut verdienenden Mittelschicht betrachten – und das Wohlergehen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus ärmeren Familien in der Debatte bestenfalls eine Außenseiterrolle spielt.
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200 bis 400 Millionen Euro stehen angeblich auf der Streichliste, Finanzministerium verweist auf die Entscheidungsfreiheit des Wirtschaftsministeriums.
DIE KOALITIONSINTERNEN Abstimmungen um den Sparhaushalt 2024 gehen in die Endrunde, nächsten Mittwoch soll Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) seinen Entwurf im Kabinett präsentieren. Noch immer ist es der Ampel gelungen, wesentliche Details der geplanten Kürzungen aus der Öffentlichkeit herauszuhalten, aber das, was durchsickert, löst zum Teil Widerstand auf höchster Ebene aus.
So protestierte vergangenen Freitag die Wirtschaftsministerkonferenz der Länder gegen die Kürzungspläne des Bundes unter anderem beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die "dringend notwendige weitere Förderung der 30 Standorte des DLR" sei "in voller Höhe auch zukünftig sicherzustellen, hieß es in der vom Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft verbreiteten Pressemitteilung.
Womit die Wirtschaftsminister überhaupt erst aufmerksam darauf machten, dass da etwas im Busch zu sein scheint. Was aber genau soll beim DLR eigentlich gekürzt werden, wo und wieviel?
Das Bundesfinanzministerium schickte auf meine diesbezügliche Presseanfrage hin seine derzeitige Standardantwort: Lindner habe den Ressorts mitgeteilt, "welche Haushaltsmittel ihnen jeweils absolut zur Verfügung stehen. Die Ressorts sind nun aufgefordert, eigenverantwortlich die Ausgestaltung ihrer jeweiligen Plafonds vorzunehmen." Die sogenannte Schichtungsfreiheit bleibe erhalten, dieses Verfahren sei vorab mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) so abgestimmt worden.
Womit das Finanzministerium immerhin eine interessante Darstellung der Situation lieferte: Das Bundeswirtschaftsministerium von Habeck, in dessen Zuständigkeit das DLR und der Großteil seiner Finanzierung liegt, wäre demnach frei darin zu entscheiden, ob es beim DLR oder anderswo kürzt. Ist das so? Der Druck Landeswirtschaftsminister richtet sich jedenfalls allgemein an den Bund und speziell ans Bundesfinanzministerium, das so die Warnung der Ressortchefs, angeblich auch 300 Millionen Euro Bundesmittel in der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (GRW) streichen will.
Wer auch immer am Ende entscheidet: Habecks Ministerium ließ meine Anfrage nach geplanten Kürzungen beim DLR, ihren Umfang und ihre Ausrichtung, gänzlich unbeantwortet. Inoffiziell kursiert zwar eine Größenordnung von 200 bis 400 Millionen Euro, die das DLR einsparen müsse. Doch abgesehen davon, ob die Angaben stimmen, ist unklar, wo es Abstriche geben würde: von der Grundfinanzierung, die inklusive Investitionsmittel dieses Jahr mit rund 785 Millionen Euro im Haushaltsansatz stand, von den Drittmitteln des Bundes, die ebenfalls hunderte Millionen umfassen, oder von beidem? Und in welchem Zeitraum? Nur 2024, was kaum vorstellbar wäre, 2024 und 2025 kombiniert – oder über einen noch längeren Zeitraum?
Ein Sprecher des DLR kommentierte auf Anfrage lediglich: "Die von Ihnen zitierten Aussagen zum DLR, resultierend aus den Gesprächen der Wirtschaftsminister, sprechen für sich. Ich möchten diesen nichts hinzufügen."
Thüringens Wissenschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) betonte, das DLR bringe Forschungsleistungen weit über die Themen Luft- und Raumfahrt hinaus. "Für die Bewältigung des Klimawandels braucht es Lösungsansätze auf den Feldern Energie, Mobilität, Sicherheit und Quantentechnologie, hier ist die Expertise des DLR auch weiterhin essentiell."
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Fast die Hälfte der Lehramtsstudenten geht in der Ausbildung an den Universitäten verloren, zeigt eine Analyse. Woraus folgt: Es braucht nicht nur mehr, es braucht vor allem bessere Studienplätze für Lehrer.
Foto: Martin Kraft, CC BY-SA 3.0.
DIE AHNUNGSLOSIGKEIT vieler Universitäten ist atemberaubend. Inmitten des größten Lehrermangels seit Jahrzehnten können sie oft nicht sagen, wie viele ihrer Lehramt-Studienanfänger bis zum Abschluss kommen – geschweige denn, warum sie zu welchem Zeitpunkt entscheiden, doch nicht Lehrer zu werden.
Der Stifterverband spricht von einer "großen Forschungs- und Datenlücke", die es zu füllen gelte, "denn nur auf Basis belastbarer Befunde können bildungspolitische Maßnahmen ergriffen werden, die letztendlich einen Bildungsnotstand verhindern."
Vielleicht wollen viele Verantwortliche in Hochschulen und Politik es auch gar nicht so genau wissen, denn die wenigen bekannten Zahlen sind atemberaubend. In so seltener wie beispielhafter Transparenz haben Bildungsforscher der Universität Rostock im Auftrag der Landesregierung ermittelt, dass je nach Schulform, Schulfach und Uni zwischen 20 und 83 Prozent der Lehramtsstudierenden in Mecklenburg-Vorpommern zwischendrin verloren gingen – besonders groß sei die Schwundquote ausgerechnet in den MINT-Fächern.
