"Spätestens seit dem Frühjahr 2000 wussten die Verfassungsschützer von der Terrorgruppe NSU und ihrem Vorhaben, schwerste Straftaten zu begehen. Die Autoren zeichnen nach, wie die Sicherheitsbehörden die Aufklärung ihres fatalen Versagens systematisch blockieren. Ihr Fazit: Zumindest in Ansätzen existiert auch hierzulande ein 'tiefer Staat' der Geheimdienste - ohne jede Transparenz und Kontrolle." (Autorenreferat)
"Ob der Streit um die Beschneidung oder die Debatte um die Ausrichtung der katholischen Kirche nach Benedikt und vor Franziskus: Überall wird um die Zukunft der religiösen Traditionen gerungen. Im Kern geht es jedoch um etwas Anderes, das weit darüber hinausreicht: Den Religionsgemeinschaften als solchen steht - bei Strafe des Untergangs - eine große Transformation bevor. Die Debatte dreht sich um folgende Fragen: Was bedeutet moderne Religiosität? Was wird sie sein - und wie kann sie noch von nicht-religiösen Weltanschauungen aus kritisiert werden? Wie sind heute spezifisch religiöse Identitäten überhaupt noch möglich?" (Autorenreferat)
"Den einen gilt Indien als Wirtschaftswunder, den anderen als Entwicklungsland. Tatsächlich durchlebt Indien eine Periode raschen Wachstums und dramatischer Ungleichheit. Die Autoren analysieren Chancen und Spaltungen des Milliarde-Menschen-Landes. Ihr Fazit: Ohne eine neue, phantasievolle demokratische Praxis wird die fatale mediale und ökonomische Konzentration auf das Leben einer Minderheit von Alt- und Neureichen nicht zu überwinden sein." (Autorenreferat)
Gerade heute, angesichts dramatischer Verteilungskämpfe zwischen Arbeitsplatzbesitzern und Arbeitsplatzlosen nicht nur in Europa, gilt es am utopischen Kern der Marxschen Überlegungen festzuhalten: Die Aufhebung von Arbeitsteilung ist ein wesentliches Element der Emanzipation der Menschen, die mit der Selbstzerrissenheit der Gesellschaft gleichzeitig die entfremdende Spaltung in den Subjekten aufhebt. Der Verfasser hebt hervor, dass alle die von Marx und Engels bezeichneten Utopien im Reich der Freiheit nicht als Motivationskräfte der revolutionären Veränderung in die Bildung und Erziehung der Subjekte eingehen, sondern erst mit der Veränderung der objektiven Machtverhältnisse wirksam werden. Hierin steckt bis heute ein enormer Stachel: nämlich der Widerspruch zwischen der in der bürgerlichen Arbeitsgesellschaft mit ihrer verinnerlichten Arbeitsmoral angelegten gewaltigen Reichtumsproduktion auf der einen Seite und den immer verengteren Formen, in denen dieser Reichtum verteilt und dem gesellschaftlichen Ganzen zunutze gemacht werden kann, auf der anderen. Auf Europa als "konkrete Utopie" bezogen bedeutet dies: Die Weiterentwicklung des Sozialstaats ist und bleibt ein wesentliches Element im Prozess der europäischen Einigung. Diese wird nur dann erfolgreich sein, wenn sie von unten gestützt wird, wenn sie ein soziales Fundament hat. (ICF2)
Die Piraten verstehen sich als politische Systemadministratoren, die das Ziel verfolgen, "das Betriebssystem ihrer Staaten auszutauschen, mindestens aber es herunterzufahren, gründlich zu reparieren und neu zu starten". Das neue Betriebssystem soll sich durch basisdemokratische Entscheidungsstrukturen, transparente Verfahren und größtmögliche Freiheit auszeichnen. Ihr Erfolg zwingt die Piratenpartei jedoch, sich über diese prozeduralen Fragen und die Netzpolitik hinaus auch zu anderen politischen Themen zu äußern. Im Zuge der programmatischen Debatten kommen die Piraten dabei nicht umhin, auch ihre Kernforderungen -Basisdemokratie, Transparenz und Freiheit - zu hinterfragen. Die Folge dieser Entwicklung ist absehbar: Die Piratenpartei ist auf dem besten Wege, ihre Alleinstellungsmerkmale zu verlieren und eine ganz normale Partei zu werden. Sie steht damit vor einem schwierigen Spagat, denn kurz- oder langfristig wird sie ihren Repräsentanten im Parteivorstand und in den Parlamenten mehr politische Verantwortung einräumen müssen. Dabei wird sie voraussichtlich gezwungen sein, einen Kompromiss zwischen ihren eigenen politischen Ansprüchen und den Anforderungen einer parlamentarischen Partei auf Kosten ihrer basisdemokratischen Prinzipien zu finden. (ICI2)
"Über das Verhältnis von Staat und Demokratie wird spätestens seit Hegel und Marx immer wieder kritisch nachgedacht. Anknüpfend an diese theoretischen Vorarbeiten entwirft der Autor sein Konzept der 'rebellierenden Demokratie'. Demnach steht der Staat in einem ständigen Konfliktverhältnis zur Demokratie. Wahre Demokratie verlangt somit stets nach Rebellion und einer Politisierung der Zivilgesellschaft." (Autorenreferat)
