Die 1970er-Jahre waren in Jugoslawien von spezifischen Dynamiken innerhalb der konzeptuellen Kunst sowie der Performance-Szene geprägt. Diese lassen sich nicht vereinfacht gemäß der weit verbreiteten Annahme einordnen, dass Künste in Südost- und Osteuropa vor 1989 entweder 'offiziellen' regimelegimitierenden Vorgaben folgten, oder aber dissidente Positionen innerhalb klandestiner oder subversiver Räume vertraten. Vielmehr sind, so Branislav Jakovljevićs Ausgangsthese in seiner wegweisenden Monographie Allienation Effects. Performance and Self-Management in Yugoslavia, 1945–91, jene Tendenzen in den darstellenden Künsten stets innerhalb der spezifisch-jugoslawischen sozialistischen Ökonomie der Arbeiterselbstverwaltung (Self-Management, resp. "radničko samoupravljanje") einzuordnen – beginnend bei Boža Ilićs Nachkriegsgemälden der proletarischen Schicht innerhalb kollektiver Arbeitsprozesse bis hin zu den Phänomen der Neuen Slowenischen Kunst der 1980er-Jahre. Die Demokratisierung der Künste stehe demnach stets in Beziehung zu (und zuweilen in Abhängigkeit von) den Demokratisierungsprozessen innerhalb wirtschaftspolitischer Wandlungen sowie der Industrie. Bereits einleitend räumt der Autor mit einem weit verbreiten Trugschluss auf, indem er den Begriff des jugoslawischen Self-Managements problematisiert. Innerhalb der vier Dekaden des Zweiten Jugoslawiens schaffte es die Staatsspitze nämlich nie, eine funktionierende bzw. stabile und stringente politische Ökonomie der Arbeiterselbstverwaltung durchzusetzen. Vielmehr war das jugoslawische Selbstverständnis dieses Begriffs erratisch und grob in drei zeitliche Phasen einzuteilen, auf die Jakovljević durch die Untersuchung von Fallbeispielen fokussiert. Die erste Phase bildet die Periode von 1949 bis 1963, in welcher in den industriellen Unternehmen Arbeiterräte etabliert und mit Verantwortung ausgestattet wurden. In jener Phase des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg war Jugoslawien eine der am schnellsten gedeihenden Wirtschaftszonen weltweit. Die zweite Phase, 1963–1974, war von einer neuen Staatsverfassung sowie vielschichtigen wirtschaftlichen Reformen geprägt. In dieser Verfassung wurde die zentralisierte Planwirtschaft weitgehend aufgehoben, ebenso die Regulierung von Marktpreisen und Einkommen. Die Implementierung einer solchen Marktökonomie hatte die üblichen positiven und negativen Folgen: Eine florierende Industrie auf der einen, massive Staatsverschuldung und Inflation auf der anderen Seite. Parallel dazu wurde das Self-Management in alle Arbeitssphären ausgeweitet sowie der Einfluss des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens auf die Industriewirtschaft eingedämmt. Jene Liberalisierung ökonomischen und sozialen Lebens innerhalb Jugoslawiens führte zu einem offenen (wenn auch niemals gänzlich tabulosen) Diskurs über wirtschaftliche und politische Ungleichheiten, welche in Arbeiterprotesten eruptierten sowie in den Studentenaufständen im Juni 1968 kulminierten. In der dritten Phase, 1974–1989, erfolgte eine zunehmende Föderalisierung des Landes, wodurch den sechs Teilrepubliken und zwei autonomen Provinzen mehr souveräne Rechte eingeräumt wurden. In höchster Präzision verwebt Branislav Jakovljević in weiterer Folge seine Analysegegenstände, wie auch deren Produktions- und Rezeptionskontexte mit den sozioökonomischen und politischen Parametern dieser drei Phasen der Arbeiterselbstverwaltung. Das erste Kapitel ist mit "Bodywriting" überschrieben und untersucht insbesondere die Einbindung des Arbeiters als Grundfeste der sozialistischen Gesellschaft sowie der Arbeit ('labor') innerhalb divergierender Formen der Performance-Kunst. Anfangsbeispiel bildet die jährlich stattfindende gigantomanische Inszenierung rund um Titos Geburtstag am 25. Mai. Bereits 1945 erfolgte die Initialzündung zu dem jährlich stattfindenden Staffellauf, innerhalb dessen wochenlang eine Stafette ("štafeta", resp. "Titova štafeta") von Läufer zu Läufer durch alle Teilrepubliken getragen wurde, um am Ende des Laufs am 25. Mai in Belgrad vor tausenden Zuschauenden an Tito überreicht zu werden. Begleitet von landesweiten Performances, regionalen Staffelläufen und Massen-Inszenierungen, sind jene Performances weniger als Postulat eines spezifischen Personenkults oder als Visualisierung ideologischer Grundfesten zu begreifen. Es ist vielmehr der landesweite Miteinbezug nahezu aller Mitglieder der jugoslawischen Gesellschaft in die Planung, Organisation und Durchführung eines tadellos verlaufenden Staffellaufs, welcher hier bemerkenswert war. Um den Personenkult in den Hintergrund treten zu lassen und gleichzeitig den jugoslawischen Durchschnittsbürger innerhalb der Feierlichkeiten hervorzuheben, wurde 1956 auf Vorschlag Titos der 25. Mai zum offiziellen "Tag der Jugend" umgewidmet. Im Verlauf der 1960er-Jahre wurden die vielen lokalen landesweiten Staffelläufe zudem dezimiert und durch eine einzige "Jugendstafette" ersetzt. Diese Modellierung des Formats erfolgte parallel zur inflationären Einrichtung privater TV-Anschlüsse in den jugoslawischen Haushalten, die nun tagtäglich den Verlauf der Stafette im Fernsehen verfolgen konnten. Der landesweite Miteinbezug von Sportlern, aber auch von Arbeitern, Schülern, Studierenden etc. in die Stafetten-Läufe sowie die Massenkundgebung am 25. Mai selbst verwandelten Jugoslawien alljährlich in einen "performance state" (S. 36). "Ultimately, the Socialist Federal Republic of Yugoslavia did not just display some more or less successfully conceived allegories of state ideology, but first and foremost exhibited how flawlessly and impeccably it functioned." (S. 81). Die demokratischen Entscheidungen, welche diverse lokale Räte bezüglich dieser landesweiten Feierlichkeiten zu fällen hatten, spiegeln präzise die politischen und ökonomischen Verwaltungsstrukturen der ersten Phase der Arbeiterselbstverwaltung wieder. Diese waren aber auch in der bildenden Kunst wirksam, was sich insbesondere in den 1950er-Jahren in einem radikalen Wandel der Ikonographie von Arbeit und Arbeitenden beobachten lässt. Die zunehmende Mit- bzw. Selbstbestimmung der Arbeiterschicht innerhalb der Industrieräte führte zu einem Wandel der Darstellung von Arbeit: Wurde zuvor vorzugsweise der menschliche Körper innerhalb eines arbeitenden Kollektivs dargestellt (beispielsweise in Boža Ilićs Gemälde Sondiranje terena na Novom Beogradu, 1949, S. 45), zeigen die dargestellten Arbeiterkörper auf Gemälden der 1950er-Jahre nicht mehr muskulöse 'Anpacker', sondern entspannte und sauber gekleidete Funktionäre, welche an Konferenztischen oder neben Maschinen stehend Entscheidungen über 'ihre' Firmenpolitik treffen. "In short, they are not so much laborers as managers" (S. 59). Die zunehmende Orientierung des Landes in Richtung westlicher Wirtschaftspolitik (respektive Marktökonomie) spiegelten auch die Theaterrepertoires wieder, welche in den 1950er-Jahren zunehmend von klassischer Dramatik und sozialistischen Stücken abwichen und vermehrt zeitgenössische Werke auf die Bühne brachten (Arthur Miller, Tennessee Williams, John Osborne, Jean-Paul Sartre, Jean Anouilh und andere). Die Grenzen jener Liberalisierungstendenzen und Öffnungen der jugoslawischen Gesellschaft werden anhand der Repertoirepolitik des Belgrader Dramatheaters (Belgradsko dramsko pozorište) aufgezeigt. Die erste Aufführung von Warten auf Godot auf jugoslawischem Territorium fiel mit 1954 in eine Zeit der tiefen Krise zwischen der Sowjetunion und Jugoslawien. Die Eindämmung eines zu 'verwestlichten' Repertoires erfolgte nicht durch explizite Zensur, sondern schleichend: Während die Proben noch liefen, wurde die Produktion stillschweigend aus dem Spielplan entfernt. Eine einzige inoffizielle Aufführung stellt die Kostümprobe der Produktion dar, welche allein für die Mitglieder des Arbeiterrates des Belgradsko dramsko pozorište offen stand. Namhafte Kritiker und Belgrader Intellektuelle kamen als Begleitpersonen zu dieser nicht-öffentlichen Aufführung. Da die Produktion nie offiziell verboten, sondern den Mitgliedern des hauseigenen Arbeiterrats gezeigt und dann stillschweigend aus dem Repertoire entfernt wurde, sieht Jakovljević in der "Affaire Godot" keine Form von sozialistischer Selbst-Zensur, wie sie Wissenschaftler vor ihm benannt haben (beispielsweise Miklós Haraszti in dessen Buch The Velvet Prison), sondern einen Beleg für das Self-Management innerhalb der arbeitenden Theaterschicht. Texte zu dieser, von nur wenigen Menschen gesehenen Produktion und zu deren Repertoire-Absetzung verbreiteten sich daraufhin wie ein Lauffeuer und waren mit ausschlaggebend für die Gründung erster Off-Theaterstätten, u. a. des Atelje 212, welches am 17. Dezember 1956 mit der 'eigentlichen' Uraufführung der im BDP abgesetzten Inszenierung von Warten auf Godot eröffnete. Im Kapitel "Syntactical Performances" thematisiert Jakovljević die Belgrader Studentenproteste vom Juni 1968. Die philosophischen Diskurse jener Zeit im Auge behaltend, arbeitet er zunächst genau heraus, worin sich diese von den europaweiten 68er-Protesten unterschieden. Die Forderungen der protestierenden Studenten waren vielfältig. Die Hauptkritikpunkte zielten auf die hohen (jedoch verborgenen) Arbeitslosenzahlen sowie die gescheiterten Reformen der Arbeiterselbstverwaltung. Obwohl Tito solchen Forderungen auf rhetorischer Ebene entgegenkam und damit die Proteste nach nur wenigen Tagen einzudämmen wusste, hatte dies faktisch kaum Auswirkung auf die dirigistische Wirtschaftspolitik. Aus dem Blickwinkel jener Enttäuschung analysiert das Kapitel Performances, welche unter dem Einfluss der Studentenproteste den (Künstler-)Körper als arbeitende und funktionale 'Maschine' in den Vordergrund rückten: Arbeiten von Raša Todosijević, Gina Pane, Era Milivojević und Marina Abramović werden dabei exemplarisch behandelt. Mit "Disalienation Defects" rückt im dritten Kapitel die letzte Phase des jugoslawischen Self-Managements in den Mittelpunkt, welche als Folgeerscheinung der Verfassungsreform von 1974 begriffen wird. Die im Buch durchgehend kontextualisierte Ent- und Verfremdung wird hier sowohl wirtschaftspolitisch als auch performancetheoretisch pointiert. Die zunehmende Distanzierung der Politik vom arbeitenden Subjekt reflektieren die Fallbeispiele jener Zeit, welche in die jugoslawischen Avantgarden der 1970er- und 1980er-Jahre münden. Hier weitet Jakovljević seine Untersuchungen erstmals auch auf Musik aus, indem er die Musikgruppe Laibach und ihre Rolle innerhalb der Neuen Slowenischen Kunst anspricht. In einem lohnenswerten Rückgriff kommt der Autor anschließend noch einmal auf den Tag der Jugend als der Keimzelle des jugoslawischen 'Performance State' zurück. 1988 fand dieser zum letzten Mal statt – und nicht, wie oftmals behauptet, bereits 1987. Veraltet scheinende Symbole der Brüderlichkeit und Einheit gelangten in diesem Rahmen 1988 zur Aufführung, während das Planungskomitee der Feierlichkeiten kritische Plakate und Stafettenentwürfe dezidiert verweigerte und zeitgleich nationalistische Parolen salonreif wurden. Dass führende Theatermacher, die zuvor den Tag der Jugend mitgestaltet haben, 1989 Slobodan Miloševićs Amselfeld-Re-Enactment verantworteten, wird nebenbei erwähnt. Was vom Self-Management noch übrig blieb, deutet der Autor in einem Nachwort an. Im jugoslawischen Staatszerfall, der eine Verschiebung des Nukleus jugoslawischer Identität von der Arbeit hin zur Ethnizität bewirkte, umfasste spontanes Self-Management im Sinne der Selbst-Organisation mitunter auch die Entscheidung ins Exil zu gehen. Davon ist etwa die Biographie des Autors selbst geprägt, der heute an der renommierten Stanford University als Professor im Bereich Theatre and Performance Studies arbeitet.
Mit der vorliegenden Dissertation wird erstmals ein zeitlich umfassender Überblick über die touristische Verlagskartographie in der DDR gegeben. Als "Leitverlag" steht der Landkartenverlag bzw. Tourist Verlag im Mittelpunkt der Arbeit, dessen Geschichte zugleich den Untersuchungszeitraum 1945–1994 vorgibt. Darüber hinaus werden weitere Verlage, kartographische Betriebe und Institutionen betrachtet, die im Osten Deutschlands mit der Herstellung und Herausgabe von touristischen Karten befasst waren. Das halbe Jahrhundert ostdeutscher Verlagsgeschichte lässt sich in fünf inhaltlich abgrenzbare Entwicklungsphasen einteilen. Phase 1 (1945–1952) war gekennzeichnet durch eine von der Besatzungsmacht UdSSR überwachte und im Aufbau befindliche Verlagslandschaft. In jenen Jahren gelang es nur dem von Kurt Schaffmann gegründeten Landkartenverlag, eine volle Sortimentsbreite touristischer Karten (Stadtpläne, Wanderkarten, Verkehrskarten) aufzubauen, jedoch vorerst noch regional eingeschränkt. In Phase 2 (1953–1965) wurde durch die Verstaatlichung von Verlagen und der sich anschließenden Konzentration der Herausgabe die Grundlage für ein staatlich kontrolliertes Verlagswesen geschaffen. Dabei war zugleich die Sortimentsvielzahl zugunsten einer klar formulierten Programmstruktur aufgegeben worden. Für Phase 3 (1966–1976) war die Herstellung und Herausgabe eines komplett neuen Verlagsprogramms prägend. Vorausgegangen waren Beratungen in Moskau und Ost-Berlin, die zu verschärften Sicherheitsmaßnahmen im Kartenwesen führten. Fortan wurden alle für die Öffentlichkeit bestimmten Karten nur noch mit verzerrten Maßstäben produziert. Phase 4 (1977–1989) beinhaltet die Tätigkeit des VEB Tourist Verlag Berlin/Leipzig, der neben Karten nun auch für touristische Literatur verantwortlich zeichnete. Bis auf Koeditionen mit Verlagen benachbarter sozialistischer Staaten stagnierte die Kartenherausgabe, denn zunehmend wurden Kapazitäten durch den Devisen bringenden Kartographieexport in die BRD gebunden. In der Phase 5 (1990–1994) gelang es dem Tourist Verlag nicht, eine gefestigte Stellung in der gesamtdeutschen Marktwirtschaft zu erringen. Durch den Verkauf seitens der Treuhandanstalt an J. Fink – Kümmerly + Frey ließ sich das Schicksal nur um wenige Jahre hinauszögern; am Ende stand die Liquidation des traditionsreichen Unternehmens. Damit wird zugleich der Schlusspunkt der Betrachtungen fixiert. Im Laufe ihrer Geschichte war die ostdeutsche Verlagskartographie verschiedensten Restriktionen unterworfen. Zensur in Form sogenannter Genehmigungsverfahren, Bevormundung durch staatliche Anleitung und Kontrolle sowie die Sicherheitsdoktrin der sowje-tischen Führungsriege gaben den Rahmen vor, in dem Karten für die Öffentlichkeit entstehen konnten. Seit Mitte der 1960er Jahre führte die ausschließliche Verwendung von verzerrten Kartengrundlagen zu Erzeugnissen, in denen das Ermitteln von exakten Streckenlängen unmöglich wurde. Zusammen mit diversen Tarnmaßnahmen für Grenzgebiete, Militärobjekte und Industrieanlagen sowie weiteren Manipulationen des Karteninhalts, entstand ein von Fachleuten und Nutzern oft kritisiertes Verlagsprogramm. Während in den ersten Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch zahlreiche Stadtpläne in den Handel gelangten, wurde ab Mitte der 1960er Jahre nur noch eine eingeschränkte Anzahl von Orten mit adäquatem Kartenmaterial bedacht. Zudem sind die Erzeugnisse fortan mit sogenannten "gleitenden Maßstäben" erstellt worden. Die Pläne genügten für die grobe Orientierung, touristischer Inhalt war sorgsam eingearbeitet. Als Ausgangsmaterial für Wander- und Touristenkarten in verschiedenen Maßstäben diente ab 1966 die von der staatlichen Kartographie eigens zur Verfügung gestellte, verzerrte Übersichtskarte im Maßstab 1 : 200 000. Fuß- und Radwanderer bekamen die daraus resultierenden Auswirkungen am meisten zu spüren. Da auch das Kartenbild recht grob war, genoss diese Kartengruppe einen allgemein schlechten Ruf. Bei den Verkehrskarten haben sich die Verzerrungen umso weniger bemerkbar gemacht, je länger die zu fahrenden Strecken waren. Wegen ihres Detailreichtums wurden die Karten sogar im Ausland geschätzt – Mairs Geographischer Verlag aus Stuttgart hatte die "Reise- und Verkehrskarte" in seine international bekannte Reihe der "Generalkarten" integriert. Somit ist insbesondere den touristischen Karten, die zwischen 1965 und 1989 produziert worden sind, eine unzureichende Note zu attestieren. Die differenzierte Betrachtung des Gesamtzeitraumes zeigt aber auch, dass Pauschalurteile über die touristische Kartographie in der DDR nicht angemessen sind. ; This doctoral dissertation provides the first general overview of tourist-oriented cartography publishing in the GDR. The thesis centres on the "Landkartenverlag" or "Tourist Verlag" as the "lead publishing houses", investigating their history from 1945 until 1994. Additionally, light is shed on other publishers, cartographic companies and institutions that were involved in the production and publication of tourist maps in Eastern Germany. Half a century of East German publishing history can be divided into five phases of development, defined according to content. Phase 1 (1945–1952) was characterized by a publishing landscape under the supervision of the occupying power, the USSR. In those years only the publishing house "Landkartenverlag" established by Kurt Schaffmann in Berlin managed to build up a full range of tourist maps (city maps, hiking maps, road maps), but which was regionally limited at the time. In Phase 2 (1953–1965), the nationalization of publishing houses and the subsequent concentration of publication created the basis for state-controlled publishing. At the same time, the variety of publications was given up in favour of a clearly formulated programme. Phase 3 (1966–1976) was defined by the production and publication of a completely new publishing catalogue. This was preceded by consultations in Moscow and East Berlin, which led to tightened security measures in cartography. From this point forward, all maps intended for the public were produced only with distorted scales. Phase 4 (1977–1989) includes the activities of the publishing house "Tourist Verlag" in Berlin and Leipzig, which, in addition to maps, also became responsible for travel literature. Except for collaborative editions with publishers of the neighbouring socialist states Poland and Czechoslovakia, map publication stagnated. This was due to the fact that their capacities were increasingly focused on lucrative cartography exports to the FRG. In Phase 5 (1990–1994), the "Tourist Verlag" was not able to achieve a stable position in the then-unified German market economy. With the state trust company's sale to the West German publishing house "J. Fink –Kümmerly + Frey", its fate could only be delayed for a few years. Finally, the company, with its rich tradition in the GDR, was liquidated. The end point of the present study aligns with the conclusion of its history. Throughout its history, East German publishing cartography has been subject to various restrictions. Censorship in the form of so-called approval procedures, patronage by state guidance and control, and the security doctrine of the Soviet leadership set the conditions in which maps could be made available to the public. Since the mid-1960s, the exclusive use of distorted maps has led to products in which it is not possible to measure exact track lengths. Together with various camouflage methods for state border areas, military objects and industrial facilities, as well as further manipulation of the content, the publishing programme became the target of frequent criticism from experts and users. While in the first years after the end of the Second World War many city maps were still introduced into the market, from the mid-1960s forward adequate map material was provided only for a limited number of cities. In addition, the products were from then on produced with so-called "sliding scales". The maps were sufficient for approximate orientation, but tourist content was carefully incorporated. Hiking and biking maps in different scales (from 1: 30,000 to 1: 120,000) were based on a distorted general map of state cartography from 1966, which was provided on a scale of 1: 200,000. Pedestrians and cyclists were most likely to feel the resulting negative effects. Because the map image was also quite rough, this group of maps had a generally poor reputation. In the case of road maps, the distortions became less noticeable the longer the distances to be travelled. Because of their wealth of detail, the maps were even appreciated abroad – the publishing house "Mairs Geographischer Verlag" from Stuttgart had integrated the "Reise- und Verkehrskarte" (travel and traffic map with a scale of 1: 200,000) into its internationally renowned series of the "Generalkarte". Thus, the tourist maps in particular, produced between 1965 and 1989, attest to an insufficient grade. However, a differentiated view of the entire period also shows that generalized assessments of tourist cartography in the GDR are not appropriate.
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Lambert T. Koch reagiert auf die Vorwürfe einer zu großen Nähe des Hochschulverbands zum "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit". Im Interview sagt der DHV-Präsident, wo er die Berufsvertretung wissenschaftspolitisch verortet sieht, wie er um nichtprofessorale Mitglieder wirbt – und welche Rolle für ihn Gender Studies und die Postkoloniale Theorie spielen.
Lambert T. Koch, 58, ist Wirtschaftswissenschaftler und war von 2008 bis 2022 Rektor der Bergischen Universität Wuppertal. Viermal wurde er von DHV-Mitgliedern zum "Rektor des Jahres" gekürt. 2023 trat Koch die Nachfolge von Bernhard Kempen als Präsident des Deutschen Hochschulverbandes an. Foto: Deutscher Hochschulverband/BeAStarProductions.
Herr Koch, der Deutsche Hochschulverband (DHV) bezeichnet sich selbst als "Berufsvertretung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland". Wäre es nicht fairer zu sagen, dass er lange vor allem eine Vertretung arrivierter Professoren und ihre Interessen war? Und ist er es immer noch?
Wie es der Begriff "Berufsvertretung" nahelegt, versteht sich der DHV schwerpunktmäßig als ein Interessenverbund von Menschen, die hauptberuflich und dauerhaft in der Wissenschaft tätig sind oder sich für eine solche Tätigkeit qualifizieren. Natürlich passt er sich dabei an veränderte Karrierewege an. So hat er sich schon vor Jahren nicht nur für Habilitierende und Juniorprofessorinnen und -professoren, sondern generell auch für Postdocs geöffnet. Die Serviceangebote des DHV wollen Mitglieder in jedem beruflichen Stadium ansprechen – von der Phase der Qualifizierung bis in die Zeit nach der Emeritierung. Was Studierende und Promovierende anbetrifft, strebt rein statistisch am Ende nur ein geringer Prozentsatz eine wissenschaftliche Karriere an. Dennoch sind uns auch berechtigte Interessen dieser Gruppen nicht gleichgültig.
Rund 70 Prozent der DHV-Mitglieder sind unbefristet beschäftigte Professorinnen und Professoren. Was tun Sie, um den Anteil von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu erhöhen, die keine Professur, aber eine Dauerstelle haben? Und wie wollen Sie mehr junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Karrierephase als Mitglieder gewinnen? Zuletzt gab es in zwei Protestwellen sogar zahlreiche Austritte.
Zu den zentralen wissenschaftspolitischen Zielen des DHV gehört es, über alle Personalkategorien hinweg Wissenschaft als Beruf attraktiv zu halten. Deshalb legen wir regelmäßig dort den Finger in die Wunde, wo sich Rahmenbedingungen verbessern müssen. Wir nehmen natürlich Rücksicht darauf, dass die Interessen unserer Mitglieder divergieren. So haben beispielsweise junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein mehr als verständliches Interesse daran, dass für sie verlässliche Perspektiven im Wissenschaftssystem gegeben sind. Dies nimmt der Verband genauso auf, wie er unermüdlich auf eine auskömmliche Budgetierung von Hochschulen drängt, damit junge Menschen überhaupt eine wissenschaftliche Karriere anstreben können. Vielerorts werden zusätzliche Dauerstellen im Mittelbau benötigt, auch im Rahmen neuer Personalkategorien unterhalb der Professur. Das mahnen wir an. Dass es trotz unserer Bemühungen, möglichst alle Gruppierungen mitzunehmen, Austritte gegeben hat, bedauere ich. Der DHV konnte diese Austritte bislang zwar immer durch Eintritte mehr als kompensieren. Doch unser Anspruch ist es, artikulierte Unzufriedenheit ernst zu nehmen. Dass ansonsten die schon erwähnten Serviceangebote und persönlichen Beratungen insbesondere auch von jüngeren Mitgliedern immer wieder sehr gutes Feedback erhalten, ist dann doch zumindest ein Indikator dafür, dass der DHV einiges richtig macht.
Ihr Vorgänger Bernhard Kempen hat den DHV sehr konservativ positioniert. An welcher Stelle und bei welchen Positionen unterscheiden Sie sich von ihm?
In der öffentlichen Debatte ist man für meinen Geschmack heute zu schnell dabei, Menschen und Institutionen Stempel aufzudrücken oder Bekenntnisse abzufordern: rechts oder links, konservativ oder progressiv, für mich oder gegen mich. Wenn man dies bezüglich meiner Person versuchte, wäre ich darüber nicht glücklich. Gerade in einer Zeit, in der Politik an den Hochschulen wieder eine größere Rolle spielt, müssen wir uns als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das leisten, was Wissenschaftsfreiheit ja Gott sei Dank ermöglicht: Wir sollten Sachverhalte differenzierter betrachten und dabei auch unterschiedliche Sichtweisen respektieren – fair und ohne Polemik, mit der man nach meinem Eindruck heute allzu schnell bei der Hand ist. Der DHV vereinigt rund 33.500 fachlich, biografisch und von ihrer politischen Anschauung her höchst unterschiedliche Mitglieder. Diese Vielfalt bereichert den Verband. Was uns verbindet, ist das Interesse an freier Forschung und Lehre sowie guten Arbeitsbedingungen. Darüber hinaus sind wir alle dem Streben nach Erkenntnis verpflichtet. Wir sind gewissermaßen immer auf dem Weg und offen für neue Positionen und Perspektiven. Nur so bleiben wir auch als Verband glaubwürdig und interessant. Davon bin ich überzeugt.
"Der DHV arbeitet institutionell mit dem Netzwerk Wissenschaftsfreiheit nicht zusammen und hat keinen Einfluss auf dessen Entwicklung."
Wenn der DHV, wie geschehen, das "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit" als "willkommenen Mitstreiter" bezeichnet, was sagt das über das Verhältnis zwischen DHV und Netzwerk?
Die Bezeichnung halte ich für missverständlich. Sie ist meines Wissens ein einziges Mal verwendet worden und bezog sich auf das wichtige Anliegen, die Freiheit der Wissenschaft gegen Übergriffe zu verteidigen. Missverständlich deshalb, weil damit zu keinem Zeitpunkt eine pauschale Zustimmung zu sämtlichen Aktivitäten und Positionen des Netzwerks verbunden war, erst recht nicht zu problematischen Personalia. Der DHV arbeitet institutionell mit dem Netzwerk nicht zusammen und hat keinen Einfluss auf dessen Entwicklung. Das Netzwerk hat gut 700 Mitglieder, die sich aus einer gemeinsamen Problemwahrnehmung heraus zusammengefunden haben. Wir vertreten wie gesagt mehr als 33.000 Mitglieder und sprechen dabei für eine große Zahl von Kolleginnen und Kollegen, die heterogene Perspektiven und voneinander abweichende Erwartungen pflegen. Was unterschiedliche wissenschaftliche Positionen angeht, kommt es uns nicht zu, eine Schiedsrichterrolle einzunehmen.
Und wissenschaftspolitisch? Anhand welcher Kriterien sollte sich eine Berufsvertretung da positionieren?
Eine Berufsvertretung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern muss für die Freiheit von Forschung und Lehre eintreten. Das ist ihr klarer wissenschaftspolitischer Auftrag. Welche konkreten Positionen und Forderungen daraus erwachsen, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Bewertungsrundlage ist aber stets die freiheitlich demokratische Grundordnung. Das heißt beispielsweise, dass auch unliebsame, den eigenen Überzeugungen zuwiderlaufen Ansichten im wissenschaftlichen Diskurs zuzulassen sind. Sollte bestimmten wissenschaftlichen Positionen oder Fachrichtungen die Daseinsberechtigung abgesprochen werden, muss der DHV die Stimme erheben. Er würde aber sein Mandat überziehen, wenn er sich beispielsweise in politischen Diskussionen dazu einmischte, welche Fachrichtungen auf Kosten anderer besonders gefördert werden sollten. Dies ergibt sich schon aus der Vielzahl von Fächern, die in unseren eigenen Reihen vertreten sind.
Wie stehen Sie zu der per Offenen Brief geäußerten Kritik des "Netzwerks Wissenschaftsfreiheit", die Postkoloniale Theorie habe "erheblichen Anteil an der Diskreditierung und Erosion fundamentaler Prinzipien der Wissenschaftlichkeit und der Wissenschaftsfreiheit"?
Ich halte diese Position für zu pauschal. Die mir bekannten postkolonialen Theorieangebote weisen eine hohe Heterogenität und Differenziertheit auf. Sie gehen auch unterschiedlich weit, was ihre implizite oder explizite Normativität betrifft. Hier besteht vor allem auf fachlich-inhaltlicher Ebene viel Diskursbedarf. Zum Teil wurde in der Kritik an dem von Ihnen erwähnten Offenen Brief ja behauptet, dass das Netzwerk die Politik dazu auffordere, postkoloniale Studien an Universitäten zu unterbinden. Tatsächlich heißt es aber in dem Schreiben: "Wir wenden uns selbstverständlich nicht dagegen, dass postkoloniales und anderes postmodernes Gedankengut an unseren Universitäten vertreten wird. Es muss aber jederzeit kritisch diskutiert werden können." Da halte ich es schon für wichtig, bei aller Erregung, korrekt zu bleiben. Ich persönlich mag den polemischen Stil auf beiden Seiten nicht und glaube auch nicht, dass wir uns als Wissenschaft mit Blick auf die interessierte Öffentlichkeit damit einen Gefallen tun. Das Thema ist wichtig. In der Sache sollte daher gerne auch hart diskutiert werden. Dabei sollten die Beteiligten aber gelassener bleiben und nicht immer wieder unter die Gürtellinie zielen.
"Viele, die selbst eine wissenschaftliche Laufbahn durchschritten haben, werden mir zustimmen, dass es in frühen Karrierephasen riskanter ist, sich gegen den Mainstream des eigenen Fachs zu positionieren."
Besteht die eigentliche Gefahr einer mangelnden Meinungs- und Perspektivenvielfalt in der deutschen Wissenschaft nicht in der mangelnden Vielfalt in den wissenschaftlichen Führungspositionen?
Ich halte Perspektivenvielfalt in einer offenen und innovativen Wissenschaft für wesentlich und unverzichtbar. Das deutsche Wissenschaftssystem verträgt fraglos mehr biografische Heterogenität. Vielfalt darf dann aber auch unterschiedliche politische Positionen nicht ausschließen. Außerdem darf nicht aus dem Blick geraten, dass Wissenschaft vor allem einem Wahrheitsanspruch verpflichtet ist. Ihre Positionen entwickeln sich methodengeleitet und dürfen nicht leichthin auf schlichte Meinungen reduziert werden. Dies kommt mir bisweilen in der aufgeheizten Debatte um Vielfalt zu kurz. Wir müssen genauer fragen, wo mehr Vielfalt benötigt wird und was wir davon erwarten. Es gibt viele gute Gründe dafür, Chancengleichheit zu fordern und Benachteiligungen auf dem Karriereweg zu bekämpfen. Doch das allein führt nicht notwendigerweise zu besserer Erkenntnis. Im Übrigen ist es eine Stärke des DHV, dass so viele unterschiedliche Fächer vertreten sind, die mit dem Thema Vielfalt je eigene Perspektiven verbinden. Diese gilt es zusammenzubringen, um zu differenzierten Antworten zu gelangen. Darin liegt zugleich ein großer Vorzug, der Wissenschaft gegenüber Politik auszeichnet.
Wessen Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit ist stärker gefährdet: die verbeamteter Professor:innen oder wissenschaftlicher Mitarbeiter:innen in frühen Karrierephasen?
Es gibt nur eine Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit für alle, unabhängig vom Beschäftigungsstatus. Aber viele, die selbst eine wissenschaftliche Laufbahn durchschritten haben, werden mir zustimmen, dass es in frühen Karrierephasen riskanter ist, sich gegen den Mainstream des eigenen Fachs zu positionieren. Grundsätzlich sollten die Organisationsstrukturen in der Wissenschaft für alle so sein, dass die Bereitschaft, Überkommenes infrage zu stellen und innovative Pfade zu beschreiten, unterstützt und geschützt wird, ohne die Verantwortung für Qualitätssicherung zu vernachlässigen. Das heißt etwa auch, Professorinnen und Professoren müssen ebenso selbstverständlich mit dem begründeten Widerspruch von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern leben wie umgekehrt.
Wie soll das gehen angesichts des Machtgefälles, das vielerorts immer noch herrscht?
Ich bin optimistisch, dass sich Varianten der alten Idee einer so gearteten Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden in einem transparenten, offenen Wissenschaftsbetrieb auch heute realisieren lassen.
Inwiefern braucht es für eine Steigerung der Exzellenz und für eine größere Perspektivenvielfalt in der deutschen Wissenschaft auch mehr Vielfalt und Diversität unter den Professor:innen, und wie wollen Sie sich als DHV konkret für Veränderungen einsetzen?
Der DHV setzt sich in vielerlei Hinsicht für ein offenes und faires Wissenschaftssystem in Deutschland ein. Dieser Einsatz betrifft die grenzüberschreitende Offenheit für Menschen unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung, Nationalität, Sprache, Religion oder sozialem Status. Unter Berücksichtigung des Prinzips der Bestenauslese können zusätzliche Perspektiven die Ergebnisse von Wissenschaft bereichern. Ansatzpunkte, in diese Richtung zu wirken, ergeben sich bei jeder Beteiligung an Hochschulgesetzesnovellen, bei der Auditierung von Hochschulen für transparente und faire Berufungsverhandlungen oder auch mit Blick auf viele Serviceangebote, gerade für neue Mitglieder.
"Als wenig redlich empfinde ich es, wenn der Eindruck erweckt wird, als wäre es an der Tagesordnung, dass der DHV gegen Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler namentlich Stellung bezieht."
Könnten hier auch die Gender Studies willkommene Mitstreiter des DHV sein? Welche Bedeutung haben diese grundsätzlich an deutschen Universitäten?
Jede Disziplin, die mit wissenschaftlichen Methoden nach rationaler Erkenntnis sucht und dafür Wissenschaftsfreiheit einfordert, ist eine willkommene Mitstreiterin des DHV. Ich sehe keinerlei Grund, warum dies für Gender Studies nicht gelten sollte, sofern sie, wie jedes andere Fach auch, danach trachten, methodengeleitet einen Teilausschnitt der Welt besser zu verstehen. Worauf es hier für Universitäten ankommt, hat beispielsweise der Wissenschaftsrat in seiner jüngsten Bestandaufnahme zur Geschlechterforschung hervorgehoben.
War es klug, dass der DHV in einer Debatte über die Wissenschaftsfreiheit eine einzelne kritische Wissenschaftlerin per Tweet namentlich angegangen ist?
Ich persönlich mag den rauen oder teils sogar sehr derben Stil, der in Debatten auf Plattformen wie "X" zuweilen vorherrscht, nicht. Das kam ja schon raus. Ihre Frage, ob es im konkreten Fall, den ich natürlich kenne, klug war, eine einzelne Wissenschaftlerin per Tweet namentlich zu nennen, lässt sich nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten. Am besten macht sich jeder selbst ein Bild. Ich weiß, dass der Fall in einem Blog-Beitrag harsch kritisiert wurde. Als wenig redlich empfinde ich es allerdings, wenn der Eindruck erweckt wird, als wäre es an der Tagesordnung, dass der DHV gegen Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler namentlich Stellung bezieht. Richtig ist, dass ein großer Berufsverband sicherlich mehr aushalten kann und muss als eine Einzelperson, selbst wenn diese gelegentlich im Verbund mit meinungsstarken Netzwerken und Akteuren agiert. Die konkrete Namensnennung erfolgte im Tweet zu einem FAZ-Artikel. In diesem wird die Wissenschaftlerin zwar nicht namentlich erwähnt, jedoch unter offensichtlicher Bezugnahme auf zuvor öffentlich im Blog getätigte Äußerungen kritisiert. Dass die Weiterleitung des Artikels und der Tweet die Gemüter derart erhitzen, hat mich überrascht. Aber natürlich nehme ich den Unmut zur Kenntnis.
