Die Ritualmordbeschuldigung ist eine von mehreren Anklagen, die in Westeuropa seit dem hohen Mittelalter immer wieder gegen Juden erhoben wurden. Da sie die am weitesten verbreitete unter ihnen war, wirkte sie in besonderem Maße prägend auf das Bild, das in der christlichen Mehrheit von der jüdischen Minderheit in Umlauf war. Der Trienter Fall spielt in diesem Kontext aus vielen Gründen eine herausgehobene Rolle. Die vorliegende Arbeit berücksichtigt alle wesentlichen Elemente des Prozesses, seine Entstehungsbedingungen sowie die Faktoren, die seinen Verlauf beeinflussten und seine weitreichenden Auswirkungen verursachten. Die Ursache für die große Resonanz des Prozesses liegt vor allem im Zusammentreffen der beiden sehr unterschiedlichen Entwicklungen der Judenfeindschaft im deutschen und im italienischen Raum. Die geographische und politische Lage des Fürstbistums Trient im Grenzgebiet zwischen venezianischem und habsburgischem, italienischem und deutschem Einflussbereich führte zu einer Reihe von einmaligen Umständen, die verantwortlich für den Verlauf des Prozesses selbst und auch für seinen ungeheuren Widerhall waren. Hinzu treten andere Faktoren im personellen und institutionellen Bereich und nicht zuletzt die Tatsache, daß mit dem Buchdruck ein völlig neues Medium der Verbreitung und Propaganda zur Verfügung stand, das hier erstmals in großem Umfang eingesetzt wurde. Im Rahmen der Rezeption des Prozesses spielte auch die Entstehung eines Märtyrerkultes für das angebliche Ritualmordopfer, den "seligen Simon von Trient", eine zwar begrenzte, aber keinesfalls zu vernachlässigende Rolle. Langfristig gesehen war es weniger der Kult, der die Bedeutung der Trienter Ereignisse ausmachte, als die Tatsache, daß die Geschichte Simons von Trient wegen ihrer großen Bekanntheit immer wieder als Bestätigung für die Existenz jüdischer Ritualmorde herangezogen wurde und als Vorbild für andere "Ritualmordmärtyrer" fungierte - bis ins 20. Jahrhundert hinein. ; The ritual murder libel is one of the charges repeatedly raised against Jews in Latin Europe since the high middle ages. As the most widespread among them, it had a particularly high influence on the images current among the Christian majority concerning the Jewish minority. The case of Trent plays a prominent role in this context. The present study considers all the elements of the trial, its preconditons and the factors at work in its course and its aftermath. The wide echo the judicial proceedings found can be explained by the particular meeting of German and Italian traditions of anti-Jewish sentiment. The geographical and political setting of Trent at the crossroads of Venetian and Habsburgian, Italian and German influences, produced those unique conditions which caused and influenced the trial and were responsible for its enormous echo. Other factors, too, are here considered, be they personal or institutional, as well as the fact that the invention of printing hat provided a new means of communication and propaganda, which was first used on a large scale in connection with the trial. The trial's reception was also supported to some extent by the rising cult of the "blessed Simon of Trent". In the long run, however, it was above all the widespread knowledge of Simon's story, which was taken time and again as "proof" of the veracity of Jewish ritual murders and as a model for other "ritual murder martyrs" - with a lasting impact, down to the early twentieth century.
Mit Fokus auf Übersetzungsprozesse, Aufführungen und Politik vereint Rewriting Narratives in Egyptian Theatre Zugänge aus Cultural Studies, Translations- und Theaterwissenschaft sowie aus der Theaterpraxis, um Perspektiven auf Gegenwart und Geschichte von Theater in Ägypten eröffnen. Der Sammelband leistet damit eine Reihe von 'Grenzüberschreitungen' – disziplinär, geographisch, sprachlich, historisch – und stellt bekanntere und unbekanntere Narrative ägyptischen Theaters reflektiert zur Diskussion. Der Band versammelt 13 Beiträge, die in vier thematische Teile gegliedert sind; ein Großteil der Autor*innen stammt aus Ägypten oder hat ägyptische Wurzeln. Das Ziel ist "[to] explore the relationship between translation, performance, and politics in the way it has outlined a portrait or story of Egyptian theatre and drama in the West and, reversed, Western performance tradition and scripted theatre drama on Egyptian stage" (S. 270).1 Bemerkenswert ist dabei die Bandbreite von Beiträgen, die unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen, aber auch Texte von Übersetzer*innen, Kritiker*innen oder Theatermacher*innen zusammenbringt: "Each section is made to end with a practitioner's testimony, only to show how politics and Egyptian realities have intersected with performances and translations" (S. 8). Neben der Einleitung und einem Nachwort haben die Herausgeberinnen Sirkku Aaltonen und Areeg Ibrahim für jeden Teil einen Einstiegstext verfasst, der auf methodologische Aspekte des Abschnitts eingeht und Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zwischen den einzelnen Artikeln erkennbar macht. Zunächst erscheint die Zusammenstellung des Bandes recht eklektizistisch, doch die Kurzeinführungen vermögen Kohärenz zu schaffen. Zudem schärfen sie den Blick für Korrespondenzen zwischen den Texten, die immer wieder in unterschiedlichen Kontexten auftauchen. Wiederkehrende Bezugspunkte sind etwa nicht nur der Arabische Frühling (2011), sondern ebenso die Revolution in Ägypten (1952) sowie Politik und Gesellschaft der 1950er- und 60er-Jahre unter Gamal Abdel Nasser (1918–1970), Zensur, Edward Saids Orientalism (1978), das Spannungsfeld zwischen arabischer Hochsprache und Dialekt (Diglossie) in Hinblick auf Übersetzungsfragen oder das Narrativ, dass Theater in den arabischen