Um die Internationalisierung der Lehrkräftebildung voranzutreiben, gibt es viele Wege – einer davon heißt Mobilität. Binnen der letzten Dekade wurde die Forderung nach einer erweiterten Lehramtsausbildung seitens der Bildungs- und Forschungslandschaft immer lauter. Aspekte wie das Erlernen eines adäquaten Umgangs mit sprachlicher und kultureller Vielfalt seien unabdingbare Komponenten der Lehrkräftebildung, die es zu fördern gilt. Zahlreiche Untersuchungen bilden bereits valide Evidenz für das Vorhaben. Doch welchen konkreten Effekt hat die Mobilität von Studierenden – genauer die Auslandsmobilität – auf die Internationalisierung der Lehrkräftebildung? In welchem Umfang ist sie wie und wo möglich? Wozu kann und sollte sie bestenfalls beitragen? Decken sich Erwartungen seitens der Lehramtsstudierenden mit dem tatsächlichen Ertrag? Und welche Funktionen erfüllen dabei Programme wie SCHULWÄRTS! des Goethe-Instituts? Für den vorliegenden Sammelband stellt der SCHULWÄRTS!-Forschungshub aktuelle Untersuchungen rund um das Thema der Internationalisierung der Lehrkräftebildung aus den unterschiedlichsten Fachdisziplinen zusammen: Kulturtheorie, Erziehungswissenschaft, Fachdidaktik, Schulpraxis, Internationale Lehrkräftebildung & Bildungsforschung sowie Bildungspolitik geben Einblicke und erste Erkenntnisse aus theoretischen und empirischen Forschungsarbeiten. (DIPF/Orig.)
Aus der Einleitung: Kontroverse Debatten um Integrationsfragen sind dauerpräsent in den deutschen Medien: Ehrenmorde, Zwangsehen, Hilferufe von Lehrern aus ethnischen Kolonien in Berlin, oder Ausschreitungen in den Pariser Vorstädten lieferten hier medienwirksame Anlässe. Integration ist ein gesellschaftspolitisches Thema, das immer dann in den Fokus der Öffentlichkeit rückt, wenn Defizite in der Eingliederungspolitik sichtbar werden. Die Diskussionen sind dabei häufig von Gemeinplätzen begleitet. Je nach Einschätzung der Integrationssituation werden Parallelgesellschaften angeprangert oder Multi-Kulti-Utopien beschworen. Als Reaktion auf die angespannte Lage zwischen ethnischen Minderheiten und Mehrheitsgesellschaft, berufen sich Politiker gerne auf den Sport. Die Welt des Sports ist eine bunte. In den Nationalmannschaften Deutschlands sind Sportler jeglicher Hautfarbe vertreten. Fußballnationalspieler, mit Namen, wie Asamoah, Klose und Odonkor sind gefeierte Stars. Der Sport ist ein positiv besetzter Lebensbereich und verleitet Funktionäre und Politiker auf der Jagd nach Wählerstimmen dazu ihn als das ideale Integrationsmedium anzupreisen: 'Sport ist nicht Mittel zur Integration, Sport ist Integration.' Dieses Zitat von DOSB-Präsident Thomas Bach ist nur eines von zahlreichen Beispielen. Insbesondere dem organisierten Sport werden dabei positive soziale Funktionen zugeschrieben. Den wissenschaftlichen Beleg bleiben die Betroffenen schuldig. Was also kann der Sport tatsächlich leisten? Wo liegt, jenseits leerer Floskeln, sein Potential und wo birgt er Risiken? Die Staatsministerin für Integration, Maria Böhmer erklärt: 'Sport ist einer der wichtigsten Integrationsmotoren in unserem Land.' Derartige Statements implizieren einerseits, dass eine hohe Sportbeteiligung der Migranten gegeben sei und anderseits eine quasi automatische Eingliederungsgarantie durch die sportliche Teilnahme gewährleistet würde. Ausgehend von dieser öffentlichen Diskussion stützt sich die nachfolgende Arbeit auf folgende Fragestellungen: In welchem Maße unterscheidet sich die Lebewelt von Migranten, von der Einheimischer? In welcher Zahl und Organisationsform sind Migranten im Vereinsport präsent? Wie wirkt sich die Art der Sportorganisation auf die Integration von Migranten aus? Welche Prozesse sind verantwortlich für ethnisch-kulturelle Konflikte? Wie muss sich der organisierte Sport aufstellen, um sein integratives Potential zu entfalten?Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: INHALTSVERZEICHNIS3 1.EINLEITUNG7 1.1Problemstellung - Zielsetzung7 2.MIGRANTEN IN DEUTSCHLAND8 2.1Der lange Weg in das Einwanderungsland Deutschland9 2.2Migrantensozialisation - Zwischen Aufnahme- und Herkunftsgesellschaft12 2.2.1Familie im Wandel13 2.2.2Identitätsfindung15 3.PARTIZIPATIONSFORMEN VON MIGRANTEN AM ORGANISIERTEN SPORT?17 3.1Gesellschaftliche Partizipation der ethnischen Minderheiten allgemein und im Sport17 3.2Die Integration von Migranten in deutschen Sportvereinen19 3.2.1Das Programm "Integration durch Sport"20 3.2.2Fazit22 3.3Die Integration von Migranten in eigenethnischen Sportvereinen23 3.3.1Entstehung, Funktionen und Dysfunktionen Ethnischer Kolonien23 3.3.2Entstehungsprozesse eigenethnischer (Sport)Vereine25 3.3.3Der eigenethnische Verein: Integrationshindernis oder Mittel zur Binnenintegration?27 3.3.5Fazit33 3.4Migrantinnen - Sportinteressiert doch sportabstinent35 3.4.1Lebenslagen muslimischer Frauen in Deutschland und deren Auswirkungen auf das Sportengagement36 3.4.2Sportengagement bei türkischen Muslima - Ein Drahtseilakt zwischen zwei Welten38 3.4.3Modellprojekte zur Integration von Migrantinnen im und durch den Sport41 3.4.4Fazit43 4.ETHNISCH-KULTURELLE KONFLIKTE IM SPORT44 4.1Ursachen für ethnisch-kulturelle Konflikte im Sport46 4.1.1Das Problem der körperlichen Fremdheit49 5.EXKURS: WANN IST MAN INTEGRIERT?51 5.1Ausgewählte Theorien aus der Migrationsforschung52 5.1.1Die Assimilationstheorie von Milton M. Gordon52 5.1.2Die Assimilationstheorie von Hartmut Esser54 6.MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN DES SPORTS BEI DER INTEGRATION VON MIGRANTEN56 6.1Potentiale und Risiken des Sports als Feld sozialer Integration56 6.2Wie kann der Sport(verein) sein integratives Potential entfalten?57 6.2.1Interkulturelles Lernen in multikulturellen Gesellschaften57 6.2.2Interkulturelles Lernen im Sport59 6.2.3Voraussetzungen für interkulturelles Lernen im Sport61 7.ANGEWANDTE SOZIALFORSCHUNG: DER EIGENETHNISCHE VEREIN: INTEGRATION ODER SEGREGATION?62 7.1Untersuchungsinstrument62 7.2Inhalt der Untersuchung63 7.3Auswahl der Befragten65 7.4Durchführung der Interviews66 7.5Auswertungsmethode66 7.6Interpretative Darstellung der Untersuchungsergebnisse67 7.6.1Erfahrungen der türkischen Befragten im deutschen Fußballverein67 7.6.2Gründe für den Wechsel in den eigenethnischen Verein69 7.6.3Konflikte zwischen deutschen und türkischen Mannschaften75 7.6.4Der Einfluss von Schiedsrichtern, Fußballverband und Sportamt auf die interethnischen Beziehungen77 7.6.5Der türkische Sportverein: Integration vs. Segregation81 7.7Diskussion der Ergebnisse92 8.FAZIT UND AUSBLICK93 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS96 ABBILDUNGS- UND TABELLENVERZEICHNIS96 BILDNACHWEIS97 LITERATURVERZEICHNIS97 ANHANG106Textprobe:Textprobe: Kapitel 3.4, Migrantinnen – Sportinteressiert doch sportabstinent: Die Zahl der regelmäßig in formellen Gruppen sporttreibenden Mädchen mit Migrationshintergrund ist kaum bezifferbar. KLEINDIENST-CACHAY führt eine Jugendsportstudie des Landes Nordrhein-Westfalens von 1992 an, wonach 35,5% der Mädchen des 3-5 Schuljahres angaben organisiert Sport zu treiben. Davon 45% Deutsche aber nur 13,9 Migrantinnen. Nach Spezifizierung in ethnische Gruppen ergab sich, dass 15,9% Aussiedlerinnen, 22,6% Sonstige Ausländerinnen und lediglich 3,1% türkische Mädchen Mitglied in einem Sportverein waren. BRÖSKAMP gibt an, dass der Anteil türkischer Mädchen und Frauen in den Sportvereinen Westberlins im Jahr 1990 bei 6,7% lag. Eine Untersuchung des deutschen Jugendinstituts aus dem Jahr 2000 kommt nach der Befragung von fünf bis elf jährigen Kindern Nicht-deutscher Herkunft zu dem Ergebnis, dass nur jedes siebte Mädchen sportlich aktiv ist. Neben 52 % der Jungen im Alter von zehn bis elf Jahren, treiben immerhin 21% der Mädchen organisiert Sport. Insgesamt lässt sich feststellen, dass der Sport, trotz des leicht verbesserten Ergebnisses der neueren Untersuchung, in der Freizeitgestaltung der Mädchen mit Migrationshintergrund kaum eine Rolle zu spielen scheint. Dabei gibt es je nach ethnischer Zugehörigkeit starke Differenzen im Sportengagement. Vor allem bei türkischen Mädchen ist eine deutliche Sportabstinenz zu konstatieren. Aus diesem Grunde soll im Folgenden der Schwerpunkt vor allem auf die Integration muslimischer Frauen im und durch den Sport gelegt werden. Die Integration läuft dabei auf verschiedenen Ebenen ab. Nicht nur die bloße Teilnahme am organisierten Sport ist bedeutsam. Es sollten darüber hinaus Prozesse angestoßen werden, die es den Migrantinnen ermöglichen einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Hier können interethnische Sozialkontakte das wechselseitige Verständnis der Sportler füreinander verbessern und die Sprachkompetenzen der Frauen mit Migrationshintergrund stärken. Über das Engagement im Sport sollten sich ferner neue Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten ergeben. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Enstigmatisierung und soziale Anerkennung, die über den Sport erfahren werden kann. Dabei darf die Rolle des Sports allerdings nicht überschätzt werden. KLEINDIENST-CACHAY warnt davor, die Integration muslimischer Frauen im Sinne von Assimilation, also der Anpassung an westliche Werte, zu messen und die türkische Kultur als einheitlich zu typisieren. Im Gegenteil sei die Gruppe der türkischen Migrantinnen sehr heterogen und müsse deshalb auch unterschiedlich beforscht werden. Wichtige Faktoren sei hierbei unter anderem der Grad ihrer Verpflichtung zu traditionell muslimischen Verhaltensweisen oder der Grad der Ablösung davon. Im Gegensatz zur Assimilation sollte Integration im Sinne einer Teilhabe an der Aufnahmegesellschaft und der eigenethnischen Community verstanden werden, so dass die Migrantinnen soziale Anerkennung von beiden Teilgesellschaften erlangen. Auf die Schwierigkeit ein solches Gleichgewicht zwischen der eigenen ethnischen Community und der Kultur der Mehrheitsgesellschaft zu erlangen, soll im Kapitel 3.4.3 eingegangen werden. Kapitel 3.4.1, Lebenslagen muslimischer Frauen in Deutschland und deren Auswirkungen auf das Sportengagement: Die Lebenslagen muslimischer Frauen in Deutschland werden von verschiedenen Faktoren wie der Dauer des Aufenthaltes und der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Einwanderergeneration beeinflusst. Neben der Nationalität, der Intensität der Religionsausübung sowie dem Festhalten an religiösen und allgemeinen Werten und Normen der Herkunftskultur spielen dabei auch das Bildungsniveau, die Berufstätigkeit sowie die soziale Herkunft der Familie eine wichtige Rolle. Von der muslimischen Frau zu sprechen würde dem Sachverhalt demnach nicht gerecht werden. Gemeinsam verbindet die Frauen lediglich die Herkunft aus einem islamisch-kulturell geprägten Umfeld. Hier stellt sich die Frage inwieweit der Islam sportliche Aktivitäten generell und sportliches Engagement von Frauen im Besonderen beeinflusst. Nach PFISTER gibt der Islam jedoch kein generelles Sportverbot vor. Er schreibt aber Gebote vor, die es auch im Sport einzuhalten gilt. Dazu zählen, das Bedeckungsgebot sowie die Trennung der Geschlechter. Da das Bedeckungsgebot erfordert, dass der ganze Körper der Frau mit Ausnahme der Hände, Füße und des Gesichtes verhüllt sein muss, ist die übliche Sportbekleidung vor allem für Frauen aus traditionellen muslimischen Familien tabu. Die Gebote sind in traditionellen Familien vor dem Hintergrund des Virginitätsgebotes und der davon abhängigen Familienehre besonders zu berücksichtigen. Die Virginität verkörpert gewissermaßen das symbolische Vermögen der Familie. Ein vorehelicher Verlust kann in muslimischen Familien katastrophale Folgen haben. So wird z.B. einigen Mädchen das Fahrradfahren untersagt, aus Angst das Jungfernhäutchen könnte beschädigt werden. Werden die genannten Gebote bzw. Verbote eingehalten, ist Sport, wenn auch unter erschwerten Bedingungen, grundsätzlich möglich. Wodurch lässt sich also die Sportabstinenz vor allem türkischer Mädchen erklären? Ein Grund scheint die gesellschaftliche Isolation zu sein. Auch Migrantinnen der zweiten und dritten Generationen sind noch immer stark im familiären Kontext eingebunden, was sich unter anderem negativ auf die Sprachentwicklung auswirken kann. Sie sind außerdem zu einem geringeren Grad erwerbstätig. Mädchen aus türkischen Familien mit niedrigem sozialem Status treiben weniger Sport. Gleiches gilt in stärkerem Maße für ein niedriges Bildungsniveau. Nach BECKER werden Mädchen aus sozialen Brennpunkten häufig als Zweitmutter eingesetzt. Sie müssen jüngere Familienmitglieder beaufsichtigen und häusliche Arbeiten verrichten. Dies bedeutet nicht nur ein frühes Erwachsenwerden sondern zum Teil auch die Isolation von öffentlichen Interaktionen. Zudem sind die Mädchen nicht nur im häuslichen Bereich verstärkt der Kontrolle ihrer Eltern ausgesetzt. Der geringe Organisationsgrad im Sport kann durch beidseitig bestehende Informationsdefizite erklärt werden. Auch bestehende Vorurteile bzw. Vorbehalte gegenüber einem Mehraufwand, den die Arbeit mit Migrantinnen mit sich bringen würde spielen hier eine wichtige Rolle. Es scheint sowohl an Organisationsformen als auch an Inhalten zu mangeln, die die Mädchen mit Migrationshintergrund ansprechen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der moderne Sport nach angloamerikanischen Modell nicht in die traditionelle türkische Kultur großer Teile der Bevölkerung passt. Die Mehrheit der türkischen Bevölkerung fühlt sich nicht zu sportlichen Aktivitäten aufgefordert, da sie Sport mit Hochleistungssport gleichsetzt. KLEINDIENST-CACHAY macht deutlich, dass die Sportabstinenz bei den Mädchen mit Migrationshintergrund nicht mit einem mangelnden Interesse am Sporttreiben zu begründen ist. Im Gegenteil wünschten sich viele Mädchen in der Freizeit mehr Sport zu treiben. Vor allem türkische Mädchen würden sich hierfür reine Mädchengruppen wünschen. Fehlende zielgruppenorientierte Sportangebote scheinen hier mitverantwortlich für das geringe Sportengagement zu sein. Daneben mangelt es vielen eigenethnischen Vereinen an Problembewusstsein und Interesse an der sportlichen Betätigung ihrer Frauen. Um trotz der genannten Hürden, den Weg in den Verein zu finden, müssen die Mädchen häufig eine Strategie der sanften Durchsetzung gegenüber ihrer Eltern anwenden. Dies soll im folgenden Kapitel expliziert werden. Kapitel 3.4.2, Sportengagement bei türkischen Muslima – Ein Drahtseilakt zwischen zwei Welten: Ein Grund für die Sportabstinenz von muslimischen Migrantinnen können die innerfamiliären Konflikte sein, die durch eine Teilnahme am organisierten Sport provoziert werden. Denn das Sportengagement der Töchter steht nicht selten den zentralen Prinzipien traditioneller muslimischer Mädchenerziehung, wie in Kapitel 3.4.2 beschrieben, entgegen. Das Ausmaß der Auseinandersetzung ist dabei abhängig davon, inwieweit sich die türkischen Eltern in Deutschland den Normen der muslimischen Mädchenerziehung verpflichtet fühlen. KLEINDIENST-CACHAY hat wettkampfmäßig sporttreibende Migrantinnen aus Gastarbeiterfamilien anhand halbstrukturierter Interviews befragt. Die Studie lässt einen typischen Prozess erkennen, der sich bei allen befragten Sportlerinnen über mehrere Jahre erstreckt und durch viele Konflikte gekennzeichnet ist: Mit Eintritt der ersten Periode stehen die Eltern den Sportwünschen ihrer Töchter abweisend entgegen. Ein Fortführen des sportlichen Engagements ist wenn überhaupt nur unter bestimmten Bedingungen möglich. Hier spielt die Wahl der Sportart eine entscheidende Rolle. Der weibliche Körper darf nicht aufreizend dargestellt werden, das Verhüllungsgebot muss respektiert werden und die Sportart sollte mit dem türkisch-muslimischen Sportverständnis vereinbar sein. In der Anfangsphase bedarf es oft der Überredungshilfe des großen Bruders oder anderer türkischer Sporttreibende aus dem Bekanntenkreis. Die Töchter müssen Tricks und Ausreden anwenden um sich den Sportzugang zu sichern. BRÖSKAMP beschreibt ähnliche Strategien. Er führt als Beispiel türkische Mädchen an, die ohne das Wissen ihrer Eltern im Rahmen des Schulsports am Schwimmunterricht teilnehmen. Daran sei erkennbar, dass zwischen den Generationen türkischer Migranten nicht selten unterschiedliche Auffassungen darüber herrschten, welche Körperinszenierung akzeptabel sei und welche nicht. Auffällig ist bei allen Mädchen, dass sie den Bruch mit der Familie bewusst vermeiden. Trotz verstärkter Individualisierungswünsche ist die Bindung an die Familie, bedingt durch die Erfahrung von Fremdheit in Deutschland, besonders stark. Eine Trennung von der Familie würde zu Marginalisierung führen und einem sozialen Tod gleichkommen. Aus diesem Grunde versuchen die jungen Migrantinnen einerseits die familialen Forderungen so gut es geht einzuhalten, während sie sich anderseits in vielen Punkten von der Familie ablösen. So müssen sie sich erst durch viel Überzeugungsarbeit, die für den Sport notwendigen Freiräume schaffen. Eine neue Konfliktdimension entsteht, wenn die Sportinteressen, die Lebenspläne der Eltern für ihre Töchter behindern. Insbesondere die sexuelle Selbstbestimmung sowie abweichende Bildungs- und Berufswünsche werden von den Eltern gefürchtet. Das Ringen um mehr Selbstbestimmtheit ist mit ständiger Angst verbunden. Der Sport wird von den Migrantinnen wie eine Gegenwelt zur starken häuslichen Einbindung und den damit verbundenen Einschränkungen erlebt. Der sportliche Erfolg lässt sie die eigene Körperlichkeit positiv erfahren, schafft Selbstbewusstsein und motiviert einige Sportlerinnen zur schulischen oder beruflichen Weiterqualifizierung. So lagen alle von KLEINDIENST-CACHAY befragten Sportlerinnen weit über dem durchschnittlichen Bildungsniveau junger türkischer Frauen in Deutschland. Zum einen lässt sich das auf die, durch den sportlichen Erfolg gesteigerte Leistungsmotivation zurückführen zum anderen scheinen die interethnischen Kontakte zu Sportlerinnen aus höheren Bildungsgängen hier einen Einfluss zu haben. Indem sich die Mädchen trotz Widerstände an das westliche Sportmodell binden, definieren sie das Geschlechterkonzept für sich neu. Sie treten aus der Opferrolle aus, indem sie türkisch-muslimische Traditionen wahren und gleichzeitig erfolgreich Leistungssport in männerdominierten Sportarten treiben. Das führte auch bei den befragten Sportlerinnen zu einer Entspannung der innerfamiliären Konfliktsituation. Die Eltern sind stolz auf den sportlichen und beruflichen Erfolg ihrer Töchter. Der besondere Sozialisationsprozess, den die Töchter durch ihr Sportengagement durchleben hat auch intergenerative Transmissionseffekte. Dies macht sich unter anderem beim Erziehungsstil, im Sportverständnis, im Ernährungs- und Bekleidungsverhalten bis hin zu internalisierten Körperpraxen zwischen Mutter und Tochter bemerkbar. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Leistungssport auf vielfältiger Ebene zur Integration der untersuchten Sportlerinnen beigetragen hat. Indikatoren dafür sind die hohen Bildungsabschlüsse sowie die hohe Zufriedenheit mit dem Leben in Deutschland, sehr gute sprachliche Fähigkeiten, die Übernahme von Funktionen im Sportverein sowie Freizeitkontakte mit Deutschen. Die Studie von KLEINDIENST-CACHAY scheint sich mit den Ergebnissen, der in Kapitel 3.3.3 erwähnten Studie von Day zu decken, wonach insbesondere Leistungssport auf strukturell-assimilativen Ebene wirke. Obwohl die Mädchen sich um die Wahrung türkisch-muslimischer Traditionen bemüht haben, ist ihr Lebensziel auf die Aufnahmegesellschaft konzentriert und löst intergenerative Transmissionsprozesse aus, die auch die Eltern ein Stück weit an die Mehrheitsgesellschaft anbinden. Über diese positiven Sozialisations- und Integrationsprozesse, darf nicht vergessen werden, dass viele muslimische Mädchen dem Druck der ständigen Auseinandersetzung mit den Eltern nicht standhalten, resignieren und sich aus dem Sport zurückziehen. Die von KLEINDIENST-CACHAY befragten Sportlerinnen sind möglicherweise von der Disposition her hoch leistungsmotivierte Frauen, für die der Sport als Katalysator gewirkt hat. Kapitel 3.4.1 hat aufgezeigt, dass viele Migrantinnen den Weg in den organisierten Sport gar nicht erst finden. Wege diese sportabstinente, wenn auch durchaus am Sport interessierte, Gruppe in den Vereinssport einzugliedern, sollen im Folgenden erörtert werden.