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Aus der Einleitung: Ein kugelförmiger, künstlicher, sowjetischer Satellit namens 'Sputnik' (russ. 'Weggefährte') setzte den Westen 1957 unter Schock. Dieses Ereignis erhielt sogar einen Namen: 'Sputnik-Schock'. Die westliche Welt war erschüttert und bestürzt. Wie konnte ein so rückständiges Land wie die damalige Sowjetunion diese technologische Höchstleistung vollbringen? Fast fünfzig Jahre später kommt es wieder zu einem Schock-Erlebnis – dem 'PISA-Schock', obwohl es kein Schock hätte sein müssen, weil Bildungsexperten nicht aufgehört haben, auf Defizite im Bildungswesen hinzuweisen. Dieses Mal sind es deutsche Schüler/innen, die mit ihren Testleistungen, die Bildungs- und Erziehungsfachwelt, Eltern und sogar die Regierung schockieren. Deutschland liegt beim Bildungsranking auf den hintersten Plätzen, obwohl dieses Land seit ungefähr vierzig Jahren Bildungsexpansion betreibt, seine wirtschaftlichen Erfolge beachtlich sind. Wie konnte ein so fortschrittliches Land wie die Bundesrepublik Deutschland im Bildungssektor nur Mittelmaß und schlechter sein? Was läuft schief, woran krankt unsere Gesellschaft? Auf der Suche nach Erklärungen hat sich mir ein Argument, eine mögliche Erklärung erschlossen, die ebenso vom Deutschen PISA-Konsortium bestätigt wurde. Es sind die Bedingungen des Aufwachsens, die den Stand der erworbenen Kompetenzen beeinflussen. Nun sind die 'Bedingungen des Aufwachsens' ein weit gefasster Begriff, der jedoch eines impliziert – es geht um eine bestimmte Phase im Leben eines Menschen, die ihren Anfang mit der Geburt in eine Familie nimmt und mit dem Übergang in eine selbständige, von den Eltern unabhängige, souveräne Lebensphase zu Ende geht. Die Familie ist sozusagen der zentrale Ort, der Ausgangs- und Mittelpunkt des Aufwachsens, welcher jedoch mit dem Älterwerden des Menschen an Einfluss, nicht unbedingt an Wichtigkeit, verliert. 'Mit der Familie fängt für fast alle Kinder alles an. Sie ist das Betreuungszentrum, sie ist die basale Lernwelt, in der Kinder aufwachsen, in der sie jenes Urvertrauen entwickeln und jene elementaren Fähigkeiten und Fertigkeiten erlangen können, die sie befähigen, sich zunehmend eigenständig in der Welt zu bewegen. Damit kommt der Familie mit Blick auf die Bildung, Betreuung und Erziehung der Kinder eine ebenso zentrale wie lebensbegleitende Schlüsselfunktion zu.' Mit dem Eintritt in den 'öffentlichen' Bereich des Lebens, beginnend mit frühkindlicher Betreuung und Bildung sowie Erziehung in öffentlichen Einrichtungen, wie z. B. der Kindergarten (Elementarbereich) und anschließend die Grundschule (Primarbereich), der Sekundarbereiche I und II und des Tertiären Bereichs der beruflichen Ausbildung, gewinnen verschiedene Institutionen größere Bedeutung und Einfluss. Mit dem Übertritt in die Berufs- bzw. Erwerbsphase und der allmählichen Ablösung von den Eltern, der Gründung einer eigenen Familie und der Autonomie als vollwertiger Staatsbürger mit allen Rechten und Pflichten, kann vom Erwachsenen gesprochen werden. Die Phase des Aufwachsens ist vorbei. Welchen Einfluss und welche Wichtigkeit die Sozialisationsfelder der Aufwachsphase für Kinder und Jugendliche haben, wird Teilthema dieser Arbeit sein. Dem vorangestellt sind gesellschaftliche Gegebenheiten und Bedingungen, die in Verbindung mit den Sozialisationsbedingungen nach der Analyse der PISA-Ergebnisse einen erheblichen Einfluss auf die Integration der nachkommenden Generation haben. Wie kann es sein, dass es in einer demokratischen, freien, sozial- und rechtsstaatlichen, auf Wohlfahrt ausgerichteten Gesellschaft nur einem Teil der Mitglieder gelingt, das Beste für sich aus diesen Bedingungen machen zu können? Einem anderen Teil aber bleiben nur Illusionen, bzw. realistische Zukunftspläne können gar nicht erst entstehen. Wie ist es möglich, dass sich zwar der Großteil der Jugendlichen an der Abfolge Pflichtschulbesuch – Berufsausbildung orientiert, aber einem Teil bleibt dieser Weg vorenthalten? Warum drehen immer mehr Jugendliche in Übergangsmaßnahmen ihre Warteschleifen, um mit einer mehrjährigen Verspätung eine Ausbildung oder eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen? Mit Blick auf diese Fragen wird im ersten Teil dieser Arbeit auf Strukturen sozialer Ungleichheit eingegangen. Dabei wird der Tatsache Aufmerksamkeit geschenkt, dass es einen Unterschied zwischen sozialer Differenzierung, Verschiedenartigkeit und sozialer Ungleichheit gibt. Mit letzterer sind ungleiche Lebens- und Arbeitsbedingungen verbunden, die durch die differente Entwicklung bzw. dem ungleichen Vorhandensein von Bildung, Einkommen/Vermögen, Macht und Prestige zu unterschiedlichen Lebenschancen, zu 'mehr oder minder vorteilhaften Lebens- und Handlungschancen' führen Der zweite Teil dieser Diplomarbeit befasst sich mit dem Teil unserer Gesellschaft, den die Folgen sozialer Ungleichheit am härtesten und nachhaltigsten trifft – die Jugend, die jungen Erwachsenen, die jede Entscheidung, die sie selbst oder andere für sie treffen, verantworten müssen. Dieser Teil benötigt ein stabiles Lebensfundament, vor allem Beständigkeit, Zuverlässigkeit sowie Sicherheit. Aber gerade diese Bevölkerungsgruppe ist im hohen Maß den strukturellen Veränderungen der Gesellschaft ausgesetzt, weil dieses Lebensfundament an Stabilität verloren hat. In einem dritten Teil der Diplomarbeit sollen an einem Beispiel aus der Praxis ein Übergangsmodell und Übergangsproblematiken der Teilnehmer/innen im Übergangssystem vorgestellt werden. Beim Bildungsträger BBQ – Berufliche Bildung gGmbH (2.) Reutlingen startete im September 2006 das erste Reutlinger Integrationsmodell (RIMO). Das Besondere und Neue bei dieser Starthilfe ins Berufsleben (2.1) zeichnet sich durch die regelmäßige, sehr individuelle und intensive Teilnehmer/innenbetreuung und Unterstützung bei der Ausbildungs- und Arbeitsplatzsuche durch ehrenamtliche Mentor/innen aus. Zum Abschluss werden Bilanzen zum Reutlinger Integrationsmodel (2.2) gezogen. Mit der Schlussbetrachtung werden im vierten Teil Möglichkeiten realistischer Zukunftschancen der heutigen jungen Menschen und konkret derer betrachtet, die durch begrenzte Möglichkeiten oft einen erschwerten Start ins eigenständige Leben haben, deren Handlungs- und Lebenschancen durch beschränkte Ressourcen, insbesondere der Ressource 'Bildung', eingeschränkt oder teilweise gar nicht wahrnehmbar sind.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: Inhaltsverzeichnis1 Vorwort1 I. Teil1 1.Einleitung2 2.Ungleichheit und Chancenverteilung - Begrifflichkeiten9 2.1Soziale Ungleichheit9 2.2Chancengleichheit12 2.3Die Sozialstruktur und ihre Veränderungen13 2.3.1Das Soziale Klassen- und Schichtenmodell13 2.3.2Soziale Lagen16 2.3.3Soziale Milieus und Lebensstile17 2.3.4Klassen/Schichten vs. Milieu/Lebensstil18 2.4Theorie der sozialen Ungleichheit nach BOURDIEU - Habitustheorie21 2.5Die Individualisierungsthese von BECK23 3.Dimensionen sozialer Ungleichheit26 3.1Bildung27 3.1.1Chancen(un)gleichheit - Bildungs(un)gerechtigkeit29 3.1.2Soziale Herkunft30 3.1.3Geschlechtsspezifischen Ungleichheit36 3.1.4Verhältnis Migration - Bildung37 3.2Einkommen, Vermögen und Besitz41 3.3Macht42 3.4Prestige43 3.5Arbeits-, Wohn- und Freizeitbedingungen44 4.Benachteiligte Randgruppen46 5.Zusammenfassung: Soziale Ungleichheit48 II.Teil49 1.Vorbemerkung49 2.Vom Jüngling zum Jugendlichen - ein historischer Blick50 3.Strukturwandel der Jugendphase54 3.1Vom 'normalen' zum 'außergewöhnlichen' Lebenslauf55 3.2Entstrukturierung und Individualisierung als Folge der Abwendung vom Normallebenslauf56 3.3Sonnen- und Schattenseiten der Strukturveränderungen58 4.Jugendliche und ihre Zukunftsperspektiven61 4.1Hindernisse, Hürden und Begrenztheiten62 4.2Eingeschränkte 'Mitfahrgelegenheiten'64 4.2.1Die Herkunftsfamilie als Basis für Zukunftschancen65 4.2.2Selektionsentscheidungen im Bildungssystem68 4.2.3Hauptschule - Restschule für 'Zurückgelassene'71 4.3Kumulative Chancenungleichheit nach der Sekundarstufe I75 4.3.1Je höher die Qualifizierung, desto besser die Perspektive75 4.3.2Der Ausbildungs- und Arbeitsmarkt für Hauptschüler/innen77 5.Hilfesysteme allgemein und konkret79 6.Zusammenfassung - Veränderungen der Jugendphase und deren Auswirkungen auf sie82 III. Teil85 1.Vorbemerkung85 2.BBQ - Berufliche Bildung gGmbH86 2.1Starthilfe ins Berufsleben87 2.2Bilanzen zum Reutlinger Integrationsmodell90 IV.Schlussbetrachtung - Möglichkeiten realistischer Zukunftschancen93 Literaturverzeichnis100 Abkürzungsverzeichnis114 Anlagen115Textprobe:Textprobe: Kapitel 4, Jugendliche und ihre Zukunftsperspektiven: 'Im Zuge der Entstandardisierung des Normallebenslaufes und seinem Verblassen als biographisches Orientierungsmuster und Zukunftsversprechen, im Auseinanderfallen von institutionellen Lebenslaufvorgaben und subjektiven Perspektiven muss das 'eigene Leben' zunehmend selbst 'entworfen' werden. Dabei spielen Erwerbschancen und Arbeitslosigkeitsrisiko im Kontext dieser Arbeit mit Blick auf die junge Generation und auf soziale Ungleichheit eine entscheidende Rolle. Jugendliche werden nach HRADIL als 'Problemgruppe des Arbeitsmarktes' bezeichnet, '…die einem besonders hohen Risiko, arbeitslos zu werden…' ausgesetzt ist. Die neueste vorliegende Shell-Jugendstudie 'Jugend 2006' konstatiert auf Grund einer generellen Arbeitsplatzunsicherheit, des demographischen Wandels und der damit verbundenen '… wenig gesicherten Versorgung im Alter…', eine nachhaltige Verunsicherung der jungen Altersklasse. Es haben sich '…in den vergangenen Jahren die wirtschaftlichen Bedingungen in Deutschland tatsächlich verschlechtert, und die Jugendlichen müssen damit rechnen, nach ihrem schulischen Abschluss kurz- oder langfristig keinen Ausbildungsplatz zu erhalten, womit der Eintritt ins Erwerbsleben immer weiter nach hinten verschoben wird. Es besteht die Gefahr, dass Jugendlichen dadurch lange kein Eintritt in gesellschaftlich nützliche, produktive und bezahlte Tätigkeiten gewährt wird.' Unter welch trüben, unsicheren und brüchigen Bedingungen müssen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen der heutigen Zeit ihrer Zukunft entgegen sehen? Sie stehen laut WALTHER unter einem 'Normalisierungsdruck', bei dem sich die jungen Menschen nicht ungezwungen und 'eigenwillig', im wahrsten Sinne des Wortes, für ihren Ausbildungsberuf interessieren und entscheiden können, ihren '…Übergang in die Arbeit nicht als einen Teil der Entwicklung und Verwirklichung eines subjektiven Lebensentwurfes gestalten können, sondern ihre Bemühungen nur darauf gerichtet sind, irgendeine Ausbildung zu beginnen und vielleicht zu beenden. WALTHER stellt in diesem Zusammenhang auch fest, 'dass Orientierungs-, Such- und Reflexionsprozesse entweder gar nicht erst zugelassen oder zu früh abgeschnitten werden.' Wie bereits festgestellt, führt diese Begrenztheit der Entscheidungsmöglichkeiten zu einer neuen Art der Wiedereinbindung bzw. Reintegration in die Gesellschaft. Außer dem Zwang sich für etwas zu entscheiden (z. B. welcher Beruf), sind die Entscheidungsmöglichkeiten durch gesellschaftliche Institutionen auch noch begrenzt (z. B. Arbeitsmarkt, Besuch bestimmter Bildungseinrichtungen). Hinzu kommt, dass '…entsprechende Karrieren bereits im Kindes- und Jugendalter vorprogrammiert und … das Resultat von strukturell angelegten Barrieren und/oder Verteilungsmustern [sind].' Hindernisse, Hürden und Begrenztheiten: Hindernisse, Hürden und Begrenztheiten lassen sich mit den Dimensionen sozialer Ungleichheit gut nachweisen. In Anlehnung daran soll im Weiteren der Focus auf die Ressource 'Bildung' gelegt werden. Erstens ist Bildung ein äußerst wertvolles Gut, das sich individuell besonders fördernd zur Gestaltung angenehmer Lebensbedingungen eignet und '…zur wichtigsten Grundlage für den materiellen Wohlstand moderner Gesellschaften geworden [ist].' Zweitens ist Bildung konvertierbar in andere Dimensionen sozialer Ungleichheit (z. B. Einkommen/Vermögen, Macht, Prestige) und drittens nimmt Schule, Berufsschule, Hoch- oder Fachschule bereits bis zu einem Viertel der Lebenszeit der jungen Generation ein. BRÜNDEL/HURRELMANN bemerken hierzu, '…dass die Schule im Zeithaushalt eines jungen Menschen bis zum Ende des zweiten Lebensjahrzehnts das zentrale Lebensfeld geworden ist. Der Schulbesuch ist das vorherrschende Merkmal der Jugendzeit; Jugend- und Schulzeit sind identisch. Was in der Schule passiert, ist deshalb äußerst wichtig für die gesamte persönliche Entwicklung.' Es besteht wie belegt zweifelsfrei ein Zusammenhang zwischen Bildung und Lebenschancen. Die Bildungsschranken von Kindern sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen haben sich nicht aufgelöst, wohl aber hat eine zunehmende Bildungsbeteiligung in allen Sozialschichten stattgefunden, die insbesondere die Bildungschancen für Mädchen erhöht hat. Gleichzeitig '…aber [ist] die sozialstrukturelle Homogenität in der Hauptschule gestiegen.' Insbesondere Kinder von un- und angelernten Arbeitern sowie von Ausländern und Migranten sind von dieser nachteiligen Entwicklung betroffen.' Dies betrifft die Sozialschicht bzw. die jungen Menschen, die auf Grund ihrer ungünstigeren familiaren Voraussetzungen in Bezug auf das ökonomische, kulturelle und soziale Kapital im Elternhaus sowohl kognitive Nachteile erfahren als auch die Bildungsentscheidungen der Eltern tragen und verantworten müssen. 'Ungleiche Bildungschancen (und Bildungsbeteiligung – M.T.) wurden dabei als direkte Abbilder gesellschaftlicher Hierarchien betrachtet.' Die Dreigliedrigkeit im Schulsystem findet somit ihre Entsprechung in der sozialen Schichtung. Im Folgenden soll auf diese Entsprechung und die Folgen für die 'Verlierer' oder 'Zurückgelassenen', wie SOLGA/WAGNER die Hauptschülerinnen und Hauptschüler nennen, eingegangen werden. Sie sind die sozial Benachteiligten. Trotz des Wissens, dass Bildung im Hinblick auf die Lebenschancen Jugendlicher von besonders großer Bedeutung ist, gilt für Deutschland: 'In kaum einer anderen westlichen Industrienation sind die Lernprozesse von Kindern und Jugendlichen so eng mit ihrer sozialen Herkunft verbunden wie in Deutschland.' Die Heranwachsenden werden schichtspezifisch auf die verschiedenen Schulformen verteilt. Soziale Herkunft hat zudem generationsübergreifend Auswirkungen auf die soziale Position in der Gesellschaft, das heißt, der soziale Status gekoppelt an die gesellschaftliche Position wird größtenteils 'weitervererbt'. Was sozusagen mit der Geburt seinen Anfang nimmt, zieht sich in den meisten Fällen durch das Leben der nachfolgenden Generation. 'Kinder aus sozial schwächeren Schichten haben damit geringere Chancen für den Zugang zu höheren Bildungsgängen als Kinder aus bildungshöheren Schichten und umgekehrt, Kinder aus bildungshöheren Schichten sind seltener in unteren Bildungsgängen anzutreffen als Kinder aus bildungsfernen Familien. Dies ist keine neue Erkenntnis mehr, lenkt jedoch die Aufmerksamkeit auf die 'Verlierer' der Gesellschaftsentwicklung und damit auf Problematiken der sozialen Ungleichheit.
Problemstellung, Forschungsfrage, Ziel und Aufbau der Dissertation In den Altbaugebieten mit Wohnsubstanz in polnischen Städten, welche im zweiten Weltkrieg nicht zerstört wurden, herrschen oft städtebauliche Missstände. Obwohl oft zentral gelegen und mit denkmalgeschützter Substanz bebaut, werden diese Gebiete aufgrund des baulichen, sozialen, wirtschaftlichen und des Umweltzustandes als Problemgebiete bezeichnet. Deren Revitalisierung ist jedoch von wesentlicher Bedeutung für die Entwicklung der Gesamtstadt und für die städtischen Akteure. Revitalisierungsprozesse können nur auf lokaler Ebene angestoßen und durchgeführt werden. Die Gemeinde als lokale Selbstverwaltung ist dabei ein Schlüsselakteur. Allerdings spielen dabei die Gesetzeslage und sonstige Rahmenbedingungen eine wesentliche Rolle. Vor diesem Hintergrund suchte die Dissertation Antworten auf folgende Forschungsfrage: Welche Spielräume und Einschränkungen für die Handlungen polnischer kommunaler Selbstverwaltungen im Bereich der Revitalisierung städtischer Problemgebiete mit Altbausubstanz resultieren aus dem institionellen Kontext? Unter dem institutionellen Kontext werden nach Ansatz des akteurzentrierten Institutionalismus sowohl formelle, rechtliche Regeln als auch informelle Regeln verstanden. Die Forschungsfrage wurde durch folgende Teilfragen präzisiert: □ Welche Handlungsmöglichkeiten und Instrumente werden den Kommunalverwaltungen bei der Gestaltung und Umsetzung der Revitalisierungsprozesse vom polnischen Raumplanungssystem gegeben? □ Welche Handlungsmöglichkeiten und Instrumente werden durch die polnischen kommunalen Selbstverwaltungen in den Prozessen der Revitalisierung genutzt? □ Welche Hindernisse bei der Revitalisierung in den Problemgebieten mit Altbausubstanz in Polen resultieren aus dem institutionellen Kontext? Ziel der Arbeit war die Erläuterung der Möglichkeiten kommunaler Selbstverwaltungen, Prozesse zur Revitalisierung der Alt¬bau¬sub¬stanz in den polnischen Städten im Hinblick auf den institutionellen Kontext zu beeinflussen und zu steuern. Die Arbeit wurde in 7 Kapitel aufgeteilt. Kapitel 1 stellt das Problem und die Forschungsfrage vor und erklärt die wichtigsten Begriffe. Im Kapitel 2 wurden theoretische Grundlagen der Arbeit diskutiert. Das Ergebnis dieses Kapitels bildet das theoretische Fundament für weitere Analysen und die empirische Untersuchung. Im Kapitel 3 wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen für Revitalisierung in Polen analysiert. Im Kapitel 4 wurden die angewendeten Methoden und das Design der empirischen Untersuchung beschrieben. Kapitel 5 beschäftigt sich mit der empirischen Fallstudie in Stettin, durch welche anhand der Analyse tatsächlicher Entwicklungen im Revitalisierungsprozess die Ergebnisse des Kapitels 3 eine neue Dimension und Konkretisierung erhalten. In diesem Kapitel wurden auch die informellen Regeln beschrieben, die einen wesentlichen Einfluss auf die Revitalisierungsprozesse haben. Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus allen Analysen und empirischen Untersuchungen wurden im Kapitel 6 vorgestellt. Die Arbeit schließt mit Empfehlungen für die nationale Ebene bezüglich der Änderungen in den Vorschriften und für die lokale Ebene bezüglich der Gestaltung der Revitalisierungsprozesse in Kapitel 7 ab. Theoretische Grundlagen für die Analyse der Revitalisierungsprozesse Auf der Grundlage der Theorien zum Verfall der städtischen Gebiete und der Ansätze zur Vorbereitung und Durchführung der Revitalisierungsprozesse, welche anhand der Erfahrungen westeuropäischer Länder entwickelt wurden, konnten folgende fünf Schwer¬punkte zur Analyse der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Revitalisierungsprozesse in Polen identifiziert werden: □ Ideelle und finanzielle nationale Unterstützung der Revitalisierung als wesentlicher Erfolgs- oder Hemmnissfaktor der Aufwertungsprozesse, □ Suburbanisierung als negativer Faktor in den Verfallsprozessen des Altbaubestandes und als Gefahr für die Revitalisierungsprozesse, □ Beteiligung der Bürger und anderer Akteure an den Revitalisierungsprozessen als ein Beitrag zur Verbesserung der Qualität, der Legitimierung, der Akzeptanz und der erfolgreichen Umsetzung der Revitalisierungsprozesse, □ Integrierte und strategische Planung als eine Erfolgsbedingung der Revitalisierung mit Berücksichtigung der sozialen, ökonomischen, baulichen und ökologischen Faktoren, □ Sanierungen der Wohnsubstanz als ein wesentliches Element der Revitalisierungs¬prozese, welche teilweise von lokalen Bewohnern realisiert werden und die über die Art der Gebietsaufwertung entscheiden. Der Ansatz des akteurzentrierten Institutionalismus diente als theoretische Strukturierung der empirischen Untersuchung. Die empirische Untersuchung liefert eine Begründung für die Handlungen der lokalen Verwaltung durch die Analyse der: □ in die Revitalisierungsprozesse eingebundenen Akteure, deren Fähigkeiten und Handlungs-orientierungen, □ Akteurskonstellationen und Interaktionsformen, □ nicht-institutionellen Rahmenbedingungen, die aus der lokalen Situation resultieren, □ zustande gekommenen Entscheidungen. Rechtliche Rahmenbedingungen für die Revitalisierung in Polen Mit der Revitalisierung sind die Gemeinden in Polen indirekt beauftragt durch die Pflicht, alle öffentlichen Angelegenheiten mit lokaler Bedeutung zu regeln. Dafür haben sie eine absolute planerische Souveränität und das Recht zur Selbstbestimmung ihrer Politiken oder Entwicklungsstrategien zugesprochen bekommen. Die Begrenzungen dieser Planungsmacht erfolgen nicht durch übergeordnete Planung, sondern durch allgemeine Instrumente zur Durchführung der räumlichen Politik. Die Gemeinden haben keine Instrumente zur Verfügung, welche dem Umgang mit dem bebauten Raum dienen. Darüber hinaus haben auf die Revitalisierungsprozesse, neben den Vorschriften des Raumplanungssystems, auch andere Vorschriften, wie jene über das Wohnungswesen, die öffentlichen Finanzen oder öffentlich-private Partnerschaften einen wesentlichen Einfluss. Die EU-Förderrichtlinien sind, aufgrund fehlender nationaler Programme zur Revitalisierung, entscheidend bei der Bestimmung und Struktur der Revitalisierungshandlungen in den polnischen Gemeinden. Informelle Regeln als weitere Faktoren der Nutzung des Handlungsspielraums In der Fallstudie wurden die Spielräume und Hemmnisse für Revitalisierungsprozesse der Altbausubstanz, welche aus dem gesetzlichen Rahmen resultieren, anhand von reellen Beispielen in Stettin (Szczecin) überprüft. Die Analyse der Revitalisierungsprozesse in den Jahren 1989-2008 ergab einen zusätzlichen Einfluss der informellen Regeln, welche zu Konflikten bei den Revitalisierungsprozessen und zur Blockade oder Verlangsamung dieser führen. Schlussfolgerungen: Handlungsspielraum lokaler Selbstverwaltungen bei der Revitalisierung und seine Nutzung Der Handlungsspielraum lokaler Verwaltungen bei der Gestaltung und Durchführung der Revitalisierungsprozesse ist gesetzlich breit definiert. Nur die Entscheidungen der Gemeinde sind bindend für die nicht-öffentlichen lokalen Subjekte. Die Gemeinden dürfen ihre lokalen Politiken eigenständig und souverän bestimmen. Die Vorschriften des Raumplanungs¬systems tragen jedoch nicht zur integrierten und strategischen räumlichen Planung der Gemeinde bei. Die Bestimmungen dieser Gesetze haben überwiegend zum Ziel, Investitionen in den Neubau zu erleichtern und haben den Umgang mit bebautem Raum nicht zum Gegenstand. Es gibt auch keine speziellen Instrumente, rechtliche Lösungen oder nationale Programme, welche die Revitalisierung oder den Stadtumbau zum Gegenstand haben. Die vorhandenen Programme wie der Nationale Wohnungsfonds oder der Thermoisolationsfonds beziehen sich auf ausgewählte physische Aspekte der Revitalisierung und haben keinen strategischen oder integrierten Charakter. Die lokalen Verwaltungen haben einen beschränkten Einfluss auf die Höhe ihrer Einnahmen. Aufgrund der vielen Aufgaben, mit denen sie betraut sind und der dabei geringen Ausstattung mit finanziellen Mitteln für deren Erfüllung, haben sie grundsätzlich einen engen finanziellen Spielraum. Die Vorschriften für Zuwendungen aus dem Nationalen Wohnungs¬fonds bestimmen, welche Aufgaben durch welche öffentlichen Subjekte zuschussfähig sind. Somit beeinflussen diese die Verteilung der Aufgaben zwischen verschiedenen Subjekten und auch die Entstehung dieser Subjekte mit, wie das bei den verschiedenen kommunalen Gesellschaften der Fall ist. Die Vorschriften des Wohnungswesens wiederum schützen überwiegend die Interessen der Mieter und durch die bis 2007 gültigen Beschränkungen der Miethöhe, auch in privaten Beständen, beeinflussten sie wesentlich die Investitions¬bereitschaft der Besitzer und somit die Länge und das Ausmaß der Sanierungsprozesse. Aufwendige und kostspielige Prozeduren bei der Vertragsgestaltung der öffentlich-privaten Partnerschaften haben zur Folge, dass es bis heute so gut wie keine solchen Partnerschaften bei den Revitalisierungsmaßnahmen gibt. Da die lokalen Verwaltungen praktisch weder finanzielle noch ideelle Unterstützung von der nationalen Ebene bei der Führung ihrer Raumpolitik erhalten, sind sie bei der Revitalisierung auf eigene Ideen und Eigenfinanzierung, auf private Investitionen und Finanzierung aus verschiedenen europäischen Programmen angewiesen. Die Förderung vom Integrierten operationellen Programm der Regionalentwicklung 2004-2006 führte zur Entstehung vieler Initiativen in Form von Revitalisierungsprogrammen. Auf die Abschöpfung dieser Mittel ist auch die nationale Politik eingestellt, wo die meisten Dokumente mit Bezug zur Raumplanung vor dem Hintergrund der EU-Finanzierung erstellt wurden. Bei der Nutzung der Handlungsmöglichkeiten durch die lokale Verwaltung in Stettin dominieren die direkten Instrumente und direkte Einflussnahme auf die Revitalisierungs¬prozesse, wie kommunale Investitionen in die technische und soziale Infrastruktur, die Bildung von kommunalen Gesellschaften zur Sanierung oder Revitalisierung der Bestände. Die indirekten Handlungen dienen überwiegend der Gewinnung von EU-Fördermitteln und dem Anreiz für Investitionen nicht-öffentlicher Subjekte. Es handelt sich hierbei überwiegend um Strategien zur lokalen Entwicklung oder Revitalisierung. Die strukturierende Handlungs¬weise ist erst im Entstehen und wird wesentlich von der Politik-Umwelt und von informellen Regeln geprägt. Zur Einschränkung der Nutzung des gegebenen Handlungsspielraumes tragen, neben den gesetzlichen Bestimmungen auch die in der Fallstudie identifizierten informellen Regeln bei. Es wurden drei Regeln identifiziert, die einen Einfluss auf die Revitalisierungsprozesse haben: 1. die Bestandswahrung der Bewohner, 2. das Misstrauen der Bewohner der lokalen Verwaltung gegenüber und 3. das niedrige Image der Bewohner vernachlässigter Gebiete bei den Vertretern der Stadtverwaltung. Die Bestandswahrung eines Teils der Bewohner bezieht sich auf die Wahrung von Privilegien wie niedrige Mieten, große Wohnungen praktisch ohne Kündigungsgefahr, Pseudoeigentumsrechte und vor allem die Abdeckung der Instandhaltungskosten der Wohnungen und Häuser durch die Gemeinde. Diese Bestands¬wahrung führt zu Forderungspositionen eines Teils der Bewohner, zu Protesten gegen die Sanierungsmaßnahmen, die mit Umzügen oder Erhöhung der Mieten verbunden sind und zur fehlenden Bereitschaft der Wohnungsbesitzer, die Sanierungen in den ehemals kommuna¬len Wohnungen, welche an die bisherigen Bewohner verkauft wurden, ganz oder anteilig zu finanzieren. Wiederum führt das mangelnde Vertrauen gegenüber der Stadt¬verwaltung und gleichzeitig das schlechte Image der Bewohner von Problemgebieten bei den Vertretern der Stadtverwaltung zu einer niedrigen Bereitschaft der Vertreter der Verwaltung, mit den Bewohnern zu sprechen oder mit ihnen zu kooperieren und in der Konsequenz zu Konflikten und teilweise zur Blockade der Vorhaben. Vorschläge zur Änderung der Vorschriften Die eigenen Vorschläge der Autorin zur Änderung der Vorschriften, welche einen Einfluss auf die Revitalisierungsprozesse in Polen haben, ergänzen die Diskussion, welche in der polnischen Fachliteratur geführt wird. So sind in erster Linie Änderungen notwendig, welche die faktische Handlungsfähigkeit der Gemeinde innerhalb des bestehenden Raum¬planungs¬systems sichern würden, wie die Stärkung der Rolle der obligatorischen und gemeinde¬übergreifenden "Studie der Rahmenbedingungen und Richtlinien der Raumbewirtschaftung" oder die Beschränkung der Erstellungskosten der fakultativen lokalen Pläne räumlicher Bewirtschaftung. Des Weiteren ist die Präzisierung und der Ausbau der Vorgänge zur Akteur¬partizipation an den Planungsprozessen bei der Revitalisierung notwendig. Die Einführung des lokalen Revitalisierungsprogrammes als ein gesetzlich definiertes Instrument, welches der Integration der Politiken und einer strategischen Ausrichtung der Handlungen der Gemeinde im Bereich der Revitalisierung dienen soll, wird nach den Ergebnissen der Arbeit, als eine Voraussetzung für erfolgreiche Revitalisierungsprozesse gesehen. Darüber hinaus sind Änderungen in anderen als den direkt mit dem Raumplanungssystem verbundenen Vorschriften, wie z. B. in den Gesetzen zum Wohnungswesen, der öffentlichen Finanzen oder öffentlich-privaten Partnerschaften erforderlich. Notwendig für die Revitalisierung ist auch die ideelle und finanzielle Unterstützung durch die nationale Ebene in Form von Leitlinien, Steuervergünstigungen oder Programmen. Diese sollen das gewünschte städtebauliche Modell der räumlichen Entwicklung darstellen und fördern sowie die aktive Einbindung aller öffentlichen und nicht-öffentlichen Akteure in die Revitalisierungsprozesse unterstützen. Verbesserungsvorschläge für die Revitalisierungsprozesse in Stettin Im theoretischen Exkurs wurde die städtische Regimetheorie für die Abschätzung der zukünftigen Entwicklung und die Formulierung der Empfehlungen für die Verbesserung der Revitalisierungsprozesse in Stettin angewandt. Eine Entstehung eines neuen Regimes ist nur dann möglich, wenn das alte Regime von den Wählern nicht mehr für legitim gehalten wird oder wenn in der Stadt eine Koalition entsteht, die einen Meinungswechsel der Bewohner herbeiführt. Für die Revitalisierung, die nur im symbolischen Regime erfolgreich möglich ist, ist auch das gegenseitige Vertrauen der Akteure eine Grundvoraussetzung für den Erfolg. Das Vertrauen der nicht-öffentlichen Akteure kann u. a. durch Planungssicherheit und Unabhängigkeit der kommunalen Vorhaben von den Legislaturperioden erlangt werden. Diese können wiederum im gegenwärtigen polnischen Raumplanungssystem durch eine hohe Abdeckung mit lokalen Plänen räumlicher Bewirtschaftung als kommunale Rechtsakte erreicht werden. Zusätzlich könnte eine mit den Akteuren gemeinsam vorbereitete und abgestimmte Stadtentwicklungsstrategie und darauf basierende Politiken diese Sicherheit und Unabhängigkeit stärken. Als Anstoß der Zusammenarbeit wird eine mehrtägige Veranstaltung "Stadt-Tage" vorgeschlagen, an der sowohl das Fachpublikum als auch die Bewohner Stettins teilnehmen und die aus Ausstellungen, Konferenz, Werkstätten und Wettbewerben bestehen sollte. Der Nutzen dieser Veranstaltung läge vor allem in der Stärkung des Themas der Revitalisierung gegenüber anderen Themen im Stadtrat und der Möglichkeit der Einbringung eigener Ideen der Akteure in die Stettiner Stadtentwicklung.
Darstellung der Inhalte in absteigender Reihenfolge (von neuen zu älteren Wellen).
Für alle Befragungen (abweichend nur die Rekrutierungsbefragung) wird erhoben: Einladungsmodus; Teilnahmemodus; Datum Feldstart und Feldende; AAPOR Wave Code; Fragebogenevaluation (interessant, abwechslungsreich, wichtig für Wissenschaft, lang, schwierig, zu persönlich) und Gesamtbewertung des Fragebogens; Verständlichkeit der Fragen; gedankliche Anregung durch die Fragen; Teilnahmeunterbrechung und Dauer der Unterbrechung; Anwesende während des Interviews; Teilnahmeort (zuhause, anderer Ort); Teilnahmegerät; Feedback des Befragten; Datum, an dem der Fragebogen ausgefüllt wurde; geschätzte Dauer; ab Welle bd: Schwierigkeiten beim Verständnis des Fragebogens; Schwierigkeiten Antworten zu finden.
Welle bf:
Panelteilnahme, Panelevaluation: Einstellung zu Umfragen im Allgemeinen (Skala); Meinung zur Teilnahme am GESIS GesellschaftsMonitor im Jahr 2014 (regelmäßige Gespräche mit Dritten über Umfragethemen, Verpflichtungsgefühl zur Teilnahme, Teilnahme wurde zur Gewohnheit, passend, Identifikation mit GESIS GesellschaftsMonitor, Umfragen wichtig für die Gesellschaft, liefern wichtige Erkenntnisse, Zeitverschwendung, Spaß am Ausfüllen, Eingriff in die Privatsphäre, interessant, zu oft um Teilnahme gebeten worden, anstrengend); Gesamtbewertung der Befragungen des GESIS GesellschaftsMonitors und Schulnote; Einschätzung der Empfehlungswahrscheinlichkeit des GESIS GesellschaftsMonitors an Freunde; Mitgliedschaft in Online-Panels; Anzahl der Mitgliedschaften in Online-Panels. Internetzugang und Internetnutzung: Besitz von stationärem Computer / PC, Laptop, Tablet-PC und Smartphone; Nutzungshäufigkeit dieser Geräte; Internetzugriff mit diesen Geräten von zuhause und von unterwegs; Panel Teilnahmepräferenzen: Teilnahmewahrscheinlichkeit jeweils per Papierfragebogen, stationärem Computer / PC oder Laptop, Tablet-PC und Smartphone; präferierter Teilnahmemodus. Einstellungen zum Thema Erbschaftssteuern, Motive des generationsübergreifenden Transfers innerhalb von Familien (Intergenerationentransfer): Befürwortung einer Steuerpflicht auf Erbschaften; Meinung zu einer Erbschaftssteuervergünstigung für Pflegende; Meinung zu ausgewählten Aussagen: Ältere schrecken vor frühzeitiger Vermögensübertragung zurück aus Sorge vor Abhängigkeit von ihren Kindern, Eltern stocken Ersparnisse bei gestiegener Staatsverschuldung auf, um zukünftige Steuerlasten ihrer Kinder abzumildern (Ricardianische Äquivalenz), keine Lebensveränderung bei Erhalt der Erbschaft, weil Lebensentscheidungen vorher getroffen wurden; Meinung zur verpflichtenden finanziellen Starthilfe von Eltern für ihre Kinder (moralische Verpflichtung, falls selbst Starthilfe erhalten versus keinerlei Verpflichtung); Meinung zum Ausbau des staatlichen Betreuungsangebotes für Kinder unter 3 Jahren (zu starke Einmischung des Staates schwächt den Zusammenhalt der Familien versus Familien können Betreuung nicht selber leisten); vermuteter Grund für eine Vermögensübertragung zu Lebzeiten; antizipierte Verteilung von Erbschaften an Haushalte (Haushalte mit hohem Einkommen, mit niedrigem Einkommen oder an Haushalte aller Einkommensklassen); Kenntnistest: geschätzte Höhe der von Kindern zu zahlenden Erbschaftsteuer für geerbte Bankguthaben in Höhe von jeweils 100.000 Euro und 1 Mio. Euro; Selbsteinschätzung des Familienzusammenhalts; Anzahl der Generationen im Haushalt; räumliche bzw. zeitliche Distanz zu den Eltern; subjektive Einschätzung Vergesslichkeit (Metacognitive Prospective Memory Battery Capacity) und Anwendungshäufigkeit ausgewählter Alltagsstrategien gegen vergessen (MPMB Strategies). Demographie (Update): Geschlecht; Alter (kategorisiert); deutsche Staatsangehörigkeit; ausländische Staatsangehörigkeit; Familienstand; fester Lebenspartner; gemeinsamer Haushalt mit dem Lebenspartner; höchster allgemeinbildender Schulabschluss; derzeitiger Ausbildungsstatus (berufliche Ausbildung oder Studium); Hochschulabschluss oder Universitätsabschluss; Art des höchsten Hochschul- bzw. Universitätsabschlusses; höchster beruflicher Ausbildungsabschluss; Haushaltsgröße; Anzahl der Kinder unter 16 Jahren im Haushalt; monatliches Nettoeinkommen und Haushaltsnettoeinkommen (kategorisiert).
Welle be:
Medien: Ausstattung mit elektronischen Geräten oder Internetmöglichkeiten (Fernsehgeräte, DVD-/Blu-ray Player, Festplattenrecorder, Spielekonsole, Radiogerät zu Hause, im Auto bzw. mit Internetzugang, stationärer Computer / PC, Laptop / Notebook, Tablet-PC, Festnetztelefon, normales Handy, Smartphone / iPhone, Internetzugang bzw. WLAN zu Hause, Cloud genutzt, Internetzugang im Auto); Nutzungshäufigkeit ausgewählter Medien (Fernsehen, DVD /Video, Kino, Bücher, Tageszeitung und Zeitschriften gedruckt bzw. als E-Book-Reader, online oder als Digitalausgabe, Hören von Radio, Musik-CDs, Musikkassetten oder MP3s, Handy / Smartphone, Computernutzung offline, Internet bzw. Onlinedienste nutzen, Erstellen von digitalen Filmen oder Fotos bzw. von Videos); Häufigkeit der Internetnutzung für private Zwecke; persönlich wichtige Kriterien bzw. Möglichkeiten des Internets. Mitgliedschaft und Aktivität in sozialen Netzwerken: Mitgliedschaft in einem sozialen Netzwerk; Nutzungshäufigkeit des am häufigsten genutzten sozialen Netzwerks; Art und Häufigkeit der Aktivitäten in sozialen Netzwerken im Kontakt mit Freunden oder Bekannten und mit Organisationen, Vereinen oder Initiativen. Beruf und Freizeit: Erwerbssituation; Arbeitszufriedenheit; Beruf: Anteil der Arbeitszeit in sitzender Tätigkeit; Anteil der Arbeitszeit mit persönlichen Sozialkontakten; Tätigkeitsbeschreibung (schnell arbeiten, großes Arbeitspensum, häufig technische Störungen im Arbeitsablauf, organisatorische Probleme, Gefühle von anderen Menschen verstehen, stark konzentrieren, körperlich schwer arbeiten, dazulernen und sich weiterentwickeln, Angst vor Arbeitsplatzverlust, Entscheidungsautonomie, Kollegen und Vorgesetzte helfen, Positives für andere Menschen bewirken, wichtige Rolle im Leben, häufig durch Arbeit erschöpft); Häufigkeit der gedanklichen Beschäftigung mit der Arbeit in der Freizeit; Führungsfunktion; befristeter oder unbefristeter Arbeitsvertrag; berufliche Tätigkeit bzw. Stellung; Branche (NACE); Zufriedenheit mit der Freizeit; Häufigkeit ausgewählter Freizeitaktivitäten (nützliche Kontakte knüpfen, entspannen, Kenntnisse erwerben oder weiterentwickeln, körperlich fit halten, anderen helfen oder ehrenamtlich engagieren, Hobby ausüben, Zeit mit der Familie). Wochenmärkte: Häufigkeit von Wochenmarkteinkäufen; Lebensmitteleinkauf auf Wochenmärkten in den letzten zwei Monaten; Einkaufshäufigkeit von Lebensmitteln regionaler Hersteller und aus biologisch-kontrolliertem Anbau auf Wochenmärkten; Meinung zu ausgewählten Aussagen zu Wochenmärkten (Lebensmittel zu teuer, begrenztes Angebot an Lebensmitteln, schlecht erreichbar, Lebensmittel von hoher Qualität); Wahrscheinlichkeit eines Wochenmarkteinkaufs in den nächsten vier Wochen; positive Bewertung des Einkaufs regionaler Produkte durch Familie und Freunde; gutes Gefühl beim Einkauf regionaler Produkte; Wahrscheinlichkeit des Einkaufs von Bio-Lebensmitteln beim nächsten Einkauf; Meinung zu Bio-Produkten (zu teuer, gutes Gefühl beim Einkauf, positiver Umweltbeitrag durch den Kauf von Bio-Produkten). Geldanlage: Präferierte Geldanlage für die mittelfristige Investition von 10.000 Euro im Hinblick auf Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit, jeweils anhand von zwei Alternativvorschlägen mit gleichen Verwaltungskosten und vergleichbaren Risiken (Alternative A: Geldanlage in Unternehmen ohne Berücksichtigung ihrer Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit mit einer Verzinsung von 5 Prozent (7,5 Prozent, 10 Prozent) pro Jahr versus Alternative B: Geldanlage ausschließlich in Unternehmen, die besonderen Wert auf Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit legen bei einer jeweiligen Verzinsung von 5 Prozent pro Jahr); positive Bewertung der Investition in umweltfreundliche Unternehmen durch Familie und Freunde; Glück (Skalometer); Lebenszufriedenheit (Skalometer). Urlaub: Urlaubsstatus; private Urlaubsreise in den letzten zwei Monaten; Monat der Rückkehr von dieser Urlaubsreise; Zufriedenheit mit der Urlaubsreise (Skalometer); Zufriedenheit mit ausgewählten Aspekten der Urlaubsreise (Zeit mit Anderen, Alltagssorgen vergessen, Entspannung und Erholung, Erlebnisse außerhalb des Alltags, verwöhnen lassen, zur Ruhe kommen, Natur genießen, Spaß, Shoppen, Spannendes erleben, Herausforderung, neue Leute kennenlernen, eigene Fähigkeiten zeigen, andere Kulturen erleben, Neues lernen, neue Fähigkeiten erwerben, eigene Fähigkeiten unter Beweis stellen, Sport treiben, Unabhängigkeit).
Zusätzlich verkodet wurde: Experimentalvariable.
Welle bd:
Psychologische Selbstcharakterisierung (Big 5: reserviert, vertrauensvoll, faul, entspannt, wenig künstlerisches Interesse, gesellig, Kritikneigung, gründlich, nervös, aktive Vorstellungskraft); persönliche Wertepräferenzen (Skala: Naturschutz, Hervorheben der eigenen Leistungen, Meinungsbildung, Traditionalismus, Toleranz, Reichtum, starker Staat, Wissenserwerb, Menschen helfen, neue Erfahrungen, Handlungsanweisungen geben, Gesetze befolgen, sich um jedes Bedürfnis anderer kümmern, Handlungsfreiheit, Wunsch nach Anerkennung der eigenen Leistung, Gerechtigkeit, Dinge ergründen); täglich genutzte Körperpflegeprodukte; Häufigkeit des Zähneputzens, von Sport und Solariumbesuchen; derzeitige Haarfarbe bei gefärbten oder getönten Haaren; Wichtigkeit modischer Kleidung; durchgeführte Diät; wöchentlich enthaarte Körperregionen; Anzahl Piercings; Anzahl Tätowierungen; Arten durchgeführter Schönheitsoperationen; intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Schönheitsoperationen; Wahrscheinlichkeit einer Schönheitsoperation; Selbsteinschätzung der Attraktivität; Einstellung zu Attraktivität (Skala: äußeres Erscheinungsbild fällt zuerst auf, attraktiven Menschen fliegt alles zu, Veränderung als einzige Möglichkeit für Zufriedenheit mit dem eigenen Aussehen, Wunschaussehen würde Leben vereinfachen, Medienbotschaften verhindern Zufriedenheit mit dem äußeren Erscheinungsbild, Bestes geben für möglichst gutes Aussehen); Selbsteinschätzung der Schichtzugehörigkeit; Körpergewicht in Kilogramm und Körpergröße in Zentimetern (Kategorien); Meinung zum politischen System in Deutschland (beste Form der Demokratie, bei der gewählte Politiker alle Entscheidungen fällen, Politiker entscheiden im Interesse der Bürger, Parlament als beste Institution zur Gesetzgebung); Meinung zur politischen Entscheidungsfindung (Abfragen von Bürgerpräferenzen, durch Experten, Bürgerbeteiligung bei wichtigen politischen Entscheidungen, Bürgerdiskussionen fördern und in Entscheidung einbeziehen, gewählte Politiker entscheiden, Bürger entscheiden); präferierter Weg der politischen Entscheidungsfindung: Diskussionen und Debatten vor Entscheidungen versus Entscheidungen fällen anstelle von Diskussionen und Debatten; präferierte Entscheidungsträger: Bürger versus gewählte Politiker, gewählte Politiker versus politisch unabhängige Experten, politisch unabhängige Experten versus Bürger); politische Partizipation: Teilnahmehäufigkeit an ausgewählten politischen Aktivitäten; Bereitschaft zu politischer Partizipation; subjektives Wohlbefinden: glücklich im gegenwärtigen Leben (Skalometer); Lebenszufriedenheit (Skalometer). Urlaub: Urlaubsstatus; private Urlaubsreise im Sommer 2014; Monat des Urlaubsendes; Nutzungshäufigkeit ausgewählter Möglichkeiten um Urlaubserfahrungen zu teilen (z.B. Telefonate, E-Mails, Blogeinträge, Erstellen von Urlaubsfotoalben im Internet, u.a.); Zufriedenheit mit der Urlaubsreise (Skalometer); Zufriedenheit mit ausgewählten Aspekten der Urlaubsreise (Zeit mit Anderen, Alltagssorgen vergessen, Entspannen, Erlebnisse außerhalb des Alltags, verwöhnen lassen, zur Ruhe kommen, Natur genießen, Spaß, Shoppen, Spannendes erleben, Herausforderung, neue Leute kennenlernen, eigene Fähigkeiten zeigen, andere Kulturen erleben, Neues lernen, neue Fähigkeiten erwerben, eigene Fähigkeiten unter Beweis stellen, Sport treiben, Unabhängigkeit); weitere Urlaubsreise geplant; Vorfreude auf diese Urlaubsreise; Monat des Urlaubsbeginns; bereits erfolgte Urlaubsplanung hinsichtlich Anreise, Unterkunft, Verpflegung bzw. Urlaubsaktivitäten; Gründe, warum keine Urlaubsreise unternommen wurde.
