Rezension von: Sara Fürstenau / Mechtild Gomolla (Hrsg.): Migration und schulischer Wandel: Elternbeteiligung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009 (182 S.; ISBN 978-3-531-15378-0; 16,90 EUR).
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Die NRW-Initiative "Lehrkräfte Plus" will geflüchtete Lehrkräfte für den Einsatz in deutschen Schulen vorbereiten. Aber klappt das auch? Ein Interview.
2017 ging die Initiative an den Start: Lehrkräfte Plus. Ein Programm, das nach Deutschland geflüchtete Lehrkräfte für den Unterricht in Deutschland fitmachen soll. Zu den Initiatoren zählte damals die Bertelsmann-Stiftung. Warum, Frau Müncher?
Angela Müncher: Wir haben uns gedacht: Wenn so viele Menschen zu uns kommen, dann müssen darunter doch auch Lehrkräfte sein. Die nichts lieber tun würden, als wieder zu unterrichten. Und zwar die Kinder und Jugendlichen, die wie sie geflüchtet sind. Wir haben nach Potsdam geschaut, wo die Universität schon damals das bundesweit erste Programm zur Qualifizierung geflüchteter Lehrkräfte aufgebaut hatte. Und haben gesagt: So etwas brauchen wir in Nordrhein-Westfalen (NRW) auch. Zu unserer Freude hat sich das Schulministerium sehr offen gezeigt. Wir haben das dann mit ihm, der Landesweiten Koordinierungsstelle für Kommunale Integrationszentren und der Universität Bielefeld aufgesetzt, dann kamen die Stiftung Mercator und die Ruhr-Universität Bochum dazu. Inzwischen sind insgesamt fünf Universitäten und alle Bezirksregierungen von NRW an Bord – gefördert werden die Universitäten seit 2020 vom NRW-Ministerium für Kultur und Wissenschaft.
Angela Müncher ist Senior Project Manager im Programm Bildung und Next Generation der Bertelsmann Stiftung, Dirk Richter ist Professor für Erziehungswissenschaftliche Bildungsforschung an der Universität Potsdam und hat zusammen mit Kolleg:innen das Programm "Lehrkräfte Plus" wissenschaftlich begleitet. Ihren Abschlussbericht finden Sie hier. Fotos: Bertelsmann Stiftung/Die Hoffotografen GmbH.
Gut gedacht ist noch nicht gut gemacht.
Dirk Richter: Das ist richtig. Doch die Initiatoren wollten es von Anfang an genau wissen. In den ersten drei Projektjahren hat das Beratungsunternehmen Syspons "Lehrkräfte Plus" evaluiert; als Universität Potsdam haben wir das Programm wissenschaftlich begleitet, nachdem es auf insgesamt fünf Universitäten ausgeweitet wurde. Im ersten Jahr danach haben 110 von 128 Teilnehmenden ein Abschluss-Zertifikat erworben. Das ist eine phänomenale Absolventenquote von 86 Prozent. Da kommt kein Lehramtsstudiengang ran.
"Außenstehenden ist manchmal gar nicht
richtig klar, was es bedeutet, innerhalb
kürzester Zeit von praktisch keinen
Deutschkenntnissen auf einen Level zu
kommen, der das Unterrichten ermöglicht."
Die Zahl allein sagt noch nichts über die erworbenen Qualifikationen und den daraus resultierenden beruflichen Werdegang.
Müncher: Sie zeigt aber das enorme Engagement der geflüchteten Lehrkräfte. Ein Jahr haben sie in Vollzeit Deutsch gelernt, eine pädagogisch-interkulturelle Qualifizierung durchlaufen, Seminare zu allgemeiner und Fachdidaktik absolviert, dazu an einem Schulpraktikum teilgenommen. Und das, obwohl die meisten Familie und Kinder und viele soziale Verpflichtungen haben. Sie sind alle extrem motiviert. Außenstehenden ist manchmal gar nicht richtig klar, was es bedeutet, innerhalb kürzester Zeit von praktisch keinen Deutschkenntnissen auf einen Level zu kommen, der das Unterrichten ermöglicht.
Richter: Dieser Sprung um durchschnittlich zwei Sprachkompetenzstufen in einem Jahr ist bemerkenswert. Man merkt: Die Leute wollen schnell in die Schule, das ist ihr großes Ziel. 92 Prozent geben an, dass sie dauerhaft in Deutschland als Lehrkraft tätig sein wollen. Auch das ist eine Zahl, wie wir sie bei normalen Lehramtsabsolventen wohl nicht bekommen würden.
Und was können sie fachlich und pädagogisch nach dem "Lehrkräfte Plus"-Jahr?
Richter: Das haben wir nicht abgeprüft, aber wir haben die Absolventinnen und Absolventen befragt, wie gut sie sich selbst auf die unterschiedlichen Aufgaben einer Lehrkraft in Deutschland vorbereitet fühlen. Das Ergebnis: Die Befragten schätzen ihre eigenen Kompetenzen als sehr hoch ein – was erfreulich ist, aber auch nicht besonders überraschend bei derartigen Selbsteinschätzungen. Unabhängig von dem bei "Lehrkräfte Plus" Gelernten bringen die Betreffenden vieles mit, was sie für unsere Schulen unglaublich wertvoll macht. Sie sind Rollenvorbilder für alle Schüler, nicht nur für die aus ihrer eigenen Kultur. Sie bereichern die Kollegien, deren mangelnde Diversität ein umso größeres Problem darstellt, je heterogener die Schülerschaft wird.
Klingt gut. Aber will unser System diese Bereicherung auch? Konkret gefragt: Was machen die erfolgreichen "Lehrkräfte Plus"-Absolventen jetzt?
Müncher: 73 Prozent von ihnen sind direkt weiter ins Anschlussprogramm "Internationale Lehrkräfte fördern" (ILF) gegangen. Mit dem werden sie für zwei Jahre befristet an einer Schule angestellt, qualifizieren sich allgemeinpädagogisch, methodisch und didaktisch weiter und werden schrittweise ans eigenverantwortliche Unterrichten herangeführt.
Moment. "Lehrkräfte Plus" bringt allein also keinerlei Unterrichtsberechtigung?
Müncher: "Lehrkräfte Plus" ist ja ein universitäres Programm, das allein keine Unterrichtsberechtigung vergeben kann – es kann nur eine Brücke sein. Eine Anerkennung des Lehramtsabschlusses bekommen sie dadurch nicht. Die dürfte die Universität auch gar nicht ausstellen.
"Schule und Unterricht in Deutschland kennenzulernen, ist ein Wert an sich. Aber noch wichtiger ist, dass das Geleistete etwas zählt für den weiteren Werdegang."
So werden inklusive ILF aus einem Jahr Qualifizierung drei. Und ILF endet dann ebenfalls ohne klare Perspektive. Für Menschen, die in vielen Fällen in ihrer Heimat bereits voll ausgebildete und respektierte Lehrkräfte waren.
Müncher: Für viele bieten diese insgesamt drei Jahre die Chance, in einem geschützten Raum sich pädagogisch und sprachlich zu entwickeln und Erfahrungen im deutschen Schulsystem zu sammeln. Andere "Lehrkräfte Plus"-Absolventen bewerben sich direkt als Seiteneinsteiger für den Schuldienst und durchlaufen beispielsweise die sogenannte "Pädagogische Einführung", die bei Erfolg nach einem Jahr die Erteilung der Unterrichtserlaubnis für das studierte Fach bedeutet. Was in einigen Regionen und Fächern ganz gut klappt, weil es im Augenblick in vielen Fächern einen so großen Mangel gibt. Die Absolventen können auch ein normales Lehramtsstudium aufnehmen, Lehrkraft für den herkunftssprachlichen Unterricht werden oder ein zweites Fach studieren.
Richter: Klar ist es gut, dass die Leute Zeit haben, sich im Rahmen der Programme auf die Arbeit im deutschen Schulsystem vorzubereiten. Man muss aber schon ehrlich sagen: Die Übergangsquote von 73 Prozent ins ILF-Programm bedeutet, dass viele eben keinen Platz als Seiteneinsteiger bekommen. Insofern wäre eine stärkere Verbindlichkeit, dass das Zertifikat von "Lehrkräfte Plus" den Einstieg ins Lehramt bedeutet, wünschenswert – und auch ILF sollte mehr zählen. Schule und Unterricht in Deutschland kennenzulernen, ist ein Wert an sich. Aber noch wichtiger ist, dass das Geleistete etwas zählt für den weiteren Werdegang.
Der erste Jahrgang war inklusive ILF 2020 fertig. Wie viele haben jetzt eine unbefristete Stelle im Schuldienst?
Müncher: Uns liegen nur Informationen bis zum Juni 2021 vor. Bis dahin haben lediglich die neun Lehrkräfte, die an der Pilotierung teilgenommen hatten, das Programm auch abgeschlossen. Sie haben anschließend auch eine Anstellung im Rahmen des Seiteneinstiegs erhalten. Für die Zeit danach habe ich keine Daten zu den Anschlüssen. Meine Vermutung wäre, dass der Seiteneinstieg weiterhin die für die Lehrkräfte attraktivste Option ist. Allerdings sind gerade für den Einstieg mit einem Fach die Zugänge auf die Regionen und Fächer mit einem Lehrkräftemangel begrenzt. Deshalb werden einige Absolvent:innen auch als Vertretungslehrkräfte arbeiten. Und wieder andere machen etwas ganz Anderes.
So viel zum Thema politische Wertschätzung für geflüchtete Lehrkräfte. Und das trotz des dramatischen Lehrkräftemangels.
Müncher: Ich glaube, dass es sich hier nicht speziell um die mangelnde Wertschätzung geflüchteter Lehrkräfte handelt, sondern um einen weiteren Beleg dafür, dass unser Schulsystem auf Diversität kaum eingestellt ist. Mehrsprachigkeit wird nicht wirklich als Mehrwert begriffen, obwohl sie eine große Bereicherung für den Lernerfolg vieler Schülerinnen und Schüler bedeuten würde. Genau an der Stelle könnten geflüchtete Lehrkräfte so viel erreichen. Und nicht nur in Sachen Mehrsprachigkeit. Der Mentor eines syrischen Mathelehrers aus unserem Programm erzählte mir einmal, dass dieser seinen Kolleginnen und Kollegen am Gymnasium in seinem Fachwissen deutlich überlegen sei – und teilweise eine ganz andere Herangehensweise für die Lösung mathematischer Aufgaben mitbringe. Wir sollten uns als Gesellschaft fragen, ob es nicht höchste Zeit ist, insgesamt an unserem Bild von Schule zu drehen.
Gelingt das jetzt vielleicht durch den neuen Zustrom von Geflüchteten aus der Ukraine? Immerhin brüsten sich Kultusminister damit, unbürokratisch jede Menge geflüchtete ukrainische Lehrkräfte angestellt zu haben.
Müncher: Da würde ich dann gern wissen, wie viele von diesen Lehrkräften auf vollwertigen Stellen arbeiten oder doch nur als Unterrichtshelfer eingesetzt werden. Was es den aus der Ukraine Geflüchteten leichter machen dürfte, sind die bei vielen bereits vorhandenen Deutschkenntnisse, dadurch wird der Vergleich mit den Absolventinnen und Absolventen von "Lehrkräfte Plus" schwierig.
"Man kann Lehrkräfte durchaus für ein
einzelnes Unterrichtsfach sehr schnell
qualifizieren und in die Schulen bringen."
Und Sie glauben nicht, dass – Stichwort Ethnozentrismus – die Bildungspolitik mit zweierlei Maß misst und es den ukrainischen Lehrkräften leichter macht als denen aus Syrien, der Türkei oder Afghanistan?
Müncher: Was das Beispiel Ukraine zumindest zeigt: Es ist möglich, sehr kurzfristig zugewanderte Lehrkräfte einzustellen.
Richter: Und was wir umgekehrt durch "Lehrkräfte Plus" und ähnliche Initiativen gelernt haben: Man kann Lehrkräfte durchaus für ein einzelnes Unterrichtsfach sehr schnell qualifizieren und in die Schulen bringen. Genau darüber gibt es in der Lehrkräftebildung seit Jahren eine große Kontroverse, ob das geht. Mein Eindruck ist: Wir sollten angesichts des Lehrkräftemangels diese Diskussionen endlich hinter uns lassen und die Ein-Fach-Lehramtsoption dauerhaft für alle installieren.
Was wird jetzt aus "Lehrkräfte Plus", Frau Müncher?
Müncher: Die Initiative geht weiter, das Land hat die Finanzierung übernommen. Allerdings läuft die immer befristet von Förderphase zu Förderphase – aktuell bis 2027. Wir haben uns als Stiftung schon 2020 zurückgezogen und unterstützen nur noch die Evaluation und den Austausch über die Ergebnisse.
Richter: NRW ist ja zum Glück nicht das einzige Land. Brandenburg kam zuerst, später unter anderem auch Schleswig-Holstein und Hamburg. Was ich mir wünschen würde: dass Programme wie "Lehrkräfte Plus" in allen Bundesländern zugänglich wären – und es nicht vom Wohnort und dem Problembewusstsein des jeweiligen Bildungsministeriums abhängt, ob geflüchtete Pädagogen ihrer Berufung folgen können oder nicht.
Mit dem "Bebauungsplan der Umgebungen Berlins" wurde 1862 eine Grundlage geschaffen, auf der die innere Stadt bis heute aufbaut. Als Produkt der kapitalistisch-liberalen Wirtschaftsordnung im 19. Jahrhundert steht der Plan am Beginn einer Debatte über Planung als öffentliche Aufgabe. Der umgangssprachlich "Hobrechtplan" genannte Stadterweiterungsplan entwickelte sich bereits kurz nach seiner Veröffentlichung zur Projektionsfläche für Debatten um die Disziplin des Städtebaus, aber auch um die Auswirkungen von Planung, wie der Bodenspekulation – eine Rolle, die ihm noch bis ins 20. Jahrhundert zugeschrieben wurde. Bei den internationalen Vertretern der städtebaulichen Moderne verkörperte der "Hobrechtplan" das negative Beispiel einer sozial blinden Anpassungsplanung, dessen räumliche Verwirklichung es zu beseitigen galt. Seit der Infragestellung des Planungsleitbildes der Moderne ist die Kritik an James Hobrecht relativiert und der Plan selbst idealisierend mit den gründerzeitlichen Quartieren gleichgesetzt worden. Dementsprechend ist der Bebauungsplan eine wiederkehrende Referenz in der Erforschung nicht nur der Berliner Stadtentwicklung, sondern auch der Geschichte der europäischen Planungsparadigmen und städtebaulichen Leitbilder. Dabei ist der Plan unterschiedlichen Deutungen unterlegen, in welchen sich Entwurf, Umsetzung und Transformation in verschiedener Weise vermischen. In internationalen wie nationalen planungstheoretischen Diskursen spielt die Zeit vor den "Pionieren" der Städtebaudisziplin wie Reinhard Baumeister (1876), Camillo Sitte (1889) oder Joseph Stübben (1890) und der "Systematisierung des Wissens von der Stadt" nach Lampugnanis Zusammenstellung der Städtebau-Manuale bisher kaum eine Rolle. Gerade zu städtebaulichen Entwurfs- und Planungsprinzipien vor 1870 existieren in Deutschland kaum Forschungsarbeiten. Dabei waren die Erweiterungspläne die ersten Wissensbestände, auf welche die in der Gründung befindliche Disziplin des Städtebaus zurückgreifen konnte. Die Institutionalisierung des Städtebaus war eine Folge der industriellen Revolution mit rasantem Bevölkerungs- und unreguliertem Stadtwachstum. Vor dem Hintergrund, dass die ab 1870 erschienenen städtebaulichen Handbücher – beispielsweise Stübbens "Der Städtebau" – auf Stadtstrukturen sowie Typologien des öffentlichen Raums der großen Masterpläne und Fallbeispiele der europäischen Stadterweiterungen zurückgreifen, erscheint es von großer Bedeutung die Ideengeschichte und Entwurfslogik des Berliner Bebauungsplans von 1862 zu beleuchten. An diesem Punkt setzt die kumulative Dissertation an: Die Aufsätze mit städtebaulichem Fokus haben das Ziel, die Ideengeschichte des Plan(gebiet)s sowie die Veränderungen der gebauten Umwelt zu beleuchten. Durch den Fokus auf das Berliner Beispiel werden Prinzipien der Entstehung und des Wandels städtischer Strukturen des 19. Jahrhunderts sowie Entwurfsprinzipien der Berliner Städtebau-Experten aufgezeigt. Damit werden Beiträge zu alternativen Lesarten des Hobrechtschen Berlins, der preußischen Stadterweiterungsplanung des ausgehenden 19. Jahrhunderts und zur lokalen Disziplingeschichte der Stadtplanung und des Städtebaus geleistet. Auf diese Weise soll auch eine Grundlage zur vergleichenden Perspektive auf die Ursprünge der städtebaulichen Planung in Europa geleistet werden. Die Arbeit ermöglicht eine tiefgreifende und kritische Betrachtung der Städtebau- und Planungsgeschichte Berlins zwischen dem beginnenden 19. Jahrhundert bis zu den fundamentalen Veränderungen in der Mitte des Jahrhunderts. Ein rasantes Bevölkerungswachstum, angefeuert von der entfesselten Industrialisierung, drängt die preußischen Baumeister und Entscheidungsträger zur Regulierung der Bautätigkeiten. Insbesondere an diesem Wendepunkt der Stadtentwicklung vereint der Bebauungsplan von 1862 die Ideen und Instrumente des Berliner Städtebaus und steht deshalb im Mittelpunkt der Analysen. Bisherige planungshistorische Untersuchungen deuten an, dass der Plan als strategisches, flexibles und damit anpassungsfähiges Instrument angelegt wurde. In Ergänzung dazu wird aus städtebaulicher Sicht die These verfolgt, dass der Plan der Logik nach als Wachstumsgerüst entwickelt wurde. Die erkenntnisleitenden Forschungsfragen der vorliegenden Aufsätze sind deshalb: • Welche städtebaulichen Entwurfs- und Planungsprinzipien werden für die Erstellung des Berliner Bebauungsplans von 1862 angewendet oder entwickelt? • Wie lassen sich diese Entwurfs- und Planungsprinzipien aus dem zeitgenössischen Kontext erklären? Im Ergebnis der Arbeit stehen grundlegende Aussagen zu den städtebaulichen Entwurfs- und Planungsprinzipien der Berliner Stadterweiterung von 1862, die auf eine Übertragbarkeit vergleichbarer Stadterweiterungen hindeuten. Darüber hinaus stellt der Plan einen besonderen Wert für die Planungsdisziplin dar, da mittels der morphologischen Untersuchungen – erstmals der Basis von Geoinformationssystemen – Entwurfskennwerte und damit verbundene Entwurfsprinzipien vor der eigentlichen Definition des Städtebaus um 1870 herausgearbeitet werden können. Ideengenese, räumliche Entwicklung und Planaussagen werden als Untersuchungsgegenstand vereint betrachtet, um der Mehrdimensionalität des Untersuchungsgegenstandes gerecht zu werden. Diese Vielschichtigkeit spiegelt sich konsequenterweise auch in der Forschungsmethode wieder: durch die Verknüpfung städtebaulich-morphologischer Analysen mit Archivalien- sowie Literaturrecherchen, aber auch dem Abgleich mit gesellschaftlichen Entwicklungslinien und politisch-administrativen Strukturen, werden lokale Erkenntnisse zur Berliner Stadtstruktur gewonnen und Hobrechts Beitrag zum Städtebau neu bewertet. ; The "land-use plan for the environs of Berlin" created in 1862 represents a cornerstone on which the inner city is built even to this day. A product of the capitalist-liberal economic system during the 19th century, the plan was considered a task to be carried out in the public interest at the onset of a debate about planning. Shortly after its publication, the urban expansion plan, commonly referred to as the "Hobrecht Plan", was transformed into a forum for debates on the discipline of urban development as well as on the effects of planning, such as land speculation, which was ascribed to the plan until well into the 20th century. International representatives of urban modernism felt that the "Hobrecht Plan" embodied the negative image of socially blind adaptation planning, the spatial realization of which should be prevented at all costs. Ever since the modernistic planning concept was first challenged, criticism directed towards James Hobrecht has been called into question and the plan itself equated to the 19th-century neighborhoods of an idealistic era. Accordingly, the land-use plan serves as a recurring reference in the research regarding not only Berlin's urban development but also the history of European planning paradigms and urban planning models in general. However, the plan is subject to various interpretations, in which the terms design, implementation and transformation blend together in different ways. In both international and national planning theory discourses, the time before the "pioneers" of the urban planning discipline, such as Reinhard Baumeister (1876), Camillo Sitte (1889) and Joseph Stübben (1890), and the "systematization of urban knowledge" based on Lampugnanis collection of urban design manuals, has been of virtually no relevance. There is hardly any research available on the urban design and planning principles in Germany before 1870. The expansion plans were the first knowledge bases that could be accessed when establishing the discipline of urban development. The institutionalization of urban development was a consequence of the industrial revolution with rapid population growth and unregulated urban expansion. The fact that the urban planning manuals published after 1870 – e.g., Stübben's "Der Städtebau" (City Building) – accessed urban structures such as typologies of public space from the large master plans and case examples of European urban expansions would seem to shed some important light on the significance of the history of ideas and design logic behind the 1862 Berlin land-use plan. This sets the starting point for the cumulative dissertation: The papers with a focus on urban planning strive to examine the history of ideas behind the plan (planning area) in addition to any modifications to the constructed environment. Concentrating on the Berlin example illustrates the principles regarding the emergence and transition of 19th-century urban structures as well as the design principles employed by urban development experts in Berlin. This in turn contributes to alternative interpretations of Hobrecht's Berlin, Prussian urban expansion planning at the end of the 19th century, and to the local history of the disciplines of urban planning and urban development. This should also serve as a basis for the comparative perspective concerning the origins of urban planning in Europe. This work will allow for an in-depth and critical analysis of Berlin's urban planning and design history between the start of the 19th century up until the fundamental changes that took place towards the middle of the century. Rapid population growth, spurred on by the spread of industrialization, forced Prussian builders and decision-makers to regulate building activities. At this turning point in the city's development in particular, the land-use plan from 1862 united the ideas and tools of Berlin's urban development, thus taking center stage in relevant analyses. Previous investigations on the history of planning suggest that the plan was created as a strategic, flexible and therefore adaptable tool. Consequently, from an urban development point of view, it is logical to postulate that the plan was designed as a framework for growth. As such, the leading research questions in the present papers include: • Which urban design and planning principles were applied or developed for the purpose of creating the Berlin land-use plan from 1862? • How can these design and planning principles be explained within a contemporary context? The results of this project contain fundamental statements regarding the urban design and planning principles used in Berlin's urban expansion from 1862, which point to the possibility of transferring comparable cases of urban expansion. Furthermore, the plan represents a valuable resource for the planning discipline as the morphological examinations – initially based on geographic information systems – can be used to map out design parameters and the associated design principles before the concept of urban development was actually defined around 1870. The origin of ideas, spatial development and planning statements are regarded in conjunction as the object of investigation in order to satisfy the multidimensionality of the investigation. This multidimensional nature is therefore also reflected in the research methodology: by linking urban-development-related, morphological analyses with archive and literature research, as well as with the comparison to social lines of development and political-administrative structures, it is possible to acquire local insights into the Berlin urban structure and reassess Hobrecht's contribution to urban development.
