Großbritannien: Riot oder Revolte
In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Band 56, Heft 9, S. 13-16
Nachdem Großbritannien heftig von der Finanzkrise getroffen wurde und hoch verschuldet ist, hat das Kabinett mit 94 Mrd. Euro das größte Kürzungsprogramm der britischen Geschichte verabschiedet. Kein Industrieland spart mehr. Im öffentlichen Dienst wurde massiv gestrichen, Wohlfahrtsleistungen gekürzt, die Ausbildungsförderung für Kinder aus sozial schwachen Familien gänzlich abgeschafft, die Studiengebühren verdreifacht und Zuwendungen für Jugendförderung und -integration in sozial schwachen Gegenden zusammengestrichen. In den unterprivilegierten Schichten, so wird von konservativer Seite immer wieder beklagt, gebe es vorwiegend sogenannte dysfunktionale Familien, die keine Normen mehr vermitteln und keine gesellschaftliche Integration leisten würden. Aber mit der nahezu flächendeckenden Schließung von Jugendclubs und der Streichung von Sozialarbeiterstellen wird von staatlicher Seite soziale Kohäsion und moralische Integration geradezu verhindert. So gesehen folgen die Unruhen tatsächlich einer "(a)moralischen Ökonomie", in der man der eigenen Enteignung mit dem Mittel der Plünderung begegnet. Die Riots folgen keinen konventionellen, legitimen und demokratischen Protestformen, beachten keine sozialen Regeln, Normen und Ordnungen. Hier sind jedoch nicht einfache Kriminelle am Werk. Die Plünderungen sind gewissermaßen abnorme Kämpfe um Teilhabe in einer Gesellschaft, in der die Moral von den Eliten beständig unterlaufen wird. (ICF2)