Die Sozialinformatik (oder Sozioinformatik?) als (nicht mehr ganz so junge) Disziplin mit einer mittlerweile bald dreißigjährigen Entwicklungsgeschichte tut sich schwer damit, geeignete, originäre Methoden zu entwickeln und sich bezüglich der Sozialen Arbeit und der Informatik theoretisch zu verorten. Da jedoch teilweise der Anspruch erhoben wird, daß es sich bei ihr um eine "wissenschaftliche Disziplin" handelt, stellt sich die Frage, welche Wissenschaftskriterien sie erfüllt.
Insbesondere Verhaltenstherapeuten verlassen sich gerne auf objektive, rationale Kriterien bei der Planung
einer Therapie. Sie liegen damit im Zeitgeist einer rational erklärbaren Welt, in der ökonomische Kriterien gewichtige Fundamente sind. Am Beispiel der Behandlung Abhängiger werde ich begründen, dass selbst bei Akzeptanz dieses Weltbildes rational wirkende Entscheidungen in der Gesundheitsversorgung Patienten schaden können und kostentreibend
sind. Die geringen Erfolgsquoten (< 55%) gestatten keine Aufstellung von Algorithmen zur Therapieplanung. Entscheidungen über therapeutische Interventionen oder auch über die Entlassung aus stationärer Therapie nach einem Rückfall erfordern neben der
Einbeziehung psychologischen und medizinischen Wissens die Berücksichtigung wissenschaftstheoretischer und methodologischer Aspekte. Dazu gehören eine Auseinandersetzung mit probabilistischen Kausalitätsmodellen,
mit der Interessenrelativität von Sätzen und mit der Unterscheidung zwischen Erklärung und Voraussage. Das Rationalitätsmodell, dass alle beteiligten Personen in therapeutische Entscheidungsprozesse einbezieht, scheint mir beim derzeitigen Wissensstand am erfolgversprechendsten für die Therapieplanung zu sein.
Der Beitrag setzt sich mit dem Wissenschaftsverständnis auseinander, das den Planunterlagen des Bundesministeriums für Strahlenschutz für die Schachtanlage "Konrad" zugrundeliegt. Eingeflossen in die geologische Langzeitprognose und Langzeitsicherheitsgarantie ist ein empiristisches bzw. positivistisches Verständnis der Naturwissenschaften, das im 19. Jahrhundert seinen Höhepunkt fand und seither als überholt angesehen werden muß. Der Beitrag diskutiert die Dilemmata des Empirismus, die Bemühungen, die Aporie des logisch unlösbaren Induktionsschlusses zu vermeiden - Russell, Wittgenstein, Carnap - und die Anknüpfung des Kritischen Rationalismus an die Aporien der Induktions- und Verifikationsmethode. Wissenschaftstheoretische Erwägungen führen zu dem Schluß, daß auch im Bereich der Naturwissenschaften Gesetzesannahmen prinzipiell hypothetisch und überholbar sind. Es dürfen also keine Theorien oder politische Alternativen gewählt werden, die von vorneherein keine Revision zulassen und bei denen das Auftreten theoriekonträrer Ereignisse unabschätzbare Folgen hätte. Mit Hans-Peter Dürr kommt der Autor zu dem Ergebnis, daß eine Extrapolation der Zukunft prinzipiell nicht möglich ist. Deshalb kann es auch grundsätzlich keine belastbaren Langzeitprognosen für nukleare Endlager geben. (pka)
'Bildungsinhalte werden insbesondere in der beruflichen oder berufsbezogenen Bildung immer noch weitgehend unter dem Primat einer instruierenden Vermittlung betrachtet. Es wird von einem mehr oder weniger komplexen Sender-Empfänger-Prinzip ausgegangen. In den letzten Jahren ist es zu pädagogischen und kommunikationstheoretischen Innovationen gekommen. Diese greifen zunehmend auf Paradigmen zurück, die auf kybernetischen bzw. systemtheoretischen Diskursen beruhen. Dieser Beitrag konzentriert sich noch weiter eingegrenzt auf zwei Konzepte, deren Strukturierungselement das Prinzip der Selbstorganisation bzw. Selbstreferenz ist. Aufbauend auf den Arbeiten von John R. Searle und Humberto R. Maturana und einem Vergleich ihrer Konzeptionen werden handlungsorientierte Vorschläge für die Gestaltung von Bildungsangeboten im Zusammenhang mit lebensbegleitender Bildung abgeleitet und analysiert.' (Autorenreferat)
Unter dem Begriff "Selbstorganisation" sind in den Natur- und Formalwissenschaften (Mathematik, Kybernetik, Systemtheorie) Theorien entwickelt worden, in denen es um die Entwicklung, Ausdifferenzierung, Hierarchisierung und Dynamik von Naturphänomenen geht. In ihrem Kielwasser haben verschiedene Sozialwissenschaftler - und hier vor allem die Soziologen - die Ansicht vertreten, daß diese Theorien auf die Probleme der Sozialwissenschaften Anwendung finden können. Luhmanns Theorie sozialer Systeme basiert ausschließlich, zumindest begrifflich, auf Selbstorganisationstheorien (Autopoiesis). In dem Beitrag wird untersucht, ob Selbstorganisation als generelles Modell der Ordnungsentstehung verwendbar ist, ob und unter welchen Bedingungen das Konzept auf die Sozialwissenschaften übertragen werden kann. Der Autor demonstriert, daß die sozialwissenschaftliche Anwendung weder eine Übertragung noch irgendeine Art von Analogie konstituiert, die Konzepte der Selbstorganisation werden lediglich als Metaphern genutzt. (RW)
"Der vorliegende Artikel versteht sich als Intervention in eine in der ÖZP geführte Debatte über die Zukunft der Disziplin Politikwissenschaft. Sein Ziel ist es, zwischen der von Ulrich Brand und Helmut Kramer lancierten Konzeption eines kritischen Projekts und den maßgeblich von Thomas König präsentierten forschungspolitischen Präliminarien zu vermitteln. Zu diesem Zweck wird zuerst eine Reformulierung des Gehalts eines kritischen Projekts vorgeschlagen, die auf einen 'starken Kritikbegriff' aufbaut. In Folge wird im Verweis auf den Critical Realism und wissenschaftstheoretische Überlegungen zur Disziplinenformierung einer Positionsbestimmung von Politikwissenschaft als Disziplin und kritischem Projekt zugearbeitet." (Autorenreferat)