Die zentrale Frage der Arbeit lautet: steht ein naturrechtliches Gedankensystem hinter den Begriffen der Würde in den vorgrundgesetzlichen Länderverfassungen und des GG? Nachgewiesen wird, dass die aus verschiedenen Philosophien und Theorien zusammengesetzte, in Vergessenheit geratene Staatsphilosophie des Sozialdemokraten Carlo Schmid, sowie dessen Rechtsidee nicht nur für die Länderverfassung Württemberg-Badens, sondern auch für das GG den Hintergrund bildet. Der Rechtsphilosoph und ehemaliger Reichstagsabgeordneter der SPD Gustav Radbruch kritisierte in der unmittelbaren Nachkriegszeit das positivistische Rechtsdenken wirkmächtig. Dessen gesetzespositivistische Prinzip 'Gesetz ist Gesetz' habe den Missbrauch von Gesetz und Recht in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland erst ermöglich. Künftig müsse ein fester Bestand von Rechtsgrundsätzen des Rechts stärker als jede positive Setzung sein. Für diese käme es nicht darauf an, wie sie früher philosophisch oder theologisch begründet wurden. Wichtig sei, dass sie im Laufe der Weltgeschichte von vielen Seiten übernommen wurden. Diese Rechtsgrundsätze seien die Menschen-, respektive Bürgerrechte. Man könne auch Natur- oder Vernunftrecht zu ihnen sagen. Durch das Bekenntnis zum Natur- oder Vernunftrecht für die Grundsätze des Rechts bewirkte Gustav Radbruch absichtlich, dass das positivistische Rechtsdenken diskreditiert wurde und unbeabsichtigt, dass sämtliche hinter dem Natur- und Vernunftrecht stehenden philosophischen oder theologischen Lehren in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Diskussion gerückt wurden. Zudem waren die Nationalsozialisten keine Positivisten oder Rechtspositivisten. Sie ließen die offen begründbare, nationalsozialistische Rechtsidee zu dem deutschen völkischen Wesen durch Interpretation in die von ihnen übernommenen, positiven Gesetze der Weimarer Republik hineinwirken. Die Richtigkeit ihrer neuen Sinndeutung der positiven Gesetze begründeten einige ihrer Autoren philosophisch anhand des Hegelianismus, mit der Wertlehre, der Methode der dialektischen Synthese oder übernahmen die Methode der Phänomenologie des Erschauens. Rechtsphilosophisch kam die nationalsozialistische Weltanschauung durch den juristischen Neuhegelianismus oder durch das institutionelle Rechtsdenken u.a. zu Worte. Gemeinsames Ziel war es, die Rechtsgrundsätze des nationalsozialistischen Rechts Führer, Volk, Rasse und Antisemitismus in die apriorische Wirklichkeit zu setzen. Einige nannten diesen Bereich oberhalb von Recht und Gesetz plakativ Neues Naturrecht. Der vormalige Reichstagsabgeordnete der SPD und spätere Ministerpräsident von Bayern, Wilhelm Hoegner, verbrachte im Schweizer Exil seine Zeit auch mit dem Austromarxisten Rudolf Hilferding. Dieser war der Ansicht, dass der historische Materialismus um ein Naturrecht aus Kulturwerten des Abendlandes ergänzt werden müsste. An dessen Gedanken knüpfte Wilhelm Hoegner am 26.11.1945 auf einer Kundgebung der SPD Bayern in München an. Künftig müsse wider den Erfurter Parteitagsbeschlüssen der Mensch zum Maß aller Dinge werden; d.h. der Mensch müsse wieder zu seinem gemeinschaftlichen Wert und zu seiner persönlichen Würde, seinem Selbstzweck, erhöht werden. Am 10.02.1946 entwickelte Carlo Schmid während einer gehaltenen Rede in Südwürttemberg-Hohenzollern vor Parteifreunden den Ansatz weiter. Er verlangte nach einer neuen wissenschaftlichen Methodik für das politische Wollen der Sozialdemokratie. Wilhelm Hoegner habe erklärt, dass ihm der letzte große Theoretiker des Marxismus, Rudolf Hilferding, vermacht habe, dass der historische Materialismus um die Anerkennung von idealistischen und ethischen Willenskräften ergänzt werden müsste. Während der 3. Sitzung des Verfassungsausschusses der Vorläufigen Volksvertretung für Württemberg-Baden am 05.04.1946 erklärte Carlo Schmid, dass als volonté générale ein zeitgenössischer Gemeinwille durch die Verfassung zu Worte kommen müsse, um diese zu legitimieren. Der lebendige Gemeinwille bilde eine Wertordnung ab, welche sich im Volk manifestiert habe und zu der sich das Volk bekennen würde. Als Wertfundament hätten die Werte der Wertordnung in die Verfassung zu fließen. Aufgabe der Repräsentanten des Volkes sei es, das Wertgefühl des Volkes, dessen Selbstverständnis in einer bestimmten Epoche zu ermitteln, um eine Wertordnung für die Zukunft aufstellen zu können. Mit der Wertordnung und der Verfassung könne der Mensch als freiwollendes Wesen zum Staat ins Verhältnis gebracht werden. Dies könne methodisch dadurch erreicht werden, indem die höchste Reflexionsstütze der praktischen Vernunft, die Freiheit a priori, auf die neu zu schaffende Wertordnung des Volkes und durch diese hindurch auf die künftige Verfassung gerichtet wird. Halten die Grundrechte und die weiteren Verfassungsregeln einer solchen Überprüfung stand, könne mit ihnen als Maßstab dem Menschen ein Leben in der Würde der freien Entscheidung ermöglicht werden. Dann könne der Mensch seine Gaben in Freiheit und in Erfüllung des Sittengesetzes entfalten. Dabei ging Carlo Schmid davon aus, dass nichts von dem christlichen Sittengesetz aufgehoben wird, wenn sich die Verfassungsgesetzgeber auf den kategorischen Imperativ einigen würden. Kant hätte gezeigt, dass über den Menschen und dem Volk der kategorische Imperativ und die kategorische Vernunft stehen würden. Angelehnt an die phänomenologische Wertethik nach Max Scheler erschaute Carlo Schmid das Wertgefühl des Volkes; es seien 7 Werte auszumachen: die Würde des Menschen nebst Menschenrechten, soziale Gerechtigkeit, Demokratie, Ablehnung der Staatsallmacht, Völkerrecht und Verzicht auf Krieg. Als höchste Wertregel erschaute er die Würde des Menschen. Der heutige Mensch wolle künftig nicht mehr als Objekt, als ein Zweckding, eines Staates ein Leben führen müssen. Vielmehr zeichne sich der Mensch durch die Würde der Person und deren Selbstzweckhaftigkeit aus. Der zweite Wert der Wert- und Kulturordnung umfasse die Menschenrechte, wobei die Würde des Menschen ihren Niederschlag in den Menschenrechten findet. Die Menschenrechte sind dem Menschen nicht durch den Staat, sondern ob ihrer eigenen Existenz gegeben. Sie müssen als geschlossenes System von Menschen - oder Bürgerrechten als geltendes Recht am Anfang der Verfassung stehen. Dabei darf das Menschenrecht der Freiheit keine schrankenlose Anwendung auf die Wirtschaftsordnung finden, weil sich ansonsten ein wirtschaftlicher Liberalismus einstellen würde. Nach den Werten Demokratie und Ablehnung der Staatsallmacht nahm Carlo Schmid das Völkerrecht als letzten Wert in die Wertordnung auf. Er begründete dies mit einem Verweis auf die Kantschrift zum ewigen Frieden, wonach ein Individuum nur in einem Rechtsstaat zur Entfaltung seiner sittlichen Freiheit kommen kann, wenn dieser auch in das Völkerrecht eingebettet ist. Während der 2. Sitzung der Beratenden Landesversammlung des Volksstaates Württemberg-Hohenzollern am 02.12.1946 wies Carlo Schmid darauf hin, dass sich der Verfassungsgesetzgeber theoretisch in ein zoon politikon zu versetzen habe, wenn er nach den Legitimationsgrundsätzen der Verfassung sucht. Beim Erfühlen der Grundwerte muss sich der Verfassungsgesetzgeber vorstellen, als künftiges Wesen durch den Staat bestimmt zu werden. Der Verfassungsgesetzgeber muss sich dabei bewusst sein, dass eine Verfassung durch ein Volk dann nicht legitimiert wird, wenn sie theokratische oder theologische Grundzüge trägt, wenn sie durch ein Gottesgnadentum, das christliche Naturrecht, die lutherische Staatstheologie oder die Staatsmetaphysik Calvins legitimiert wird. Der Verfassungsgesetzgeber erreicht eine Legitimation durch das Volk nur dann, wenn er den Konsens aller findet, an die sich die Verfassung wendet. Diesen sah Carlo Schmid erreicht, wenn der künftige Staat den Menschen nicht mehr verstaatlicht, vielmehr müsse dessen Aufgabe die Vermenschlichung des Staatsbürgers sein. Dies könne dadurch erreicht werden, wenn man zu einer alten Auffassung zurückfinden würde, nämlich zu der, dass dem Menschen die Attribute Würde und Freiheit ob seines Menschseins und nicht von Staat wegen anhaften. Die von Carlo Schmid formulierte Rechtsidee floss unzweifelhaft in den Wortlaut der Präambel und des Art. 1 WBV hinein. Durch diesen wird dem künftigen Gesetzgeber erklärt, von welchem Leitbild das württemberg-badische Volk ausgeht. Danach gilt, dass der Mensch in der ihn umgebenden Gemeinschaft seine Gaben in Freiheit und in der Erfüllung des ewigen Sittengesetzes zu seinem und das andere Wohl zu entfalten hat. Diesem Menschenbild hat der künftige Staat bei all seinen Entscheidungen aus Pflicht zu dienen, da dem Menschen, ausgedrückt durch den Vorspruch der Verfassung, Würde zukommt. Die durch Art. 1 WBV zu Worte kommende Staatsphilosophie von Carlo Schmid wurde durch die Verfassung von Hessen übernommen, jedoch nicht dessen Rechtsidee. In Übereinstimmung mit der Verfassung von Württemberg-Baden stehen die Grundrechte in der Verfassung von Hessen an dem Anfang des Verfassungstextes. Die Präambel wurde jedoch neu gefasst und Art. 1 WBV ersatzlos gestrichen. Die hessische Verfassung übernimmt mit ihrem Wortlaut des Art. 1 HV den Wortlaut aus Art. 2 WBV, der wiederum an Art. 109 WV erinnert. Zwar erscheint der Würdebegriff bereits in Art. 3 HV, jedoch nachrangig gesetzt nach den Gütern Leben, Gesundheit und Ehre. Die Staatsphilosophie und die Rechtsidee von Carlo Schmid kommt in der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen in Art. 1 BremV ansatzweise zu Worte. Der Verfassungstext beginnt mit den Grundrechten, jedoch werden sie, wie in der bayerischen Verfassung und der Weimarer Verfassung, um Grundpflichte ergänzt. Zudem besagt Art. 1 BremV lediglich, dass Bremen an die Gebote der Sittlichkeit und Menschlichkeit gebunden ist. Das Vorbild zu Art. 5 BremV, wodurch die Würde der menschlichen Persönlichkeit anerkannt wird, ist hingegen Art. 100 BV a. F. Eine Einwirkung der Staatsphilosophie nach Carlo Schmid auf die Verfassung von Bayern kann von vornherein ausgeschlossen werden, weil diese den Aufbau der Verfassung der Weimarer Republik übernimmt. Außerdem kommt in dem Grundrechtsteil in dem ersten Artikel nur die Sittlichkeit und nicht die Menschlichkeit zu Worte. Außerdem schützt Art. 100 BV a.F. nicht die Würde des Menschen, sondern die Würde der menschlichen Persönlichkeit. Dem gemäßigten Gesetzespositivismus ihres Verfassers folgend, ist der Begriff von der Würde der menschlichen Persönlichkeit durch die positive Setzung von sämtlichen Begründungsphilosophien befreit worden. Durch Umdeutung des Art. 100 BV a.F. kam später nicht menschliche Persönlichkeiten, sondern Personen Würde zu; seit 2003 ist der Wortlaut des Art. 100 BV mit dem des Art. 1 Abs. 1 GG identisch. Einwirkungen der Staatsphilosophie von Carlo Schmid auf die Verfassung des Landes Baden und auf die Verfassung von Rheinland-Pfalz können nur anhand des Aufbaus ausgemacht werden. Beide Verfassungen beginnen mit der Grundrechtsordnung, die Verfassung des Landes Baden sogar nur mit den Grundrechten, während die Verfassung von Rheinland-Pfalz, wie die Weimarer Verfassung, noch Grundrechte und Grundpflichte kennt. Wie die WBV setzt die BadV ein Menschenbild dem Verfassungstext voran, jedoch handelt es sich um das eines Christen. Die Verfassung von Rheinland-Pfalz geht noch einen Schritt weiter, für diese ist das katholische Naturrecht maßgebend. In der Verfassung des Saarlandes, die wie die Weimarer Verfassung mit den Grundrechten und Grundpflichten beginnt, ist kein Menschenbild mit genauen Konturen dem Verfassungstext vorausgestellt worden, vielmehr wird der Mensch als Einzelperson anerkannt. Welches Gedankensystem hinter Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG steht, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Nicht überliefert wurde, was der geistige Urheber, nämlich der damalige Redaktionsausschuss, ursprünglich unter der These, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, verstanden hat. Nur eine wörtliche und systematische Auslegung des gesamten Art. 1 GG liefert Hinweise, um die in Frage kommende, vorbildgebende Konstruktion bestimmen zu können. Zweifellos deutet der Aufbau des Grundgesetzes auf die Staatsphilosophie von Carlo Schmid hin. Zudem übernimmt die in dem deutschen Grundgesetz niedergeschriebene Rechtsidee meiner Ansicht Vorgaben aus den von Carlo Schmid Anfang 1946 in Süd-Württemberg-Hohenzollern und in Württemberg-Baden gehaltenen Referaten 'Grundgedanken zur Schaffung einer neuen Verfassung für Nordwürttemberg-Nordbaden' und 'Die Grundzüge für den organisatorischen Teil der neuen Verfassung für Nordwürttemberg-Baden'. Beide wurden in Schriftform auf einer Länderkonferenz der amerikanischen Zone, bei der über die künftigen Länderverfassungen beraten wurde, den Teilnehmern im April 1946 übergeben. Dem folgend ist die Wertordnung des Grundgesetzes und mit ihr die Würde des Menschen nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG im Lichte der apriorischen Freiheit zu verstehen. Zwar ist die Würde des Menschen die oberste Wertregel, jedoch steht hinter ihr die Freiheit. Ein Rückgriff auf das Naturrecht und das unkritische Vernunftrecht, somit auch auf die Theologie, mit ihr auf die Gottebenbildlichkeit oder auf die Metaphysik schließt sich dadurch aus. Dies gilt auch für das kritische Vernunftrecht, es sei denn, dass es neukantianisch angewandt wird. Da weder der Ausgangspunkt des zusammengesetzten neukantianischen Konzepts von Carlo Schmid (SPD), nämlich die Freiheit apriori, noch sozialistische Werte als Zielvorstellungen in Art. 1 GG aufgenommen wurden, wurde im Ergebnis nur Teile des Schmidschen Urkonzepts übernommen. Dies hatte zur Folge, dass die, insbesondere um die Freiheit, entkleidete Würde des Menschen zur isolierten, inhaltslosen Supernorm des deutschen Grundgesetzes wurde, nach Manfred Baldus eine "Norm aller Normen und zugleich eine große Unbekannte" blieb. Da auch noch der Neukantianer Gustav Radbruch (SPD) zum Natur- oder Vernunftrecht aufrief und sich anschließend eine naturrechtliche Renaissance im Kampf gegen den Gesetzespostivismus einstellte, entbrannte der Kampf um die Deutungshoheit über den Satz von der unantastbaren Würde des Menschen auf dem grundgesetzlichen Schlachtfeld des Art. 1 Abs. 1 GG. Damit ist auch die Frage beantwortet, ob die Würde des Menschen ursprünglich ein Grundrecht verkörperte. Da der Neukantianer Carlo Schmid der Marburger Rechtsschule zuzuordnen ist, diese Form und Inhalt voneinander trennt, hat die gesamte in Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 GG stehende theoretische Rechtsidee nach Carlo Schmid lediglich einen formalen Charakter. Sie dient als Leitbild für den deutschen staatlichen Gesetzgeber, damit dieser durch einen an der Freiheit reflektieren Blick in das Grundgesetz erkennen kann, welches Menschenbild durch die mit Art. 1 Abs. 3 GG angekündigten und Art. 1 GG folgenden Grundrechte zum Ausdruck kommt. Aus Sicht der Rechtsidee handelt es sich bei den Werten konsequenterweise nicht um ewige Werte, sondern um wandlungsfähige, objektiv richtige Werte. Demgemäß ist die Würde des Menschen kein Grundrecht des wirklichen Menschen, sondern höchster Wert der Wertordnung. Im Übrigen kann deren Inhalt mit dem Anspruch der universellen Richtigkeit niemals definiert werden; wie Carlo Schmid richtig erkannte, kann nur die Intuition wirklich weiterhelfen. Dies ist das sakrale Geheimnis der Würde des Menschen in Art. 1 Abs. 1 GG, weil durch dieses Gefühl die Verfassung nicht nur von den Vertretern des deutschen Volkes und des deutschen Volkes selbst, sondern durch dieses hindurch durch jeden Menschen auf deutschen Boden legitimiert wird.
