Entwicklungen von Governance im Mehrebenensystem der EU
In: Politische Vierteljahresschrift: PVS : German political science quarterly, Heft 40, S. 36-57
ISSN: 0032-3470
"Die Konjunktur des Begriffs Governance in der Europaforschung steht in Zusammenhang mit dem Übergang von der Wirtschaftsgemeinschaft zur Politischen Union. Den Ansprüchen, die mit diesem Integrationsschritt verbunden waren, standen Restriktionen des Regierens entgegen, die aus Kompetenzordnung und der Gewaltenteilung der EU resultieren. Mit Governance oder 'new modes of governance' bezeichnete man die Auswege aus dieser Schwierigkeit. Es wäre allerdings verfehlt, Governance deswegen auf 'weiche' Steuerung zu reduzieren. Solche Charakterisierungen entspringen einer Verwendung von Governance, die die Komplexität der realen Struktur-Prozess-Zusammenhänge nicht beachtet. In dem Beitrag wird dafür plädiert, in der Governance-Forschung die notwendige Komplexität der Analyse zu erhalten. Zwar ist es erforderlich, in politischen Prozessen die grundlegenden institutionellen Regeln, Formen der Interaktion und Mechanismen der Koordination zu identifizieren. In der Realität beobachten wir aber regelmäßig Kombinationen von Formen und Mechanismen des kollektiven Handelns und in Mehrebenensystemen stehen Akteure immer in mehreren institutionellen Kontexten. Die jeweiligen Kombinationen resultieren aus den Bemühungen der Akteure, mit den Restriktionen umzugehen, die ihnen die Institutionen setzen. Sie bieten Variationsspielräume, die je nach Entscheidungssituation genutzt werden können; aber wenn mehrere Koordinationsmechanismen die Interaktionen lenken, können auch erhebliche Störungen des Policy-Making entstehen. Mit dieser Perspektive können wir ein besseres Verständnis der Funktionsweise, der Schwierigkeiten und der Dynamik von Politik im europäischen Mehrebenensystem gewinnen." (Autorenreferat)