Sammelwerksbeitrag(gedruckt)2006

Abduktion

In: Methoden der Politikwissenschaft: neuere qualitative und quantitative Analyseverfahren, S. 27-35

Abstract

"Bei der Abduktion handelt es sich um ein Verfahren der Forschungskonzeption: Die Methode des abduktiven Schließens geht in ihrer heute verwendeten Form zurück auf Charles Sanders Peirce (z.B. 1983). Im Zuge der Renaissance des Pragmatismus und einer in Deutschland vor allem während der vergangenen 20 Jahre verstärkten Entwicklung qualitativer Sozialforschung wurde 'abduktives Schlussfolgern' als Handlungstyp wiederentdeckt, mit dem sich aus beobachtbaren Phänomenen bislang unbegriffene Erklärungen bzw. neue Regelhaftigkeiten (aus Sicht der Gesellschaft wie aus Sicht des singulären Subjekts) auftun können. Damit gilt die Abduktion als einziger systematisierter, wenn auch wenig lenkbarer Prozess (das lateinische 'abductio' bedeutet auch Verführung), der Hypothesen generieren und damit neues wissenschaftliches Wissen produzieren kann. Abduktion ist kein Algorithmus. Trotzdem findet sie als Schlussverfahren umfangreich, wenn auch meist unreflektiert Verwendung: Sie liegt u.a. der klinischen Diagnostik, der Fehlersuche in technischen Systemen, der juristischen Interpretation von Sachverhalten oder vielen Kausalattributionen des Alltags zu Grunde. Klagt z.B. ein Kind plötzlich über eine Menge roter Flecken, sichtbar im Gesicht und auf Armen und Beinen, könnte als Ursache Masern, Windpocken, Nesselfieber, ein Kinderspiel mit roten Stiften oder noch anderes in Frage kommen - erst von weiteren Nachforschungen ist abhängig, was letztlich als Begründung angenommen wird und entsprechendes Handeln auslöst. In den Sozialwissenschaften beruhen insbesondere die von Fritz Schütz entwickelte Erhebungsmethode des 'Narrativen Interviews' sowie die Auswertungsmethoden der 'Objektiven Hermeneutik' von Ulrich Oevermann oder die von Heinz Bude vertretene 'Strukturale Sinnrekonstruktion' auf einer abduktiven Forschungsstrategie. Als komplexe Verfahren setzen diverse Spielarten der Biografieforschung oder die aktuell zunehmend zum Einsatz kommende Ethnografie mit der Befremdung des eigenen Blicks eine abduktive Forschungshaltung voraus." (Autorenreferat)

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