Der Stifterverband zeigt nun mit seinem erstmals recherchierten "Lehrkräftetrichter", dass die Rostocker Zahlen im Trend liegen dürften. Von jährlich 52.500 Studienanfängern bundesweit erreichten 29.400 das Referendariat – das dann immerhin die meisten durchhielten. Am Ende des Trichters kommen maximal 28.300 fertige Lehrer raus – der Rest, rund 46 Prozent, geht andere Wege.
Einen ähnlichen Schwund gebe es auch in den Fachwissenschaften, betont der Stifterverband, doch hätten die zur Kompensation einen Zustrom von Wechslern aus anderen Fächern. Aus einem Nicht-Lehramtsfach in ein höheres Lehramts Fachsemester hineinzuwechseln, sei dagegen schwierig.
Gelänge es, den Schwund zu halbieren, wäre der Lehrermangel rechnerisch erledigt
Natürlich liefert der "Lehrkräftetrichter" nur ungefähre, ja behelfsmäßige Berechnungen, aber sie zeigen: Wer das Problem Lehrermangel lösen will, muss vor allem das Problem Lehramtsstudium lösen. Durch eine bessere Betreuung der Studierenden, eine andere Studienorganisation und womöglich – was angesichts der Personalnot erstmal absurd klingen mag – durch passende Eignungsfeststellungsverfahren. Man stelle sich vor, mit solchen Mitteln ließe sich die Schwundquote halbieren. 12.000 zusätzliche Lehrer pro Jahr wären die Folge. Und der Lehrermangel – rechnerisch –erledigt.
Was praktisch natürlich nicht so ist, denn der Mangel ist ja jetzt da – und die Schulen müssen jetzt umgehen mit dem, was sich in der Lehrerbildung über Jahrzehnte an Versäumnissen aufgebaut hat – kombiniert mit der ebenso lange verfehlten Bedarfsplanung vieler Kultusminister. Also: Ja, es braucht mehr Studienplätze für Lehrer. Vor allem aber braucht es bessere Studienplätze für Lehrer.
Auch die Kultusminister wissen das. Es ist ihnen oft genug gesagt worden, etwa von ihrer Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK). Und ebenso, dass zu der anderen Studienorganisation neue Zugänge erst im Master, Ein-Fach-Lehramtsabschlüsse und eine andere Verschränkung von Theorie und Schulpraxis gehören sollten. Was nebenbei dazu führen würde, dass die Ausbildung von Quereinsteigern regulärer – und von der Qualität her gedachter – Teil der Lehrerbildung würde.
Tatsächlich beschwören die Minister nach Jahren des Zögerns inzwischen ihre Reformbereitschaft – spätestens nach dem umfangreichen Gutachten, das die SWK Ende des Jahres vorlegen will. Doch der Lehrkräftetrichter des Stifterverbandes macht deutlich wie nie: Die wichtigste Reform wären verlässliche und transparente Daten. In allen Bundesländern.
Dieser Kommentar erschien zuerst in leicht gekürzter Fassung in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
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Nach Anlaufschwierigkeiten scheint die Berlin University Alliance in diesem Jahr aus dem Vollen zu schöpfen. Doch noch ist nicht klar, ob der Senat das auch mit einem finanziellen Zeichen honoriert.
Den Exzellenzverbund im Visier? Kai Wegner vor der BUA-Torwand (Screenshot von der Website der Berlin University Alliance).
ES HAT LANGE GEDAUERT, aber endlich scheint die Berlin University Alliance (BUA), der deutschlandweit einzige Exzellenzverbund mehrerer Universitäten, in Fahrt zu kommen. So sehr, dass der Hauptausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses vor drei Wochen mehr als neun Millionen Euro Landesunterstützung für die BUA-Universitäten freigab, die zuvor teilweise über Jahre in der Haushaltsrücklage geschlummert hatten.
"Wir brauchen jetzt jeden Euro", sagt Geraldine Rauch, Präsidentin der Technischen Universität (TU) Berlin und Sprecherin der BUA. Und sie appelliert an den Senat, die BUA-Gelder des kommenden Doppelhaushaltes wieder vollständig in den Haushalt einzustellen – weil die Verbundpartner, neben der TU die Freie Universität, die Humboldt-Universität und die Charité, sonst in Verzug geraten könnten.
Die Pandemie, Gezerre und ein Stellenstopp
Was ist passiert: 2019 gekürt, erhält der Exzellenzverbund jährlich knapp 23,5 Millionen Euro über die Exzellenzstrategie. Wie andere Landesregierungen hatte sich auch der Berliner Senat schon in der Bewerbungsphase bereiterklärt, weitere sechs Millionen pro Jahr draufzulegen, unter anderem zur Unterstützung von Spitzenberufungen und zusätzlichen Forschungsprojekten. Bewilligt werden sie nach wissenschaftlichen Begutachtungen über die landeseigene Einstein-Stiftung.
Doch dann kam Corona und legte den Forschungsbetrieb teilweise und den – für die BUA strategisch besonders wichtigen – internationalen Forscheraustausch über Monate komplett lahm. Parallel machte die BUA in ihrer Aufbauzeit häufig durch das Gezerre und Eifersüchteleien der Partner um Governance, Strategie und Zuständigkeiten von sich reden.
Als die damalige rot-rot-grüne Mehrheit im Herbst 2021 im neuen Hochschulgesetz die grundsätzliche Entfristung von Postdocs verankerte, reagierte die BUA mit vorübergehenden Stellenstopps.
All das führte dazu, dass die BUA 2020 und 2021 kaum etwas von ihren jährlich sechs Extra-Millionen ausgab. Geld, was der Senat daraufhin in die sogenannte Corona-Rücklage steckte, um es den BUA-Verbundpartnern später auszuzahlen – durchaus großzügig. Dann jedoch weckte der über Jahre spärliche Abfluss der Exzellenzmittel Begehrlichkeiten, so dass die Finanzverwaltung für das Jahr 2023 vier der sechs Einstein-BUA-Millionen strich. Weniger großzügig. Die Botschaft: Den vollen Betrag gibt es erst wieder, wenn ihr nachweist, dass ihr das Geld wirklich ausgeben könnt.