Ländern erst seit dem Import aus Europa im ausgehenden 19. Jahrhundert existiere. Der erste Teil, "Intercultural Rewriting", nimmt "rewriting processes involved in the cultural imports in the theatre" (S. 8) in den Blick: Sirkku Aaltonen versucht sich an einer höchst spannenden Fragestellung, indem sie im Rückgriff auf Thomas Postlewait exemplarisch historiographische Publikationen über ägyptische Theatergeschichte von den 1930ern bis Ende 1990er analysiert, um Agenden und Narrative freizulegen. In der Kombination von deskriptiver Translationswissenschaft, Theaterwissenschaft und Postkolonialer Theorie (Edward Said) legt Areeg Ibrahim die "interesting politics of choice" (S. 53) bei Übersetzungen arabischer Theatertexte ins Englische frei. Sie beleuchtet kulturelle Normen und gesellschaftliche Bedingungen für die Auswahl von Autor*innen oder Stoffen und liefert damit eine knapp skizzierte, sehr dichte akteurzentrierte Theatergeschichte und gleichzeitig einen Abriss von Übersetzungsgeschichte Ägyptens zwischen 1952 und 2011. Marvin Carlsons brillianter Beitrag ist dem wohl bekanntesten ägyptischen Dramatiker, Tawfīq al-Hākīm (1898–1987), gewidmet: Er zeichnet "the discovery and promotion of al-Hākīm in the West" mit dem Ziel nach, "to explore by what means he came to occupy this still virtually unchallenged position of the single, one might say, token Arab dramatist" (S. 97). Dieses Unterfangen ist gleichermaßen erhellend wie geboten, denn: Trotz des zunehmenden Interesses des globalen Nordens an der sogenannten arabischen Welt sei es symptomatisch, dass nach wie vor kaum Kenntnis über arabisches Theater bzw. dessen Geschichte vorhanden sei, konstatiert Carlson. Eine sehr persönliche Reflexion der Schauspielerin, Regisseurin und Autorin Dalia Basiouny beschließt die Sektion: "Performing and Rewriting Solitaire between Languages and Cultures" verbindet ihre Arbeit an diesem Monolog für eine weibliche Figur und die einschneidenden Ereignisse des Arabischen Frühlings aus Basiounys Perspektive. Der zweite Abschnitt "Interlingual Rewriting" befasst sich mit der 'Übersetzung' von Shakespeares Theatertexten ins Arabische. Methodologisch stützen sich die Beiträge nicht nur auf Roman Jakobson, Susan Bassnet und wiederum Thomas Postlewait, sondern auch auf postkoloniale Ansätze. Es geht nicht um Übersetzungsentscheidungen zwischen gewählter arabischer Hochsprache und ägyptischem Dialekt als zugänglicherer Alltagssprache, sondern um die Zirkulation eines 'westlichen' Kanons, der früh schon ein Bezugspunkt ägyptischen Theaters war. Omaya Ibrahim Khalifa nimmt anhand dreier Hamlet-Übersetzungen (1949, 1972 und 2004) unterschiedliche Strategien im Umgang mit Anspielungen in den Blick; dabei ist es ihm weniger um die Bewertung der linguistischen oder künstlerischen Leistung der jeweiligen Übersetzung zu tun, sondern vielmehr um die Auseinandersetzung mit den historischen und kulturellen Kontexten, in welchen die Übersetzungen entstanden, die wiederum Übersetzungstheorien und Poetiken der jeweiligen Zeit widerspiegeln. Mohamed Samir al-Khatibs Beitrag betrachtet die Rolle von Übersetzer*innen als 'cognitive mediators' anhand von King Lear-Übersetzungen. Neben translationswissenschaftlichen Ansätzen im Rückgriff auf Edward Said befragt er Übersetzung und Aneignung von Theatertexten des 'westlichen Kanons' im Spannungsfeld zwischen 'Eigenem' und 'Fremdem'. Mohamed Enani, der zu den führenden arabischen Übersetzer*innen englischer Texte zählt, beschreibt in einem kurzen, aber sehr spannenden und aufschlussreichen Beitrag die Übersetzungs- und Inszenierungsgeschichte von Shakespeare-Stoffen in Ägypten und die Besonderheiten von Theatertext-Übersetzungen ins Arabische aus eigener Erfahrung. Der dritte Teil des Bandes befasst sich unter dem Schlagwort "Intercontextual Rewriting" mit den historischen und gesellschaftlichen Kontexten, den Normen und Werten, die Theatertexte und Inszenierungen beeinflussen und prägen. Sameh F. Hannās exzellenter Artikel über "Theatre-Making and Theatre Translation in Turn-of-the-Century Egypt" eröffnet spannende Einblicke in die wenig erforschte Theaterpraxis der 1920er, indem er von der Forschung marginalisierte theaterhistorische Zeugnisse genauer betrachtet: Im Zentrum stehen die Schriften des Literaten Muhammad Taymūr (1892–1921), die viel über die "'social history' of theatre practice" (S. 177) der Zeit verraten, doch bislang ignoriert oder als Vorläufer 'professioneller' Theaterkritik belächelt wurden. Heba el-Abbadi und Sally Hammoudas Beitrag "From Spectators to 'Spect-Actors'" wendet Augusto Boals Konzepte eines 'Theater der Unterdrückten' an, im Versuch, die Durchschlagskraft der ersten 18 Tage der Ägyptischen Revolution im Januar 2011 nachzuvollziehen. In "Egyptian Realities on Stage and in Society" versammelt die Theaterkritikerin Nehad Selaiha ihre eigenen Beiträge über Inszenierungen, die 2011–2012 in unmittelbarer Folge und im Zusammenhang mit der Revolution in Ägypten entstanden. Der vierte und letzte Abschnitt des Bandes "Intermedial Rewriting" lenkt den Fokus auf Fragen der Intermedialität. "Dramatizing Short Stories" von Salwa Rashad Amin analysiert die Adaption von Texten Salwa Bakrs, "one of Egypt's most celebrated novelists and short story writers" (S. 225) und lenkt das Augenmerk auf Fragen der interkulturellen Übersetzung für ein US-amerikanisches Publikum. Wessam Elmeligi untersucht die Adaption von Bernard Shaws Pygmalion im Ägypten der 1960er-Jahre und arbeitet die 'Ägyptisierung' des Stoffes als höchst erfolgreiche soziopolitische Satire vor dem Hintergrund des Nasserismus heraus. Den Abschluss bildet Mona Mikhails Erfahrungsbericht über die Entwicklung und Umsetzung eines Dokumentarfilms über Theater(-geschichte) in Ägypten seit Napoleons Ägyptenfeldzug (1798). Rewriting Narratives in Egyptian Theatre bietet interessante Impulse – sowohl für Leser*innen, die bereits mit arabischem Theater vertraut sind, als auch für Menschen, die Einblicke in ein marginalisiertes Forschungsfeld erhalten möchten. Der Mehrwert liegt gerade in der Vielzahl der angebotenen Blickwinkel und dem dichten Gewebe an expliziten und impliziten Referenzen auf andere Artikel im Band. Nicht zuletzt die sorgfältigen Kurzeinführungen der Herausgeberinnen tragen dazu bei, diesen Sammelband in seiner Fülle als großes Ganzes schätzen zu können. Das Überschreiten von Grenzen "from one culture, nation, country, and language to another" und nicht zuletzt das (wissenschaftliche) Schreiben darüber, "is, unfortunately, too often one-way and, instead of providing new insights, only strengthens what is already familiar" (S.270). Die Zielsetzung, durch diesen Band zum Austausch zwischen 'West' und 'Ost' beizutragen und neue Blicke auf die Narrative ägyptischen Theaters zu werfen, ist definitiv geglückt, und man kann nur hoffen, dass weitere Publikationen dieser Art folgen werden. Letztlich erscheint der astronomisch hoch angesetzte Verkaufspreis jedoch leider kontraproduktiv, um Perspektiven auf ägyptisches Theater der Gegenwart und arabische Theatergeschichte einem breiteren Publikum näher zu bringen. So wichtig und begrüßenswert dieser Band als solcher ist, in Hinblick auf die Preisgestaltung ist Rewriting Narratives in Egyptian Theatre leider nur bedingt zu empfehlen. 1 Aus Gründen der Vereinfachung verzichtet diese Rezension auf die korrekte wissenschaftliche Transkription arabischer Namen und Begriffe, zumal Schreibweisen und der Umgang mit Transkription auch im Band uneinheitlich gehalten sind.
Der Titel von Irmbert Schenks neuester Publikation, Film und Kino in Italien, suggeriert einen historischen Überblick. Erst der Untertitel des Buches, Studien zur italienischen Filmgeschichte, führt näher ans Ziel, denn tatsächlich handelt es sich bei diesem Band um eine Sammlung von Texten, die er zwischen 1991 und 2014 geschrieben hat, zum Teil für Sammelbände, aber auch z. B. für eine Vorlesung. Den Analysen gemein ist, dass sie kluge Schlaglichter auf verschiedene Perioden des italienischen Kinos werfen. Irmbert Schenk ist für den Schüren Verlag kein Unbekannter; der deutsche Medienwissenschaftler hat bereits zu Themen wie Kino und Modernisierung oder Dschungel Großstadt (als Herausgeber) Arbeiten vorgelegt. Er beschäftigt sich besonders intensiv mit europäischer Filmgeschichte, -analyse sowie -rezeption, lehrte an der Universität Bremen und ist Professor im Ruhestand. Schenk beginnt seine Analyse mit einer (halsbrecherisch kurzen) Einführung in die italienische Geschichte von 1861 (der Vereinigung Italiens) bis etwa 1895, ehe er die These entwickelt, die für das gesamte Buch tragend ist: Die Monumental- und Historienfilme italienischer Prägung, die zwischen 1905 und etwa 1915 entstanden, sind Rückbesinnungen auf die einstige Stärke des römischen Weltreiches aus einer schwierigen sozialen und ideologischen Situation heraus. Einem Teil über die "Anfänge der italienischen Kinematographie" folgt mit "Historien- und Monumentalfilmen" eine Einführung in dieses Subgenre italienischer Filmgeschichte, der mit "Cabiria von Giovanni Pastrone" der Hauptteil folgt, eine bestechende Analyse dieses Kassenschlagers von 1914. Warum der große Erfolg? Die Beteiligung Gabriele D'Annunzios an den Zwischentiteln war sicher kein Schaden, seine Berühmtheit lieferte dem Projekt eine gewisse Reputation, und bei allem Aufwand war Cabiria auch filmtechnisch auf der Höhe seiner Zeit. Schenk warnt im Vorübergehen seine LeserInnen vor einer "Überbewertung des Aussagewerts von Datierungen filmtechnischer Neuerungen", zumal z. B. "dazwischen geschnittene Nah-/Großaufnahmen in USA und Frankreich vereinzelt schon ab 1903 erscheinen" (S. 44). Italienischen Zuschauern, so Schenk, ist Cabiria mit Figuren wie dem 'starken Mann' Maciste Träger "diffuser Ideologie, die ihrerseits das Reservoir für manifeste Ideologie und Propaganda abgibt" (S. 45). Der Film funktionierte jedoch international ohne Auslöser eines Gefühls patriotischer Stärke. Ein letzter Teil von Schenks Arbeit, "Pastrone und Griffith", versucht, bei einem kurzen Vergleich der beiden Regisseure die Kirche im Dorf zu lassen und plädiert dafür, Griffith nicht allzu abhängig von Pastrone und italienischen Monumentalfilmen zu zeigen. "Von Cabiria zu Mussolini", der darauf folgende Text des Bandes, leidet im Vergleich zur ersten Analyse unter einem erheblichen Maß an Redundanz: So darf/muss man hier zum zweiten Mal lesen von der Aufspaltung Italiens in einen industrialisierten Norden und einen Süden, der von der Landwirtschaft lebt. Ein wenig Lektoratsarbeit hätte Wunder wirken können. An der These Schenks, die so beliebten 'starken Männer' des frühen italienischen Kinos, Maciste oder Ursus, wiesen bereits auf Mussolini hin, der sich gern als 'forzuto' gab, ist nichts auszusetzen. Der dritte Text des vorliegenden Bandes, "Zwischen Futurismus, Realismus und Faschismus – Walter Ruttmanns Acciaio", 2003 erstmals veröffentlicht, widmet sich Ruttmanns 1933 aufgeführtem Spielfilm, der selten zu sehen ist. Auf eine Darstellung der Bewegung des Futurismus folgt ein (allzu) kurzer Abriss der Prinzipien des Filmemachers Ruttmann. Teil zwei der Analyse ist zunächst dem italienischen Kino gewidmet und seinem Niedergang in den 1920er-Jahren; erst realistische Filme wie Sole (Alessandro Blasetti, 1928) oder Rotaie (Mario Camerini, 1929) brachten wieder Erfolg. Emilio Cecchi, Produktionschef der Filmfirma CINES, bemühte sich um erfolgreiche Schriftsteller und ausländische Regisseure (Ophüls oder Renoir). So kommt Walter Ruttmann für den Film Acciaio, dessen Drehbuch vermeintlich