Zusätzlich verkodet wurde: Body-Mass-Index (BMI).
Welle bc:
Einstellungen zur Umwelt und Umweltverhalten: Großstadtnähe der Wohngegend; empfundene Beeinträchtigung durch Umwelteinflüsse (Lärmbelästigung, Luftverschmutzung, fehlende Grünflächen); Einstellung zum Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt (New Ecological Paradigm Scale); Zahlungsbereitschaft für den Umweltschutz in Bezug auf höhere Preise und Steuern und Abstriche vom Lebensstandard; Einstellung zur Energiewende (Skala); Meinung zum Atomausstieg; Deutschland sollte in der Klimaschutzpolitik vorangehen versus sich dem Tempo anderer Länder anpassen; Einschätzung des Klimawandels als ernstes Problem; Besitz einer Zeitkarte für den öffentlichen Personennahverkehr; Verfügbarkeit eines Autos; Nutzungshäufigkeit von Auto, Fahrrad, Bus oder Bahn in der Region sowie der Bahn auf längeren Strecken; Flugzeugnutzung im letzten Jahr für Privatreisen; Einkauf von Bio-Lebensmitteln und regionalem Obst und Gemüse in der letzten Woche; Bezug von Ökostrom. Wahlbeteiligung und Wahlentscheidung (Recall) bei der Europawahl am 25. Mai; Zufriedenheit mit den Leistungen der Bundesregierung; Zufriedenheit mit den Entscheidungen der EU; Selbsteinstufung Links-Rechts; Links-Rechts-Einstufung der Parteien CDU, CSU, SPD, FDP, Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und Alternative für Deutschland (AfD); Meinung zur Europäischen Einigung; Einstufung der vorgenannten Parteien hinsichtlich ihrer Haltung zur Europäischen Einigung; Verantwortung von Institutionen für die wirtschaftliche Lage in Deutschland (Bundesregierung, Internationaler Währungsfonds (IWF, IMF), Banken, Europäische Union); Wahlbeteiligung und Wahlentscheidung bei der Bundestagswahl 2013 (Erststimme und Zweitstimme, Recall); Wahrscheinlichkeit die Parteien CDU/CSU, SPD, FDP, Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und Alternative für Deutschland (AfD) zu wählen. Subjektive Einschätzung Vergesslichkeit (Metacognitive Prospective Memory Battery Capacity) und Anwendungshäufigkeit ausgewählter Alltagsstrategien gegen vergessen (MPMB Strategies). Subjektives Wohlbefinden: glücklich im derzeitigen Leben; Lebenszufriedenheit. Urlaubsreisen: Urlaubsstatus; geplante Urlaubsgestaltung im Sommer; Vorfreude auf die Urlaubsreise; Beginn (Monat) der nächsten Urlaubsreise; existierende Urlaubsplanung für Anreise, Unterkunft, Verpflegung und Urlaubsaktivitäten; Wichtigkeit ausgewählter Urlaubsmotive.
Welle bb:
Politikinteresse; politische Partizipation im letzten Jahr; Beteiligung an der letzten Kommunalwahl, Bürgermeisterwahl, Landtagswahl, Bundestagswahl und Europawahl; Wahlbeteiligungsabsicht und Wahlentscheidung bei der nächsten Bundestagwahl (Sonntagsfrage); Häufigkeit der Rezeption politischer Nachrichten; Häufigkeit der Internetnutzung für private Zwecke; Internetnutzung zur Informationssuche (über Freunde, Sport, Kunst oder Freizeitaktivitäten, Arbeit, Studieren oder Weiterbildung, Produkte, Einkäufe, soziale oder politische Themen sowie über Dienste oder Dienstleistungen); Häufigkeit der politischen Internetnutzung (Meinungsäußerung, Diskussionen, Weiterleiten von E-Mails, Unterschreiben einer Petition, soziale oder politische Beteiligung, Information über soziale und politische Themen; Nutzungshäufigkeit sozialer Netzwerke (Facebook, Twitter, andere); Häufigkeit der Beteiligung in Verbänden, Vereinen und Organisationen im letzten Jahr; Kontakthäufigkeit mit Freunden im letzten Jahr; Häufigkeit nachbarschaftlicher Kontakte (gegenseitige Besuche, Nachbarschaftshilfe, Streit mit Nachbarn); Wichtigkeit ausgewählter Lebensbereiche (Familie, Freunde und Bekannte, Freizeit, Politik, Arbeit und Religion); politische Wirksamkeit (Skala); Bürgerschaftsnormen (Skala: Solidarität mit schlechter Gestellten, Beteiligung an Wahlen, keine Steuerhinterziehung, Meinungsbildung unabhängig von anderen, Gesetze befolgen, aktiv in Organisationen und Vereinen, eigene Meinung kritisch überprüfen); Institutionenvertrauen (Bundestag, Bundesregierung, politische Parteien, Gerichte, Polizei, Politiker, Medien, Europäische Union, Vereinte Nationen, Bundesverfassungsgericht); allgemeines Personenvertrauen; Demokratiezufriedenheit; Parteiidentifikation und Stärke der Parteiidentifikation; Besorgnis im Hinblick auf die Begleichung von Rechnungen, die Reduzierung des Lebensstandards, den Job sowie die Abzahlung von Bankkrediten und Hypotheken; Meinung zu deutscher Krisenhilfe für andere EU-Mitgliedsstaaten; Lebenszufriedenheit; Glück; Häufigkeit von Treffen mit Freunden, Verwandten oder Arbeitskollegen; Teilnahme an geselligen Ereignissen im Vergleich zu Gleichaltrigen; Aktivitäten in den letzten zwölf Monaten (Ehrenamt, Fort- oder Weiterbildungskurs, Vereinstätigkeit bzw. in einer politischen Organisation oder Bürgerinitiative, Lesen von Büchern, Magazinen oder Zeitungen, Lösen von Kreuzwort- oder Zahlenrätsel, Kartenspiele oder andere Spiele); Gefühl persönlicher Wertschätzung von Nahestehenden; Zufriedenheit mit der Wirtschaftslage in Deutschland; Zufriedenheit mit den Leistungen der Bundesregierung; Forderung nach einer staatlichen Verringerung von Einkommensunterschieden; Beurteilung der allgemeinen Wirtschaftslage in Deutschland und der finanziellen Situation des eigenen Haushalts im Vergleich mit vergangenem Jahr und erwartete zukünftige Entwicklung im kommenden Jahr; allgemeine Gefühlslage (aktiv, bekümmert, interessiert, freudig erregt, verärgert, stark, schuldig, erschrocken, feindselig, angeregt, stolz, gereizt, begeistert, beschämt, wach, nervös, entschlossen, aufmerksam, durcheinander, ängstlich).
Fragebogenevaluation: Schwierigkeiten beim Verständnis des Fragebogens; Schwierigkeiten Antworten zu finden; eigene Bemühungen bei der Antwortauswahl; Angemessenheit der Fragebogenlänge; Fragebogen bot Möglichkeit eigene Meinung auszudrücken; Spaß am Ausfüllen.
Welle ba:
Glücklich im bisherigen Leben, derzeit und zukünftig; Lebenszufriedenheit im bisherigen Leben, derzeit und zukünftig; Wichtigkeit ausgewählter Lebensbereiche (eigene Familie, Arbeit, Freizeit, Freunde, Nachbarschaft, finanzielle Situation) und Zufriedenheit mit diesen Lebensbereichen; Häufigkeit ausgewählter Gefühle in der letzten Woche (deprimiert oder niedergeschlagen, alles anstrengend, unruhiger Schlaf, glücklich, einsam, Leben genießen, traurig, antriebslos); Vergleichsperson oder Vergleichsgruppe für die eigene Familie (Arbeitskollegen, Familienmitglieder, Freunde, Nachbarn, andere); Wichtigkeit der eigenen Familie für diese Vergleichsperson; Zufriedenheit der Vergleichsperson mit der eigenen Familie; Vergleichsperson oder Vergleichsgruppe in Bezug auf die finanzielle Situation; Wichtigkeit der eigenen finanziellen Situation für diese Vergleichsperson; Zufriedenheit der Vergleichsperson mit der eigenen finanziellen Situation; Art der räumlichen Orientierung im Alltag (in einer unbekannten Stadt, der eigenen Stadt, einem Gebäude, vom gegenwärtigen Standort aus, in freier Natur, nach den Himmelsrichtungen, mentale Karte der Umgebung, Ziel problemlos finden, Vogelperspektive, unbekannte Umgebung, mentale Karte der eigenen Stadt, Wege merken allgemein und in Gebäuden, Orientierungssinn, markante Gebäude, Stadt als Karte, Himmelsrichtungen in freier Natur, Gebäudeeingang, mentale Karte einer unbekannten Stadt); genutzte Hilfsmittel für die Wegeplanung (Navigationssystem im Auto, Routenplaner im Internet, als Fußgänger Smartphone mit Navigationsfunktion, gedrucktes Kartenmaterial); Besitz eines mobilen Navigationsgeräts, eines Smartphones mit Navigationsfunktion, eines Autos mit fest eingebautem Navigationssystem, Tablet-PC mit Navigationsfunktion; gesicherte Erdölversorgung in 25 Jahren versus kein Erdöl mehr in 15 Jahren); jeder Ölkonzern bestimmt seine eigenen Preise versus Preisabsprachen; Verantwortlichkeit des Staates für angemessenen Wohnraum versus Eigenverantwortung; gesellschaftliche Umstände versus Einzelpersonen verantwortlich für Kriminalität und Gesetzlosigkeit; Staat sollte für Arbeit und guten Lebensstandard sorgen versus nicht dafür sorgen; zu harter Umgang der Gerichte mit Kriminellen versus nicht hart genug; Leitung der Regierung von klugen Leuten versus wissen nicht was sie tun; Meinung zur Korruptheit der Regierung; Meinung zu einem Gesetz zum Einsparen von Heizenergie bei Brennstoffmangel; Meinung zur verpflichtenden Gewerkschaftsmitgliedschaft aller Arbeitnehmer eines Unternehmens; Meinung zum gesetzlich erlaubten Schwangerschaftsabbruch bei einer ernsthaften Schädigung des Babys und für verheiratete Frauen mit abgeschlossener Familienplanung; Meinung zur Unterstützung von Parteien durch Unternehmen bzw. von Gewerkschaften; Meinung zur gleichen Eignung von Männern und Frauen für Politik; Kompliziertheit der Politik; Meinung zur Redefreiheit; Klimawandel: Veränderung der Durchschnittstemperaturen der letzten drei Jahre; allgemeines Personenvertrauen; weiterhin Ungleichheit aufgrund des Nutzens für Reiche und Mächtige.
Fragebogenevaluation: Schwierigkeiten beim Verständnis des Fragebogens; Schwierigkeiten Antworten zu finden; eigene Bemühungen bei der Antwortauswahl; Angemessenheit der Fragebogenlänge; Fragebogen bot Möglichkeit eigene Meinung auszudrücken; Spaß am Ausfüllen.
Zusätzlich verkodet wurden: diverse Experimentalvariablen; Einladungsmodus; Teilnahmemodus; Teilnahme; Datum Feldstart und Feldende; AAPOR wave code; Fragebogenevaluation (interessant, abwechslungsreich, wichtig für Wissenschaft, lang, schwierig, zu persönlich) und Gesamtbewertung des Fragebogens; Verständlichkeit der Fragen; gedankliche Anregung durch die Fragen; Teilnahmeunterbrechung; Dauer der Unterbrechung; Anwesende während des Interviews; Teilnahmeort (zuhause, anderer Ort); Teilnahmegerät; Feedback des Befragten; Datum (Tag, Monat, Jahr), an dem der Fragebogen ausgefüllt wurde; geschätzte Dauer.
Willkommensbefragung: Mediennutzung: Fernsehkonsum, Radiokonsum und Zeitungskonsum pro Tag; wichtigste politische Probleme im Land; Zufriedenheit mit den Leistungen der Bundesregierung (Skalometer); Demokratiezufriedenheit; Zufriedenheit mit der gegenwärtigen Wirtschaftslage im Land (Skalometer); Politikinteresse; Selbsteinstufung Links-Rechts; Bürgerpflichten (Skala). Wohnumfeld: Bundesland Ost/West (geografisch); Region; Beurteilung der Lebensqualität in der Region; empfundene Beeinträchtigung durch Lärmbelästigung, Luftverschmutzung und fehlende Grünanlagen; Beurteilung der sozialen Beziehungen in der Wohngegend; Wohnortwechsel in der Vergangenheit; Verbundenheit mit dem Wohnort, der Region, dem Bundesland, Deutschland und Europa. Freizeit: Wunsch nach mehr Zeit für ausgewählte Freizeitaktivitäten; Einstellung zum Beruf: Kriterien eines idealen Berufs; persönliche Prioritäten (Wohlstand, für andere da sein, Selbstverwirklichung, Kinder, Erfolg im Beruf, Hausbesitz, Ehe bzw. Partnerschaft, politisches Engagement, Reisen).
Zusätzlich verkodet wurde: Einladungsmodus; Teilnahmemodus; Datum Feldstart und Feldende; Einladungsmodus bei der ersten Welle; ursprünglicher Panel-Modus; AAPOR Standard Disposition Code; Fragebogenevaluation (interessant, abwechslungsreich, wichtig für Wissenschaft, lang, schwierig, zu persönlich) und Gesamtbewertung des Fragebogens; Verständlichkeit der Fragen; gedankliche Anregung durch die Fragen; Teilnahmeunterbrechung; Anwesende während des Interviews; Teilnahmeort (zuhause, anderer Ort); Teilnahmegerät; Feedback des Befragten.
Rekrutierungsbefragung: Allgemeine Lebenszufriedenheit; Zufriedenheit mit dem Wohnort; Zufriedenheit mit dem Leben in Deutschland; soziales Vertrauen: allgemeines Personenvertrauen, kein Verlass auf Andere, Vorsicht gegenüber Fremden; erwarteter Lebensstandard der jungen Generation im Vergleich zu den Eltern; Häufigkeit ausgewählter Freizeitaktivitäten; Internetnutzung: private Internetnutzung; Häufigkeit der privaten Internetnutzung mittels Tischcomputer bzw. Laptop, Mobiltelefon bzw. Smartphone und Tablet PC; Technikaffinität (Skala); Umfrageerfahrung insgesamt; Teilnahmehäufigkeit an Umfragen online, postalisch und persönlich; Wichtigkeit verschiedener Lebensbereiche und Zufriedenheit in diesen Bereichen (eigene Familie, Beruf, Freizeit); Emotionen bei Gedanken an die Familie, den Beruf und die Freizeit.
Demographie: Geschlecht; Alter (kategorisiert); deutsche Staatsangehörigkeit; Geburtsland des Befragten und seiner Eltern (Migrationshintergrund); Jahr der Einwanderung; Familienstand; fester Lebenspartner; gemeinsamer Haushalt mit dem Partner; höchster Schulabschluss; beruflicher Ausbildungsabschluss; Erwerbssituation; Art der Erwerbslosigkeit; Berufsgruppe; Haushaltsgröße; Kinder im Haushalt unter 16 Jahren und Alter dieser Kinder; persönliches Nettoeinkommen und Haushaltsnettoeinkommen (kategorisiert).
Zusätzlich verkodet wurde: Interesse an einer Paneleinladung; Befragter zögert bei Paneleinladung; Modus Onliner; Angabe der E-Mail-Adresse; Angabe der Telefonnummer; Modus im Sinne der Studie (Onliner oder Offliner); Einladungsmodus für Willkommensbefragung (Online oder Offline).
Administrative Variablen: Befragten-ID; Versionskennung und Versionsdatum.
Welche Variablen sollten berücksichtigt werden, um die Wirtschaft der bronzezeitlichen Gesellschaften zu erfassen? Die Mittel der Archäologie erlauben verschiedene Analyseniveaus. Das Gros des Fundmaterials, insbesondere, wenn dieses aus Präventivgrabungen resultiert, dokumentiert die alltäglichen Aktivitäten. Siedlungen, Speicherstrukturen, Abfallgruben. dokumentieren die Grundlagen der Subsistenzwirtschaft. Auf den ersten Blick vollzieht sich die Entwicklung von Ackerbau und Viehzucht nur sehr langsam; den schnellen Veränderungen, die andere technische Systeme wie zum Beispiel die Metallurgie betreffen, ist sie nur wenig ausgesetzt. Umreißt diese scheinbare Starrheit eine neolithische Wirtschaft, deren Strukturen sich mit Neuerungen schwer tun? Die Beobachtungen auf der Ebene einer archäologischen Fundstätte oder kleiner Territorien lassen eine komplexere Situation erkennen. Die landwirtschaftlichen Einrichtungen weisen, je nach Region und Stufe der Bronzezeit, eine recht große Variabilität auf und zeugen von einer Mikroökonomie, deren Infrastrukturen sich den Veränderungen der Größenordnungen bezüglich der Produktivität anpassen zu scheinen. Die landwirtschaftliche Orientierung mancher um Speichergruben oder oberirdische Speicherbauten gruppierter Gehöfte kontrastiert mit vergänglicheren Siedlungsstrukturen, die einer anderen territorialen Bindung entsprechen. Während die Besiedlung und Bodenbewirtschaftung der großen Ebenen und der Plateaus unbeständig ist, bewirken andere Territorien – zum Beispiel die Bergregionen – entgegengesetzte symmetrische Dynamiken. Die Beweidung der Mittelgebirge, zum Beispiel des Pyrenäenmassivs, während der Mittelbronzezeit, steht ganz offensichtlich in Zusammenhang mit spezialisierten Orientierungen der Produktionswirtschaft. Die Veränderungen im Bereich von Ackerbau und Viehzucht begleiten die bedeutenden Veränderungen, die sich in der bronzezeitlichen Gesellschaft vollziehen. Dieser Prozess führt zu Beginn des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung zur Herausbildung von Territorien, in denen bestimmte Siedlungsformen eine polarisierende Rolle spielen. Durch die wirtschaftlichen Umstände bedingt, geben manche befestigte oder durch ihre geografische Lage natürlich geschützte Siedlungen am Ende der Spätbronzezeit den Ackerbau und die Viehzucht auf; sie zeugen von einer "handwerklichen Kleinproduktion" (Karl Marx). Die in den Abfallgruben dieser Siedlungen nachgewiesenen Reste, die man bei Ackerbau oder Viehzucht betreibenden Gemeinschaften nicht vermutet, zeugen von der Schlüsselposition dieser Siedlungen im Transfer der Rohstoffe und bestimmter handwerklicher Erzeugnisse. Die in den Höhensiedlungen durchgeführten Grabungen zeigen deutlich, dass diese Orte am Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit sowohl in sozialer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine bedeutende Rolle spielen. Stellt dieser Prozess deshalb den Höhepunkt eines Mechanismus' dar, der zu Beginn des zweiten Jahrtausends vor unserer Zeit in Gang gekommen war? Die Produktion von Rohstoffen – und insbesondere der Abbau von Metallen, wie Kupfer, Zinn und Blei – erfährt damals auf dem Gebiet des heutigen Frankreich bezüglich der Techniken und der Austauschnetze Veränderungen, die nur erfasst werden können, wenn man eine andere Ebene als die des besagten Gebietes betrachtet. In Südfrankreich entwickelt sich die am Ende des 4. Jahrtausends vor unserer Zeit einsetzende Kupfermetallurgie nach einem multipolaren Modell, welches die Vielfalt der Ressourcen valorisiert, die am Südhang des Zentralmassivs belegt sind. Dieses Produktionsschema, bei dem sich der Absatz auf einen begrenzten Raum beschränkt, ruht während der ganzen Bronzezeit, während die Vorkommen in den Alpen, auf den britischen Inseln und der iberischen Halbinsel intensiv abgebaut werden. Einige regionale Gruppen werden aufhören die Kupferlager auszubeuten, über die sie verfügen, um den Erwerb der Rohstoffe durch Tausch zu privilegieren. Das in Form von Barren, Stangen, Rohlingen (.) transportierte Metall ist Teil einer Warenwirtschaft, die die Unterhaltung von regionalen und überregionalen Handelsnetzen erfordert. Gleichwohl ist der Metallkonsum räumlich und zeitlich nicht gleichmäßig verteilt. So ist er in einigen Kulturräumen, wie zum Beispiel an der Atlantikküste, auffallend hoch. Südfrankreich steht dagegen am Rande dieses Prozesses. In noch höherem Masse werden durch die über eine lange Periode bestehenden Handelsnetze territoriale Organisationen fassbar, die insbesondere an der Verbreitung seltener Waren, so genannter "Prestigegüter" mit hohem technologischem Wert erkennbar sind. Der Vertrieb dieser Waren, die nur von wenigen Individuen der bronzezeitlichen Gesellschaft konsumiert werden, beschreibt eine in die makrohistorischen Netze des Typus économie-monde gehörende Wirtschaft. Durch diese Darstellung zeichnen sich einige bedeutende Tendenzen ab und insbesondere die Frage nach den Zeitlichkeiten: In welchem Rhythmus und zu welchem Zeitpunkt vollzieht sich der Wandel in jeder dieser Sphären, auf die wir hingewiesen haben? Der Handel mit Prestigegütern wird oft angeführt, um den wirtschaftlichen Rhythmus und die Schaffung eines in fortwährender Expansion befindlichen Systems, sowohl in geographischer als auch in quantitativer Hinsicht, zu beschreiben, er wird mehr oder weniger objektiv als ein evolutives Prinzip, Produkt eines Wachstums angesehen. Dieser Argumentation zufolge, ließen sich die Etappen des Wandels von den technologischen Neuerungen und der geschichtlichen Abfolge ihres Auftauchens in benachbarten kulturellen Kulturräumen herleiten. Der Mechanismus des Austauschs und der Verbreitung der Neuerungen sei als deren treibende Kraft anzusehen. Er würde auf Dauer und unvermeidlich zu einer Regulation der Wirtschaft führen, bei der die Politik eine herausragende Rolle spielt. Diesem Modell zufolge, würde dem Beitrag der langwierigen Konstruktion der wirtschaftlichen Struktur sowie den im Bereich der Subsistenzwirtschaft auftretenden Änderungen nur eine Nebenrolle zukommen. Wir können diesem Modell zahlreiche Argumente entgegenhalten und die Zeitlichkeiten umkehren, indem wir annehmen, dass die Änderungen, selbst die unscheinbarsten, die Struktur der Wirtschaft dokumentieren. Die Definition und Quantifizierung von Ackerbau und Viehzucht liefert eine wichtige Dokumentation, die vor allem eine Auf- und Ab-Bewegung mit ihrem vor Augen führt, bei der sich Phasen intensiver Produktion mit solchen der Rezession abwechseln. Die Rohstoffproduktion, insbesondere die der Metalle, spiegelt die unterschiedlichen Ebenen der Konsequenzen wieder, die sie zur Folge hat, je nachdem, ob man Metall produziert oder nicht. Die Betreuung eines – die Pflege sozialer Beziehungen erfordernden – "Marktes" muss als eine freie Entscheidung und nicht als ein deterministischer Zwang angesehen werden. So entstehen Verbindungen zwischen dem Bereich der Subsistenzwirtschaft und dem der Rohstoffwirtschaft. Wenn man diesem Schema folgt, dann können die kulturellen Einheiten als kohärente Räume angesehen werden, innerhalb derer die Waren und die Ideen zirkulieren und so Teil des Tauschgeschäfts sind. Die Grenzen und die Zeitlichkeiten dieser Einheiten lassen die Rhythmen ihres Wandels erkennen, indem sie Krisen, Beschleunigungen beschreiben . Dieses in der Spätbronzezeit klar erkennbare Modell weist der Diffusion der Neuerungen eine zentrale Rolle zu; der Prozess, der sich vollzieht, kann nicht nur dadurch erklärt werden, dass ausschließlich die "Eliten" daran teilhaben. Schließlich stellt sich die Schwierigkeit, diese unterschiedlichen Analyseergebnisse miteinander in Einklang zu bringen, um einen kohärenten Diskurs vorzuschlagen. Wir können einige Hauptideen herausarbeiten: - Die kulturellen Einheiten – Gruppen und technische Komplexe - bilden kohärente, die Organisation der Wirtschaft strukturierende Entitäten; - Der arrhythmische, asynchrone und multipolare Aspekt der treibenden Kräfte des Wandels ist das Ergebnis der Wahrung komplexer auf der Ebene der kulturellen Einheiten ausgeübter Gleichgewichte; - Die Subsistenzwirtschaft beschreibt ein nicht lineares System und zeugt von Zeiten des Wachstums und des wirtschaftlichen Rückgangs. Diese Systeme sind unbeständig und Krisen ausgesetzt, die sich größtenteils durch die Spannungen zwischen den sozialen und wirtschaftlichen Strukturen ergeben. ; Which among the many different variables can we interrogate to understand the economy of Bronze Age societies? The tools that archaeology has at its disposal, enables us to reach different levels of analysis. The majority of our documentation, especially when it results from preventive digs, describes the daily activities. Habitats, conservation structures, domestic dumpsters. describe the basis of the subsistence economy. Firstly, agro-pastoral's history stretches over a long period of time, and is only slightly exposed to rapid change, which seems to affect other technical systems, such as metallurgy. Does this apparent opposition to progress depict the outlines of a Neolithic economy of which structures had great difficulty in renewing themselves? The observations conducted on the scale of an archaeological site or enlarged to small territories describe a more complex situation. According to the regions and to the different periods of the Bronze Age, the agricultural structures show a great variability and are witness of a micro-economy of which infra-structures seemingly adapt to the change of scale. The agricultural orientation of certain settlements, formed around buried or aerial storage structures contrasts with more temporary structures, related to a different type of territorial anchorage. Whereas the wide plains and the plateaus know variations in their occupation and in the exploitation of the agricultural fields, other areas, such as mountain ranges, engender opposed symmetric dynamics. The pastoral exploitation in areas of average mountain height, such as the Pyrenean range during the Middle Bronze Age, is obviously related to a specialized economy of production. The complete change affecting the sphere of the agro-pastoral economy was followed by heavy mutations in the Bronze Age society. This process leads, at the dawn of the first millennium B.C., to the elaboration of territories in which certain settlements play a polarizing role. Related to the economic climate of that time, certain fortified or naturally protected sites at the very end of the Bronze Age, lose their traditional agro-pastoral role; they are the witness «to small merchant productions» to quote the terminology of Karl Marx. Occupying a key position in the transfer of raw materials and certain manufactured goods, the dumpsters of these settlements indicate a consumption going far beyond the norm of agricultural and pastoral human units. The excavations carried out on hill-fort type settlements undoubtedly show that these sites play at the same time an essential social and economic role. Does this mean that this process constitutes a peak of a mechanism engaged at the beginning of the second millennium B.C.? The production of raw materials – particularly metallic resources such as copper, tin and lead – undergoes on France's current territory a change in the techniques as well as in the distribution networks which can only be apprehended on a different scale than the one affected by these mutations. In the south of France, the production of the first copper objects which takes place at the very end of the 4th millennium BC develops according to a multipolar model which increases the diversity of the types of resources known on the southern slope of the Massif Central. This system of production, which is in keeping with a model of poor spatial diffusion, is interrupted during the entire Bronze Age whereas the alpine sphere, the British islands, and the Iberian Peninsula will be an area of intensive production. In an indebted position, certain regional groups will cease the exploitation of their copper resources to privilege the acquisition of raw materials through trade. Transported in the shape of ingots, bars or rough outlines, metal partakes of an economy of goods requiring the maintenance of trade networks on a regional and even wider scale. Nevertheless, metal consumption doesn't invest a homogenous aspect in time and space. Thus, certain cultural areas, such as the Atlantic coast, consume openly metallic goods. Southern France on the other hand remains out of these processes. To an even higher degree, the long-term trade networks enable us to access wider territorial organisations, notably revealed by the distribution of rare products, known as « prestige » goods, invested with a strong technological value. The distribution of these goods, only consumed by a handful of people making up the Bronze Age society, depicts an economy inscribed in macro-historical networks, belonging to the "économie-monde" type (F. Braudel). Some important tendencies can be deduced from the above statements; firstly the question of temporality. One wonders what was the rhythm and at which moment these changes took place in the different spheres mentioned? Whereas the economy of prestige goods is frequently put forward to describe the economic pulse and the development of a system constantly expanding geographically and quantitatively. This economy is considered more or less objectively as an evolutionary principle, resulting from economic growth. According to this reasoning, the stages of change follow the technological innovations and also the history of their appearance in contiguous cultural areas. The mechanism of these exchanges and the diffusion of the innovations would therefore constitute the driving force. This would lead with time, ineluctably to the appearance of a regulation of the economy, where the political sphere would play an overwhelming role. According to these models, the part played by the long period of time to the construction of the economical structure as well as the changes intervening in the sphere of the subsistence economy can be considered as indirect factors. Many arguments can oppose this model and reverse the temporalities by considering the changes, even the most discreet, as describing the structure of the economy. The definition and the quantification of the agro-pastoral activities provide an essential documentation which recounts even more an oscillatory movement, demonstrated by the establishment of intensive production structures. The economy linked to the production of raw materials, notably metal, is indicative of the different levels of implication according to a producing or non-producing position. This « market » guardianship, requiring the upkeep of social relations, should be as a choice and not as a determinating constraint. Structuring takes place between the sphere of subsistence and the sphere of the raw material economy. Following this scheme, the cultural entities can be considered as coherent spaces in which goods and ideas circulate (.) attributed to the exchange market. The outlines and the temporalities of these entities give us a glimpse of their rhythms and their modifications, describing crisis and accelerations. Clearly asserted during the end of the Bronze Age, this model confers to the spreading of the innovations a central role; the fact that only the « elite » gain from this is not a sufficient explanation for the process being established. In fine, the main difficulty is to make these different layers coincide in order to propose a consistent discourse. Some strong ideas can be identified: - cultural entities – groups and technical complexes - constitute coherent units which structure the economic organization; - the non rhythmical, non synchronic and multipolar aspect of the dynamics of change results from the maintenance of the complex balances which manifest at the scale of cultural entities; - subsistence economy describes a non-linear system and shows episodes of growth and withdrawal. These systems are fragile and exposed to crisis, which result, for a large part, from the inadequacy between the social and the economic structures
Welche Variablen sollten berücksichtigt werden, um die Wirtschaft der bronzezeitlichen Gesellschaften zu erfassen? Die Mittel der Archäologie erlauben verschiedene Analyseniveaus. Das Gros des Fundmaterials, insbesondere, wenn dieses aus Präventivgrabungen resultiert, dokumentiert die alltäglichen Aktivitäten. Siedlungen, Speicherstrukturen, Abfallgruben. dokumentieren die Grundlagen der Subsistenzwirtschaft. Auf den ersten Blick vollzieht sich die Entwicklung von Ackerbau und Viehzucht nur sehr langsam; den schnellen Veränderungen, die andere technische Systeme wie zum Beispiel die Metallurgie betreffen, ist sie nur wenig ausgesetzt. Umreißt diese scheinbare Starrheit eine neolithische Wirtschaft, deren Strukturen sich mit Neuerungen schwer tun? Die Beobachtungen auf der Ebene einer archäologischen Fundstätte oder kleiner Territorien lassen eine komplexere Situation erkennen. Die landwirtschaftlichen Einrichtungen weisen, je nach Region und Stufe der Bronzezeit, eine recht große Variabilität auf und zeugen von einer Mikroökonomie, deren Infrastrukturen sich den Veränderungen der Größenordnungen bezüglich der Produktivität anpassen zu scheinen. Die landwirtschaftliche Orientierung mancher um Speichergruben oder oberirdische Speicherbauten gruppierter Gehöfte kontrastiert mit vergänglicheren Siedlungsstrukturen, die einer anderen territorialen Bindung entsprechen. Während die Besiedlung und Bodenbewirtschaftung der großen Ebenen und der Plateaus unbeständig ist, bewirken andere Territorien – zum Beispiel die Bergregionen – entgegengesetzte symmetrische Dynamiken. Die Beweidung der Mittelgebirge, zum Beispiel des Pyrenäenmassivs, während der Mittelbronzezeit, steht ganz offensichtlich in Zusammenhang mit spezialisierten Orientierungen der Produktionswirtschaft. Die Veränderungen im Bereich von Ackerbau und Viehzucht begleiten die bedeutenden Veränderungen, die sich in der bronzezeitlichen Gesellschaft vollziehen. Dieser Prozess führt zu Beginn des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung zur Herausbildung von Territorien, in denen bestimmte Siedlungsformen eine polarisierende Rolle spielen. Durch die wirtschaftlichen Umstände bedingt, geben manche befestigte oder durch ihre geografische Lage natürlich geschützte Siedlungen am Ende der Spätbronzezeit den Ackerbau und die Viehzucht auf; sie zeugen von einer "handwerklichen Kleinproduktion" (Karl Marx). Die in den Abfallgruben dieser Siedlungen nachgewiesenen Reste, die man bei Ackerbau oder Viehzucht betreibenden Gemeinschaften nicht vermutet, zeugen von der Schlüsselposition dieser Siedlungen im Transfer der Rohstoffe und bestimmter handwerklicher Erzeugnisse. Die in den Höhensiedlungen durchgeführten Grabungen zeigen deutlich, dass diese Orte am Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit sowohl in sozialer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine bedeutende Rolle spielen. Stellt dieser Prozess deshalb den Höhepunkt eines Mechanismus' dar, der zu Beginn des zweiten Jahrtausends vor unserer Zeit in Gang gekommen war? Die Produktion von Rohstoffen – und insbesondere der Abbau von Metallen, wie Kupfer, Zinn und Blei – erfährt damals auf dem Gebiet des heutigen Frankreich bezüglich der Techniken und der Austauschnetze Veränderungen, die nur erfasst werden können, wenn man eine andere Ebene als die des besagten Gebietes betrachtet. In Südfrankreich entwickelt sich die am Ende des 4. Jahrtausends vor unserer Zeit einsetzende Kupfermetallurgie nach einem multipolaren Modell, welches die Vielfalt der Ressourcen valorisiert, die am Südhang des Zentralmassivs belegt sind. Dieses Produktionsschema, bei dem sich der Absatz auf einen begrenzten Raum beschränkt, ruht während der ganzen Bronzezeit, während die Vorkommen in den Alpen, auf den britischen Inseln und der iberischen Halbinsel intensiv abgebaut werden. Einige regionale Gruppen werden aufhören die Kupferlager auszubeuten, über die sie verfügen, um den Erwerb der Rohstoffe durch Tausch zu privilegieren. Das in Form von Barren, Stangen, Rohlingen (.) transportierte Metall ist Teil einer Warenwirtschaft, die die Unterhaltung von regionalen und überregionalen Handelsnetzen erfordert. Gleichwohl ist der Metallkonsum räumlich und zeitlich nicht gleichmäßig verteilt. So ist er in einigen Kulturräumen, wie zum Beispiel an der Atlantikküste, auffallend hoch. Südfrankreich steht dagegen am Rande dieses Prozesses. In noch höherem Masse werden durch die über eine lange Periode bestehenden Handelsnetze territoriale Organisationen fassbar, die insbesondere an der Verbreitung seltener Waren, so genannter "Prestigegüter" mit hohem technologischem Wert erkennbar sind. Der Vertrieb dieser Waren, die nur von wenigen Individuen der bronzezeitlichen Gesellschaft konsumiert werden, beschreibt eine in die makrohistorischen Netze des Typus économie-monde gehörende Wirtschaft. Durch diese Darstellung zeichnen sich einige bedeutende Tendenzen ab und insbesondere die Frage nach den Zeitlichkeiten: In welchem Rhythmus und zu welchem Zeitpunkt vollzieht sich der Wandel in jeder dieser Sphären, auf die wir hingewiesen haben? Der Handel mit Prestigegütern wird oft angeführt, um den wirtschaftlichen Rhythmus und die Schaffung eines in fortwährender Expansion befindlichen Systems, sowohl in geographischer als auch in quantitativer Hinsicht, zu beschreiben, er wird mehr oder weniger objektiv als ein evolutives Prinzip, Produkt eines Wachstums angesehen. Dieser Argumentation zufolge, ließen sich die Etappen des Wandels von den technologischen Neuerungen und der geschichtlichen Abfolge ihres Auftauchens in benachbarten kulturellen Kulturräumen herleiten. Der Mechanismus des Austauschs und der Verbreitung der Neuerungen sei als deren treibende Kraft anzusehen. Er würde auf Dauer und unvermeidlich zu einer Regulation der Wirtschaft führen, bei der die Politik eine herausragende Rolle spielt. Diesem Modell zufolge, würde dem Beitrag der langwierigen Konstruktion der wirtschaftlichen Struktur sowie den im Bereich der Subsistenzwirtschaft auftretenden Änderungen nur eine Nebenrolle zukommen. Wir können diesem Modell zahlreiche Argumente entgegenhalten und die Zeitlichkeiten umkehren, indem wir annehmen, dass die Änderungen, selbst die unscheinbarsten, die Struktur der Wirtschaft dokumentieren. Die Definition und Quantifizierung von Ackerbau und Viehzucht liefert eine wichtige Dokumentation, die vor allem eine Auf- und Ab-Bewegung mit ihrem vor Augen führt, bei der sich Phasen intensiver Produktion mit solchen der Rezession abwechseln. Die Rohstoffproduktion, insbesondere die der Metalle, spiegelt die unterschiedlichen Ebenen der Konsequenzen wieder, die sie zur Folge hat, je nachdem, ob man Metall produziert oder nicht. Die Betreuung eines – die Pflege sozialer Beziehungen erfordernden – "Marktes" muss als eine freie Entscheidung und nicht als ein deterministischer Zwang angesehen werden. So entstehen Verbindungen zwischen dem Bereich der Subsistenzwirtschaft und dem der Rohstoffwirtschaft. Wenn man diesem Schema folgt, dann können die kulturellen Einheiten als kohärente Räume angesehen werden, innerhalb derer die Waren und die Ideen zirkulieren und so Teil des Tauschgeschäfts sind. Die Grenzen und die Zeitlichkeiten dieser Einheiten lassen die Rhythmen ihres Wandels erkennen, indem sie Krisen, Beschleunigungen beschreiben . Dieses in der Spätbronzezeit klar erkennbare Modell weist der Diffusion der Neuerungen eine zentrale Rolle zu; der Prozess, der sich vollzieht, kann nicht nur dadurch erklärt werden, dass ausschließlich die "Eliten" daran teilhaben. Schließlich stellt sich die Schwierigkeit, diese unterschiedlichen Analyseergebnisse miteinander in Einklang zu bringen, um einen kohärenten Diskurs vorzuschlagen. Wir können einige Hauptideen herausarbeiten: - Die kulturellen Einheiten – Gruppen und technische Komplexe - bilden kohärente, die Organisation der Wirtschaft strukturierende Entitäten; - Der arrhythmische, asynchrone und multipolare Aspekt der treibenden Kräfte des Wandels ist das Ergebnis der Wahrung komplexer auf der Ebene der kulturellen Einheiten ausgeübter Gleichgewichte; - Die Subsistenzwirtschaft beschreibt ein nicht lineares System und zeugt von Zeiten des Wachstums und des wirtschaftlichen Rückgangs. Diese Systeme sind unbeständig und Krisen ausgesetzt, die sich größtenteils durch die Spannungen zwischen den sozialen und wirtschaftlichen Strukturen ergeben. ; Which among the many different variables can we interrogate to understand the economy of Bronze Age societies? The tools that archaeology has at its disposal, enables us to reach different levels of analysis. The majority of our documentation, especially when it results from preventive digs, describes the daily activities. Habitats, conservation structures, domestic dumpsters. describe the basis of the subsistence