Ein strafrechtlich bewehrtes generelles Verbot der Knabenbeschneidung wäre jedenfalls ein zu drastischer Eingriff. Es geht hier nämlich nicht nur um periphere Fragen von Brauchtumspflege, sondern um einen Kernbereich eines breit geteilten religiösen Selbstverständnisses. Viele der hier lebenden jüdischen und muslimischen Eltern würden eine generelle Verbotsregelung als staatliche Verweigerung des Rechts ansehen, ihre Söhne in die Glaubensgemeinschaft rituell einzuführen. Diskreditierende Bezeichnungen der Beschneidung als "barbarische Praxis", "Verstümmelung" oder "Angriff auf wehrlose Kinder" haben unter Juden und Muslimen daher tiefe Verbitterung ausgelöst. Denn viele muslimische oder jüdische Eltern verstehen den Akt der Beschneidung gerade als Ausdruck ihrer Sorge um das Kindeswohl, das für sie die Einführung in die religiöse Gemeinschaft einschließt. Damit stellt sich schließlich die Frage nach dem Verhältnis von elterlichem Sorgerecht und der Selbstbestimmung des Kindes in Fragen von Religion und Weltanschauung. Beide Aspekte gehören als Bestandteile der Religionsfreiheit grundsätzlich gewahrt. Deshalb wäre ein generelles Verbot der religiös motivierten Knabenbeschneidung sicher unverhältnismäßig. (ICF2)
Die große journalistische Begeisterung für den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück rührt nach Meinung des Autors in erster Linie aus dem Wissen, dass die anderen beiden Kandidaten der ungeliebten Troika aus je eigenen Gründen deutlich weniger Chancen gehabt hätten. Peer Steinbrück war zudem der Einzige, der den erforderlichen Willen zur Kandidatur tatsächlich hatte. Auch das aus banalem Grund: Im Gegensatz zu Frank-Walter Steinmeier (56) und Sigmar Gabriel (53) ist es für Steinbrück die letzte Chance. Zum Zeitpunkt der Wahl wird der Ex-Finanzminister 66 Jahre alt sein und hat schlicht nichts mehr zu verlieren. Den Ausschlag für Steinbrück gaben am Ende also nicht politisch-inhaltliche, sondern allein demoskopische Gründe. Die Frage ist nur, wie und mit welcher Regierung er den von ihm selbst erhobenen Anspruch in die Tat umsetzen will, Schwarz-Gelb nicht nur teilweise, sondern in Gänze zu ersetzen. Bisher jedenfalls verbindet sich mit dem Kandidaten Steinbrück weder eine auch nur einigermaßen realistische Koalitionsoption noch die Aussicht auf einen grundlegenden Politikwechsel. (ICI2)
"Die Freude über die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union war groß. Dabei ist der aktuelle Umgang mit der neuerdings preisgekrönten Idee der europäischen Einigung nur schwerlich preisverdächtig. Die europäische Krise - sie ist auch eine Krise der demokratischen Legitimation. Ihre Lösung, so die beiden Autoren, kann nur darin liegen, die Gestaltung des Einigungsprozesses normativ neu zu denken und damit die Grundlagen der EU zu demokratisieren." (Autorenreferat)
Spätestens seit dem Ende des Ost-West-Konflikts gilt die liberale, repräsentative Demokratie als das beste bisher bekannte Regierungssystem, und ein Vierteljahrhundert ist es nun bald her, dass die Bürger in ganz Osteuropa für mehr Demokratie auf die Straße gingen. Doch die tatsächliche Umsetzung der demokratischen Idee sorgt mittlerweile weltweit für Enttäuschung. Inzwischen ist viel geschehen - Terrorismusattentate in New York, Atomkatastrophe in Fukushima, Revolutionen in den arabischen Ländern -, so dass die Demokratiefrage auf der ganzen Welt inzwischen nur noch durch Schichten traumatischer Erfahrungen wahrgenommen wird. Der Autor möchte daher versuchen, einige Aspekte der postkommunistischen Demokratieenttäuschungen neu zu durchdenken und in einen größeren Rahmen zu stellen: nämlich in den Kontext einer Entwicklung, die nur als globale Unzufriedenheit mit der Demokratie bezeichnen kann. Er geht in seinem Beitrag den Ursachen für diese Desillusionierung näher auf den Grund. Westliche wie östliche Demokratien stehen nach seiner Ansicht vor ähnlichen strukturellen Problemen, die die normalen Bürger in eine Abhängigkeit von den herrschenden Eliten bringen. (ICI2)