von Luigi Pirandello, in Wahrheit aber von dessen Sohn Stefano Landi stammt, ins Gerede. Aber die Dreiecksgeschichte im Milieu der Stahlarbeiter erwies sich nach seiner Fertigstellung beim Publikum als 'Rohrkrepierer'. Bei der Presse hatte Acciaio mehr Glück; Herbert Ihering oder Kurt Pinthus fanden durchaus lobende Worte. Das tut auch Irmbert Schenk; auf vier Seiten widmet sich Abschnitt drei seines Textes zunächst einer Kritik von Acciaio ('Stahl', im Deutschen hieß der Film Arbeit macht glücklich [sic!]). Warum und wie Ruttmann auch im deutschen Faschismus eine Heimat fand, führt Schenk in den letzten Zeilen seines Beitrages aus. "Zum Motiv des Automobils als Subtext der Modernisierung in Komödien der 1930er-Jahre": Wichtig ist, dass es auch hier um italienische Filme geht (so war der Titel denn doch nicht lang genug). Schenk beginnt mit einem kurzen Abriss der italienischen Filmgeschichte bis ins Jahr 1930 – also mit Dingen, die wir in den Texten zuvor bereits gelesen haben. Rotaie nennt erstmals Schenks "Leitwort" (S. 98): 'Modernisierung', die er hier am Beispiel des Autos exemplifizieren will. Gli uomini che mascalzoni (1932) und Il signor Max (1937), beide von Mario Camerini und mit Vittorio De Sica, führt er als erste Beispiele an. Beide Filme handeln von Kleinbürgern, die auf großem Fuß unterwegs sind. Schenk räumt ein, dass der italienische Faschismus noch weniger am reinen Propagandafilm interessiert gewesen sei als der deutsche Nationalsozialismus. I grandi magazzini (erneut von Camerini und mit De Sica, 1939) zeigt jedoch z. B. ein riesiges Warenhaus nach dem Vorbild von Harrod's oder dem KaDeWe – wie es das in Italien nicht gab. Ein 'modernes' Italien sollte eines haben, also wurde es für den Film erfunden. Ähnlich präsentiert sich der Fall beim Automobil: 1939 gab es in Italien nur 290.225 Autos; von einer Motorisierung, wie sie die zuvor angesprochenen Filme zeigen, war das Land noch weit entfernt. Das 'moderne Italien' dieser Filme war reinste – unterschwellige – Propaganda. Einen Ausblick auf die 1960er-Jahre gestattet sich der Text mit einer kurzen Analyse von Dino Risis Il Sorpasso (1961). Es folgen zwei Arbeiten über den Neorealismus: Eine Vorlesung aus dem Jahr 2000 und ein drei Seiten kurzer Lexikon-Eintrag. Zeitgeschichte lässt Schenk zu Beginn einfließen mit einem (äußerst) kurzen Rückblick auf die italienische Geschichte von 1922 (Machtübernahme des Faschismus) bis zum Anfang der 1950er-Jahre. Auch die filmwirtschaftliche Situation nach dem Krieg wird von Schenk überblicksartig dargestellt. Nach einer knappen Bestandsaufnahme der Kriterien des Neorealismus geht es um die Filme von Roberto Rossellini (Roma, citta aperta, 1945; Paisà, 1946), Vittorio De Sica (Sciuscià, 1946; Ladri di biciclette, 1948; Umberto D., 1951) und Luchino Visconti (Ossessione, der wichtigste Vorläuferfilm, 1942; La terra trema, 1948). Ein kurzer Ausblick ist der Frage gewidmet, wie es mit dem Neorealismus weiterging, u. a. dem 'Zweiten Neorealismus' von Regisseuren wie Ermanno Olmi, Francesco Rosi oder Pier Paolo Pasolini. Der Lexikoneintrag hat dem dann wieder wenig Neues beizufügen. Ein Regisseur, der schon in jenen Beiträgen vorkam, die dem Neorealismus gewidmet sind, ist Luchino Visconti: Um ihn geht es weitaus prominenter in dem Text "Psychopathologie des Verfalls und Untergangs – Thomas Mann und Luchino Visconti: Der Tod in Venedig/Morte a Venezia". Dies ist vielleicht der schönste von Schenks Beiträgen. Er lässt sich genügend Zeit, um zuerst mit Thomas Mann und der Novelle zu beginnen, wobei zahlreiche Querverweise eingearbeitet werden. Im fünften Abschnitt der Analyse kommt Schenk zu Visconti und arbeitet kurz dessen Biografie auf, ehe er in Teil sechs mit der Darstellung von Morte a Venezia (1971) beginnt. Dabei legt er geschickt sowohl die Gemeinsamkeiten zwischen dem Vorlagentext und der bildlichen Umsetzung frei – als auch die Unterschiede, wobei ihm das Fehlen der Ironie bei Visconti einer der wesentlichsten Züge der Adaption zu sein scheint. "Antonionis radikaler ästhetischer Aufbruch: Zwischen Moderne und Postmoderne" steht im Folgetext im Mittelpunkt. Schenk vereinnahmt Antonioni bereits für die Postmoderne und arbeitet mit dem Begriff der 'Krankheit der Gefühle', der von Antonioni selbst stammt. Wenn der Regisseur in L'eclisse (1962) in der abschließenden Sequenz offenbar zufällig Straßen, Gebäude, Menschen Roms zeigt, schreibt Schenk gelungen davon, dass der Film jede "Anthropozentrierung" (S. 150) aufgegeben habe. Hie und da argumentiert der Autor trotz aller Dichte vielleicht etwas salopp (ist Blow Up tatsächlich "dank der MGM-Werbung" Antonionis "größter Publikumserfolg" [?] (S. 164)). Die Gegenüberstellung von Natur oder Mensch oder die Frage nach der 'Kontingenz der Geschichte' in den Werken Antonionis sind aber doch luzide herausgearbeitet. Sehr gelungen ist der abschließende Beitrag mit dem einfachen Titel "Roberto Benigni: Das Leben ist schön". Schenk beginnt mit einer Biografie Benignis, die seine Regiearbeiten genauer in den Fokus nimmt, und arbeitet nicht zuletzt die italienische Tradition der 'Maske' des Komikers heraus – was erklären mag, warum etwa Benignis Il mostro oder auch Pinocchio im deutschsprachigen Raum bei der Presse, die über die 'Maske' nicht Bescheid weiß, einen schweren Stand hatten. In der Folge beschäftigt sich Schenk vor allem mit der Rezeption von La vita è bella im deutschen Feuilleton. Diese war zunächst überwiegend negativ; das Lob setzt erst ein, nachdem der Film drei 'Academy Awards' ('Oscars') gewonnen hatte. Auch Schenk ist auf der Seite der 'Befürworter' von La vita è bella und hat dafür einige Argumente. Zusammenfassend kann der Band als gelungener Beitrag zur italienischen Filmgeschichte gelten. Der Schreibstil des Autors ist flüssig und die Texte sind für breitere Leserkreise gedacht. Daher eignet sich die Publikation als Einführung in verschiedene Themenbereiche. Leider ist der Titel etwas irreführend gewählt, und auch einiges an Lektoratsarbeit hätte nicht geschadet – nicht nur wegen der Redundanz, auch Grammatik- und Fallfehler sind (zu) häufig zu finden.