Das haben die BUA-Partner inzwischen gezeigt. Die Einstein-Stiftung hat ihnen allein für das laufende Jahr 27,7 Millionen Euro bewilligt, darunter zwölf Millionen für die wissenschaftliche Projektförderung unabhängig von der BUA, 4,7 Millionen für Forschungsgruppen und 3,8 Millionen für Dual Career, Gleichstellung und Diversity. Hinzu kommen rund eine halbe Million für sogenannte BUA Strategic Professorships und Visiting Fellows im Rahmen der BUA-Oxford-Partnerschaft. Alles Gelder, die erst ausgezahlt werden können, nachdem der Hauptaussschuss jetzt die Rücklage geöffnet hat.
Erstmal ging Geld in die Rücklagen, jetzt wird es ausgegeben
"Wir sind schon in die Vorfinanzierung gegangen", sagt TU-Präsidentin Geraldine Rauch und verweist auf die langen Prozesse: Allein zwischen Antrag, Begutachtung und Bewilligung durch die Einstein-Stiftung vergingen oft viele Monate. Wenn man dann noch auf die Freigabe von Mitteln durch den Hauptausschuss warten müsse, dauere das zu lang.
"Darum muss das Geld in den regulären Haushalt, und zwar in voller Höhe. Wir haben bewiesen, dass wir es zielgerichtet ausgeben. Eine erneute Absenkung der Fördersumme auch im kommenden Doppelhaushalt würde die Ziele der BUA im Hinblick auf die nächste Evaluation ernsthaft gefährden."
Verständnis kommt von CDU-Wissenschaftspolitiker Adrian Grasse. "Erneut gekürzt werden darf auf keinen Fall. Darüber hinaus wäre es natürlich die beste Lösung, wenn die vollen sechs Millionen 2024 direkt in den Haushalt gehen. Allerdings muss man die haushaltspolitische Situation des Landes insgesamt bedenken."
Worauf er anspielt: Die Verhandlungen um den Berliner Doppelhaushalt 2023/24 und damit auch um die Ausstattung der neuen Hochschulverträge gehen in die entscheidende Phase. An diesem Dienstag ist Senatsbefassung, dann soll der Haushaltsentwurf beschlossen werden, um anschließend ins Abgeordnetenhaus zu gehen. Gerade erst hat die Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten der Berliner Hochschulen (LKRP) in einem Brandbrief an Finanzsenator Stefan Evers (CDU) Alarm geschlagen. Sie befürchten, der schwarz-rote Senat könne hinter seinen Zusagen im Koalitionsvertrag zurückbleiben, die Hochschulhaushalte von 2024 an um fünf Prozent pro Jahr aufzustocken.
Zwei weitere Kernpunkte sind für die Hochschulen essentiell: der Einstieg in einen "Baukorridor" zur Sanierung der Hochschulbauten und eine zusätzliche Finanzierung für die von der Politik gewünschten zusätzlichen Studienplätze besonders zur Ausbildung künftiger Lehrkräfte, Polizeikräfte und weiterer für den öffentlichen Dienst wichtige Berufe.
„"Was das Land an zusätzlichen Leistungen bei uns Hochschulen bestellt, muss es uns auch zusätzlich finanzieren, und zwar nachhaltig, sonst können wir nicht in der erwarteten Qualität liefern", sagt der LKRP-Vorsitzende Günter M. Ziegler, im Hauptberuf Präsident der Freien Universität.
Die Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) wiederum benötigt für ihren Polizei-Studiengang nach eigenen Angaben sechs Millionen Euro schon 2023. In den nächsten Jahren könnten es bis zu sieben Millionen werden. Bisher finanzierte die Senatsverwaltung für Inneres die Polizei-Studienplätze extra, jetzt sollen sie Teil der Hochschulverträge werden. "Wir müssen aber feststellen, dass Stand heute weder die Innen- noch die Wissenschaftsverwaltung dafür eine ausreichende finanzielle Vorsorge getroffen haben", sagt HWR-Präsident Andreas Zaby.
Senatorin Czyborra: Die Fünf Prozent Aufwuchs sind sicher
Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) sagt auf Anfrage, die fünf Prozent Aufwuchs seien mit der Finanzverwaltung bereits sicher verhandelt, "das ist schon mal sehr gut und echt ein Wort." Zu Beginn möge der Aufwuchs durch Inflation und Gehaltssteigerungen aufgefressen werden, aber über die Laufzeit von insgesamt fünf Jahren hinweg eröffneten sich da echte Spielräume für die Hochschulen, betont Czyborra.
Was die Finanzierung der Lehrkräftebildung obendrauf angehe, habe sie ebenfalls eine Einigung mit dem Finanzsenator erzielt, "die mich sehr zuversichtlich stimmt, aber das letzte Wort hat auch hier das Parlament." Die HWR-Studienplätze für die Polizei könnten, so die Senatorin, auch nicht aus den fünf Prozent finanziert werden, "aber da müssen wir noch zusammen mit der Senatsverwaltung für Inneres eine Lösung finden."
Und was die BUA angehe: Das Land stehe zu seinen finanziellen Verpflichtungen, aber nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre sei es nachvollziehbar, dass die Hochschulen erst den Mittelbedarf nachweisen müssten. Das sei darüber hinaus haushälterisch nicht unüblich. "Dass die Hochschulen über die Hochschulverträge ihr Geld zur freien Verfügung erhalten, das ist das Besondere."