The Sustainable Forest Management (SFM) was first introduced in all commercial forest reserves in Sabah in 1997. This policy gives hope to the state government to manage the forests in a sustainable manner following the forest development phase of revenue oriented timber exploitation, which has contributed to the decline in forest resources; the increase in forest degradation and the decrease in state income earned from the forestry sector. Under the SFM concept, the forest of the state was divided into Forest Management Units (FMUs) managed by FMU holders under different institutional arrangements of state, state enterprise and private sector. This study was conducted to investigate the corporate-stakeholder interrelation under the SFM concept implemented by the FMU holder in Sabah, Malaysia. The research was based on the 'Triple Typology Perspective of Stakeholder Theory', which encapsulates three different perspectives of 'conceptual', 'corporate' and 'stakeholder' centric. The 'conceptual' perspective explores the overall SFM concept and its relation to the FMU holder – stakeholder interaction. The 'corporate' view investigates how the FMU holders as the corporate part of the SFM concept deals with their stakeholders; and the 'stakeholder' perspective analyses the relation between stakeholders, the FMU holders and SFM implementation. Stakeholder analysis was used to gather information with the application of methods incorporating literature reviews, expert interviews, focus groups, meetings and discussion, questionnaire surveys and Q methodology. Four FMUs were selected as study areas, which managed by the state, state enterprise and private sector. The respondents were encompassed personal of Sabah Forestry Department (SFD), FMU managers and FMU workers, various governmental and non-governmental agencies, and local communities of eight villages located within and in the fringe of FMU areas involved in the study. Under the 'conceptual centric', different groups of stakeholders were identified based on SFM documentation, which also provide the normative basis for the SFM concept. The contemporary implementation of SFM was assessed based on stakeholders' perspective, which indicated that the overall SFM contribution entailed mainly on satisfaction of environment objectives, followed by economic and, to a lesser degree, social objectives. Different categories of stakeholders were identified based on their perceptions of various issues under SFM implementation. These include the level of cooperation or conflict; degree of stakeholder participation; views of specific individuals and a thorough comparison of individual subjectivity. There is, however, an agreement to the statements on the influential factors towards effective SFM implementation, which include the administration and leadership of SFD, and good collaboration between SFD and the FMU holders. Other consensuses were related to the roles of participation in promoting learning about synergy and the importance of various forest uses, and that it should be able to influence the decision-making during the consultation process. The implementation of SFM was agreed in influencing towards investment in the forestry sector and the development of the rural area in the state. The 'corporate centric' indicates the different approaches of stakeholder management under the different arrangements of FMU holders. The SFM operations with a high level of stakeholder involvement were identified as community forestry programme followed by forest conservation, forest protection, development and preparation of plans, administration, human resource development, and research and development. The important stakeholders, according to their degree of involvement in SFM operations were the internal stakeholders of FMU workers, followed by external stakeholders of the staff of SFD, contractors, local communities, local authorities, consultants, businessmen/traders and researchers/scientists. Other stakeholders were various state government agencies, manufacturers, shareholders, NGOs (local), international agencies, NGOs (international), donors, federal government agencies and other FMU holders. The 'stakeholder centric' identifies the various stakeholders interests and claims associated with SFM implementation that depend on stakeholder affiliation. The main groups in this study were multi-interest stakeholder groups (n=104) and the local community groups of the selected villages (n=332). The interests and claims of the multi-interest stakeholder group were related to SFM objectives such as good management of the forest, protection and conservation of environment and biodiversity, and protection of water catchment areas. The local community groups, on the other hand, were mainly concerned with the importance of the forest as a source for foods, land for agriculture and other livelihood purposes. There are various approaches for stakeholder relation management (SRM) that are employed by the FMU holders and stakeholders. These may consist of management quality system, CSR program, the community forest development project; inter agency meetings and dialogue; and collaboration and cooperation with other agencies and institutions. SRM can assist in balancing conflicts that arise, promoting cooperation, and advancing the knowledge and understanding on the SFM concept among the stakeholders. The SRM approaches under the SFM implementation can augment participation by the stakeholders, which in turn will promote effective and efficient implementation of SFM. The mutual relation of the SFM concept and SRM is advancing stakeholder participation in promoting effective implementation of SFM at the FMU level. The inter-relation of the 'triple perspective typology of stakeholder theory' was integrated as new contexts to achieve objectives for sustainability under SFM policy, with the business case of corporate sustainability, and the wider scope of the ecosystem approach and the sustainable development. ; Das Konzept Sustainable Forest Management (SFM) wurde erstmals in allen kommerziellen Waldreservaten in Sabah, Malaysia, im Jahr 1997 eingeführt. Mit dieser Politik verbindet die Landesregierung die Hoffnung, dass die Wälder nun in einer nachhaltigen Art und Weise bewirtschaftet werden können, nachdem die fast ausschließlich auf Einnahmen orientierte Holznutzung zum Rückgang der Waldbestände, zur Zunahme der Waldzerstörung und damit letztendlich auch zum Rückgang der Staatseinnahmen aus der Forstwirtschaft beigetragen hat. Zur Umsetzung des SFM-Konzepts wurde der Staatswald in Forest Management Units (FMU) unterteilt, die von FMU Haltern aus verschiedenen Staatsinstitutionen, Staatsunternehmen und der Privatwirtschaft verwaltet werden. Die vorliegende Arbeit untersucht das Verhältnis zwischen Unternehmen als FMU-Bewirtschaftern und Stakeholdern im Konzept nachhaltiger Waldbewirtschaftung, das von FMUs in Sabah, Malaysia implementiert wurde. Die Arbeit basiert auf der "Triple-Typology Perspective of Stakeholder Theory", welche drei verschiedene Perspektiven beinhaltet, die konzeptionell, unternehmensbezogen oder Stakeholder-zentriert sind. Dabei untersucht die konzeptionelle Perspektive SFM-Konzepte und die daraus resultierenden Beziehungen zwischen FMU-Bewirtschafter und ihren jeweiligen Stakeholdern. Die unternehmenszentrierte Sicht legt den Schwerpunkt darauf, wie FMU-Bewirtschafter als Teil des SFM-Konzeptes mit Stakeholdern interagieren. Die Stakeholder-Perspektive analysiert das Verhältnis zwischen Stakeholdern, FMU-Bewirtschafter und der SFM-Implementierung. Die Daten wurden mit Hilfe der Stakeholder-Theorie unter Anwendung quantitativer und qualitativer Methoden wie Literaturrecherche, Experteninterviews, Fokusgruppen, informellen Treffen und Diskussionsrunden, schriftlichen Befragungen und der Q-Methodologie erhoben. Als Untersuchungseinheiten wurden vier FMUs ausgewählt, die durch den Staat, den staatlichen Forstbetrieb und den privatem Sektor bewirtschaftet werden. Die Befragungsteilnehmer setzten sich aus Personal der Forstverwaltung Sabah (Sabah Forestry Department, SFD), den FMU-Bewirtschaftern und –Mitarbeitern, verschiedenen Regierungs- und Nicht-Regierungsorganisationen und lokalen Gemeinschaften in acht Dörfern innerhalb sowie im Randgebiet der FMUs zusammen. In Bezug auf die konzeptionelle Perspektive wurden, basierend auf der SFM-Dokumentation, verschiedene Stakeholder-Gruppen identifiziert, die die normative Basis für das SFM-Konzept liefern. Dessen Implementation wurde aus Sicht der Stakeholder analysiert. Es zeigte sich, dass der gesamte Beitrag zum SFM vornehmlich umweltbezogene Zielsetzungen erfüllt, gefolgt von ökonomischen und, zu einem noch geringeren Grad, sozialen Zielen. Mehrere Kategorien von Stakeholdern wurden auf Grundlage ihrer Wahrnehmung verschiedener Aspekte im Zuge der SFM-Implementation identifiziert. Diese umfassen die Kooperations- oder Konfliktebene, den Grad der Stakeholder-Beteiligung sowie individuelle Betrachtungen. Es gibt eine Übereinstimmung zu Äußerungen, welche Einflussfaktoren hinsichtlich effektiver SFM-Implementierung entscheidend sind. Dabei wurden vor allem das Management und die Führung der, der SFD sowie gute Zusammenarbeit zwischen dem SFD und den FMU-Bewirtschaftern genannt. Weitere Übereinstimmung besteht darin, die Weiterbildung über die Bedeutung unterschiedlicher Waldnutzungen und deren Ausbalancierung zu stärken, um die Entscheidungsfindung im Konsultationsprozess beeinflussen zu können. Auch herrschte Einigkeit darin, durch Investition in den Forstsektor und Entwicklung ländlicher Regionen die Implementation von SFM zu stärken. Der unternehmensbezogene Fokus konzentriert sich auf die verschiedenen Ansätze des Stakeholder-Managements unter unterschiedlichen Charakteristika der FMU-Bewirtschafter. SFM-Maßnahmen mit einem hohen Grad an Stakeholder-Beteiligung sind Gemeinschaftsforstprogramme (community forestry programmes), gefolgt von Waldnaturschutz, Waldschutz, Entwicklung und Vorbereitung von Plänen, Verwaltung, die Entwicklung von Humanressourcen sowie Forschung und Entwicklung. Die wichtigsten Stakeholder, bezogen auf ihren Beteiligungsgrad in SFM-Maßnahmen, waren intern die Mitarbeiter der FMUs und extern die Mitarbeiter der SFD, Vertragsnehmer, lokale Gemeinschaftsgruppen und Verwaltungen, Berater, Geschäftsleute/Händler und Forscher/Wissenschaftler. Weitere Stakeholder waren verschiedene Regierungsorganisationen, Produzenten, Aktionäre, internationale Behörden, lokale und internationale NGOs, Behörden der föderalen Regierung und andere FMU-Bewirtschafter. Die Stakeholder Perspektive identifiziert verschiedene Interessen und Forderungen der Stakeholder, die sich auf die SFM-Implementation beziehen und von der Stakeholder-Zugehörigkeit abhängen. Die Hauptgruppen in dieser Studie waren sogenannte Mehrinteressen-Stakeholder-Gruppen (n=104) und lokale Gemeinschaftsgruppen (n=332). Die Interessen und Forderungen der Mehrinteressen-Stakeholder-Gruppen waren bezogen auf SFM-Ziele wie gute Waldbewirtschaftung, Schutz und Erhaltung der Umwelt und Biodiversität sowie Schutz von Wassereinzugsgebieten. Andererseits stand der Wald als Quelle für Nahrung, landwirtschaftliche Flächen und andere Aspekte des Lebensunterhaltes im Mittelpunkt des Interesses lokaler Gemeinschaftsgruppen. Es gibt zahlreiche Ansätze für das Management von Stakeholder-Beziehungen (Stakeholder Relation Management, SRM), welches durch FMU-Bewirtschafter und Stakeholder genutzt wird. Der SRM-Ansatz besteht aus dem Bewirtschaftungsqualitätssystem, CSR-Programm, dem Gemeinschaftswaldentwicklungsprojekt, multilateralen Treffen und Dialog zwischen den Behörden, und Zusammenarbeit und Kooperation mit anderen Behörden und Organisationen. SRM kann dazu dienen, mögliche Konflikte auszubalancieren, Kooperation zu begünstigen sowie das Wissen und Verständnis von SFM zu fördern. Die Einbindung von SRM in die Implementation von SFM erweitert die Beteiligung der Stakeholder, was wiederum zu einer effektiveren und effizienteren Implementation von SFM auf FMU-Ebene führen kann. Die Wechselbeziehungen zwischen der "Triple-Perspective Typology of Stakeholder Theory" und dem Ökosystemansatz, der unternehmensbezogenen Nachhaltigkeit und dem Konzept des Sustainable Forest Management bilden die Grundlage, um das Ziel einer umfassenden Nachhaltigkeit zu erreichen.
Wäre die Gegenwart eine andere, hätte im Mai 2020 die achte Ausgabe der Konferenz "Theater und Netz", einer Initiative von nachtkritik.de und der Heinrich-Böll-Stiftung, stattgefunden. Stattdessen ergab sich für Theaterschaffende, Kritiker*innen und Publikum reichlich Gelegenheit, das Verhältnis von Theater und Netz in actu auszuloten: Durch die Ausgangsbeschränkungen befeuert, verlagerte sich das Theatergeschehen in die digitale Experimentierstube. Im Oktober erschien nun der Band Netztheater, der in 21 Beiträgen die Erfahrungen der vergangenen sechs Monate reflektiert –fundiert durch die Expertise der im Format "Theater und Netz" seit 2013 geleisteten Pionierarbeit. Die Kürze der zwei- bis siebenseitigen Beiträge, gepaart mit der Erfahrungsdiversität aus Herstellung, Rezeption und wissenschaftlicher Auseinandersetzung, hat entscheidende Vorteile: Hier wird nicht lange umständlich unter Ausrufung irgendeines "Post-" herumgeredet oder die beliebte Formel strapaziert, Theater müsse "neu gedacht" werden. Die Beitragenden verbindet die gemeinsame Sache und so kommen sie rasch zum Punkt. Als Hybrid aus theoretischen Positionen und reflektierender Praxis bündelt die Publikation praktisch verwertbares und weiterentwickelbares Wissen kompakt und beinahe in Echtzeit. Daher verhandelt diese Rezension die Beiträge nicht chronologisch, sondern führt einander ergänzende Perspektiven zu zentralen Aspekten wie Dramaturgie, Community, Interaktion etc. kommentierend zusammen: Der Band eröffnet mit einem Praxisbericht des geglückten Burgtheater-on-Twitter-Experiments #vorstellungsänderung, das tausende Mittweeter*innen auch abseits des Abopublikums rekrutierte. Projekte wie dieses geben Hoffnung, dass die Theater, die sich im Netz oft als singuläre kulturelle Leuchttürme gebärden, durchaus von den Praktiken der Sozialen Medien profitieren können: Like, share, comment, retweet sind schließlich nichts anderes als digitale Kürzel für gemeinschaftsstiftende Interaktionen, basierend auf Emotion, Zuspruch, Diskussion und Multiplikation. Vielleicht sind in Zukunft ja auch vermehrt offen und öffentlich geführte Dialoge zwischen Theaterhäusern zu erwarten? Netztheater geht davon aus, dass die Suche nach digitalen künstlerischen Ausdrucksformen sich nicht erst daraus ergibt, dass Hygieneregeln und Distanzierungsvorgaben die Modi des Zuschauens kurzfristig verändert haben. Auch tradierte Annahmen über das Publikum sind zu überprüfen. In ihrem kollaborativen Text "Das Theater der Digital Natives" beobachten Irina-Simona Barca, Katja Grawinkel-Claassen und Kathrin Tiedemann, dass die Digitalisierung längst "in Form von Alltagstätigkeiten und Wahrnehmungsweisen" (S.16) im Theater angekommen sei. Das Theater ist kein geschützter Ort, an dem die Zeit stehen geblieben ist. Vielmehr tragen die Zuschauer*innen die Welt, in der sie leben, unweigerlich in ihn hinein. Das betrifft auch Praktiken des Multitaskings bzw. des 'Second Screen', also die Gleichzeitigkeit mehrerer Interfaces und Informationsquellen. Jahrhundertelang war der zentralperspektivische Blick der Barockbühne prägend für die Organisation einer exklusiven Aufmerksamkeit im Theater. Wiewohl es also eine neue Erfahrung für die Theaterhäuser ist, "Nebenbeimedium zu sein" (S. 20), wie Judith Ackermann betont, ist es höchste Zeit, diese 'verstreute' Aufmerksamkeit im Inszenierungsprozess aktiv mitzudenken und gezielt einzusetzen. Dabei ist die Diversität des Publikums inklusive der unterschiedlich ausgeprägten Media Literacy zu beachten, denn nicht alle Zuschauer*innen werden sich augenblicklich z. B. in einer gamifizierten virtuellen Umgebung zurechtfinden: "Indem ich im digitalen Raum Zusatzinformationen – Hintergrundinfos zum Stück, zur Produktion – zu meinen Inszenierungen streue, kann ich zum Beispiel auch dem 'analogen Publikum' einen Mehrwert bieten, der es aber nicht verschreckt." (S. 22) Für eine Dramaturgie des Digitalen ist Aristoteles allenfalls partiell ein guter Ratgeber. Zu viele Komponenten sind neben 'der Story an sich' an der Architektur der Erzählung beteiligt. Einige Elemente des 'klassischen' Storytellings lassen sich psychologisch für den digitalen Raum begründen: Das Überschreiten der 'Schwelle' etwa wird als zentraler Moment markiert, zumal die Spielregeln für das Dahinterliegende noch nicht festgelegt sind – die Verständigung auf "Floskeln, Rollen und Situationen" (S. 71) hat erst zu erfolgen. Friedrich Kirschner, Professor für digitale Medien an der Ernst Busch Berlin, schlägt vor, die zur Vermittlung von "Rollen- und Erlebnissicherheit" (ebd.) dringend nötigen Ausverhandlungsprozesse im Rahmen der jeweiligen Inszenierung ästhetisch zu gestalten. Dabei setzt er auf ein Miteinander, "das im Gegensatz zu den treibenden Kräften der Plattformhalter auf Erkenntnis gerichtet ist; das Handlungsfähigkeit vermittelt anstelle von Determinismus" (S. 73). In diesem Sinne schlägt Ackermann überdies vor, "modular" zu denken, also "leichte Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten" zu schaffen, "indem man immer wieder die Möglichkeit gibt dazuzustoßen" (S. 21). Wiederholt wird das Serielle als Chance für neue Theaterformen ausgewiesen, beispielsweise um "durch gemeinsames, geteiltes Wissen über einen langen Zeitraum […] eine Beziehung zu Figuren auf[zu]bauen, sie mit der eigenen Lebensrealität ab[zu]gleichen und mit Freund/innen [zu] diskutieren" (S. 72), wie Kirschner in "Teilhabe als Notwendigkeit: Theater als Raum pluraler Gemeinschaften" schreibt. Um diese Gemeinschaftsbildung ist es auch Christiane Hütter zu tun: Die Community ist das Herzstück des Theaters, weshalb die künstlerische Energie aktuell vor allem darauf zu verwenden sei, "dass Leute wiederkommen, dass sich Routinen und Rituale entwickeln, dass serielle Formate entstehen" (S. 45). Diese Community aufzubauen, "das ist ein Handwerk, das eine Strategie, Zeit und Inhalte benötigt" (S. 30), weiß auch Christian Römer, Referent für Kulturpolitik und Neue Medien der Heinrich-Böll-Stiftung, in seinem Plädoyer "Für ein Theater @home!". Essentieller Bestandteil dieser Strategie, die vorerst noch strategisch auf eine Gemeinschaft "vor der Bezahlschranke" setzen müsse, sei die "Arbeit an der eigenen Identität als Theater im Netz" (ebd.). "Ein Schaufenster in die eigene Vergangenheit stärkt die Bindung des Publikums an 'sein' Theater." (S. 29) Man möchte hinzufügen, dass die "Verbindung zur [eigenen] Geschichte" (ebd.) auch nach Innen identitäts- und strukturbildend wirken und so womöglich die ein oder andere Erschütterung abfangen kann, die die Theaterschaffenden gegenwärtig persönlich und als Gemeinschaft erleben. Wie zugkräftig Selbstmarketing bzw. 