Blogbeitrag18. September 2023

Qualität von Bildung zeigt sich daran, wie wir mit den Schwächsten umgehen

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Abstract

Bildung ist ein Menschenrecht. Gleiche Bildungschancen für alle. Und nun zur Realität in Deutschland.






Grafik: Clker-Free-Vector-Images / Pixabay.






DIE VEREINTEN NATIONEN haben zum zweiten Mal geprüft, wie Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention umsetzt. Vor 14 Jahren hat sich die Bundesrepublik unter anderem verpflichtet, Menschen
mit und ohne Behinderungen gemeinsam zu beschulen.



 



Das Ergebnis des zuständigen
UN-Fachausschusses: Es fehlt so ziemlich an allem. Vor allem an Systematik und an Strategie. Das hat Folgen gerade in der Bildung. Mehr als die Hälfte aller Kinder mit Behinderungen besuchen
immer noch sogenannte Förderschulen, ihr Anteil an allen Schülern hat sich seit 2009 nur im Zehntelprozentbereich verringert und stagniert laut Bertelsmann-Stiftung bei aktuell 4,3 Prozent.  



 



Ein anderes Beispiel. Die deutsche Sektion von Unicef und das Deutsche Institut für Menschenrechte haben geflüchtete Kinder und Jugendliche nach ihren Lebens- und Lernbedingungen befragt. Anstatt zur Schule
gehen zu dürfen, hocken etliche den ganzen Tag in ihren Unterkünften. Oft ohne Platz zum Lernen. Manchmal mit Ersatzunterricht, den sie selbst als unzureichend empfinden. Ohne Kontakt zu nicht
geflüchteten Kindern.



 



Passend dazu hat wiederum die Bertelsmann-Stiftung gerade erst darauf aufmerksam gemacht, dass vier von fünf eingewanderten Lehrkräften in Deutschland nicht entsprechend ihrer Qualifikation beschäftigt werden. Es hapert bei der Anerkennung von Abschlüssen und Berufserfahrung, an
der Unterstützung beim Wiedereinstieg. 



 



UN: Es fehlt an Problem-
und Verantwortungsbewusstsein



 



Drei Beispiele, von denen keines etwas mit einem Mangel an Geld, Personal oder Ressourcen zu tun hat. Kurzfristig vielleicht. Aber mal ehrlich: Wenn ein reiches Land wie Deutschland seit 14
Jahren den Durchbruch bei der Inklusion nicht schafft, muss das andere Gründe haben. Den wichtigsten hat der UN-Fachausschuss in seinem Bericht sehr treffend beschrieben: Es fehle an Problem- und
Verantwortungsbewusstsein auf allen staatlichen Ebenen.



 



Die zweite – noch entscheidendere – Ursache ist aber eine Gesellschaft, die die Politik damit durchkommen lässt. Weil wir sozial- und bildungspolitisch in Schubladen zu denken gelernt haben. Weil
wir Inklusion, Persönlichkeitsentwicklung und Leistungsentfaltung oft als Gegensätze definieren, nicht als einander bedingende Facetten.



 



Das zeigt sich übrigens auch abseits vom Umgang mit Behinderten und Geflüchteten. Dass je nach Jahrgang und Bundesland ein Fünftel bis ein Viertel der Schüler in Deutschland nicht
richtig lesen, schreiben und rechnen kann, ist womöglich der stärkste Beleg: Die deutsche Strategie, Schüler anhand ihrer (vermuteten) sozialen, persönlichen oder intellektuellen Defizite zu
separieren, fördert weder Bildungsgerechtigkeit noch Qualität, sondern vor allem die Tendenz, pädagogische Probleme institutionell wegdelegieren zu wollen.



 



Wer glaubt, solche Thesen seien Ausfluss wohlfeiler linksgrüner Wokeness, ohne Kenntnis der real existierenden Probleme, der ignoriert seinerseits zweierlei: Viele der leistungsstärksten
Bildungssysteme in Europa und Nordamerika, etwa die skandinavischen Länder und Kanada, sind weitgehend inklusiv organisiert. Und internationale Organisationen wie die UN oder Unicef wurden auch
nicht in Berlin-Friedrichshain oder Hamburg-Eimsbüttel gegründet. 



 



Unser Bildungssystem wird so lange mittelmäßig bleiben, bis wir begreifen: Seine Qualität für alle entscheidet sich am Umgang mit denen, die scheinbar am Rand stehen.



 



Dieser Kommentar erschien heute zuerst im meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.




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