Open Access BASE2016

Eine "Klage, die so alt ist, als die Geschichte"? : Dimensionen des Wandels im Diskurs der modernen Kulturkritik

Abstract

Ausgehend von der Beobachtung, dass Metadiskurse über Kulturkritik immer wieder behauptet haben, sie hätte ,nichts Neues' zu sagen, verfolgte dieser Beitrag das Ziel, verschiedene Dimensionen ihres historischen Wandels zu unterscheiden. Die erfolgte Unterscheidung führt erneut die Komplexität dieses Phänomens vor Augen, weist aber vor allem auf die Vielfalt der Erklärungsmuster hin, die bezüglich der unterschiedlichen Dimensionen in Betracht kommen. Die erste Dimension betrifft die temporale Grundstruktur moderner Kulturkritik als einer geschichtlich orientierten Kritikder eigenen Kultur im Ganzen. Seit ihrer Etablierung im 18. Jahrhundert hat diese eine beträchtliche Resilienz bewiesen. Ob sie, wie manchmal behauptet, inzwischen an ihr Ende gelangt ist, bleibt abzuwarten. Während die systematische Frage nach der Legitimität der Kulturkritik es bei dieser relativ abstrakten Frage belassen kann, besteht die Aufgabe einer historischen Kulturkritikforschung darin, über die Grundstruktur des Diskurses hinaus seine historische Vielfalt offenzulegen und zu erklären. Erster Ansatzpunkt ist dabei die zweite Dimension des Wandels, welche sich auf den Zusammenhang zwischen den auslösenden Erfahrungen und der semantischen Gestalt des Diskurses bezieht. Als parasitärer Diskurs geht die Kulturkritik aus von spezifischen Phänomenen; die von ihr als ,Zeichen der Zeit' gedeutet werden. Während der Diskurs diese Einzelphänomene als bloße Auslöser einer aufs Ganze gehenden Diagnose pdisentiert, geben diese konkreten Bezugspunkte de facto auch die Richtung ihrer Ganzheitsdeutungen vor. Sie sind keineswegs nur Anlass für einen prinzipiell ,abstrakten' Diskurs, sondern bedingen die Semantik seiner Artikulation - und damit auch seine soziapolitische Funktionsweise. Damit ist auch schon die dritte Dimension angesprochen, welche die konkrete Situationalität individueller kulturkritischer Interventionen betrifft. Erst die detaillierte Analyse spezifischer Ziele und Situationsbedingungen kann zeigen, wie- und ggf. mit welchem Erfolg einzelne Akteureversucht haben, sich kulturkritische Diskursmuster zu Nutze zu· machen. Insofern also der kurz- und mittelfristige Wandel konkreter Konstellationen die rhetorische Attraktivität kulturkritischer Deutungsmuster und damit die Verbreitung des Diskurses bedingt, müssen detaillierte Mikroanalysen immer Ausgangspunkt det historischen Kulturkritikforschung bleiben. Die vierte Dimension, welche den konjunkturellen Aspekt betrifft, ist in gewisser Weise ein Fremdkörper, da sie nicht so sehr die Gestalt als vielmehr die Verbreitung des Diskurses in den Blick nimmt. Darüber hinaus ist sie aus Sicht der Forschung sicherlich am schwersten in den Griff zu bekommen. Andererseits hat sie eine große Bedeutung, vor allem mit Blick auf die relative Bedeutung der Kulturkritik in der diskursiven Landschaft spezifischer Epochen. Methodisch münden die obenstehenden Überlegungen in ein Plädoyer für eine stärkere Integration zweier Bereiche der Külturkritikforschung; zwischen denen allzu oft Funkstille herrscht: zwischen den, spezialisierten Studien einzelner Kritiker oder Werke auf der einen Seite und den stärker auf die Wiederholungsmuster des Diskurses abzielenden Analysen aus der Perspektive der Historischen Semantik auf der anderen.36 Erst die Verknüpfung beider Ansätze ermöglicht es; das Wechselspiel zwischen der situativen Pragmatik individueller Interventionen und der langfristigen Kontinuität semantischer Muster in den Griff zu bekommen. Das Resultat wäre eine neue Perspektive sowohl auf die vielfältige Gestalt des Diskurses wie auf die verschiedenen Ebenen seiner historischen Entwicklung.

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