Symbolischer Wert bei den BUA-Mitteln
Auch CDU-Politiker Grasse sagt: "Wenn der Preis für die nötigen Aufwüchse der Hochschulbudgets ist, dass Teile der BUA-Gelder zunächst in die Rücklage gehen, könnte ich damit leben."
Tatsächlich nehmen sich die sechs Millionen Euro BUA-Gelder im Vergleich zu den insgesamt 1,45 Milliarden Euro, die Berlin allein dieses Jahr als Zuschuss an die Hochschulen überweist, verschwindend gering aus. Doch hat ihre vollständige Bereitstellung für die BUA neben dem materiellen einen hohen symbolischen Wert: Bescheinigt die Politik dem Verbund, dass er den Aufbruch hinbekommen hat? Oder hält sie die Berlin University Alliance mit Verweis auf seine früheren Schwierigkeiten an der kurzen finanzpolitischen Leine?
Fest steht: Bei der im August 2025 startenden Evaluation schauen die internationalen Gutachter nicht nur auf die Performance in Forschung und Strategie – sondern auch auf das Vertrauen und den Rückhalt in der Landespolitik.
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Wie konnte es überhaupt zur Fraunhofer-Affäre kommen? Ein jetzt bekannt gewordener Briefwechsel verrät viel über Selbstverständnis, Anspruchshaltung und die Beziehung zwischen Forschungsgesellschaft und BMBF.
Scharfer Briefwechsel: Was Bundesforschungsministerium (links der Berliner Dienstsitz) und die Münchner Fraunhofer-Zentrale sich nach Abschluss der BMBF. Ermittlungen zu sagen hatten. Fotos: Fridolin freudenfett, CC BY-SA 4.0/Rufus 46, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons.
ES HAT BIS NACH DEM RÜCKTRITT Reimund Neugebauers gedauert, bevor das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) jetzt endlich Einsicht in seinen Fraunhofer-Prüfbericht gewährt hat. Rund ein Jahr nach meinem ersten diesbezügliche Antrag im Einklang mit dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Initiiert hatte die Ermittlungen in der Zentrale der Forschungsgesellschaft der frühere BMBF-Staatssekretär Thomas Sattelberger bereits kurz nach seinem Amtsantritt Anfang 2022.
Man wolle den Bericht ja veröffentlichen, versicherte das BMBF wiederholt. Doch Fraunhofer legte Widerspruch ein, der musste erst bearbeitet werden. Und obwohl größtenteils abgelehnt, dauerte es weitere Monate, bis der entsprechende Bescheid nun laut BMBF "Bestandskraft" erhielt.
Hat sich das Fraunhofer-Zeitspiel also gelohnt? Zumindest hat es den Rückzug Neugebauers womöglich hinausgezögert – obwohl bereits im Februar auch die Münchner Staatsanwaltschaft bestätigte, wegen des Verdachts der Verschwendung von Steuergeldern bei Fraunhofer zu ermitteln.
Weil der Bundesrechnungshof (BRH) seinen – später entstandenen – Bericht längst veröffentlicht hat, bietet das BMBF-Dokument selbst nicht mehr wirklich viel Neues. "Zahlreiche Verstöße gegen interne und externe Regeln" erkannte der BRH. Vor allem für Reisen, Dienstfahrzeuge, Bewirtungen und Veranstaltungen seien rechtliche Vorgaben unzureichend beachtet worden. Es habe eine Kultur des Wegschauens geherrscht, die interne Revision sei weitgehend untätig geblieben. Die BMBF-Prüfer listeten ihrerseits Beispiele für "immanente Umsetzungsfehler im Prozess" und "Besserstellung des Vorstandes" auf – über die ich erstmals im November 2022 im Tagesspiegel berichtete, nachdem mir der noch unveröffentlichte Ministeriumsbericht zugespielt worden war.
Die Stellung des Präsidenten sei zu "würdigen", beharrt die Fraunhofer-Vorständin für "Unternehmenskultur"
Umso aufschlussreicher ist dafür jetzt der schriftliche Schlagabtausch, den sich Fraunhofer und BMBF im Anschluss an das Prüfverfahren geliefert haben und den das Ministerium ebenfalls in seiner IFG-Antwort mitlieferte.
So beharrte die unter anderem für "Unternehmenskultur" zuständige Fraunhofer-Vorständin Elisabeth Ewen Anfang September 2022 in einem siebenseitigen Brief ans BMBF darauf, dass "eine mögliche Schadensbetrachtung nicht auf die reisekostenrechtliche Sichtweise" reduziert werden dürfe, sondern "ganzheitlich“" erfolgen müsse. Insbesondere sei die in der Fraunhofer-Satzung verankerte "Stellung des Präsidenten" zu "würdigen". Hier scheint es wieder durch, Fraunhofers großes Problem, dass man offenbar meinte, selbst die Maßstäbe definieren zu können, die man für angemessen hielt.
Woraufhin das BMBF scharf im Oktober 2022 antwortete: Das Bundesreisekostengesetz gelte "für alle Dienstreisenden gleichermaßen". Und: Man sei sich Ewens "Einverständnis sicher", dass es gemeinsames Interesse aller Beteiligten sei, "die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung" für den Empfang öffentlicher Gelder "nicht ansatzweise in Frage stellen zu können".
Der demonstrativ-moralische Zeigefinger des Ministeriums steht allerdings in einem auffälligen Gegensatz zu der Darstellung in Ewens Brief, das BMBF habe "das in der Vergangenheit praktizierte Verfahren" 2017 schriftlich so "intendiert" und trotz jährlicher Berichte bis zur Prüfung nicht hinterfragt.
