Blog EntryMay 19, 2024

Nach Länder-Stellungnahme: Bundestags-FDP will bei sechs Jahren Höchstbefristung für Postdocs bleiben

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Abstract

Was der Bundesrat zur geplanten WissZeitVG-Novelle sagt und wie die Ampelfraktionen darauf reagieren.












Fotos: pilot_micha, CC BY-NC 2.0. /PxHere, CC0.






VORAUSSICHTLICH ANFANG JUNI steht die geplante Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) zur ersten Lesung im Bundestag an, jetzt hat sich der Bundesrat zu dem vom Bundeskabinett
verabschiedeten Gesetzentwurf positioniert.



 



Während vor allem der SPD im Bundestag die vorgesehene Verkürzung der Postdoc-Höchstbefristungsdauer nach der Promotion auf vier Jahre (plus zwei weitere Jahre mit Anschlusszusage) nicht
ausreicht, fordert die Länderkammer sogar eine Beibehaltung der geltenden Regelung wenigstens für Habilitanden. Wörtlich heißt es in der am vergangenen Freitag beschlossenen Stellungnahme: "Der
Bundesrat regt an, zumindest für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich auf klassischem Wege habilitieren, eine Option zu schaffen, auch ohne Anschlusszusage die
Höchstbefristungsdauer für die Post-Doc-Phase weiterhin bei sechs Jahren zu belassen." 



 



Der Streit um die Höchstbefristungsdauer hatte sich innerhalb der Ampel-Koalition über Monate hingezogen und dazu geführt, dass FDP-Bundesforschungsministerin Bettina Stark
Watzinger  im vergangenen Sommer einen WissZeitVG-Entwurf vorgelegt hatte, der in diesem zentralen Punkt nicht die Zustimmung ihrer Ampel-Koalitionspartner gefunden hatte. 



 



Auch die geplante teilweise Abschaffung der Tarifsperre im WissZeitVG lehnt der Bundesrat ab, die bislang Vereinbarungen zwischen den Tarifparteien für den wissenschaftlichen Arbeitsmarkt
verhindert. Durch die Tarifsperre werde "einer Zersplitterung des Wissenschaftssystems" durch unterschiedliche Regelungen in den Ländern vorgebeugt und die Übergänge und Wechselmöglichkeiten
innerhalb der Wissenschaft zwischen Hochschulen und zu außerhochschulischen Forschungseinrichtungen würden gewährleistet, argumentieren die Länder.



 



Bundesrat: "Sachfremde
Einflüsse abwehren"



 



Und weiter: "Die Auslagerung des speziellen wissenschaftlichen Befristungsrechts in befristete und bundesweit uneinheitliche Tarifverträge würde die Wissenschaft als Arbeitsfeld und Berufsbild
deutlich schwächen." Im Interesse "der Erhaltung eines international wettbewerbsfähigen hochkompetitiven Wissenschaftssystems" seien "sachfremde Einflüsse" daher möglichst abzuwehren. 



 



Was mit "sachfremden Einflüssen" gemeint ist, lässt die Stellungnahme offen, doch dürfte die Formulierung vor allem auf Beschäftigteninitativen wie "#IchbinHanna" gemünzt sein, die in den
vergangenen Jahren einen hohen öffentlichen Reformdruck Richtung Politik aufgebaut hatten.



 



Pikant ist die Ablehnung einer WissZeitVG-Tariföffnungsklausel auch deshalb, weil das BMBF seine Version der Novelle überhaupt nur durchs Kabinett bekommen hatte, nachdem es einen Kompromiss
mit dem grün geführten Wirtschaftsministerium und dem SPD-Arbeitsministerium geschlossen hatte. Im sogenannten Zuleitungsschreiben, mit dem der Entwurf ins Kabinett ging, stand
daraufhin die Ankündigung, dass "im weiteren Gesetzgebungsverfahren" sogar noch eine Erweiterung der Tarifklausel im WissZeitVG geprüft werden solle, und zwar um die Aspekte
Postdoc-Höchstbefristungsdauer und Zeitpunkt der Anschlusszusage. Doch der Bundesrat sagt nun: Schon die bislang vorgesehene Öffnung muss weg.