Der neue Tagungsband des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster entdeckt neue Forschungsgegenstände und erweitert das methodische Instrumentarium. Das dialektische Verhältnis vom Stadtbild und seiner Wahrnehmung, das hier in einem Zeitbogen vom 12. bis ins 19. Jahrhundert reicht, eruiert überraschende Kontinuitäten. Untersuchte literarische und visuelle Stadtdarstellungen der Vormoderne und der frühen Neuzeit demonstrieren zudem nicht selten, dass Fiktionalität eine wesentliche Voraussetzung für die Realität bietet. Es war der französische Mediävist Jacques Le Goff, der beim Anblick der New Yorker Skyline die Nachfolgebauten der mittelalterlichen Türme von San Gimignano zu erkennen wagte. Die emporragenden Konzernsitze Manhattans und die noch immer das Bild der toskanischen Stadt bestimmenden langgestreckten Kuben der Adelsresidenzen vereinte für Le Goff ihr Prestige- und Repräsentationscharakter. Auch wenn die politisch-historischen und wirtschaftlichen Kontexte der Entstehungszeit dieser Objekte wie auch ihr rein funktionaler Charakter kaum vereinbar sind, stehen diese alten und neuen Wolkenkratzer in einer gemeinsamen Tradition. Peter Johanek greift in seinem den Band eröffnenden Beitrag dieses mittlerweile oft zitierte Beispiel auf, um an "das Fortdauern mittelalterlicher Traditionsbestände in der Vorstellung von Stadt" (S. 23) zu erinnern. Das Fortdauern bezieht sich jedoch nicht ausschließlich auf das architektonische Erbe des Mittelalters, sondern ebenfalls auf Traditionen der textuellen und visuellen Stadtdarstellung. Johanek plädiert in seinem Aufsatz für eine quellenkritische Aufarbeitung insbesondere des Bildmaterials, das zudem nur in einer interdisziplinären Kooperation hinreichend erforscht werden kann. Gerade bei den spätmittelalterlichen, reich bebilderten Drucken sind derartige Verfahren notwendig. Denn oft erweist sich ein und derselbe Holzschnitt einer Idealstadt als Emblem gleich mehrerer Orte: In der Cronecken der Sassen (1492) von Conrad Bote wird u. a. für Hildesheim, Münster, Hamburg, Speyer und Halberstadt eine einzige urbane Landschaft benutzt. Allein das im Vordergrund positionierte Stadtwappen gibt genaue Auskunft über die Lokalität. Der einfachen Bildkomposition zum Trotz weisen diese visuellen Dokumente auf komplexe Wahrnehmungsmuster hin, die der Band anhand der Archivalien explizit diskutiert. Das lateinische Substantiv 'urbs' meint jede größere, mit einer Mauer umgebene Stadt; es ist jedoch nicht die einzige Bezeichnung, die im Mittelalter für eine Ansiedlung gebräuchlich war. Isidor von Sevilla differenzierte zwischen dem architektonischen Gebilde 'urbs' und 'civitas', der Gesamtheit der Bürger ('cives') der Gemeinde. Jegliche kulturelle Aktivität, die diese Gemeinschaft vollzog, ob Feste, Prozessionen oder Umzüge, bedeutete die Produktion von neuen 'Stadtbildern'. Diese ephemeren, in der Interaktion entstandenen Konstrukte gehören für Peter Johanek und Lucas Burkart neben den materiellen, auch heute noch sichtbaren Artefakten unabdingbar zum Repertoire jener Zeugnisse der Bebilderung und Wahrnehmung des urbanen Raumes. Diese temporären Gebilde konnten etwa den städtischen Marktplatz mittels der christlichen Narration eines religiösen Spiels zu einem sakralen Kontinuum transformieren oder eine ruhmvolle Vergangenheit wieder zum Leben erwecken. Lucas Burkart entdeckte in Verona diese flüchtigen Formen am Beispiel fingierter Spaziergänge, die die Oberschicht 1484 zu antiken Monumenten und Grabstätten von Größen wie Plinius oder Vitruv unternahm. Diese Restauration antiker Kulturgeschichte, die auch die literarische Produktion erfasste, gehörte im Verona des ausgehenden 15. Jahrhunderts zum exklusiven Lebensstil der Patrizier. Die 1492 vollendete Loggia del Consiglio, die einen neuen Ratssaal beherbergte, wurde mit antikisierenden Säulen, Reliefs und Statuen ausgestattet. Nachdem die Stadt 1405 an Venedig fiel, wurden solche Rückgriffe auf Veronas antikes Erbe stets mit der Republik abgesprochen. Burkart konkludiert daraus, dass die Antikerezeption nicht primär als Emanzipationsversuch dem Machthaber gegenüber diente, der über eine weniger erhabene Vergangenheit verfügte, sondern vielmehr der politischen Profilierung der Veroneser Oberschicht. Die wenigen ratsfähigen Familien verfolgten damit eine Abgrenzungsstrategie nach Innen mit dem Ziel der Machtsicherung. Das spätmittelalterliche Reval (heute Tallin) hinterließ eine vollkommen andere Art von urbanen Bildern. An den Rändern der städtischen Rechnungsbücher, neben den Einträgen von Einnahmen und Ausgaben, fertigten die Schreiber mehrere Hundert kleiner Skizzen an, die Juhan Kreem erforschte. Im europäischen Vergleich sind diese Randzeichnungen keine archivalische Rarität – jene in Reval überraschen jedoch durch ihre Anzahl und die Konstanz, mit der sie erstellt wurden. Die aus der Zeitperiode von 1432–1533 stammenden Skizzen von Rädern, Hufeisen, Waagen oder Feuerwaffen dienten offenbar primär als Suchhilfen. Das Hufeisensymbol verweist auf die Ausgaben der Kommune für den Schmied; bei dem Motiv der Waage handelt es sich um Zolleinnahmen aus der Stadtwaage und die Waffenpiktogramme weisen auf Militärausgaben hin. Die Frage, warum gerade diese Berufsgruppen bzw. Lebensbereiche einer Stadt auch visuell festgehalten wurden, ist heute kaum zu beantworten. Die erheblichen Ausgaben für die Schmiedearbeiten könnten die bildlichen Hervorhebungen rechtfertigen. Jedoch