War man lange allzu verständnisvoll im BMBF und will deshalb jetzt umso strenger wirken? Jedenfalls berichtete der BRH unter anderem: Dreimal habe ein Fraunhofer-Vorstand ein Ex-Leitungsmitglied des BMBF bewirtet, das zu dem Zeitpunkt für die Vergabe der Zuwendungen an Fraunhofer zuständig gewesen sei. Wobei man den BRH-Angaben zufolge für insgesamt 1270 Euro tafelte und trank.
Der Briefwechsel zeigt: Es gibt noch viel aufzuarbeiten. Bei Fraunhofer den Umgang mit Geldern und die Kultur, die dazu führte. Und im BMBF die eigene Rolle zwischen Hinsehen und Nicht-Sehen-Wollen.
Dieser Beitrag erschien in gekürzter Fassung zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
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Wie erging es Menschen mit Behinderungen in der DDR? Was erlebten die Bewohner von Kinder- und Jugendheimen? Vom BMBF finanzierte Forschungsvorhaben sind solchen Fragen nachgegangen. Doch spätestens 2025 droht vielen Projekten das Aus.
Der ehemalige Geschlossene Jugendwerkhof Torgau ist heute eine Gedenkstätte. Kann die wissenschaftliche Forschung zu "DDR-Spezialheimen" fortgesetzt werden? Foto: PeterBraun74 / CC BY-SA 4.0.
DEN GESCHLOSSENEN JUGENDWERKHOF TORGAU haben viele seiner früheren Bewohner auch Jahrzehnte später nicht vergessen. Der Forschungsverbund "DDR-Spezialheime" gab ihnen die Gelegenheit, ihre teilweise traumatischen Erlebnisse in autobiographischen Interviews mit Wissenschaftlern zu berichten – und damit zur historischen Aufarbeitung eines vorher kaum bekannten Kapitels ostdeutscher Geschichte beizutragen. Zur Erforschung der Erziehung von Kindern und Jugendlichen in Spezialheimen gehörten genauso Gespräche mit ehemaligen Mitarbeitern und eine aufwändige Analyse von Akten, Dokumenten und Literatur. Doch jetzt ist Schluss. "Wir hätten einen Antrag auf eine Förderverlängerung stellen können", sagt die Dresdner Sozialpädgogik-Professorin Cornelia Wustmann. "Aber nur um zwei Jahre und mit 50 Prozent weniger Fördermitteln. Das hat für uns nicht zusammengepasst mit dem Aufwand des neuen Antrags und den unsicheren Aussichten auf Erfolg."
14 Forschungsverbünde umfasste die 2018 gestartete BMBF-Förderlinie zur DDR-Forschung in ihrer ersten Programmphase. Drei bis vier Jahre Projektfinanzierung, die ungewöhnliche Kooperationen ermöglichte zwischen Hochschulen, Forschungsinstituten, Schulen, Museen, Opferverbänden und Gedenkstätten – wie im Falle von Torgau die des Geschlossenen Jugendwerkhofs. Das Spektrum der Forschungsthemen reichte von Fluchtversuchen und dem Grenzregime über die DDR-Umweltpolitik im Vergleich zu Westdeutschland bis hin zum medialen Erbe der DDR.
Nach erfolgreicher Begutachtung, versprach die Richtlinie von 2017, könne eine "Weiterförderung um bis zu zwei Jahre erfolgen". Doch, kritisiert die CDU-/CSU-Fraktion im Bundestag, in Wirklichkeit habe das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die DDR-Forschung jetzt drastisch gekürzt. So sehr, dass etwa das Torgau-Projekt freiwillig ausstieg und andere unfreiwillig aussortiert wurden.
Nicht einmal mehr Zeit für die Arbeitslos-Meldung
Gern weitergemacht hätte etwa das Verbundteam um Sebastian Barsch. Unter dem Kürzel "DisHist" haben Wissenschaftler der Uni Kiel und der Universität der Bundeswehr München den Alltag von Menschen mit Behinderungen in der DDR erforscht. "DisHist" war das erste Projekt der Förderlinie überhaupt, so dass es auch als erstes seinen Verlängerungsantrag stellen konnte. Der zunächst positiv begutachtet wurde, vom Projektträger DLR kam sogar die Nachricht, dass die Mittel für DisHist bereits im Haushalt eingeplant seien.
Doch dann begann vergangenen Sommer die Hängepartie für diese und weitere geistes- und sozialwissenschaftliche Förderlinien. Das BMBF verwies auf die "besonderen Herausforderungen durch den Ukraine-Krieg". Zwei Wochen vor dem geplanten Förderbeginn zum 1. September 2022 erhielten Barsch und seine Mitstreiter die vorläufige Absage inklusive Hinweis, dass die DLR-Nachricht noch keine Zusage bedeutet habe. Wenn es Geld gebe, dann aus haushalterischen Gründen frühestens im Jahr 2023.
Die knappe Absage bedeutete, dass die betroffenen drei Projektmitarbeiter nicht einmal mehr ihre Arbeitslos-Meldung fristgerecht hätten einreichen können, sagt Barsch. Bis zur endgültigen Ablehnung vergingen weitere sechs Monate. Die Summe der Anträge in der Förderlinie habe die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel überstiegen, teilte das DLR mit, daher würden nur die von den Gutachtern am besten bewerteten Projekte gefördert.
Der Umfang der Kürzungen ist unklar
Im BMBF-Fördertitel für die Geistes- und Sozialwissenschaften insgesamt sind 2023 mit 108 Millionen Euro sogar knapp drei Millionen mehr vorgesehen als 2022, wobei nicht extra ausgewiesen wird, wieviel davon dieses Jahr in die DDR-Forschung fließt. BMBF-Staatssekretär Jens Brandenburg betonte Ende April auf eine parlamentarische Anfrage der Unionsfraktion hin, die Finanzierung der Verlängerungsphase entspreche der bereits bei Ausschreibung im Jahr 2017 "vorgegebenen Maßgabe einer degressiven Förderung".
