Aufsatz(gedruckt)1989

Frauen in Mittelasien: kulturelle Identität zwischen Islam und Sowjetmacht

In: Frauenforschung: Informationsdienst d. Forschungsinstituts Frau und Gesellschaft, IFG, Band 7, Heft 4, S. 72-90

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Abstract

Ausgehend von einer ständig steigenden Selbstmordrate von Frauen in den zentralasiatischen Sowjetrepubliken wird in dem Beitrag gefragt, welche Interdependenzen zwischen traditioneller Kultur und den sozialen Entwürfen des sowjetischen Gesellschaftsmodells bestehen und wie sie sich auf den Status und die Lebensentwürfe von Frauen in Mittelasien bis heute auswirken. Die soziale, religiöse, kulturelle und ökonomische Situation der Frauen in Mittelasien wird beschrieben. Es wird gezeigt, daß sich erste kulturelle Brüche im mittelasiatischen Raum durch die Konfrontation der muslimisch geprägten Lebensform mit europäischen Sichtweisen im Zuge der russischen Kolonialisierungspolitik ergaben. Anhand von Beispielen wird die besondere Brisanz der kulturpolitisch revolutionären Schritte der sowjetischen Kirchen- und Familienpolitik im Einflußbereich des Islam verdeutlicht. Als Höhepunkt der frauenspezifischen Agitkampagnen werden die ersten großangelegten öffentlichen Schleierverbrennungen im Frühjahr 1927 beschrieben. Auf der Grundlage der historischen Darstellung wird dann untersucht, was sich in den auf die Schleierverbrennungen folgenden 60 Jahre bis heute verändert und wie sich das Verhältnis zwischen sowjetischem Gesellschaftsbild und Islam aus der Sicht der Frauen entwickelt hat. Dabei wird die Konfliktlinie herausgearbeitet, auf der sich Frauen in Mittelasien heute bewegen: Die kulturelle Identität der Frauen ist geprägt durch die Brüche zwischen einerseits den Freiräumen die mit dem emanzipatorischen Anspruch der sowjetischen Gesellschaft geschaffen wurden, und andererseits den bis heute in vielen Bereichen stabil gebliebenen Wertmustern einer islamischen Familienordnung. Die Analyse kommt zu dem Ergebnis, daß der Entschluß der Frauen zum Selbstmord auf das Fehlen von sozialen Instanzen bzw. das Unvermögen von gesellschaftlichen Organisationen deutet, sich mit den spezifischen Problemen der Frauen auseinanderzusetzen und konkrete Hilfen anzubieten. (KW)

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