In: SAIS review / the Johns Hopkins Foreign Policy Institute of the Paul H. Nitze School of Advanced International Studies (SAIS): a journal of international affairs, Band 21, Heft 2, S. 139-154
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Abstract: Despite crises and uncertainty in international capital markets, foreign direct investment (FDI) by multinational enterprises (MNE) is booming. The buzzword is globalization. The business world is expected to be moving closer together through more or less recent developments in communication technologies and transportation facilities. The political ideal of democracy along with a liberalization of national economies seems to have finally gained the recognition it deserves as the system that in the end allows for the best utilization of wealth creating endowments. Besides differences in economic development, cultural differences remain as a single important means of distinguishing between people from several nations. The critical issue is that this situation is being recognized and mankind restrains from emphasizing distinctions, and instead focuses an working out compatibility between cultures. Culture has been given the attribute of being responsible for economic performance by several scholars over the past decade. The original aim has been at explaining the continuous growth of the economies of Asian NICs which, however, came to an abrupt and widely unexpected end an 2 July 1997. Still the importance of culture seems to have been underestimated, otherwise the crisis might have been foreseeable. If cultural factors are of significant importance for overall economic performance, i.e. an the macro-economic level, they must be of at least the same importance for the performance of companies that work within the particular culture, i.e. an the micro-economic level. In this case, not only local but international investors in particular are affected by their respective cultural environment as two - or even more - different cultures have to be brought to work together. Obviously, a consensus has to be found between influences from home and host country culture. This situation often is expected to be a threat to the economic performance of the MNE. However, no existing culture in the world today can be viewed as superior to others in all aspects. Moreover, each culture has positive as well as negative factors. A MNE then, if it is able to effectively bring together several cultures in order to achieve one common goal, should be able to make use of the positive sides of the cultures at its different locations. Dunning Bansal analyze the effects of culture an multinational enterprises applying John H. Dunning's "Eclectic Paradigm of International Production", which is seen as the most comprehensive approach to explaining MNE behavior. They mainly base their findings an identifying cultural influences an foreign investment in existing literature. The unequal distribution of comparative competitive advantages in different industrial sectors between countries is attributed to culture. MNEs from one country that have an advantage in one sector are found to be able to export this advantage to a foreign location at least to some extent. Home country culture is expectedly found to influence a company's perception about its ownership advantages, the necessity and its ability to internalize markets, and its perception about locational advantages in both the home and the host countries. This paper extends that point of view by taking into account not only the culture in the MNE's home country, but also cultural features in the post country. The perspective is changed in so far as the host country culture is given a greater role in influencing the MNE's perceptions about its ownership advantages and Internalization and locational opportunities. One may argue that each company has a unique business culture that is supported by the home country culture and will be taken everywhere the company goes. However, Berger found that it is not possible to export the basic cultural factors that are held responsible for economic performance. Therefore, it is desirable to integrate the MNE's business culture and the host country's culture. According to Smith, business culture is strongly dependent on national culture anyway. Therefore, in order to make this paper appiicable to all companies in one country and to make cultures comparable, it will make no difference between national culture and business culture. This implies that culture not only is a firm specific but also a location specific factor in MNE activity. Having talked about the significance of culture for MNEs, the question arises of what culture is and how exactly does it influence the. location selection of MNEs. Studies an culture have identified several categories which Dunning Bansal found to be differing only in certain minor details. In agreement with this statement, this paper focuses an the study an countries' value systems introduced by Hofstede, extended by Hofstede Bond, and restated and summarized in Hofstede. It is the most widely known and applied approach to explain international cultural differences. Moreover, it represents a strong means of analyzing the core dimensions of both home and host country culture. On the other hand, it has been shown, for example, by Aharoni and Davidson that certain country characteristics such as language and customs play a major role in MNE location. Therefore, an the basis of Terpstra David's anthropological approach, further factors from the international business environment, that are more obvious an the outer layer of a country's culture, are taken into consideration. Both the environmental factors and the underlying value system will be shown to influence and support the central prerequisite for the positive outcome of economic transactions: trust. Trust has been identified by Fukuyama and Berger as the single most important aspect influencing economic performance. The relevance of trust to economic theory, thereby, is derived from the fact that essentially economic life consists of multiple encounters between individuals. Indeed, economic transactions depend an individual decisions made within an interdependent system. If trust is lacking between the individuals the respective decisions will lead to a negative outcome of economic transactions due to rising transaction costs. Furthermore, trust can be seen as the single cultural component that is generated by interaction between people and, therefore, may be influenced by outsiders. lt is a characteristic that is shown to be of great importance to a foreign company aiming at internalizing markets in distant cultural settings. Casson analyzes the effects of trust and the efforts of the outsider, who takes the role of the group leader, an the level of transaction costs. By analyzing the significance Hofstede's value System and the two environmental factors of religion and language have for trust, this thesis will show how the perception an the achievability of intercultural trust between a foreign investor and the host country culture influences the location selection of MNE. In the part that is intended to show the relevance of culture in international business activities in the real world, this study will for several reasons consider operations of firms from only one source country - the United States of America - in only one host country - Thailand. Restrictions in financial resources, as weil as time and space, are self-explanatory causes for this limitation. More important, however, is the need to narrow down the research to a country by country scope due to the vast cultural differences that exist between each country. So why does it make sense to choose the very countries of the USA and Thailand? The United States of America as a country is in the lead position in the world, both from a political and economic standpoint. Moreover, the USA serves as a model for industrialized as well as for developing nations. The development of multinational enterprises initially was started by U.S. firms and FDI by U.S. companies still accounts for the largest part of world wide foreign investment. In 1995, U.S. companies controlled 21,318 foreign subsidiaries worldwide, worth $2,815 billion in foreign direct investment. Of these investments $614 Billion were located in the Pacific Asian region, including Southeast Asia. Thailand, as one of the NICs in Southeast Asia, is predestined for this study due to two major characteristics that make it unique in the world. First, it has never been colonized by Western countries and, therefore, could retain its distinct cultural identity much clearer than other nations. Secondly, before the start of the crisis in July 1997, the Thai GNP had grown for 30 consecutive years. Indeed, in 1988 the fastest annual growth rate ever recorded in the world's economic history was calculated in Thailand at 13.2 percent. Therefore, the country has been attributed the "fifth tiger" following Hong Kong, South Korea, Singapore, and Taiwan. Mainly supported by rising exports and continuing foreign investments, the annual growth from 1992 to 1996 continued at an estimated average of 8.2 percent. Until the mid-1980s U.S. companies were the largest foreign investors. It was only after 1987 that net inflows of investment from Japan and the four original "tigers" exceeded that of the United States. This paper is separated into three interactive parts. Part 1 deals with the theoretical background behind this study, and after these introductory notes, gives an overview of the theory of international production in order to show which factors influence MNEs and their activities. First, the basic terms are defined and then the most important theories are summarized. Chapter three starts with the definition of culture and goes an to show some basic elements of the environment international companies have to deal with, namely, religion and language. It then summarizes Hofstede's value system approach and Casson's findings an trust and leadership. Finally, the environmental factors and the value System are integrated into the theory of trust and leadership in order to show how they are able to reduce the cultural distance between investors and host countries. Part II of the paper is devoted to the interaction between the two cultures of Thailand as a host country and the USA as the investor's home country. First, both value systems and environmental factors are analyzed and compared. Then some findings from interviews with U.S.-American' investors an cultural factors that influenced their location selection will be summarized in order to provide some anecdotal evidence an how trust was generated in their decision to invest in Thailand. In Part III, the findings from the two previous parts will be synthesized into the theory of international production. Based an the assumption developed in the preceding parts that location decisions are made in pursuit of a fit between the investor's and the host country's cultures, the findings an the influences of inter-cultural trust and leadership an transaction costs will be integrated into the respective components of the Eclectic Paradigm of International Production. Finally, the findings are summarized and some conclusions are drawn. Einleitung: Trotz der Krisen auf Kapitalmärkten in Asien und anderswo boomen ausländische Direktinvestitionen weltweit. Die vorliegende Arbeit untersucht die These, dass Kultur eine wichtige Rolle bei der Standortwahl multinationaler Unternehmen (MNU) spielt. Kultur wird definiert als eine "kollektive Programmierung des Geistes, die das Verhalten in der Umwelt und die Auffassung darüber auf eine Art und Weise beeinflusst, die durch menschliches Zusammenleben erlernt wird". Vertrauen wird als wichtigster Kulturaspekt herausgestellt, da ein hohes Maß an Vertrauen zu einer Reduktion von Transaktionskosten führt. Vertrauen kann durch eine Führungspersönlichkeit erzeugt werden. Das Maß an interkulturellem Vertrauen, das zwischen der MNU und dem Gastland aufgebaut werden kann, variiert mit der Durchsetzungsfähigkeit der Führungskraft und der Offenheit der Untergebenen für Manipulation. Dabei hängen die angenommene Stärke der Führungskraft und die erwartete Offenheit des lokalen Personals für fremde Einflüsse ab von Unterschieden und Gemeinsamkeiten in den jeweiligen Wertesystemen und kulturellen Aspekten wie Religion und Sprache bzw. Sprachkenntnissen. Erfahrungsberichte U.S.-amerikanischer Investoren in Thailand werden analysiert, um zu zeigen, dass die Erwartung, dass eine hohes Maß an interkulturellem Vertrauen erzeugt werden kann, eine wichtige Rolle bei der Wahl Thailands als Standort für die Südostasien-Zentrale spielen kann. Ein umfassender Vergleich der U.S.-amerikanischen und thailändischen Kulturen wird angeführt, um die obigen Annahmen zu belegen. Die Ergebnisse werden in das "Eklektische Paradigma der Internationalen Produktion" (auch OLI-Paradigma) eingeflochten, um die Relevanz der eigentümer-, standort- und internalisierungsbezogenen Aspekte bei der Suche der MNU nach dem Standort aufzuzeigen, an dem das höchste Maß an Vertrauen erreicht werden kann.
Aus der Einleitung: Mein Praxissemester leistete ich bei der Organisation 'Vida Nueva' in San Isidro de El General im Süden Costa Ricas. Der Verein 'Vida Nueva' ist eine NGO, die sich zur Aufgabe gestellt hat, in der Region von Pèrez Zeledón, mit den sozial schwächsten Bevölkerungsgruppen ökonomische, kulturelle und soziale Projekte zu organisieren. Die zwei Einsatzgebiete umfassen zum einen die Hilfestellung für sozial gefährdete Kinder und Jugendliche in den marginalen Stadtaußenvierteln, zum anderen die Beratung und Begleitung von Frauen, die mit dem Problem von Gewalt in der Familie konfrontiert werden. Durch mein Praxissemester, meine Erlebnisse in der Entwicklungszusammenarbeit in Lateinamerika, entwickelte ich ein großes Interesse an der dortigen Sozialen Arbeit. Durch weitere Reisen und Kontakte zu Hilfsorganisationen konnte ich vor Ort meine Erfahrungen ausbauen. Bereits vor Beginn meines Studiums der Sozialen Arbeit absolvierte ich ein Praktikum in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, was mich schlussendlich davon überzeugte, Soziale Arbeit zu studieren. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen begleitete mich also sowohl vor, als auch während des Studiums, so dass ich mich dazu entschlossen habe, meine Bachelorarbeit diesem Tätigkeitsfeld der Sozialen Arbeit zu widmen: der Kinder- und Jugendarbeit. Kinder und Jugendliche sind weltweit unterschiedlichsten Sozialisationsinstanzen ausgesetzt und gehören den verschiedensten Kulturen an. Und doch ist ihnen allen etwas gemeinsam: den Wunsch sich frei und selbstbestimmt entwickeln und leben zu dürfen und die Befriedigung ihrer biologischen, biopsychischen und biopsychosozialen Bedürfnisse, der universalen Grundbedürfnisse. Diese Befriedigung kann aufgrund der Kultur und der, die Kinder und Jugendlichen umgebenen familiären und regionalen Bedingungen, der sie umgebenden Lebenswelten, unterschiedlich aussehen, doch jeder Mensch strebt ein für sich tragbares und für ihn sinngebendes Leben an. Und jeder Mensch besitzt Kräfte zur Selbstverwirklichung, die er einsetzen kann. Besonders Kinder und Jugendliche sind in sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern oftmals Lebensbedingungen ausgesetzt, die sie daran hindern, Kräfte zur Selbstverwirklichung einzusetzen und ihre körperlichen, geistigen und seelischen Bedürfnisse dahingehend zu befriedigen, dass sie sich frei entwickeln und nach ihren Vorstellungen ein unbeschwertes Leben mit glücklichen Momenten führen können. Dies hat verschiedene Ursachen; es kann an unzureichenden Wohnverhältnissen liegen, an mangelnder Hygiene, Hunger, Armut, Krieg oder aber auch an fehlenden Möglichkeiten Bildung und Gesundheit zu erlangen. Hierzu gehört auch die Tatsache, dass viele Kinder und Jugendliche weltweit von ausbeuterischer Kinderarbeit betroffen, oder darauf angewiesen sind zu arbeiten, was aus Sicht der meisten Organisationen und Menschen aus Industrienationen negativ bewertet wird. Kinderarbeit ist ein kontroverses globales Thema voller Emotionen, was, wie bereits erwähnt, besonders von Industrienationen stark kritisiert und denunziert wird. Auch in unserer deutschen Gesellschaft ist der Begriff 'KINDERARBEIT' stark negativ belegt und wird unmittelbar mit negativen Assoziationen in Verbindung gebracht. Ich möchte in dieser Bachelorarbeit anhand von arbeitenden Kindern und Jugendlichen in Bolivien aufzeigen, dass Arbeit für diese auch positive Wirkungen und viele Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten bieten kann. Meine These lautet demnach, ob Kinderarbeit, am Beispiel von Bolivien, eine Notwendigkeit und Chance sein kann. Vorab werden im ersten Teil der Bachelorarbeit in der Begriffsklärung verschiedene Grundlagen zum Thema Kinderarbeit dargestellt und erläutert. Im Anschluss werde ich den Protagonismus der Kinder und die menschlichen Bedürfnisse nach Obrecht aufzeigen. Außerdem werde ich in Kapitel 4 konkret die Situation von arbeitenden Kindern und Jugendlichen in Lateinamerika, am Beispiel von Bolivien, beschreiben. Wie sieht Kinderarbeit in Lateinamerika, speziell in Bolivien, aus? Wie sollte sie aussehen, um menschenwürdig zu sein? Auch die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Bolivien, wie auch das Gesundheits- und Bildungssystem werden angesprochen. Ich werde in der vorliegenden Arbeit, verstärkt in Kapitel 5, aufzeigen, dass die heutige Kinderarbeit ein breites Spektrum von Formen umfasst, die von selbstbestimmten Tätigkeiten, die von den Kindern aus eigenem Willen und unter menschenwürdigen Bedingungen ausgeübt werden, bis hin zu extrem ausgebeuteten Arbeiten, die die Würde der Kinder verletzen und ihre persönliche Entwicklung gefährden, reicht. Je nachdem, welche Kriterien für Dauer, Häufigkeit und Ort der Tätigkeit herangezogen werden, unterscheiden sich Daten und Einschätzungen zur Verbreitung der Kinderarbeit weltweit. NGO´s, die sich weltweit mit den Rechten von Kindern und dem Phänomen Kinderarbeit beschäftigen, verstärkt gegen Kinderarbeit kämpfen und einen großen Einfluss ausüben, wie UNICEF und ILO, orientieren ihren Begriff der Kinderarbeit an Erwerbsverhältnissen erwachsener Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, was der besonderen Situation von Kindern als Arbeitende nicht gerecht wird. Wie setzen sich diese weltweitvertretenen NGO´s auf welche Weise für, beziehungsweise gegen Kinderarbeit ein? Ist deren Vorgehen sinnvoll? Hinzu kommt: Welche gesellschaftliche Verantwortung besitzen die Politik und wirtschaftliche Unternehmen? Darauf werde ich gesondert in Kapitel 6 eingehen. Auch Soziale Arbeit findet, genau wie Kinderarbeit, weltweit unter den unterschiedlichsten Rahmenbedingungen statt und hat nach Wolf Rainer Wendt zum Ziel, die Lebensverhältnisse von notleidenden Menschen in einer Gesellschaft zu verbessern. Sozialarbeiterinnen sollen für gerechte soziale Verhältnisse sorgen und den Menschen Entfaltungsmöglichkeiten bieten, während sie Hilfe zur Selbsthilfe geben. Das gestaltet sich je nach kulturellen und sozialpolitischen Rahmenbedingungen unterschiedlich. Soziale Arbeit ist demnach eine Menschenrechtsprofession, die sich den unterschiedlichsten Verhältnissen anpassen und dementsprechend im Sinne des hilfebedürftigen Menschen handeln muss. Gerade in der Entwicklungszusammenarbeit spielt die interkulturelle und kultursensible Soziale Arbeit eine herausragende Rolle. In Kapitel 7 wird die Herausforderung und Aufgabe der Sozialen Arbeit im Kampf GEGEN ausbeuterische Kinderarbeit und FÜR menschenwürdige Kinderarbeit dargestellt. Ein zentrales wichtiges Thema hierbei ist die Aufgabe und Verantwortung der Sozialen Arbeit in Bolivien mit arbeitenden Kindern und Jugendlichen. Wie agieren Sozialarbeiterinnen in der Entwicklungszusammenarbeit und als Fachkraft vor Ort? Welche Herausforderungen erwarten diese? Durch die Globalisierung sind viele Länder von einer Multikulturalität betroffen. Dies stellt völlig neue Anforderungen an Sozialarbeiterinnen im Bereich der kultursensiblen Arbeit. Wie kann Soziale Arbeit aussehen und stattfinden ohne unter einer ethnozentrischen und westlichen Blickweise zu stehen und Kinderarbeit vorab pauschal negativ zu bewerten? Mein Ziel ist es, mit dieser Arbeit am Beispiel von Bolivien zu zeigen, dass Kinderarbeit auch sinnvoll und sogar lebensnotwendig sein kann und welche Voraussetzungen vorliegen müssen, um die Arbeit, die Kinder verrichten, als positiv bewerten zu können. Denn Kindheit und Arbeit schließen sich nicht grundsätzlich aus. Weiterhin möchte ich aufzeigen, welche Rolle die Soziale Arbeit und Organisationen weltweit, am Beispiel von Bolivien und global betrachtet, innehaben, um die Rechte der arbeitenden Kinder zu sichern und gegen die ausbeuterische Kinderarbeit vorzugehen. Meine Beispiele und Studien werden sich zwar hauptsächlich auf Bolivien, aufgrund mangelnden Datenmaterials jedoch zum Teil auch auf Lateinamerika beziehen. Im Anhang stelle ich vier Organisationen, bzw. Einrichtungen in Bolivien vor, die sich der Zielgruppe der arbeitenden und/oder auf der Straße lebenden Kinder angenommen haben.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: 1.Einleitung1 2.Begriffsklärungen5 3.Protagonismus der Kinder8 3.1Kulturen der Kinderarbeit10 3.1.1Solidarische Ökonomie von Kindern13 3.1.2Die menschlichen Bedürfnisse nach Obrecht15 4.Zur Situation von Kindern und Jugendlichen in Lateinamerika17 4.1Bolivien19 4.1.1Der wirtschaftliche und soziale Kontext21 4.1.2Bildung und Gesundheit22 5.Kinderarbeit und deren Ursachen24 5.1Kinderarbeit in Bolivien28 5.2Definitionen von ausbeuterischer Kinderarbeit30 5.2.1Mögliche Folgen von ausbeuterischer Kinderarbeit33 5.2.2Die gesellschaftliche Verantwortung von Wirtschaft und Politik34 5.2.3Subjektorientierte Zugänge zur Arbeit der Kinder36 5.2.4Kinderbewegungen37 5.2.5Kinderarbeit als Notwendigkeit und Chance42 6.Der globale Kampf gegen die ausbeuterische Kinderarbeit44 6.1Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO)45 6.2Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF)48 6.3Die Aufgabe und Verpflichtung der Sozialen Arbeit50 6.3.1International Federation of Social Work (IFSW)51 7.Soziale Arbeit in Bolivien53 7.1Zielgruppe54 7.2Die Herausforderung an die Sozialarbeiterinnen55 7.2.1Empowerment56 7.2.2Präventionsarbeit57 8.Arbeitende Kinder in Deutschland58 8.1PRONATS – eine deutsche Initiative -62 9.Fazit/Ausblick63 10.Anhang69 11."Alalay" – Un hogar para los niños de la calle. Projekt zur Resozialisierung von (arbeitenden) Straßenkindern71 11.1Zielgruppe und Zielsetzung73 11.2Methodik74 11.3Prozess in vier Abschnitten75 11.4Soziale Arbeit innerhalb des Projektes77 12.Das Projekt "Mi Tai" in Santa Cruz79 12.1Soziale Gruppenarbeit bei "Mi Tai"80 13.Das Projekt "Chicalle" in Cochabamba83 14.Die Organisation "Inti Wara Yassi"86 15.La Ciudad Potosí (Die Stadt Potosí)89 15.1Die Minenkinder89 16.Literaturverzeichnis93Textprobe:Textprobe: Kapitel 5, Kinderarbeit und deren Ursachen: Die westlichen Industrieländer begannen vor etwa 160 Jahren die Kinderarbeit zu verurteilen und als ein soziales Problem anzusehen. Von da an gab es keine arbeitenden Kinder mehr, sondern lediglich Kinderarbeit. Kinder wurden nicht als selbstbestimmt und fähig, für ihre Anliegen in der Gesellschaft einzustehen, angesehen; sie waren Opfer. Seit den 1980-er Jahren erhalten arbeitende Kinder wieder vermehrt Aufmerksamkeit seitens der Politik der einzelnen Länder und ebenso gesellschaftlichen Einfluss. Sie stehen auf verschiedene Weise für ihre Rechte ein, die ich im Kapitel 5.2.4 näher erläutern möchte. Kinderarbeit ist nur schwer statistisch zu erfassen, da die Dunkelziffer sehr hoch ist und viele Kinder, beispielsweise Mädchen die im Familienbetrieb oder in der Stadt in einem Haushalt angestellt sind und arbeiten, nicht erfasst werden. Es können fast ausschließlich legal beschäftige Kinder von der Statistik mitgezählt werden. Auch ist Kinderarbeit in manchen Ländern offiziell verboten, so auch in Bolivien, wird aber unter bestimmten Voraussetzungen geduldet. Heute ist der Begriff Kinderarbeit, den ich in Kapitel 5.2 definieren werde, von verschiedenen Organisationen klar festgelegt und abgegrenzt, wobei 'gute' und 'schlechte' Kinderarbeit unterschieden wird. Die Vorstellung und die Dauer des Kindseins variieren zwar je nach Kultur, geographischen Gegebenheiten, sozialer Schicht und Geschlecht, doch haben die Vereinten Nationen und die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) Konventionen erlassen, was unter 'schlechter' Kinderarbeit verstanden werden soll, da diese sehr unterschiedliche Tätigkeiten umfassen kann, die unter Umständen auch ausbeuterisch und schädigend auf ein Kind einwirken können. Es gibt verschiedene Gründe, warum Familien gezwungen sind ihre Kinder arbeiten zu lassen, beziehungsweise die Kinder selbst sich dazu gezwungen sehen. Je nach gesellschaftlichen und geographischen Gegebenheiten reicht das Familieneinkommen nur durch Mithilfe der Kinder aus, wenn zusätzlich von staatlicher Seite keine Hilfe zu erwarten ist. In diesen Gesellschaften besitzen die Menschen oftmals eine ökonomisch-utilitaristische Einstellung zu ihren Kindern. Kinderarbeit kann, besonders in Lateinamerika, durchaus mit Armut in Verbindung gebracht werden. Diese Armut ist häufig verstärkt auf dem Land vorzufinden, wo sowohl Möglichkeiten der Bildung und Ausbildung fehlen, als auch die Infrastruktur erhebliche Mängel aufweist. Immer häufiger müssen bäuerliche Familien, die ihr Land traditionell anbauen, der industriellen Landwirtschaft weichen, da diese mehr Profit abwirft. Diese modernen und hochtechnologisierten Anbaumethoden sind mit notwendigen technischen und chemischen Hilfsmitteln verbunden, die viele Bauern nicht bezahlen können. Ihre Erzeugnisse sind ohne diese Hilfsmittel jedoch nicht konkurrenzfähig gegenüber denen der großen Plantagenbesitzer, so dass viele Kinder in der eigenen Familie hart mitarbeiten müssen. Oftmals müssen Väter auf dem Acker 'ersetzt' werden, da sie als zusätzliche Einnahme gezwungen sind auf den Feldern der großen Plantagen zu arbeiten. Kinder, die in Entwicklungsländern aufwachsen, können als Folge davon nicht oder nur unzureichend die Schule besuchen oder Freizeit genießen. Manche Familien verkaufen aufgrund einer solchen Situation ihr Land an Großgrundbesitzer und begeben sich in deren Abhängigkeit als Tagelöhner. Nur selten erhalten landlos gewordene Menschen eine Anstellung als niedrig entlohnter Landarbeiter mit Arbeitsvertrag. Die meisten werden Wander- oder Saisonarbeiter mit unregelmäßigen Einkünften. Beispiele hierfür sind Teeplantagen in Indien und Sri Lanka, Blumenplantagen in Westafrika und Baumwoll-, Orangen-, Kaffee-, Bananen-, oder Zuckerrohrplantagen in Lateinamerika. In Lateinamerika arbeiten sogenannte Clandestinos ohne Arbeitserlaubnis und ohne angestellt zu sein. Hierzu gehören auch Kinder, die keinerlei Rechte besitzen und für einen Hungerlohn ausgebeutet werden, aber trotz allem eine unabdingbare Hilfe für ihre Familien sind. Die Großgrundbesitzer wiederum können durch die billigen und flinken Kinderarbeitskräfte höheren Profit erhalten und die Möglichkeit, weiteres Land von ärmeren Kleinbauern zu kaufen. Auch die Städte wachsen in vielen Entwicklungsländern durch die steigende Zahl land- und arbeitsloser Familien, die auf dem Land keine Überlebensmöglichkeiten besitzen. Sie suchen Arbeitsstellen bei großen und modernen Betrieben in der Stadt, die von ausländischem Kapital kontrolliert werden; finden häufig jedoch lediglich eine Beschäftigung im informellen Sektor, der sich durch niedrige Verdienste, einfache Organisation und geringe Produktivität auszeichnet. Durch die auch hier niedrigen Löhne müssen Kinder durch Arbeit zum Unterhalt beitragen. Kinder helfen als Hausgemeinschaft in kleinen Unternehmen oder Fabriken mit, anstatt zur Schule zu gehen. Die so produzierten Billigprodukte setzen die ausländischen Konzerne in den Industriestaaten ab. Andere Familien arbeiten im Kunsthandwerk, in der Kleiderherstellung oder als Abfallsammler für die Recyclingindustrie. Kinder stellen in Werkstätten, Restaurants, Tankstellen und privaten Haushalten die billigen Arbeitskräfte. Die Arbeitsbedingungen sind teilweise katastrophal; die Kinder arbeiten bis zu 14 Stunden pro Tag und besitzen weder Anspruch auf Urlaub, noch eine Krankenversicherung. Verletzt sich ein Kind oder wird es krank, ist die Entlassung die häufigste Folge. Kinder, die keine Anstellung in einem solchen Betrieb finden, versuchen die Familie durch selbstständige Beschäftigungen zu unterstützen. Hierzu gehören Zeitungs- oder Süssigkeitenverkäufer, Schuhputzer oder Lastenträger, Boten, Aufpasser und Autowäscher. Kinder, die keine dieser Verdienstmöglichkeiten finden oder ausüben können, stehlen, betteln und sammeln Müll auf den Straßen der Großstadt oder sind zur Prostitution gezwungen. Es existieren Netzwerke und Absprachen unter den Kindern, wer zu welcher Uhrzeit an welchem Ort stehen darf. Statistisch gesehen gehen Jungen hauptsächlich Beschäftigungen außerhalb des Hauses nach, während Mädchen oftmals den Haushalt übernehmen. Dies hat zur Folge, dass viele Mädchen nicht bezahlt werden und in Statistiken, die Kinderarbeit betreffen, häufig durchfallen, also zur Dunkelziffer gehören. Auch fangen sie durchschnittlich mit jüngeren Jahren an zu arbeiten, als Jungen, da sie bereits von klein auf mit in den Haushalt einbezogen und eingeplant werden; das heißt sie genießen in der Regel noch weniger Schulausbildung als Jungen. Die Mädchen schaffen auf diese Weise den anderen Familienmitgliedern die Möglichkeiten den Tätigkeiten außerhalb des Hauses nachgehen zu können, was einer enormen Leistung gleichkommt. Denn sie erhalten je nach kultureller und gesellschaftlicher Region wenig bis keine Wertschätzung, werden oftmals sogar, ganz im Gegenteil, ignoriert. Landflucht, die Hoffnung auf Arbeit in den Städten, die oft zu Arbeitslosigkeit führt und das Fehlen staatlicher Sozialprogramme verwandeln viele Städte in Entwicklungsländern in Elendsgürtel. Soziale Hilfen oder Unterstützung vom Staat gibt es in vielen Ländern des Südens nicht, da das Budget für Soziales zu gering ist. In Kapitel 4.1.1 bin ich bereits darauf eingegangen, dass diese Länder bei Internationalen Banken und beim Internationalen Währungsfond (IFW) stark verschuldet sind, Zinsen oder Zinsenzinsen abbezahlen müssen und dadurch nicht oder nur schwer in der Lage sind Sozialleistungen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder Nahrungsmittelsubventionen zu leisten. Ausländische Konzerne und Unternehmen nutzen bzw. begünstigen diese Situation, da sie billige Exporte und Arbeitskräfte und Förderung von Direktinvestitionen verlangen, um hohe Profite zu erlangen. Diese Auflagen gehen zu Lasten der ärmeren Bevölkerung, allen voran den Menschen, die weder Arbeit noch eigenes Land besitzen. Dies sind übergeordnete und direkte Ursachen, sowie negative Formen und Aspekte von Kinderarbeit, die weltweit existieren und auftreten können. In den folgenden Kapiteln zeige ich die möglichen positiven Aspekte von Kinderarbeit und deren 'Folgen' auf, zu denen beispielsweise die Kinderbewegungen gehören, denn Arbeit kann für Kinder auch als eine Notwendigkeit und Chance gesehen werden, wie ich bereits in Kapitel 3 erläutert habe.