Was das BMBF nicht sagt: wie viele der 14 Verbundprojekte bereits nicht mehr dabei sind. Über den Förderumfang in der zweiten Phase können aktuell "noch keine konkreten Angaben gemacht werden, weil das Auswahl- und Bewilligungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist", teilt eine Ministeriumssprecherin auf Anfrage mit.
"Das BMBF muss dringend für Aufklärung sorgen", sagt der zuständige Berichterstatter der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion, Lars Rohwer. Die Verunsicherung in der DDR-Forschungscommunity sei groß. Denn abgesehen von der Ausgestaltung der zweiten Projektphase drohe 2025 endgültig die Abbruchkante, wenn die bisherige, noch unter CDU-Forschungsministerin Wanka beschlossene Förderlinie auslaufe. "Es ist nachvollziehbar, dass jede Ministerin ihre eigenen Schwerpunkte setzt, aber Frau Stark-Watzinger muss endlich sagen, was das für die DDR-Forschung bedeutet." Und zwar so rechtzeitig, dass die erneute Unsicherheit nicht zu einem weiteren Verlust wertvoller Forschungsmitarbeiter führe.
Die BMBF-Sprecherin sagt, über eine etwaige Fortführung der Förderung der DDR-Forschung nach 2025 könne zum jetzigen Zeitpunkt keine Aussage getroffen werden.
Cornelia Wustmann sagt, für historische Forschung gebe es immer ein Zeitfenster. Man könne nicht zu früh starten, weil dann die nötige Distanz noch nicht da sei. Und wenn man zu lange warte, seien irgendwann die Zeitzeugen nicht mehr da. "Eigentlich", sagt sie, "müsste jetzt gerade die Hochphase der DDR-Forschung beginnen."
Dieser Beitrag erschien zuerst im Tagesspiegel.
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Auf gewaltige 47,4 Milliarden Euro beziffern die Kommunen den Sanierungsbedarf. Doch wenn es um Schul- und Unigebäude geht, fehlt in "Doppel-Wumms"-Deutschland das Geld. Und der Wille.
Erst mussten fast alle zu Hause lernen, dann gab es Wechselunterricht: So startete das neue Schuljahr an der Willy-Brandt-Gesamtschule in Kerpen. Foto: Screenshot von der Website.
NEIN, SAGT THOMAS MARNER, diese Misere habe keiner vorhersehen können. "Das war ein absolut unsachgemäßer Bauablauf." Marner ist Erster und Technischer Beigeordneter der Stadt Kerpen bei Köln, und seit August musste er einen zerknirschten Brief nach dem anderen an die Eltern der Willy-Brandt-Gesamtschule und der Realschule im selben Gebäude schreiben. Über dramatische Wasserschäden und Schimmelfall. Die Anordnung von Distanzunterricht, Wechselunterricht und das Verfrachten mehrerer Schulklassen in die Turnhalle.
Kerpen ist kein Einzelfall. Überall in Deutschland zerbröseln Schulen. Und mit ihnen die Grundlage für eine solide Bildung, für Wissenschaft, für Innovationen, für Wirtschaftskraft. Zig Milliarden Euro müssten für die Sanierung von den Kommunen aufgebracht werden. Doch es liegt nicht allein am Geld, dass Renovierungen verschleppt, Sanierungen vertagt und Bauarbeiten über Jahre und Jahrzehnte gestreckt werden. Das zeigen Beispiele wie der Willy-Brandt-Schule in Kerpen und der Kurt-Schumacher-Grundschule in Berlin-Kreuzberg.
In Kerpen stammt das Schulgebäude zu großen Teilen aus den 70er Jahren, besonders dringend mussten die Flachdächer über den Fachräumen für Musik und Naturwissenschaften saniert werden. In den Sommerferien legten die Dachdecker los – und hätten dann alle Lichtkuppeln auf einmal entfernt, anstatt sie einzeln auszutauschen, sagt Marner. Als nächstes begann der Regen. Wasser strömte ein, durchnässte Räume, Mobiliar und Ausstattung – mehrere Male. So genau wisse sie das nicht, sagt Kristiane Benedix, die stellvertretende Schulleiterin der Willy-Brandt-Schule. Aber die Feuerwehr sei mindestens einmal gekommen.
"Es war wie in Corona-Zeiten", sagt der Vater eines Achtkässlers
Kurz darauf die nächste Hiobsbotschaft: Tests ergaben, dass sich Schimmelsporen ausgebreitet hatten, vor allem in die angrenzenden Gänge und dort in die Zwischenräume der abgehängten Holzdecken. "Praktisch alle Schüler und Lehrer beider Schulen mussten da durch, das konnte ich nicht verantworten", sagt Marner. Weshalb er die Sperrung des Gebäudes anordnete.
"Es war wie in Corona-Zeiten", sagt Markus Rixen, dessen Sohn in die achte Klasse geht. "Distanzunterricht für fast alle Klassen. Angekündigt von einem Tag auf den nächsten." Doch das war nur der Anfang. Der Ausnahmezustand an der Willy-Brandt-Schule würde sich bis zu den Herbstferien fortsetzen.
Auf gewaltige 47,4 Milliarden Euro beziffern die deutschen Kommunen im jährlich erhobenen Kommunalpanel der KfW-Bankengruppe den aktuellen Sanierungsbedarf an ihren Schulen. "Wenn in Kommunen das Geld knapp ist, werden anstehende Bauinvestitionen mit als erstes aufgeschoben", sagt KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib. "Gebäude schreien halt nicht, wenn sie erst ein Jahr später saniert werden."