'Branding' in Sachen Follower*innenschaft ist, lässt sich beispielsweise bei erfolgreichen Influencer*innen beobachten. Der Dramatiker und Dramaturg Konstantin Küspert zeigt in "Sozialmediale Theaterräume: Die performative Parallelwelt von TikTok" überaus schlüssig auf, welche "Grundelemente theatraler Praxis" in Social-Media-Formaten zu finden sind: "TikToks müssen, um erfolgreich zu sein, praktisch immer eine Pointe haben, meistens überraschend und lustig, und damit grundsätzliche Elemente einer Narration – teilweise regelrechte Fünf-Akt-Strukturen oder Rekontextualisierungen im Miniformat – nachbauen." (S. 26) Auffällig sind auch Praktiken des Samplings, wie sie schon in Hans-Thies Lehmanns Postdramatische[m] Theater, das jüngst seinen zwanzigsten Geburtstag feierte, zu finden sind: Denn auch bei TikToks wird "reinszeniert, kontextualisiert und koproduziert" (ebd.). Aber manchmal ist es gerade das Ähnliche, das trennt. Man stelle sich etwa einen Burgschauspieler auf der Bühne eines Kölner Karnevalsvereines vor. So verlockend wasserdicht die von Küspert angestrengte Gleichung auch anmutet, lässt sich eigentlich nur in der konkreten Anwendung überprüfen, "was vom eigenen Formenrepertoire übersetzbar ist" (S. 84). Der schmerzliche Verlust öffentlicher Orte, zu denen auch das Theater als Raum der gesellschaftlichen Verständigung gehört, zieht sich leitmotivisch durch die Texte des Sammelbandes. "Die Corona-Krise ist eine Krise der Versammlung" (S. 35), bringt Dramaturg Cornelius Puschke diesen Umstand zu Beginn seines "Plädoyer[s] für 1000 neue Theater" auf den Punkt. Dass es sehr wohl auch im Internet Formen von Gemeinschaftsbildung gibt, die sich auf dezentrale Weise organisieren, beobachtet Christiane Hütter mit kritischem Interesse: "QAnon und Konsorten glänzen mit orchestriertem Storytelling, outgesourced an viele, mit einem übergeordneten World-building-Framework, das Inkonsistenzen erlaubt" (S. 41). Eine Aufgabe des Theaters könnte es sein, positive Gegenangebote zu entwerfen, die dieser Sehnsucht nach Gemeinschaft, Austausch und gemeinsamer Erzählung entsprechen. Wie aber können solche Dialog und Austausch befördernden Formate aussehen? Die interdisziplinäre Künstlerin und Game Designerin Christiane Hütter, aus deren Feder insgesamt drei Texte des Bandes und zwei Interviews stammen, entwirft zu diesem Zweck eine "Typologie von Interaktion, Kollaboration und Partizipation" in übersichtlich tabellarischer Form, denn häufig enttäuschten 'interaktive Stücke' durch "Pseudo-Interaktions-Möglichkeiten" oder "asymmetrische Interaktion" (S. 44). Angesichts der pandemiebedingten Einschnitte in die Möglichkeit, durch Handlungen 'stattzufinden', ist es eine der wichtigsten Herausforderungen an Inszenierungsprozesse, die Agency der Zuschauer*innen sinnvoll zu integrieren. Die Nachtkritikerin Esther Slevogt plädiert explizit dafür, die Webseiten der Theater als "Portale in den digitalen Raum" und "Interfaces" (S. 109) zu behandeln. Diese verstehen sich gegenwärtig eher als Sende- denn als Empfangskanäle; die einstigen Gästebücher sind längst in selbstverwaltete Facebook-Gruppen migriert und bilden hier den kulturkritischen Versammlungsort einer recht spezifischen Theaterklientel. Eine Brücke zwischen analog und virtuell, Inszenierungs- und Alltagsgeschehen könnten hybride Formate herstellen. Der Theaterregisseur Christopher Rüping beschreibt Hybridität durchaus als Challenge, weil "sich die kulturellen Praktiken des einen und des anderen so beißen". Eine Inszenierung, die so divergente Rezeptionsbedingungen berücksichtigt, sei entsprechend komplex im Herstellungsprozess und müsste "auf achtzehn Ebenen gleichzeitig" funktionieren: "Interaktivität, die nur im digitalen Raum stattfindet, während ich analog zuschaue und davon ausgeschlossen bin, ist merkwürdig." (S. 94) Zudem ist es auch für Darsteller*innen eine neue Erfahrung, auf die weder Ausbildung noch bisherige Praxis sie angemessen vorbereitet haben. So stellt Ackermann die berechtigte Frage: "Wie kann den Schauspieler/innen das Gefühl vermittelt werden, dass sie keinen Film machen, sondern dass sie mit Personen interagieren, die nicht Teil der performenden Gruppe sind – auch wenn diese Personen nicht physisch kopräsent sind?" (S. 21) 'Gemeinsames Erzählen' prägt die Entstehungsgeschichte unserer Kultur, Gesellschaft und Sozialisation. Keine Entwicklung ohne Kooperation, keine Innovation ohne Vorstellungsvermögen. Netztheater könnte ein System der jahrhundertelangen Professionalisierung von Theater neu in Bewegung bringen, weil es Expertisen unterschiedlicher Provenienz bedarf und den Grundgedanken von Crowdsourcing in Schaffensprozesse integriert. Aber sind wir wirklich bereit für künstlerische Formate mit offenem Ausgang? Widerspricht das nicht dem Prinzip von Inszenierung? Müsste man das Profil der Regie – der ja gerade im deutschen Sprachraum besondere Deutungshoheit zukommt – womöglich neu definieren? Aktionen von Zuschauer*innen, die aktiv am Handlungsverlauf mitschreiben, sind schwer zu antizipieren; die Interventionen von Trollen und Bots brechen unerwartet in den Handlungsverlauf ein. Aber vielleicht ist es angesichts der Erschütterungen von 2020 gar keine dumme Idee, statt vorgefertigter Handlungsbögen flexibel adaptierbare Aktionsmodelle zu entwerfen, mit denen auf den Einbruch des Unvorhergesehen reagiert werden kann. Frank Rieger vom Chaos Computer Club beforscht Mixed-Reality-Projekte bereits seit den 1990er-Jahren. "Hybride Räume, digitale und interaktive Formate" hätten bereits eine lange Geschichte, allerdings gäbe es immer wieder "unrealistische Annahmen über das, was die Technik am Ende leisten können wird" (S. 61). Mitunter behindere aber gerade die entgegengesetzte Annahme die Umsetzung: "Man kriegt ein staatliches Theater für eine große Produktion nur dazu, das auch im digitalen Raum zu machen, wenn die das gleiche Gefühl von ernsthafter Technik haben" (S. 94), weiß Regisseur Christopher Rüping aus eigener Erfahrung. Andere Internetformate bewiesen, dass es nicht immer schweres Gerät erfordert, denn "im digitalen Raum dieses Erlebnis [von Gemeinschaft] zu stiften" sei etwas, das "jedem mittelmäßigen Streamer gelingt" (ebd.). Die Ursache für solche Trugschlüsse sieht Rieger in der Inselexistenz, die viele Theater fristen. Der Branche fehle noch immer eine "breite Kultur des ehrlichen Erfahrungsaustausches, der Diskussion von technischen, inhaltlichen und Projektmanagement-Fehlern" (S. 62), sodass das Rad immer wieder neu erfunden werden müsse. Dem entgegenzuarbeiten beabsichtigt die im vergangenen Jahr gegründete Dortmunder Akademie für Digitalität und Theater. Gemäß ihrer Open-Source-Strategie will sie "Nerdkultur […] ins Theater reinbekommen" (S. 67) und die Erkenntnisse ihrer prototypischen Arbeit in Tutorials, Talks und Wikis zugänglich dokumentieren. In ihrer Auswertung der Netztheaterexperimente des ersten Pandemie-Halbjahres bemerken die Bandredakteur*innen Sophie Diesselhorst und Christian Rakow, dass "das Gros […] piratischen Charakter" hatte. "Es entstammte der Freien Szene oder ging auf Initiativen von Einzel-Künstler/innen zurück, die sich ihre eigene Infrastruktur bauten und einfache technische Lösungen jenseits des Stadttheater-Apparats fanden." (S. 89) Man kann annehmen, dass dieser Innovationsgeist zumindest teilweise der Not geschuldet war. Denn selbst Projekte an etablierten Häusern sind häufig von externen Zusatzförderungen abhängig. Um über den eigenen Guckkasten hinauszudenken, haben einige Theater bereits Kontakt zu freien Künstler*innen und Kollektiven aufgenommen. "Es gibt viele kleine Aufträge von Theatern, die sagen: 'Wir wissen nicht, wie es weitergeht. Wollen Sie etwas ausprobieren?'" (S. 97), schreibt die britische Kritikerin Alice Saville. Diese vorsichtige Kontaktaufnahme birgt die Chance, das Gespräch darüber zu beginnen, wie sich festgefahrene Strukturen künstlerisch und wirtschaftlich öffnen lassen. Eine Möglichkeit wäre, Theater künftig als "Agenturen für das Dramatische" zu denken, wie am 13.11.2020 bei der Onlinetagung "Postpandemisches Theater" vorgeschlagen wurde, die ebenfalls auf die Initiator*innen des Sammelbandes zurückgeht. Für die Pluralität und Interdisziplinarität der Branche steht übrigens auch, dass keine der Autor*innenbiographien einen linearen Verlauf aufweist, geschweige denn sich auf eine einzige Berufsbezeichnung zurückführen ließe. Eine der aktuellen Herausforderungen besteht darin, Jobprofile zu überdenken. In Christiane Hütters Entwurf für ein "Theater der Gegenwart" ändert sich die Organisationsstruktur auch auf der Leitungsebene: "Es geht in Zukunft vor allem auch darum, die Gesamtprozesse zu koordinieren, Projektmanagement zu machen, Herstellungsleitung für Situationen, Care-Arbeit fürs Team." (S.45) Ein Kernanliegen der Publikation ist das Plädoyer für eine 'vierte', digitale Sparte – wobei zu bemerken ist, dass das digitale Theater sich diesen vierten Platz vielerorts mit dem Theater für junges Publikum teilt. Dieser Befund ist symptomatisch, werden doch Digitalität und Jugend oft zusammengedacht. Berücksichtigt man die zeitliche Dimension –"in naher Zukunft wird es nur noch Digital Natives geben" (S. 16) – wird rasch klar, dass es sich um eine voreilige Schlussfolgerung handelt. Die sich andeutende Marginalisierung verheißt wenig Gutes für die so dringend nötigen Finanzierungsstrukturen und Fördermodelle, zumal auch die Verantwortung, diese 'vierte Sparte' zu gestalten, damit demselben Personenkreis zugesprochen wird. Folgerichtig wird immer wieder sachlich bemerkt, dass zum Aufbau einer künstlerischen Infrastruktur tatsächliche Ressourcen in Form von Zeit, Geld und neuen Stellenprofilen am Theater benötigt werden. Einige Häuser haben bereits erste Schritte gesetzt und beschäftigen neben Positionen wie Social Media oder – neudeutsch – Community Management nun auch Programmierer*innen. Das Staatstheater Augsburg, das sich bereits im Frühjahr "einen Namen als VR-Hochburg mit einem umfangreichen Spielplan an Virtual-Reality-Produktionen" (S. 99) machte, hat mit Beginn der Spielzeit 2020/21 Tina Lorenz als "Projektleitung für Digitale Entwicklung" eingestellt; das Schauspielhaus Zürich holte für seine Webserie Dekalog den Designer für Virtuelle Interaktion, Timo Raddatz, ins Boot. Für eine "Digitale Sparte" argumentiert auch Elena Philipp, die die Münchner Kammerspiele, das Staatstheater Augsburg und das Hebbel am Ufer als Case Studies ins Feld führt. Die Nutzung digitaler Technologien beschränkt sich aber naturgemäß nicht nur auf die künstlerische Außenwirkung, sondern bietet auch ganz praktische Lösungen: Produktionsvorgänge –und sogar der ökologische Fußabdruck –können beispielsweise durch 'virtuelle Bauproben', 3D-Modelle und die Nutzung von Extended Reality (XR) wesentlich erleichtert werden. Mit der routinemäßigen Nutzung digitaler Technologien stehen auch neue Inhalte in Aussicht. Derzeit erfahre die Form zu große Aufmerksamkeit, zitiert Philipp Tina Lorenz, die konkrete Vorschläge für inhaltliche Schwerpunkte abseits der tausendsten Neuauflage von Goethe und Schiller macht: "Noch ist das Medium die Message, aber wir müssen Geschichten für das digitale Zeitalter entwickeln, über die Gig Economy, Smart Cities oder darüber, wie Kommunikation, Aktivismus und soziale Bewegungen im 21. Jahrhundert funktionieren." (S. 102) Der Blick der Herausgeber*innen inkludiert auch Länder, deren staatliche Subventionsstrukturen weit weniger privilegiert beschaffen sind als im deutschsprachigen Raum. Alice Saville stellt in ihrem Beitrag "Keine Show ohne Publikum" einige Beispiele aus "Großbritanniens immersive[r] Theaterszene im Lockdown" vor, die ja aufgrund ihrer Organisationsform –weit mehr Touring Companies als feste Ensembletheater –ein gewisses Training in innovativer Raumgestaltung besitzt. Der Stadtplaner und Theaterleiter Trevor Davies berichtet von seinen Erfahrungen mit der hybriden Performancereihe "Wa(l)king Copenhagen", für die 100 Künstler*innen eingeladen wurden "ab dem 1. Mai 2020 über 100 Tage lang 100 kuratierte zwölfstündige Walks […] über stündliche Livestreams digital [zu] übertragen" (S. 54). Und die Kuratorin und Kritikerin Madly Pesti erzählt am Beispiel Estlands, bei dem sich die Einwohnerzahl und die Summe der jährlichen Theaterbesuche entsprechen, von der gelungenen Kooperation von Theaterhäusern und Rundfunk, die auf ein über Jahrzehnte gepflegtes Verhältnis zurückgeht: Da die Rechte der beteiligten Künstler*innen vom Estnischen Schauspielerverband vertreten wurden, konnte eine Sonderregelung für die Dauer des Ausnahmezustands verhandelt werden, um die künstlerischen Arbeiten im kulturellen Webportal des Nationalrundfunks kostenlos zugänglich zu machen. Angesichts des vergleichsweise neuen Terrains muss das Theater sich fragen, was es aus den Erfahrungen anderer Branchen lernen kann. Denkt man beispielsweise an die wirtschaftlichen Nöte des Onlinejournalismus und die mühsame Etablierung von Paywalls, ist es sinnvoll, frühzeitig über Verwertungsmodelle bzw. den Preis von 'gratis' nachzudenken. Es gilt zu prüfen, inwiefern Limitation (zeitlich, kapazitär, Ticketing), Exklusivität (Sonderformate, Blicke hinter die Kulissen, Stichwort Onlyfans) oder Partizipations- und Mitgestaltungsoptionen als wertsteigernde Maßnahmen praktikabel und tragfähig sind. Im Kontext von Big Data ist zudem branchenweit zu diskutieren, wie sich Theaterhäuser zu privatisierten Plattformen, die ja den digitalen Raum dominieren, verhalten sollen. Erschwerend kommt hinzu, dass die ungeklärte Rechtesituation im deutschsprachigen Raum auf Netztheaterexperimente nachgerade innovationsfeindlich wirkt. "Man kann nicht Theater im Internet machen und dann aber straight die Copyright-Gepflogenheiten des Analogen anwenden wollen" (S. 93), spricht die Dramaturgin Katinka Deecke im Interview ein Feld mit raschem Klärungsbedarf an. Wiewohl alle Texte von den Lehren aus spezifischen Best Practices leben – schließlich werden die neuen Ausdrucksformate von Pionieren "des Ausprobierens, Aneignens und Entdeckens" (S. 76) entwickelt – versammelt die Publikation in einem eigenen "Produktionen"-Kapitel gezielt Besprechungen einzelner Projekte. Sinnigerweise stammen diese Texte mehrheitlich von Menschen, die berufsbedingt einen größeren Überblick über die Rezeption der Szene besitzen: Kritiker*innen und Redakteur*innen. So kommt Elena Philipps Untersuchung des "Aufbau[s] von Online-Programmen an Theatern" beispielsweise zu dem Schluss, dass "begleitend zu einer Theaterästhetik" – beispielsweise "für Virtual-Reality-Umgebungen" – auch "das Publikum dafür entwickelt" (S. 101) werden müsse. Der Umgang mit neuer Technologie ist schließlich für alle Beteiligten zunächst eine Terra incognita. Sophie Diesselhorst berichtet vom Online-Zusammenspiel der "Netztheater-Experimente aus Schauspielschulen", etwa der vielbeachteten Produktion Wir sind noch einmal davongekommen der Münchner Theaterakademie August Everding, die sich das Artifizielle des Mediums spielerisch überhöht zunutze machte und vermittels kluger Discord-Regie die Videokästchen in Bewegung setzte. Schade, dass die zitierten Experimente nicht zur Nachschau verlinkt bzw. verfügbar sind. Ein Grund hierfür könnte neben der prinzipiellen Unverfügbarkeit einmalig ausgestrahlter Livestreams sein, dass auch andere Quellen knapp einen Monat nach Erscheinen der Publikation bereits der 'Transitorik' des Internets zum Opfer gefallen sind. "Virtuelle[n] Festivalauftritte[n]" widmet sich Esther Slevogt, allen voran dem Berliner Theatertreffen mit seinen streambegleitenden Sonderformaten, die mittels Chat und Videotelefonie erstmals Fachdiskurse, die sonst wenigen Eingeweihten vorbehalten sind, mitsamt den dazugehörigen Gesichtern im Internet teilten. Für das Festival Radar Ost entwarf das Künstlerduo CyberRäuber ein weboptimiertes 360-Grad-3D-Modell des Deutschen Theaters, innerhalb dessen in verschiedenen 'Räumen', inklusive der Unterbühne, Veranstaltungen im Videoformat eingesehen werden konnten. Rückgriffe auf analoge Formate – die Berliner Volksbühne entschied sich etwa für eine Magazinanmutung bei der Gestaltung ihres Festivals Postwest – können laut Slevogt durchaus inspirierend sein: Als "Transfererleichterung für das Denken immaterieller Räume" genüge mitunter eine simple Lageplanskizze, wie es schon 1995 die Association for Theatre in Higher Education der Universität Hawai'i bewies. Wenn es gilt "Übergangsschleusen von der analogen in die digitale Welt benutzer/innenfreundlich zu gestalten", votiert Slevogt ganz klar für "Pragmatismus" (S. 109). Netztheater räumt mit dem weitverbreiteten Missverständnis auf, dass das Digitale allenfalls ein Substitut für 'das Echte' sei. Es ist an der Zeit, sich von falsch verstandenen Authentizitätsdiskursen und einer Überbetonung der 'leiblichen Ko-Präsenz', die die Theaterwissenschaft – die ja damit eine ganz eigene Agenda vertrat – an das Theater herangetragen hat, zu verabschieden. Netztheater will niemandem etwas wegnehmen. Es will das tradierte Theater keineswegs abschaffen, nicht den intimen Moment der Begegnung zweier Menschen ersetzen. Es sucht vielmehr nach technologisch unterstützten Erzähl- und Interaktionsformaten, in denen solche Begegnungen ebenfalls möglich sind. Das Digitale hat unser Denken bis in seine neurologischen Strukturen hinein verändert, die Art, wie wir kommunizieren und interagieren, wie wir uns organisieren, uns in der Welt verorten. Es hat sich in unser Verhältnis zu unseren Körpern eingeschrieben, unseren Zugang zu Wissen erleichtert und auf Herrschaftswissen basierende Hierarchien abgeschafft oder zumindest verschoben. Die Fülle an Information ist nahezu unnavigierbar geworden, Fake News haben unser Vertrauen in glaubwürdige Quellen erschüttert. Das Internet hat eine Vielzahl von alternativen Wahrheiten und alternativen Realitäten geschaffen. Das ist beängstigend, zumal in Zeiten einer Pandemie. Das 18. Jahrhundert hat das Theater als Laboratorium gedacht und die Bühne als Ort, an dem Probehandeln möglich ist, um etwas über unser Menschsein zu erfahren. Auch das Netztheater ist ein solches Laboratorium, ausgestattet mit den Gerätschaften der Gegenwart, die etwa Aufschluss darüber geben können, wie unsere Wahrnehmung beschaffen ist oder wie sich Aufmerksamkeit organisieren lässt. "Theater ist die Institution mit dem ältesten Wissen über die gesellschaftliche Kraft des Spielens." (S. 15) Philosophie und Soziologie veranschlagen im Spiel die Grundlage unseres Menschseins. Es wäre fatal, die verfügbaren virtuellen Spielzeuge und technischen Gadgets jenen Player*innen zu überlassen, deren Interessen wirtschaftlich, militärisch oder politisch getrieben sind. Indem wir unser über die Jahrtausende gewachsenes Wissen über Theatralität und Inszenierungsformen einsetzen, um spielerisch zu experimentieren, erlernen wir den Umgang damit und finden heraus, welche Weltgestaltung mit ihnen möglich ist. Die Lektüre der Beiträge zeigt deutlich: Die vielfach beschworene Minimaldefinition des Theaters – A geht durch einen Raum während B zuschaut – beinhaltet keinerlei Spezifikation, dass B sich dabei im selben Zimmer befinden muss.