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Der wiedergewählte DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee über die neue Nationale Sicherheitsstrategie, das Streiten für eigene Ziele und Werte – und die Frage, was vom alten Austausch-Idealismus noch übrig ist.
Joybrato Mukherjee, 49, ist seit 2020 Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Am Dienstag wurde er von den DAAD-Mitgliedshochschulen für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Außerdem ist Mukherjee seit 2009 Präsident der Universität Gießen und designierter Rektor der Universität zu Köln. Foto: Jonas Ratermann.
Herr Mukherjee, heute Vormittag sind Sie als DAAD-Präsident wiedergewählt worden, Ihre zweite Amtszeit beginnt am 1. Januar 2024. Herzlichen Glückwunsch! In Hochstimmung schienen Sie schon vergangene Woche zu sein, als die Bundesregierung ihre – von Ihnen hochgelobte – Nationale Sicherheitsstrategie vorgestellt hat. Die Strategie zeige, so lautete Ihr Kommentar, dass Wissenschaft heute eine "harte Währung" in der Außen- und Sicherheitspolitik sei. War sie das denn früher nicht?
Der Unterschied ist, dass die Außenwissenschaftspolitik früher als eigenständige "dritte Säule" der Außenpolitik gedacht wurde – und damit getrennt von der Sicherheitspolitik. Jetzt hat sich ein integriertes Verständnis von Außen-, Sicherheits- und Geopolitik etabliert, was bedeutet, dass Wissenschaft nicht als irgendeine Folklore gesehen wird, sondern als robuster Teil der außenpolitischen Beziehungen unseres Landes.
Weil wir in einer Zeit der Krisen leben?
Sicherlich gibt es da einen Zusammenhang. Stärker als vor fünf oder zehn Jahren gelten Wissenschaft und Außenwissenschaftspolitik als relevante Größen für Europas Sicherheit und für die Stabilisierung einer multilateralen Weltordnung. Wir werden auch die Folgen des Klimawandels nur wissenschaftlich fundiert und über Grenzen hinweg kooperierend in den Griff bekommen. Dies sind Erkenntnisse, die sich nicht von einem auf den anderen Tag entwickelt haben, aber natürlich hat hier die Pandemie wie in vielen anderen Bereichen als Beschleuniger gewirkt.
"Die Ukraine will in den Westen, und wir bahnen ihr über unsere Austauschprogramme wissenschaftspolitisch den Weg."
Eine neue Rolle auch für den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD)?
Keine neue Rolle. Wir haben immer schon neue außen- und geopolitische Herausforderungen mit neuen Initiativen und Programmvorschlägen beantwortet. Aber jetzt spüren wir eine andere Resonanz auf Seiten der Politik: Bundesregierung und Bundestag sehen den DAAD als größte und leistungsstärkste Mittlerorganisation in einer besonderen Verantwortung. Die neue Nationale Sicherheitsstrategie formuliert diese Erwartung an uns ganz explizit. Wenn in Afghanistan die staatliche Ordnung zusammenbricht und Frauen vom öffentlichen Raum und vom Bildungssektor immer stärker ausgeschlossen werden, starten wir mit Unterstützung des Entwicklungshilfeministeriums ein Stipendienprogramm für 5000 Afghaninnen, damit sie in einem der Nachbarländer studieren können. Oder nehmen Sie die Ukraine: Es war kein Zufall, dass Präsident Selenskyj sich jeweils anderthalb Stunden Zeit genommen hat für ein digitales Treffen mit Wissenschaftler:innen und Studierenden der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität zu Köln. Die Ukraine will in den Westen, und wir bahnen ihr über unsere Austauschprogramme wissenschaftspolitisch den Weg.
Ganz so generisch wirkt die Entwicklung von außen nicht. Es ist nicht lange her, da herrschte in der deutschen Wissenschaft und auch beim DAAD die Auffassung vor, dass wissenschaftlicher Austausch und Internationalisierung immer und unter allen Umständen gut seien. Fragen nach Kosten, Nutzen und Grenzen wurden schon mal mit einem Stirnrunzeln beantwortet. Wurde dieser Idealismus der Realpolitik geopfert?
Das ist mir zu einfach. Die Welt ist geopolitisch in Unordnung geraten, darüber machen wir uns alle berechtigte Sorgen. Ja, es ist wichtig, sich gerade in einer solchen Welt den Idealismus und die Hoffnung zu bewahren. Denn es bleibt richtig: Der Austausch von Menschen über Kulturgrenzen hinweg ist ein Wert an sich, das Stiften interkultureller Erfahrungen und wissenschaftlicher Kooperationen zu Fragen, die uns auf diesem Planeten alle gemeinsam betreffen, ist ohne Alternative. Umgekehrt müssen wir aber anerkennen, dass anderswo Staaten, Regierungen und Regime erstarkt sind, deren Werte sich von unseren unterscheiden, und die ihre eigenen außenpolitischen Ziele verfolgen, und zwar mit großer Entschlossenheit. Auch diese Länder wollen wissenschaftliche Kooperation, aber aus Motiven, die nicht immer die unsrigen sind. Das müssen wir im Jahr 2023 bei allem, was wir als DAAD tun, im Hinterkopf haben. Sonst wären wir naiv.
"Wir kommen aus einer Zeit, in der Deutschland, Europa und der Westen insgesamt aus einer Position der Stärke heraus agieren konnten. Nun sehen wir uns konfrontiert mit einer veränderten Welt."
Sie sprechen von China?
China ist ein Beispiel. Wir haben ein großes Eigeninteresse daran, die Beziehungen zu einem der großen Hochschulmärkte nicht abbrechen zu lassen, zu einer der dynamischsten Wirtschaftsregionen überhaupt, die auch in vielen Forschungsfeldern sehr leistungsfähig geworden ist. Wir können und werden uns nicht abschotten, wollen aber gleichzeitig für unsere eigenen Interessen und Werte einstehen. Beides übereinzubringen, ist das große Kunststück. Das gilt für die Wissenschaft und genauso für die Wirtschaft oder die allgemeine Politik, wie wir gerade an den gemeinsamen Regierungskonsultationen sehen. Das neudeutsche Wort in dem Zusammenhang lautet "De-Risking", also ein Maximieren des Nutzens von Kooperationen bei gleichzeitiger Minimierung ihres wirtschaftlichen und politischen Risikos: Wir kommen aus einer Zeit, in der Deutschland, Europa und der Westen insgesamt aus einer Position der Stärke heraus agieren konnten. Nun sehen wir uns konfrontiert mit einer veränderten Welt, in der wir unsere Interessen, Ziele und Wertvorstellungen abwägen müssen mit denen der anderen, durchaus auch stärker auftretenden Seite.
Wie schafft man dieses Abwägen?
Bleiben wir bei China. Wenn wir für unser gemeinsames Stipendienprogramm die Bewerber:innen interviewen, wollen wir beim DAAD diese Gespräche aus grundsätzlichen Erwägungen nicht aufzeichnen. Die Chinesen aber wollen das. Also was tun, damit wir unsere Zusammenarbeit nicht beerdigen müssen? Wir haben uns verständigt, dass der DAAD das Auswahlverfahren nach seinen Standards durchführt und die Chinesen nach ihren. Und am Ende werden diejenigen gefördert, die auf beiden Ergebnislisten stehen.
Das hört sich so an, als hätten die chinesischen Bewerber in der Praxis wenig davon, wenn Sie demonstrativ demokratische Werte beschwören.
Das sehe ich anders. Wir haben das Ziel, das gemeinsame Förderprogramm fortzuführen – unter vertretbaren Bedingungen, ohne von unseren Standards abzulassen. Wir müssen aber anerkennen, dass die andere Seite auch ihre Grundsätze hat.
Bevor Sie demnächst in Ihre zweite Amtszeit gehen, die Frage: Ist irgendetwas von dem, was Sie sich Ende 2019 für Ihre erste Amtszeit vorgestellt hatten, nicht von der Realität überholt worden?
Ich habe damals drei inhaltliche Schwerpunkte benannt, und ich finde, alle drei haben in den vier Jahren an Bedeutung gewonnen. Als ich Ende 2019 von einem digitalen Erasmussemester sprach, wurde ich von vielen belächelt; seit der Pandemie ist dies anders. Wie wichtig zweitens die Festigung des europäischen Hochschulraums war und ist, muss ich angesichts mancher Verwerfungen zwischen EU-Mitgliedsstaaten nicht erläutern. Das dritte Thema, das ich aufrief, war das Einstehen für unsere Werte. "Im Schlafwagen werden wir die Wissenschaftsfreiheit nicht verteidigen", habe ich damals gesagt. Seitdem mussten wir beobachten, was in Afghanistan geschehen ist oder im Iran. Der größte sicherheitspolitische Schock aber war der 24. Februar 2022, der russische Angriff auf die Ukraine. Er hat uns gezeigt, dass viele der Voraussetzungen, unter denen wir akademischen Austausch betrieben haben, nicht so gottgegeben waren, wie wir annahmen in den Jahrzehnten des Friedens und der relativen Stabilität in Europa. Insofern kann ich meinen Schlafwagen-Satz heute nur wiederholen.
"Die Digitalisierung kam schneller und anders als erwartet, aber sie kam nicht unerwartet."
Bei der Digitalisierung ging es Ihnen damals um Nachhaltigkeit und die klimapolitischen Folgen des akademischen Austauschs.
In der Tat: Kein halbes Jahr, nachdem ich das gesagt habe, brach die Corona-Pandemie aus, die Studierenden konnten nicht mehr an ihre Gastuniversität reisen. Stattdessen nahmen sie an der Online-Lehre teil und erhielten trotzdem ihre Erasmus-Förderung oder ihr DAAD-Stipendium. Die Digitalisierung kam also schneller und anders als erwartet, aber sie kam nicht unerwartet. Diese Erfahrung können wir jetzt nutzen: Wenn die Hochschulen aus Nachhaltigkeitsgründen die physische Mobilität verringern wollen, können sie auf die bereits vorhandenen Konzepte zurückgreifen.
Allerdings gab es in der Corona-Zeit auch viel zusätzliches Geld. Jetzt fordern Pandemie und Ukraine-Krieg ihren haushaltspolitischen Tribut. Vergangenes Jahr haben Sie sich noch erfolgreich gegen Kürzungen beim DAAD gewehrt, gelingt Ihnen das auch dieses und nächstes Jahr?
Meine Universität in Gießen etwa bekommt wie alle hessischen Hochschulen von der Landesregierung eine für fünf Jahre feste Finanzierung und jährliche Steigerungsraten zugesichert. Vergleichbares kennen wir auf Bundesebene leider nicht. Der DAAD muss immer von Jahr zu Jahr wirtschaften und jedes Jahr um eine auskömmliche Finanzierung kämpfen. Zum Glück haben wir die guten Argumente auf unserer Seite, und wir sind hartnäckig darin, sie vorzubringen. Dadurch konnten wir 2022 den Bundestag dazu veranlassen, uns für 2023 ein Rekordbudget zu bewilligen. Für 2024 bin ich daher auch nicht hoffnungslos. Vor wenigen Wochen erst hat das BMBF die Förderung für unser Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) verdoppelt. Die Wahrheit ist aber: All das bietet keinerlei Garantien für 2024.
Was haben Sie den DAAD-Mitgliedshochschulen für Ihre zweite Amtszeit als Schwerpunkte genannt?
Was ich jetzt sage, ist der Plan. Ob die Realität dann eine große Planungstreue zeigt, muss man sehen. Aus heutiger Sicht aber ist ein Fokus der nächsten vier Jahre die Erstellung einer neuen DAAD-Strategie, von der wir noch klären müssen, ob sie als Horizont das Jahr 2030 oder das Jahr 2035 hat. In jedem Fall wird sie sich dezidiert mit den geopolitischen Verwerfungen befassen, aber auch mit Fragen der Wissenschaftskommunikation und mit dem Beitrag, den wir bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels leisten können. Sie soll pünktlich zum 100-jährigen Jubiläum fertig sein, das der DAAD 2025 feiert. Ein guter Zeitpunkt, um zurückzublicken, aber eben auch nach vorn – mit den Erfahrungen von einem Jahrhundert Austausch im Gepäck und mit einer neuen Strategie für die Welt der 20er und 30er Jahre.