economy. Firstly, agro-pastoral's history stretches over a long period of time, and is only slightly exposed to rapid change, which seems to affect other technical systems, such as metallurgy. Does this apparent opposition to progress depict the outlines of a Neolithic economy of which structures had great difficulty in renewing themselves? The observations conducted on the scale of an archaeological site or enlarged to small territories describe a more complex situation. According to the regions and to the different periods of the Bronze Age, the agricultural structures show a great variability and are witness of a micro-economy of which infra-structures seemingly adapt to the change of scale. The agricultural orientation of certain settlements, formed around buried or aerial storage structures contrasts with more temporary structures, related to a different type of territorial anchorage. Whereas the wide plains and the plateaus know variations in their occupation and in the exploitation of the agricultural fields, other areas, such as mountain ranges, engender opposed symmetric dynamics. The pastoral exploitation in areas of average mountain height, such as the Pyrenean range during the Middle Bronze Age, is obviously related to a specialized economy of production. The complete change affecting the sphere of the agro-pastoral economy was followed by heavy mutations in the Bronze Age society. This process leads, at the dawn of the first millennium B.C., to the elaboration of territories in which certain settlements play a polarizing role. Related to the economic climate of that time, certain fortified or naturally protected sites at the very end of the Bronze Age, lose their traditional agro-pastoral role; they are the witness «to small merchant productions» to quote the terminology of Karl Marx. Occupying a key position in the transfer of raw materials and certain manufactured goods, the dumpsters of these settlements indicate a consumption going far beyond the norm of agricultural and pastoral human units. The excavations carried out on hill-fort type settlements undoubtedly show that these sites play at the same time an essential social and economic role. Does this mean that this process constitutes a peak of a mechanism engaged at the beginning of the second millennium B.C.? The production of raw materials – particularly metallic resources such as copper, tin and lead – undergoes on France's current territory a change in the techniques as well as in the distribution networks which can only be apprehended on a different scale than the one affected by these mutations. In the south of France, the production of the first copper objects which takes place at the very end of the 4th millennium BC develops according to a multipolar model which increases the diversity of the types of resources known on the southern slope of the Massif Central. This system of production, which is in keeping with a model of poor spatial diffusion, is interrupted during the entire Bronze Age whereas the alpine sphere, the British islands, and the Iberian Peninsula will be an area of intensive production. In an indebted position, certain regional groups will cease the exploitation of their copper resources to privilege the acquisition of raw materials through trade. Transported in the shape of ingots, bars or rough outlines, metal partakes of an economy of goods requiring the maintenance of trade networks on a regional and even wider scale. Nevertheless, metal consumption doesn't invest a homogenous aspect in time and space. Thus, certain cultural areas, such as the Atlantic coast, consume openly metallic goods. Southern France on the other hand remains out of these processes. To an even higher degree, the long-term trade networks enable us to access wider territorial organisations, notably revealed by the distribution of rare products, known as « prestige » goods, invested with a strong technological value. The distribution of these goods, only consumed by a handful of people making up the Bronze Age society, depicts an economy inscribed in macro-historical networks, belonging to the "économie-monde" type (F. Braudel). Some important tendencies can be deduced from the above statements; firstly the question of temporality. One wonders what was the rhythm and at which moment these changes took place in the different spheres mentioned? Whereas the economy of prestige goods is frequently put forward to describe the economic pulse and the development of a system constantly expanding geographically and quantitatively. This economy is considered more or less objectively as an evolutionary principle, resulting from economic growth. According to this reasoning, the stages of change follow the technological innovations and also the history of their appearance in contiguous cultural areas. The mechanism of these exchanges and the diffusion of the innovations would therefore constitute the driving force. This would lead with time, ineluctably to the appearance of a regulation of the economy, where the political sphere would play an overwhelming role. According to these models, the part played by the long period of time to the construction of the economical structure as well as the changes intervening in the sphere of the subsistence economy can be considered as indirect factors. Many arguments can oppose this model and reverse the temporalities by considering the changes, even the most discreet, as describing the structure of the economy. The definition and the quantification of the agro-pastoral activities provide an essential documentation which recounts even more an oscillatory movement, demonstrated by the establishment of intensive production structures. The economy linked to the production of raw materials, notably metal, is indicative of the different levels of implication according to a producing or non-producing position. This « market » guardianship, requiring the upkeep of social relations, should be as a choice and not as a determinating constraint. Structuring takes place between the sphere of subsistence and the sphere of the raw material economy. Following this scheme, the cultural entities can be considered as coherent spaces in which goods and ideas circulate (.) attributed to the exchange market. The outlines and the temporalities of these entities give us a glimpse of their rhythms and their modifications, describing crisis and accelerations. Clearly asserted during the end of the Bronze Age, this model confers to the spreading of the innovations a central role; the fact that only the « elite » gain from this is not a sufficient explanation for the process being established. In fine, the main difficulty is to make these different layers coincide in order to propose a consistent discourse. Some strong ideas can be identified: - cultural entities – groups and technical complexes - constitute coherent units which structure the economic organization; - the non rhythmical, non synchronic and multipolar aspect of the dynamics of change results from the maintenance of the complex balances which manifest at the scale of cultural entities; - subsistence economy describes a non-linear system and shows episodes of growth and withdrawal. These systems are fragile and exposed to crisis, which result, for a large part, from the inadequacy between the social and the economic structures
Welche Variablen sollten berücksichtigt werden, um die Wirtschaft der bronzezeitlichen Gesellschaften zu erfassen? Die Mittel der Archäologie erlauben verschiedene Analyseniveaus. Das Gros des Fundmaterials, insbesondere, wenn dieses aus Präventivgrabungen resultiert, dokumentiert die alltäglichen Aktivitäten. Siedlungen, Speicherstrukturen, Abfallgruben. dokumentieren die Grundlagen der Subsistenzwirtschaft. Auf den ersten Blick vollzieht sich die Entwicklung von Ackerbau und Viehzucht nur sehr langsam; den schnellen Veränderungen, die andere technische Systeme wie zum Beispiel die Metallurgie betreffen, ist sie nur wenig ausgesetzt. Umreißt diese scheinbare Starrheit eine neolithische Wirtschaft, deren Strukturen sich mit Neuerungen schwer tun? Die Beobachtungen auf der Ebene einer archäologischen Fundstätte oder kleiner Territorien lassen eine komplexere Situation erkennen. Die landwirtschaftlichen Einrichtungen weisen, je nach Region und Stufe der Bronzezeit, eine recht große Variabilität auf und zeugen von einer Mikroökonomie, deren Infrastrukturen sich den Veränderungen der Größenordnungen bezüglich der Produktivität anpassen zu scheinen. Die landwirtschaftliche Orientierung mancher um Speichergruben oder oberirdische Speicherbauten gruppierter Gehöfte kontrastiert mit vergänglicheren Siedlungsstrukturen, die einer anderen territorialen Bindung entsprechen. Während die Besiedlung und Bodenbewirtschaftung der großen Ebenen und der Plateaus unbeständig ist, bewirken andere Territorien – zum Beispiel die Bergregionen – entgegengesetzte symmetrische Dynamiken. Die Beweidung der Mittelgebirge, zum Beispiel des Pyrenäenmassivs, während der Mittelbronzezeit, steht ganz offensichtlich in Zusammenhang mit spezialisierten Orientierungen der Produktionswirtschaft. Die Veränderungen im Bereich von Ackerbau und Viehzucht begleiten die bedeutenden Veränderungen, die sich in der bronzezeitlichen Gesellschaft vollziehen. Dieser Prozess führt zu Beginn des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung zur Herausbildung von Territorien, in denen bestimmte Siedlungsformen eine polarisierende Rolle spielen. Durch die wirtschaftlichen Umstände bedingt, geben manche befestigte oder durch ihre geografische Lage natürlich geschützte Siedlungen am Ende der Spätbronzezeit den Ackerbau und die Viehzucht auf; sie zeugen von einer "handwerklichen Kleinproduktion" (Karl Marx). Die in den Abfallgruben dieser Siedlungen nachgewiesenen Reste, die man bei Ackerbau oder Viehzucht betreibenden Gemeinschaften nicht vermutet, zeugen von der Schlüsselposition dieser Siedlungen im Transfer der Rohstoffe und bestimmter handwerklicher Erzeugnisse. Die in den Höhensiedlungen durchgeführten Grabungen zeigen deutlich, dass diese Orte am Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit sowohl in sozialer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine bedeutende Rolle spielen. Stellt dieser Prozess deshalb den Höhepunkt eines Mechanismus' dar, der zu Beginn des zweiten Jahrtausends vor unserer Zeit in Gang gekommen war? Die Produktion von Rohstoffen – und insbesondere der Abbau von Metallen, wie Kupfer, Zinn und Blei – erfährt damals auf dem Gebiet des heutigen Frankreich bezüglich der Techniken und der Austauschnetze Veränderungen, die nur erfasst werden können, wenn man eine andere Ebene als die des besagten Gebietes betrachtet. In Südfrankreich entwickelt sich die am Ende des 4. Jahrtausends vor unserer Zeit einsetzende Kupfermetallurgie nach einem multipolaren Modell, welches die Vielfalt der Ressourcen valorisiert, die am Südhang des Zentralmassivs belegt sind. Dieses Produktionsschema, bei dem sich der Absatz auf einen begrenzten Raum beschränkt, ruht während der ganzen Bronzezeit, während die Vorkommen in den Alpen, auf den britischen Inseln und der iberischen Halbinsel intensiv abgebaut werden. Einige regionale Gruppen werden aufhören die Kupferlager auszubeuten, über die sie verfügen, um den Erwerb der Rohstoffe durch Tausch zu privilegieren. Das in Form von Barren, Stangen, Rohlingen (.) transportierte Metall ist Teil einer Warenwirtschaft, die die Unterhaltung von regionalen und überregionalen Handelsnetzen erfordert. Gleichwohl ist der Metallkonsum räumlich und zeitlich nicht gleichmäßig verteilt. So ist er in einigen Kulturräumen, wie zum Beispiel an der Atlantikküste, auffallend hoch. Südfrankreich steht dagegen am Rande dieses Prozesses. In noch höherem Masse werden durch die über eine lange Periode bestehenden Handelsnetze territoriale Organisationen fassbar, die insbesondere an der Verbreitung seltener Waren, so genannter "Prestigegüter" mit hohem technologischem Wert erkennbar sind. Der Vertrieb dieser Waren, die nur von wenigen Individuen der bronzezeitlichen Gesellschaft konsumiert werden, beschreibt eine in die makrohistorischen Netze des Typus économie-monde gehörende Wirtschaft. Durch diese Darstellung zeichnen sich einige bedeutende Tendenzen ab und insbesondere die Frage nach den Zeitlichkeiten: In welchem Rhythmus und zu welchem Zeitpunkt vollzieht sich der Wandel in jeder dieser Sphären, auf die wir hingewiesen haben? Der Handel mit Prestigegütern wird oft angeführt, um den wirtschaftlichen Rhythmus und die Schaffung eines in fortwährender Expansion befindlichen Systems, sowohl in geographischer als auch in quantitativer Hinsicht, zu beschreiben, er wird mehr oder weniger objektiv als ein evolutives Prinzip, Produkt eines Wachstums angesehen. Dieser Argumentation zufolge, ließen sich die Etappen des Wandels von den technologischen Neuerungen und der geschichtlichen Abfolge ihres Auftauchens in benachbarten kulturellen Kulturräumen herleiten. Der Mechanismus des Austauschs und der Verbreitung der Neuerungen sei als deren treibende Kraft anzusehen. Er würde auf Dauer und unvermeidlich zu einer Regulation der Wirtschaft führen, bei der die Politik eine herausragende Rolle spielt. Diesem Modell zufolge, würde dem Beitrag der langwierigen Konstruktion der wirtschaftlichen Struktur sowie den im Bereich der Subsistenzwirtschaft auftretenden Änderungen nur eine Nebenrolle zukommen. Wir können diesem Modell zahlreiche Argumente entgegenhalten und die Zeitlichkeiten umkehren, indem wir annehmen, dass die Änderungen, selbst die unscheinbarsten, die Struktur der Wirtschaft dokumentieren. Die Definition und Quantifizierung von Ackerbau und Viehzucht liefert eine wichtige Dokumentation, die vor allem eine Auf- und Ab-Bewegung mit ihrem vor Augen führt, bei der sich Phasen intensiver Produktion mit solchen der Rezession abwechseln. Die Rohstoffproduktion, insbesondere die der Metalle, spiegelt die unterschiedlichen Ebenen der Konsequenzen wieder, die sie zur Folge hat, je nachdem, ob man Metall produziert oder nicht. Die Betreuung eines – die Pflege sozialer Beziehungen erfordernden – "Marktes" muss als eine freie Entscheidung und nicht als ein deterministischer Zwang angesehen werden. So entstehen Verbindungen zwischen dem Bereich der Subsistenzwirtschaft und dem der Rohstoffwirtschaft. Wenn man diesem Schema folgt, dann können die kulturellen Einheiten als kohärente Räume angesehen werden, innerhalb derer die Waren und die Ideen zirkulieren und so Teil des Tauschgeschäfts sind. Die Grenzen und die Zeitlichkeiten dieser Einheiten lassen die Rhythmen ihres Wandels erkennen, indem sie Krisen, Beschleunigungen beschreiben . Dieses in der Spätbronzezeit klar erkennbare Modell weist der Diffusion der Neuerungen eine zentrale Rolle zu; der Prozess, der sich vollzieht, kann nicht nur dadurch erklärt werden, dass ausschließlich die "Eliten" daran teilhaben. Schließlich stellt sich die Schwierigkeit, diese unterschiedlichen Analyseergebnisse miteinander in Einklang zu bringen, um einen kohärenten Diskurs vorzuschlagen. Wir können einige Hauptideen herausarbeiten: - Die kulturellen Einheiten – Gruppen und technische Komplexe - bilden kohärente, die Organisation der Wirtschaft strukturierende Entitäten; - Der arrhythmische, asynchrone und multipolare Aspekt der treibenden Kräfte des Wandels ist das Ergebnis der Wahrung komplexer auf der Ebene der kulturellen Einheiten ausgeübter Gleichgewichte; - Die Subsistenzwirtschaft beschreibt ein nicht lineares System und zeugt von Zeiten des Wachstums und des wirtschaftlichen Rückgangs. Diese Systeme sind unbeständig und Krisen ausgesetzt, die sich größtenteils durch die Spannungen zwischen den sozialen und wirtschaftlichen Strukturen ergeben. ; Which among the many different variables can we interrogate to understand the economy of Bronze Age societies? The tools that archaeology has at its disposal, enables us to reach different levels of analysis. The majority of our documentation, especially when it results from preventive digs, describes the daily activities. Habitats, conservation structures, domestic dumpsters. describe the basis of the subsistence economy. Firstly, agro-pastoral's history stretches over a long period of time, and is only slightly exposed to rapid change, which seems to affect other technical systems, such as metallurgy. Does this apparent opposition to progress depict the outlines of a Neolithic economy of which structures had great difficulty in renewing themselves? The observations conducted on the scale of an archaeological site or enlarged to small territories describe a more complex situation. According to the regions and to the different periods of the Bronze Age, the agricultural structures show a great variability and are witness of a micro-economy of which infra-structures seemingly adapt to the change of scale. The agricultural orientation of certain settlements, formed around buried or aerial storage structures contrasts with more temporary structures, related to a different type of territorial anchorage. Whereas the wide plains and the plateaus know variations in their occupation and in the exploitation of the agricultural fields, other areas, such as mountain ranges, engender opposed symmetric dynamics. The pastoral exploitation in areas of average mountain height, such as the Pyrenean range during the Middle Bronze Age, is obviously related to a specialized economy of production. The complete change affecting the sphere of the agro-pastoral economy was followed by heavy mutations in the Bronze Age society. This process leads, at the dawn of the first millennium B.C., to the elaboration of territories in which certain settlements play a polarizing role. Related to the economic climate of that time, certain fortified or naturally protected sites at the very end of the Bronze Age, lose their traditional agro-pastoral role; they are the witness «to small merchant productions» to quote the terminology of Karl Marx. Occupying a key position in the transfer of raw materials and certain manufactured goods, the dumpsters of these settlements indicate a consumption going far beyond the norm of agricultural and pastoral human units. The excavations carried out on hill-fort type settlements undoubtedly show that these sites play at the same time an essential social and economic role. Does this mean that this process constitutes a peak of a mechanism engaged at the beginning of the second millennium B.C.? The production of raw materials – particularly metallic resources such as copper, tin and lead – undergoes on France's current territory a change in the techniques as well as in the distribution networks which can only be apprehended on a different scale than the one affected by these mutations. In the south of France, the production of the first copper objects which takes place at the very end of the 4th millennium BC develops according to a multipolar model which increases the diversity of the types of resources known on the southern slope of the Massif Central. This system of production, which is in keeping with a model of poor spatial diffusion, is interrupted during the entire Bronze Age whereas the alpine sphere, the British islands, and the Iberian Peninsula will be an area of intensive production. In an indebted position, certain regional groups will cease the exploitation of their copper resources to privilege the acquisition of raw materials through trade. Transported in the shape of ingots, bars or rough outlines, metal partakes of an economy of goods requiring the maintenance of trade networks on a regional and even wider scale. Nevertheless, metal consumption doesn't invest a homogenous aspect in time and space. Thus, certain cultural areas, such as the Atlantic coast, consume openly metallic goods. Southern France on the other hand remains out of these processes. To an even higher degree, the long-term trade networks enable us to access wider territorial organisations, notably revealed by the distribution of rare products, known as « prestige » goods, invested with a strong technological value. The distribution of these goods, only consumed by a handful of people making up the Bronze Age society, depicts an economy inscribed in macro-historical networks, belonging to the "économie-monde" type (F. Braudel). Some important tendencies can be deduced from the above statements; firstly the question of temporality. One wonders what was the rhythm and at which moment these changes took place in the different spheres mentioned? Whereas the economy of prestige goods is frequently put forward to describe the economic pulse and the development of a system constantly expanding geographically and quantitatively. This economy is considered more or less objectively as an evolutionary principle, resulting from economic growth. According to this reasoning, the stages of change follow the technological innovations and also the history of their appearance in contiguous cultural areas. The mechanism of these exchanges and the diffusion of the innovations would therefore constitute the driving force. This would lead with time, ineluctably to the appearance of a regulation of the economy, where the political sphere would play an overwhelming role. According to these models, the part played by the long period of time to the construction of the economical structure as well as the changes intervening in the sphere of the subsistence economy can be considered as indirect factors. Many arguments can oppose this model and reverse the temporalities by considering the changes, even the most discreet, as describing the structure of the economy. The definition and the quantification of the agro-pastoral activities provide an essential documentation which recounts even more an oscillatory movement, demonstrated by the establishment of intensive production structures. The economy linked to the production of raw materials, notably metal, is indicative of the different levels of implication according to a producing or non-producing position. This « market » guardianship, requiring the upkeep of social relations, should be as a choice and not as a determinating constraint. Structuring takes place between the sphere of subsistence and the sphere of the raw material economy. Following this scheme, the cultural entities can be considered as coherent spaces in which goods and ideas circulate (.) attributed to the exchange market. The outlines and the temporalities of these entities give us a glimpse of their rhythms and their modifications, describing crisis and accelerations. Clearly asserted during the end of the Bronze Age, this model confers to the spreading of the innovations a central role; the fact that only the « elite » gain from this is not a sufficient explanation for the process being established. In fine, the main difficulty is to make these different layers coincide in order to propose a consistent discourse. Some strong ideas can be identified: - cultural entities – groups and technical complexes - constitute coherent units which structure the economic organization; - the non rhythmical, non synchronic and multipolar aspect of the dynamics of change results from the maintenance of the complex balances which manifest at the scale of cultural entities; - subsistence economy describes a non-linear system and shows episodes of growth and withdrawal. These systems are fragile and exposed to crisis, which result, for a large part, from the inadequacy between the social and the economic structures
Welche Variablen sollten berücksichtigt werden, um die Wirtschaft der bronzezeitlichen Gesellschaften zu erfassen? Die Mittel der Archäologie erlauben verschiedene Analyseniveaus. Das Gros des Fundmaterials, insbesondere, wenn dieses aus Präventivgrabungen resultiert, dokumentiert die alltäglichen Aktivitäten. Siedlungen, Speicherstrukturen, Abfallgruben. dokumentieren die Grundlagen der Subsistenzwirtschaft. Auf den ersten Blick vollzieht sich die Entwicklung von Ackerbau und Viehzucht nur sehr langsam; den schnellen Veränderungen, die andere technische Systeme wie zum Beispiel die Metallurgie betreffen, ist sie nur wenig ausgesetzt. Umreißt diese scheinbare Starrheit eine neolithische Wirtschaft, deren Strukturen sich mit Neuerungen schwer tun? Die Beobachtungen auf der Ebene einer archäologischen Fundstätte oder kleiner Territorien lassen eine komplexere Situation erkennen. Die landwirtschaftlichen Einrichtungen weisen, je nach Region und Stufe der Bronzezeit, eine recht große Variabilität auf und zeugen von einer Mikroökonomie, deren Infrastrukturen sich den Veränderungen der Größenordnungen bezüglich der Produktivität anpassen zu scheinen. Die landwirtschaftliche Orientierung mancher um Speichergruben oder oberirdische Speicherbauten gruppierter Gehöfte kontrastiert mit vergänglicheren Siedlungsstrukturen, die einer anderen territorialen Bindung entsprechen. Während die Besiedlung und Bodenbewirtschaftung der großen Ebenen und der Plateaus unbeständig ist, bewirken andere Territorien – zum Beispiel die Bergregionen – entgegengesetzte symmetrische Dynamiken. Die Beweidung der Mittelgebirge, zum Beispiel des Pyrenäenmassivs, während der Mittelbronzezeit, steht ganz offensichtlich in Zusammenhang mit spezialisierten Orientierungen der Produktionswirtschaft. Die Veränderungen im Bereich von Ackerbau und Viehzucht begleiten die bedeutenden Veränderungen, die sich in der bronzezeitlichen Gesellschaft vollziehen. Dieser Prozess führt zu Beginn des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung zur Herausbildung von Territorien, in denen bestimmte Siedlungsformen eine polarisierende Rolle spielen. Durch die wirtschaftlichen Umstände bedingt, geben manche befestigte oder durch ihre geografische Lage natürlich geschützte Siedlungen am Ende der Spätbronzezeit den Ackerbau und die Viehzucht auf; sie zeugen von einer "handwerklichen Kleinproduktion" (Karl Marx). Die in den Abfallgruben dieser Siedlungen nachgewiesenen Reste, die man bei Ackerbau oder Viehzucht betreibenden Gemeinschaften nicht vermutet, zeugen von der Schlüsselposition dieser Siedlungen im Transfer der Rohstoffe und bestimmter handwerklicher Erzeugnisse. Die in den Höhensiedlungen durchgeführten Grabungen zeigen deutlich, dass diese Orte am Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit sowohl in sozialer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine bedeutende Rolle spielen. Stellt dieser Prozess deshalb den Höhepunkt eines Mechanismus' dar, der zu Beginn des zweiten Jahrtausends vor unserer Zeit in Gang gekommen war? Die Produktion von Rohstoffen – und insbesondere der Abbau von Metallen, wie Kupfer, Zinn und Blei – erfährt damals auf dem Gebiet des heutigen Frankreich bezüglich der Techniken und der Austauschnetze Veränderungen, die nur erfasst werden können, wenn man eine andere Ebene als die des besagten Gebietes betrachtet. In Südfrankreich entwickelt sich die am Ende des 4. Jahrtausends vor unserer Zeit einsetzende Kupfermetallurgie nach einem multipolaren Modell, welches die Vielfalt der Ressourcen valorisiert, die am Südhang des Zentralmassivs belegt sind. Dieses Produktionsschema, bei dem sich der Absatz auf einen begrenzten Raum beschränkt, ruht während der ganzen Bronzezeit, während die Vorkommen in den Alpen, auf den britischen Inseln und der iberischen Halbinsel intensiv abgebaut werden. Einige regionale Gruppen werden aufhören die Kupferlager auszubeuten, über die sie verfügen, um den Erwerb der Rohstoffe durch Tausch zu privilegieren. Das in Form von Barren, Stangen, Rohlingen (.) transportierte Metall ist Teil einer Warenwirtschaft, die die Unterhaltung von regionalen und überregionalen Handelsnetzen erfordert. Gleichwohl ist der Metallkonsum räumlich und zeitlich nicht gleichmäßig verteilt. So ist er in einigen Kulturräumen, wie zum Beispiel an der Atlantikküste, auffallend hoch. Südfrankreich steht dagegen am Rande dieses Prozesses. In noch höherem Masse werden durch die über eine lange Periode bestehenden Handelsnetze territoriale Organisationen fassbar, die insbesondere an der Verbreitung seltener Waren, so genannter "Prestigegüter" mit hohem technologischem Wert erkennbar sind. Der Vertrieb dieser Waren, die nur von wenigen Individuen der bronzezeitlichen Gesellschaft konsumiert werden, beschreibt eine in die makrohistorischen Netze des Typus économie-monde gehörende Wirtschaft. Durch diese Darstellung zeichnen sich einige bedeutende Tendenzen ab und insbesondere die Frage nach den Zeitlichkeiten: In welchem Rhythmus und zu welchem Zeitpunkt vollzieht sich der Wandel in jeder dieser Sphären, auf die wir hingewiesen haben? Der Handel mit Prestigegütern wird oft angeführt, um den wirtschaftlichen Rhythmus und die Schaffung eines in fortwährender Expansion befindlichen Systems, sowohl in geographischer als auch in quantitativer Hinsicht, zu beschreiben, er wird mehr oder weniger objektiv als ein evolutives Prinzip, Produkt eines Wachstums angesehen. Dieser Argumentation zufolge, ließen sich die Etappen des Wandels von den technologischen Neuerungen und der geschichtlichen Abfolge ihres Auftauchens in benachbarten kulturellen Kulturräumen herleiten. Der Mechanismus des Austauschs und der Verbreitung der Neuerungen sei als deren treibende Kraft anzusehen. Er würde auf Dauer und unvermeidlich zu einer Regulation der Wirtschaft führen, bei der die Politik eine herausragende Rolle spielt. Diesem Modell zufolge, würde dem Beitrag der langwierigen Konstruktion der wirtschaftlichen Struktur sowie den im Bereich der Subsistenzwirtschaft auftretenden Änderungen nur eine Nebenrolle zukommen. Wir können diesem Modell zahlreiche Argumente entgegenhalten und die Zeitlichkeiten umkehren, indem wir annehmen, dass die Änderungen, selbst die unscheinbarsten, die Struktur der Wirtschaft dokumentieren. Die Definition und Quantifizierung von Ackerbau und Viehzucht liefert eine wichtige Dokumentation, die vor allem eine Auf- und Ab-Bewegung mit ihrem vor Augen führt, bei der sich Phasen intensiver Produktion mit solchen der Rezession abwechseln. Die Rohstoffproduktion, insbesondere die der Metalle, spiegelt die unterschiedlichen Ebenen der Konsequenzen wieder, die sie zur Folge hat, je nachdem, ob man Metall produziert oder nicht. Die Betreuung eines – die Pflege sozialer Beziehungen erfordernden – "Marktes" muss als eine freie Entscheidung und nicht als ein deterministischer Zwang angesehen werden. So entstehen Verbindungen zwischen dem Bereich der Subsistenzwirtschaft und dem der Rohstoffwirtschaft. Wenn man diesem Schema folgt, dann können die kulturellen Einheiten als kohärente Räume angesehen werden, innerhalb derer die Waren und die Ideen zirkulieren und so Teil des Tauschgeschäfts sind. Die Grenzen und die Zeitlichkeiten dieser Einheiten lassen die Rhythmen ihres Wandels erkennen, indem sie Krisen, Beschleunigungen beschreiben . Dieses in der Spätbronzezeit klar erkennbare Modell weist der Diffusion der Neuerungen eine zentrale Rolle zu; der Prozess, der sich vollzieht, kann nicht nur dadurch erklärt werden, dass ausschließlich die "Eliten" daran teilhaben. Schließlich stellt sich die Schwierigkeit, diese unterschiedlichen Analyseergebnisse miteinander in Einklang zu bringen, um einen kohärenten Diskurs vorzuschlagen. Wir können einige Hauptideen herausarbeiten: - Die kulturellen Einheiten – Gruppen und technische Komplexe - bilden kohärente, die Organisation der Wirtschaft strukturierende Entitäten; - Der arrhythmische, asynchrone und multipolare Aspekt der treibenden Kräfte des Wandels ist das Ergebnis der Wahrung komplexer auf der Ebene der kulturellen Einheiten ausgeübter Gleichgewichte; - Die Subsistenzwirtschaft beschreibt ein nicht lineares System und zeugt von Zeiten des Wachstums und des wirtschaftlichen Rückgangs. Diese Systeme sind unbeständig und Krisen ausgesetzt, die sich größtenteils durch die Spannungen zwischen den sozialen und wirtschaftlichen Strukturen ergeben. ; Which among the many different variables can we interrogate to understand the economy of Bronze Age societies? The tools that archaeology has at its disposal, enables us to reach different levels of analysis. The majority of our documentation, especially when it results from preventive digs, describes the daily activities. Habitats, conservation structures, domestic dumpsters. describe the basis of the subsistence economy. Firstly, agro-pastoral's history stretches over a long period of time, and is only slightly exposed to rapid change, which seems to affect other technical systems, such as metallurgy. Does this apparent opposition to progress depict the outlines of a Neolithic economy of which structures had great difficulty in renewing themselves? The observations conducted on the scale of an archaeological site or enlarged to small territories describe a more complex situation. According to the regions and to the different periods of the Bronze Age, the agricultural structures show a great variability and are witness of a micro-economy of which infra-structures seemingly adapt to the change of scale. The agricultural orientation of certain settlements, formed around buried or aerial storage structures contrasts with more temporary structures, related to a different type of territorial anchorage. Whereas the wide plains and the plateaus know variations in their occupation and in the exploitation of the agricultural fields, other areas, such as mountain ranges, engender opposed symmetric dynamics. The pastoral exploitation in areas of average mountain height, such as the Pyrenean range during the Middle Bronze Age, is obviously related to a specialized economy of production. The complete change affecting the sphere of the agro-pastoral economy was followed by heavy mutations in the Bronze Age society. This process leads, at the dawn of the first millennium B.C., to the elaboration of territories in which certain settlements play a polarizing role. Related to the economic climate of that time, certain fortified or naturally protected sites at the very end of the Bronze Age, lose their traditional agro-pastoral role; they are the witness «to small merchant productions» to quote the terminology of Karl Marx. Occupying a key position in the transfer of raw materials and certain manufactured goods, the dumpsters of these settlements indicate a consumption going far beyond the norm of agricultural and pastoral human units. The excavations carried out on hill-fort type settlements undoubtedly show that these sites play at the same time an essential social and economic role. Does this mean that this process constitutes a peak of a mechanism engaged at the beginning of the second millennium B.C.? The production of raw materials – particularly metallic resources such as copper, tin and lead – undergoes on France's current territory a change in the techniques as well as in the distribution networks which can only be apprehended on a different scale than the one affected by these mutations. In the south of France, the production of the first copper objects which takes place at the very end of the 4th millennium BC develops according to a multipolar model which increases the diversity of the types of resources known on the southern slope of the Massif Central. This system of production, which is in keeping with a model of poor spatial diffusion, is interrupted during the entire Bronze Age whereas the alpine sphere, the British islands, and the Iberian Peninsula will be an area of intensive production. In an indebted position, certain regional groups will cease the exploitation of their copper resources to privilege the acquisition of raw materials through trade. Transported in the shape of ingots, bars or rough outlines, metal partakes of an economy of goods requiring the maintenance of trade networks on a regional and even wider scale. Nevertheless, metal consumption doesn't invest a homogenous aspect in time and space. Thus, certain cultural areas, such as the Atlantic coast, consume openly metallic goods. Southern France on the other hand remains out of these processes. To an even higher degree, the long-term trade networks enable us to access wider territorial organisations, notably revealed by the distribution of rare products, known as « prestige » goods, invested with a strong technological value. The distribution of these goods, only consumed by a handful of people making up the Bronze Age society, depicts an economy inscribed in macro-historical networks, belonging to the "économie-monde" type (F. Braudel). Some important tendencies can be deduced from the above statements; firstly the question of temporality. One wonders what was the rhythm and at which moment these changes took place in the different spheres mentioned? Whereas the economy of prestige goods is frequently put forward to describe the economic pulse and the development of a system constantly expanding geographically and quantitatively. This economy is considered more or less objectively as an evolutionary principle, resulting from economic growth. According to this reasoning, the stages of change follow the technological innovations and also the history of their appearance in contiguous cultural areas. The mechanism of these exchanges and the diffusion of the innovations would therefore constitute the driving force. This would lead with time, ineluctably to the appearance of a regulation of the economy, where the political sphere would play an overwhelming role. According to these models, the part played by the long period of time to the construction of the economical structure as well as the changes intervening in the sphere of the subsistence economy can be considered as indirect factors. Many arguments can oppose this model and reverse the temporalities by considering the changes, even the most discreet, as describing the structure of the economy. The definition and the quantification of the agro-pastoral activities provide an essential documentation which recounts even more an oscillatory movement, demonstrated by the establishment of intensive production structures. The economy linked to the production of raw materials, notably metal, is indicative of the different levels of implication according to a producing or non-producing position. This « market » guardianship, requiring the upkeep of social relations, should be as a choice and not as a determinating constraint. Structuring takes place between the sphere of subsistence and the sphere of the raw material economy. Following this scheme, the cultural entities can be considered as coherent spaces in which goods and ideas circulate (.) attributed to the exchange market. The outlines and the temporalities of these entities give us a glimpse of their rhythms and their modifications, describing crisis and accelerations. Clearly asserted during the end of the Bronze Age, this model confers to the spreading of the innovations a central role; the fact that only the « elite » gain from this is not a sufficient explanation for the process being established. In fine, the main difficulty is to make these different layers coincide in order to propose a consistent discourse. Some strong ideas can be identified: - cultural entities – groups and technical complexes - constitute coherent units which structure the economic organization; - the non rhythmical, non synchronic and multipolar aspect of the dynamics of change results from the maintenance of the complex balances which manifest at the scale of cultural entities; - subsistence economy describes a non-linear system and shows episodes of growth and withdrawal. These systems are fragile and exposed to crisis, which result, for a large part, from the inadequacy between the social and the economic structures