Inhaltsangabe: Auf dem EU-Gipfel in Helsinki am 11. Dezember 1999 wurde die Türkei als Beitrittskandidat anerkannt. Diese Anerkennung war ein Wendepunkt in den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei. Obwohl die Türkei mit der EU eine lange Geschichte bis hin zu der Unterzeichnung des Ankara-Vertrags im Jahr 1963 hat, hat sich der Einfluss der Europäisierung in der türkischen Politik erst nach dem Entscheid der EU in Helsinki gezeigt. Im Rahmen der Kopenhagener Kriterien begann ein tiefgreifender Wandel in der türkischen Politik und der Druck, die Türkei den EU-Normen anzupassen, verursachte eine Transformation im türkischen wirtschaftlichen und politischen Leben. Nach dem Entscheid auf dem Helsinki-Gipfel im Jahr 1999 stimmte die Türkei ihre Binnenmarkt- und Zollpolitik mit den EU-Regelungen ab und begann die politischen und rechtlichen Reformen für den EU-Beitritt zu verwirklichen. Ein nationales Programm für die Anpassung an den gemeinschaftlichen Besitzstand wurde von der türkischen Regierung im März 2001 lanciert. Dies war ein sehr breit gefächertes Programm zur Erfüllung der institutionellen, finanziellen und politischen Kriterien, und enthält 89 neue Gesetze und sah die Änderung der bestehenden 94 Gesetze vor, die in den 'Harmonisierungspaketen' erlassen worden waren. Im Dezember 2002 kündigte die EU an, dass die Entwicklung der Türkei zur Erfüllung der Kriterien bewertet und eine Richtung der Beitrittsgespräche im Dezember 2004 schriftlich festgelegt werden würde. Nachdem die EU-Kommission im Jahr 2004 entschied, dass die Türkei die politischen Kopenhagener Kriterien hinreichend erfüllt hatte, wurden die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei im Oktober 2005 eröffnet. Die Anerkennung der Türkei als Beitrittskandidat auf dem Helsinki-Gipfel im Jahr 1999 hat im türkischen politischen System sowohl die Reformprozesse im Rahmen der Kopenhagener Kriterien beschleunigt, als auch euroskeptische Haltungen bei den politischen Akteuren entstehen lassen. Obwohl die türkischen Eliten behaupten, heute grundsätzlich eine pro-europäische Haltung zu haben, die nach dem Verständnis des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk als Verwestlichung verstanden werden könnte, verschleiert diese grundlegende pro-europäische Haltung nicht die Tatsache, dass die türkischen Eliten aus verschiedenen Gründen eine Skepsis gegenüber der Europäischen Union entwickelt haben. Infolgedessen kann festgestellt werden, dass der Europäisierungsprozess der Türkei nach der 'Post-Helsinki-Ära' auch im türkischen Parteiensystem nicht nur Enthusiasmus, sondern ebenso viel Skepsis auslöste. So trug der Helsinki-Gipfel zu einer Neuordnung des türkischen Parteiensystems bei. Das türkische Parteiensystem wird durch eine neue Konfliktlinie geteilt: Neben dem klassischen Rechts-Links-Schema unterscheiden sich die Parteien jetzt noch zusätzlich durch pro-europäische beziehungsweise euroskeptische Positionen. Die vorliegende Arbeit wird auf die linke sozialdemokratische Republikanische Volkspartei (CHP) und die rechte Nationalistische Bewegungspartei (MHP) begrenzt, die dem europäischen Integrationsprojekt entweder grundsätzlich oder in seiner gegenwärtigen Form skeptisch gegenüber stehen und sich infolgedessen mit ideologischen, institutionellen und strategischen Herausforderungen konfrontiert sehen. Es muss auch geklärt werden, warum eine Fokussierung auf die politischen Parteien in der Türkei notwendig ist: Die Wahrscheinlichkeit einer EU-Mitgliedschaft dient als ein starker Motor der Demokratisierung und des wirtschaftlichen Wandels in den Beitrittsländern. Obwohl die EU ein starker externer Faktor ist, der zum innenpolitischen Wandel führt, müssen zuerst die innenpolitischen Akteure den Anstoß für den Wandel geben. Zudem ist die Analyse des innenpolitischen Prozesses in der Türkei wichtig, denn die institutionellen, politischen und normativen Rahmenbedingungen, die den Euroskeptizismus bei den politischen Parteien in der Türkei beeinflussen, unterscheiden sich von denen der europäischen politischen Parteien in erheblichem Masse. Obwohl in den letzten Jahren in der politikwissenschaftlichen Forschung den Parteipositionen gegenüber der europäischer Integration und der Europäischen Union immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde, bleibt der türkische Fall weitgehend unbeachtet. Die Positionen der türkischen politischen Parteien gegenüber der europäischen Integration und der Europäischen Union müssen detailliert betrachtet werden, denn sie sind die wichtigsten Akteure des Beitrittsprozesses der Türkei, da sie ihn direkt negativ oder positiv beeinflussen. In dieser Arbeit wird deswegen versucht, den bis jetzt wenig untersuchten parteibasierten Euroskeptizismus in der Türkei bei der MHP und der CHP im Zeitabschnitt 2004-2007 zu analysieren und die Gründe für die euroskeptische Haltung bei diesen Parteien festzustellen. Die Fragestellung dieser Arbeit lautet: Welche Ausformungen des Euroskeptizismus haben die CHP und MHP und welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sind bei diesen Parteien hinsichtlich des Euroskeptizismus festzustellen? Was sind die Ursachen der Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei den Haltungen der beiden Parteien? Die vorliegende Arbeit ist wie folgt gegliedert: In einem ersten Schritt werden beim theoretischen Teil der parteibasierte Euroskeptizismus und dessen Gründe vorgestellt. Dabei wird auf die wichtigsten Typologien des parteibasierten Euroskeptizismus zurückgegriffen. Im zweiten Schritt wird die qualitative Analyse nach Mayring und die Differenz- und Konkordanzmethode erläutert, die dazu dienen, eine systematische Analyse der Dokumenten zu ermöglichen und einen wissenschaftlichen Vergleich zwischen der CHP und der MHP zu ziehen. Danach werden die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei und die Geschichte der entsprechenden Parteien beleuchtet. Zudem werden die Positionen der Parteien nach dem Helsinki-Gipfel bis zu den untersuchten Zeitraum vorgestellt, damit eine Grundlage für deren Europarhetorik geschaffen werden kann. Im fünften Kapital wird in Anlehnung an die vierfache Typologie von Kopecky und Mudde ein Kategoriensystem erstellt und die Analyse der Parteiprogramme und der verschiedenen Dokumente, die zur Feststellung der Ausformungen des Euroskeptizismus und dem Vergleich beider Parteien dienen sollen, durchgeführt. Die Analyse gliedert sich in die Themenbereiche, die die Parteien in ihrem Europadiskurs am meisten thematisiert haben. Im sechsten Kapitel folgen der kontrollierte Vergleich des Euroskeptizismus beider Parteien mit der Differenzmethode von John Stuart Mill und die Review der Forschungshypothesen. Schließlich folgt das Fazit.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: 1.Einleitung3 2.Theorie6 2.1Weicher und harter Euroskeptizismus10 2.2Euroskeptizismus nach Kopecky und Mudde12 2.3Die Klassifizierung des Euroskeptizismus nach Flood und Usherwood15 2.4Die Frage der Kausalität: Gründe des Euroskeptizismus18 3.Methodisches Vorgehen22 3.1Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring22 3.2Differenz- und Konkordanzmethode25 4.Türkei- EU-Beziehungen und die Geschichte der CHP und der MHP27 4.1Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei27 4.2Die Nationalistische Bewegungspartei (MHP)29 4.3Die Republikanische Volkspartei (CHP)32 5.Analyse des Euroskeptizismus bei der MHP und der CHP (2004-2007)35 5.1Das Material und die Durchführung der qualitativen Inhaltsanalyse36 5.2Analyse des Parteiprogramms der MHP42 5.3Der Euroskeptizismus bei der MHP zwischen 2004 und 200743 5.3.1Die Zypernfrage46 5.3.2Menschenrechte und Minderheiten48 5.3.3Minderheitsstiftungen, Religions- und Gebetsfreiheit52 5.3.4Armenien54 5.3.5Artikel 30154 5.4Auswertung und Kategorisierung des Euroskeptizismus bei der MHP57 5.5Analyse des Parteiprogramms der CHP62 5.6Der Euroskeptizismus bei der CHP zwischen 2004 und 200764 5.6.1Die Zypernfrage65 5.6.2Menschenrechte und Minderheiten68 5.6.3Minderheitsstiftungen, Religions- und Gebetsfreiheit70 5.6.4Armenien71 5.6.5Artikel 30172 5.6.6Glaube an den doppelten Maßstab bei der EU74 5.6.7Vertrauensproblem mit der Regierungspartei AKP82 5.7Auswertung und Kategorisierung des Euroskeptizismus bei der CHP83 6.Vergleich des Euroskeptizismus bei der MHP und CHP und Review der Hypothese88 6.1Vergleich des Euroskeptizismus bei der CHP und bei der MHP89 6.2Review der Hypothesen95 7.Fazit96 Quellen- und Literaturverzeichnis98 Tabellen Tabelle 1Das vierfache Modell des parteibasierten Euroskeptizismus13 Tabelle 2Die Differenz- und Konkordanzmethode26 Tabelle 3Der Kodierleitfaden39 Tabelle 4Kritikpunkte der CHP hinsichtlich der zwei Dokumente75 Tabelle 5Vergleich des Euroskeptizismus bei der CHP und bei der MHP93 Anhänge Anhang 1Zeittafel106 Anhang 2Wahlresultate und Parlamentssitze108Textprobe:Textprobe: Kapitel 4, Türkei-Beziehungen und die Geschichte der CHP und der MHP: In diesem Kapitel werden zuerst kurz die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei dargestellt. Danach werden die Merkmale und die Geschichte der Parteien beleuchtet und es wird versucht, ihre generelle Haltung gegenüber der EU und der europäischen Integration nach dem Entscheid in Helsinki im Jahr 1999, wonach die Türkei als Beitrittskandidat nominiert wurde, aufzuzeigen. Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei: Seit der Gründung der Republik der Türkei im Jahr 1923 ist es Staatspolitik, dass sich die Türkei politisch, ideologisch und institutionell zum Westen hin ausrichtet. Die Verwestlichung der Türkei hat sich unter dem Modernisierungsprojekt des Kemalismus beschleunigt. Der Staatsgründer Atatürk verordnete mit einer Revolution von oben den Türken eine europäische Identität und verwirklichte zahlreiche Reformen nach der Gründung der türkischen Republik, die dazu dienten, die Türkei an Europa anzunähern. Diese Reformen führten dazu, dass das soziale, wirtschaftliche und politische Leben in der Türkei nachhaltig verändert wurde. Für Atatürk bestand das Ziel der türkischen Nation darin, den Stand der westlichen, modernen Zivilisation zu erreichen. Nach dem Zweiten Weltkrieg integrierte sich die Türkei im Rahmen der Staatsideologie, des 'Kemalismus', in dem Westen, indem sie 1952 der NATO beitrat. Die Beziehungen der Türkei mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) begannen im Jahr 1959, als sich die Türkei um eine Mitgliedschaft bewarb. Dieser Antrag führte im Jahr 1963 zu einem Assoziierungsabkommen, dem so genannten Ankara-Abkommen. Der Vertrag sieht einen schrittweise funktionierenden Prozess der wirtschaftlichen Integration der Türkei in die EWG vor, der auf einer dreistufigen Übergangsperiode (Vorbereitungsstufe, Übergangsstufe, Endstufe) basierte. Der Artikel 28 stellte auch eine Mitgliedschaft der Türkei in der EWG in Aussicht. In Anlehnung an Steinbach (2004) kann argumentiert werden, dass der Abschluss des Assoziierungsvertrages im Jahr 1963 die formelle Aufnahme der Türkei in den Kreis der europäischen Staaten bedeutete. Das Ankara-Abkommen wurde 1970 durch ein Zusatzprotokoll ergänzt, das am 1. Januar 1973 in Kraft trat. In den sechziger und siebziger Jahren kam es in der Türkei zu einer ideologischen Polarisierung, was die Gesellschaft in einen radikalen linken und einen rechten Flügel spaltete. Die radikalen linke Gruppierungen wurden von der Türkischen Arbeiterpartei (Türk Isçi Partisi/TIP) vertreten, der rechte Flügel wurde durch die Nationalistische Bewegungspartei (MHP) und die islamitische Nationale Heilspartei (Milli Selamet Partisi/MSP) repräsentiert. Die radikalen linken und rechten Flügel lehnten einen Beitritt der Türkei zur EWG ab. Die Linken sahen die EWG als ein imperialistisches Projekt, während die Islamisten sie als einen christlichen Club bewerteten, in dem die muslimische Türkei keinen Platz hatte. Die Nationalisten betonten, dass die EWG den europäischen Staaten ermöglichen würde, das Land zu spalten. Diese Parteien übten erheblichen Einfluss auf die mitte-rechts Gerechtigkeitspartei (Adalet Partisi/AP) und die Republikanische Volkspartei (CHP) aus und blockierten die Annäherung der Türkei an die EWG. Der antiimperialistische Diskurs der Linken gewann unter der Führung der CHP-Regierung an Bedeutung, wobei die Türkei im Oktober 1978 mit der EWG ihre Beziehungen einfror und ihre Verpflichtungen gegenüber der EWG einseitig suspendierte. So kamen die Beziehungen zum Stillstand. Im Jahr 1980 führte der dritte Militärputsch in der Türkei nach 1960 und 1971 dazu, dass die Beziehungen noch mehr geschädigt wurden. Das Militär schuf durch die Generäle ein militärisches Übergangsregime und errichtete den Nationalen Sicherheitsrat (NSR) als oberstes politisches Gremium. Nachdem der NSR ankündigte, alle politischen Parteien aufzulösen, beschloss die Europäische Gemeinschaft das Ankara-Abkommen ganzheitlich auszusetzen. Während der ersten Hälfte der 80er Jahre wurden die Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Gemeinschaft auf Eis gelegt. Unter Berücksichtigung dieser problematischen Rahmenbedingungen setzte sich der europäisch-türkische Assoziationsrat im September 1986 erneut zusammen. Im Jahr 1987 beantragte die Türkei die Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft (EG), der im Dezember 1989 bei der EG-Kommission abgelehnt wurde, weil der politische und wirtschaftliche Entwicklungsstand der Türkei als nicht weit genug fortgeschritten für eine Mitgliedschaft angesehen wurde. Am 1. Januar 1996 wurde zum ersten Mal zwischen der EU und einem Nichtmitglied der EU eine Zollunion eingeführt. Im Jahr 1997 lehnten es die Regierungschefs der EU auf dem Gipfel von Luxemburg ab, die Türkei als ein offizielles Beitrittskandidatenland anzuerkennen. Erst auf dem Helsinki-Gipfel im Jahr 1999 wurde die Türkei offizieller Beitrittskandidat. Zwei Jahre später, im Jahr 2001, bestimmte der EU-Ministerrat Ziele und Prioritäten für die Erfüllung der Beitrittskriterien, worauf die türkische Regierung mit der Verabschiedung eines 'Nationalen Programms' antwortete. Im Dezember 2002 wurde auf dem EU-Gipfel in Kopenhagen der Fahrplan zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen beschlossen, über die auf der Basis einer Empfehlung der Europäischen Kommission entschieden werden sollte. Im Oktober 2004 empfiehlt die EU-Kommission im Fortschrittsbericht die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, worauf der EU-Gipfel von Brüssel bestätigte, dass die Beitrittsverhandlungen am 3. Oktober 2005 beginnen sollten. Der Verhandlungsrahmen wurde nach den Vorgaben des EU-Gipfels beschlossen und die Türkei aufgefordert, das Ankara-Abkommen auf die neuen Mitgliedstaaten auszuweiten. Am 3. Oktober 2005 werden die Beitrittsverhandlungen symbolisch eröffnet. Es wurde von den Außenministern der EU beschlossen, dass die Beitrittsverhandlungen mindestens 10 bis 15 Jahre dauern werden und danach geprüft werden wird, ob die Türkei die Beitrittskriterien erfülle. Dabei soll auch die Aufnahmefähigkeit der EU berücksichtigt werden. Am 12. Juni 2006 begann die EU konkrete Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Dr. Angelos Giannakopoulos, der Projektleiter des Forschungsprojekts 'Europäische Integration und kulturelle Denk- und Wahrnehmungsmuster. Kulturelle Aspekte des EU-Erweiterungsprozesses anhand der Beziehungen Europäische Union-Türkei', betont dass die Einführung einer Zollunion mit der Türkei im Januar 1996, die Anerkennung ihres Kandidatenstatus auf dem EU-Gipfel von Helsinki 1999 und die Entscheidung zur Aufnahme der Beitrittsverhandlungen auf dem EU-Gipfel von Brüssel 2004 einen qualitativen Wendepunkt für die EU- Türkei-Beziehungen darstellen. Infolgedessen wird der Prozess von 3 Oktober 2005 an, an dem die Beitrittsverhandlungen offiziell begannen, von größter Bedeutung für die EU und die Türkei sein. Die Nationalistische Bewegungspartei (MHP): In diesem Teil wird die MHP vorgestellt und ein kurzer Blick auf die Position der MHP zur EU in der post Helsinki-Periode geworfen. Die Gründung der MHP geht auf das Jahr 1969 zurück. Von der Gründung 1969 bis zu ihrem Wahlerfolg 1999 stand sie unter dem Einfluss des Ideologen Alpaslan Türkes. Katy Schröder stellt in ihrem Buch fest, dass 'mehrmalige Regierungsbeteiligungen, die Infiltration der staatlichen Institutionen durch Anhänger der MHP und die Aktivitäten der parteieigenen paramilitärischen Untergrundorganisation, der 'Grauen Wölfe' die Rolle bestimmten, die die Partei in den siebziger Jahren, als bürgerkriegsähnliche Zustände in der Türkei herrschten, spielte.' Beim Militärputsch von 1980 wurde die Partei wie alle anderen politischen Parteien aufgelöst. Obwohl der Parteigründer Alpaslan Türkes politisches Betätigungsverbot hatte, gelang der Partei im Jahr 1985 unter dem Namen 'Nationalistische Arbeitspartei' Milliyetçi Çalisma Partisi (MÇP) und dann wieder unter dem Namen MHP die Reorganisation. Die wichtigsten Wendepunkte in der Parteigeschichte waren der Führungswechsel nach dem Tode von Alpaslan Türkes und der Wahlsieg 1999, nach dem als zweitstärkster Koalitionspartner an der 57. Regierung teilnahm. Ihr Vorsitzender ist seit 1997 der an Gazi Universität promovierter Finanzwissenschaftler Devlet Bahçeli. Önis behauptet, dass im historischen Rückblick Devlet Bahçelis Führung eine wichtige Rolle beim Kurswechsel der Partei in eine gemäßigt zentristische Richtung spielte. Seine Führung hat nach Önis dazu beigetragen, eine bestimmte Art von Gleichgewicht zu halten, unter schwierigen Umständen, zwischen den Anforderungen einer Massenpartei von nationaler Bedeutung auf der einen Seite und Erfüllung der Erwartungen der traditionellen Basis der Partei auf der anderen Seite. Nach seiner Ansicht verliess Bahçeli die archaische Rhetorik, die gegen jede Art der Integration mit dem Westen stand. Zudem war es Bahçeli