 



Anschlusszusage und
Weiterqualifikation



 



Zum Begriff der "Anschlusszusage" mahnen die Länder unterdessen eine Klarstellung an. Bislang werde im Gesetz lediglich ausgeführt, dass eine weitere Befristung für höchstens zwei weitere Jahre
zulässig sei, wenn "diese mit einer Zusage zum anschließenden Abschluss eines unbefristeten Beschäftigungsverhältnisses verbunden ist (Anschlusszusage) für den Fall, dass bei Abschluss des
Vertrags vereinbarte wissenschaftliche Leistungen (Zielvereinbarungen) erreicht werden".  Ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis, führen die Länder aus, könne aber auch das einer
wissenschaftlichen Hilfskraft sein. "Gemeint sein dürfte eher eine Stelle im Bereich der akademischen Lehre, Wissenschaftsverwaltung oder gar eine Professur."



 



Schließlich hinterfragt der Bundesrat, warum es bei Stellen in der Lehre und Wissenschaftsverwaltung überhaupt einer vierjährigen Weiterqualifikation nach der Promotion bedürfe, zumal bei
entsprechenden Beamten wie Akademischen Räten lediglich der Doktorgrad als Laufbahnerfordernis verlangt werde. 



 



Nun gehört das Wissenschaftszeitvertragsgesetz nicht zu den zustimmungspflichtigen Gesetzen, das heißt: Der Bundestag kann seine Vorstellungen auch so, die nötigen Mehrheiten vorausgesetzt,
durchsetzen, ohne mögliche Forderungen der Länder zu berücksichtigen. Allerdings sieht es nach der Bundesrats-Stellungnahme noch weniger als zuvor nach Einigkeit zwischen den Ampelfraktionen
aus. 



 



FDP: Auf die vielen Warnungen 
aus der Wissenschaft hören



 



Jüngste Entwicklung: Der forschungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Seiter, lehnt jetzt jegliche Verkürzung der Befristungshöchstdauer ab, also auch die vier plus zwei
Jahre, wie sie das FDP-Bundesforschungsministerium in den Gesetzentwurf geschrieben hat. "Das Beste wäre jetzt, wir ermöglichen auch weiterhin eine Qualifizierungsbefristungshöchstdauer von sechs
Jahren für Post-Docs und konzentrieren uns auf die vielen guten Elemente des Gesetzes, die tatsächlich zu einer Verbesserung der Lage beitragen", sagt Seiter. "So werden wir den unterschiedlichen
Fächerkulturen gerecht, bleiben als Wissenschaftsstandort international anschlussfähig und geben jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern genug Zeit und Flexibilität für ihren
individuellen Karriereweg."



 



Seiter verweist auf die Stellungnahme des Bundesrates, der die Forderung "nach einer drastischen Reduzierung der Qualifizierungsbefristungshöchstdauer für Post-Docs" hinterfrage. Vor allem
aber beruft sich Seiter auf "die Reaktionen der wissenschaftlichen Berufsverbände, Arbeitnehmervertretungen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen auf den WissZeit-VG-Regierungsentwurf",
die wiederholten, "wovor die FDP-Fraktion ihre Koalitionspartner im Bundestag immer gewarnt hat: Eine übermäßige Verkürzung der Höchstbefristungsdauer in der Post-Doc-Phase erhöht den Druck auf
Forschende und raubt ihnen Zeit für die wissenschaftliche Qualifizierung und Profilierung."



 



Tatsächlich hatten viele Forschungseinrichtungen, Hochschulverbünde und Fachgesellschaften schon die "vier plus zwei" als zu kurz und zu starr kritisiert. Es werde in vielen Disziplinen
lediglich der Druck auf die jungen Wissenschaftler in der Qualifikationsphase erhöht, es entstünden durch das Gesetz keine neuen Stellen und Beschäftigungschancen, sondern die
Abwanderung von Talenten ins Ausland stehe zu befürchten.