La presente tesi affronta il tema della modulazione degli effetti delle sentenze di accoglimento della Corte costituzionale intrecciandolo con l'analisi dell'esperienza tedesca delle Unvereinbarkeitserklärungen, le quali costituiscono lo strumento privilegiato con cui il Bundesverfassungsgericht modula nel tempo gli effetti della declaratoria di incostituzionalità. L'analisi congiunta del modello italiano e tedesco consente di valutare sotto un diverso angolo prospettico la questione relativa ai limiti dell'efficacia retroattiva delle sentenze di accoglimento, la quale ha interessato l'attività della Consulta sin dai primissimi anni della sua attività. Nel primo capitolo della tesi verrà analizzata la disciplina relativa agli effetti delle sentenze di accoglimento, ragionando in particolar modo sul principio di retroattività che presidia la declaratoria di incostituzionalità; nel secondo capitolo, verrà dedicato ampio spazio alla prassi temporalmente manipolativa della Corte costituzionale, evidenziandone le esigenze sottese e i relativi nodi problematici. Il terzo capitolo ospiterà una ricognizione delle decisioni di incompatibilità tedesche: l'analisi, che prenderà le mosse da una riflessione sul dogma della nullità e dell'annullabilità della norma incostituzionale, interesserà non solo le ragioni che conducono il Bundesverfassungsgericht a scindere il momento dell'accertamento da quello della declaratoria dell'incostituzionalità, ma anche gli effetti che si ricollegano alle diverse varianti decisionali delle Unvereinbarkeitserklärungen. Infine, l'ultimo capitolo sarà dedicato ad un raffronto tra l'esperienza temporalmente italiana e quella tedesca: esso si strutturerà principalmente intorno al profilo relativo al rapporto tra Giudice costituzionale e legislatore, ovverosia il perno intorno al quale si muove (o, meglio, dovrebbe muoversi) la giurisprudenza temporalmente manipolativa. ; The present thesis deals with the issue of modulating the effects of the sentences of the Constitutional Court by intertwining it with the analysis of the German experience of the Unvereinbarkeitserklärungen, which constitute the privileged temporally manipulative instrument with which the Bundesverfassungsgericht modulates over time the effects of the declaration of unconstitutionality. The analysis of German and Italian constitutional justice makes it possible to assess under a different perspective angle the question concerning the limits of the retroactive effectiveness of the declaration of unconstitutionality, which has affected the activity of the Corte Costituzionale since the very first years of its activity. If in the first chapter of the thesis the discipline relative to the effects of the sentences of unconstitutionality will be analyzed, reasoning in particular on the principle of retroactivity which oversees the declaration of unconstitutionality itself, in the second chapter ample space will be dedicated to the temporally modulative practice of the Constitutional Court, highlighting the underlying needs as well as the related problem areas. The third chapter is devoted to the study of the German incompatibility decisions. The analysis, which starts from a reflection on the dogma of nullity and the annulment of the unconstitutional rule, concerns not only the reasons that lead the Bundesverfassungsgericht to split the moment of assessment from that of the declaration of unconstitutionality, but also the effects that relate to the different decision-making variants of the Unvereinbarkeitserklärungen. Finally, the last chapter is devoted to a comparison between the temporally modulative Italian and German experience: it will be structured mainly around the profile relative to the relationship between the constitutional judge and the legislator, which constitutes the pivot around which the temporally modulative case-law moves (or, better, should move). ; In dieser Doktorarbeit wird das Thema der Handhabung der Rechtswirkungen im Verlauf der Zeit der vom Verfassungsgerichts getroffenen Annahmeurteile (die "sentenze di accoglimento") mit besonderer Beachtung der Steuerung der zeitlichen Rechtswirkungen durch das Bundesverfassungsgericht untersucht. Vor der Erläuterung des Inhalts dieser Doktorarbeit erscheint es mehr als notwendig, einleitend kurz die Gründe für diese Überlegung zur deutschen Praxis hervorzuheben. In diesem Sinn ist die Behauptung des Verfassungsrichters Lattanzi zur Rechtsprechung im aktuellen Fall "Cappato" von großer Bedeutung: Es geht hier im Wesentlichen um die Ähnlichkeit des Typs der vom Verfassungsgericht getroffenen Entscheidung mit dem der deutschen Unvereinbarkeitsentscheidungen, die Hauptthema dieser Untersuchung sind, und zwar nicht nur, da diese einen zeitlichen Aufschub der Rechtswirkungen der Verfassungswidrigkeitserklärung (wenn auch auf eine ganz eigne Art) verfügen, sondern auch weil sie, wie in der deutschen Rechtslehre bestätigt, ein wichtiges Mittel zur Untersuchung der Beziehungen zwischen Verfassungsgericht und Gesetzgeber darstellen. Auf der Ebene der Rechtslehre stellen die deutschen Unvereinbarkeitserklärungen den Gegenstand eines erneuten Interesses heute und sorgfältiger Untersuchungen in der Vergangenheit dar: In diesem Sinn ist das Studienseminar über die Modulation der Rechtswirkungen der von demselben Verfassungsgericht gefassten Annahmesprüche, bei denen die maßgebliche Rechtslehre die typischen Merkmale der Unvereinbarkeitsentscheidungen untersuchte, um eine mögliche Übertragung in die Sammlung der Entscheidungshilfen des Verfassungsgerichts zu erwägen, von Bedeutung. Bei jener Gelegenheit wurden viele Probleme eines solchen Entscheidungstyps vorgebracht: Insbesondere betrafen diese erstens die Schwierigkeit, ihre konkreten Rechtswirkungen zu erkennen, zweitens die Schwierigkeit, ihr in dem untätigen italienischen Parlament Folge zu leisten und drittens die abweichende Rolle, die das Bundesverfassungsgericht innerhalb der deutschen Regierungsform innehat. Es handelt sich um drei im letzten Teil dieser Doktorarbeit untersuchte Punkte, die in der Tat nicht wenige Probleme aufwerfen, vor allem angesichts der Aufnahme durch das Verfassungsgericht einiger Urteile, die unter verschiedenen Aspekten den deutschen Unvereinbarkeitserklärungen ähneln. Dabei handelt es sich insbesondere um die Urteile Nr. 243 von 1993, Nr. 170 von 2014, Nr. 10 von 2015 und Nr. 207 von 2018. Ein enger Vergleich mit der Ratio und den Problempunkten der deutschen Unvereinbarkeitserklärungen ist somit nützlich, nicht nur, um deren möglichen Chancen in der italienischen Verfassungsrechtsprechung zu erwägen, sondern auch, um eine noch offene Frage zu erörtern, die das Verfassungsgericht seit Anbeginn ihrer Tätigkeit als Hüter des Grundgesetzes betrifft. Nach dieser Einleitung wird im ersten Kapitel der Doktorarbeit die gesetzliche Regelung der Rechtswirkungen der Annahmeurteile untersucht; das zweite Kapitel ist der Analyse der zeitlich handhabenden Praxis des Verfassungsgerichts gewidmet. Das dritte Kapitel ist der deutschen Praxis der Unvereinbarkeitserklärungen gewidmet, während im vierten Kapitel die wichtigsten Punkte der Vergleichsstudie zwischen der zeitlich steuernden italienischen und der deutschen Praxis behandelt werden. Die Wahl eines solchen Aufbaus erklärt sich angesichts der Möglichkeit einer Analyse ex ante der mit der Handhabung der Rechtswirkungen der Annahmeurteile verbundenen Problempunkte, um dann das Verständnis ex post der Gründe, die diese Doktorarbeit zu einer Untersuchung der "flexiblen" Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geführt haben, zu erleichtern. Im letzten Kapitel schließlich wird versucht, einige Aspekte, die mit den heutigen Schwierigkeiten der zeitlich steuernden Rechtsprechung der Verfassungsgerichte zu tun haben, nach der Logik von Ähnlichkeit und Gegensatz hervorzuheben, darunter insbesondere die Beziehung zwischen Verfassungsorgan und Legislativorgan. Das erste Kapitel ist vollkommen der Regelung der Rechtswirkungen der Annahmeurteile gewidmet, die, wie bereits angedeutet durch Art. 136 des ital. GG, Art. 1 des ital. Verfassungsgesetzes Nr. 1 von 1948 und Art. 30, 3. Abs. des ital. Gesetzes L. Nr. 87 von 1953 vorgegeben sind. Das Kapitel ist in acht Abschnitte unterteilt, die teilweise auf den Entscheidungstyp der Unvereinbarkeitserklärungen Bezug nehmen. Der 1. Abschnitt (Rückkehr zu Kelsen zur Neuentdeckung möglicher, vom Verfassungsgericht umsetzbarer Perspektiven: Die Handhabung der Rechtswirkungen der Annahmeurteile im Verlauf der Zeit und die Beziehung zum Gesetzgeber) ist einführend der These Kelsens hinsichtlich der Beziehung zwischen Verfassungsgericht und Gesetzgeber gewidmet, in Anbetracht der Tatsache, dass, wie im letzten Kapitel erläutert, gerade die Rückkehr zum Ursprung und somit zur Lehre Kelsens bezüglich der Wirkung der Verfassungswidrigkeitserklärung in dieser Doktorarbeit (mit der erforderlichen Vorsicht) als wünschenswert angesehen wird. Während im 2. Abschnitt (Der heutige Stand: ein "flexibles" Verfassungsgericht, fern vom ursprünglichen Gerüst der Rechtswirkungen der Annahmeurteile) eine zum Teil die Erläuterungen des zweiten Kapitels vorwegnehmende Überlegung zu einem Verfassungsgericht, das "fern" vom ursprünglichen Gerüst der Rechtswirkungen der Annahmeurteile ist, wird im 3. Abschnitt (Die Regelung der Rechtswirkungen der Annahmeurteile: Grundgedanken des Art. 136 ital. GG der verfassungsgebenden Versammlung. Einige Anregungen zur zeitlich handhabenden deutschen Praxis) versucht, zum Kern des Art. 136 der ital. GG vorzudringen, wo im ersten Absatz Folgendes vorgesehen ist: "Wenn das Gericht die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift oder einer gesetzeskräftigen Maßnahme erklärt, endet deren Wirksamkeit ab dem Folgetag der Veröffentlichung der Entscheidung". Im Verlauf des Abschnitts wird versucht, einen Überblick der wichtigsten Entwürfe bezüglich des ursprünglichen Art. 136 ital. GG zu liefern, wobei der Entwurf der Abg. Mortati, Ruini, Cappi, Ambrosini und Leone kurz untersucht wird. Besonders interessant ist, auch zum Zweck einer Vergleichsstudie mit den deutschen Unvereinbarkeitserklärungen, der Entwurf des Abg. Calamandrei, der vorschlug, die Legislativorgane sollten im Anschluss an die Aufnahme eines Annahmeurteils sofort das Verfahren zur Gesetzesänderung einleiten, sodass sich, wenn auch mit der erforderlichen Vorsicht eine charakteristische Form der dem Legislativorgan zukommnenden "Nachbesserungspflicht" abzeichnet. Abschnitt 3.1. (Der Vorschlag Perassis: eine Modulation der Rechtswirkungen der Verfassungswidrigkeitserklärung ante litteram?) konzentriert sich in Übereinstimmung mit der deutschen Praxis auf den Vorschlag des Abg. Perassi, der vorsah, die Wirksamkeit des als verfassungswidrig erklärten Gesetzes sollte ab der Veröffentlichung erlöschen, außer bei Bedürfnis des Gerichts eine andere Wirkungsfrist (in jedem Fall nicht über sechs Monate) zu bestimmen; in diesem Sinn ist der Vorschlag des Abg. Perassi der österreichischen (und zum Teil der deutschen) Praxis ähnlich, und zwar einer Fristsetzung mit dem Ziel einer nützlichen Zusammenarbeit zwischen Verfassungsgericht und Legislativorgan. Perassi behauptete, dass "beim Erlöschen der Wirksamkeit einer gesetzlichen Vorschrift in bestimmten Fällen heikle Situationen auftreten können, da das Erlöschen dieser Vorschrift möglicherweise Probleme mit sich bringt, wenn man nicht vorsorgt". Die Annäherung an eines der wichtigsten Anwendungsgebiete der Unvereinbarkeitsentscheidungen, d.h. dem auf dem Argument der rechtlichen Folgen begründeten, ist in diesem Sinne eine unvermeidliche Pflicht. Gleichfalls interessant erscheint die Entgegnung auf die Voraussicht einer solchen Lösung durch den Abg. Ruini, der erklärte, eine derartige Regelung der Rechtswirkungen der Verfassungswidrigkeitserklärung würde praktisch eine Situation voller übermäßig belastender Folgen hervorrufen, in der insbesondere die Gerichte fortfahren würden, "eine verfassungswidrige Norm anzuwenden". Daher die Bedeutung, die der durch die mit Fortgeltungsanordnung ergänzten Unvereinbarkeitsentscheidungen dargestellte Problempunkt hat. In Abschnitt 3.2 (Zeitlicher Rahmen des Art. 136 ital. GG) wird versucht, Art. 136 ital. GG innerhalb seines zeitlichen Rahmens zu untersuchen. In Kürze: Während der wortwörtliche Gehalt der besagten Verfügung sich anscheinend (nach einem Teil der Rechtslehre) auf eine lediglich zielgerichtete Wirksamkeit der Verfassungswidrigkeitserklärung bezieht, stellt dieser doch, nachdem er sich durch Art. 1 des ital. Verfassungsgesetzes Nr. 1 von 1948 und Art. 30 des ital. Gesetzes L. Nr. 87 von 1953 gefestigt hatte, die verfassungsrechtliche Verfügung dar, auf die sich die ex tunc-Wirkung der Verfassungswidrigkeitserklärung gründet. Andererseits wäre es, wie ein anderer Teil der Rechtslehre behauptet, an und für sich nicht folgerichtig, ein System der Rechtswirkungen zu erfinden, das nur ex nunc-Wirkung hat, um dann anschließend den Richtern die Nichtanwendung des verfassungswidrigen Gesetzes "mit Wirkung lediglich nach eigenem Urteil" anzuvertrauen. In Abschnitt 3.3 (Räumlicher Rahmen des Art. 136 ital. GG) wird ein weiterer, an die Wirksamkeit der Verfassungswidrigkeitserklärung gebundener Punkt untersucht, nämlich die "räumliche" Ausdehnung der Wirksamkeit von Art. 136 ital GG. Außer der allgemein verbindlichen Wirksamkeit der Annahmeurteile, an welche die Untersuchung der von den Verfassungsgebenden gewählten Art der Normenkontrolle anknüpft, wird der mit der gerichtlichen oder gesetzgebenden Art der Verfassungswidrigkeitserklärung verbundene Rechtslehredisput, an den die "allgemeine" Wirksamkeit derselben unvermeidlich anknüpft, kurz untersucht. Während in den letzten vier Abschnitten der Art. 136 der ital. GG allein im Mittelpunkt steht, ist der 4. Abschnitt (Die "Revolution" des ital. Verfassungsgesetzes Nr. 1 von 1948) vollständig der "Revolution" gewidmet, welche das ital. Verfassungsgesetz Nr. 1 von 1948 darstellt. Für diese "Revolution" (oder besser die Spezifikation) ist der erste Artikel des besagten Gesetzes bezeichnend, wo es heißt: "Die amtlich erfasste oder von einer Partei im Verlauf eines Rechtsverfahrens erhobene und vom Richter nicht als offensichtlich unbegründet angenommene Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes oder einer gesetzeskräftigen Maßnahme der Republik wird dem Verfassungsgericht zur Entscheidung übertragen". Im Wesentlichen hat der besagte Artikel als tragendes Element der Inzidentalität des Verfassungssystems Art. 136 ital. GG Bedeutung verliehen, nicht nur, indem die Bedeutung tatsächlich im Einzelnen erläutert wird, sondern vor allem dadurch, dass der Klage vor dem Verfassungsgericht dort, wo es angerufen wird, für alle zu entscheiden (mit wenn auch innerhalb bestimmter Grenzen allgemein verbindlichen Rechtswirkungen) eine "logische" Bedeutung auf Grundlage einer "genetisch zwiespältigen" Erneuerung verliehen wird, und zwar anhand eines konkreten Einzelfalls". Es erscheint notwendig, anzumerken, dass die besagte Verfügung in Bezug auf die Ratio Art. 100, 1. Abs. des deutschen GG ähnelt, auf dessen Grundlage die sogenannte konkrete Normenkontrolle beruht. Und tatsächlich übernimmt das zwischenrangige Verfahren eine grundlegende Rolle in Bezug auf die Handhabung der Rechtswirkungen der Verfassungswidrigkeitserklärung im Verlauf der Zeit, da es konkreter der in der Notwendigkeit, die diachronischen Rechtswirkungen der Verkündigung zu steuern, enthaltenen Ratio vollkommen antithetisch gegenübersteht. Wie können die Jura angesichts einer Handhabung der Rechtswirkungen der Verfassungswidrigkeitserklärung für die Zukunft geschützt werden? Während Art. 1 des ital. Gesetzes L. Nr. 1 von 1948 das zwischenrangige Verfahren kennzeichnet und definiert, so hat Art. 30, 3. Abs. des ital. Gesetzes Nr. 87 von 1953, der Hautuntersuchungsgegenstand des 5. Abschnitts (Die Rückwirkung der Annahmeurteile: Art. 30, 3. Abs. ital. Gesetz L. Nr. 87 von 1953) ein weiteres Element zur Erläuterung der Ratio der zeitlichen Orientierung, welche die Rechtsauswirkungen der Verfassungswidrigkeitserklärung im Verlauf der Zeit annehmen, hinzugefügt. Im Anschluss an das Inkrafttreten desselben, wo es heißt, "die als verfassungswidrig erklärten Normen können nicht ab dem Folgetag der Veröffentlichung der Entscheidung Anwendung haben", hat die Rückwirkung des Annahmeurteils begonnen, die Form der ius receptum anzunehmen, wie durch die maßgebliche Rechtslehre bestätigt. Nun war diese, mit Art. 1 des ital. Gesetzes L. Nr. 1 von 1948 in die Verfassung eingeführte "Errungenschaft" das Ergebnis einer umfassenden theoretischen Analyse und Überlegung: Es ist kein Zufall, dass einer der zentralen Mechanismen der Normenkontrolle eher das "Ergebnis der beharrlichsten Arbeit der Rechtslehre war, statt ein präziser Gesetzesentwurf" und hauptsächlich auf der Notwendigkeit beruhte, nicht nur den Grundsatz der Gleichheit, sondern auch den der Verteidigung zu bewahren, und dies unter Ausschluss der s.g. abgeschlossenen Rechtsbeziehungen, die bei Eintritt der Rechtskraft, Verjährung, Verwirkung und Vergleich bestehen. Hinzu kommt, dass das Prinzip der Rückwirkung der Verfassungswidrigkeitserklärung laut Art. 30, 3. Abs. ital. Gesetz L. Nr. 87 von 1953 – vielleicht auch angesichts der Möglichkeit die Rückwirkung der Verfassungswidrigkeitserklärung in verschiedenen Abstufungen und somit nicht absolut zu klassifizieren – auch Gegenstand einer erheblichen Kontroverse zwischen Verfassungsgericht und Strafkammer des Kassationshofs eben zum Thema der Nichtanwendung der als verfassungswidrig erklärten Norm war. In diesem Sinne treten die Urteile Nr. 127 von 1966 und Nr. 49 von 1970 hervor: beim ersten hatte das Verfassungsgericht über die notwendige Rückwirkung der Verfassungswidrigkeitserklärung von Prozessvorschriften befunden; mit der zweiten Verkündigung dagegen bestätigte das Gericht vollkommen überraschend, den Richtern "das letzte Wort" zu lassen. Dieses Prinzip kann nicht übergangen werden: So hatte beispielsweise im Anschluss an das in keiner Weise rückwirkende Urteil Nr. 10 von 2015 das Verfassungsgericht einer bedeutenden Form der Rebellion durch das vorlegende Gericht beigewohnt, das nicht befunden hatte, sich in Bezug auf die zeitliche Rechtswirkung der Verfassungswidrigkeitsaussprüche vom Gesetzesrahmen zu distanzieren. Gleichzeitig erhält auch in der zeitlich handhabenden deutschen Praxis die Rolle der Richter Bedeutung: Sollte beispielsweise der Gesetzgeber seiner Reformpflicht im Anschluss an die Aufnahme eines Unvereinbarkeitsspruchs nicht nachkommen und dadurch die Ratio der Unvereinbarkeitsentscheidung vollkommen zunichte gemacht werden, können die Richter angerufen werden, um "letztendlich" und in Übereinstimmung mit der Verfassung einzugreifen. Im 6. Abschnitt (Der zeitliche Rahmen der verfassungswidrigen Norm: Nichtigkeit oder Vernichtbarkeit? Eine Überlegung ausgehend vom amerikanischen und vom österreichischen Modell. Hinweise auf die Art der Annahmeurteile) lässt die Studie der gesetzlichen Regelung der zeitlichen Auswirkungen des Verfassungswidrigkeitsspruchs Raum für eine Untersuchung bezüglich der Vernichtbarkeit oder Nichtigkeit der als verfassungswidrig erklärten Norm und dies angesichts einer anfänglichen Überlegung zum amerikanischen und zum österreichischen Modell des Verfassungsrechts, die bekanntlich gegensätzlich zueinander eingestellt sind. Und tatsächlich ist die zeitliche Orientierung des Annahmeurteils nicht nur direkt an die Art derselben Verfassungswidrigkeitserklärung gebunden, sondern ist in ihrem Wesen indirekt an die Wahl des Modells zur Normenkontrolle geknüpft: Irgendwie scheint die ursprüngliche Zweideutigkeit des Art 136 ital. GG tatsächlich an die "gemischte" Natur des italienischen Verfassungsrechts anknüpfen zu können, das sich aus einigen typischen Elementen des amerikanischen Systems (Diffusivität der jedem Richter zukommenden Kontrolle) und dem österreichischen System (ausschließliche Zuständigkeit des Verfassungsgerichts in Bezug auf die Verfassungswidrigkeitserklärung einer nicht mit der Verfassung übereinstimmenden Norm mit allgemeiner Rechtswirkung) zusammensetzt. Nun wirkt die Wahl des Systems zur Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit auf die von der Ungültigkeit der verfassungswidrigen Norm angenommene Form ein, welche ihrerseits nach der typischen Logik des Teufelskreises die Art der Verfassungswidrigkeitserklärung beeinflusst: Im amerikanischen Verfassungsrechtssystems ist die verfassungswidrige Norm null and void, da sie dem Willen einer superior Norm widerspricht und somit unwirksam ist; im österreichischen System dagegen ist die verfassungswidrige Norm lediglich vernichtbar, und zwar deshalb, weil Grundlage des Systems die Idee ist, dass, da die gesamte politische Macht auf dem Gesetz gründet, "das Konzept eines von Beginn an nichtigen Gesetzes" vollkommen inakzeptabel ist. Übrigens darf nicht verwundern, dass im Bereich des amerikanischen Verfassungsrechts die Verfassungswidrigkeitserklärung eine Norm erklärender Art ist, während sie im Bereich des österreichischen Verfassungsrechts eine verfassungsgebende Natur annimmt. Nun teilt im Bereich des italienischen Verfassungsrechts nur eine Minderheit die Idee der Nichtigkeit der verfassungswidrigen Norm und somit des Annahmeurteils erklärender Natur, die Mehrheit teilt die These der Vernichtbarkeit der verfassungswidrigen Norm, die also der verfassungsgebenden Natur des Gerichtsspruchs entspricht. Dass die obigen Ausführungen wahr sind, ist daran zu erkennen, dass in der maßgebenden Rechtslehre bestätigt wurde, dass die Verfassungsgebenden dachten, ein im Wesentlichen von dem im österreichischen Grundgesetz vorgesehenen System der Verfassungsgerichtsbarkeit abgeleitetes System eingeführt zu haben. Auch erklärt sich die verfassungsgebende Bedeutung der Verfassungswidrigkeitserklärung angesichts der Betrachtung, dass das allgemeine Verbot, die verfassungswidrige Norm anzuwenden, tatsächlich nur im Zeitraum vor der Aufnahme der Verfassungswidrigkeitserklärung durch das Verfassungsgericht besteht. Wenn man zur nicht statischen sondern "dynamischen" Ebene der Verfassungswidrigkeitserklärung wechselt, ist Zagrebelskys Theorie zu betrachten, nach der im Anschluss an die Aufnahme des Annahmeurteils das Verfassungsproblem entsteht, dem bezüglich anderen institutionellen Stellen wie Richtern und dem Gesetzgeber umfangreicher Spielraum gelassen wird. In diesem Sinn ist das Verfahren der Unvereinbarkeitserklärungen interessant, welche eben hinsichtlich des "Verfassungsproblems" eingreifen, um dies dank der Mitarbeit anderer Verfassungsorgane, unter denen zumindest anfangs der Gesetzgeber zu nennen ist, zu lösen. Im 7. Abschnitt (Erste Zeichen für die Zulässigkeit eines Verfassungsgerichts als "Verwalter" der Rechtswirkungen seiner eigenen Entscheidungen) wird die mögliche Legitimation (auf theoretischer Ebene) des Verfassungsgerichts als Verwalter der Rechtswirkungen der Verfassungswidrigkeitsurteile angedeutet, wobei insbesondere die Tatsache diskutiert wird, dass der zeitgenössische Konstitutionalismus wegen seiner substantialistischen Eigenschaft die Suche der für den spezifischen Fall am besten geeigneten Lösung und somit die "Negativ-Neuqualifizierung der Automatismen" erfordert, um zu starre Lösungen zu vermeiden. In diesem Sinn ist die Praxis des Bundesverfassungegsricht und dessen Erfindung der Unvereinbarkeitsentscheidungen von großer Bedeutung. In der Tat ist ein "flexibler" Ansatz an den zeitlichen Faktor der Rechtswirkungen der Verfassungswidrigkeitserklärung in verschiedenen europäischen Erfahrungen erkennbar; andererseits ist das was als "Naivität der Verfassungsgebenden" bezeichnet wurde, und zwar die "allzu simple Formulierung des Art. 136 ital. GG" hauptsächlich auf zwei Ursachen zurückzuführen, erstens die Notwendigkeit des Schutzes des Prinzips der Gewaltenteilung, unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und zweitens der Schutz der Rechtssicherheit. Im 8. Abschnitt (Verwaltet das Verwaltungsgericht die Rechtswirkungen im Verlauf der Zeit?) tritt das Verfassungsrecht in den Hintergrund, um zumindest in Kürze über die Steuerung der Rechtswirkungen der Annullierungsurteile durch das Verwaltungsgericht nachzudenken, wobei von einer Betrachtung ausgegangen wird, welche in der Rechtslehre – recht eindrucksvoll – klar ausgedrückt werden sollte, und zwar, dass die Verwaltungsprozessregeln wegen ihres entscheidenden kreativen Beitrags zur Rechtsprechung einen Ausgangspunkt und sicher keinen Endpunkt darstellen: In diesem Sinn erhielt das von der 4. Kammer des Staatsrats getroffene Urteil Nr. 2755 von Mai 2011 Bedeutung, wie auch das vom selben Verwaltungsrechtsorgan getroffene Urteil Nr. 13 von 2017. In beiden Fällen scheint der Staatsrat bestimmt zu haben, die Rechtswirkungen der eigenen Verkündigung angesichts der Notwendigkeit, einen übermäßigen Bruch innerhalb der Rechtsordnung zu verhindern, zeitlich zu steuern. Insbesondere hätte der Staatsrat ("Consiglio di Stato") beim ersten Spruch eine neue Art der Verkündigung gebildet, indem er bei der Untersuchung – nach einer vollkommen neuen Logik – den Bereich der zeitlichen Rechtswirkung des eigenen Spruchs so definierte, dass eine lediglich für die Zukunft geltende Rechtswirkung der eignen Entscheidung vorhergesehen wurde, sodass das Prinzip der Effektivität des Schutzes über das des Antrags der Partei siegt. Es ist unbedingt anzumerken, dass, wenn die Aufrechterhaltung der Rechtswirkungen der rechtswidrigen Maßnahme spiegelbildlich der Beibehaltung des Allgemeininteresses entspricht, die urteilende Tätigkeit des Verwaltungsgerichts dem des "Verwaltungsorgans" zu ähneln scheint. Auch bei seiner zweiten Verkündigung steuerte der Staatsrat die Rechtswirkungen mit Wirksamkeit pro futuro; die ganze Versammlung befand nämlich, das Urteil Nr. 10 von 2015 anzuführen, fast als Rechtfertigung des Argumentationskonstrukts zur Wahl einer derartigen Wirksamkeit, wobei im Übrigen bestätigt wurde, dass "die Ausnahme von der Rückwirkung […] auf dem Grundsatz der Rechtssicherheit beruht: […] die Möglichkeit für die Betroffenen, die Rechtsnorm wie ausgelegt anzuwenden, wird eingeschränkt, wenn die Gefahr schwerer wirtschaftlicher oder sozialer Auswirkungen besteht, die zum Teil auf die hohe Anzahl von in gutem Glauben begründeten Rechtsbeziehungen zurückzuführen ist […]". Darüber hinaus befand der Staatsrat, als spezifische Bedingungen, die es ermöglichen, die Rückwirkung einzuschränken oder richtiger "die Anwendung des Rechtsgrundsatzes auf die Zukunft zu beschränken" folgende: die objektive und erhebliche Unsicherheit bezüglich der Tragweite der auszulegenden Verfügungen; das Bestehen einer mehrheitlichen Orientierung entgegen der eingeführten Auslegung und die Notwendigkeit zum Schutz eines oder mehrere Verfassungsgrundsätze oder in jedem Fall, um schwere sozialwirtschaftliche Rückwirkungen zu verhindern. Das zweite Kapitel dieser Doktorarbeit ist gemeinsam mit dem ersten Kapitel darauf ausgerichtet, zu zeigen, dass die Frage bezüglich der Grenzen der Rückwirkung der Annahmeurteile seit den allerersten Jahren der Verfassungsrechtsprechung eine nicht nebensächliche Rolle gespielt hat, wie man sehen konnte. Daher die Bedeutung der Behauptung der neuesten deutschen Rechtslehre, die bestätigt, dass die Entscheidungshilfsmittel eines Verfassungsgerichts nicht vollkommen von der fortlaufenden "Konstitutionalisierung" der "neuen Rechte" entbunden sind. Somit scheint es eben diese dynamische Sicht zu sein, die Grundlage der Aufnahme der deutschen Unvereinbarkeitsentscheidungen war (und vor allem heute noch ist) und auch Grundlage einiger neuerer Verkündigungen des Verfassungsgerichts ist, darunter vor allem die Verordnung Nr. 207 von 2018. Wie im Übrigen im dritten Kapitel dieser Doktorarbeit ausgeführt wird, gab es bei der Regelung bezüglich der Wirksamkeit der Verfassungswidrigkeitserklärung zwei Änderungsversuche innerhalb der deutschen Ordnung, die beide darauf abzielten, die Wirksamkeit der Nichtigkeitserklärung "flexibler" zu machen. Angesichts der obigen Ausführungen ist im Verlauf der Zeit nicht nur - wie schon geschrieben - eine gemeinsame Tendenz der Verfassungsgerichte erkennbar, die insbesondere den Umgang mit der Wirksamkeit der Verfassungswidrigkeitserklärung prägt, sondern auch ein "konstantes" Bedürfnis, die "starre" Regelung der Rechtswirkungen zu reformieren, die – wenn auch nur zum Teil – eine wichtige Form der Umsetzung im Bundesverfassungsgerichtsgesetz fand. Das zweite Kapitel beginnt im 1. Abschnitt (Eine Stellungnahme: die Furcht vor den "Folgen" der Verfassungswidrigkeitserklärung und die Regelung der Rechtswirkungen im Verlauf der Zeit) mit einer Überlegung zur Furcht des Verfassungsgerichts, die Ordnung im Anschluss an die Aufnahme einer Verfassungswidrigkeitserklärung negativ zu beeinflussen; wie in der maßgeblichen Lehre Sajas bestätigt, darf das Verfassungsgericht "das Gewicht" seiner eigenen Entscheidungen nicht übersehen, denn dieses ist voll und ganz in einen sozialwirtschaftlichen Rahmen eingefügt, dessen Dynamik es tatsächlich nicht kennen kann; das Bedürfnis einer größeren "Flexibilität" der dem Verfassungsgericht zur Verfügung stehenden Entscheidungshilfsmittel ist, wie im Übrigen im Verlauf des Abschnitts gezeigt wird, verschiedenen europäischen Erfahrungen gemein. Auch aus diesem Grund legte der Gesetzgeber – was vielleicht nicht überrascht – mit der Zeit verschiedene Gesetzesentwürfe vor, die darauf abzielten, den Aspekt der Regelung der Rechtswirkungen der Annahmeurteile zu ändern. Diese Änderungsvorschläge werden (in der Zeit zurückgehend) im 2. Abschnitt (Die Reformversuche hinsichtlich der Regelung der Verfassungswidrigkeitserklärung) dargelegt: Die Analyse beginnt bei dem Gesetzesentwurf A. S. 1952, der verzeichnet ist unter "Änderungen der Gesetze Nr. 87 vom 11. März 1953 und Nr. 196 vom 31. Dezember 2009 zur Ermittlung und Transparenz in Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit", der nie diskutiert und daher nie aufgenommen wurde. Dieser letzte Änderungsversuch war durch das "Kostenurteil" Nr. 70 von 2015 angeregt worden, das wegen seiner vollständigen Rückwirkung die Wirtschaftsstruktur des Staates besonders belastete und den Gesetzgeber dazu veranlasste, eine Form der Positivierung der zeitlichen "Steuerung" der Rechtswirkungen der Verfassungswidrigkeitserklärung zu erfinden. In Art. 1, lit. c) des Gesetzesentwurfs ist vorgesehen, den Inhalt des dritten Absatzes, Art. 30, ital. Gesetz L. 87 von 1953 zu erweitern und somit neben der Nichtanwendung der als verfassungswidrig erklärten Norm den Einwand der Verfügung durch das Verfassungsgericht einer "anderen Handhabung der Wirksamkeit im Verlauf der Zeit derselben Entscheidung zum Schutz anderer Verfassungsgrundsätze" vorzusehen. Bedeutend scheint dabei der Verweis auf "Verfassungsgrundsätze", die, wenn korrekt und ausführlich beschrieben, nach der Ratio des vorliegenden Gesetzesentwurfs, den Antrag auf Steuerung der Wirksamkeit der Verfassungswidrigkeitserklärung legitimieren können. Es folgt eine kurze Analyse des Verfassungsgesetzesentwurfs Nr. 22 von 2013, der, wie es schien, eine wesentliche Änderung der Rechtswirkungen der Annahmeurteile einführen wollte und eine Bevollmächtigung des Gesetzgebers zur effektiven Steuerung der Wirksamkeit der erfolgten Verfassungswidrigkeitserklärung vorsah, denn der Gesetzesentwurf verwendete den Begriff "Abschaffung" für das Phänomen des aufhebenden Eingriffs des Verfassungsgerichts. Was vermutlich an diesem Änderungsentwurf am meisten interessiert, ist die Voraussicht der Spaltung zwischen dem Zeitpunkt der Feststellung und dem der "verfassungsgebenden" Wirksamkeit der Verfassungswidrigkeitserklärung: Man beachte in diesem Sinne Art. 1 der Gesetzesvorlage, laut der "[…] die Regierung […] die Initiative ergreift, den Kammern ein Aufhebungsgesetz oder eine Änderung des als verfassungswidrig erklärten Gesetzes vorzulegen; diese Initiative kann direkt von den Versammlungen ergriffen werden, […] sofern der Gesetzesentwurf nicht innerhalb der Frist der folgenden sechs Monate bzw. neun Monate bei Verfassungsgesetzen verabschiedet wird; dieselben Versammlungen erklären die Wirksamkeit des als verfassungswidrig erklärten Gesetzes als erloschen". Schließlich ist der am 30. Juni 1997 verabschiedete Entwurf zu beachten, in dem vorgesehen war, dass "wenn das Gericht die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift oder einer gesetzeskräftigen Maßnahme erklärt, die Wirksamkeit dieser Norm am Folgetag der Veröffentlichung der Entscheidung endet, außer dem Gericht bestimmt eine andere Frist, in jedem Fall nicht über einem Jahr ab Veröffentlichung der Entscheidung". Der besagte Entwurf ähnelt der österreichischen Praxis sehr, wo der Verfassungsgerichtshof über einen bestimmten Ermessensspielraum in Hinsicht auf die Möglichkeit verfügt, den Stichtag zeitlich zu verschieben, wie es zum Teil auch in der Praxis des Bundesverfassungsgerichts geschieht. Im 3. Abschnitt (Ein Verfassungsgericht, das handelt und die "traditionellen Einschränkungen" des Verfassungsrechts über die Verwaltung der Verfahrensregeln des Verfassungsprozesses hinaus überwindet) wird das Thema der Überwindung der traditionellen Einschränkungen des Verfassungsrechts durch die italienischen Verfassungsgerichte behandelt, insbesondere in Hinsicht auf die Einschränkung des Ermessensspielraums des Gesetzgebers. In diesem Sinne tritt der Beschluss Nr. 207 von 2018 hervor – der es vielleicht ermöglicht, das Thema der zeitlichen Steuerung der Rechtswirkungen wieder mit dem der Beziehung zwischen Verfassungsgericht und Parlament auf dem Gebiet des Strafrechts zu verbinden – mit dem das Verfassungsgericht meinte, mit einer ganz eigenen und besonders "gefestigten" Mahnung einzugreifen; weiter verfolge das Verfassungsgericht, wie der Verfassungsrichter Lattanzi schreibt, in letzter Zeit einen eher interventionistischen und weniger von Selbstbeschränkung geprägten Trend. In diesem Sinn treten einige Verkündigungen im Strafrecht hervor, darunter Urteil Nr. 236 von 2016 (auf das auch in dem erst kürzlich ergangenen Urteil Nr. 242 von 2019 verwiesen wird und das die "Sage" Cappato beendete), Urteil Nr. 222 von 2018, Urteil Nr. 233 von 2018, das allerdings nicht im Strafrecht eingeführte kürzliche Urteil Nr. 20 von 2019, das jedoch für die Rolle, die das Verfassungsgericht in Bezug auf das Legislativorgan einnimmt, von Bedeutung ist. Im 4. Abschnitt (Die Form der Entscheidungstechniken, mit denen das Verfassungsgericht die Rechtswirkungen der Verfassungswidrigkeitserklärung "Richtung Vergangenheit" verwaltet) wird die "Form" der Entscheidungstechniken, mit denen das Verfassungsgericht die Rechtswirkungen der Verfassungswidrigkeitserklärung steuert, untersucht: in diesem Sinn tritt das Mittel der Urteile der verschobenen Verfassungswidrigkeit hervor, welche den Urteilen der plötzlichen Verfassungswidrigkeit im weiteren Sinn ähneln, und sich dagegen von den Urteilen der Verfassungswidrigkeit im engeren Sinn, da letztere das Phänomen der Abfolge der Nomen im Verlauf der Zeit betreffen, abheben. Kurz gesagt, im 4. Abschnitt wird versucht – auf theoretischer Ebene – zu zeigen, wie das Verfassungsgericht das Hilfsmittel der eintretenden Verfassungswidrigkeit (in diesem Sinn ist Urteil Nr. 174 von 2015 vollkommen unerheblich) oder der verschobenen Verfassungswidrigkeit unter Ausschluss des Fehlens jeglicher Form der Positivierung des Umgangs mit dem Zeitfaktor hinsichtlich der Wirksamkeit der Annahmeurteile, verwendet. In diesen Fällen kommt dem Verfassungsgericht ein bestimmter Ermessensspielraum in der Bestimmung des Stichtags zu. Im 5. Abschnitt (Die Entscheidungen, die der Handhabung der Rechtswirkungen der Annahmeurteile in Bezug auf die Vergangenheit zugrunde liegen) dagegen sollen die Gründe erkannt werden, die dem Bedürfnis, die Rechtswirkungen der Urteile im Verlauf der Zeit zu steuern, zugrunde liegen. Erstens tritt die Notwendigkeit hervor, den Grundsatz der Rechtskontinuität ganz allgemein zu schützen, der als ein zu schützender Grundsatz definiert wurde und tatsächlich zu den von der Verfassung abgesicherten Grundsätzen, Interessen und Rechtssituationen gehört, zweitens tritt das Bedürfnis hervor, schwere Schädigungen des öffentlichen Haushalts oder neue und höhere finanzielle Ausgaben für den Staat und die öffentlichen Einrichtungen zu verhindern. Dieser Grundsatz