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Die NRW-Initiative "Lehrkräfte Plus" will geflüchtete Lehrkräfte für den Einsatz in deutschen Schulen vorbereiten. Aber klappt das auch? Ein Interview.
2017 ging die Initiative an den Start: Lehrkräfte Plus. Ein Programm, das nach Deutschland geflüchtete Lehrkräfte für den Unterricht in Deutschland fitmachen soll. Zu den Initiatoren zählte damals die Bertelsmann-Stiftung. Warum, Frau Müncher?
Angela Müncher: Wir haben uns gedacht: Wenn so viele Menschen zu uns kommen, dann müssen darunter doch auch Lehrkräfte sein. Die nichts lieber tun würden, als wieder zu unterrichten. Und zwar die Kinder und Jugendlichen, die wie sie geflüchtet sind. Wir haben nach Potsdam geschaut, wo die Universität schon damals das bundesweit erste Programm zur Qualifizierung geflüchteter Lehrkräfte aufgebaut hatte. Und haben gesagt: So etwas brauchen wir in Nordrhein-Westfalen (NRW) auch. Zu unserer Freude hat sich das Schulministerium sehr offen gezeigt. Wir haben das dann mit ihm, der Landesweiten Koordinierungsstelle für Kommunale Integrationszentren und der Universität Bielefeld aufgesetzt, dann kamen die Stiftung Mercator und die Ruhr-Universität Bochum dazu. Inzwischen sind insgesamt fünf Universitäten und alle Bezirksregierungen von NRW an Bord – gefördert werden die Universitäten seit 2020 vom NRW-Ministerium für Kultur und Wissenschaft.
Angela Müncher ist Senior Project Manager im Programm Bildung und Next Generation der Bertelsmann Stiftung, Dirk Richter ist Professor für Erziehungswissenschaftliche Bildungsforschung an der Universität Potsdam und hat zusammen mit Kolleg:innen das Programm "Lehrkräfte Plus" wissenschaftlich begleitet. Ihren Abschlussbericht finden Sie hier. Fotos: Bertelsmann Stiftung/Die Hoffotografen GmbH.
Gut gedacht ist noch nicht gut gemacht.
Dirk Richter: Das ist richtig. Doch die Initiatoren wollten es von Anfang an genau wissen. In den ersten drei Projektjahren hat das Beratungsunternehmen Syspons "Lehrkräfte Plus" evaluiert; als Universität Potsdam haben wir das Programm wissenschaftlich begleitet, nachdem es auf insgesamt fünf Universitäten ausgeweitet wurde. Im ersten Jahr danach haben 110 von 128 Teilnehmenden ein Abschluss-Zertifikat erworben. Das ist eine phänomenale Absolventenquote von 86 Prozent. Da kommt kein Lehramtsstudiengang ran.
"Außenstehenden ist manchmal gar nicht
richtig klar, was es bedeutet, innerhalb
kürzester Zeit von praktisch keinen
Deutschkenntnissen auf einen Level zu
kommen, der das Unterrichten ermöglicht."
Die Zahl allein sagt noch nichts über die erworbenen Qualifikationen und den daraus resultierenden beruflichen Werdegang.
Müncher: Sie zeigt aber das enorme Engagement der geflüchteten Lehrkräfte. Ein Jahr haben sie in Vollzeit Deutsch gelernt, eine pädagogisch-interkulturelle Qualifizierung durchlaufen, Seminare zu allgemeiner und Fachdidaktik absolviert, dazu an einem Schulpraktikum teilgenommen. Und das, obwohl die meisten Familie und Kinder und viele soziale Verpflichtungen haben. Sie sind alle extrem motiviert. Außenstehenden ist manchmal gar nicht richtig klar, was es bedeutet, innerhalb kürzester Zeit von praktisch keinen Deutschkenntnissen auf einen Level zu kommen, der das Unterrichten ermöglicht.
Richter: Dieser Sprung um durchschnittlich zwei Sprachkompetenzstufen in einem Jahr ist bemerkenswert. Man merkt: Die Leute wollen schnell in die Schule, das ist ihr großes Ziel. 92 Prozent geben an, dass sie dauerhaft in Deutschland als Lehrkraft tätig sein wollen. Auch das ist eine Zahl, wie wir sie bei normalen Lehramtsabsolventen wohl nicht bekommen würden.
Und was können sie fachlich und pädagogisch nach dem "Lehrkräfte Plus"-Jahr?
Richter: Das haben wir nicht abgeprüft, aber wir haben die Absolventinnen und Absolventen befragt, wie gut sie sich selbst auf die unterschiedlichen Aufgaben einer Lehrkraft in Deutschland vorbereitet fühlen. Das Ergebnis: Die Befragten schätzen ihre eigenen Kompetenzen als sehr hoch ein – was erfreulich ist, aber auch nicht besonders überraschend bei derartigen Selbsteinschätzungen. Unabhängig von dem bei "Lehrkräfte Plus" Gelernten bringen die Betreffenden vieles mit, was sie für unsere Schulen unglaublich wertvoll macht. Sie sind Rollenvorbilder für alle Schüler, nicht nur für die aus ihrer eigenen Kultur. Sie bereichern die Kollegien, deren mangelnde Diversität ein umso größeres Problem darstellt, je heterogener die Schülerschaft wird.
Klingt gut. Aber will unser System diese Bereicherung auch? Konkret gefragt: Was machen die erfolgreichen "Lehrkräfte Plus"-Absolventen jetzt?
Müncher: 73 Prozent von ihnen sind direkt weiter ins Anschlussprogramm "Internationale Lehrkräfte fördern" (ILF) gegangen. Mit dem werden sie für zwei Jahre befristet an einer Schule angestellt, qualifizieren sich allgemeinpädagogisch, methodisch und didaktisch weiter und werden schrittweise ans eigenverantwortliche Unterrichten herangeführt.
Moment. "Lehrkräfte Plus" bringt allein also keinerlei Unterrichtsberechtigung?
Müncher: "Lehrkräfte Plus" ist ja ein universitäres Programm, das allein keine Unterrichtsberechtigung vergeben kann – es kann nur eine Brücke sein. Eine Anerkennung des Lehramtsabschlusses bekommen sie dadurch nicht. Die dürfte die Universität auch gar nicht ausstellen.
"Schule und Unterricht in Deutschland kennenzulernen, ist ein Wert an sich. Aber noch wichtiger ist, dass das Geleistete etwas zählt für den weiteren Werdegang."
So werden inklusive ILF aus einem Jahr Qualifizierung drei. Und ILF endet dann ebenfalls ohne klare Perspektive. Für Menschen, die in vielen Fällen in ihrer Heimat bereits voll ausgebildete und respektierte Lehrkräfte waren.
Müncher: Für viele bieten diese insgesamt drei Jahre die Chance, in einem geschützten Raum sich pädagogisch und sprachlich zu entwickeln und Erfahrungen im deutschen Schulsystem zu sammeln. Andere "Lehrkräfte Plus"-Absolventen bewerben sich direkt als Seiteneinsteiger für den Schuldienst und durchlaufen beispielsweise die sogenannte "Pädagogische Einführung", die bei Erfolg nach einem Jahr die Erteilung der Unterrichtserlaubnis für das studierte Fach bedeutet. Was in einigen Regionen und Fächern ganz gut klappt, weil es im Augenblick in vielen Fächern einen so großen Mangel gibt. Die Absolventen können auch ein normales Lehramtsstudium aufnehmen, Lehrkraft für den herkunftssprachlichen Unterricht werden oder ein zweites Fach studieren.
Richter: Klar ist es gut, dass die Leute Zeit haben, sich im Rahmen der Programme auf die Arbeit im deutschen Schulsystem vorzubereiten. Man muss aber schon ehrlich sagen: Die Übergangsquote von 73 Prozent ins ILF-Programm bedeutet, dass viele eben keinen Platz als Seiteneinsteiger bekommen. Insofern wäre eine stärkere Verbindlichkeit, dass das Zertifikat von "Lehrkräfte Plus" den Einstieg ins Lehramt bedeutet, wünschenswert – und auch ILF sollte mehr zählen. Schule und Unterricht in Deutschland kennenzulernen, ist ein Wert an sich. Aber noch wichtiger ist, dass das Geleistete etwas zählt für den weiteren Werdegang.
Der erste Jahrgang war inklusive ILF 2020 fertig. Wie viele haben jetzt eine unbefristete Stelle im Schuldienst?
Müncher: Uns liegen nur Informationen bis zum Juni 2021 vor. Bis dahin haben lediglich die neun Lehrkräfte, die an der Pilotierung teilgenommen hatten, das Programm auch abgeschlossen. Sie haben anschließend auch eine Anstellung im Rahmen des Seiteneinstiegs erhalten. Für die Zeit danach habe ich keine Daten zu den Anschlüssen. Meine Vermutung wäre, dass der Seiteneinstieg weiterhin die für die Lehrkräfte attraktivste Option ist. Allerdings sind gerade für den Einstieg mit einem Fach die Zugänge auf die Regionen und Fächer mit einem Lehrkräftemangel begrenzt. Deshalb werden einige Absolvent:innen auch als Vertretungslehrkräfte arbeiten. Und wieder andere machen etwas ganz Anderes.
So viel zum Thema politische Wertschätzung für geflüchtete Lehrkräfte. Und das trotz des dramatischen Lehrkräftemangels.
Müncher: Ich glaube, dass es sich hier nicht speziell um die mangelnde Wertschätzung geflüchteter Lehrkräfte handelt, sondern um einen weiteren Beleg dafür, dass unser Schulsystem auf Diversität kaum eingestellt ist. Mehrsprachigkeit wird nicht wirklich als Mehrwert begriffen, obwohl sie eine große Bereicherung für den Lernerfolg vieler Schülerinnen und Schüler bedeuten würde. Genau an der Stelle könnten geflüchtete Lehrkräfte so viel erreichen. Und nicht nur in Sachen Mehrsprachigkeit. Der Mentor eines syrischen Mathelehrers aus unserem Programm erzählte mir einmal, dass dieser seinen Kolleginnen und Kollegen am Gymnasium in seinem Fachwissen deutlich überlegen sei – und teilweise eine ganz andere Herangehensweise für die Lösung mathematischer Aufgaben mitbringe. Wir sollten uns als Gesellschaft fragen, ob es nicht höchste Zeit ist, insgesamt an unserem Bild von Schule zu drehen.
Gelingt das jetzt vielleicht durch den neuen Zustrom von Geflüchteten aus der Ukraine? Immerhin brüsten sich Kultusminister damit, unbürokratisch jede Menge geflüchtete ukrainische Lehrkräfte angestellt zu haben.
Müncher: Da würde ich dann gern wissen, wie viele von diesen Lehrkräften auf vollwertigen Stellen arbeiten oder doch nur als Unterrichtshelfer eingesetzt werden. Was es den aus der Ukraine Geflüchteten leichter machen dürfte, sind die bei vielen bereits vorhandenen Deutschkenntnisse, dadurch wird der Vergleich mit den Absolventinnen und Absolventen von "Lehrkräfte Plus" schwierig.
"Man kann Lehrkräfte durchaus für ein
einzelnes Unterrichtsfach sehr schnell
qualifizieren und in die Schulen bringen."
Und Sie glauben nicht, dass – Stichwort Ethnozentrismus – die Bildungspolitik mit zweierlei Maß misst und es den ukrainischen Lehrkräften leichter macht als denen aus Syrien, der Türkei oder Afghanistan?
Müncher: Was das Beispiel Ukraine zumindest zeigt: Es ist möglich, sehr kurzfristig zugewanderte Lehrkräfte einzustellen.
Richter: Und was wir umgekehrt durch "Lehrkräfte Plus" und ähnliche Initiativen gelernt haben: Man kann Lehrkräfte durchaus für ein einzelnes Unterrichtsfach sehr schnell qualifizieren und in die Schulen bringen. Genau darüber gibt es in der Lehrkräftebildung seit Jahren eine große Kontroverse, ob das geht. Mein Eindruck ist: Wir sollten angesichts des Lehrkräftemangels diese Diskussionen endlich hinter uns lassen und die Ein-Fach-Lehramtsoption dauerhaft für alle installieren.
Was wird jetzt aus "Lehrkräfte Plus", Frau Müncher?
Müncher: Die Initiative geht weiter, das Land hat die Finanzierung übernommen. Allerdings läuft die immer befristet von Förderphase zu Förderphase – aktuell bis 2027. Wir haben uns als Stiftung schon 2020 zurückgezogen und unterstützen nur noch die Evaluation und den Austausch über die Ergebnisse.
Richter: NRW ist ja zum Glück nicht das einzige Land. Brandenburg kam zuerst, später unter anderem auch Schleswig-Holstein und Hamburg. Was ich mir wünschen würde: dass Programme wie "Lehrkräfte Plus" in allen Bundesländern zugänglich wären – und es nicht vom Wohnort und dem Problembewusstsein des jeweiligen Bildungsministeriums abhängt, ob geflüchtete Pädagogen ihrer Berufung folgen können oder nicht.