eine rein funktionale Aufgabe dieser Zeichen wäre sicherlich zu eng gedacht. Kreem betont, dass die Randskizzen die "Wahrnehmung der Stadt aus der Sicht der Schreiber" (S. 69) wiedergeben. Einige der Piktogramme verweisen auf hohe Besuche und die damit verbundenen Ausgaben. Als dem Großfürsten von Moskau ein Pferd im Wert von 40 Mark überreicht wurde, markierte die Ausgabe dies mit einem Pferdekopf. In den Jahren 1497 und 1505 wurden neue Schiffe in Auftrag gegeben, ihre Piktogramme findet man am Rande der Rechnungen. Deren Skizzenhaftigkeit und Simplizität veranlassen Kreem zu der Vermutung, hier eine Erhöhung des Ereignisses durch die Einführung christlicher Ikonographie zu verorten. Mehrere Generationen von Schreibern führten die Tradition der Randzeichnungen fort. Ihr spontaner, fast zufälliger Charakter lässt die Vorgänge des Alltags wie auch besondere Ereignisse im faszinierenden Habitus einer Momentaufnahme erscheinen. Einen nicht weniger aufschlussreichen Einblick in die Wahrnehmung neuzeitlicher Städte bietet der Beitrag von Maria Bogucka, die einige Beschreibungen der polnischen Weichselstädte untersucht. Während die westliche Gattung des Städtelobs in einem panegyrischen Ton die Stadt affirmativ preist, üben die polnischen Verfasser grundsätzlich Kritik an der von hektischer Betriebsamkeit und Gestank beherrschten Urbanität. Allein das Landleben und der Ackerbau garantieren eine moralisch fundierte Lebensweise. Sebastian Fabian Kolonowics Gedicht über seine Schiffsreise entlang der Weichsel schlägt jedoch mitunter auch Versöhnliches an. Aus seiner ungewöhnlichen Perspektive schildert der Schriftsteller nicht ohne Bewunderung die "flammähnlich leuchtenden Mauern" (S. 73) von Thorn, wo die Kirchtürme endlos zu sein scheinen, oder die roten Getreidespeicher von Danzig, die Multinationalität des Hafens und sein pulsierendes Wirtschaftsleben. Desanka Kovačević-Koji konfrontiert hingegen in ihrem Aufsatz über das Belgrad des 15. Jahrhunderts Stadtbeschreibungen miteinander, die zwar von inneren und äußeren Blickwickeln bestimmt waren, aber doch Paralleles zu berichten wissen. Die Biographie des serbischen Despoten Stefan Lazarević von Konstantin dem Philosophen, einem der letzten byzantinischen Universalgelehrten und Chronisten, beinhaltet eine euphorische Deskription der befestigten Burg von Belgrad, der Tore, Kirchen und Spitäler. Was Konstantins Beschreibung mit französischen und italienischen Reiseberichten vereint, ist die Betonung der militärisch günstigen Lage Belgrads an der Mündung der Save in die Donau, die die Stadt auch verkehrstechnisch und damit wirtschaftlich begünstigte. Raingard Eßer untersucht die bisher nur wenig erforschte Gattung der Chorographien unter den historiographischen Schriften in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts. Die topographisch-historischen Stadtbeschreibungen zeigen, wie different katholische und protestantische Autoren die urbanen Zentren wahrnahmen. Der katholische Hofhistoriker Jean-Baptiste Gramayes konzentriert sich in seiner Geschichte der Stadt Mechelen (lat. Original 1607) in den habsburgischen Niederlanden auf die Darstellung der religiösen Institutionen des 14. und 15. Jahrhunderts. Die aktuellen Ereignisse des Achtzigjährigen Krieges finden kaum Erwähnung. Die vorgestellten kirchlichen und städtischen Würdenträger scheinen die Kontinuität der katholischen Tradition Mechelens in ungebrochener Weise zu sichern. Der protestantische Prediger Jacob van Oudenhoven hingegen veröffentlicht 1649 die Geschichte seiner Heimatstadt 's-Hertogenbosch, die bis 1629 unter dem Machteinfluss der Spanier stand. Die Kriegsbegebenheiten nehmen hier einen wesentlich breiteren Raum ein, als dies bei Gramayes der Fall ist. In einem lebhaften dramatischen Stil werden zudem Akteure der Geschehnisse, Prediger, Bürger und Soldaten in die Beschreibung eingeführt. Während Gramayes eine invariante Hierarchie von Kaiserhof, Kirche und Stadtrat in Mechelen aufzeigt, ist van Oudenhoven daran interessiert, eine aktive Geschichte der Bürger zu dokumentieren. Eine Reihe von Aufsätzen widmet sich dem bewussten Spiel zwischen Realität und Imagination in den literarischen und bildlichen Stadtdarstellungen. Marc Boone und Elodie Lecuppre-Desjardin verdeutlichen etwa am Beispiel eines Planes von Brügge eine derartig komplexe Verschränkung von realer Topographie und erdachter Urbanität, die die Datierung der Karte erheblich erschwert (14.–16. Jh.). Wolfgang Schmid fragt hingegen, welche Strategien die Urheber der deutschen Stadtansichten und -beschreibungen der frühen Neuzeit verfolgten: Die Wiedergabe einer tatsächlichen Topographie oder die Konstitution eines spezifischen Images? Als nachweisbare Tatsache ist festzuhalten, dass etwa nur Köln und Trier als 'heilige' Städte apostrophiert werden – im Gegensatz zu jenen zahlreichen, die lediglich als Bildungs- oder Wirtschaftszentren Erwähnung finden. Angelika Corbineau-Hoffmann findet in der Fiktionalität lyrischer Werke der Moderne Fragmente von emotionalem und mentalem Erleben der zeitgenössischen Urbanität. Gerade das Gefühl der Fremdheit, der unabdingbare Topos der Stadtliteratur, wird zu einem geistigen Artefakt. Die hochkarätigen Autorinnen und Autoren des vorliegen Bandes entdecken und verweisen auf bisher kaum untersuchte Bereiche der historischen Städteforschung. Ein bewusster methodischer Umgang insbesondere mit visuellen Medien lässt auf neue Erkenntnisse hoffen. Das Faktum, dass die Geschichtswissenschaften in den letzten zwei Jahrzehnten auch performative Formen in ihre Untersuchungen einschließen, könnte auch zu fruchtbaren Synergien zwischen Historie und Theaterhistoriographie führen.