wurde, wie zu unterstreichen ist, als ein allgemeiner verfassungsrechtlicher Wert definiert. Nach einem ersten theoretischen Teil wird im zweiten Kapitel versucht, die zeitlich handhabende Praxis des Verfassungsgerichts zu untersuchen. Ende der achtziger Jahre führte das Verfassungsgericht die allerersten zeitlich handhabenden Urteile ein (Abschnitte 5.1 und 5.2) und begann mit den Urteilen Nr. 266 von 1988, 501 von 1988 und 50 von 1989 die zeitlichen Rechtswirkungen der Annahmeurteile zu regulieren; später verwaltete das Verfassungsgericht den Zeitfaktor der Rechtswirkungen der eigenen Entscheidungen weiter und beträchtlich, ohne allerdings jemals ausdrücklich zu erklären, in die Steuerung der Rechtswirkungen der Annahmeurteile einzugreifen (eingreifen zu wollen). Zur Sparte der ersten zeitlich handhabenden Urteile gehört auch das Urteil Nr. 1 von 1991, das hinsichtlich der finanziellen Rechtswirkungen der Verfassungswidrigkeitserklärung (wie auch bezüglich der vom Verfassungsgericht vor der Einführung desselben durchgeführten Ermittlung) von besonderer Bedeutung ist. Wenig später führte das Verfassungsgericht das Urteil Nr. 124 von 1991 ein (über dessen Wesen die Rechtslehre diskutiert, da sie teilweise der Meinung ist, es handele sich um ein Urteil zur plötzlichen Verfassungswidrigkeit im engeren Sinn), bei dem man ein weiteres Mal der Steuerung der Wirksamkeit der Verfassungswidrigkeitserklärung beiwohnen konnte. Von Bedeutung ist auch Urteil Nr. 360 von 1996: bei dieser Gelegenheit erklärte das Verfassungsgericht die (alleinige) Verfassungswidrigkeit der ihm zur Beurteilung vorgelegten Verfügung der Gesetzesverordnung, ohne die Tragweite allgemein auf die wiederholten Verordnungen auszudehnen. In diesem Fall hätte das Verfassungsgericht in seiner Eigenschaft als Hüter der Rechtsordnung befunden, die Annullierung der wiederholten Gesetzesverordnungen angesichts des Grundsatzes der Rechtssicherheit zu "einzusparen". Am Rande der genannten Verkündigungen werden andere Entscheidungen in der Hauptsache untersucht, bei denen das Verfassungsgericht, wenn auch keine wahre zeitliche Handhabung der Rechtswirkungen vornahm, so doch eine erhebliche Furcht vor dem gezeigt hatte, was in der Rechtslehre als horror vacui bezeichnet wird. In Abschnitt 5.2.1 (Fokus: Urteil Nr. 1 von 2014: "ausgleichende" Bedeutung und horror vacui) wird Urteil Nr. 1 von 2014 Gegenstand der Untersuchung, bei dem das Verfassungsgericht zum Thema Wahlsystem eingriff und die Verfassungswidrigkeit des s.g. Porcellum erklärte, d.h des proportionalen WahlgesetzesmitMehrheitsprämieund starren Listen, welche die Wahl derAbgeordnetenkammerund desSenats der Republikin Italien in den Jahren2006,2008und2013 geregelt hatte. Das Verfassungsgericht hatte bei diesem Anlass von der Kategorie der abgeschlossenen Rechtsbeziehungen Gebrauch gemacht, um sich Handlungsspielraum hinsichtlich der zeitlichen Handhabung der Wirksamkeit der eignen Urteile zu verschaffen, nicht ohne die Prozessregeln politisch zu nutzen: Es handelt sich hierbei um einen der Fälle, bei denen das Verfassungsgericht angesichts des Nichtbestehens der Möglichkeit zur Steuerung der Rechtswirkungen der eignen Urteile bestimmt hat, die Regeln des eigenen Verfahrens vollkommen elastisch zu nutzen. Die Elastizität der Interpretation der Kategorie und der Regeln des Verfassungsverfahrens war im untersuchten durch das Bedürfnis, den Grundsatz zum Schutz des Staats und der verfassungsgemäß notwendigen Funktionen beizubehalten, vorgeschrieben. In diesem Sinn ähnelt die Ratio, die der besagte Spruch mit sich bringt, zum Teil einem der Anwendungsthemen der Unvereinbarkeitserklärungen, und zwar dem der "Rechtsfolgen". Nun tritt das Urteil Nr. 1 2014 in dieser Doktorarbeit hervor, da die Eigentümlichkeit der Wirksamkeit der Verfassungswidrigkeitserklärung (wie auch der Kategorie der s.g. abgeschlossenen Rechtsbeziehungen) angesichts der verfassungsgemäßen Bedürfnisse "gesteuert " worden wäre. Während in Abschnitt 5.2.2. (Am Rande des Urteils Nr. 1 von 2014) nochmals auf das Thema des s.g. horror vacui hingewiesen wird, so wird im 6. Abschnitt (Das Haushaltsgleichgewicht als Gegenspieler der Rückwirkung von Annahmeurteilen) der Grundsatz des Haushaltsgleichgewichts als möglicher, im Übrigen nach Inkrafttreten des ital. Gesetzes L. Nr. 1 von 2012, das den Grundsatz des Haushaltsgleichgewichts einführte, erstarkter Gegenspieler der in den Annahmeurteilen verwurzelten Rückwirkung, untersucht. Kurz gesagt, obwohl Art. 81, dritter Abs, ital. GG ("Jedes Gesetz, das neue oder höhere Ausgaben mit sich bringt, muss für die dafür notwendigen Mittel sorgen") nicht für die Tätigkeiten des Verfassungsorgans gilt, sondern nur für den Gesetzgeber, haben der Grundsatz des Haushaltsgleichgewichts und somit die streng finanziellen Bedürfnisse das Verfassungsgericht dazu geführt, Entscheidungsmittel zur Steuerung der Rechtswirkungen der Annahmeurteile einzusetzen (wie auch im Bereich der französischen und der spanischen Verfassungsjustiz), und zwar deshalb, weil das Verfassungsgericht sich – unvermeidlicherweise – in einem durch eingeschränkte wirtschaftliche Ressourcen charakterisierten Umfeld bewegt. Nicht nur hat es in der Verfassungsrechtsprechung verschiedene Verkündigungen gegeben, bei denen die Rückwirkung mit der konkreten Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung der Wirtschafts- und Finanzstruktur kontrastierte (man beachte, wenn auch unter anderen Gesichtspunkten, die Urteile Nr. 137 von 1986, Nr. 1 von 1991, Nr. 240 von 1994, Nr. 49 von 1995, Nr. 126 von 1995) und nicht nur wurde der letzte Änderungsvorschlag der Regelung der Annahmeurteile im Anschluss an die Aufnahme eines Kostenurteils vorgebracht, sondern vor allem beschloss das Verfassungsgericht mit Urteil Nr. 10 von 2015 zum ersten Mal mit Kenntnis der Sachlage, die Möglichkeit zur zeitlichen Handhabung der Rechtswirkungen der eigenen Urteile zu erklären. In dieser Arbeit wird insbesondere in Abschnitt 6.1 (Fokus: Das Urteil Nr. 10 von 2015: ein unicum in der Geschichte der Verfassungsjustiz) dem Urteil Nr. 10 von 2015 viel Raum gewidmet, da dieses tatsächlich ein unicum in der Geschichte der italienischen Verfassungsjustiz darstellt: Dabei bestimmte das Verfassungsgericht, den Verfassungsprozess nach vollkommen kreativen Regeln zu steuern und setzte das um, was als "Verfassungsgewalt" bezeichnet wurde und das, wie anscheinend behauptet werden kann, auf einer bestehenden starken Korrelation zwischen der Verfassungsjustiz und dem materiellen Verfassungsrecht basiert. In der Tat kann nicht geleugnet werden, dass das Thema der Handhabung der Rechtswirkungen der Verfassungswidrigkeitserklärung im Verlauf der Zeit ein Thema des materiellen Verfassungsrechts ist, welches bedeutende Anregungen für eine Überlegung zur Beziehung zwischen dem Verfassungsgericht und seinem Verfahren bietet. Weiter zwingt die Überbeanspruchung des Mechanismus, auf den sich die Inzidentalität des Systems gründet, dazu, über die Bedeutung nachzudenken, welche die Abwägung der Interessen, die einen verfassungsmäßigen Schutz verdienen, erwirbt. Vor allem scheint sich das Thema der Identifizierung jener Interessen zu stellen, die einen derartigen verfassungsmäßigen Schutz verdienen, dass sie vielleicht eine Ausnahme von der Regelung zur Steuerung der Wirksamkeit der Annahmeurteile rechtfertigen. Nun meinte das Verfassungsgericht mit Urteil Nr. 10 von 2015 die Rückwirkung mit dem Grundsatz des Haushaltsgleichgewichts aufwiegen zu können und somit Art. 81 ital. GG im Sinne eines "Übergrundsatzes" einzuordnen. Das materielle Recht, der Schutz der Verfassungsgrundsätze und -werte kollidierte also mit der Garantie der Jura und somit der Anrechte der Einzelnen. Der Grundsatz der Gleichheit und der Grundsatz der Verteidigung waren somit Gegenstand einer Abwägung mit Art. 81 ital. GG: Das Ergebnis war der Sieg des letzteren, da das Verfassungsgericht befand, dem besagten Urteil eine bloße ex nunc-Wirkung zu verleihen. Mit dem besagten Urteil erklärte das Verfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit der s.g. Robin Hood tax, einer 2008 eingeführte der Erdölbranche auferlegte Steuer. Das Verfassungsgericht bestätigte äußerst vielsagend – nach einer vollkommen innovativen Logik – Folgendes: "Bei der Verkündigung der Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Verfügungen kann dieses Verfassungsgericht den Einfluss, den eine solche Verkündigung auf andere Verfassungsgrundsätze ausübt, nicht unbeachtet lassen, um die eventuelle Notwendigkeit einer Abstufung der zeitlichen Rechtswirkungen der eigenen Entscheidungen über die anhängigen Beziehungen zu beurteilen. Die diesem Gerichtshof übertragene Rolle als Hüter der Verfassung in ihrer Gesamtheit erfordert es, zu verhindern, dass die Verfassungswidrigkeitserklärung einer gesetzlichen Verordnung paradoxerweise "mit der Verfassung noch weniger vereinbare Rechtswirkungen bestimmt" (Urteil Nr. 13 von 2004) als die, welche zur Zensierung der Gesetzesordnung geführt haben. Um dies zu verhindern, muss der Gerichtshof seine eigenen Entscheidungen auch unter dem zeitlichen Aspekt modulieren, sodass die Behauptung eines Verfassungsgrundsatzes nicht die Opferung eines anderen zur Folge hat. Dieser Gerichtshof klärte mit den (Urteilen Nr. 49 von 1970,Nr. 58 von 1967undNr. 127 von 1966) dass die Rückwirkung der Verfassungswidrigkeitsverkündigungen ein allgemeines Prinzip ist (und sein muss), das in den Urteilen vor diesem Gerichtshof gilt; dieses ist jedoch nicht uneingeschränkt. Zunächst ist unbestreitbar, dass die Wirksamkeit der Annahmeurteile nicht in soweit rückwirkend ist, dass sie "in jedem Fall rechtskräftig gewordene Rechtslagen" d.h. "abgeschlossene Rechtsbeziehungen" umkehrt. Andernfalls wäre die Sicherheit der Rechtsverhältnisse beeinträchtigt (Urteile Nr. 49 von 1970,Nr. 26 von 1969,Nr. 58 von 1967undNr. 127 von 1966). Der Grundsatz der Rückwirkung "gilt […] nur für noch anhängige Verhältnisse, mit daraus folgendem Ausschluss der abgeschlossenen, die weiter durch das als verfassungswidrig erklärte Gesetz geregelt bleiben" (Urteil Nr. 139 von 1984, zuletzt wieder aufgenommen imUrteil Nr. 1 von 2014). In diesen Fällen gehört die konkrete Erkennung der Einschränkung der Rückwirkung, die von der besonderen Regelung der Abteilung abhängt – zum Beispiel bezüglich der Ablauf-, Verjährungs- oder Unanfechtbarkeitsfristen von Verwaltungsmaßnahmen – die jede weitere Rechtsmaßnahme oder -behelf ausschließt, in den Bereich der ordentlichen Auslegung, für den die gewöhnlichen Gerichte zuständig sind (ex plurimis bestätigter Grundsatz durchUrteile Nr. 58 von 1967undNr. 49 von 1970)". Das Verfassungsgericht behauptet weiter, um sein praeter legem-Vorgehen zu rechtfertigen: "der Vergleich mit anderen europäischen Verfassungsgerichten, wie beispielsweise dem österreichischen, dem deutschen, dem spanischen und dem portugiesischen zeigt im Übrigen, dass das Einschränken der Rückwirkung der Verfassungswidrigkeitsentscheidungen auch in zwischenrangigen Verfahren eine verbreitete Vorgehensweise darstellt, unabhängig davon, ob die Verfassung oder der Gesetzgeber dem Verfassungsgericht diese Befugnisse ausdrücklich übertragen haben". Somit verließ das Verfassungsgericht bei dieser Verkündigung den Weg der "getarnten" Handhabung der Rechtswirkungen im Verlauf der Zeit, um das Thema des Interventionismus zur Steuerung der Wirksamkeit der eigenen Verkündigungen im Verlauf der Zeit ausdrücklich in Angriff zu nehmen. In Abschnitt 6.2 (Die Rebellion des vorlegenden Gerichts gegenüber des mit Rückwirkungsklausel ausgezeichneten Aufschubs der Rückwirkung) wird versucht, über die von den vorlegenden Gerichten an den Tag gelegte Rebellion gegenüber dem Aufschub der Rechtswirkungen durch die Verkündigung Nr. 10 von 2015 nachgedacht: Der Kurzschluss Verfassungsgericht – Richter läuft Gefahr, mit der Handhabung der Rechtswirkungen im Verlauf der Zeit beinahe ein unicum zu werden, sollte letztere nicht Gegenstand einer Positivierung durch den Gesetzgeber werden. Wie durch die maßgebliche Rechtslehre bestätigt, haben im Übrigen "die Richter" das letzte Wort. Wie im dritten Kapitel ausgeführt wird, übernehmen in diesem Sinn die Richter auch im deutschen System eine Hauptrolle in Bezug auf die Flexibilisierung der Rechtswirkungen der Annahmeurteile, nicht nur hinsichtlich der "Folgen" der Unvereinbarkeitssprüche, sondern auch in dem Fall, wo der Gesetzgeber nicht innerhalb der vom Bundesverfassungsgericht angegebenen Frist handelt, denn diese, wie durch maßgebliche Rechtslehre bestätigt, werden angerufen, um verfassungsmäßig zu entscheiden. In Abschnitt 6.3 (Ein inkohärentes Verfassungsgericht? Der "Einzelfall" des Urteils Nr. 10 von 2015 und die anschließende Rechtsprechung) werden die beiden, im Anschluss an das Urteil Nr. 10 von 2015 eingeführten Kostenurteile untersucht: das Urteil Nr. 70 von 2015 und das Urteil Nr. 178 von 2015. Bei erstgenanntem erklärte das Verfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit derital. Gesetzesverordnung Nr. 201 vom 6. Dezember 2011 (Eilverfügungen zum Zuwachs, zur Angemessenheit und zur Konsolidierung der Staatsfinanzen), das mit Änderungen durch Art. 1, 1. Abs. ital. Gesetz Nr. 214 vom 22. Dezember 2011 umgewandelt wurde, ohne jegliche zeitliche Modulation der Rechtswirkungen vorzunehmen. Aus diesem Grund stufte die Rechtslehre die besagte Verkündigung als ein "überraschendes" Urteil ein, in Anbetracht der Tatsache, dass die aus den Einwirkungen auf die wirtschaftlich-finanzielle Basis entstehenden Kosten entschieden höher waren als die, welche aus der Aufnahme des Urteils Nr. 10 von 2015 entstanden wären, hätte man dieses ganz einfach mit Rückwirkung ausgestattet. Andererseits, während der Gerichtshof beim Urteil Nr. 10 von 2015 meinte, eine Ausnahme von der den Rechtswirkungen der Verfassungswidrigkeitserklärung zugrunde liegenden Regelung zu machen, obwohl die Aufnahme einer "physiologischen" Verfassungswidrigkeitserklärung von sich aus hohe Kosten "nur" in Bezug auf die Erdölbranche und insbesondere in Bezug auf einen bestimmten Unternehmenszweig bewirkt hätte, ist es schwer zu verstehen, warum das Verfassungsgericht im Fall des Urteil Nr. 70, das nicht nur die s.g. Goldpensionen, sondern auch das Rentensystem insgesamt betraf, befand, nicht nach derselben Logik zu verfahren. In diesem Sinn liegt eine Antwort auf diese Entscheidungsinkohärenz vielleicht in der mangelnden Verwendung durch das Verfassungsgericht der Ermittlungsbefugnisse, die weiter unten behandelt werden. Sicher ist, dass das Verfassungsgericht eine vollkommen ungeordnete Steuerung seiner Prozesse an den Tag legte und tatsächlich eine freie und unbefangene Vorgehensweise hinsichtlich der Regeln des verfassungsrechtlichen Prozesses bewies. Die obige Behauptung wird durch die Aufnahme des zum Thema Tarifverhandlungen eingeführten Urteils Nr. 178 von 2015 bewiesen, bei dem das Verfassungsgericht durch Verwendung des Hilfsmittels der plötzlichen Verfassungswidrigkeit erneut die zeitliche Wirksamkeit der Verfassungswidrigkeitserklärung steuerte. Das Verfassungsgericht behauptet nämlich: "Erst jetzt offenbarte sich vollkommen, wie strukturpolitisch die Verhandlungsaussetzung war, daher kann die eintretende Verfassungswidrigkeit, deren Rechtswirkungen im Anschluss an die Veröffentlichung dieses Urteils beginnen, als eingetreten angesehen werden. Der unversehens begonnene Mangel an Verfassungsmäßigkeit erklärt sich angesichts der Kritiken, die dem Verfassungsgericht im Anschluss an das "denkwürdige" Urteil Nr. 10 von 2015 entgegengebracht wurden. Darum kommentierte die Rechtslehre die besagte Verkündigung im Sinne eines Falls, bei dem "ein Mangel am selben Tag auftritt und verschwindet, an dem er durch den Richter erklärt wird, welcher gleichzeitig das Fehlen zum Zeitpunkt der Überweisung der Maßnahmen an das Verfassungsgericht feststellt". Im Wesentlichen ist unzweifelhaft, dass das Verfassungsgericht einen Aufschub der Rechtswirkungen seiner eigenen Verkündigung aus plausiblerweise mit den finanziellen Folgen verbundenen Gründen in die Tat umsetzte. Hier soll in jedem Fall hervorgehoben werden, dass, wie in dem der deutschen Praxis gewidmeten Kapitel ausgeführt wird, auch das Bundesverfassungsgericht manchmal, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet zeitlich handhabende und nicht vollkommen mit der grundlegenden Ratio kohärente Verkündigungen einführte. Außerhalb des Rahmens des zwischenrangigen Verfahrens führte das Verfassungsgericht im Bereich des Hauptverfahrens das Urteil Nr. 188 von 2016 ein, bei dem eine vollkommene Rückwirkung der Verkündigung, wieder einmal zum Zweck der maximalen Verminderung der finanziellen Beeinträchtigung durch die rückwirkende Rechtskraft verfügt wurde. Der Fall ergab sich aus einer Klage der Region Friuli Venezia Giulia bezüglich des Haushaltsgesetzes 2013, da die Region mit besonderer Rechtsstellung befand, dass einige Artikel einigen Bestimmungen der besonderen Rechtsstellung der Region, einigen Durchführungsbestimmungen dieser Rechtsstellung und anderen, aus dem System zur Steuerung der Beziehungen zwischen dem Staat und dieser Region ableitbare Grundsätzen auf finanziellem Gebiet widersprachen. Im Wesentlichen kommt das Verfassungsgericht, auch angesichts der Durchführung einer Ermittlung zu dem Schluss der Verfassungswidrigkeit der beurteilten Norm und behauptet im Einzelnen wie folgt: "Der Grundsatz des dynamischen Gleichgewichts, der eng verbunden ist mit dem für die Aufrechterhaltung des wirtschaftlichen, finanziellen und vermögensrechtlichen Gleichgewichts im Verlauf der Zeit grundlegenden Prinzip der Haushaltskontinuität, […] kann auch zum Zweck des erweiterten Schutzes der Finanzlage der öffentlichen Hand angewendet werden, indem gestattet wird, die finanziellen Beziehungen bei Abkommen auch in Hinsicht auf die vergangenen Betriebsjahre angemessener umzugestalten" (Urteil r. 155 von 2015).Im Übrigen behauptete dieser Gerichtshof, wenn man einen anderen auf steuerrechtlichem Gebiet zwischenrangig eingeleiteten Fall untersucht, dass der Gesetzgeber rechtzeitig eingreifen muss, "um die verfassungsmäßige Auflage des Haushaltsgleichgewichts auch in dynamischer Hinsicht zu erfüllen (Urteile Nr. 40 von 2014,Nr. 266 von 2013,Nr. 250 von 2013,Nr. 213 von 2008,Nr. 384 von 1991eNr. 1 von 1966), […] dies eventuell auch, indem die erkannten Mängel der untersuchten Steuerregelung behoben werden" (Urteil Nr. 10 von 2015). Schließlich kann das Urteil Nr. 27 von 2018, ebenfalls auf wirtschaftlichem Gebiet interessieren. Im 7. Abschnitt (Eine Betrachtung über die Handhabung der Wirkungen: die Untersuchungsbefungnisse des Verfassungsgerichts) wird das Thema der Ermittlungsbefugnisse des Verfassungsgerichts untersucht, insbesondere in Bezug auf die Handhabung der Rechtswirkungen im Verlauf der Zeit, ausgehend von der Voraussetzung, dass die Annahmeurteile tatsächlich "systemische" Rechtswirkungen erzeugen: daher erscheint es im höchsten Maße relevant, dass das Verfassungsrechtsorgan in Hinsicht auf die eventuell durch seine Urteile erzeugten Einwirkungen auf die Ordnung bewusste Entscheidungen aufnehmen kann. Der kritische Punkt ist, dass das Verfassungsgericht selten von seinen Ermittlungsbefugnissen Gebrauch macht (obwohl die vom Verfassungsgericht tatsächlich verwendbaren Hilfsmittel in den ergänzenden Normen besonders detailliert erläutert werden), was sich nicht nur, wie oben beschrieben in wirtschaftlich-finanzieller Hinsicht auswirkt, sondern auch auf dem Gebiet der Wissenschaft (vgl. Urteile Nr. 162 von 2014, Nr. 96 von 2015 und Nr. 84 von 2016). Ab dem 8. Abschnitt (Die Verschiebung des Stichtags: die Gründe, die der zeitlich Richtung Zukunft handhabenden Verfahrensweise zugrunde liegen) ist das zweite Kapitel der Arbeit den ein Prinzip ergänzenden Urteilen, den Urteilen zur ermittelten aber nicht erklärten Verfassungswidrigkeit und den mahnenden Urteilen gewidmet. Im Allgemeineren ist dieser Abschnitt den Gründen gewidmet, die der zeitlich handhabenden Vorgehensweise, bei denen der zukünftige Zeitabschnitt hervortritt, zugrunde liegen: Es handelt sich um die Fälle, in denen das Verfassungsgericht nicht festlegt (oder nicht nur festlegt), die Rückwirkung der Verfassungswidrigkeitserklärung bzgl. der Vergangenheit einzuschränken, sondern (auch) entscheidet, einen Anschluss zum Gesetzgeber zu suchen, indem der Stichtag aufgeschoben wird. Weiter im Einzelnen nutzt das Verfassungsgericht einige Entscheidungsstrategien, um der Bildung der s. g. Gesetzeslücken vorzubeugen, die an sich der Kontinuität der staatlichen Funktionen wie auch der Stabilität der Rechtsverhältnisse, der positiven Tendenz der Finanzlage der öffentlichen Hand wie auch der öffentlichen Verwaltung schaden. Die Gründe, auf denen die besagte zeitlich handhabende Vorgehensweise aufbaut, sind ein weiteres Mal denen sehr ähnlich, die den Unvereinbarkeitserklärungen zugrunde liegen: die Gefahr, dass sich im Fall der Einführung eines die Verfassungswidrigkeit einer Norm ganz einfach erklärenden Urteils ein "Chaos" innerhalb der Rechtsordnung bildet. Im 9. Abschnitt (Die Mittel zur Vorverlegung des Stichtags: Die Urteile zur ermittelten aber nicht erklärten Verfassungswidrigkeit) werden die Hauptmerkmale der ermittelten ab nicht erklärten Verfassungswidrigkeit dargelegt ("sentenze di incostituzionalità accertata ma non dichiarata") die den Entscheidungen der Unvereinbarkeitserklärungen erheblich ähneln, denn in beiden Fällen besteht der Mangel der Verfassungsmäßigkeit und der Gerichtshof mahnt gleichzeitig den Gesetzgeber zur (mehr oder weniger unverzüglichen) Handlung, um die Beseitigung der Verfassungswidrigkeit, die das Rechtssystem insgesamt gefährdet, zu beschleunigen. Der grundlegende Unterschied besteht in der Tatsache, dass im Fall der Unvereinbarkeitserklärungen, die Verfassungswidrigkeit einer Norm nicht nur ermittelt, sondern auch erklärt wird und dies eben in Form der Unvereinbarkeitserklärung (und also nicht der Verfassungswidrigkeitserklärung). In Abschnitt 9.1 (Die Aufschiebung des Stichtags: die ein Prinzip ergänzenden Urteile) werden die ein Prinzip ergänzenden Urteile ("sentenze additive di principio") ebenfalls in ihren Hauptmerkmalen zum Gegenstand der Untersuchung; diese gehören, wie von der neuesten Rechtslehre bestätigt zu einem ungeschriebenen, der Rechtsprechung entspringenden Prozessrecht, auf das erst kürzlich vom Gerichtshof zum Thema der Rechtswirkungen der Verfassungswidrigkeitserklärungen auch mit Bezugnahme auf ausdrücklich komparatistische Bezüge verwiesen wurde. Mittels dieser Art der Entscheidung erklärt das Verfassungsgericht zwar die Verfassungswidrigkeit einer Norm für den Teil, in welchem diese keine bestimmte Voraussicht oder Regelung enthält, stellt jedoch gleichzeitig einen Grundsatz auf, der prinzipiell vom Gesetzgeber ausgeführt werden muss (welcher je nach Fall mehr oder weniger Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieses Grundsatzes haben kann). Wie man sieht, ähnelt das besagte Entscheidungshilfsmittel in seiner Art den Unvereinbarkeitserklärungen, da diese eine synergetische Form der Zusammenarbeit zwischen den Organen Verfassungsgericht, Gesetzgeber und Richter mit sich bringen. Doch nicht nur das: Der Gesetzgeber wird außerdem dazu aufgerufen, die Wiederherstellung der verletzten Verfassungslegalität zu optimieren, so wie mit Bezug auf die zeitlich handhabende deutsche Praxis, denn das, was die Unvereinbarkeitserklärung auszeichnet, ist die Reformpflicht, die s.g. Nachbesserungspflicht. Im Fall einer legislativen Untätigkeit im Anschluss an die Aufnahme eines ein Prinzip ergänzenden Urteils muss die "juristische Ebene" aktiviert werden: in Wirklichkeit ist vor dem Eingriff des Legislativorgans immer eine gewisse Zusammenarbeit zwischen den Richtern und dem Verfassungsgericht notwendig: in diesem Sinne haben die ein Prinzip ergänzenden Urteile eine weitere Ähnlichkeit mit den deutschen Unvereinbarkeitserklärungen. Den Urteilen der "reinen" Unvereinbarkeit ebenfalls sehr ähnlich sind die mit einer allgemeinen Beschlussformel ausgestatteten, ein Prinzip ergänzenden Urteile ("sentenze additive di principio dotate di un dispositivo generico"): in diesem Fall im Anschluss an die erfolgte Verfassungswidrigkeitserklärung, wenn es dem Gericht schwerfällt, im Anschluss an eine wissenschaftliche Auslegung des vom selben Verfassungsgericht erkannten Grundsatzes eine anzuwendende Norm zu bestimmen. Nach diesen Erläuterungen darf das Urteil Nr. 243 von 1993, das in dieser Doktorarbeit ausgiebig behandelt wird, nicht unberücksichtigt bleiben. Mit diesem Urteil erklärte das Verfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit eines bestimmten Mechanismus, der vom Gesetzgeber im Rentensystems erkannt wurde, ohne jedoch mit der Aufnahme eines Verfassungswidrigkeitsurteils mit ex tunc-Wirkung fortzufahren. Die mit der Aufnahme eines Urteils der ganz einfachen Annahme verbundenen Folgen wären nämlich für die Staatskassen übermäßig belastend gewesen. Die Rechtswirkungen einer derartigen Verkündigung, die daher von der Rechtslehre akkurat als ein einen Mechanismus ergänzendes Urteil definiert wird, erwiesen sich als denen der deutschen Unvereinbarkeitsurteile vollkommen ähnlich, insbesondere in Bezug auf die Beziehung zum Gesetzgeber: Letzterer wird nicht nur dazu angerufen, zu handeln, um den festgestellten Legitimitätsmangel zu beseitigen, sondern wird auch aufgefordert, innerhalb einer präzisen Frist einzugreifen; die Festsetzung einer Frist ist nämlich einer der Aspekte, der die zeitlich handhabende Praxis der Unvereinbarkeitserklärungen am stärksten auszeichnen. Ebenfalls von Bedeutung ist das Urteil Nr. 170 von 2014, das eben durch den allgemeinen Grundsatz ein Paradox innerhalb der Rechtsordnung erzeugte: Es wurde eine homosexuelle Ehe vorgesehen, obwohl die homosexuelle Ehe in Italien noch nicht legalisiert ist (man beachte im Übrigen, dass dasselbe Verfassungsgericht "BVerfG 1. Senat Beschluss vom 27. Mai 2008, 1 BvL 10/05" zitiert). Der Fall ergab sich aus einem von einem Ehepaar (bei dem eine Person, ihr Geschlecht verändert hatte) eingeleiteten Verfahren, um die Löschung der Eintragung "Beendigung der Rechtswirkungen des amtlichen Ehebundes" zu erwirken, die der Standesbeamte zusammen mit der Eintragung im Auftrag des Gerichts zur Berichtigung (von "männlich" in "weiblich") des Geschlechts des Ehemanns unter die Heiratsurkunde gesetzt hatte; das Verfassungsgericht befand, das Fehlen jeglicher Regelung des besagten Paars stelle eine Verletzung der unantastbaren Menschenrechte laut Art 2 ital. GG dar. Dennoch behauptete das Verfassungsgericht: "Die reductio adlegitimitatemdurch eine handhabende Verkündigung, welche die automatische Scheidung durch eine beantragte Scheidung ersetzt, ist nicht möglich, da dies gleichbedeutend mit einer Fortdauer des Ehebundes zwischen Personen desselben Geschlechts, im Widerspruch zu Art. 29 ital. GG wäre. Es wird also Aufgabe des Gesetzgebers sein, eine alternative (und von der Ehe verschiedene) Form einzuführen, die es den Ehepartnern ermöglicht, den Übergang von einem Zustand höchsten rechtlichen Schutzes zu einer auf dieser Ebene absolut unbestimmten Bedingung zu verhindern. Und der Gesetzgeber wird angerufen, diese Aufgabe mit höchster Eile zu erfüllen, um die erkannte Gesetzeswidrigkeit der untersuchten Regelung unter dem Gesichtspunkt des heutigen Rechtsschutzdefizits der betroffenen Personen zu überwinden". Schließlich ist das ein Prinzip ergänzende Urteil Nr. 278 von 2013 zur Anonymität der Mutter und das Recht des Kindes, seine Herkunft zu kennen, um seine Grundrechte zu schützen, von Bedeutung. Abschnitt 9.2 (Der Aufschub des Stichtags: die Appelle und die "Geisterhandhabung ", die diese mit sich bringen) schließlich ist den Mahnungsurteilen gewidmet, die, obwohl sie nicht in die Steuerung der Verfassungswidrigkeitserklärung eingreifen, dennoch einen Ausgleich zwischen Grundsätzen und Werten mit sich bringen, der "typischerweise" die Grundlage der zeitlichen Handhabung der Rechtswirkungen der Annahmeurteile ist: Der Gesetzgeber wird im Bereich eines Unzulässigkeitsurteils oder eines ablehnenden Urteils aufgefordert, in Bezug auf eine bestimmte Gesetzesordnung zu handeln, um die Legalität wiederherzustellen, von der angenommen wird, dass sie tatsächlich verletzt wurde. In Bezug auf Mahnungen ist Abschnitt 9.3 (In Bezug auf gefestigte Appelle: die Beziehung zwischen Verfassungsgericht und Gesetzgeber angesichts des Beschlusses Nr. 207 von 2018) vollständig dem Fall Cappato gewidmet, einem wichtigen und bedeutenden juristischen Fall, der es gestattet, die Wechselbeziehungen zwischen Verfassungsgericht und Gesetzgeber unter einer besonderen Lupe (auf dem Gebiet des Strafrechts) zu untersuchen. Zunächst scheint es relevant, die Sachlage zu erläutern: Der allgemein als DJ Fabo bekannte Fabiano Antoniani, der durch die Folgen eines Autounfalls 2014 querschnittsgelähmt und blind geworden war, bat Marco Cappato im Januar 2017, ihm zu helfen, die Schweiz zu erreichen, wo er die Euthanasie durch den sogenannten unterstützten Suizid beantragt hatte und am 27. Februar 2017 erhielt. Marco Cappato, dem bekannt war, dass auch die alleinige Hilfe bei der Beförderung in die Schweiz des Kranken, der darum bittet, nach italienischem Recht verboten ist, verklagte sich selbst bei seiner Rückkehr nach Italien. Gegen Marco Cappato wurde ein Verfahren eingeleitet, das später der Ausführung der Straftat nach gemäß Art. 580 ital. StGb als "Verleitung oder Hilfe zum Selbstmord" rubriziert wurde, nach dem "jeder, der Andere zum Selbstmord bringt oder sie in ihrem Suizidvorhaben bestärkt bzw. auf jedwede Weise dessen Ausführung erleichtert, wird, sofern der Selbstmord erfolgt mit fünf bis zwölf Jahren Haft bestraft". Die Prozessverhandlungen fanden am 8. November 2017, am 4. Und 13. Dezember 2017, am 17. Januar 2018 und am 14. Februar 2018 mit Verlesung des Beschlusses durch den Vorsitzenden des Geschworenengerichts Mailand statt, das die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Norm an das Verfassungsgericht verwies. Das Mailänder Gericht hatte zwei verfassungsrechtliche Legitimitätsfragen aufgeworfen: a) "dort, wo das Verhalten zur Hilfe zum Selbstmord statt des Verhaltens zur Verleitung zu Last gelegt wird und somit abgesehen von seinem Beitrag zur Entscheidung oder Bestärkung des Suizidvorhabens" wegen angenommenen Widerspruchs zu den Artikeln 2, 13, erster Absatz und 117 des ital. GG zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten (EMRK, das in Rom, am 4. November 1950 unterzeichnet, ratifiziert und durch Gesetz Nr. 848 vom 4. August 1955 vollstreckbar wurde); b) "dort, wo das Verhalten der Erleichterung in der Ausführung des Selbstmords vorgesehen ist, das nicht auf den Weg der Entscheidungsfindung des Suizid-Anwärters einwirkt, mit einer Haftstrafe von 5 bis 10 [recte: 12] Jahren, ohne Unterschied zum Verhalten der Verleitung bestraft werden kann", wegen angenommenen Widerspruchs zu den Artikeln 3, 13, 25, zweiter Absatz, und 27, dritter Absatz, ital. GG. Das Verfassungsgericht bestätigte bei der Aufnahme des Beschlusses Nr. 207 von 2018 die Nicht-Unvereinbarkeit der Beschuldigung der Hilfe zum Selbstmord mit dem Grundgesetz; dennoch befand das Verfassungsgericht, spezifische Fälle zu erkennen, in denen das besagte Verbot fallen müsse. Es handele sich um völlig außergewöhnliche Situationen, und zwar solche, in denen die unterstützte Person sich selbst wie folgt identifiziere: (a) als an einer unheilbaren Krankheit leidend, die (b) körperliches und psychisches Leiden mit sich bringt, die von der Person als absolut nicht auszuhalten betrachtet werden, welche (c) durch lebenserhaltende Maßnahmen am Leben gehalten wird, aber (d) in der Lage ist, Entscheidungen frei und bewusst zu treffen. In allen anderen Fällen könnte sich der Sterbewille dank Anwendung des ital. Gesetz L. Nr. 219 von 2017 erfüllen, das als Normen zur aufgeklärten Einwilligung und Patientenverfügung) rubriziert ist und durch die Voraussichten des ital. Gesetzes Nr. 38 vom 15. März (Bestimmungen zur Gewährleistung des Zugangs zu Palliativpflege und Schmerztherapie) ergänzt wurde. Anschließend bestätigt das Verfassungsgericht bedeutungsvoll: "Dieses Gericht befindet im Übrigen, zumindest zu diesem Zeitpunkt, keine Abhilfe schaffen zu können gegen die erkannte Rechtsverletzung hinsichtlich der oben aufgeführten Grundsätze durch die bloße Ausweisung aus dem Anwendungsbereich der Strafverfügung jener Fälle, in denen die Hilfe gegenüber Personen geleistet wird, die sich in den gerade beschriebenen Zuständen befinden", denn "eine solche Lösung würde an sich die Leistung materieller Hilfe gegenüber von Patienten in diesen Zuständen, in einem ethisch-gesellschaftlich höchst empfindlichen Bereich, in welchem jeder mögliche Missbrauch mit Bestimmtheit auszuschließen ist, vollkommen ungeschützt lassen". Die besagte Regelung müsste anfangs dem Parlament anvertraut werden, da die normale Aufgabe dieses Gerichtshofs die Überprüfung der Vereinbarkeit der vom Gesetzgeber in Ausübung seines politischen Ermessensspielraums bereits vorgenommenen Entscheidungen mit den durch die Notwendigkeit der Beachtung der verfassungsrechtlichen Grundsätze und der Grundrechte der betroffenen Personen vorgeschriebenen Einschränkungen ist. Das Verfassungsgericht bestimmt also, "seine eigenen Befugnisse zur Steuerung des Verfassungsprozesses" zu nutzen und die nicht mit dem Grundgesetz übereinstimmende Vorschrift beizubehalten, ohne jedoch deren Anwendung durch die Richter zu verfügen, in Anbetracht der Tatsache, dass die Wirksamkeit der zensierten Regelung im vorliegenden Fall angesichts "dessen besonderer Eigenschaften und wegen der Bedeutung der damit verbundenen Werte" nicht als erlaubt gelten könnte. Wie man bemerken kann, scheint die Ratio der Unvereinbarkeitserklärung in diesem Fall tatsächlich die Rolle des "steinernen Gastes" übernommen zu haben. Der Gerichtshof bestätigt somit: "Um zu verhindern, dass die Vorschrift in dem hier angefochtenen Teil in der Zwischenzeit angewendet werden kann, wobei dem Parlament dennoch die Möglichkeit gegeben ist, die notwendigen Entscheidungen zu treffen, die grundsätzlich in seinem Ermessensspielraum bleiben – die Notwendigkeit, den Schutz der Patienten in den mit dieser Verkündigung angegebenen Einschränkungen zu gewährleisten, bleibt unangetastet – befindet der Gerichtshof somit auf andere Weise vorsorgen zu müssen, indem er also die Aufschiebung des laufenden Verfahrens verfügt und die Verhandlung zur neuen Diskussion der Verfassungsmäßigkeitsfragen für den 24. September 2019 anberaumt; in den anderen Verfahren dagegen obliegt es den Richtern, zu beurteilen, ob, angesichts der Angaben in dieser Verkündigung ähnliche Fragen zur Verfassungslegitimität der untersuchten Verfügungen als erheblich und nicht offensichtlich unbegründet anzunehmen sind, um die Anwendung derselben Verfügung in dem hier angefochtenen Teil zu vermeiden". Die besagte Verkündigung ist durch die nun sehr bekannte Beschlussformel, charakterisiert, welche die getroffene Erklärung der Verfassungswidrigkeit von Art. 580 ital. StGb nicht enthält. Darin heißt es: "Aus diesen Gründen wird die Behandlung der mit dem im Rubrum angegebenen Beschluss aufgeworfenen Fragen zur Verfassungsmäßigkeit auf die öffentliche Verhandlung am 24. September 2019 verschoben". Es handelt sich nämlich um einen vorläufigen Beschluss, mit dem das Verfassungsgericht entschied, das Gerichtsverfahren aufzuschieben und die Verfassungswidrigkeit von Art. 580 ital. StGb auf die in derselben Verkündigung beschriebene Weise zu überprüfen. Die deutschen Unvereinbarkeitserklärungen ähneln jedoch in Ratio und Aufbau der besprochenen Verkündigung, denn derselbe Verfassungsrichter Modugno verwies in Bezug auf Beschluss Nr. 207 von 2018 bei der öffentlichen Verhandlung am 24. September 2019 ausdrücklich auf die deutsche Rechtsprechung. In erster Linie tritt die "Anwendungssperre der verfassungswidrigen Norm" hervor; in zweiter Linie tritt die für den Gesetzgeber vorgesehenen Frist und der Verweis auf eine "faire und dialektische institutionelle Zusammenarbeit" hervor; in dritter Linie tritt der weite Ermessensspielraum, den das Verfassungsgericht dem Gesetzgeber zur verfassungsgemäßen Gestaltung der Regelung gelassen hat, hervor. Wie in der Rechtslehre bestätigt, handele es sich um ein "gefestigter" Appell, ein Urteil zur ermittelten aber nicht erklärten ganz eigenen Verfassungswidrigkeit, eine italienische Unvereinbarkeitserklärung. Außerdem besonders hervorzuheben ist die Tatsache, dass das Gebiet, auf welchem die besagte Verkündigung eingriff, das Strafrecht ist, indem das Ermessen des Gesetzgebers erheblich bedeutend ist. Trotz der Absicht des Verfassungsgerichts handelte der Gesetzgeber nicht innerhalb der vorgesehenen Frist, aus diesem Grund referierte das Verfassungsgericht in der am 25. Oktober 2019 veröffentlichten Pressemeldung, dass "der Gerichtshof in Erwartung eines unerlässlichen Eingriffs des Gesetzgebers die Nicht-Strafbarkeit der Beachtung der Verfahren, die in der Vorschrift zur aufgeklärten Einwilligung, zur Palliativpflege und zur kontinuierlichen tiefen Sedierung (Artikel 1 und 2 des ital. Gesetzes 219/2017) und der Überprüfung sowohl der erforderlichen Bedingungen als auch der Ausführungsverfahren durch eine öffentliche Einrichtung des staatlichen Gesundheitsdienstes nach Anhörung des Bescheids des örtlich zuständigen Ethik-Kommission vorgesehen sind, unterstellt". Vor wenigen Tagen wurde das Urteil Nr. 242 von 2019 hinterlegt, mit dem das Verfassungsgericht die "Sage" Cappato "abschloss": aus zeitlichen Gründen konnte diese Verkündigung, die jedoch in Bezug auf die Beziehung zwischen Verfassungsgericht und Gesetzgeber von erheblicher Bedeutung für diese Doktorarbeit ist, nicht untersucht werden. Das Verfassungsgericht entschied somit, die "Verfassungswidrigkeit von Art. 580 des ital. Strafgesetzbuchs dahingehend" zu erklären, "dass die Strafbarkeit dessen nicht ausgeschlossen wird, der mit der in den Artikeln 1 und 2 des ital. Gesetzes Nr. 2019 vom 22. Dezember 2017 (Normen zur aufgeklärten