gelungen, das Image der MHP von einer peripheren und extremistischen Gewalt im türkischen Parteiensystem zu einer modareten rechtsgerichteten Massenpartei umzuwandeln, die ihren ultranationalistischen Charakter verloren hatte. Die rechts positionierte MHP hat einen staatszentrierten Blick auf die nationale Sicherheit und verfolgt eine Politik der Nulltoleranz gegenüber ethnischem Separatismus. Sie war in den Jahren 1999-2002 in der Koalitionsregierung, in der Legislaturperiode 2002-2007 war sie nicht im Parlament vertreten und zwischen 2007-2009 war sie die zweitgrößte Oppositionspartei im Parlament. Von 1999 bis 2002 regierte das Land eine Koalition der Demokratischen Linkspartei (DSP), der MHP und der Mutterlandspartei (ANAP). Obwohl die DSP und die ANAP die Demokratisierungsreformen verwirklichen wollten, haben die Vorbehalte der MHP diesen Prozess verzögert. Trotzdem musste die Partei in der Dreiparteienkoalition viele Reformen akzeptieren. Die Koalitionsregierung verabschiedete wichtige Verfassungsänderungen und Gesetze im Rahmen der Kopenhagener Kriterien. Dies führte dazu, dass die MHP ein passiver Koalitionspartner war. Die Strategie der MHP in der Koalitionsregierung war ein ungeschriebenes Einverständnis, wobei die MHP eine stark opponierende Position zeigte, während sich die übrigen Koalitionspartner zusammenschlossen und die Reformgesetze verabschiedeten. Das Frühjahr 2002 war gekennzeichnet durch eine sehr erhitzte und kontroverse Debatte über die EU-Mitgliedschaft. Die Koalitionsregierung verabschiedete ein drittes Harmonisierungspaket im Juli 2002, um den Entscheid der EU auf dem Kopenhagener Gipfel über die Kandidatur der Türkei positiv zu beeinflussen, obwohl die MHP dieses Paket blockiert hatte. Diese Änderungen beinhalteten die Abschaffung der Todesstrafe, Rundfunksendungen für die ethnischen Gruppen in ihrer Muttersprache, die Einführung rechtlicher und administrativer Massnahmen, um den Einfluss des Militärs in der türkischen Politik zu begrenzen und die Schaffung von Sprachkursen für Minoritäten. Die Reformen infolge des 3. Harmonisierungspakets das politische System in Frage gestellt haben. Diese Reformen waren unvereinbar mit der staatszentristischen Ideologie der MHP und wurden vehement abgelehnt. Als die Reformen verabschiedet worden waren, gab es immer noch Bemühungen seitens der MHP ihre Umsetzung zu behindern. Während der Krankheit des Regierungschefs Ecevit im Jahr 2002 wurde eine vorgezogene Wahl für den 2. November 2002 festgesetzt. Die MHP habe nach Avci ihren Standpunkt gegen die EU verstärkt, um ihre nationalistischen Stimmen zurückzugewinnen; so blockierte sie die EU-Reformen. Gleichzeitig, am 3.August 2002, stimmte das Parlament über ein Gesetzespaket ab, um die Reformen bezüglich der Menschenrechte zu genehmigen, mit der Hoffnung, den Weg zur EU zu ebnen. Die MHP stimmte gegen alle Artikel des Reformpakets. Sie war sicher, dass die Regierungskoalition die Neuwahlen im November nicht überstehen würde und konnte deshalb eine kompromisslose Haltung annehmen und sich wie eine echte Oppositionspartei verhalten. Man kann also sagen, dass am Ende des Jahres 2002 die Haltung der MHP gegenüber der EU mehr zu einer Oppositionspartei als zu einer Regierungspartei in einer Koalitionsregierung passen würde. Die MHP war nicht mehr durch die Aufgaben der Koalitionsregierung begrenzt und konnte nun ihr gemäßigtes Bild in den Augen der Wähler wieder verändern. Während dieser Zeit nutzte die MHP jede Gelegenheit, um ihren Wählern zu beweisen, dass sie ihre Haltung zu kritischen nationalen Fragen nicht geändert habe. Die alten Vorwürfe traten wieder in Vordergrund; die EU sei ein christlicher Klub, der die Türkei niemals akzeptieren würde. Die Parlamentswahlen im Jahr 2002 führten dazu, dass die MHP wegen der Zehnprozenthürde nicht ins Parlament einzog. So wurde ihre Position noch euroskeptischer als sie während der Zeit als Koalitionspartner in der Regierung zwischen den Jahren 1999-2002 ohnehin schon war. Die Parlamentswahlen im November 2002 verursachten in der politischen Sphäre einen tiefen Wandel, indem die Dreiparteienkoalitionsregierung durch die AKP Recep Tayyip Erdogans abgelöst wurde. Zudem gelangte Baykals CHP als Oppositionspartei ins Parlament. Die AKP gewann 363 Sitze und formierte eine Einparteienregierung. Das wichtigste Ergebnis dieser Wahlen hinsichtlich der europäischen Integration war, dass sie mit der Einparteienregierung die Fragmentierung des türkischen politischen Systems beendete. Die pro-europäische AKP konnte nun ungehindert Reformen durchsetzen. Die euroskeptische MHP war nicht mehr im Parlament vertreten. Nachdem die AKP an der Regierung war, war ihre erste Priorität die europäische Integration. Sie verabschiedete zwei Demokratisierungspakete und Ministerpräsident Erdogan besuchte die Hauptstädte von vierzehn EU-Ländern und versuchte die Unterstützung der Vereinigten Staaten zu gewinnen. Devlet Bahçeli kritisierte die Harmonisierungsgesetze, die von der AKP-Regierung eingeführt wurden und bezeichnete sie als die Wiederbelebung des Sévres-Vertrags und die Verletzung des Vertrags von Lausanne. Die MHP blieb nicht nur außerhalb der Regierung sondern auch außerhalb des Parlaments. Da sie sich nicht mehr im Parlament befand, hatte die Partei Schwierigkeiten beim Erreichen der Öffentlichkeit und der Medien. Sie versuchte die Öffentlichkeit in Freiluftversammlungen zu erreichen und auf diese Weise dieser Benachteiligung entgegenzuwirken. Es ist auch wichtig zu betonen, dass bei einer Studie festgestellt wurde, dass 68 Prozent der Wählerschaft der MHP im Jahr 2003 für eine EU-Mitgliedschaft waren.
Inhaltsangabe: Einführung: Die vorliegende Masterarbeit beschäftigt sich im Allgemeinen mit dem Umgang mit Wandel. Der Fokus liegt dabei auf den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern öffentlicher Verwaltungen. Im Speziellen wird ihre Bedeutung für den Erfolg von Veränderungen, welche durch Entwicklungen im Bereich der Informationstechnik (IT) hervorgerufen werden, betrachtet. Dies stellt insofern eine interessante Thematik dar, da die spezielle Mischung aus 'Beschäftigten', 'IT' und 'öffentliche Verwaltung' in der bisherigen Change Management-Literatur noch eine relativ dünn betrachtete Kombination ist. Zu Beginn dieses Kapitels werden die Lesenden zunächst zum Thema hingeführt, bevor anschließend das mit dieser Arbeit verfolgte Ziel dargelegt wird. Die Einführung endet schließlich mit einem Überblick über den Aufbau der Arbeit. 1, Hintergrund und Aktualität: Ob auf Messen für den Öffentlichen Sektor oder in aktuellen Verwaltungszeitschriften, ohne Change Management scheint in der öffentlichen Verwaltung nichts mehr zu gehen. In den letzten Jahren gewann dieser Begriff zunehmend an Bedeutung. Mittlerweile ist er nicht mehr nur in der Privatwirtschaft anzutreffen, sondern hält auch verstärkt im Bereich des Public Managements Einzug. Doch warum dieses neuerlich so starke Interesse am Management von Veränderungen? Wie der Titel des 2008 erschienenen Buches mit den Briefen von Charles Darwin (1822-1859) treffend lautet, gibt es nichts Beständigeres als den Wandel. Und da Wandel also etwas Alltägliches ist, bedarf es auch der Fähigkeit, angemessen auf diesen reagieren zu können. Dies gilt nicht nur für Individuen, sondern auch für Organisationen. Doch gerade im Hinblick auf eine immer dynamischer werdende Umwelt und der damit verbundenen stetig steigenden Veränderungsgeschwindigkeit wird der erfolgreiche Umgang mit Veränderungen noch bedeutsamer. Internationalisierung, aber auch die Globalisierung der Märkte führen zu einem verschärften Wettbewerb und damit zu einem höheren Anpassungsdruck von Organisationen. Doch nicht nur die Privatunternehmen müssen sich zunehmend mit Umwelteinflüssen und damit verbundenem Anpassungsdruck beschäftigen. Auch nimmt der Reformdruck auf die öffentliche Verwaltung weiter zu. So hat sich am negativen Image der öffentlichen Verwaltung nicht viel geändert. Sie gilt unter anderem immer noch als wenig fortschrittlich, kundenunfreundlich und allen voran als unwirtschaftlich. Somit besteht auch für die öffentliche Verwaltung ein Zwang zur Veränderung. Innovative Lösungen sind hier in gleicher Weise gefragt wie in der Privatwirtschaft. Damit verbunden ist die nicht erst seit kurzem erhobene Forderung nach dem Einsatz betriebswirtschaftlicher Konzepte im Bereich des öffentlichen Sektors. So hielten insbesondere seit Anfang der 90er Jahre, mit dem von der KGSt aus dem New Public Management abgeleiteten Neuen Steuerungsmodell, zahlreiche betriebswirtschaftliche Instrumente verstärkt Einzug in die öffentliche Verwaltung. Dazu gehören unter anderem Doppelte Buchführung, Marketing, Controlling sowie Qualitätsmanagement. Doch ist es der technisch induzierte Wandel, der immer mehr an Bedeutung gewinnt. Der rasante Fortschritt im Bereich der Informationstechnik und deren verstärkte Verbreitung und Nutzung erfordert eine ständige Anpassungsfähigkeit der Verwaltungen und der darin tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Realisierung des vor zehn Jahren aufkommenden Themas Electronic Government (eGovernment) stellt die Verwaltungen vor eine enorme Herausforderung und wird dies auch noch einige Zeit tun. Denn dass in Deutschland noch Nachholbedarf bei der Einführung von eGovernment besteht, zeigt die aktuelle Studie von Capgemini, wo Deutschland auf den 15. Rang von 31 untersuchten Ländern bei vollständig elektronisch verfügbaren Diensten und auf Platz 12 bei der Verfügbarkeit von Online-Diensten zurückfiel. Mit der im Jahre 2006 beschlossenen EG-Dienstleistungsrichtlinie wurde die Umsetzung von eGovernment – zumindest auf dem Gebiet der unternehmensbezogenen eGovernment-Dienstleistungen – forciert. Auch wenn die Umsetzungsfrist bereits Ende 2009 auslief, so haben die Verwaltungen, wie aus einer Studie von MATERNA und der Hochschule Harz hervorgeht, noch einen weiten Weg vor sich. Die Realisierung der EG-Dienstleistungsrichtlinie und allgemein von 'eGovernment' stellt enorme Anforderungen an die Verwaltungen dar. So kommt eGovernment einem fundamentalen Wandel gleich und steht förmlich für ein neues Paradigma des Verwaltungshandelns. Doch gelten gerade Reformen in der öffentlichen Verwaltung als schwer durchführbar. Aufgrund ernüchternder Erfahrungen werden Verwaltungen sogar teilweise als reformresistent dargestellt. Dabei wird doch eine Vielzahl von erfolgreich erscheinenden Strategien und Konzepten erarbeitet, wofür sogar hohe Summen an Beratungsunternehmen gezahlt werden. Doch warum bleiben dennoch zahlreiche Reformen erfolglos und was heißt überhaupt 'erfolgreich'? In aller Regel wird Erfolg an den gesetzten (Projektmanagement-)Zielen (z. B. veranschlagter Zeitrahmen, Budget und geplanter Umfang des Wandels) gemessen. Doch werden diese nicht immer wie gewünscht erreicht. Im schlimmsten Fall werden Reformprozesse während der Umsetzung oder bereits im Vorfeld abgebrochen, sodass sie sprichwörtlich scheitern. Doch ist Erfolg nicht nur an den kurzfristigen, im Vorhinein der Veränderung geplanten Projektmanagement-Zielen zu messen, sondern auch an langfristigen. Denn selbst wenn ein Veränderungsprojekt auf den ersten Blick erfolgreich durchgeführt wurde, kann sich im Nachhinein herausstellen, dass es dies tatsächlich überhaupt nicht oder nur teilweise der Fall war. Veränderungen können sogar im Nachhinein wieder rückgängig gemacht werden. Ebenfalls zu bedenkende, langfristige Ziele sind beispielsweise eine verbesserte Leistungsfähigkeit, die Zufriedenheit mit der eingeführten IT und die Akzeptanz dieser. Diese drei eben genannten Ziele führen zu den Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung. So bleiben viele Reformen im öffentlichen Bereich erfolglos, da das Personal die Veränderungen nicht mitträgt. Gerade bei den im Rahmen von eGovernment und der Umsetzung der EG-Dienstleistungsrichtlinie durchgeführten IT-Projekten wird über auftretende Widerstände seitens der Beschäftigten geklagt. Somit wird deutlich, dass es langfristig vor allem ihrer Akzeptanz und Nutzung der IT bedarf. Von der Leistungsfähigkeit der IT kann nur profitiert werden, wenn sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch in ihrer täglichen Arbeit einsetzen. Daraus wird deutlich, dass sie bei Einführung und Veränderung von Informationstechnik von hoher Bedeutung sind.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: DarstellungsverzeichnisIII I.Einführung1 1.Hintergrund und Aktualität1 2.Ziel der Arbeit3 3.Aufbau der Arbeit4 II.Theoretische Grundlagen5 1.Informationstechnik und eGovernment5 2.Wandel8 2.1Begriff und Arten des Wandels8 2.2Bedeutung des Wandels für die Verwaltungen9 3.Change Management11 3.1Begriff und Konzeptionen von Change Management11 3.2Die Beschäftigten im Mittelpunkt von IT-Veränderungen14 3.3Objekte und Tiefe von Change Management15 3.4Phasen des Change Management18 III.Widerstand gegen Veränderungen23 1.Widerstand und seine Ursachen23 1.1Auf Ebene der Individuen24 1.2Auf Gruppenebene29 1.3Auf System- oder Organisationsebene31 2.Widerstand in Abhängigkeit der IT-Einführungsstrategie33 3.Anzeichen für Widerstand36 4.Widerstand und die 'Rolle' der Führung38 4.1Widerstand als negatives 'Label'39 4.2'Positiver' Widerstand41 4.3Die Führung als Barriere42 IV.Akzeptanz45 1.Abgrenzung zu Widerstand45 2.Akzeptanzmodell nach Venkatesh et al. (2003)48 3.Nutzungsverpflichtung und Akzeptanz51 4.Einteilung von Beschäftigten nach ihrer Akzeptanz54 V.Die Rolle der Verwaltungskultur58 1.Begriff Verwaltungskultur und ihre Entstehung58 2.Veränderung der Kultur61 2.1Destabilisierung der Kultur61 2.2Stabilisierung der Kultur64 3.Die Bedeutung einer lernförderlichen Verwaltungskultur67 VI.Instrumente des Change Management69 1.Qualifizierungsmaßnahmen69 2.Beteiligung der Betroffenen70 3.Kommunikation73 4.Anreizsysteme76 VII.Zusammenfassung79 VIII.Schlussbemerkungen81 Literatur- und Quellenverzeichnis85Textprobe:Textprobe: Kapitel 1.1, Auf Ebene der Individuen: Als Ausgangspunkt zur Erklärung von Widerständen bieten sich die menschlichen Bedürfnisse an. Hierzu ist in der Literatur eine hohe Anzahl an Modellen anzutreffen, wobei der Ursprung dieser bei Maslows Bedürfnispyramide gesehen wird. Aktueller ist dagegen die Einteilung von Grawe in vier Grundbedürfnisse. Das psychische Bedürfnis nach Kontrolle (und Orientierung) stellt dabei das wichtigste dieser dar. Denn eine Verletzung der anderen drei Bedürfnisse (Bindung, Selbstwerterhöhung, Lustgewinn und Unlustvermeidung) geht meist mit einer Verletzung des Kontrollbedürfnisses einher. Bei diesem Bedürfnis handelt es sich um den Wunsch 'etwas tun zu können, was zur Herbeiführung und Aufrechterhaltung der eigenen Ziele wichtig ist'. Somit ist dieses Bedürfnis immer aktiviert, wenn wichtige Ziele betroffen sind. Es geht nicht nur darum, Wirkungen erfolgreich durch eigenes Verhalten in einer aktuellen Situation zu kontrollieren, sondern auch um die Erhaltung eines größtmöglichen Handlungsspielraums in der Zukunft. Voraussetzung für Kontrolle ist die Orientierung, welche meint, 'dass man einen zutreffenden Überblick über die Situation hat'. Zur Erreichung von Grundbedürfnissen werden motivationale Ziele gebildet, welche wiederum das Verhalten direkt prägen. Werden die motivationalen Ziele erreicht und damit die Grundbedürfnisse ausreichend und ausgeglichen erfüllt, so liegt nach Grawe Konsistenz, andernfalls Inkonsistenz, vor. Inkonsistenz stellt einen Zustand dar, welcher von Menschen vermieden wird. Somit sind sie bestrebt, im Sinne der zur Erreichung der Grundbedürfnisse gesteckten motivationalen Ziele wahrzunehmen. Im Laufe der Zeit entwickeln Menschen auf Basis dieser Ziele und ihrer gemachten Erfahrungen bestimmte Schemata. Die gebildeten motivationalen Schemata sind konkret auf Situationen ausgerichtet und beinhalten neben den Zielen auch Erwartungen und Handlungsanleitungen. Diese Schemata stellen letztendlich Mechanismen zur Vermeidung bzw. Beseitigung von Inkonsistenz dar. Damit sollen also die Grundbedürfnisse befriedigt oder vor Verletzung geschützt werden. Im ersten Fall folgt sozusagen eine Annäherung an die Situation und im zweiten eine Vermeidung dieser. Je nachdem ob sie befriedigt oder geschützt werden sollen spricht Grawe von entwickelten Annäherungs- oder Vermeidungsschemata. Stimmen die Wahrnehmungen der Realität nicht mit diesen überein (und werden somit die zugrunde liegenden motivationalen Ziele verfehlt) so entsteht Stress, den Grawe als Inkongruenz bezeichnet. Bei unerwarteten Ereignissen, bei Unerwünschtem, aber auch wenn etwas erwünscht ist, jedoch nicht eintritt oder verloren zu gehen droht, wird das Kontrollbedürfnis aktiviert. Je nachdem ob der Wandel als kontrollier- oder nicht kontrollierbar bewertet wird, kann Widerstand die Folge sein. Wird der bevorstehende Wandel als eine vorteilhafte und lösbare (kontrollierbare) Herausforderung angesehen, so ist es möglich, dass die Betroffenen ihre Anstrengungen hinsichtlich der Bewältigung erhöhen. In diesem Fall folgt sozusagen eine Annäherung und damit kein Widerstand. Doch ist bei Veränderungen für die Betroffenen nicht immer ein positiver Nutzen erkennbar. Es kann sogar eher Schaden oder eine Bedrohung wahrgenommen werden. Sind wichtige Ziele bedroht und wird die Kontrollierbarkeit aufgrund begrenzter individueller Möglichkeiten als gering eingestuft, so entsteht Angst. Grawe bezeichnet Angst als zentrales 'Alarm- und Abwehrsystem des Organismus'. Angst vor Veränderung gilt als natürliche Reaktion auf eine bedrohliche unkontrollierbare Inkongruenz, also auf Stress. Um den Stress und die damit verbundene Angst abzuwenden, werden Vermeidungsziele aktiviert. Diese bilden die Grundlage für das Verhalten und können sich in aktiver Resistenz bemerkbar machen. Um die mit dem Stress verbundene Angst abzuwenden, leisten die Betroffenen Widerstand. Grundlage von Widerstand können erhebliche Abweichungen zwischen Organisations- und persönlichen Interessen sein. Denn werden die Ziele der Verwaltung als gefährlich oder beeinträchtigend für die persönlichen Interessen gesehen, reagieren die Betroffenen mit Widerstand. Doch auch wenn die Beschäftigten Widerstand leisten, bedeutet dies nicht, dass sie von vornherein gegen den Wandel sind. Denn es ist meist die bestehende Unsicherheit, weshalb Veränderungen negativ gesehen und deshalb vermieden werden. In der Literatur werden eine Reihe von, dem Widerstand zugrunde liegende Ängste aufgeführt. So ist im Zusammenhang mit IT eine Angst vor Überforderung möglich. Diese tritt auf, wenn befürchtet wird, den künftigen Herausforderungen nicht gewachsen zu sein. Gerade bei technischen Neuerungen ist diese Angst verstärkt anzutreffen. Daneben existiert die Furcht beispielsweise vor Versetzung und dem damit verbundenen Verlust sozialer Beziehungen. Neben der Angst spielt auch Wut als Emotion bei der Entstehung von Resistenz eine entscheidende Rolle. Hintergrund kann zum Beispiel sein, wenn sich die später Anwendenden nicht genug in den Veränderungsprozess einbezogen, d. h. ausgeschlossen und übergangen fühlen. Wird nicht das eigene Fachwissen von der Führung genutzt, so kann dies zu Verärgerung aufseiten der Betroffenen führen. Der auf Beseitigung von Stress und der davon begleiteten Wut zielende Widerstand dient dazu, das eigene Selbstbild und damit die eigenen Ideen, Konzepte usw. zu schützen. Hier kann auch vom sog. 