Mit Blick auf die historische Übersicht, die Till A. Heilmann in seiner überarbeiten Dissertationsschrift von 2008 vorlegt, ist die Entwicklung des Schreibens am Computer eine faszinierende Erfolgsgeschichte. Auch weil die dabei entstandenen Produkte dazu fähig sind, unseren Alltag weitreichend mitzuprägen. Besonders im akademischen Bereich gehen damit vollkommen veränderte Möglichkeiten einher, Texte nicht nur zu erstellen, sondern auch zu recherchieren, weiterzubearbeiten und zu distribuieren. Neben den damit verbundenen Vor- und Nachteilen, stellt sich die Frage, wie diese veränderten Schreibweisen auch das Denken bzw. Denkarbeit erweitern. Als Grundlage einer Reflexion darüber, was Schreiben am Computer ist, vermag eine historische Darstellung der Entwicklung vom Manuskript über das Typoskript zum Digiskript wichtige Einsichten zu erbringen. Heilmann interessiert sich in seiner "Mediengeschichte des Computers als Schreibmaschine" weniger für die anthropologischen Auswirkungen dieses Medienwandels, sondern er zeigt vorrangig in Form einer Technikgeschichte auf, wie komplex die Vorgänge sind bei dem, "was heutzutage Schreiben heißt" (S. 2). Nicht nur deswegen ist die Entwicklung von Computern zu "Werkzeuge[n] des Schreibens" (ebd.) weder ein selbstverständliches noch unbedingt ein in den Geräten selbst angelegtes Potential. Insofern – und darauf weist Heilmann nachdrücklich hin – ist die Rede vom Computer als Schreibmaschine, wie es die Medientheorie speziell nach Friedrich Kittler postuliert, eine verkürzte und irritierende Darstellung. Die Folge dieser Gleichsetzung führe dazu, dass "kaum Ansätze zu einer Geschichte der Textverarbeitung" in der Medienwissenschaft verwirklicht wurden, da dies als Nebensächlichkeit vorausgesetzt wurde (S. 46). Als Basis seiner Darstellung betrachtet Heilmann zunächst die "drei medialen Grundfunktionen" von Schrift, die im "Speichern, Übertragen, Verarbeiten" bestehen. Damit ist bereits der dieser Studie zugrundeliegende Medienbegriff formuliert, wonach "Medien […] Welt erfahrbar und denkbar" machen (S. 13). Es zeigt sich nun eine "tiefer liegende Verbindung" von Schrift und Computer, dessen Merkmal ebenfalls die Umsetzung einer "Medientechnik zur Speicherung, Übertragung und Verarbeitung von Information" ist (S. 17). Dies sei auch der Grund, weswegen in der Medienwissenschaft, die sich in den 1980er-Jahren "an der Auseinandersetzung mit der Schrift aufgerichtet" habe (S. 16), Computer zu einem neuen bevorzugten Untersuchungsfeld erhoben wurden: "Was einst an unterschiedlichen Medien aus einem Zusammenhang, dem der Schrift, hervorgegangen war, geht tendenziell wieder in einen Komplex, den des Computers, ein" (S. 20). Wird daraus aber der Rückschluss gezogen, dass Computer bereits von Beginn an Schreibmaschinen waren, dann ist dies ein medienwissenschaftlicher Kurzschluss, der durch den von Heilmann vorgenommenen Blick auf die historische Entwicklung von Computern revidiert wird. So werde häufig Computergeschichte "als Fortschrittsgeschichte der Schrift" geschrieben, und zwar nicht nur in der Medienwissenschaft sondern auch in der Informatik (S. 54). Dem hält Heilmann eine Vielzahl von Argumenten entgegen, wobei er bemüht ist, die Geschichte der Entwicklung von Digitalcomputern in ihrer Ausrichtung auf Textverarbeitung abzuklopfen. Es zeigt sich, dass das Schreiben am Computer erst in den 1970er-Jahren so weit entwickelt war, dass ernsthaft dessen Verwendung zur digitalen Textverarbeitung möglich schien (S. 170). Dazu trugen neben dem Monitor als Ausgabegerät und der Tastatur als Eingabegerät, das interactive computing als Modell und der Erfolg des Personal Computer (PC) – auch auf Grund sinkender Materialkosten – bei. Heilmann zeigt auf, wie sich diese für das heutige Schreiben am Computer maßgeblichen Komponenten ausprägten, wobei klar ersichtlich wird, dass deren Integration und Entfaltung weder selbstverständlich noch linear vor sich gingen. Vielmehr zeigt sich hinsichtlich von Produzent_innen geäußerter Absichten und unterschiedlich entwickelter Techniken eine Vielzahl von möglichen Entwicklungslinien für den Einsatz von Computern. Für die Simulation der Praktiken von Schreibmaschinen werden jene von Heilmann herausgearbeiteten Episoden entscheidend, "in denen die Genealogie des Personal Computers sich mit derjenigen der Textverarbeitung kreuzt" (S. 169). Die Computergeschichte bietet reichlich Anekdoten zu dieser Thematik. Für den Bereich Textverarbeitung ist es besonders die Forschungsabteilung PARC von Xerox, in der der Kopiermaschinen- und zugleich Kopierpapierhersteller Modelle für das Büro der Zukunft konzipieren ließ. Dabei wurden entscheidende Komponenten für die PCs von heute entwickelt, sowohl im Bereich der Hard- als auch Software. Vieles davon wurde später von Apple und Microsoft übernommen und ermöglichte deren unternehmerische Erfolge. Nun könnte auf die Ironie verwiesen werden, dass Xerox Forschungen finanzierte, die in Folge das eigene Geschäft gefährden sollten. Aber – und dies gelingt Heilmann nachvollziehbar aufzuzeigen – in vielen der dabei entwickelten Komponenten findet sich der Bezugspunkt zu Papier, beginnend mit dem Monitor des dabei entwickelten Computers Alto, der – im Gegensatz zu heute üblichen Monitoren – in die Länge gestreckt war und mit dem US-Standardpapierformat Letter übereinstimmte. Auch wenn es Xerox aus verschiedensten Gründen nicht gelang, mit den vorhandenen Mitteln zum bestimmenden Unternehmen der Computertextverarbeitung aufzusteigen, ist der Bezug zum Papier bzw. zur Schrift bis heute in PCs integriert. Dabei sind es drei von Xerox entwickelte Techniken, die "die mediale Verschränkung von Papier und Computer" prägten: Grafische Benutzungsoberflächen (GUI), das "What you see is what you get"-Prinzip (WYSIWYG) und der Laserdrucker (S. 173). Die Forschungsergebnisse von Xerox PARC sind am Ende von Heilmanns "Streifzug