 



So oder ähnlich argumentierten unter anderem die Fachgesellschaften für Psychologie, Soziologie und Politikwissenschaft, der Historikerverband und – abgestuft nach Fächern –  in einer
gemeinsamen Stellungnahme zahlreiche Fachgesellschaften im Bereich der Natur- und Lebenswissenschaften. Auch die Allianz der Wissenschaftsorganisationen hatte gewarnt, für den Weg zur Professur
oder vergleichbaren Positionen seien zwei Jahre nach Abschluss der vierjährigen Postdoc-Phase zu kurz. 



 



"#IchbinHanna" erinnert
an seine Anfänge



 



Demgegenüber forderten Verdi und die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, es dürfe keinerlei Befristung mehr ohne Anschlusszusage geben, und "#IchbinHanna" setzte sich für zwei Jahre
Postdoc-Befristung, gefolgt von weiteren vier Jahren nur nach Anschlusszusage ein.



 



Entsprechend fällt nun die Reaktion von "#IchbinHanna" aus: Der Bundesrat hinterfrage zu Recht die Ausgestaltung der Anschlusszusage wie auch die Notwendigkeit einer weiteren
Qualifikationsbefristung. Die lasse sich dann allerdings auch für die Habilitation nicht rechtfertigen, denn die sei eine "berufsinterne Weiterentwicklung, keine Ausbildung für den allgemeinen
Arbeitsmarkt, dort schadet sie eher, als dass sie nützt". 



 



Harsche Kritik übt die Intiative dagegen an der Forderung, die sechs Jahre Postdoc-Höchstbefristungsdauer beizubehalten. Diese sei nicht im Interesse der Beschäftigen. "#IchBinHanna" habe ja
gerade mit der Kritik an dieser langen Befristungsdauer begonnen, sagt Mitinitiatorin Kristin Eichhorn. "Wir erwarten von SPD und Grünen, dass sie ihre Absichtsbekundungen bezüglich einer klaren
Begrenzung der Befristung in der Wissenschaft nicht der Blockadehaltung des BMBF opfern." Unbestritten bleibe das Ziel der WissZeitVG-Reform: Befristung effektiv reduzieren. Gut dazu
geeignet ist eine Befristungshöchstquote." Von der in der Bundesrats-Stellungnahme jedoch nicht die Rede ist.



 



SPD und Grüne sind
sich auch nichts eins



 



Und was sagen SPD und Grüne? Wenn der Bundesrat erkläre, es bleibe die "Frage offen, warum es bei Stellen in der Lehre und Wissenschaftsverwaltung der vierjährigen Weiterqualifikation
überhaupt bedarf", dann, so sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Carolin Wagner, "bleibt umgekehrt die Frage offen, warum ein ganz erheblicher Anteil der Aufgaben in Forschung und Lehre von
befristeten Beschäftigten vorgenommen wird und nicht zu einem erheblichen Anteil mit erfolgter Promotion unbefristete Arbeitsverträge geschlossen werden." 



 



Und Wagner fügt hinzu: "Sollte im Bundesrat Einigkeit herrschen in der



Einschätzung, dass WissenschaftlerInnen für eine Stelle im akademischen Mittelbau direkt nach der Promotion entfristet beschäftigt werden sollten, dann stimme ich dem in jedem Fall zu. Dann
sollten die Länder aber auch dementsprechend handeln und mehr unbefristete Beschäftigung im akademischen Mittelbau schaffen!"



 



Auf die Warnung des Bundesrats, ohne eine Tarifsperre drohe eine Zersplitterung des Wissenschaftssystems, sagt Wagner, diese sei "weder zu erkennen noch erklärtes Ziel der Gewerkschaften". Es
gebe länderseitig im öffentlichen Dienst genau zwei Tarifverträge: den des Landes Hessen und den der Tarifgemeinschaft der (übrigen) Länder. "Es ist nicht davon auszugehen, dass Hessen
Sonderwege einschlagen wird, die die hessische Hochschulen und Einrichtungen inkompatibel mit dem Rest der Republik machen würden."