Einwilligung und Patientenverfügung)– d.h. in Bezug auf die Tatbestände vor der Veröffentlichung dieses Urteils im Amtsblatt der Republik mit gleichwertigen Vorgehensweisen wie in der Begründung – vorgesehenen Art und Weise die Ausführung des sich selbständig und frei gebildeten Suzidvorhabens einer durch lebenserhaltende Maßnahmen am Leben gehaltenen Person, die an einer unheilbaren Krankheit leidet, welche körperliche und psychische Leiden mit sich bringt, die von dieser als nicht auszuhalten angesehen werden, welche aber in der Lage ist, Entscheidungen frei und bewusst zu treffen, sofern diese Bedingungen und die Ausführungsverfahren durch eine öffentliche Einrichtung des staatlichen Gesundheitsdienstes überprüft werden nach Anhörung des Bescheids des örtlich zuständigen Ethik-Kommission erleichtert". Der Gesetzgeber, der zum Handeln im Anschluss an die erfolgte Aufschiebung der Rechtswirkungen des Urteils der "ermittelten" Verfassungswidrigkeit laut Beschluss Nr. 207 von 2018 aufgerufen wurde, scheint zusammen mit und vor allem durch seine Untätigkeit im Urteil Nr. 242 von 2019 in den Vordergrund zu treten. Das dritte Kapitel ist vollumfänglich der deutschen Praxis der Unvereinbarkeitserklärungen gewidmet, deren wichtigste Vorteile und Problempunkte untersucht werden. Im 1. Abschnitt (Die Ratio eines Vergleichs zwischen der "alternativen Tenorierung" des BVerfG und der zeitlich handhabenden Rechtsprechung des Verfassungsgerichts) wird versucht, die Gründe, auf denen das Interesse für die zeitlich handhabende deutsche Praxis beruht zu erklären. Erstens entspricht, wie weiter unten ausgeführt sowohl in der italienischen Ordnung wie auch in der deutschen die Verfassungswidrigkeit einer Norm faktisch seiner Ungültigkeit. Trotz dieser gemeinsamen Voraussetzung, eben in Hinsicht auf die Notwendigkeit, eine Steuerung der Rechtswirkungen im Verlauf der Zeit der Verfassungswidrigerklärung vorzunehmen, sah der deutsche Gesetzgeber eine Änderung des BVerfGG vor, während dagegen, obwohl die Corte costituzionale in einigen Fällen befunden hatte, von der Rückwirkung der Annahmeurteile abzuweichen, das Verfassungssystem, wie im ersten und zweiten Kapitel zu zeigen versucht wurde, noch keine Form der Positivierung der Handhabung der Rechtswirkungen im Verlauf der Zeit erfahren. Und dies trotz der kürzlichen Einführung von Urteil Nr. 10 von 2015 und Beschluss Nr. 207 von 2018: erstes enthält, wie bereits besprochen, einen ausdrücklichen Verweis auf die deutsche Praxis; zweiter dagegen verweist lediglich implizit auf den Aufbau und die Ratio der deutschen Unvereinbarkeitserklärungen. Die besagten Entscheidungen werden aufgrund ihrer Bedeutung Untersuchungsgegenstand in Abschnitt 1.1. (Die Ratio des Vergleichs: zwei aktuelle Beispiele). In Abschnitt 1.2. (Die Problematik eines Vergleichs zwischen der italienischen und der deutschen Praxis) wird die Problematik bezüglich eines Vergleichs zwischen der italienischen und der deutschen Praxis hervorgehoben. In erster Linie tritt die verschiedene gesetzliche Regelung der Rechtswirkungen der Verfassungswidrigerklärung hervor; in zweiter Linie die ungleichen Beziehungen zwischen den verschiedenen Verfassungsorganen (zu denen das Verfassungsgericht offensichtlich gehört). In diesem Abschnitt werden diese beiden Aspekte beleuchtet, wobei jedoch nicht zu vergessen ist, dass, wenn auch die Beziehung zwischen BVerfG und dem Gesetzgeber entschieden entspannter ist als in der italienischen Situation, werden in der deutschen Rechtslehre dennoch die Problematiken hervorgehoben, die ein eventuelles Nicht-Erfüllen des Gesetzgebers der Vorgabe des Verfassungsgerichts mit sich bringt; gleichzeitig weisen die Unvereinbarkeitserklärungen Elemente der Unklarheit auf, und zwar in Bezug auf die Möglichkeit, ihre juristischen Folgen sicher kennen zu können, da diese konkret von den Entscheidungen des BVerfG abhängen; aus diesem Grund ist dieser Entscheid zum Teil auch Gegenstand der Kritik durch die deutsche Rechtslehre. Im Übrigen, während in Bezug auf die italienische Praxis die Unvereinbarkeitserklärungen vor allem angesichts der "unvorhersehbaren" Folgen kritisiert werden, kann man gleichzeitig nicht übersehen, dass dieselbe Kritik (und nicht nur diese) in der deutschen Rechtslehre angeführt wird, in der auch einige Problempunkte in Bezug auf die Beziehung zwischen Gesetzgeber und BVerfG mit besonderem Verweis auf die zeitlich handhabende Praxis hervorgehoben werden. In Abschnitt 1.3. (Ziel des Vergleichs mit den deutschen Unvereinbarkeitserklärungen) wird das Ziel des Vergleichs unterstrichen, das nicht nur in einer Überlegung zur hypothetischen Übertragung dieses Entscheidungstyps in die Sammlung der Entscheidungsmittel des Verfassungsgerichts ist, sondern auch in einer Überlegung zum Thema der "Einschränkung" der Rückwirkung besteht. Die nachfolgenden Abschnitte sind der Untersuchung der Norm gewidmet. Im 2. Abschnitt (Die Nichtigkeitslehre und die Theorie der Vernichtbarkeit) geht es auf rein theoretischer und allgemeiner Ebene um die Grundzüge der Nichtigkeitslehre und der Vernichtbarkeitstheorie. Abschnitt 2.1. ist vollumfänglich der Ipso-iure-Nichtigkeit gewidmet, die das Panorama der deutschen Rechtslehre seit den fünfziger Jahren beherrscht; es werden die juristischen Modelle untersucht, auf denen sie beruht und auf die Verfassungsnormen und das einfache Recht verwiesen, auf das sie aufbaut. Abschnitt 2.2. (Die Theorie der Nichtigkeit im Grundgesetz) ist den Verfassungsnormen gewidmet, welche die Grundlage der Nichtigkeitslehre darzustellen scheinen. Abschnitt 2.3. (Die Nichtigkeit des Verfassungsgesetzes und die Hauptquelle: §78 BVerfGG) ist der Untersuchung von § 78 BVerfGG gewidmet, wo es heißt, "Kommt das Bundesverfassungsgericht zu der Überzeugung, dass Bundesrecht mit dem Grundgesetz oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder dem sonstigen Bundesrecht unvereinbar ist, so erklärt es das Gesetz für nichtig". Wie man sieht, bestätigt diese Verfügung die Nichtigkeit der für verfassungswidrige erklärten Norm und steht so im Widerspruch zur "bloßen" Erklärung der Unvereinbarkeit der verfassungswidrigen Norm. Abschnitt 2.4. (Die Gesichtspunkte der Flexibilisierung der Rechtswirkungen der Entscheidung angesichts der Ipso-iure-Nichtigkeit) ist den allerersten Versuchen des BVerfG gewidmet, eine Ausnahme vom Dogma der Nichtigkeit zu machen und sich auf dieser Weise dem zu nähern, was als "Anwendbarkeit des Rechts" definiert wurde. Abschnitt 2.5. ist vollumfänglich der Vernichtbarkeitstheorie des Gesetzes gewidmet; insbesondere werden im Verlauf desselben die theoretischen und gesetzlichen Grundlagen dieser These untersucht, die sich teilweise mit der Notwendigkeit der Überwindung der die Nichtigkeitserklärung charakterisierenden Problempunkten deckt, wobei die Bedeutung, die diese Theorie hinsichtlich der Unvereinbarkeitserklärungen annimmt zu berücksichtigen ist. Der 3. Abschnitt (Die Folgen der Nichtigkeitserklärung, §79 BVerfGG) ist der Untersuchung der Folgen (gegenüber Vergangenheit und Zukunft) der Verfassungswidrigerklärung gewidmet: Diese Analyse entwickelt sich angesichts einiger von einigen Autoren der deutschen Rechtslehre, darunter vor allen Kneser, Gusy und Ipsen vorgebrachten Thesen. Abschnitt 3.1. (Die Vorschläge zur Änderung der Rechtswirkungen der deutschen Nichtigkeitserklärung) ist, fast symmetrisch zum 2. Abschnitt des 2. Kapitels, der Untersuchung zweier bedeutender Versuche zur Änderung der Rechtswirkungen laut § 79, Abs. 1 BVerfGG (BT-Drs. V/3916) und (BT-Drs VI/388) gewidmet, die, obwohl nie verabschiedet zur Verbreitung einer möglichen Rechtfertigung der Theorie der Vernichtbarkeit der verfassungswidrigen Norm beigetragen haben. Nach einem Teil der Rechtslehre war der Grund für die mangelnde Änderung der Rechtswirkungen des Nichtigkeitsurteils laut §79 BVerfGG sehr einfach, denn jede Form der Kodifizierung würde die notwendige Handlungsflexibilität des BVerfG einschränken, welches im Übrigen durch den Gebrauch der Unvereinbarkeitserklärungen immer anwendbare Handlungen gefunden hat. In jedem Fall änderte der Gesetzgeber im Jahr 1970 durch das Vierte Gesetz zur Änderung des BVerfGG den §79 1. Abs. und den § 31 2. Abs., in denen die Möglichkeit vorgesehen ist, dass die verfassungswidrige Norm nicht nur nichtig erklärt wird, sondern auch unvereinbar. Der umfangreiche 4. Abschnitt (Die deutschen Unvereinbarkeitserklärungen) ist den deutschen Unvereinbarkeitserklärungen gewidmet, die unter mehreren Gesichtspunkten untersucht werden und in diesem Kapitel Hauptgegenstand der Studie sind. In Abschnitt 4.1. (Grundlage und Legitimation der Unvereinbarkeitserklärungen) werden die allgemeinen Gründe untersucht, die das BVerfG dazu führten, trotz der Vorgabe des § 78 BVerfGG einen von der Nichtigkeitserklärung verschiedenen Entscheidungstyp einzuführen. Der zu untersuchende Entscheidungstyp ist mit der Zeit nach einem Teil der Rechtslehre zu einer "Regel" geworden, denn §78 BVerfGG hätte (nach der Lehre Burkiczaks) ein primitives Wesen angenommen. Andererseits weist der Pragmatismus des BVerfG einige bedeutende Schwierigkeiten auf, wie hier hervorzuheben versucht wird: Erstens die der Erkennung einer juristisch-theoretischen Rechtfertigung des besprochenen Entscheidungstyps und zweitens das Problem der Beschreibung der Anwendungstopoi, in Anbetracht der Tatsache, dass die Anwendungskriterien der Unvereinbarkeitserklärungen oft Überlagerungen aufweisen. In Abschnitt 4.2. (§ 79 1. Abs. des BVerfGG und § 31, 2. Abs. BVerfGG: die Revolution des Vierten Gesetzes zur Änderung des BVerfGG) wird das Thema der Revolution des Vierten Gesetzes zur Änderung des BVerfGG in Angriff genommen, das §79 1. Abs. des BVerfGG und § 31 2. Abs. BVerfGG änderte und die Möglichkeit einfügte, die Norm für unvereinbar zu erklären. Während in Abschnitt 4.3. (Der § 31 des BVerfGG) eben § 31 des BVerfGG, untersucht wird, befasst sich Abschnitt 4.4. (Der § 35 des BVerfGG) mit § 35 des BVerfGG, welcher nicht nur die Grundlage der Fortgeltungsanordnung der unvereinbaren Norm, sondern auch die möglichen Formen zu deren Vollstreckung begründet. Gerade wegen der "pragmatischen" Natur der Unvereinbarkeitserklärungen ist es schwierig, die Anwendungstopoi dieses Entscheidungsmittels zu erkennen; nicht ohne Grund wird in der maßgeblichen Rechtslehre auf eine pragmatische, flexible und nicht dogmatische zeitlich handhabende Praxis verwiesen, die im 5. Abschnitt (Das Problem der Erkennung einer Kasuistik der Unvereinbarkeitserklärungen: die pragmatische, flexible und nicht dogmatische Praxis) behandelt wird. Ganz allgemein werden Unvereinbarkeitserklärungen in folgenden Fällen angewendet: a) wenn der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten hat, um den Mangel an Verfassungsmäßigkeit zu beseitigen, für gewöhnlich, wenn der Gleichheitsgrundsatz verletzt wird, da dem Gesetzgeber ein großer Ermessensspielraum zukommt, um die verletzte Legalität wiederherzustellen. In diesem Fall ist es der Schutz der Ermessenssphäre des Gesetzgebers der zur Grundlage der Beurteilung (oder wenn man will der Abwägung) der juristischen Folgen der Verfassungswidrigerklärung wird. Hinsichtlich der Beziehung zum Gesetzgeber wird in der Rechtslehre eine Form der spezifischen Koordinierung zwischen BVerfG und Gesetzgeber bezeichnet, in Anbetracht der Tatsache, dass die Unvereinbarkeitserklärung den Ermessensspielraum des Gesetzgebers in Hinsicht auf den Zeitraum zwischen der Erklärung der Unvereinbarkeit und der Einführung der neuen Gesetzesverordnung schützt. b) wenn ein Übergang von der verfassungswidrigen Lage zur verfassungsmäßigen Situation im Gemeininteresse notwendig ist. Im Wesentlichen erhält dieser Anwendungsbereich in dem Fall Bedeutung, wo die Aufnahme einer Verfassungswidrigerklärung die Verfassungswidrigkeit innerhalb der Rechtsordnung noch verschlimmern würde. In diesem Sinne tritt die "Chaos-Theorie" hervor, die im Übrigen an die Verletzung der Artt. 33. 1. Abs., 2. Abs., 3. Abs. und 21 1. Abs. GG anknüpft. Während man die Einwendung der möglichen Unbestimmtheit der s.g. Anwendungstopoi der Unvereinbarkeitserklärungen eben wegen des Fehlens einer umfassenden Gesetzesgrundlage, die in Abschnitt 5.1. (Gibt es einen Numerus clausus der Anwendungsfälle der Unvereinbarkeitserklärungen?) angesprochen wird, im Hinterkopf behält, wird im 6. Abschnitt (Die Unterkategorien der Unvereinbarkeitserklärungen) auf die notwendige Unterscheidung zwischen den Unvereinbarkeitsentscheidungen und den s.g. Appellentscheidungen hingewiesen, um dann im Verlauf von Abschnitt 6.1. (Das "reine" Unvereinbarkeitserklärung) zur Untersuchung der Hauptmerkmale der reinen (oder schlichten) Unvereinbarkeitserklärung überzugehen, die sich vor allem durch eine Reformpflicht (mit dem Ziel der Garantie der freien Ausübung durch den Gesetzgeber seines Werks zur Beseitigung des vom BVerfG entschiedenen Legitimitätsmangels) und durch die s.g. Anwendungssperre des für verfassungswidrig erklärten Gesetzes charakterisiert, wie im Übrigen in der allerersten Unvereinbarkeitsentscheidungen, BVerfGE 28, 227 (Steuerprivilegierung Landwirte) vorgesehen war. Abschnitt 6.2. (Die Unvereinbarkeitserklärung und die s.g. weitere Anwendbarkeit des für unvereinbar erklärten Gesetzes) ist der Untersuchung des Aufbaus der vom BVerfG verfügten Anordnung der Anwendung des für unvereinbar erklärten Gesetzes: wie in diesem Abschnitt gezeigt wird, betrachtet die Rechtslehre das Mittel der Fortgeltungsanordnung als eine Art "Ebene" des "reinen" Unvereinbarkeitsurteils; gleichzeitig wird deren so verschiedenartiger Aufbau untersucht. In diesem Sinn wird auf die vorläufige Weitergeltungsanordnung und die endgültige Weitergeltungsanordnung verwiesen. Die Fortgeltungsanordnung wird auch in Abschnitt 6.2.1. untersucht, wo die gesetzliche Grundlage der Fortgeltungsanordnung zum Analyseobjekt wird; gleichzeitig erfolgt eine Überlegung zur Möglichkeit, die Voraussicht der zeitlich beschränkten Anwendung des für unvereinbar erklärten Gesetzes mit der Normenhierarchie zu vereinen. Die Lösung scheint in dem vom BVerfG verspürten Bedürfnis, die verfassungsfernere Lösung auszuschließen zu liegen. In Abschnitt 6.2.2. (Die in der Motivation der Unvereinbarkeitserklärungen liegende Schwierigkeit, vor allem in Bezug auf die mit Fortgeltungsanordnung verbundenen Erklärungen) wird der Problempunkt der schwierigen Erkennung der Folgen, die sich aus den Unvereinbarkeitsurteilen ergeben können, behandelt, und insbesondere im Fall der mit Anordnung der s.g. weiteren Anwendbarkeit, verbundenen Entscheidungen, in Anbetracht der Tatsache, dass das BVerfG die Folgen der Unvereinbarkeitsentscheidungen offen lässt. In Abschnitt 6.3. (Die mit einer Übergangsregelung verbundenen Unvereinbarkeitserklärungen) werden dagegen die mit einer vom selben BVerfG bestimmten Übergangsregelung verbundenen Unvereinbarkeitsentscheidungen analysiert. Die besagten Übergangsregelungen bestehen auch unabhängig von der Anwendung der Unvereinbarkeitserklärungen, denn diese können an Nichtigkeitserklärungen gebunden sein: Man denke beispielsweise an die Entscheidungen BVerfGE 1, 39 – Schwangerschaftsabbruch 1 und BVerfGE 88, 203 – Schwangerschaftsabbruch II. Wie weiter unten gezeigt, übernehmen die Übergangsregelungen, wenn sie in Begleitung der Unvereinbarkeitserklärungen beschlossen werden, die Rolle der "Entscheidungsgrundlage", und zwar deshalb, weil die Übergangsregelung keinen unabhängigen Entscheidungstyp darstellt. Der 7. Abschnitt (Die Anwendungsgebiete der Unvereinbarkeitserklärungen) besteht aus mehreren Unterabschnitten und beschäftigt sich mit Überlegungen zu den Anwendungsgebieten der deutschen Unvereinbarkeitserklärungen, die vor allem in Bezug auf die italienische Praxis von besonderem Interesse sind. Wie weiter unten gezeigt, basieren die Unvereinbarkeitserklärungen auf denselben Gründen wie die vom Verfassungsgericht entwickelte umfangreiche Sammlung an Entscheidungsmitteln, d.h. zum Beispiel die Urteile mit verschobener Verfassungswidrigkeit, die ein Prinzip ergänzenden Urteile und die Urteile zur ermittelten aber nicht erklärten Verfassungswidrigkeit. Erstens ist der Anwendungstopos der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, zu berücksichtigen, der in Abschnitt 7.1. (Die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes und der Schutz des Ermessensspielraums des Gesetzgebers) ausgehend von der ersten "offensichtlichen" Entscheidung mit Verzicht auf die Anwendung der Nichtigkeitserklärung BVerfGE 22, 349 (361-362) – Waisenrente und Wartezeit – untersucht wird. Das Ziel, die Optimierung der Beseitigung des Mangels an Verfassungsmäßigkeit zu gewährleisten, vereint sich im Fall der Verletzung des – in Art. 3 GG dargelegten Gleichheitsgrundsatzes – mit dem Schutz des Ermessensspielraums des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 17, 148; BVerfGE 93, 386; BVerfGE 71, 39; BVerfGE 105, 73; siehe schließlich auch das Urteil zum dritten Geschlecht vom 10. Oktober 2017). Während in Abschnitt 7.1.1. (Die Einführung der Nichtigerklärung im Fall der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes) die (außergewöhnlichen) Gründe behandelt werden, aufgrund derer das BVerfG verfügt, die Nichtigerklärung anzuwenden, obwohl ein Gleichheitsgrundsatz verletzt wurde, beschäftigt sich Abschnitt 7.2. (Die s.g. Chaos-Theorie) mit der Theorie, die auch als "Argument der juristischen Folgen" bezeichnet wird: Dieses Argument liegt, wie man im Verlauf dieses Kapitels sieht, dem Verzicht auf die Anwendung der Nichtigerklärung zugrunde, d.h. die Gefahr eines noch "verfassungsferneren Zustands bei Nichtigerklärung" (vgl. BVerfGE 37, 217; BVerfGE 33, 303; BVerfGE 132, 134). Es ist interessant zu bemerken, dass dieser Anwendungstopos im Bedürfnis, die Rechtssicherheit und den Rechtsstaat zu gewährleisten, substanziiert werden kann; weiter könnte das BVerfG nicht nur gesellschaftliche, sondern auch durch das Grundgesetz gewährleistete Grundrechte schützen wollen. Wegen der Bedeutung der Kategorie der Rechtssicherheit in der Praxis der Unvereinbarkeitserklärungen ist Abschnitt 7.2.1. (Rechtssicherheit . Eine elastische Kategorie) einer Untersuchung der Beziehung zwischen diesem juristischen "Gut" und der zeitlich handhabenden Praxis des BVerfG gewidmet; in Abschnitt 7.2.2. (Der Schutz des Gemeinwohls und die mit Fortgeltungsanordnung verbundenen Unvereinbarkeitserklärungen) wird eine Überlegung zur Beziehung zwischen den mit Fortgeltungsanordnung verbundenen Unvereinbarkeitserklärungen und der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit zum Schutz des Gemeinwohls entwickelt (vgl. BVerfGE 91, 186; BVerfGE 198, 190; BVerfGE 109, 190); der nächste Abschnitt 7.3. (BVerfG und Strafrecht) behandelt die Verwendung der Unvereinbarkeitserklärungen (insbesondere der mit Fortgeltungsanordnung verbundenen) durch das BVerfG auf dem Gebiet des Strafrechts. Dieser Abschnitt ist für italienische Forscher besonders interessant, nicht nur angesichts des weiten Ermessensspielraums, der dem Gesetzgeber auf dem Gebiet des Strafrechts zukommt, sondern auch angesichts der Aufnahme des kürzlichen Beschlusses Nr. 208 von 2017, der im späteren Verlauf seine "Folge" in Urteil Nr. 242 von 2019 fand (vgl. BVerfGE 109, 190; die Verkündigung zur Sicherungsverwahrung vom 4. Mai 2011, oder weiter die Entscheidung vom 20. April 2016 zum Thema Bundeskriminalamtgesetz). Wie man sehen wird, scheinen der Gesetzgeber und das BVerfG auf dem Gebiet des Strafrechts zwischen den Vorgaben der Beachtung des legislativen Ermessens und der erfolgten Unvereinbarkeitserklärung der nicht mit der Verfassung zu vereinbarenden Strafnorm zu "dialogisieren". Abschnitt 7.4. (Der Topos der Finanz- und Haushaltsplanung) ist der zwischen der Annahme der Unvereinbarkeitserklärung, seiner zeitlichen Wirkung und der Notwendigkeit zum Schutz des Staatshaushalts bestehenden Beziehung gewidmet. Zu diesem Zweck darf man die Tatsache nicht vergessen, dass die Weitergeltungsanordnung eine ausreichende juristische Grundlage ist, um die Zahlung der Steuern von den Bürgern zu fordern und dass diese gleichzeitig ein mögliches Mittel darstellt, um das Auftreten einer unsicheren Rechtssituation zu verhindern, da die Steuereinnahmen des Bundes oder der Länder verloren gehen könnten (vgl. BVerfGE 138, 136; Urteil vom 15. Januar 2019 2 BvL 1/09). Der Abschnitt 7.5. (Die Unvereinbarkeitserklärungen gegenüber der legislativen Unterlassung) behandelt die Beziehung zwischen der Unterlassung des Gesetzgebers und dem Verzicht auf die Nichtigkeitserklärung einer Norm. Es handelt sich im Wesentlichen um ein vollkommen primitives – und problematisches – Kriterium der Anwendung der Unvereinbarkeitserklärungen, wie es auch die Kategorie hinsichtlich des Ermessens des Gesetzgebers ist, dessen Hauptmerkmale in Abschnitt 7.6. (Ein primitives Kriterium: der Ermessensspielraum des Gesetzgebers) untersucht werden. Im 8. Abschnitt (Die Folgen der Unvereinbarkeitserklärungen: Eine allgemeine Übersicht) werden die Folgen analysiert, die ganz allgemein die Anwendung der Unvereinbarkeitserklärung betreffen, wobei jedoch zu unterstreichen ist, dass die Folgen je nach der "konkreten" Praxis, die dasselbe BVerfG befindet, Änderungen unterliegen können. Die Auswirkungen der Unvereinbarkeitserklärung haben keine "klare Linie". Ganz allgemein folgt der Anwendung einer Unvereinbarkeitserklärung die Pflicht des Gesetzgebers, den Mangel an Verfassungsmäßigkeit zu beseitigen und die Pflicht der Richter, die Vorgabe des Gerichts in Bezug auf die für unvereinbar erklärte Norm zu befolgen. In Bezug auf die Beziehung zwischen BVerfG und Gesetzgeber wird in Abschnitt 8.1. (Die aus der Pflicht zur Reform der unvereinbaren Norm, der s.g. Nachbesserungspflicht entstehenden Folgen) die Reformpflicht des Gesetzgebers untersucht und deren ex tunc- bzw. ex nunc-Wirkung je nachdem, wie das Bundesverfassungsgericht von Fall zu Fall entscheidet. In diesem Abschnitt wird versucht, auch die Natur und das Gebundensein an die Frist zu untersuchen, einem nicht ganz unbekannten Instrument im Bereich des italienischen Verfassungsrechts. Obwohl der Deutsche Bundestag häufig innerhalb der vom BVerfG, vorgesehenen Frist eingreift, gibt es doch auch Fälle, in denen der Gesetzgeber nicht innerhalb des vorgesehenen Zeitraums gehandelt hat (vgl. BVerfGE 99, 300; und das Urteil zur Erbschaftssteuer vom 17. Dezember 2014). In Bezug auf Problematiken hinsichtlich der Untätigkeit des Gesetzgebers kommt man nicht umhin, das in der übermäßigen zeitlichen Verlängerung der Anwendungssperre liegende Risiko zu betrachten (vgl. BVerfGE 82, 136). In Hinsicht auf die anderen Verfassungsorgane hat die Rechtslehre im Fall von legislativer Untätigkeit zwei verschiedene Möglichkeiten zum "Sperren" des verfassungswidrigen Zustands erkannt: Eingriff der Gerichte, die dazu aufgerufen sind, verfassungsmäßig zu entscheiden und Eingriff desselben BVerfG in "Einzelfall" gemäß § 35 des BVerfGG. Hinzu kommt, wie man weiter unten sieht, dass es schwierig ist, die Nichtigkeit der für unvereinbar erklärten Norm bei Untätigkeit des Gesetzgebers vorauszusehen. In jedem Fall sind die Probleme hinsichtlich des mangelnden Nachkommens der Nachbesserungspflicht eher theoretischer Art, wenn man die bestehende gute Zusammenarbeit zwischen Gesetzgeber (Richtern) und BVerfG bei der Umsetzung der zeitlich handhabenden Praxis bedenkt. In Abschnitt 8.2. (Die spezifischen Folgen der Unvereinbarkeitserklärungen) werden die spezifischen juristischen Folgen der Unvereinbarkeitserklärungen untersucht, wobei vor allem die "reinen" und die mit weiterer Anwendbarkeit verbundenen Unvereinbarkeitserklärungen betrachtet werden. Der 9. Abschnitt (Der Zeitfaktor der Unvereinbarkeitserklärungen: ein flexibles Entscheidungsmittel) widmet sich der zeitlichen Orientierung, welche die Rechtswirkungen der Unvereinbarkeitsurteile annehmen können, und zwar ex tunc- oder ex nunc-Wirkung, je nach der ihrerseits von der Reformpflicht des Gesetzgebers angenommenen zeitlichen Orientierung. Die mit der bloßen ex nunc-Wirkung der Unvereinbarkeitserklärungen verbundenen Problematiken, die in den Bereichen zur Beurteilung der konkreten Normenkontrolle und der Verfassungsbeschwerde am deutlichsten hervortreten, sind für das italienische Verfassungsrecht besonders interessant, in Anbetracht der Tatsache, dass dieses weitgehend durch die Inzidentalität des Systems charakterisiert ist, das durch die Unterbrechung des Inzidentalitätszusammenhangs stark beeinträchtigt würde. Die gleichen Problematiken scheinen sich laut der deutschen Rechtslehre in Bezug auf die beiden eben angeführten deutschen Urteilstypen zu stellen; ein deutliches Beispiel ist das in diesem Abschnitt untersuchte Urteil, die Entscheidung vom 10. April 2018 – 1 BvL 11/14. Angesichts der Ausführungen im ersten, zweiten und dritten Kapitel werden im letzten die Schlüsse dieser Doktorarbeit gezogen und versucht einen roten Faden zwischen der zeitlich handhabenden Rechtsprechung des ital. Verfassungsgerichts und der des BVerfG zu finden, und zwar anhand der Untersuchung einiger Aspekte, die das heutige Verfassungsrecht zu "modellieren" scheinen und deren korrekte Funktionsweise dadurch beeinflussen. Die abschließenden Betrachtungen (4. Kapitel) drehen sich um die Beziehung zwischen Verfassungsgerichtshof und Gesetzgeber der italienischen Praxis einerseits und der deutschen andererseits (1. Abschnitt), um die Beachtung des legislativen Ermessens in der italienischen Praxis einerseits und der deutschen andererseits (2. Abschnitt) und um die Notwendigkeit, "übermäßige Folgen" zu verhindern, sowohl in der italienischen als auch in der deutschen Praxis (3. Abschnitt). Weiter angesichts der deutschen Praxis, die sich auf den Schutz der Grundrechte aber weitgehend auch der Rechtsordnung insgesamt zu konzentrieren scheint, wird versucht, über eine mögliche neue Theorie der "Verfassungsfestigkeit" des Rechtssystems nachzudenken (4. Abschnitt - Eine neue Theorie der "Verfassungsfestigkeit" des Rechtssystems? Überlegungen zur deutschen Praxis). Nach dieser Klarstellung kommt man zur Endaussage dieser Doktorarbeit, die mit dem 5. Abschnitt (Reformbedarf der Regelung der Rechtswirkungen der Annahmeurteile. Auf welche Weise?) schließt: Es ist unbestreitbar, dass die Unumgänglichkeit der Rückwirkung den verfassungsrechtlichen (materiellen) Problematiken zugrunde liegt. Die deutsche Praxis der Unvereinbarkeitserklärungen beeinflusst das Verfassungsrecht unter mehreren Gesichtspunkten. Erstens in Hinsicht auf die Verbindung zwischen Verfassungsgericht und Legislativorgan. Eine Bestimmung des zeitlichen Elements der Rechtswirkungen der Entscheidungen der koordinierten Verfassungswidrigkeit gestattet es dem Gerichtshof, die Grenzen des Ermessensspielraums des Gesetzgebers zu ziehen. Daher die Bedeutung der Frist zur Eingrenzung der gesetzgebenden Gewalt innerhalb der verfassungsrechtlichen Trasse, um eine gemeinsame Beseitigung des Mangels an Verfassungsmäßigkeit zu fördern. Im Gegenfall muss das italienische Verfassungsgericht "alles alleine machen". Wie bereits angemerkt, sind die Schwierigkeiten zu berücksichtigen, die beispielsweise die mangelnde Reform des Strafgesetzbuchs von 1930 mit sich bringt, das unter anderem zu einem "unsystematischen und ungenauen" wie auch nicht in den Werterahmen der Verfassungsurkunde passendes Strafsystem geworden ist. Von erheblicher Bedeutung ist in dieser Hinsicht die kürzliche Pressemitteilung in Bezug auf die endgültige Entscheidung in der "Cappato-Sage", die auf der offiziellen Website des Verfassungsgerichts am 25. September 2019 veröffentlicht und durch das entsprechende nachfolgende Urteil Nr. 242 von 2019 bestätigt und in dieser Studie bereit ausgiebig behandelt wurde. Aufgrund seiner Relevanz wird hier der Text der Mitteilung vollumfänglich wiedergegeben: "Das Verfassungsgericht hat sich zur Urteilsfindung zurückgezogen, um die vom Mailänder Geschworenengericht zu Artikel 580 des Strafgesetzbuchs aufgeworfenen Fragen zur Strafbarkeit der Hilfe zum Selbstmord gegenüber einer Person, die entschlossen ist, ihrem Leben ein Ende zu setzen, zu untersuchen. In Erwartung der Urteilshinterlegung lässt die Presseabteilung wissen, dass der Gerichtshof eine Person, welche die Ausführung des selbständig und frei gebildeten Suizidvorhabens eines durch lebenserhaltende Maßnahmen am Leben gehaltenen Patienten, der an einer unheilbaren Krankheit leidet, welche körperliche und psychische Leiden mit sich bringt, die von diesem als nicht auszuhalten angesehen werden, welcher aber in der Lage ist, Entscheidungen frei und bewusst zu treffen, erleichtert, unter bestimmten Bedingungen für nicht strafbar laut Artikel 580 des Strafgesetzbuchs hält. In Erwartung eines unerlässlichen Eingriffs des Gesetzgebers hat das Verfassungsgericht die Nicht-Strafbarkeit der Beachtung der Verfahren, die in der Vorschrift zur aufgeklärten Einwilligung, zur Palliativpflege und zur kontinuierlichen tiefen Sedierung (Artikel 1 und 2 des ital. Gesetzes 219/2017) und der Überprüfung sowohl der erforderlichen Bedingungen als auch der Ausführungsverfahren durch eine öffentliche Einrichtung des staatlichen Gesundheitsdienstes nach Anhörung des Bescheids des örtlich zuständigen Ethik-Kommission vorgesehen sind, unterstellt. Der Gerichtshof unterstreicht, dass die Festlegung dieser spezifischen Bedingungen und Verfahrensweisen, die aus bereits in der Ordnung vorhandenen Normen abgeleitet werden, notwendig wurde, um die Risiken des Missbrauchs gegenüber besonders schwachen Personen zu verhindern, wie bereits in Beschluss 207 von 2018 hervorgehoben. Gegenüber den bereits umgesetzten Verhalten wird das Gericht das Bestehen äquivalenter materieller Bedingungen zu den oben angeführten beurteilen". Wie man beim einfache Lesen der Mitteilung erahnen kann, war es Absicht des Verfassungsgerichts, bei der Erklärung der Nicht-Strafbarkeit der Person, die unter bestimmten Bedingungen die Ausführung des Suizidvorhabens erleichtert (es handelt sich um die in Beschluss Nr. 207 von 2018 festgelegten Bedingungen), den Gesetzgeber aufzufordern, der erneut auf dem Gebiet des Lebensendes durch eine eigene Regelung eingreifen soll: Zweck des Beschlusses Nr. 207 von 2018 war gerade die zeitliche Verschiebung der Rechtswirkungen der Verfassungswidrigerklärung, um "vor allem dem Parlament zu gestatten, durch eine angemessene Regelung einzugreifen". Und wie man sieht, befand das Verfassungsgericht, gegenüber der fehlenden gesetzgebenden Handlung in der Rechtsordnung eine Form des Schutzes der Einzelnen durch Anwendung der bestehenden Bestimmungen zum Lebensende zu erkennen: Daher die (offensichtliche) Bedeutung, die dem Thema der Abstimmung zwischen Verfassungsgericht und Legislativorgan zukommt. Der Fall Cappato bestätigt die Idee, dass die Zusammenarbeit zwischen Gerichtshof und Parlament, sich eben in Richtung einer möglichen Einführung der Trennung zwischen dem Zeitpunkt der Feststellung und dem der Erklärung der Verfassungswidrigkeit bewegen könnte, ohne den Inzidentalitätszusammenhang zu opfern. In diesem Sinn treten die Unvereinbarkeitsentscheidungen hervor, bei denen der Gesetzgeber dazu verpflichtet ist, den Mangel an Verfassungsmäßigkeit mit Rückwirkung zu "bereinigen", sodass ein solches Modell funktionieren kann; dennoch ist es notwendig, der Abstimmung zwischen Gerichtshof und Parlament – wenn möglich – einen bestimmten Grad juristischer Gebundenheit zu verleihen. Anhand der deutschen Praxis und in Hinsicht auf das (entschieden kreative) zu formulierende Gesetz könnte eine bedeutende Verfassungsreform, in dieser Richtung vom Verfassungsgesetzgeber in Betracht gezogen werden (auch in diesem Fall unter Voraussicht der Rückwirkung im vorgelegten Verfahren). Wie man sehen konnte, sind die Entscheidungen des BVerfG gesetzeskräftig und bindend für alle Verfassungsorgane; sicher ist diese Grundlage in erster Instanz vorgesehen und sicher beruht auch die Pflicht des deutschen Gesetzgebers zur Beachtung der Entscheidung des BVerfG theoretisch auf Verfassungsgesetzen: dennoch wäre es vielleicht nützlich, die Vorgaben des Art. 136 2. Abs. ital. GG aufzuwerten, der, wenn auch in Bezug auf eine Beurteilung der Nützlichkeit des Eingriffs durch die Kammern und die betroffenen Regionalversammlungen doch "eine ausdrückliche und dynamische Verbindlichkeit […] der Legislativfolgen" darzustellen scheint. Eine mögliche Festigung der Verbindung zum Gesetzgeber könnte also durch eine Verfassungsreform umgesetzt werden, und zwar insbesondere durch die Änderung von Art. 132 2. Abs. ital. GG. Auf diese Weise würde die Möglichkeit des Verfassungsgerichts zur Festlegung einer Frist für den Gesetzgeber gerechtfertigt, ein Verfahren, das im Übrigen in unserem Verfassungssystem sicher nicht unbekannt ist, wie man sehen konnte. Sollte das Verfassungsgericht aufgrund verfassungsrechtlicher Bedürfnisse befinden, auf eine Form der Modellierung der Rechtswirkungen im Verlauf der Zeit und damit einer zeitlichen Verschiebung der Wirksamkeit der Verfassungswidrigerklärung durch eine Rückwirkungsklausel nicht verzichten zu können, dann gäbe es zwei mögliche Lösungen, die in Bezug auf ihre konkrete (aber eventuelle) "leichte" Umsetzbarkeit in absteigender Reihenfolge erläutert werden, im Bewusstsein jedoch, dass die Annahme einer der drei Vorschläge erhebliche Schwierigkeiten aufweist, sodass es vielleicht ratsam wäre, dass der Gesetzgeber sie alle untersucht und so dem Gerichtshof Spielraum lässt, durch eine Abwägung nach Feststellung einer elastischen Regelung der Rechtswirkungen zu handeln. Es ist jedoch sicher, dass die zuerst umrissene Lösung in jedem Fall die zu sein scheint, die am ehesten einer "Rückkehr zum Ursprung" des Verfassungsrechts entspricht, einschließlich der für das österreichische Verfassungsrecht im Bereich der ex nunc-Wirkung so typischen "Umfassungsprämie", die es ermöglicht, gleichzeitig sowohl den Einzelfall als auch die Ordnung insgesamt zu schützen. a) angesichts einer angemessenen Ermittlung könnte das Verfassungsgericht die Rechtswirkung der Verfassungswidrigerklärung auf Grundlage einer strengen Reglementierung aller an die Folgen der Einschränkung oder "Aussetzung" der mit der Rückwirkung verbundenen Aspekte und der Fälle, in denen eine derartige relevante und bedeutende Ausnahme in vollkommen außergewöhnlicher Weise erfolgen könnte, in der Zeit verschieben (wie es in Bezug auf die deutsche Praxis nicht geschehen ist), ebenfalls nach einer "kelsenschen Orientierung" der Reform des Artikels 30 3. Abs. ital. GG. In diesem Sinn tritt das Gesetzesdekret d.d.l. Lanzillotta hervor, wo befunden wurde, zu einer "schlichten" Reglementierung jener Fälle überzugehen, in denen der Gerichtshof eine Modulation der Rechtswirkungen im Verlauf der Zeit legitimerweise hätte tätigen können. In Art. 1 des Gesetzesentwurfs A.S. 1952 war vorgesehen, "c)im dritten Absatz des Artikels 30 werden am Ende folgende Worte hinzugefügt: ", außer falls der Gerichtshof eine andere Handhabung der Wirksamkeit im Verlauf der Zeit derselben Entscheidung zum Schutz anderer Verfassungsgrundsätze verfügt". Die "allgemeine" Formulierung ähnelt dem ersten Änderungsvorschlag für § 79 des BVerfGG: Die Ausdehnung der Rechtswirkungen der Verfassungswidrigerklärung war in beiden Fällen vorgesehen, in denen wie hervorzuheben ist, das deutsche und das italienische Verfassungsgericht "freie Hand" gehabt hätten. Vielleicht könnte man aber in Hinsicht auf die gemeinsame Trendlinie bemerken, dass Grundlage einer eventuellen Positivierung der zeitlichen Handhabung der Rechtswirkungen der Verfassungswidrigkeitssprüche eine übermäßige Versteifung der Fälle, welche die Verfassungsgerichte zur Abweichung von der Rückwirkung der Verfassungswidrigerklärung legitimieren würden, sein könnte. b) man könnte – mit der angemessenen Vorsicht und im Bewusstsein der erheblichen Problematik, die diese aufweist – eine dritte Lösung von anderer Art erfinden, die von einer ganz einfachen bloßen ex nunc,-Wirkung geprägt und von der Zusammenarbeit des Gesetzgebers und der Gerichte begleitet wäre (grundsätzlich nach dem Vorbild jener Unvereinbarkeitsentscheidungen, die keine "reinen" Unvereinbarkeitsentscheidungen sind). Eine solche Hypothese und extreme Lösung könnte von der Betrachtung ausgehen, dass die Rettung allein des vorgelegten Verfahrens vor der gesetzlichen Priorität den Gleichheitsgrundsatz (und auch den damit verbundenen Grundsatz des Rechts auf Verteidigung) verletze. Abgesehen von der Vorliebe für das erste vorgeschlagene Modell könnte es sich vielleicht auch auf Grundlage einer elastischen Reform der Regelung der Rechtswirkungen der Annahmeurteile als nützlich erweisen, dem Verfassungsgericht die Wahl des verfassungsrechtlich zwingenden Wegs – Auswegs – dem, welcher der geringsten Qual am nächsten kommt, zu überlassen, wobei alle Möglichkeiten sorgfältig abzuwägen sind, wenn man bedenkt, dass in der Tat im Fall a) einer "ungeregelten" Modulation ohne juristische Grundlage, b) der Vorgabe einer Modulation unter Beachtung des Grundsatzes der Rückwirkung nur im vorgelegten Verfahren und c) einer ganz einfachen Modulation ohne Beachtung des Rückwirkungsprinzips, man in jedem Fall einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes oder des Grundsatzes des Rechts auf Verteidigung (oder beider) beiwohnt. Sicher ist es nicht einfach, eine angemessene Änderung der Regelung der Rechtswirkungen der Annahmeurteile in Anlehnung an das deutsche Modell vorzusehen: Mit jeder Hypothese für das zu formulierende Gesetz sind erhebliche Schwierigkeiten verbunden. Und doch ist zum heutigen Stand vielleicht sicher, dass die Lösung, die Augen vor den vom Verfassungsgericht verspürten Bedürfnissen zu schließen, dem Rahmen, in welchem dieses sich bewegt, nicht gerecht werden würde, denn dieses sollte manchmal, eben aufgrund der Beachtung des Grundsatzes der höheren Stellung der Verfassung, die Möglichkeit haben, die Rückwirkung angesichts einer größeren Verfassungswidrigkeit auszuschließen und dem Gesetzgeber gestatten, durch eine gute Verwendung seines Ermessensspielraums wieder zu einer größeren Verfassungsmäßigkeit zu gelangen.