Und wenn dann endlich saniert wird, geht mitunter noch schief, was schiefgehen kann. Nur noch episch zu nennen ist der Super-Gau, der die Schüler, Eltern und Lehrkräfte der Kurt-Schumacher-Grundschule in Berlin-Kreuzberg 2012 ereilte. Von einem Tag auf den anderen wurde das Haus nach einer Brandbegehung geschlossen. Kinder und Kollegium saßen im Hortgebäude fest, ohne Mensa, ohne Sporthalle, ohne Fachräume, für mehr als ein Jahrzehnt. So lange dauerte es, bis auch nur der erste Bauabschnitt fertig war.
Eltern twitterten vom Schul-"BER Kreuzberg"
"Leider hat man sich damals für eine Sanierung entschieden, der Neubau wäre schon längst fertig", sagt Schulleiterin Anna Vonhof. Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg habe "versäumt, ausreichende Bausubstanzuntersuchungen durchzuführen", urteilte 2019 der Landesrechnungshof.
Auf Twitter machte die Schule als "BER Kreuzberg" Karriere, weil eine Elternvertreterin diesen Skandal nicht mehr hinnehmen wollte und öffentlich machte. "Mittlerweile hat die erste Generation von Schülern die Kurt-Schumacher-Grundschule verlassen, ohne jemals einen Fuß in das Schulgebäude oder die Turnhalle gesetzt zu haben", schrieb sie. Und weiter: Über Jahre hätten die Bauarbeiten geruht, mehrfach seien "Firmen insolvent gegangen, hätten den Auftrag gekündigt oder wurden gekündigt", kann man auf der "BER- Kreuzberg"-Website nachlesen.
Inzwischen ist die Elternvertreterin längst weg, doch die Geschichte eines öffentlichen Komplett-Versagen geht weiter. Der zweite Gebäudeteil soll angeblich bis 2026 fertig sein, doch, sagt Schulleiterin Vonhof, "dafür müssten die Arbeiten am zweiten Bauabschnitt erstmal beginnen. Doch da passiert gar nichts." Sie richte sich darauf ein, dass es bis weit nach 2026 dauern werde, "das sagt mir zwar bei den Behörden keiner so, aber die Erfahrungen der letzten Jahre sprechen dafür."
Andy Hehmke ist seit Ende 2021 Stadtrat für Schule, Sport und Facility Management im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, womit er nach eigenen Worten "letztlich die politische Verantwortung" trage, dass der zweite Bauabschnitt bald fertig werde. Allerdings räumt er ein, dass bereits eine Verzögerung eingetreten sei, statt Sommer soll nun Ende 2026 Fertigstellung sein. Die Schule sei informiert worden, im Januar treffe er sich in großer Runde vor Ort mit Schulleitung, Elternvertretung und Hochbauservice.
Seit Beginn der Berliner Schulbauoffensive laufe vieles anders als früher, versichert Hehmke, jetzt gebe es bei großen Sanierungen zunächst ausführliche Bedarfsprogramme mit Beteiligung der Schule, gegebenenfalls Machbarkeitsstudien und Bausubstanzuntersuchungen. "Damals war all dies nicht der Fall. Die Schließung kam völlig unerwartet. Es war kein Geld vorhanden. Der Bezirk versuchte damals, mit wenigen Mitteln schnell zu reagieren und stellte erst im Prozess fest, was hier eigentlich an Problemen vorhanden ist."
Für nichts geben Kommunen mehr aus als für ihre Schulen, trotzdem wächst der Sanierungsstau
Die Erhebung der KfW-Bankengruppe zeigt, dass die deutschen Kommunen gegenwärtig für nichts mehr ausgeben als für ihre Schulen. 12,1 Milliarden Euro sind es dieses Jahr, 28 Prozent aller geplanten Investitionen. Trotzdem reicht das nicht einmal, um den Sanierungsstau nicht noch weiter wachsen zu lassen: um 800 Millionen Euro gegenüber 2022.
Hinzu kommt, dass die Not der Schulen sehr ungleich verteilt ist: 47 Prozent der Kommunen sehen keinen oder nur einen geringen Investitionsrückstand. 39 Prozent bezeichnen ihn als nennenswert. Und 13 Prozent als gravierend. "Aus den Daten können wir nicht ableiten, ob diese 13 Prozent die besonders armen sind", sagt KfW-Volkswirtin Köhler-Geib. Das sei indes eine valide Vermutung. "Denn eine angespannte Haushaltslage ist eines der wichtigsten Investitionshemmnisse für Kommunen."
Welche Schulen dann zuerst dran sind mit der Sanierung und welche warten müssen, hat womöglich zudem noch mit dem gesellschaftlichen Druck zu tun, den die Eltern machen können – oder eben auch nicht. Anna Vonhof will darüber nicht spekulieren, doch fest steht: 269 der 288 Schüler der Kurt-Schumacher-Schule stammen aus Familien, in denen Deutsch nicht die erste Sprache ist. Und auch an der Willy-Brandt-Schule in Kerpen gibt es sehr viele sozial benachteiligte Familien.
Geld, sagt KfW-Chefvolkswirtin Köhler-Geib, sei in jedem Fall nur ein Problem, und welche Rolle die angeblich so knappen Kapazitäten bei Handwerkern und Baufirmen spielt, lasse sich kaum einschätzen. Worüber die Kommunen bei Umfragen neben der Finanzlage aber stets als erstes klagten, sei der dramatische Personalmangel in ihren Verwaltungen. "Viele Investitionsvorhaben scheitern daran, dass es keinen gibt, der sie betreuen und umsetzen kann."