durch die Mediengeschichte des Computers als Schreibmaschine" (S. 195) angesiedelt, bevor er sich im abschließenden Kapitel mit der Simulierung "traditioneller Formen von Schrift" durch Digiskripte auseinandersetzt (S. 196). Prinzipiell folgt seine historische Übersicht einer traditionellen Computergeschichte mit bekannten Etappen. Zwar gelingt es ihm, mit seinem spezifischen Erkenntnisinteresse an der Entwicklung des Schreibens am Computer neue Einblicke zu eröffnen. So werden durchaus auch wenig bekannte oder nur rudimentär abgehandelte Figuren und Produkte der Computergeschichte porträtiert. Heilmann bleibt dabei aber durchwegs einer linearen, chronologisch aufgebauten Entwicklungsgeschichte verpflichtet. Dies ist durchaus nachvollziehbar für sein Anliegen, auch weil er es vermag, technische Sachverhalte kompakt und zugleich verständlich darzustellen. Trotzdem wäre an manchen Stellen eine stärkere Verschränkung mit medientheoretischen und -historischen Debatten wünschenswert. So bleiben diese lohnenswerten Auseinandersetzungen einigen wenigen Themen vorbehalten. Eines dieser Themen ist der häufig bemühte Hinweis auf die militärische Herkunft des Computers. Heilmann relativiert die starke Bedeutung dieser einseitigen Lesart und zeigt auf, dass damit die komplexe und von vielen Um- und Irrwegen gekennzeichnete Entwicklung von Computern nachlässig vereinfacht wird. Sicher stimmt es, dass die Grundlagenforschung, die zu den ersten universellen Rechenmaschinen führte, hauptsächlich durch das US-Militär gefördert war. Aber an einigen Beispielen zeigt Heilmann auf, wie rudimentär die militärischen Einflüsse in den dabei entwickelten Systemen abgebildet waren. Selbst Geräte wie eine Lichtkanone und die ersten "Monitore" in Form von Oszilloskopen dienten keinem militärischen Interesse, sondern wurden dazu eingesetzt, den Rechner auf Beschädigungen überwachen zu können (S. 116). Mathematisch-logische Rechenvorgänge waren zunächst das vorrangige Einsatzgebiet, was zwar auch Ballistikberechnungen beinhaltete, aber bei weitem nicht das gesamte Spektrum der Möglichkeiten abdeckte. So wurden viele Projekte an Universitäten übertragen und dort meist unter veränderten zivilen Vorzeichen fortgeführt. Erstaunlich ist vor allem, wie eng die Entwicklung des Computers und speziell des PCs zur Textverarbeitung mit tayloristischer Arbeitsökonomie verknüpft war. Dies wird von Heilmann leider nicht weiter thematisiert, wäre aber sicher eine eigene Untersuchung wert. In vielen der dargestellten Positionen ist zudem durchwegs festzustellen, wie die Vorstellung von Effizienzsteigerungen durch Computer strapaziert wurde. Nicht nur lassen sich solche Argumente in den Werbematerialien und Benutzungsanleitungen diverser Computermodelle finden, sondern diese wurden auch meist unhinterfragt von einer Vielzahl an Forscher_innen und Techniker_innen als leitendes Konstruktionsprinzip herangezogen. Insofern wäre es gerechtfertigt, die dabei entwickelte Architektur von Computern als wichtigen Aspekt 'neoliberaler' Entwicklungstendenzen zu problematisieren. Denn es liegt auf der Hand, dass solche ideologischen Vorstellungen in die technischen Konstruktionen 'eingeschrieben' werden. Im Fall des Computers als Schreibmaschine wären damit überprüfenswerte Konsequenzen für die Produktion von Texten verbunden, wie jene des 'Publish or Perish' im Wissenschaftsbetrieb. Weil Technikgeschichte selten ohne Zukunftsperspektiven auskommt, setzt sich Heilmann zum Abschluss seiner Untersuchung in aller Kürze mit der "Vorstellung eines Wesens digitaler Objekte" auseinander (S. 245). Dies ist ein seit vielen Jahren in Umlauf gebrachtes Postulat, um damit die Weiterentwicklung des Internets zu einem Semantic Web zu skizzieren. Heilmanns Hinterfragung dieser Begrifflichkeit eignet sich hervorragend für weitere, tiefer greifende Debatten über die damit verbundene Vernetzung und Transformation möglichst vieler Lebensbereiche in die Domäne digitaler Objekte. So zeigt eben auch die Textverarbeitung am Computer, dass sich das Ende des 19. Jahrhunderts "von der mechanischen Schreibmaschine […] hergebrachte Modell der modernen 'Schreibszene' […] allen technologischen Neuerungen gegenüber als äußerst widerständig erwiesen" hat (S. 253), erkennbar daran, dass sich "das grundlegende Schema aus Tastenfeld und Schreibfläche" trotz aller technologischen Errungenschaften nicht wesentlich verändert hat (ebd.). Häufig bleiben bei Darstellungen der Computergeschichte die "erheblichen technischen, ökonomischen, funktionalen und kulturellen Veränderungen" unberücksichtigt, die den Wandel "im Verständnis von Rechenmaschinen" begleiteten (S. 50). Leider werden solche weiterreichenden Untersuchungen auch von Heilmann oft nur angedeutet, da sein Zugang letztlich in einem diskursiven Nacherzählen von Technikgeschichte verharrt. Andererseits hätte eine multiperspektivische Diagnose wohl den Rahmen seiner Untersuchung gesprengt. Als Basis für weitere Analysen in diese Richtung stellt seine Darstellung aber wertvolles Material zur Verfügung. Versehen mit einem nützlichen Index, werden die technischen Voraussetzungen und Entscheidungen dargelegt, die die (Weiter-)Entwicklung von Textverarbeitung am Computer vorantrieben. Eine Geschichte, die sich nach Heilmann "vermutlich noch länger fortsetzen" wird. Denn auch wenn eine immer größere Anzahl an Computern oft unbemerkt in diversen alltäglichen Geräten integriert sind, die entgegen dem Prinzip der universalen Rechenmaschine auf spezifische Einsatzgebiete eingeschränkt sind, wird der "Schreibtisch-Computer – mehr denn je – als Medium der Schrift" bleiben (S. 253, H. i. O.). Es ist auch dieser unaufgeregte Tonfall, der Heilmanns Untersuchung von vielen anderen Geschichtsdarstellungen des Computers wohltuend unterscheidet.