Aufsatz(elektronisch)2021

Säkulare Entwicklungen und die Staatsfinanzen

In: Zeitschrift für Politik: ZfP ; Organ der Hochschule für Politik München, Band 68, Heft 2, S. 193-207

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Abstract

Die Zeit der »Moderne«, also die Zeit der letzten rund 200 Jahre, erfährt weltweit eine Verlängerung der durchschnittlichen Lebenserwartung auf mehr als das Doppelte. Dieser Fortschritt ist eine der Begleiterscheinungen der zunehmenden Verwissenschaftlichung der menschlichen Gesellschaft. Auch die Interpretation von Grundrechten durch Verfassungsgerichte kommt in Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie nicht ohne Orientierung an den wissenschaftlichen Spezialdisziplinen aus. Das Kausaldenken der Wissenschaft und ihrer Anwendungen geht beim Individuum mit einer wachsenden Zukunftsorientierung des eigenen Handelns einher. Dort, wo Geldgrößen involviert sind, kann man das Ausmaß der individuellen Zukunftsorientierung am Verhältnis zwischen dem Privatvermögen (Ersparnisse inklusive die Rentenansprüche der Sozialversicherung) und dem laufenden Konsum festmachen. Diese Größe Z steigt parallel mit der Lebenserwartung als säkularer, weltweiter Prozess. Es ist dies das »Gesetz der mit steigendem Wohlstand zunehmenden Zukunftsorientierung menschlichen Handelns«. Im Gegensatz zur »Warteperiode« Z verursacht derselbe Prozess ständigen wissenschaftlich-technischen Fortschritts eine säkulare Stagnation der »Produktionsperiode« T. Diese aber bestimmt die Kapitalnachfrage des globalen Produktionssystems. Für den Raum aller OECD-Länder plus China und bei einem Zinssatz von Null ist heute Z mit 13 Jahren weitaus größer als T mit 4 ½ Jahren. Der Anlagebedarf des von Z bestimmten privaten Vermögenswunsches kann nur gedeckt werden, wenn ein erheblicher Teil dieses Vermögens aus Staatsschulden besteht. Dies erfordert ein »Neues Denken« über Staatsschulden: diese sind zwar Schulden des »Leviathan« bei seinen Bürgern, zugleich aber Vermögen der Bürger. Faktisch machen heute die expliziten und die im Sozialstaat verankerten »impliziten« Staatsschulden schon beinahe die Hälfte des privaten Gesamtvermögens aus. Es wäre ein fundamentaler Fehler, auf einer raschen Amortisation der durch die Corona-Pandemie verursachten zusätzlichen Staatsschulden zu bestehen.

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