Grenze und Raum – das sind im Zeitalter der allgegenwärtig vermuteten 'Globalisierungsprozesse' prekäre und zugleich hochaktuelle Begrifflichkeiten. Die Geisteswissenschaften haben die Konjunktur des Räumlichen seit dem Ende der 1980er-Jahre als 'spatial turn' bzw. später als 'topographical turn' deklariert. Trotz aller durch politische und ökonomische Bestrebungen – und nicht zuletzt durch Medientechnologien – hervorgerufenen Auflösungserscheinungen des Lokalen und Liminalen rückt die Grenze vermehrt in den Blickpunkt der deutschsprachigen Geistes- und Kulturwissenschaften. Aus dieser anhaltenden Konjunktur speist sich auch der Sammelband Topographien der Grenze. Verortungen einer kulturellen, politischen und ästhetischen Kategorie. Als dezidierte "Anstöße zu einer interdisziplinären Grenzforschung" – so der Untertitel der Einleitung – versammeln Christine Hewel und Christoph Kleinschmidt Beiträge aus den Kulturwissenschaften, der Literaturwissenschaft, der Philosophie und Soziologie, der Wirtschaftsgeschichte sowie der Politik-, Rechts- und Medienwissenschaft. Der Band ist das Ergebnis einer internationalen Tagung gleichen Namens, die vom Germanistischen Institut der WWU Münster in Kooperation mit dem Museum für Angewandte Kunst Frankfurt am Main und dem Internationalen interdisziplinären Arbeitskreis für philosophische Reflexion (IiAphR) im November 2009 veranstaltet wurde. Eröffnet wird der Band von drei Beiträgen, die sich der Grenze theoretisch und begrifflich nähern. Frauke A. Kurbacher reflektiert in "Die Grenze der Grenze" Strukturen des Verhältnisses von Denktraditionen und Performativität in menschlicher (moralischer) "Haltung" (S.37): Ausgehend von den Phänomenologien Maurice Merleau-Pontys und Bernhard Waldenfels' fasst sie die Grenze zunächst als trennendes Moment von Ich/Anderem, Eigenem/Fremden. Eröffnet wird so eine anthropologisch-existentielle Dimension des Liminalen, die die Autorin erweitert, indem sie die Grenze als "Interliminale" (S. 27) versteht. Kurbacher führt so zwei begriffsgeschichtliche Denkmodelle der Grenze ein, die sich in dieser Deutlichkeit nicht in den anderen Beiträgen wiederfinden: einerseits ein Denken der Grenze als historische oder räumliche Zäsur, das aber zugleich deren Überschreitung, Überwindung, Transgression erkennt und anerkennt. Andererseits ein Denken, "das gerade unter Absehung […] konstituierender Grenzziehung als eines des 'Sich-selbst-Fortschreibens' beschrieben werden könnte" (S. 28). Mit dieser Differenzierung wird für Kurbacher die Grenze als zeitliche Kategorie begreifbar. Menschliche Existenz sei, so ihr ethischer Ansatz, nicht durch Leben und Tod definiert, sondern durch die Handlungsspielräume und Möglichkeiten des interpersonellen Austauschs zwischen diesen existenziellen Grenzen. Der zweite Beitrag, "Ineinandergreifende graue Zonen" von Rainer Guldin, schließt an den phänomenologischen Ansatz Kurbachers an. Mit Vilém Flussers Bestimmung der Grenze als Ort der Begegnung bezieht sich Guldin auf ein Denken der Grenzenlosigkeit, dem jeder Nationalismus zutiefst suspekt ist. Vilém Flusser hat sich, von den Nationalsozialisten ins Exil getrieben, stets für ein Ineinandergreifen von Denken, Publizieren und eigener Biographie stark gemacht – mit einer überaus konzisen Ethik von intersubjektiver wie interkultureller Begegnung, wie Guldin nachzeichnet. Mit einer Re-Lektüre zweier wahrnehmungstheoretischer Texte über die Haut setzt Guldin an der Grenze des Subjekts an. Diese Grenze ist zunächst keine ethische, da sie laut Flusser in erster Linie nicht Subjekte, sondern Subjekt und Objekt, Ich und Welt trennt. Die Haut als 'Grenze' ist also zunächst Gegenstand wahrnehmungstheoretischer Fragestellungen, die Guldin mit Flussers autobiographischen und medientheoretischen Schriften zu einer politischen und topographischen Theorie der Grenze vereint. Indem Guldin diese unterschiedlichen Textsorten in Beziehung setzt, zeichnet er ein konzises Bild von Flussers Interliminalitätskonszeption. Einem weiteren kanonisierten Theoretiker widmet sich Doris Schweitzer im dritten Beitrag: "Grenzziehungen und Raum in Manuel Castells' Theorien des Netzwerks und der Netzwerkgesellschaft" skizziert die sozial- und medienwissenschaftlichen Paradigmen des Netzes und des Netzwerks und zeigt dabei ein Missverständnis auf: Dem Castells'schen Netzwerk-Gedanken liege kein entgrenztes und deterritorialisierendes Raumverständnis zugrunde, sondern das Netz "generiert Raum" (S. 55), so Schweitzers These. Entgegen der euphorischen und weit verbreiteten Annahme der Entgrenzung durch das Netz komme es zu einer Radikalisierung der Grenze durch dessen Exklusionsmechanismen. So würden einzelne Gruppen und Regionen von dominanten Wissens- und Warenflüssen abgeschnitten. Mit ihrer Analyse eröffnet Schweitzer eine kritische Perspektive auf jene Rede von der Informationsgesellschaft, welche die Grenze als obsolet erklärt: "Die Radikalisierung der Grenzproblematik bei Castells ist somit gegen diejenigen Apologeten der verflüssigenden Globalisierung zu wenden, die unermüdlich von der Entgrenzung […] gegenwärtiger Prozesse reden – gerade auch dann, wenn sie sich dabei auf Castells Beschreibung der Netzwerkgesellschaft berufen" (S. 60). Der zweite Schwerpunkt des Sammelbandes nimmt die Grenze als Ort von politischer und ökonomischer Macht in den Blick und widmet sich geostrategischen Raumfragen. Andreas Vasilache beschreibt in seinem Beitrag "Grenzen in der Transnationalisierung" einen Paradigmenwechsel der exekutiven Gefüge von Staaten: eine durch die Globalisierung sukzessive verwischende Trennbarkeit von Innen- und Außenpolitik, die sich u.a. in einer Zunahme von globalem Problembewusstsein (etwa in Bezug auf Unternehmungen zur Verlangsamung des Klimawandels) niederschlägt. Dieser Verschränkung von Innen- und Außenpolitik stellt Vasilache die Trennung von staatlichem Eingriff und privater Dienstleistung bei, die ihrerseits im Auflösen begriffen sei. Als Beispiele dienen ihm hier u.a. nichtstaatliches Sicherheitspersonal bei Flughafenkontrollen sowie die im Laufe des zweiten Irakkriegs eingesetzten Söldner privater Sicherheitsfirmen. Die erodierenden Grenzen von Innen/Außen einerseits, privat/öffentlich andererseits seien aber mitnichten ein Indiz für eine allumfassende Nivellierung staatstheoretischer Wissenskategorien: "Grenzen werden im Rahmen politischer Transnationalisierungen zwar volatil und sprunghaft, büßen dabei allerdings keineswegs ihre strenge politisch-epistemische Unterscheidungsfunktion ein" (S.85). Andrea Komlosy unterfüttert den auf die Gegenwart bezogenen Beitrag Vasilaches historisch. "Zwischen Sichtbarkeit und Verschleierung. Politische Grenzen in Europa im historischen Wandel" vollzieht die Entstehung einer gemeinsamen europäischen Außengrenze seit dem 17.Jahrhundert nach, bei der die Binnengrenzen keineswegs verschwunden seien. Die Inszenierungen der Grenze dienten einem hegemonialen Anspruch von Herrschaft: Während Grenzen im 17. und 18. Jahrhundert als Zeichen von Inklusion und Exklusion, von Staatsmacht und Zugehörigkeit inszeniert wurden, verlagerten sie sich durch die EG und EU zunehmend in den europäischen Binnenraum. Ihre Unsichtbarkeit leiste nun der Illusion eines grenzenlosen Europas Vorschub, bei der punktuelle, ubiquitäre Kontrollen im Vorfeld und im Hinterland (vgl. S. 103) im krassen Gegensatz zu den hochtechnologisierten Außengrenzen Europas stünden. Liliane Ruth Feierstein, Christopher Pollmann und Jörn Glasenapp erörtern im vierten Abschnitt des Bandes die identitätsbildenden Funktionen von Grenzen. Ähnlich wie Andrea Komlosy konstatiert Christopher Pollmann in seinem Text "Globalisierung und Atomisierung" einen historischen Umbruch: Waren es im 18. Jahrhundert vor allem territoriale Grenzen, die kollektive Identität stifteten, komme es im Zuge der industriellen Revolution zu einer 'Individualisierung' der Grenze. Pollmann macht – unter Rückgriff auf Simmel und Marx – die zunehmende Regulierung des alltäglichen Lebens durch die Systeme von Recht, Uhrzeit und Geld als Schwächung kollektiver, zumal territorialer Grenzen aus; Grenzen fungieren in der Folge als Handlungsrahmen für Individuen. Jörn Glasenapp nimmt den allegorischen Grenzverkehr im Kalten Krieg in den Blick, den er in John Sturges' Film The Magnificient Seven von 1960 entdeckt. Seine Analyse kennzeichnet – mit Bezug auf Akira Kurosawas Die sieben Samurai, der Vorlage zu Sturges' Western – die rassifizierenden und kolonialistischen Diskurse von Grenze und 'frontier' durch eine Gegenüberstellung von Samurai/Bauern (Kurosawa), Amerikaner/Mexikaner (Sturges), NATO/'Ostblock' bzw. USA/Vietnam (realpolitischer Hintergrund) als "kinematographische Wunschphantasie" (S.152). Liliane Ruth Feierstein schließlich analysiert die Grenze in Riten, Umgangsformen und Symbolen jüdischen Lebens. Als religiöse Gemeinschaft sei das Judentum durch die gemeinschaftskonstituierenden Dimensionen der Begrenzung gekennzeichnet: beispielsweise durch Inschriften an Wohnhäusern, die die Bewohner_innen als Gläubige ausweisen und so das Haus als einen "Jewish Space" (S. 109) markieren. Die abgegrenzten Bereiche für Männer und Frauen in der Synagoge oder die geltenden Gesetzmäßigkeiten und gemeinschaftlichen Einschränkungen des jüdischen Glaubens, etwa die "limits of Shabbat" (ebd.), sind weitere Dimensionen der Begrenzung. Diesen tradierten Räumen und religiösen Einschränkungen stehen die Erfahrungen des Judentums als einer diasporischen Gemeinschaft gegenüber. In der Diaspora führt die gemeinschaftsstiftende Funktion der Grenze zur Ausgrenzung: die historische Ghettoisierung und Vertreibung und die Vernichtung als radikalste aller Infragestellungen der jüdischen Gemeinschaft während des Holocausts. Den Grenzen der Kunst bzw. der Kunst der Grenze sind die drei Beiträge des vierten Kapitels gewidmet. Nikolaj Rymar isoliert mit Michail Bachtin die Grenzen zwischen Kunst und Wirklichkeit, indem er die Kunst als "zweite Kultur" (S. 160) begreift, welche die Kategorien der 'ersten Kultur' – also Soziales, Religion, Politik etc. – in Frage stellt. Die Grenzüberschreitungen der 'zweiten Kultur' machen so die Grenzziehungen der 'ersten Kultur' erst sichtbar und ermöglichen deren Neuanordnung. Christoph Kleinschmidt nimmt unter Rückbezug auf die ästhetischen Schriften Lessings und Goethes die Grenzen der Künste in Bezug auf ihr Material in den Blick: Herrschte bis 1800 ein Kunstverständnis vor, das sich "vor allem mit der aisthetischen Dimension des Künstlerischen als dem Schönen beschäftigt und eine Überwindung des Materials durch die Form impliziert", komme es im Lauf des 19.Jahrhunderts zu einer diskursiven Verschiebung: In der Folge seien die Grenzen des Materials als wesentlich für die Kunst (und für die Grenzen zwischen einzelnen Kunstrichtungen) verstanden worden. Über Lessing, Schelling, Hegel und Vischer bis hin zu den Avantgarden der Moderne untersucht Kleinschmidt Kunsttheorien und die in ihnen formulierten materialästhetischen Programme. Christine Hewel beschließt diesen Teil mit einem 'Rundgang' durch das Museum für Angewandte Kunst Frankfurt. Anhand verschiedener Exponate des Museums erläutert Hewel aus museumspädagogischer Perspektive, wie die Grenzen zwischen Schmuck und Funktion, zwischen Eigenwert und Gebrauchswert, zwischen Kunst und Kunsthandwerk durchlässig werden. Die beiden letzten Aufsätze des Sammelbandes sind analytische Beiträge aus der Literaturwissenschaft. Stephanie Catani zeichnet die Topologie des Exilraums in Franz Kafkas Der Verschollene und W.G. Sebalds Die Ausgewanderten nach. Catani