Der Schul-Stadtrat verweist auf "mehr Bürokratie bei gleichzeitigem Fachkräftemangel"
Fragt man den Kreuzberger Schul-Stadtrat Hehmke, warum es schon wieder Bauverzögerungen gibt an der Kurt-Schumacher-Schule, verweist er zunächst auf neues EU-Recht, das noch aufwändigere und zeitraubende europaweite Ausschreibungen vorsehe. Und dann ebenfalls auf die Personalnot: Mehrere Stellen im Hochbauservice seien nicht besetzt, und es gebe kaum oder gar keine Bewerbungen bei Ausschreibungen. "Mehr Bürokratie bei gleichzeitigem Fachkräftemangel. Dies sind die Gründe."
Auch Thomas Marner von der Stadt Kerpen sagt: "Jahrzehntelang hat uns das Geld gefehlt, jetzt fehlt uns ganz massiv das Personal."
Wer darunter leidet, sind vor allem die Schülerinnen und Schüler, 1200 an der Willy-Brandt-Schule. Am ersten Schultag Anfang August durften nur die 12. und 13. Klassen kommen und wurden im Kerpener Gymnasium unterrichtet. Die Klassen 5 bis 11 mussten komplett zu Hause bleiben. "In der dritten Schulwoche", berichtet Kristiane Benedix, "haben wir dann für die Jahrgänge 8 und 9 Wechselunterricht begonnen", im tageweisen Wechsel. Die restlichen Jahrgänge seien in Präsenz, teilweise in Fachräumen beschult worden.
So lange dauerte es, bis die Behörden zumindest den Anbau aus den 90er Jahren für schimmelfrei befunden hatten. Nochmal zwei Wochen später, nachdem weitere Gebäudeteile "freigetestet" waren, wie Benedix das nennt, gab es wieder für alle täglich Unterricht. Doch kamen die sechs achten Klassen, insgesamt über 150 Schüler, komplett in der Turnhalle unter, voneinander nur mit Planen getrennt, bei Temperaturen von teilweise über 30 und Frischluftzufuhr nur über die Lüftungsanlage. Die Mensa wurde zum Lehrerzimmer umfunktioniert. Bis zu den Herbstferien waren immer noch 13 Klassen- und Kursräume und fast alle Fachräume gesperrt.
Markus Rixen gehörte zu den Eltern, die sich das nicht gefallen lassen wollten von der Stadt. Er habe sich einen Anwalt genommen, erzählt er, "nachdem die Stadt Kerpen zuvor die Erstattung der uns durch das Homeschooling entstandenen Kosten abgelehnt hat, da laut NRW-Gesetzgebung kein Anspruch auf Präsenzunterricht bestehe." Das stimme jedoch nicht, sagt Rixen. "Laut Anwalt darf Distanzunterricht nur im Pandemiefall angeordnet werden, im Falle einer großen Naturkatastrophe oder bei Erkrankung zu vieler Lehrer. Nicht aber, weil die Stadt ein Sanierungschaos nicht in den Griff bekommt." Sechs Wochen nach Schuljahrsbeginn durften die Achtklässler dann in ihre Klassenräume zurückkehren.
Warten, bis die Versicherung zahlt?
Thomas Marner von der Stadt sagt, er könne keine rechtliche Grundlage für den Distanzunterricht nennen. "Aber aus gesundheitlichen Gründen hatte ich schlicht keine andere Wahl." Davon habe er auch die Schulaufsichtsbehörde und die Bezirksregierung sofort informiert.
Frustrierend sei, sagt Fritzi Köhler-Geib von der KfW, dass die Kommunen in den vergangenen Jahren nah daran gekommen seien, den Sanierungsstau in den Schulen endlich zu verkleinern. "Doch jetzt hat sich ihre Finanzlage drastisch verschlechtert, wozu die Wirtschaftslage ebenso beiträgt wie steigenden Kreditzinsen und die Zunahme der zu betreuenden Geflüchteten. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an den Klimaschutz und die Digitalisierung stark an." Die Schlussfolgerung der KfW-Chefsvolkswirtin: "Ohne zusätzliche Finanzmittel von den Ländern und dem Bund werden viele Kommunen das nicht schaffen können."
An der Willy-Brandt-Schule öffnete elf Wochen nach den Sommerferien die Mensa wieder. "Endlich", steht auf der Website. Ihre große Sorge, sagt Kristiane Benedix, seien jetzt die naturwissenschaftlichen Fachräume – also da, wo das Wasser eingedrungen sei. Im letzten Brief, den Thomas Marner an die Eltern geschrieben hat, hieß es, die Stadt arbeite "mit Hochdruck" an deren Wiederherstellung, "doch hier sind wir aber sehr stark abhängig von der Versicherung des Verursachers, bedeutet hier haben wir die zeitliche Abwicklung nicht alleine in der Hand." Kristiane Benedix sagt, das mache ihr Sorgen, weil sie keinerlei Zeitplan habe.
Thomas Marner sagt, es gehe hier um einen Millionenschaden. Er fürchtet, dass man ohne Freigabe der gegnerischen Versicherung den Anspruch verwirke. Deshalb müsse man leider abwarten, doch sei er optimistisch, dass man sich bald einig werde. Im Übrigen sei er der Meinung, "dass man Biologie oder Physik zur Not auch mal eine Weile theoretisch und ohne praktische Experimente unterrichten kann."
Markus Rixen sagt: Er frage sich, warum die Stadt einerseits ihren Bildungsauftrag beschwöre, anderseits aber nicht das Geld aus ihrem Haushalt vorstrecken wolle. "Mir fehlt hier in einem großen Maße auch das Schuldbewusstsein der Verantwortlichen der Stadt Kerpen."
Dieser Beitrag erschien in kürzerer Fassung zuerst im Tagesspiegel.
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