 



Die SPD werde im parlamentarischen Verfahren weiter für den Wegfall der Tarifsperre kämpfen und dafür, dass die Anschlusszusage früher als vier Jahre nach der Promotion erfolgt. Nach der
Neupositionierung der FDP fällt es einem indes noch schwerer, sich einen Kompromiss vorzustellen. 



 



Die grüne Wissenschaftspolitikerin Laura Kraft sagt, Bundesrat erkenne wesentliche Verbesserungen durch die geplante Novelle an,  etwa die Einführung von Mindestvertragslaufzeiten oder
wichtige Neuerungen für studentische Beschäftigte. Zugleich sei es nicht überraschend, dass die vorgeschlagene Höchstbefristung kritisiert werde. "Meines Erachtens nach würde eine
4+2-Regel die Situation von Beschäftigten verschlechtern, und das ist nicht akzeptabel. Die Länder sehen das offenbar ähnlich."



 



Auch aus Wissenschaftscommunity kämen wir zahlreiche Zuschriften, die "4+2" klar ablehnten. "Die einzelnen Aspekte der Stellungnahmen werden wir sorgfältig im parlamentarischen Verfahren
einbeziehen", sagt Kraft. "Denn am Ende taugt das WissZeitVG nicht für politische Formelkompromisse, sondern muss in sich konsistent, sachgerecht und in der Praxis umsetzbar sein. Das
sollten alle spätestens seit der nervenaufreibenden Diskussion rund um die Eckpunkte und den Referentenentwurf verstanden haben."



 



Klingt eher auch bei Kraft nach der Tendenz: länger als vier Jahre. Doch während FDP-Politiker Seiter jetzt eine Beibehaltung der bisher sechs Jahre fordert, hält sich die Grüne Kraft
diesbezüglich bedeckt. Klar ist: Die "4+2" im Gesetzentwurf scheint inzwischen keiner der Ampel-Partner mehr zu wollen. 


Was der Bundesrat sonst noch zum WissZeitVG-Entwurf sagt


Die Länderkammer unterstützt zugleich zahlreiche der im Regierungsentwurf vorgesehenen Änderungen, etwa die vorgesehen Einführung von
Mindestvertragslaufzeiten für Doktoranden (drei Jahre) und Postdocs (zwei Jahre). Auch die geplante Verlängerung der Befristungsdauer bei der Betreuung pflegebedürftiger
Angehöriger sei ein sinnvoller Belastungsausgleich.



 



Ebenso begrüßt der Bundesrat die Erweiterung der Höchstbefristungsdauer für studienbegleitende Hilfstätigkeiten auf acht Jahre. So können
Studierende auch bei Überschreiten der Regelstudienzeiten oder im Rahmen eines weiteren Studiums ihre Nebentätigkeit fortführen, anstatt womöglich ausgerechnet in der Abschlussphase ihres
Studiums eine neue Erwerbsquelle suchen zu  




müssen. "Mit Sorge" blicken die Länder in ihrer Stellungnahme dagegen "auf die Auswirkungen, die ein Vorrang der Qualifizierungsbefristung vor der
Drittmittelbefristung haben könnte".  So müsse geprüft werden werden, ob der Vorrang auch bei Drittmittelvorhaben gelte, die gar kein Qualifizierungsziel verfolgen. Nicht wenige
Drittmittelstellen sähen strukturell kein Qualifikationsziel vor, insbesondere bei FuE-Verträgen von Wissenschaftseinrichtungen mit Unternehmen. 



 



Schließlich kritisiert der Bundesrat, die Angaben der Bundesregierung zu den finanziellen Auswirkung auf die Landeshaushalte seien in Teilen nicht validierbar, unrealistisch oder nicht zutreffend.








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