"Gegründet als Staat freier und gleicher Bürger, läuft Israel heute Gefahr, seine eigenen demokratischen Ideale über Bord zu werfen. Um sich als freiheitliche Demokratie neu zu gründen, muss das Land wichtige Veränderungen in Angriff nehmen. Welche dies sind und wie sie umgesetzt werden können, analysiert der Autor. Er warnt davor, die Besatzung fortzusetzen und plädiert für einen Staat, der seine Minderheiten schützt und allen Bürgern die gleichen Freiheiten zugesteht." (Autorenreferat)
Der Verfasser argumentiert, dass Romney nicht schlimmer als irgendein anderer Kasinokapitalist des neuen 'Gilded Age' ist. Alle haben in großem Stil spekuliert: Ging ihr Plan auf, haben sie enorm abkassiert. Ging die Sache jedoch schief, haben sie die Risiken und Kosten auf andere abgewälzt. Viele von ihnen rechtfertigen ihren wachsenden Reichtum ebenso wie die wachsende Armut großer Teile der restlichen Bevölkerung mit Überzeugungen, die dem Sozialdarwinismus verblüffend ähneln. Im Unterschied zu anderen Kasinokapitalisten ist Romney allerdings der einzige, der sich um die Präsidentschaft bewirbt - und dies ausgerechnet in einem historischen Augenblick, in dem seine Auffassungen und Praktiken genau wie vor hundert Jahren unverkennbar die Lebensverhältnisse der restlichen Nation bedrohen. Romney gibt sich als Geschäftsmann aus, der Arbeitsplätze schafft, aber in Wahrheit ist er ein gewöhnlicher Großspekulant wie so viele andere in dieser Epoche der Finanzdeals - ein fetter Kater in einer Ära außergewöhnlich korpulenter Raubkatzen, ein Plutokrat in diesem neuen Zeitalter der Plutokratie. (ICF2)
Vielen Bürgerinitiativen geht selbst die Verlegung von Erdkabeln in einigen Streckenabschnitten nicht weit genug. Sie plädieren für eine weitergehende technische Alternative und zwar für eine vollständige Erdverkabelung auf Gleichstrom- statt auf "herkömmlicher" Wechselstrom-Basis. Dabei handelt es sich um eine relativ neue Technologie, die sogenannte Hochspannungs-Gleichstromübertragung (HGÜ). HGÜ-Leitungen verursachen keine elektromagnetische Strahlung und übertragen Elektrizität über große Strecken ab etwa 500 Kilometer zudem verlustärmer als die bestehenden Leitungen. Die Energie aus den Offshore-Windparks könnte mit HGÜ-Leitungen an die Küste und von dort direkt zu den Verbrauchern in Süd- und Westdeutschland transportiert werden, ohne einen Stau im überlasteten Wechselstromnetz zu produzieren. Zusätzlich heizt die Deutsche Energieagentur (DENA) die Proteste mit ihrer rückwärts gewandten Energiepolitik an. Der eigentliche Erfolg der Protestierenden liegt darin, dass es ihnen gelungen ist, den Raum für eine öffentliche Debatte zu schaffen. Das Zeitfenster sollten beide Seiten nun nutzen, um gemeinsam Lösungen zu finden, wie der erforderliche Netzausbau einvernehmlich gestaltet werden kann. Angesichts des aufgeheizten Konflikts wäre zuallererst ein Moratorium für den Neubau von Kohlekraftwerken - zumindest an küstennahen Standorte - notwendig. (ICF2)
"Ein wichtiger Bestandteil der romantischen Liebe ist seit jeher die Aufwertung des eigenen Ichs durch den Blick des Anderen, des oder der Liebenden. Wie sich die Bedeutung dieser Anerkennung in der Moderne fundamental verändert hat, beschreibt die Autorin. Anders als früher ist heute die Anerkennung des Selbst und seine Bestätigung in Liebesbeziehungen von viel größerer, ja von existenzieller Wichtigkeit. Faktisch ist sie an die Stelle der Anerkennung durch Klassenzugehörigkeit getreten." (Autorenreferat)
Für die Menschen in Serbien scheint der ökonomische Ruin Südosteuropas, bedingt durch die misslungene "Transition" zur Marktwirtschaft und verstärkt durch die Krise der Eurozone, unaufhaltbar. Doch anstatt zu protestieren, versucht sich ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung mit den politischen Gegebenheiten zu arrangieren: Etwa eine Million Menschen sind Parteimitglieder, eine weitere Million ist auf andere Weise an die politischen Parteien angebunden, Tendenz steigend. Dabei wachsen erwartungsgemäß die Mitgliederzahlen jener Parteien, denen man die Teilnahme an der Regierungskoalition zutraut. Die Zugehörigkeit zu einer Partei ist, wie die Erfahrung zeigt, entscheidend, wenn es um die Vergabe der begehrten öffentlichen Ämter und zum Teil auch anderer Jobs geht. Mangels realistischer Alternativen wird auch die altbekannte neue Regierung den Wirtschaftskurs ihrer Vorläuferin fortsetzen: Man wird auf neue Kredite des IWF hoffen, dafür weitere Einsparungen im Haushalt, vor allem bei den ohnehin mickrigen Sozialleistungen hinnehmen und die wenigen übrig gebliebenen rentablen Unternehmen im Staatseigentum früher oder später privatisieren. (ICF2)