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,,Künstliche Intelligenz'' ist momentan ein Schlagwort, das mit Innovation und Fortschritt verbunden wird. In vielen Lebensbereichen wird künstliche Intelligenz (KI) verstärkt in unterschiedliche Prozesse integriert, sei es z.B. beim autonomen Fahren oder in der Medizin. Während einige den völligen Kontrollverlust des Menschen über die KI befürchten, setzen andere ihre Hoffnungen auf eine digitale Revolution durch die große Bandbreite an Aufgaben, die KI-generierte Systeme in Zukunft übernehmen könnten. Auch im Bereich Migration gibt es eine Vielzahl neuer technologischer Entwicklungen, die mit künstlicher Intelligenz operieren. Durch sie soll die häufig als unübersichtlich und ineffizient wahrgenommene Migrationspolitik in Zukunft maßgeblich verändert werden. Menschenrechtsorganisationen warnen jedoch vor teilweise verheerenden Gefahren von künstlicher Intelligenz für Menschen auf der Flucht und Migrant*innen. Als besonders vulnerable Gruppe bräuchten sie den Organisationen zufolge mehr Schutz, weshalb zu großer Vorsicht und Zurückhaltung im Umgang mit KI an Grenzen aufgefordert wird. Doch wie sieht der Einsatz von KI im Politikfeld Migration konkret aus? Welche Chancen erhofft man sich davon und wie groß sind die Gefahren? Im Folgenden werden anhand von Beispielen fünf Bereiche vorgestellt, in denen auf künstlicher Intelligenz basierende Instrumente Einfluss auf Migrationsprozesse nehmen. Im Fokus stehen dabei Vorhersagetools, neue Möglichkeiten zur Grenzüberwachung, der Einsatz von KI bei Grenzkontrollen, in Asylverfahren und als Unterstützung im Alltag von Migrant*innen bzw. von Menschen auf der Flucht. Nach der näheren Betrachtung dieser fünf Bereiche wird eingeschätzt, welche Auswirkungen künstliche Intelligenz auf Migrationsprozesse hat und in Zukunft haben könnte. Zu Beginn wird außerdem der jüngst in Kraft getretene AI-Act der Europäischen Union (EU) und damit der rechtliche Rahmen von KI in der EU in Bezug auf Aspekte der Migration beleuchtet.AI-ActSeit dem 1. August 2024 ist der AI-Act in der EU in Kraft, eine Verordnung zum Umgang mit künstlicher Intelligenz. Global handelt es sich dabei um die bislang umfangreichste Verordnung zu diesem Thema, der vielfach eine Vorreiterrolle zugesprochen wurde (vgl. Born 2024). Insgesamt wurde drei Jahre lang am AI-Act gearbeitet, wobei die rasante Entwicklung von KI immer wieder neue Fragen und Überlegungen aufwarf (vgl. Köver 2024). Das Ziel des AI-Acts ist es, die ,,Nutzung und Entwicklung von künstlicher Intelligenz'' (Born 2024) in der EU zu regulieren.Ein Kernelement des AI-Acts ist die Einstufung von KI-Systemen in ein Risiko-Raster. Ein ,,unannehmbares Risiko'' (Europäisches Parlament 2024) liegt bei ,,kognitive[r] Verhaltensmanipulation von Personen oder bestimmten gefährdeten Gruppen'' (ebd.), ,,soziale[…][m] Scoring'' (ebd.), ,,biometrischer Identifizierung und Kategorisierung natürlicher Personen'' (ebd.) sowie bei ,,biometrische[n] Echtzeit-Fernidentifizierungssystemen'' (ebd.) vor. Wenn ein unannehmbares Risiko vorliegt, ist das System dem AI-Act entsprechend in der EU unzulässig. In der ,,Strafverfolgung'' (ebd.) oder bei ,,schwerwiegende[…][n] Fälle[n]'' (ebd.) können jedoch einzelne Ausnahmen gemacht werden.Die darauffolgende Stufe beinhaltet ,,Hochrisiko-KI-Systeme'' (ebd.). Darunter fallen Systeme, ,,die ein hohes Risiko für die Gesundheit und Sicherheit oder für die Grundrechte natürlicher Personen darstellen'' (ebd.). Hochrisiko-KI-Systeme werden wiederum in zwei Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe bezieht sich auf die Anwendung von KI in Produkten, die von Produktsicherheitsvorschriften der EU betroffen sind. Die zweite Gruppe umfasst den Gebrauch von KI in besonderen Bereichen, zu denen neben der kritischen Infrastruktur oder der Bildung unter anderem auch die ,,Verwaltung von Migration, Asyl und Grenzkontrollen'' (ebd.) gehört. KI-Systeme, die in hochriskanten Bereichen eingesetzt werden, müssen dem AI-Act entsprechend vor und während des Einsatzes geprüft werden. Außerdem können Bürger*innen über derartige Systeme Beschwerden bei nationalen Behörden einreichen.Das Risiko-Raster im AI-Act beinhaltet außerdem ,,Transparenzanforderungen'' (ebd.). Systeme, die hiervon betroffen sind, gelten zwar nicht als riskant, müssen sich jedoch an Transparenzanforderungen und das Urheberrecht der EU halten. Zu Systemen, die Transparenzanforderungen erfüllen müssen, zählt z.B. ChatGPT. Bei anderen KI-basierten Systemen wie z. B. Spam-Filtern sind keine Regulierungen vorgesehen (vgl. Born 2024).Einige Akteure, wie z.B. Firmen, die KI-basierte Tools entwickeln, sind durch den AI-Act und die neuen Regulierungen verunsichert. Sie befürchten einen Mehraufwand und wirtschaftliche Nachteile durch bürokratische Hürden bei der Entwicklung neuer Technologien (vgl. ebd.). Für andere Akteure gehen die Regulierungen im AI-Act nicht weit genug. Besondere Kritik betrifft in diesem Zusammenhang der Umgang des AI-Acts mit dem Thema Migration, welches im Regelwerk als hochriskantes Gebiet eingestuft wird.Kritik am AI-ActDiese Einordnung reicht nach Einschätzungen verschiedener Nichtregierungsorganisationen jedoch nicht aus, um Menschen auf der Flucht bzw. Menschen während eines Migrationsprozesses ausreichend vor den Gefahren künstlicher Intelligenz zu schützen (vgl. Amnesty International 2024b, S. 22). Das Bündnis ,,#ProtectNotSurveil'' veröffentlichte ein dementsprechendes Statement (vgl. #ProtectNotSurveil 2024). Zu ,,#ProtectNotSurveil'' gehören unter anderem Organisationen wie Amnesty International, Algorithm Watch, European Digital Rights und das European Network Against Racism.Ein Kritikpunkt des Bündnisses ist, dass einige im Migrationskontext angewandte Systeme, die nach Einschätzung der Organisationen ein unannehmbares Risiko tragen, nicht in den Bereich des unannehmbaren Risikos aufgenommen wurden. Einzelne in anderen Bereichen verbotene Praktiken wie die KI-gesteuerte Emotionserkennung sind im Migrationskontext erlaubt. Außerdem bemängelt #ProtectNotSurveil, dass sich Datenbanken wie Eurodac, das Schengen Information System und das Europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS), die im Bereich Migration von hoher Bedeutung sind, erst nach mehreren Jahren an die im AI-Act vereinbarten Regelungen halten müssen. Ungeklärt ist außerdem, welche KI-Systeme in der EU entwickelt und aus der EU exportiert werden dürfen. Auch wenn sie in der EU verboten sind, könnten diese Systeme negative Auswirkungen auf Geschehnisse außerhalb der EU haben.Zudem wird kritisiert, dass es einige im AI-Act dokumentierte Ausnahmen der Regeln des AI-Acts gibt, die den Missbrauch von KI im Kontext von Migration begünstigen können. Eigentlich beinhaltet der AI-Act eine Regel, dass öffentliche Akteure transparent mit dem Nutzen hochriskanter Systeme umgehen müssen. Die Öffentlichkeit muss einen Zugang zu Informationen über die genaue Verwendung der Systeme besitzen. Ausgenommen von dieser Pflicht zur Transparenz sind Behörden, die sich mit Strafverfolgung und Migration befassen. Obwohl Menschen- und Persönlichkeitsrechte in diesen Bereichen besonders gefährdet sind, herrscht hier keine Transparenz, sodass #ProtectNotSurveil zufolge der Gesamtbevölkerung und Journalist*innen die nötige Kenntnis über das Vorgehen der Behörden vorenthalten wird.Weitere Ausnahmen von den Regeln im AI-Act können gemacht werden, wenn Nationalstaaten ihre nationale Sicherheit bedroht sehen und der Einsatz künstlicher Intelligenz für diese Sicherheit notwendig ist. Mit diesem Argument, das sich auch auf Migrationsprozesse beziehen kann, könne dem Bündnis entsprechend theoretisch jede Vereinbarung des AI-Acts gebrochen werden.Einsatzmöglichkeiten von KI im Kontext von MigrationBis der AI-Act gänzlich umgesetzt wird, dauert es noch einige Jahre. Während dieses Zeitraums ist absehbar, dass auch im Bereich Migration neue Technologien entwickelt werden, die dann möglicherweise neue Regeln fordern. Einige Entwicklungen, die heute schon in der Praxis angewandt oder getestet werden, werden im Folgenden vorgestellt. Ein Fokus liegt dabei auf Vorgängen innerhalb der EU und der Bundesrepublik.Viele von ihnen verbindet, dass sie eine stärkere und strengere Kontrolle und Beschränkung von Migration bewirken sollen. Einer Umfrage der ARD aus dem Jahr 2023 entsprechend hielten damals 82% der Befragten eine ,,Verstärkung von Grenzkontrollen'' (Ehni 2023) für richtig. Die ,,Integration in die Gesellschaft'' (ebd.) sowie die ,,Integration in den Arbeitsmarkt'' (ebd.) von Geflüchteten bewerteten dagegen jeweils 78% der Befragten eher schlecht oder sehr schlecht (vgl. ebd.). Es herrscht demnach Unzufriedenheit mit der momentanen Migrationspolitik, für die nach der Einschätzung von 64% der in der Studie befragten Personen auf europäischer Ebene Lösungen gefunden werden müssten (vgl. ebd.).Insgesamt besitzt die EU eine ca. 12.000 km lange Land- sowie eine ungefähr 45.000 Kilometer lange Seegrenze (vgl. Rust 2020). Für das Passieren dieser Grenze nehmen jährlich Tausende eine lebensgefährliche Flucht auf sich. Wenn Grenzgebiete stärker kontrolliert und bewacht werden, so wählen viele Menschen noch gefährlichere Routen (vgl. Beiter/Ammicht/Klügel 2022). Nach Angaben der EU starben ,,zwischen 2015 und 2020 mehr als 13.000 Menschen bei dem Versuch, Europa über das Mittelmeer zu erreichen'' (ebd.). Die Route über das Mittelmeer gilt daher als die ,,gefährlichste Fluchtroute der Welt'' (Pesavento 2023).Menschen auf der Flucht sind auf Schutz und Hilfe angewiesen, nach der UN-Menschenrechtskonvention besitzen sie ein Recht auf Asyl (vgl. Cremer 2016, S. 40). Die Notlage der betroffenen Menschen oder der Fachkräftemangel in vielen europäischen Staaten zählen zu einer Vielzahl an Argumenten, die eine allgemein weniger auf Grenzschutz und Abschottung ausgerichtete Migrationspolitik stützen. Bei der Betrachtung der nun aufgeführten Technologien sollte diese Grundsatzüberlegung mitgedacht werden. Begonnen wird mit der Verwendung künstlicher Intelligenz zur Vorhersage von Migration. Dieses Feld ist momentan im Aufschwung begriffen, da immer mehr Tools entwickelt und ihre Möglichkeiten erweitert werden.Vorhersage von MigrationTools zur Vorhersage bestimmter Prozesse werden in beinahe allen Bereichen des politischen Geschehens verwendet, z.B. in Anbetracht der Bevölkerungsentwicklung, ökonomischer Veränderungen oder des Klimawandels. Der Einsatz von KI für derartige Vorhersagen verspricht eine hohe Geschwindigkeit der Vorhersagen, eine schnelle Anpassungsfähigkeit an neue Entwicklungen und eine vermeintlich objektive Einschätzung der Lage. Durch die Eingabe von Daten in KI-gesteuerte Vorhersagesysteme kann eine Vielzahl verschiedener Faktoren beachtet werden, aus denen dann Vorhersagen über Migrationsbewegungen, deren Routen und Ursachen getroffen werden sollen (vgl. Bither/Ziebarth 2020, S. 12). Dabei können beispielsweise Daten zur politischen Lage, zu klimatischen Veränderungen oder zu sozialen Situationen kombiniert und ausgewertet werden. Außerdem trägt das Erstellen digitaler Identitäten, z. B. durch die digitale Verfügbarkeit von persönlichen Daten und Bewegungsdaten zu einer leichteren Vorhersage von Migrationsbewegungen bei (vgl. Monroy 2022). Vor allem Daten aus Telefongesprächen, Suchmaschinenanfragen oder Bewegungsdaten, die in klassischen Prognosen noch nicht beachtet wurden, können Erkenntnisse aufzeigen, die aus tradierten Vorhersagen nicht gewonnen werden können (vgl. Angenendt/Koch/Tjaden 2023, S. 11). Im Allgemeinen wird daran kritisiert, dass die Menschen, die sich z.B. auf der Flucht in einer Notsituation befinden, in solchen Vorhersagen als eine Zahl betrachtet werden, hinter der die Individuen, ihr Leid und ihre Not verblassen. Diese Zahl kann auch zu populistischen Zwecken genutzt werden, indem schutzbedürftige Menschen als Gefahr dargestellt werden und Hetze gegen sie betrieben wird (vgl. Langrand 2024). Bei Migration handelt es sich zudem um ein sogenanntes ,,wicked problem[…]'' (Angenendt/Koch/Tjaden 2023, S. 9), das sehr schwer durchschaubar ist. Einige politische Ereignisse, die für Migrationsprozesse entscheidend sind, können auch von künstlicher Intelligenz nicht exakt eingeschätzt werden (vgl. Angenendt/Koch/Tjaden 2023, S. 9). Wie genau eine KI-generierte Prognose ausfallen kann, hängt außerdem von der Qualität und der Quantität der Daten ab. Ob diese Schwierigkeit durch eine genauere Datenerfassung bei Migrant*innen behoben werden sollte, ist jedoch umstritten. Der Gebrauch der Daten von Migrant*innen kann für diese gefährlich werden, wenn beispielsweise die Migrationsrouten verfolgter Menschen berechnet werden. Das Vorhandensein genauer Daten dieser Menschen könnte dazu führen, dass sie der Verfolgung nicht entkommen können (vgl. Bither/Ziebarth 2020, S. 13).Wie in den meisten anderen Lebensbereichen auch, können unzureichend geschützte Daten ausgenutzt werden. So wird auch befürchtet, dass menschenrechtswidrige Pushbacks, also illegale Rückführungen von Menschen auf der Flucht, durch die Möglichkeit einer genauen Ortung betroffener Personen erleichtert werden (vgl. Langrand 2024). Selbst wenn eine hohe Datenmenge verfügbar ist, ist der Umgang mit dieser komplex. Schließlich nehmen auch höchst individuelle Aspekte wie Wünsche und Vorstellungen, die Familienzusammengehörigkeit oder spontane Begegnungen auf Migrationsverläufe Einfluss (vgl. Langrand 2024). Trotz dieser Risiken ist die Forderung nach Vorhersagesystemen im Bereich Migration groß. Ein Grund dafür ist der wachsende Wunsch nach einer stärker evidenzbasierten Migrationspolitik (vgl. Beduschi 2021, S. 576). KI-generierte Prognosen könnten, obwohl sie bislang recht ungenau sind, von diesen Akteuren geforderte Daten liefern. Man erhofft sich außerdem, durch eine gemeinsame Datengrundlage zwischen am Migrationsprozess beteiligten Institutionen besser kooperieren und organisieren zu können.Zum einen könnten bereits im Vorhinein Ressourcen zur Hilfe für schutzbedürftige Personen bereitgestellt werden, zum anderen könnten auch erweiterte Grenzkontrollen etabliert werden (vgl. Bither/Ziebarth 2020, S. 13). Der wohl größte Nutzen, der von Vorhersagetools erhofft wird, ist die Möglichkeit, durch langfristige Vorhersagen bereits Ursachen für Migration vorhersagen und verhindern zu können (vgl. Langrand 2024). Dieser Vorstellung nach müssten sich Menschen dann gar nicht erst auf die Flucht begeben. Schlussendlich sind alle Chancen und Risiken der Vorhersage davon abhängig, wie politische Akteure auf die Prognosen reagieren und wie sie diese nutzen. Wie bei den meisten technischen Entwicklungen können sie positiv und negativ genutzt werden. Schon heute werden KI-gesteuerte Prognosesysteme für Migrationsprozesse in der EU angewandt. Die meisten dieser Systeme stehen jedoch noch am Anfang ihrer Entwicklung oder befinden sich in der Testphase. Ein Beispiel für die zukünftige Verwendung KI-gesteuerter Vorhersagesysteme bietet die European Union Agency for Asylum (EUAA), eine Agentur der EU, welche die Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems unterstützt. Für einen Monat im Voraus berechnet der DynENet-Algorithmus der EUAA die ,,Zahl neuer Asylgesuche in der EU'' (Angenendt/Koch/Tjaden 2023, S. 29). Beim DynENet-Algorithmus handelt es sich um den bislang im Vergleich mit anderen Programmen in Europa am weitesten entwickelten Algorithmus. Dennoch ist er noch nicht in der Lage, Migrationsprozesse in ganz Europa für alle Mitgliedsstaaten und unter der Beachtung aller möglicher Routen und Ereignisse vorherzusagen.Daneben wird ein KI-gesteuertes Prognoseinstrument der EU-Kommission namens ,,Forecasting and Early Warning Tool'' entwickelt, welches ,,ungeregelte Wanderungsbewegungen in Richtung EU'' (ebd.) für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten prognostizieren soll. Auch die Bundesrepublik nutzt mit der vorausschauenden Migrationsanalyse ein Tool, das ,,ungeregelte Wanderungsbewegungen in Richtung Deutschland'' (ebd.) für bis zu ein Jahr im Voraus vorhersagen soll. (vgl. ebd.) Neben der EU und Nationalstaaten nehmen auch Hilfswerke wie das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) oder Save The Children KI-generierte Vorhersagesysteme in Gebrauch. Diese Systeme sind meist auf einen bestimmten zeitlichen und räumlichen Kontext fokussiert. Das Vorhersageinstrument ,,Venezuela-Brazil Border Scenarios'' der UNHCR versucht zum Beispiel, Migration aus Venezuela nach Brasilien vorherzusagen, um den Bedarf an humanitärer Hilfe besser einschätzen zu können. Da die wichtigen Einflussfaktoren hierbei begrenzt sind, fällt der KI das Lernen aus den Geschehnissen leichter. Dennoch benötigt auch die Installation eines solchen eher überschaubaren Programms nach Angaben der UNHCR Innovation Unit ca. ein Jahr, um funktionsfähig zu werden (vgl. Angenendt/Koch/Tjaden 2023, S. 29f.).In der EU werden Prognoseinstrumente im Bereich Migration also bereits verwendet und weiterhin entwickelt. Mit ihnen sind Hoffnungen auf eine besser organisierte und vorbereitete Migrationspolitik verbunden. Vor den Gefahren dieser Systeme sind Menschen auf der Flucht momentan nach Einschätzungen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (2024b) unzureichend geschützt. Vorhersagesysteme stellen Zahlen und Daten bereit, die dann von politischen Akteuren in vielfältiger Weise genutzt werden könnten. Eine noch aktivere Rolle könnte KI in Zukunft bei der Überwachung von Grenzen übernehmen.Überwachung der Grenzen Eine Flucht über das Mittelmeer ist riskant. Jährlich sterben dort tausende Menschen bei dem Versuch, Europa zu erreichen. Seenotrettungsorganisationen engagieren sich dafür, die Lage für Menschen auf der Flucht zu verbessern und sie zu retten. Andererseits werden immer wieder Fälle illegaler Pushbacks auf dem Mittelmeer bekannt. Unter einem Pushback versteht man ,,illegale Zurückweisungen von Geflüchteten'' (Lehner 2023). Illegal sind sie deshalb, weil Menschen ein Recht auf Asyl haben und nicht in ein Gebiet zurückgeschickt werden dürfen, in dem ihnen ,,Verfolgung, Folter oder Lebensgefahr droht'' (Lehner 2023). In einer solchen Grenzregion am Mittelmeer in Griechenland wurden in der Vergangenheit Überwachungssysteme getestet, die mit KI operieren. Die Systeme sind jedoch im Allgemeinen nicht nur für die Grenzregion, sondern auch zur Überwachung des ,,Grenzvorbereichs'' (Algorithm Watch/ZDF Magazin Royale 2024) angedacht. Dieser umfasst nach Einschätzungen einer Recherche des ZDF Magazins Royale und der Organisation Algorithm Watch (2024) auch noch Gebiete Nordafrikas und der Sahelzone. ROBORDER und NESTOR – so nennen sich zwei der Forschungsprojekte, bei denen der Einsatz von künstlicher Intelligenz bei der Grenzüberwachung europäischer Außengrenzen erprobt wurde. Das ältere der beiden Projekte ist ROBORDER, eine Abkürzung für einen ,,autonomous swarm of heterogeneous RObots for BORDER surveillance'' (ebd.). Dabei handelt es sich um ein System aus einem Schwarm autonomer Roboter, die eine automatische Grenzüberwachung vornehmen können. Sie bewegen sich an Land, in der Luft, auf und unter Wasser, und können dadurch große Gebiete überwachen.Die Roboter erkennen Menschen als solche und bewerten eigenständig, ob diese für den Grenzschutz von Interesse sind (vgl. Lulamae 2022b). Wenn dies der Fall ist, geben die Roboter die Informationen an den Grenzschutz oder anderes Sicherheitspersonal weiter (vgl. Jäger/Klima/Lich/Streib 2024b). Im Rahmen des Programms Horizon 2020 wurden ca. acht Millionen Euro von der EU in das Projekt investiert. ROBORDER selbst gibt an, dass es gegen Kriminalität an Grenzen verwendet werden kann.Der Professor für Robotik Noel Sharkey äußerte die Befürchtung, dass Systeme wie ROBORDER leicht mit Munition ausgestattet und dann zu militärischen Zwecken genutzt werden könnten. Außerdem könnten illegale Pushbacks durch Systeme wie ROBORDER deutlich erleichtert werden. Mittlerweile wurde das Projekt ROBORDER abgeschlossen, wobei es nun ein darauf aufbauendes Projekt namens REACTION gibt (vgl. Algorithm Watch/ZDF Magazin Royale 2024). Ein weiteres in diesem Kontext relevantes System ist NESTOR, das ebenfalls von EU-Geldern finanziert wurde. Auch zu diesem Projekt recherchierten das ZDF Magazin Royale und die Nichtregierungsorganisation Algorithm Watch. Der Name NESTOR ist eine Abkürzung für ,,aN Enhanced pre-frontier intelligence picture to Safeguard The EurOpean boRders''. Es funktioniert im Grundsatz ähnlich wie ROBORDER. Das Kernelement ist ein autonomer Schwarm an Robotern, der wieder weitläufige Regionen beobachten und selbst entscheiden kann, wann eine Beobachtung von Interesse ist. Die Roboter sind mit der Virtual-Reality-Brille eines Menschen verknüpft. Diese Person kann sich das von den Robotern übermittelte Bild der Lage in Echtzeit ansehen und die Informationen an weitere Personen übermitteln (vgl. ebd.). Algorithm Watch und das ZDF Magazin Royale forderten Unterlagen bezüglich der beiden Projekte von der European Research Executive Agency (REA) an. In den dem Rechercheteam übermittelten Unterlagen zum Projekt NESTOR waren 169 von 177 Seiten geschwärzt. Im Rest des Textes wurden dennoch einige Gefahren niedergeschrieben. Dazu gehört der Missbrauch von NESTOR ,,für Kriminalität oder Terrorismus'' (ebd.), um ,,Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten zu beschneiden'' (ebd.) und um ,,Menschen zu stigmatisieren, zu diskriminieren, zu belästigen oder einzuschüchtern'' (ebd.). Die Entwicklung und mögliche Etablierung der Technologien gehen also mit tiefgreifenden Risiken einher. Derartige Befürchtungen betreffen jedoch nicht nur die Überwachung von Grenzen, sondern auch die Vorgänge bei Grenzkontrollen.Grenzkontrollen Die Digitalisierung der Grenzkontrollen ist auf Flughäfen und anderen Grenzübergängen heute schon Normalität. Biometrische Informationen von Menschen, die eine Grenze überqueren wollen, werden von Regierungen, aber auch beispielsweise von Fluggesellschaften erfasst und gespeichert (vgl. Beiter/Ammicht/Klügel 2022). Wie bei den Vorhersagesystemen ist auch hier der Schutz der Daten sehr wichtig. Sie können z.B. Aufschluss über gesundheitliche Schwierigkeiten oder die sexuelle Orientierung einer Person geben, was in bestimmten Zusammenhängen zum Verhängnis werden kann (vgl. Amnesty International 2024b, S. 20).Auf Flügen wird teilweise durch biometrische Gesichtserkennung das Boarding automatisiert und kontrolliert. Außerdem ermöglicht die Erfassung biometrischer Daten in Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz eine automatisierte Entscheidung darüber, ob ein Mensch eine Grenze passieren darf oder nicht. Die künstliche Intelligenz kann die biometrischen Daten mit anderen Daten z.B. bezüglich bestimmter Routen abgleichen und daraufhin eine Risikoeinschätzung vornehmen. Derartige Einschätzungen durch KI scheinen auf den ersten Blick objektiver als menschliche Entscheidungen. Für die Digitalisierung der Grenzen in der EU von Bedeutung ist das System iBorderCtrl, das durch die EU finanziert wurde (vgl. Algorithm Watch/ZDF Magazin Royale 2024). IBorderCtrl bezeichnet ein umfangreiches Konzept zur Digitalisierung von Grenzen, welches an einigen Stellen mit KI arbeitet. Ein Teil von iBorderCtrl ist eine Art ,,Lügendetektor''. Wie der Name bereits vermuten lässt, beruht dieser auf der Annahme, dass Menschen an Grenzübergängen lügen.Im ,,Lügendetektor'' von iBorderCtrl spricht ein als Polizist designter Avatar mit Menschen, die die Grenze passieren möchten. Je nach Geschlecht, Herkunft und Sprache wird der Avatar für die jeweiligen Gesprächspartner*innen personalisiert und kann freundlich oder streng sein (vgl. Beiter/Ammicht/Klügel 2022). Bevor der Lügendetektor zum Einsatz kommt, müssen die Migrant*innen ihre Unterlagen zur Verfügung stellen. Ergibt die Betrachtung der Unterlagen die Einschätzung eines höheren von der Person ausgehenden Risikos, so ist das Gespräch mit dem Lügendetektor umfassender und detaillierter als bei anderen Personen (vgl. Boffey 2018). Durch die Erfassung und Verarbeitung verschiedener Aspekte der Sprache und der Mimik soll das System Lügen erkennen und entsprechend auffällige Personen dürften dann nicht die Grenze passieren. Gegenüber der niederländischen Zeitung ,,De Volskrant'' bezweifelte Bruno Verschuere, ein forensischer Psychologe der Universität Amsterdam, die Funktionsfähigkeit des Lügendetektors. Non-verbale Äußerungen in der Mimik eines Menschen könnten keine Auskunft darüber geben, ob ein Mensch lüge oder nicht. Die Annahme, lügende Menschen würden Zeichen von Angst und Unsicherheit zeigen, sei falsch. Ihm zufolge habe das System von iBorderCtrl keine wissenschaftliche Grundlage (vgl. Boffey 2018). In Tests erwies es sich bereits als fehleranfällig. So beantwortete eine Journalistin der Website ,,The Intercept'' alle Fragen korrekt, dennoch wurden vier der 16 von ihr beantworteten Fragen von iBorderCtrl als Lügen eingestuft. Ihr wurde daraufhin von einem zuständigen Polizisten mitgeteilt, dass iBorderCtrl dem Sicherheitspersonal in ihrem Fall weitere Untersuchungen empfiehlt (vgl. Gallagher/Jona 2019). Menschen, die traumatisiert sind oder sich in einer extremen Notlage befinden, reagieren zudem teilweise mit großer Angst auf den Avatar und sind im Gespräch nervös. Die Angst der Menschen, die sich auch in ihrer Mimik zeigt, wird von der künstlichen Intelligenz als Hinweis auf eine Lüge gewertet. In diesem Fall würde also bei psychisch besonders belasteten Menschen, die Angst haben und nervös sind, eine Abweisung empfohlen (vgl. Beiter/Ammicht/Klügel 2022). Außerdem konnten dem System rassistische und sexistische Vorurteile nachgewiesen werden. Fehleinschätzungen geschahen in Tests häufiger bei People of Colour und Frauen (vgl. Lehner 2023). Die Beraterin für die Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen bei Amnesty International, Charlotte Phillips, sieht das ,,Recht auf Nichtdiskriminierung und andere Menschenrechte'' (Amnesty International 2024a) durch die neuen Technologien bedroht. Sie würden ,,Grenzregime, die sich unverhältnismäßig stark auf rassifizierte Menschen auswirken'' (ebd.), verstärken. Die Annahme, KI-generierte Systeme seien objektiver und weniger rassistisch oder sexistisch als Menschen, teilt die Expertin in diesem Zusammenhang also nicht. Eher würde derartige Diskriminierung durch die KI verstärkt. Ein ähnliches System wie der Lügendetektor von iBorderCtrl, das auf einem Flughafen in Rumänien getestet wurde, wurde von Frontex in Bezug auf die ,,Treffsicherheit'' (Lehner 2023) als ,,zweifelhaft'' (Lehner 2023) bezeichnet. Von den Entwickler*innen von iBorderCtrl wird betont, dass die Entscheidung über Rückführungen bzw. das Passieren der Grenze nicht alleine dem Lügendetektor überlassen wird (vgl. Jäger/Klima/Lich/Streib 2024a). Dieser ist nur ein Teil in einem längeren Prozess, an dem Mensch und KI beteiligt sind. Die hohe Fehleranfälligkeit und die fragwürdige wissenschaftliche Grundlage des Lügendetektors sind jedoch starke Argumente gegen dessen Implementierung. Auch wenn betont wird, dass finale Entscheidungen immer einem Menschen und nicht der KI obliegen, so können Fehleinschätzungen der KI dennoch die Entscheidung von Menschen beeinflussen (vgl. Windelband 2018).Asyl- und Visaverfahren Auch Asyl- und Visaverfahren werden vermehrt von künstlicher Intelligenz unterstützt. Die Zeitung NCR Handelsblad und die Organisation Lighthouse Reports haben aufgedeckt, dass in den Niederlanden bei Bewerbungen um Visa Risikobewertungen und ein Profiling durch KI-generierte Systeme vorgenommen werden. Auch in Großbritannien wurden solche Systeme bei der Visavergabe eingesetzt.Alter, Geschlecht und Nationalität einer Person wurden von der KI als Kriterien für das von der Person ausgehende Risiko für den Staat und der daraus resultierenden Chance auf ein Visum verwendet. Hierbei wäre es wichtig, dass Menschen, die sich auf ein Visum bewerben, Transparenz über die Kriterien und das Vorgehen der künstlichen Intelligenz erhalten. Wenn jedoch auch Menschen nicht durchschauen können, wie die KI operiert, so liegt die Vermutung nahe, dass es sich um ein ungerechtes und diskriminierendes Verfahren handeln könnte (vgl. Lehner 2023). Ähnliche Vorgehensweisen gibt es auch in Asylverfahren. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung bzw. des organisatorischen Aufwands von Behörden im Zusammenhang mit Asylverfahren soll in Deutschland vermehrt auf KI gesetzt werden (vgl. Kossakowski 2024). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) greift so zum Beispiel schon seit längerem auf eine Software zur Dialektidentifikation zurück. Dabei soll eine künstliche Intelligenz anhand von Sprachproben einer Person erkennen, wo diese Person ihrem Dialekt entsprechend aufgewachsen ist. Das Ziel ist es, vermeintlich falsche Angaben von Asylsuchenden über ihre Herkunft aufdecken bzw. richtige Angaben bestätigen zu können. Dass derartige Systeme überhaupt Anwendung finden, basiert also wie bei dem Lügendetektor von iBorderCtrl auf der Unterstellung, Menschen würden in diesem Bereich lügen (vgl. Biselli 2020). Auf Anfrage von Clara Bunger, einer Bundestagsabgeordneten der Partei DIE LINKE, wurde angegeben, dass das BAMF die Software seit 2022 zur Erkennung von Farsi, Dari-Persisch, Pashto, Irakisch-Arabisch, Maghrebinisch, levantinischem Arabisch, Golf-Arabisch und ägyptischem Arabisch einsetzt. Die Daten zur Erkennung dieser Sprachen bezieht das BAMF unter anderem aus dem Linguistic Data Consortium (LDC) der University of Pennsylvania. Der Leiter des LDC Mark Liberman bezweifelt, dass gesprochenes Farsi, Dari-Persisch und Pashto durch eine Software eindeutig voneinander unterschieden werden könnten (vgl. Lulamae 2022a). Während sich einige Dialekte auch über die Grenzen von Nationalstaaten hinweg sehr ähneln und kaum zu unterscheiden sind, gibt es auch Dialekte und Sprachen, die sich stark voneinander unterscheiden, obwohl der Großteil der Sprecher*innen im gleichen Nationalstaat oder der gleichen Region wohnt. Hinzu kommt, dass individuelle Lebensgeschichten einen starken Einfluss auf den Sprachgebrauch haben, der dann unter Umständen nicht mit den von der KI verwendeten Daten übereinstimmt. Unter anderem aus diesen Gründen ist es recht schwierig, anhand eines Dialekts auf die genaue Herkunft einer Person schließen zu wollen (vgl. Biselli 2020). Auch das BAMF selbst rechnet mit einer Fehlerquote des Systems von 15 Prozent. Es betont, dass Entscheidungen über Menschenleben nicht allein von den Auswertungen der Dialekterkennungssoftware getroffen werden, sondern immer noch von Menschen getätigt werden (vgl. Biselli/Meister 2019). Welche Auswirkungen die Einschätzungen der Dialekterkennung jedoch in Einzelfällen haben und wie kritisch die Ergebnisse hinterfragt werden, lässt sich schwer nachprüfen. Aufgrund der vielen Unsicherheiten und der hohen Fehlerquote der Dialekterkennungssoftware des BAMF steht dieses Vorgehen stark in der Kritik. Dennoch möchten immer mehr Staaten eine ähnliche Software entwickeln und orientieren sich dabei am in Deutschland eingesetzten Modell (vgl. Lulamae 2022a).KI zur Unterstützung von Migrant*innen und Menschen auf der Flucht Die oben aufgeführten, mit künstlicher Intelligenz arbeitenden Systeme haben häufig zum Ziel, Migration zu begrenzen bzw. stärker zu kontrollieren und zu regulieren. Sie sollen also vorrangig Behörden und andere Akteure im Grenzschutz unterstützen. Neben diesen Systemen wird jedoch auch an einer Vielzahl an Tools gearbeitet, die für Migrant*innen und Menschen auf der Flucht im Alltag von Vorteil sein sollen. Ihnen soll durch derartige Angebote beispielsweise die Organisation ihrer Flucht, der Umgang mit Behörden und der Integrationsprozess erleichtert werden. Allgegenwärtig sind in diesem Zusammenhang Tools zum Erwerb neuer Sprachen oder zum Übersetzen. Derartige Möglichkeiten werden auch von öffentlichen Institutionen wie Krankenhäusern vermehrt etabliert, so z.B. im Kehler Ortenau Klinikum (vgl. Veenstra 2024). Menschen, die eine Übersetzung benötigen, sind dann nicht mehr auf einen Dolmetscher angewiesen und haben die Möglichkeit, ihre Anliegen in eigenen Worten vorzutragen und verstanden zu werden. Außerdem können Chatbots zur Rechtsberatung und zur psychotherapeutischen Erstversorgung für Menschen in Notsituationen sehr hilfreich sein. Der Chatbot ,,Free Robot Lawyers'' bietet z.B. eine kostenlose Rechtsberatung für Menschen auf der Flucht oder während des Migrationsprozesses an (vgl. Bither/Ziebarth 2020, S. 9). Ein anderer Chatbot namens ,,Karim der Chatbot X2AI'' wurde zu psychotherapeutischen Zwecken in einem Flüchtlingslager eingesetzt (vgl. Bither/Ziebarth 2020, S. 9).Weitere Innovationen sollen Menschen im Integrationsprozess dabei helfen, mit der Unterstützung von KI schneller eine Arbeitsstelle zu finden oder bestimmte behördliche Vorgänge zu verstehen und begleiten zu können. Es gibt also auch eine Vielzahl an Tools und Angeboten, die mit künstlicher Intelligenz arbeiten, deren positiver Nutzen für Menschen auf der Flucht und Migrant*innen unumstritten ist.Zusammenfassung und Fazit: Wie kann künstliche Intelligenz in Zukunft auf Migrationsprozesse Einfluss nehmen?Systeme mit künstlicher Intelligenz sind im Bereich Migration in einer rasanten Entwicklung begriffen. So werden z.B. Vorhersagesysteme immer weiter ausgebaut. Sie können einerseits bei der Vorbereitung von Ressourcen für Geflüchtete helfen und im besten Fall sogar Ursachen für Migration vorhersehen und bekämpfen. Andererseits könnten die Daten aus Vorhersagesystemen missbraucht werden, und die Vorhersagen könnten z.B. bei der Durchführung illegaler Pushbacks genutzt werden. Auch die Überwachung von Grenzen wird in Zukunft vermehrt mit KI durchgeführt werden. Die von der EU mitfinanzierten Drohnen- und Robotersysteme tragen ein hohes Risiko zum Missbrauch für militärische Aktionen und Pushbacks mit sich. Beim Grenzübergang und während Asyl- bzw. Visaverfahren werden immer wieder KI-generierte Auswahlsysteme und ,,Lügendetektoren'' eingesetzt. Auch wenn dies eine Arbeitserleichterung für die Behörden bedeutet, können derartige Systeme mit rassistischen und sexistischen Vorurteilen behaftet sein und diskriminierende Praktiken fortschreiben und verstärken. Die wissenschaftliche Grundlage von ,,Lügendetektoren'' an Grenzübergängen ist außerdem höchst umstritten. Positive Auswirkungen von KI für den Alltag von Geflüchteten und Migrant*innen zeigen sich beim Integrationsprozess, da die KI z.B. beim Erwerb einer neuen Sprache oder bei der Jobsuche behilflich sein kann. Schon heute ist künstliche Intelligenz nicht mehr aus dem politischen Geschehen wegzudenken. Im AI-Act der EU, der ersten Verordnung dieser Art, wird betont, dass der Einsatz von KI-basierten Technologien im Bereich Migration ein hohes Risiko mit sich bringt. Das Bündnis #ProtectNotSurveil kritisierte dennoch einen Mangel an Schutz für Migrant*innen und geflüchtete Menschen vor den Gefahren der KI.Ein Blick auf die Vielfalt an Einflussmöglichkeiten, die KI auf Migrationsprozesse nehmen kann, zeigt, dass die Sorge vor problematischen Aktionen durch KI nicht unberechtigt ist. Wie auch bei anderen Technologien zeigt sich bei KI-basierten Systemen, dass sie je nach Verwendung eine Chance aber auch eine Gefahr darstellen können. Bei der Bewertung von KI-gestützten Technologien kommt es also weniger auf die Systeme an sich an, sondern stärker darauf, wie verantwortungsbewusst mit ihnen umgegangen wird.QuellenAlgorithm Watch/ZDF Magazin Royale (2024): Wie die EU mit Künstlicher Intelligenz ihre Grenzen schützen will (fuckoffai.eu) <https://fuckoffai.eu/> (11.09.2024)Amnesty International (2024a): Amnesty warnt vor zunehmendem Einsatz digitaler Technologien zur Migrationskontrolle (Amnesty International vom 05.02.2024) <https://www.amnesty.ch/de/themen/asyl-und-migration/dok/2024/global-amnesty-warnt-vor-zunehmendem-einsatz-digitaler-technologien-zur-migrationskontrolle> (08.09.2024)Amnesty International (2024b): Primer - Defending the Rights of Refugees and Migrants in the Digital Age, Amnesty International: London.Angenendt, Steffen/Koch, Anne/Tjaden, Jasper (2023): Die Prognose ungeregelter Wanderungen - Große Erwartungen, begrenzter Nutzen – SWP-Studie 10, Stiftung Wissenschaft und Politik/Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit: Berlin.Beduschi, Ana (2021): International migration management in the age of artificial intelligence. 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Die Konstanzer Universitätsleitung ist stolz auf ihr neues Karrieremodell. Aber hält es auch, was es verspricht? Ein Interview mit Prorektor Malte Drescher über Abhängigkeitsverhältnisse, Drittmittelvorgriff, Stellenpools – und eine neue Währung im internationalen Wettbewerb um Talente.
Malte Drescher ist als Prorektor an der Universität Konstanz unter anderem für Forschung, Karriereentwicklung und Transfer zuständig. Im Dezember 2023 wurde er zum Präsidenten der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) gewählt und tritt sein Amt im Oktober an. Foto: Inka Reiter / Universität Konstanz.
Herr Drescher, die Universität Konstanz hat ein Personalkonzept mit der wenig bescheidenen Überschrift "Attraktive und verlässliche Karrierewege für exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler". Was ist denn so mutig und anders an Ihrem Modell?
Wir kokettieren in Konstanz gern damit, als kleinste und damit agilste deutsche Exzellenzuniversität immer auch ein Reallabor zu sein. Wir probieren Dinge aus, und genau das wollten wir auch bei diesem wahrscheinlich zurzeit wichtigsten hochschulpolitischen Thema. Zwei Jahre lang haben wir uns damit auseinandergesetzt, immer wieder, über alle Ebenen, Gremien, Statusgruppen und Fachbereiche der Universität hinweg. Im Vordergrund stand für uns immer, dass wir die besten Köpfe für Konstanz rekrutieren wollen, und die Währung, mit der wir sie im internationalen Wettbewerb heutzutage bekommen, ist die richtige Kombination von attraktiven Aufgaben und die nötige Perspektive bei der Karriereplanung. Entscheidend ist, dass unser Modell mehr ist als eine Absichtserklärung. Daher haben wir unser Konzept bis in einzelne Maßnahmen, bis ins kleinste – um nicht zu sagen: manchmal nervigste – Detail ausbuchstabiert.
Verabschiedet haben Sie Ihr Konzept im vergangenen Sommer. Schon da steckte die Ampel-Koalition mit ihrer versprochenen Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) fest. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Wir wollten nicht warten, vor allem wollten wir zeigen, was alles unter den gegebenen gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen möglich ist. Und das ist viel. Uns war es besonders wichtig, den notwendigen Kulturwandel an der Universität durch Maßnahmen zu unterstützen, die sowohl den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den frühen Karrierephasen nutzen als auch den etablierten PIs.
Dann bitte mal konkret.
In der Promotionsphase setzen wir in Konstanz bei Haushaltstellen auf Mindestvertragslaufzeiten von anfangs drei Jahren. Das ist nichts Besonderes mehr, das halten viele Universitäten inzwischen genauso. Wir haben aber, und das nicht so selbstverständlich, die drei Jahre jetzt zusätzlich für die vielen Promovierenden eingeführt, die über Drittmittel finanziert werden. Dahinter verbirgt sich ein Pfandsystem, das ich für innovativ halte. Eigentlich passt die Bezeichnung Drittmittelvorgriff-Modell besser, denn darum geht es: Unabhängig davon, wie lang ein Drittmittelprojekt noch läuft, gehen wir als Universitätsleitung in Vorleistung und gewähren für Promotionen einen Dreijahresvertrag. Weil wir darauf vertrauen, dass unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Lage sind, neue Mittel einzuwerben, zum Beispiel die Verlängerung eines Sonderforschungsbereichs.
Und wenn die Drittmittel doch ausbleiben?
Dann holen wir uns das Geld zurück über Mittel der PIs wie Berufungszusagen oder über die Nichtnachbesetzung der ihnen gewährten Haushaltsstellen, wenn die irgendwann freiwerden. Es soll ja nur ein Pfand sein, ein Kredit. Die Wissenschaftler müssen den Anreiz zur erfolgreichen Drittmittelakquise behalten.
"Als Hochschulleitung sind wir eine freundliche Bank."
Und das machen die mit?
Wie gesagt: Wir haben unser Konzept universitätsweit im Konsens beschlossen. Dazu gehört, dass die meisten Beteiligten verinnerlicht haben, dass sich etwas Grundsätzliches ändern muss. Im Gegenzug haben die PIs deutlich attraktivere Arbeitsbedingungen für die Doktoranden zu bieten, die gerade vor der Tür stehen.
Eine Bank würde für so eine Risikoabsicherung Zinsen berechnen.
Als Hochschulleitung sind wir eine freundliche Bank und wollen natürlich keine Zinsen. Außerdem kostet uns die Regelung im Idealfall gar nichts, weil das Geld ja zurückkommt – solange die Ausgaben für die Stellen nicht die Berufungszusagen übersteigen. Um die Vertragslaufzeiten drittmittelfinanzierter Doktoranden drückt sich übrigens auch der WissZeitVG-Referentenentwurf der Ampel herum. Und obgleich wir unabhängig davon handeln: Es ist schon ärgerlich, wie lange das Gesetz auf sich warten lässt.
Und bei der Postdoc-Entfristung konnten die Fraktionen sich gar nicht erst mit dem BMBF auf eine Lösung einigen. Was ist da der Konstanzer Weg?
Wir sind davon überzeugt, dass die Postdoc-Phase kurz zu sein hat, weil sie als Orientierung und Weichenstellung dienen sollte – hin zu einer anschließenden Qualifizierung auf dem Weg zu einer Professur. Oder auf eine andere wissenschaftliche Stelle mit verlässlicher Perspektive. Oder eben für eine Entscheidung für eine Karriere außerhalb der Wissenschaft.
Gut und schön. Aber was heißt kurz?
Das ist die Frage, die alle umtreibt. Unser Rektorat ist in die Diskussion eingestiegen mit dem Ziel, auf eine Höchstbefristungsdauer von zwei Jahren zu kommen. Wir haben uns dann aber überzeugen lassen, dass das zu kurz ist und vier Jahre deutlich besser passen. Dies entspricht dem Fenster beispielsweise für den Zugang zum Emmy-Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), außerdem müssten Sie sich bei zwei Jahren praktisch am ersten Postdoc-Tag auf eine Tenure-Track-Professur bewerben, weil die Berufungsverfahren so lange dauern. Das würde die Idee einer Orientierungsphase obsolet machen.
Da hat Sie der Mut ganz schön verlassen, oder?
Unser höchster Anspruch ist nicht, mutig zu handeln, sondern klug. Jeder Postdoc hat im Gegenzug das Recht auf eine Karriereberatung unabhängig vom Professor, und zwar durch unser Academic Staff Development. Im Übrigen bezweifle ich, dass dieser bundesweite Streit um zwei, drei oder vier Jahre tatsächlich zielführend ist. Dreh- und Angelpunkt für attraktive Karrierebedingungen ist, dass alle Universitäten begreifen, wie wichtig dieses Thema für sie selbst, ihre Zukunft und Exzellenz ist. Das ist der entscheidende Kulturwandel.
Was heißt für Sie Exzellenz in dem Zusammenhang?
Exzellenz bedeutet Bestenauslese abhängig vom Potenzial junger Forschender in Forschung, Lehre und Transfer. Und der Kulturwandel besteht in der Art, wie wir die Besten für unsere Dauerstellen auswählen. In einem ersten Schritt identifizieren wir als Institution strategisch, wo genau welcher Personalbedarf besteht. Dann besetzen wir die Stellen über vorher festgelegte, transparente Verfahren und Kommissionen. Nur so kommen wir weg von bilateralen Abhängigkeitsverhältnissen, dass zum Beispiel Stellen freihändig geschaffen werden, um bestimmte Leute draufzusetzen, die sich dann von Kettenvertrag zu Kettenvertrag hangeln. Übrigens sind wir überzeugt, dass nur solch ein Modell mit klaren Prozessen in der Lage sein wird, die Diversität zu erhöhen – und parallel die Exzellenz der Stelleninhaber.
"Ich habe eingesehen, dass es viele Fachdisziplinen gibt, in denen an der Habilitation kein Weg vorbeiführt."
Was Sie da beschreiben, erfordert ein völlig neues Verständnis von Stellenplanung. Und eine Entmachtung der einzelnen Professoren.
Das ist ein dickes Brett, ja. Die Fachbereiche haben anderthalb Jahre Zeit für die Entwicklung von Personalkonzepten, die wie gesagt unabhängig sein müssen von bestimmten Personen und potenziellen Stelleninhabern. Welche Aufgaben sind Daueraufgaben? Welche Professuren sollten nachbesetzt, welche umgewidmet werden? Am Ende werden die Konzepte mit dem Rektorat abgestimmt und ergeben eine Grundlage, die über die sonst in Baden-Württemberg übliche, alle fünf Jahre neu beschlossene Struktur- und Entwicklungsplanung für Universitäten weit hinausreicht. Mit einer Entmachtung der Professor*innen hat das im Übrigen nichts zu tun. Es handelt sich um eine Optimierung der Stellenstruktur, an der die Professor*innen selbstverständlich ganz zentral beteiligt sind.
Was wird in Ihrem System eigentlich aus der Habilitation?
Das ist noch ein Punkt, wo ich persönlich etwas gelernt habe. Zu Beginn unserer Diskussion habe ich den Standpunkt vertreten, dass wir in Konstanz dieses Modell aufgeben sollten. Ich habe aber eingesehen, dass es viele Fachdisziplinen gibt, in denen an der Habilitation kein Weg vorbeiführt. Sie werden sie nicht aufgeben. Darum muss unser Ziel sein, die Habilitation ebenfalls mit einer stärkeren Verlässlichkeit auszustatten. Bei uns in Konstanz erhält jeder Habilitand und jede Habilitandin daher jetzt eine verlässliche Vertragslaufzeit von sechs Jahren, und zwar in Form einer Verbeamtung auf Zeit.
Lassen Sie mich nachrechnen. Das heißt: Wer in Konstanz habilitiert, kann künftig bis zu 16 Jahre befristet werden: sechs Jahre bis zur Promotion, vier Jahre in der Postdoc-Orientierungsphase, und dann sechs Jahre als habilitierender Beamter auf Zeit.
Es kann in Promotion und Postdoc-Orientierungsphase auch schneller gehen, aber im Kern ist das richtig. Und es ist unsere Antwort darauf, dass wir die Habilitation als je nach Disziplin wichtigen Qualifizierungspfad nicht zumachen wollten.
Und wo ist da die Verlässlichkeit, wenn die sechs Jahre Habil-Befristung ohne Anschlusszusage daherkommt?
Die Verlässlichkeit liegt in der gesicherten Zeit für die Habilitation selbst, sie ist ein Fortschritt gegenüber der Vergangenheit, die bei der Vertragsgestaltung von Abhängigkeitsverhältnissen gekennzeichnet war.
"Manchmal finden wir auch kreative Lösungen, wenn gesetzliche Vorgaben Hürden aufbauen."
Haben Sie nicht das Gefühl, auch hier in ihrem persönlichen Reformeifer eingebremst worden zu sein? Unkonventionell gestartet, konventionell gelandet?
Das mag mancher so sehen. Aber was nützt es uns, wenn wir uns am Reißbrett ein bestechendes Konzept überlegt haben, das dann vielleicht in der Physik gut funktioniert, in der Literaturwissenschaft aber überhaupt nicht – oder umgekehrt? Ich glaube, das ist etwas, worauf auch die Wissenschaftspolitik achten sollte: die große Fächerbreite und die unterschiedlichen Bedarfe nicht zu vergessen.
Sie haben am Anfang gesagt, Sie wollten mit Ihrem Konzept zeigen, was alles innerhalb der geltenden gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen möglich ist. Was hätten Sie trotzdem gern anders gemacht, wenn die Gesetzeslage es zuließe?
Wichtig ist vor allem, dass die gesetzlichen Möglichkeiten sich nicht so ändern, dass sie unsere Wettbewerbslage verschlechtern. Das wäre etwa der Fall, wenn wir nach der WissZeitVG-Novelle im Postdoc-Bereich nur noch zwei Jahre befristen dürften, während Hochschulen im Ausland attraktive Stellen mit einer Laufzeit von vier oder sechs Jahren anbieten, auf die junge Wissenschaftler*innen dann wechseln. Und meine zweite Antwort: Manchmal finden wir auch kreative Lösungen, wenn gesetzliche Vorgaben Hürden aufbauen.
Bitte ein Beispiel.
Wir sind gesetzlich gezwungen, für jede Tenure-Track-Stelle nach sechs Jahren eine dauerhafte Professorenstelle vorzuhalten. Das beschränkt die Zahl der Tenure-Track-Ausschreibungen von vornherein, obwohl am Ende gar nicht alle die Evaluation bestehen. Wir haben das Problem gelöst, indem wir einen W3-Stellenpool geschaffen haben, so dass unabhängig vom Freiwerden einzelner Professuren ein Anschluss immer möglich ist – und wir mutiger Tenure-Track-Stellen ausschreiben können.
Noch ein Wort zu den finanziellen Rahmenbedingungen?
Wir können nicht auf die Politik warten. Aber wenn wir über neue Personalstrukturen und mehr Dauerstellen reden, braucht es dafür am Ende natürlich doch auch mehr Geld. Nicht in unendlichen Mengen, aber so viel, dass Entfristungen nicht auf Kosten der Qualifizierungsstellen gehen. Hier würden wir uns neben der verbalen über jede tatkräftige Unterstützung freuen. Das klingt fast banal, ist aber – wie immer – essenziell.
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