'Not invented here'-Syndrom gesprochen werden. Darunter ist eine ablehnende, nicht rationale, sondern emotionale Grundeinstellung gegenüber fremd initiierten Veränderungsprozessen zu verstehen, also Veränderungen, die von anderen und nicht von einem selbst kommen. Wut beseitigender Widerstand kann sich beispielsweise darin ausdrücken, indem versucht wird, zu demonstrieren, dass die Software als fertige Lösung in der speziellen Situation nicht wie prognostiziert funktioniert. Kraus et al. sprechen weiterhin den 'Boykott' der Software an, der sich in einer nur rudimentären Nutzung zeigen kann. Neben dem bereits Gesagten können Widerstände auch auf die durch den Wandel wahrgenommenen Bedrohungen des eigenen Status, des Ansehens und der Macht zurückgeführt werden. Statusverluste können beispielsweise auf dem Verlust der Wissensherrschaft beruhen. Gerade bei Experten mit langjährigen Erfahrungen (z. B. IT-Wissen, Prozesswissen) kann diese aufgrund von Neuerungen verloren gehen. So ermöglichen es gerade Wissensdatenbanken geistiges Kapital anderen zugänglich und damit transparent zu machen. Transparenz bei IT bedeutet auch, dass jegliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jederzeit auf sämtliche von anderen produzierte Daten zugreifen können. So werden eigene Fehler besser nach außen erkenn- und nachvollziehbar. Mittels personen- und rollenspezifischer Benutzerkonten besteht zudem durch statistische Auswertung eine höhere Kontroll- und Vergleichbarkeit der Arbeitsleistung. Die Möglichkeit der förmlichen 'Überwachung' kann als Kontrollverlust empfunden werden. Dieser kann wiederum zu Widerstand führen. Widerstand kann darüber hinaus auch aus der Wut heraus entstehen, wenn sich Akteure im Zusammenhang mit der Veränderung ungerecht behandelt fühlen. Ungerechtigkeit kann zum Beispiel bei nicht entschädigter Mehrarbeit empfunden werden. Dasselbe gilt auch bei Lernaufwand, der notwendig ist, um sich IT-Kenntnisse anzueignen. Auch wenn sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärker als andere negativ betroffen sehen, kann ein Gefühl der Ungerechtigkeit entstehen. Dieses Gefühl kann nach der Gleichheitstheorie (Equity-Theory) erklärt werden. Danach besteht Ungleichheit, wenn die subjektive Aufwands-Ertrags-Relation positiv oder negativ im Vergleich zu anderen Individuen oder der Organisation abweicht. Im Falle einer solchen Abweichung wird versucht, die Spannung (Inkonsistenz) zu reduzieren bzw. zu vermeiden. Fühlt sich ein Individuum ungerecht, im Vergleich zu anderen Beschäftigten, von der Veränderung betroffen, da es deutlich höhere Verluste hinnehmen muss, so kann Widerstand die Folge sein. Damit wird sich gegen die subjektiv wahrgenommene Ungerechtigkeit zur Wehr gesetzt. Bei der Gleichheitstheorie beruht das Empfinden einer Ungleichheit auf der subjektiven Wahrnehmung dieser. Doch kann die Wahrnehmung auch erheblich von der Realität abweichen. Als eine weitere Ursache von Widerstand ist daher auch eine verzerrte Wahrnehmung möglich. Resistenzen sind auch auf, in der Vergangenheit bei Veränderungen gemachte Erfahrungen zurückführbar Viele ehemalige als nicht erfolgreich erlebte Projekte können zum Beispiel Grund dafür sein, dass auch nicht an den Erfolg des neuen IT-Projekts geglaubt wird. Zudem können sich diese Erfahrungen nicht nur auf das derzeit aktuelle Veränderungsprojekt, sondern auch allgemein auf die zukünftige Wandelfähigkeit auswirken. Denn die Betroffenen können sich an Erfolge bzw. Misserfolge gewöhnen und daraus lernen. Für das Lernen sind allerdings nicht die tatsächlichen Erfolge oder Misserfolge ausschlaggebend, sondern die persönlich als unangenehm wahrgenommenen Erfahrungen einzelner Betroffener. Nach der Theorie der kognitiven Dissonanz von Festinger erfolgen Konfliktlösungen i. d. R. nicht rational. Vielmehr beruhen sie auf der Vermeidung von Unstimmigkeit und Widersprüchlichkeit. Zur Vermeidung von Dissonanz werden daher Strategien zum Schutz der bestehenden Werte und Einstellungen entwickelt. Aus diesem Grund werden konsonante Informationen auch eher als dissonante wahrgenommen. Durch Filterung, Umdeutung oder Ablehnung der aufgenommenen Reize sollen bei Überzeugung gegen den Wandel, alle für den Wandel sprechenden Argumente usw. abgewehrt werden. Damit wird die negative Einstellung gegenüber dem Wandel verstärkt. Diesen Abschnitt noch einmal kurz zusammenfassend stellt das Streben nach Wahrnehmung im Sinne der eigenen motivationalen Ziele (Kongruenz) zur Erreichung der Grundbedürfnisse (Konsistenz) die Grundlage des 'psychischen Geschehens' dar. Ist die Erfüllung wichtiger Ziele in Gefahr so entstehen Stress und negative Emotionen wie Angst. Zum Schutz der Ziele und Vermeidung von Stress wird mit Widerstand reagiert. Somit stellt dies eine normale Reaktion der betroffenen Akteure dar.
Manuscrit terminé en juillet 2004 ; Vorstellung des Themas: Die von Prälat Adam Franz Lennig 1848 zur Verteidigung der Religionsfreiheit gegründeten Katholikentage sollten anfangs lediglich die Vertreter der wichtigsten katholischen Verbände sowie bedeutende Persönlichkeiten versammeln. Im Laufe der darauf folgenden zwanzig Jahre spielten sie eine zentrale Rolle bei der politischen Mobilisierung der Gläubigen. Der preußische Kulturkampf festigte die Bande zwischen dem im Jahre 1870 gegründeten Zentrum und den Katholikentagen, die sich allmählich zu dessen offiziellem Parteitag entwickelten. Gegen 1900 wurden sie dann zu Massenveranstaltungen mit mehreren tausend Teilnehmern, die die Solidarität der Bevölkerung mit der höheren Geistlichkeit einerseits und der Spitze des Zentrums andererseits demonstrieren sollten. Nach einer achtjährigen Unterbrechung wurde 1921 der erste nationale Katholikentag nach dem Krieg in Frankfurt am Main abgehalten. Danach wurden die Kongresse bis 1933 wieder regelmäßig jedes Jahr durchgeführt (außer 1923). In der Weimarer Republik waren die Kongresse die größten Massenveranstaltungen, die regelmäßig stattfanden: 1932 nahmen in Essen etwa 250.000 Katholiken an dem Festgottesdienst teil. Ihr Einfluss ging sogar, dank der Unterstützung durch die Geistlichkeit auf lokaler und nationaler Ebene, durch das Netz der katholischen Vereine sowie dank der Berichterstattung in der Presse erheblich über die zahlenmäßige Bedeutung hinaus. Aktueller Stand der Forschung und Problemstellung: Während das Zentrum bereits Gegenstand zahlreicher Monographien war, wurden die Katholikentage durch die Historiker vernachlässigt. Die wenigen Artikel, die sich mit dieser Frage beschäftigen, behandeln nur die Zeit vor dem Ersten oder nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei wird der demokratische Charakter der Kongresse, die als Vorläufer der von Konrad Adenauer nach 1945 verkörperten Christdemokratie gelten, hervorgehoben. Ziel meiner Dissertation ist es, die Ambivalenzen, welche mit der offiziellen Entpolitisierung der Katholikentage in der Weimarer Republik verbunden waren, aufzuzeigen. Sie hinterfragt die Interpretation, wonach in Europa die autoritären Regime zwischen den Kriegen keine Anziehungskraft auf die deutschen Katholiken, und zwar weder auf die Eliten noch auf den Rest der Bevölkerung, ausübten. Verwendete Archive und Quellen: Zunächst analysierte ich die veröffentlichten Protokolle der Katholikentage, die offiziellen Quellen. In einem zweiten Schritt wertete ich (ergänzend) die Nachlässe der wichtigsten Führungspersönlichkeiten der Kongresse und katholischen Vereine aus. Das Zentralkomitee verfügt für die Zeit vor 1952 über keine Dokumente. Daher musste ich mich auf Quellen in den bischöflichen und städtischen Archiven der Orte, in denen zwischen 1921 und 1933 ein Kongress stattfand, stützen. Insgesamt wurden für die Arbeit Dokumente aus 42 Archiven ausgewertet. Gliederung der Dissertation: Die Dissertation gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil werden die Wiederaufnahme der Kongresse nach dem Ersten Weltkrieg, ihre Organisation, Finanzierung und die Art der zeremoniellen Gestaltung analysiert. Im zweiten Teil werden Inhalt und Tenor der zwischen 1921 und 1924 gehaltenen Reden untersucht. Der dritte Teil beschäftigt sich mit den Aussagen der Redner zwischen 1925 und 1932. Zusammenfassung: In den zwanziger Jahren trugen der Episkopat und Alois zu Löwenstein, seit 1920 an der Spitze des Zentralkomitees mit der Organisation der Kongresse betraut, durch die Katholikentage gegen ihren Willen zur Konsolidierung des republikanischen Systems bei, indem sie die Errungenschaften für die katholischen Minderheit durch die Weimarer Verfassung bewahren und ausweiten wollten. Die Aussagen vieler Redner gegen die Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik der Regierung waren allerdings eine kaum verhüllte Kritik des Zentrums. Durch die verwendete Symbolik wurde der Transzendenz in der Politik eine zentrale Stellung eingeräumt. Diese Symbolik stellte ein universales System der Interpretation der Welt vor, die nach dem Absoluten strebte, und brach damit mit dem republikanischen Pluralismus: Die Einheit sollte in Christus verwirklicht werden und nicht auf dem Wege des Konsens. In der Praxis gab es jedoch keine Opposition. Bei den Kongressen bemühte man sich, wie schon vor dem Ersten Weltkrieg, das Bild der Einheit zu wahren. Um diese Einheit aufrecht zu erhalten, unterstrichen die meisten Redner die Bedeutung der Wahrung der christlichen Werte. Zu Beginn der dreißiger Jahre half diese Haltung ihnen einerseits sich gegen die Verführung durch die Nationalsozialisten zu wehren. Andererseits hinderte sie sie daran, sich dauerhaft mit anderen politischen Kräften, insbesondere den Sozialisten, zu verbünden, um die Nationalsozialisten wirksam zu bekämpfen. My Ph.D. thesis, Les catholiques allemands et la République de Weimar: les Katholikentage, 1919 – 1932, is about the Catholic Congresses (Katholikentage) during the Weimar Republic. These unique congresses, which have been neglected by historians, gathered together both laic and clerical forces within the German Catholic Church and were held annually from 1848 throughout Germany. The Catholic Congresses' ecclesiastical and political functions were intended to demonstrate Catholic power and present specific demands to the State. During the Weimar Republic, the organization of the Catholic Congresses depended on the balance of power between laity and clergy, national and local leaders, the Centre Party and other political trends and finally between the various Catholic associations representing different social and economic groups. The Catholic Congresses were thus an exceptional means of assessing the mentality of German Catholics during this era. In my thesis, I shed light on the internal character of German Catholic life as well as its interaction with the political and economic crises, which led to the rise of Nazism. My aim was to answer the following major questions: How did German Catholic leaders view themselves, the laity, the Protestants, and the State? What did German Catholics think about the rapid industrialization of their country, about liberalism and communism, modern values, and democracy? How far did German Catholics follow the political and social teachings of the Papacy? In comparison to right-wing and left-wing extremists, how different or similar were the ideas of German Catholics? ; Fondés en 1848 à Mayence par un ecclésiastique, Mgr Adam Franz Lennig, afin de défendre les libertés religieuses, les Katholikentage – littéralement « Congrès des Catholiques » ou « Journées des Catholiques » – rassemblaient à l'origine les représentants des principales associations catholiques et des personnalités en vue. Au cours des quelque vingt années suivantes, ils jouèrent un rôle majeur dans la mobilisation politique des laïcs. Le Kulturkampf prussien (1872-1878) resserra les liens entre le Zentrum, créé en 1870, et les Katholikentage qui firent progressivement office de congrès annuel du parti. Vers 1900, ils devinrent des assemblées de masse groupant plusieurs dizaines de milliers de participants dans le but de démontrer la solidarité des populations à la fois avec la hiérarchie ecclésiastique et avec les dirigeants du Zentrum. Après une interruption de huit ans, Francfort-sur-le-Main accueillit en 1921 le premier Katholikentag national d'après-guerre et inaugura la reprise des Congrès, organisés ensuite annuellement jusqu'en 1933, à l'exception du Katholikentag prévu en 1923 à Cologne et interdit par les forces d'occupation. Sous la République de Weimar, les Congrès furent les plus grandes assemblées de masse ayant lieu régulièrement : 250.000 personnes assistèrent à la messe dominicale de celui d'Essen, en 1932. Leur influence dépassa largement le nombre de participants, grâce au soutien du clergé au niveau local et national, ainsi qu'à celui du réseau d'associations catholiques et à la presse. Alors que le Zentrum a fait l'objet de nombreuses monographies, les Katholikentage ont été jusqu'à présent négligés par les historiens. Les quelques articles consacrés à la question ne retiennent souvent que la période antérieure à 1914 ou celle postérieure à la Seconde Guerre mondiale. Ils mettent en avant le caractère démocratique des Congrès considérés comme les précurseurs de la Démocratie chrétienne incarnée par Konrad Adenauer après 1945. L'un des objectifs de cette thèse est de montrer les ambiguïtés liées à la dépolitisation officielle des Katholikentage sous la République de Weimar, période qui a été jusque-là soigneusement ignorée. Elle cherche à vérifier entre autre l'interprétation selon laquelle la séduction exercée par les régimes autoritaires sur les élites et les populations notamment européennes pendant la période de l'entre-deux-guerres n'aurait pas influencé les catholiques allemands avant le 30 janvier 1933. Les comptes rendus publiés des Katholikentage sont des sources officielles qui ont constitué la première étape de mon travail. Celui-ci a ensuite été complété par les archives privées des principaux dirigeants des Congrès et des associations catholiques. Comme le Comité central ne possède aucun fonds pour la période antérieure à 1952, j'ai dû rassembler des sources réparties dans les archives ecclésiastiques et civiles de chacune des villes où un Congrès a été organisé entre 1921 et 1933. Au total, 42 fonds d'archives différents ont été consultés. La thèse est divisée en trois parties. La première a pour objet d'analyser la reprise des Congrès au lendemain de la Première Guerre mondiale, leur organisation, leur financement et la nature de leur cérémonial. La seconde partie étudie le contenu et l'esprit des discours tenus aux Katholikentage de Francfort-sur-le-Main en 1921, de Munich en 1922 et de Hanovre en 1924. La troisième partie est consacrée aux messages délivrés par les conférenciers à partir du Katholikentag de Stuttgart en 1925 jusqu'au Katholikentag d'Essen en 1932. Pendant les années vingt, aux Katholikentage, l'épiscopat et le prince Alois zu Löwenstein, à la tête du Comité central chargé de l'organisation des Congrès, contribuèrent contre leur gré à la consolidation du système républicain car ils cherchèrent avant tout à préserver et à étendre les acquis obtenus par la minorité catholique grâce à la Constitution de Weimar. Certes, les propos tenus par de nombreux conférenciers contre la politique économique, sociale et culturelle du gouvernement étaient des critiques à peine voilées du Zentrum. De plus, la symbolique utilisée accordait une place centrale à la transcendance en politique. Elle proposait un système global d'interprétation du monde tendant vers l'absolu, en rupture avec le pluralisme républicain : l'unité était à réaliser en Christ et non sur le terrain du consensus. Cependant, cette opposition ne s'incarna pas dans la pratique car les Congrès s'efforcèrent de préserver l'image de l'unité comme ils l'avaient fait avant la Première Guerre mondiale. Pour préserver cette unité, la plupart des intervenants aux Katholikentage adoptèrent une attitude de repli, arc-boutés sur la défense des valeurs chrétiennes. En un sens, cette attitude les protégea au début des années trente de la séduction exercée sur beaucoup par les nationaux-socialistes. Toutefois, elle les empêcha de s'allier durablement à d'autres forces politiques, en particulier aux socialistes, pour lutter efficacement contre les nationaux-socialistes.
Manuscrit terminé en juillet 2004 ; Vorstellung des Themas: Die von Prälat Adam Franz Lennig 1848 zur Verteidigung der Religionsfreiheit gegründeten Katholikentage sollten anfangs lediglich die Vertreter der wichtigsten katholischen Verbände sowie bedeutende Persönlichkeiten versammeln. Im Laufe der darauf folgenden zwanzig Jahre spielten sie eine zentrale Rolle bei der politischen Mobilisierung der Gläubigen. Der preußische Kulturkampf festigte die Bande zwischen dem im Jahre 1870 gegründeten Zentrum und den Katholikentagen, die sich allmählich zu dessen offiziellem Parteitag entwickelten. Gegen 1900 wurden sie dann zu Massenveranstaltungen mit mehreren tausend Teilnehmern, die die Solidarität der Bevölkerung mit der höheren Geistlichkeit einerseits und der Spitze des Zentrums andererseits demonstrieren sollten. Nach einer achtjährigen Unterbrechung wurde 1921 der erste nationale Katholikentag nach dem Krieg in Frankfurt am Main abgehalten. Danach wurden die Kongresse bis 1933 wieder regelmäßig jedes Jahr durchgeführt (außer 1923). In der Weimarer Republik waren die Kongresse die größten Massenveranstaltungen, die regelmäßig stattfanden: 1932 nahmen in Essen etwa 250.000 Katholiken an dem Festgottesdienst teil. Ihr Einfluss ging sogar, dank der Unterstützung durch die Geistlichkeit auf lokaler und nationaler Ebene, durch das Netz der katholischen Vereine sowie dank der Berichterstattung in der Presse erheblich über die zahlenmäßige Bedeutung hinaus. Aktueller Stand der Forschung und Problemstellung: Während das Zentrum bereits Gegenstand zahlreicher Monographien war, wurden die Katholikentage durch die Historiker vernachlässigt. Die wenigen Artikel, die sich mit dieser Frage beschäftigen, behandeln nur die Zeit vor dem Ersten oder nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei wird der demokratische Charakter der Kongresse, die als Vorläufer der von Konrad Adenauer nach 1945 verkörperten Christdemokratie gelten, hervorgehoben. Ziel meiner Dissertation ist es, die Ambivalenzen, welche mit der offiziellen Entpolitisierung der Katholikentage in der Weimarer Republik verbunden waren, aufzuzeigen. Sie hinterfragt die Interpretation, wonach in Europa die autoritären Regime zwischen den Kriegen keine Anziehungskraft auf die deutschen Katholiken, und zwar weder auf die Eliten noch auf den Rest der Bevölkerung, ausübten. Verwendete Archive und Quellen: Zunächst analysierte ich die veröffentlichten Protokolle der Katholikentage, die offiziellen Quellen. In einem zweiten Schritt wertete ich (ergänzend) die Nachlässe der wichtigsten Führungspersönlichkeiten der Kongresse und katholischen Vereine aus. Das Zentralkomitee verfügt für die Zeit vor 1952 über keine Dokumente. Daher musste ich mich auf Quellen in den bischöflichen und städtischen Archiven der Orte, in denen zwischen 1921 und 1933 ein Kongress stattfand, stützen. Insgesamt wurden für die Arbeit Dokumente aus 42 Archiven ausgewertet. Gliederung der Dissertation: Die Dissertation gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil werden die Wiederaufnahme der Kongresse nach dem Ersten Weltkrieg, ihre Organisation, Finanzierung und die Art der zeremoniellen Gestaltung analysiert. Im zweiten Teil werden Inhalt und Tenor der zwischen 1921 und 1924 gehaltenen Reden untersucht. Der dritte Teil beschäftigt sich mit den Aussagen der Redner zwischen 1925 und 1932. Zusammenfassung: In den zwanziger Jahren trugen der Episkopat und Alois zu Löwenstein, seit 1920 an der Spitze des Zentralkomitees mit der Organisation der Kongresse betraut, durch die Katholikentage gegen ihren Willen zur Konsolidierung des republikanischen Systems bei, indem sie die Errungenschaften für die katholischen Minderheit durch die Weimarer Verfassung bewahren und ausweiten wollten. Die Aussagen vieler Redner gegen die Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik der Regierung waren allerdings eine kaum verhüllte Kritik des Zentrums. Durch die verwendete Symbolik wurde der Transzendenz in der Politik eine zentrale Stellung eingeräumt. Diese Symbolik stellte ein universales System der Interpretation der Welt vor, die nach dem Absoluten strebte, und brach damit mit dem republikanischen Pluralismus: Die Einheit sollte in Christus verwirklicht werden und nicht auf dem Wege des Konsens. In der Praxis gab es jedoch keine Opposition. Bei den Kongressen bemühte man sich, wie schon vor dem Ersten Weltkrieg, das Bild der Einheit zu wahren. Um diese Einheit aufrecht zu erhalten, unterstrichen die meisten Redner die Bedeutung der Wahrung der christlichen Werte. Zu Beginn der dreißiger Jahre half diese Haltung ihnen einerseits sich gegen die Verführung durch die Nationalsozialisten zu wehren. Andererseits hinderte sie sie daran, sich dauerhaft mit anderen politischen Kräften, insbesondere den Sozialisten, zu verbünden, um die Nationalsozialisten wirksam zu bekämpfen. My Ph.D. thesis, Les catholiques allemands et la République de Weimar: les Katholikentage, 1919 – 1932, is about the Catholic Congresses (Katholikentage) during the Weimar Republic. These unique congresses, which have been neglected by historians, gathered together both laic and clerical forces within the German Catholic Church and were held annually from 1848 throughout Germany. The Catholic Congresses' ecclesiastical and political functions were intended to demonstrate Catholic power and present specific demands to the State. During the Weimar Republic, the organization of the Catholic Congresses depended on the balance of power between laity and clergy, national and local leaders, the Centre Party and other political trends and finally between the various Catholic associations representing different social and economic groups. The Catholic Congresses were thus an exceptional means of assessing the mentality of German Catholics during this era. In my thesis, I shed light on the internal character of German Catholic life as well as its interaction with the political and economic crises, which led to the rise of Nazism. My aim was to answer the following major questions: How did German Catholic leaders view themselves, the laity, the Protestants, and the State? What did German Catholics think about the rapid industrialization of their country, about liberalism and communism, modern values, and democracy? How far did German Catholics follow the political and social teachings of the Papacy? In comparison to right-wing and left-wing extremists, how different or similar were the ideas of German Catholics? ; Fondés en 1848 à Mayence par un ecclésiastique, Mgr Adam Franz Lennig, afin de défendre les libertés religieuses, les Katholikentage – littéralement « Congrès des Catholiques » ou « Journées des Catholiques » – rassemblaient à l'origine les représentants des principales associations catholiques et des personnalités en vue. Au cours des quelque vingt années suivantes, ils jouèrent un rôle majeur dans la mobilisation politique des laïcs. Le Kulturkampf prussien (1872-1878) resserra les liens entre le Zentrum, créé en 1870, et les Katholikentage qui firent progressivement office de congrès annuel du parti. Vers 1900, ils devinrent des assemblées de masse groupant plusieurs dizaines de milliers de participants dans le but de démontrer la solidarité des populations à la fois avec la hiérarchie ecclésiastique et avec les dirigeants du Zentrum. Après une interruption de huit ans, Francfort-sur-le-Main accueillit en 1921 le premier Katholikentag national d'après-guerre et inaugura la reprise des Congrès, organisés ensuite annuellement jusqu'en 1933, à l'exception du Katholikentag prévu en 1923 à Cologne et interdit par les forces d'occupation. Sous la République de Weimar, les Congrès furent les plus grandes assemblées de masse ayant lieu régulièrement : 250.000 personnes assistèrent à la messe dominicale de celui d'Essen, en 1932. Leur influence dépassa largement le nombre de participants, grâce au soutien du clergé au niveau local et national, ainsi qu'à celui du réseau d'associations catholiques et à la presse. Alors que le Zentrum a fait l'objet de nombreuses monographies, les Katholikentage ont été jusqu'à présent négligés par les historiens. Les quelques articles consacrés à la question ne retiennent souvent que la période antérieure à 1914 ou celle postérieure à la Seconde Guerre mondiale. Ils mettent en avant le caractère démocratique des Congrès considérés comme les précurseurs de la Démocratie chrétienne incarnée par Konrad Adenauer après 1945. L'un des objectifs de cette thèse est de montrer les ambiguïtés liées à la dépolitisation officielle des Katholikentage sous la République de Weimar, période qui a été jusque-là soigneusement ignorée. Elle cherche à vérifier entre autre l'interprétation selon laquelle la séduction exercée par les régimes autoritaires sur les élites et les populations notamment européennes pendant la période de l'entre-deux-guerres n'aurait pas influencé les catholiques allemands avant le 30 janvier 1933. Les comptes rendus publiés des Katholikentage sont des sources officielles qui ont constitué la première étape de mon travail. Celui-ci a ensuite été complété par les archives privées des principaux dirigeants des Congrès et des associations catholiques. Comme le Comité central ne possède aucun fonds pour la période antérieure à 1952, j'ai dû rassembler des sources réparties dans les archives ecclésiastiques et civiles de chacune des villes où un Congrès a été organisé entre 1921 et 1933. Au total, 42 fonds d'archives différents ont été consultés. La thèse est divisée en trois parties. La première a pour objet d'analyser la reprise des Congrès au lendemain de la Première Guerre mondiale, leur organisation, leur financement et la nature de leur cérémonial. La seconde partie étudie le contenu et l'esprit des discours tenus aux Katholikentage de Francfort-sur-le-Main en 1921, de Munich en 1922 et de Hanovre en 1924. La troisième partie est consacrée aux messages délivrés par les conférenciers à partir du Katholikentag de Stuttgart en 1925 jusqu'au Katholikentag d'Essen en 1932. Pendant les années vingt, aux Katholikentage, l'épiscopat et le prince Alois zu Löwenstein, à la tête du Comité central chargé de l'organisation des Congrès, contribuèrent contre leur gré à la consolidation du système républicain car ils cherchèrent avant tout à préserver et à étendre les acquis obtenus par la minorité catholique grâce à la Constitution de Weimar. Certes, les propos tenus par de nombreux conférenciers contre la politique économique, sociale et culturelle du gouvernement étaient des critiques à peine voilées du Zentrum. De plus, la symbolique utilisée accordait une place centrale à la transcendance en politique. Elle proposait un système global d'interprétation du monde tendant vers l'absolu, en rupture avec le pluralisme républicain : l'unité était à réaliser en Christ et non sur le terrain du consensus. Cependant, cette opposition ne s'incarna pas dans la pratique car les Congrès s'efforcèrent de préserver l'image de l'unité comme ils l'avaient fait avant la Première Guerre mondiale. Pour préserver cette unité, la plupart des intervenants aux Katholikentage adoptèrent une attitude de repli, arc-boutés sur la défense des valeurs chrétiennes. En un sens, cette attitude les protégea au début des années trente de la séduction exercée sur beaucoup par les nationaux-socialistes. Toutefois, elle les empêcha de s'allier durablement à d'autres forces politiques, en particulier aux socialistes, pour lutter efficacement contre les nationaux-socialistes.
Manuscrit terminé en juillet 2004 ; Vorstellung des Themas: Die von Prälat Adam Franz Lennig 1848 zur Verteidigung der Religionsfreiheit gegründeten Katholikentage sollten anfangs lediglich die Vertreter der wichtigsten katholischen Verbände sowie bedeutende Persönlichkeiten versammeln. Im Laufe der darauf folgenden zwanzig Jahre spielten sie eine zentrale Rolle bei der politischen Mobilisierung der Gläubigen. Der preußische Kulturkampf festigte die Bande zwischen dem im Jahre 1870 gegründeten Zentrum und den Katholikentagen, die sich allmählich zu dessen offiziellem Parteitag entwickelten. Gegen 1900 wurden sie dann zu Massenveranstaltungen mit mehreren tausend Teilnehmern, die die Solidarität der Bevölkerung mit der höheren Geistlichkeit einerseits und der Spitze des Zentrums andererseits demonstrieren sollten. Nach einer achtjährigen Unterbrechung wurde 1921 der erste nationale Katholikentag nach dem Krieg in Frankfurt am Main abgehalten. Danach wurden die Kongresse bis 1933 wieder regelmäßig jedes Jahr durchgeführt (außer 1923). In der Weimarer Republik waren die Kongresse die größten Massenveranstaltungen, die regelmäßig stattfanden: 1932 nahmen in Essen etwa 250.000 Katholiken an dem Festgottesdienst teil. Ihr Einfluss ging sogar, dank der Unterstützung durch die Geistlichkeit auf lokaler und nationaler Ebene, durch das Netz der katholischen Vereine sowie dank der Berichterstattung in der Presse erheblich über die zahlenmäßige Bedeutung hinaus. Aktueller Stand der Forschung und Problemstellung: Während das Zentrum bereits Gegenstand zahlreicher Monographien war, wurden die Katholikentage durch die Historiker vernachlässigt. Die wenigen Artikel, die sich mit dieser Frage beschäftigen, behandeln nur die Zeit vor dem Ersten oder nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei wird der demokratische Charakter der Kongresse, die als Vorläufer der von Konrad Adenauer nach 1945 verkörperten Christdemokratie gelten, hervorgehoben. Ziel meiner Dissertation ist es, die Ambivalenzen, welche mit der offiziellen Entpolitisierung der Katholikentage in der Weimarer Republik verbunden waren, aufzuzeigen. Sie hinterfragt die Interpretation, wonach in Europa die autoritären Regime zwischen den Kriegen keine Anziehungskraft auf die deutschen Katholiken, und zwar weder auf die Eliten noch auf den Rest der Bevölkerung, ausübten. Verwendete Archive und Quellen: Zunächst analysierte ich die veröffentlichten Protokolle der Katholikentage, die offiziellen Quellen. In einem zweiten Schritt wertete ich (ergänzend) die Nachlässe der wichtigsten Führungspersönlichkeiten der Kongresse und katholischen Vereine aus. Das Zentralkomitee verfügt für die Zeit vor 1952 über keine Dokumente. Daher musste ich mich auf Quellen in den bischöflichen und städtischen Archiven der Orte, in denen zwischen 1921 und 1933 ein Kongress stattfand, stützen. Insgesamt wurden für die Arbeit Dokumente aus 42 Archiven ausgewertet. Gliederung der Dissertation: Die Dissertation gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil werden die Wiederaufnahme der Kongresse nach dem Ersten Weltkrieg, ihre Organisation, Finanzierung und die Art der zeremoniellen Gestaltung analysiert. Im zweiten Teil werden Inhalt und Tenor der zwischen 1921 und 1924 gehaltenen Reden untersucht. Der dritte Teil beschäftigt sich mit den Aussagen der Redner zwischen 1925 und 1932. Zusammenfassung: In den zwanziger Jahren trugen der Episkopat und Alois zu Löwenstein, seit 1920 an der Spitze des Zentralkomitees mit der Organisation der Kongresse betraut, durch die Katholikentage gegen ihren Willen zur Konsolidierung des republikanischen Systems bei, indem sie die Errungenschaften für die katholischen Minderheit durch die Weimarer Verfassung bewahren und ausweiten wollten. Die Aussagen vieler Redner gegen die Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik der Regierung waren allerdings eine kaum verhüllte Kritik des Zentrums. Durch die verwendete Symbolik wurde der Transzendenz in der Politik eine zentrale Stellung eingeräumt. Diese Symbolik stellte ein universales System der Interpretation der Welt vor, die nach dem Absoluten strebte, und brach damit mit dem republikanischen Pluralismus: Die Einheit sollte in Christus verwirklicht werden und nicht auf dem Wege des Konsens. In der Praxis gab es jedoch keine Opposition. Bei den Kongressen bemühte man sich, wie schon vor dem Ersten Weltkrieg, das Bild der Einheit zu wahren. Um diese Einheit aufrecht zu erhalten, unterstrichen die meisten Redner die Bedeutung der Wahrung der christlichen Werte. Zu Beginn der dreißiger Jahre half diese Haltung ihnen einerseits sich gegen die Verführung durch die Nationalsozialisten zu wehren. Andererseits hinderte sie sie daran, sich dauerhaft mit anderen politischen Kräften, insbesondere den Sozialisten, zu verbünden, um die Nationalsozialisten wirksam zu bekämpfen. My Ph.D. thesis, Les catholiques allemands et la République de Weimar: les Katholikentage, 1919 – 1932, is about the Catholic Congresses (Katholikentage) during the Weimar Republic. These unique congresses, which have been neglected by historians, gathered together both laic and clerical forces within the German Catholic Church and were held annually from 1848 throughout Germany. The Catholic Congresses' ecclesiastical and political functions were intended to demonstrate Catholic power and present specific demands to the State. During the Weimar Republic, the organization of the Catholic Congresses depended on the balance of power between laity and clergy, national and local leaders, the Centre Party and other political trends and finally between the various Catholic associations representing different social and economic groups. The Catholic Congresses were thus an exceptional means of assessing the mentality of German Catholics during this era. In my thesis, I shed light on the internal character of German Catholic life as well as its interaction with the political and economic crises, which led to the rise of Nazism. My aim was to answer the following major questions: How did German Catholic leaders view themselves, the laity, the Protestants, and the State? What did German Catholics think about the rapid industrialization of their country, about liberalism and communism, modern values, and democracy? How far did German Catholics follow the political and social teachings of the Papacy? In comparison to right-wing and left-wing extremists, how different or similar were the ideas of German Catholics? ; Fondés en 1848 à Mayence par un ecclésiastique, Mgr Adam Franz Lennig, afin de défendre les libertés religieuses, les Katholikentage – littéralement « Congrès des Catholiques » ou « Journées des Catholiques » – rassemblaient à l'origine les représentants des principales associations catholiques et des personnalités en vue. Au cours des quelque vingt années suivantes, ils jouèrent un rôle majeur dans la mobilisation politique des laïcs. Le Kulturkampf prussien (1872-1878) resserra les liens entre le Zentrum, créé en 1870, et les Katholikentage qui firent progressivement office de congrès annuel du parti. Vers 1900, ils devinrent des assemblées de masse groupant plusieurs dizaines de milliers de participants dans le but de démontrer la solidarité des populations à la fois avec la hiérarchie ecclésiastique et avec les dirigeants du Zentrum. Après une interruption de huit ans, Francfort-sur-le-Main accueillit en 1921 le premier Katholikentag national d'après-guerre et inaugura la reprise des Congrès, organisés ensuite annuellement jusqu'en 1933, à l'exception du Katholikentag prévu en 1923 à Cologne et interdit par les forces d'occupation. Sous la République de Weimar, les Congrès furent les plus grandes assemblées de masse ayant lieu régulièrement : 250.000 personnes assistèrent à la messe dominicale de celui d'Essen, en 1932. Leur influence dépassa largement le nombre de participants, grâce au soutien du clergé au niveau local et national, ainsi qu'à celui du réseau d'associations catholiques et à la presse. Alors que le Zentrum a fait l'objet de nombreuses monographies, les Katholikentage ont été jusqu'à présent négligés par les historiens. Les quelques articles consacrés à la question ne retiennent souvent que la période antérieure à 1914 ou celle postérieure à la Seconde Guerre mondiale. Ils mettent en avant le caractère démocratique des Congrès considérés comme les précurseurs de la Démocratie chrétienne incarnée par Konrad Adenauer après 1945. L'un des objectifs de cette thèse est de montrer les ambiguïtés liées à la dépolitisation officielle des Katholikentage sous la République de Weimar, période qui a été jusque-là soigneusement ignorée. Elle cherche à vérifier entre autre l'interprétation selon laquelle la séduction exercée par les régimes autoritaires sur les élites et les populations notamment européennes pendant la période de l'entre-deux-guerres n'aurait pas influencé les catholiques allemands avant le 30 janvier 1933. Les comptes rendus publiés des Katholikentage sont des sources officielles qui ont constitué la première étape de mon travail. Celui-ci a ensuite été complété par les archives privées des principaux dirigeants des Congrès et des associations catholiques. Comme le Comité central ne possède aucun fonds pour la période antérieure à 1952, j'ai dû rassembler des sources réparties dans les archives ecclésiastiques et civiles de chacune des villes où un Congrès a été organisé entre 1921 et 1933. Au total, 42 fonds d'archives différents ont été consultés. La thèse est divisée en trois parties. La première a pour objet d'analyser la reprise des Congrès au lendemain de la Première Guerre mondiale, leur organisation, leur financement et la nature de leur cérémonial. La seconde partie étudie le contenu et l'esprit des discours tenus aux Katholikentage de Francfort-sur-le-Main en 1921, de Munich en 1922 et de Hanovre en 1924. La troisième partie est consacrée aux messages délivrés par les conférenciers à partir du Katholikentag de Stuttgart en 1925 jusqu'au Katholikentag d'Essen en 1932. Pendant les années vingt, aux Katholikentage, l'épiscopat et le prince Alois zu Löwenstein, à la tête du Comité central chargé de l'organisation des Congrès, contribuèrent contre leur gré à la consolidation du système républicain car ils cherchèrent avant tout à préserver et à étendre les acquis obtenus par la minorité catholique grâce à la Constitution de Weimar. Certes, les propos tenus par de nombreux conférenciers contre la politique économique, sociale et culturelle du gouvernement étaient des critiques à peine voilées du Zentrum. De plus, la symbolique utilisée accordait une place centrale à la transcendance en politique. Elle proposait un système global d'interprétation du monde tendant vers l'absolu, en rupture avec le pluralisme républicain : l'unité était à réaliser en Christ et non sur le terrain du consensus. Cependant, cette opposition ne s'incarna pas dans la pratique car les Congrès s'efforcèrent de préserver l'image de l'unité comme ils l'avaient fait avant la Première Guerre mondiale. Pour préserver cette unité, la plupart des intervenants aux Katholikentage adoptèrent une attitude de repli, arc-boutés sur la défense des valeurs chrétiennes. En un sens, cette attitude les protégea au début des années trente de la séduction exercée sur beaucoup par les nationaux-socialistes. Toutefois, elle les empêcha de s'allier durablement à d'autres forces politiques, en particulier aux socialistes, pour lutter efficacement contre les nationaux-socialistes.