beschreibt die Heimatlosigkeit von Kafkas Protagonisten Karl Roßmann als Resultat eines individuellen Vater-Sohn-Konflikts und schließt daran eine Analyse des politischen Ausnahmezustands in Sebalds Die Ausgewanderten an, als dessen modernes Paradigma sie mit Giorgio Agamben das nationalsozialistische Regime mit seiner gesetzlosen und zugleich gesetzmäßigen Rechtsprechung versteht. Im individuell motivierten wie im politisch-existenziell notwendigen Exil werde die Ortlosigkeit zu einem paradoxen Grenzraum, der Heimat, erst konstituiert. Damit problematisiert die Autorin die Aufwertung der Heimatlosigkeit zu einem Bhabha'schen 'Third Space', den sie in den (fiktiven) Exilerfahrungen der Protagonisten nicht wiederfindet. Um die Ästhetisierung von Heimatlosigkeit geht es Ingo Irsliger und Christoph Jürgensen in ihrem Beitrag über Emine Sevgi Özdamars Erzählband Mutterzunge und Feridun Zaimoğlus Interviewband Kanak Sprak. Irsliger und Jürgensen verwehren sich zwar den Labels "Migrationsliteratur" und "Multikulti", können aber anhand einer positiven Bewertung des "Third Space"-Konzepts der Postcolonial Studies zeigen, wie alternative und hybride Identitätsangebote und -konzepte vor allem durch die Sprachstrategien von Özdamar und Zaimoğlu hervorgebracht werden. Die Fülle der unterschiedlichen Ansätze und Gegenstände ist beeindruckend, doch die angestrebte Interdisziplinarität gestaltet sich mitunter als loses Nebeneinander. Unter die Räder kommen dabei vor allem die titelgebenden Topographien. Zwar erweist sich der sehr weit gefasste Begriff der Grenze bald als fruchtbar, doch wäre gerade hier eine genauere Unterscheidung von Raum – Topologie – Topographie wünschenswert gewesen, wie sie etwa Stephan Günzel vorgenommen hat.[1] Kursorisch bleiben auch Bezüge zur Aktualität der Grenze in Perspektive auf Migration; damit werden zahlreiche politische, ökonomische, juristische, aber auch ästhetische Fragestellungen nicht einmal angerissen. Christoph Kleinschmidt gibt in seiner Einleitung eine gute – leider zu kurz geratene – Übersicht über den Forschungsstand geisteswissenschaftlicher Grenzforschung und verweist darin explizit auf die Aktualität europäischer wie US-amerikanischer Grenzdiskurse. Hinweise zur kritischen Grenzregimeforschung, wie sie etwa Sabine Hess, Serhat Karakayali, Vassilis Tsianos und andere[2] unternommen haben, finden sich jedoch nur in den Fußnoten des Bandes. Im Hinblick auf diese kritische Grenzregimeforschung ist auffällig, dass viele der Beiträge zur Beschreibung auf einem – wenn auch als konstruiert, als dispositiv oder ideologisch überformt gekennzeichneten – Dies-/Jenseits der Grenze beharren, selten aber Akte der Grenzverletzung, Momente der Passage, des Transits, des Auf-der-Grenze-Seins in den Blick nehmen.[3] Aus einer aktuellen Perspektive wünschenswert wären etwa Überlegungen zu den Debatten um die europäischen Außengrenzen und deren Inszenierungen und technologische Aufrüstung einerseits sowie durch mobile Technologien möglich gewordene Ergänzungen und Subversionen hegemonialer Diskurse andererseits. Dennoch bietet der Band viele spannende Denkanstöße in Hinblick auf das Phänomen Grenze und trägt dazu bei, die anhaltenden Debatten des Räumlichen vermehrt unter Berücksichtigung des Liminalen zu führen. --- [1] vgl. Stephan Günzel: "Spatial turn – topographical turn – topological turn. Über die Unterschiede zwischen Raumparadigmen". In: Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, hrsg. v. Jörg Döring/Tristan Thielmann. Bielefeld: transcript 2009, S. 219–237. [2] vgl. etwa Sabine Hess/Bernd Kasparek (Hg.): Grenzregime Diskurse, Praktiken, Institutionen in Europa. Berlin/Hamburg: Assoziation A 2010 sowie Transit Migration Forschungsgruppe (Hg.): Turbulente Ränder. Neue Perspektiven auf Migration an den Grenzen Europas. Bielefeld: transcript 2007. [3] vgl. neben der kritischen Grenzregimeforschung auch den essayistisch gehaltenen Sammelband von Eva Horn/Stefan Kaufmann/Ulrich Bröckling (Hg.): Grenzverletzer. Von Schmugglern, Spionen und anderen subversiven Gestalten. Berlin: Kadmos 2002.
Das erziehungs- und bildungswissenschaftliche Grundwissen wird im Rahmen der Umstellung auf die Studienorganisation der Bachelor- und Masterstudiengänge neu strukturiert und systematisiert. Dieses Lehrbuch greift die bisherigen Entwicklungen zu Modulen auf, wie sie bundesweit mittlerweile als Profil sich herausbilden. Dazu werden knappe, exemplarische Grundinformationen gegeben, die das Basiswissen über Erziehung und Bildung widerspiegeln. (DIPF/Verlag)
Pädagogische Qualität im deutschen Früherziehungssystem (familiär und außerfamiliär).
NUBBEK bietet eine empirische Basis zur Erforschung der familiären und außerfamiliären Betreuung von zweijährigen (n = 1242) und vierjährigen (n = 714) Kindern. 27% der Kinder hatten einen türkischen oder einen russischen Migrationshintergrund. Die NUBBEK Studie orientierte sich an einer sozialökologischen Konzeption von Bildung und Entwicklung. Orientierungsqualität, Strukturqualität sowie Prozessqualität wurden weitgehend parallel sowohl für das Betreuungssetting Familie erhoben als auch für 567 Krippen-, Kindergarten- und Tagespflegegruppen.
Die Merkmale der Struktur- und Orientierungsqualität wurden über Fragebögen und Interviews mit Gruppenerzieherinnen und Einrichtungsleiterinnen sowie Tagespflegepersonen erfasst, teilweise auch durch direkte Beobachtungen. Als weitere Quelle dienten Angaben zu den (schriftlichen) pädagogischen Konzeptionen sowie zu persönlichen Merkmalen und Erziehungszielen der Pädagoginnen. Die pädagogische Prozessqualität wurde über die Integrierte Qualitäts-Skala (IQS) erhoben: in den Kindergartengruppen über die revidierte Kindergarten-Skala und ihre Zusatzmerkmale (KES-RZ) sowie über ihre speziell auf die Bildungsbereiche Literalität, Mathematik, Naturwissenschaft und interkulturelles Lernen zielende Erweiterung (KES-E); in den Krippengruppen über die revidierte Krippen-Skala (KRIPS-R), in den altersgemischten Gruppen über dieses gesamte Instrumentarium und in den Tagespflegestellen über die revidierte Tagespflege-Skala (TAS-R). Zusätzlich wurde in allen Betreuungssettings die Caregiver Interaction Scale (CIS) zur Erfassung des Interaktionsklimas sowie ein Aktivitätsfragebogen zu verschiedenen Aktivitäten mit den einzelnen Kindern (AKFRA) eingesetzt. Den Qualitätseinstufungen in den einzelnen Settings lagen jeweils mehrstündige Beobachtungen durch geschulte Beobachter zugrunde.
Analog zu den außerfamiliären Betreuungssettings wurde auch im Betreuungssetting Familie nach den Bereichen Struktur-, Orientierungs- und Prozessqualität unterschieden. Die Merkmale der Strukturqualität, wie Zusammensetzung der Familien, Bildungsstatus der Mütter, sozio-ökonomischer Status wurden über die Interviews in den Familien erfasst, Persönlichkeitsmerkmale der Mütter wie die Big Five, allgemeine Depressivität (ADS) über Fragebögen; ebenso wurden die Merkmale der Orientierungsqualität, wie Rolleneinstellungen der Mütter und Betonung bestimmter Erziehungsziele (Gehorsam, Autonomie, prosoziales Verhalten) über Mütterfragebögen erhoben. Merkmale der Prozessqualität wie das mütterliche Interaktionsklima mit dem Kind (CIS) und der Anregungsgehalt, den das Kind in der Familie erfährt (HOME), wurden über Beobachtungen der Erheber, Aktivitäten mit dem Kind (AKFRA) und die Mutter-Kind-Beziehung (PIANTA) über Fragebögen erfasst.
I. Kinddatensatz:
1. Erfassung des Anpassungsverhaltens (Vineland adaptive behavior scales II) in den Dimensionen Kommunikation (expressive, rezeptive und Schriftsprache), Alltagsfertigkeiten und Motorik (Grob- und Feinmotorik).
2. Erfassung der sozial-emotionalen Entwicklung des Kindes (z.B. Leistungsmotivation, Selbstbehauptung Folgsamkeit, Empathie, prozoziale Peerbeziehung (ITSEA, Social Scills Improvement System-Skala (SIS); Problemverhalten (Child Behaviour Checklist CBCL), Häufigkeit alterspezifischer sowohl motorischer als auch kognitiver Aktivitäten des Kindes im Familiensetting (AKFRA); Gesundheitszustand des Kindes: Geburtsgewicht und Geburtsgröße, geschätztes aktuelles Gewicht und Größe des Kindes; Geburtsschwangerschaftswoche, Reifegrad; Kind wurde oder wird gestillt; Lebensmonat bis zum dem gestillt wurde; Schwierigkeiten während der ersten Monate nach der Geburt; Bereitschaft zur Durchführung geforderter Impfungen; Schlafschwierigkeiten; Zufriedenheit mit den Schlafgewohnheiten; Kinderkrankheiten; Häufigkeit ausgewählter Erkrankungen in den letzen 12 Monaten; physische Gesundheitsbeeinträchtigungen bzw. psychische oder soziale Entwicklungsbeeinträchtigungen; Angaben zu erlittenem Unfall und stationärem Krankenhausaufenthalt; Beziehung zum Kind, Nähe und Konflikte: Mutter-Kind-Beziehung (Child Parent Relationship Scale nach Pianta); Erziehungsverhalten (Härte, Strafe, kindzentrierte Kommunikation, emotionale Wärme und autoritäre Haltung); Erziehungsverhalten (APQ); Erziehungsziele; Bildungsorientierungen- und Erwartungen: Bildungsaspiration für das Kind (Idealvorstellung und erwartet); Verantwortlichkeit für Bildung und Erziehung; Geschlechtsrollen-Orientierungen: Einstellung zur Berufstätigkeit von Frauen (Skala); Erziehungskonflikt-Skala (EKS); Partnerschaftsqualität; Lebenszufriedenheit: Zufriedenheits-Skalen für ausgewählte Lebensbereiche; Depressivität (allgemeine Depressionsskala (ADS); persönliche Selbstcharakterisierung (Big Five: Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, geringe emotionale Stabilität, Offenheit für neue Erfahrungen).
Demographie: Geschlecht und Alter (in Monaten) des Zielkindes; Altersgruppe, Einrichtungsart; Gruppenart; Migrationsgruppe.
Zusätzlich verkodet wurde: Zielkind-ID, Einrichtungs-ID und Gruppen-ID (bei familienbetreuten Kindern: Familien ID; Person, die den Fragebogen beantwortet hat; Ausfülldatum (Tag und Monat).
3. Interview Gruppenerzieher: Bezugserzieher bzw. Erzieherin seit (Monat und Jahr); Sprachförderungsprogramm: Teilnahme an Sprachförderungsprogramm, Teilnahmedauer und Art des Förderungsprogramms; Verhalten und Fertigkeiten des Kindes: Entwicklungsstand des Kindes (Vineland Adaptive Behavior Scales, Second Edition (Vineland-II); soziale Kompetenz: Leistungsmotivation, Folgsamkeit, Selbstbehauptung, Kooperation, Empathie, prosoziale Peerbeziehung; Problemverhalten (Child Behaviour Checklist CBCL); Aktivitäten des Kindes (AKFRA); Einschätzung des allgemeinen, Gesundheitszustands des Kindes sowie des körperlichen und seelischen Wohlbefindens; Einschätzung des Wohlbefindens im Zusammenhang mit anderen Kindern sowie weiteren Betreuungspersonen; Beziehung zum Kind, Nähe und Konflikte: Beziehung zum Kind (Child Parent Relationship Scale nach Pianta); Familienbezug: ErzieherIn-Eltern-Beziehung (Parent-Teacher Relationship Scale II); Erziehungsziele; Depressivität (Allgemeine Depressionsskala (ADS); persönliche Selbstcharakterisierung (Big Five: Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, geringe emotionale Stabilität, Offenheit für neue Erfahrungen).
Zusätzlich verkodet wurde: Ausfüll-Datum EPAPI.
4. Interview Mütter: Betreuungszeiten: bislang genutzte Betreuungsformen; Erfassung von Betreuungsort, Betreuungsform und Betreuungsgeschichte nach Altersspannen; aktuelle Betreuungszeiten: Erfassung der Betreuungsform für jeden Wochentag einer normalen Woche; jeweils für die Mutter und den Partner wurde erfragt: Berufstätigkeit, Arbeitszeiten einschließlich Wegezeiten, Schichtarbeit und Wochenarbeitszeit; durchgeführte Impfungen und Früherkennungsuntersuchungen; Körpergröße und Gewicht des Kindes zum Zeitpunkt der jeweiligen Früherkennungsuntersuchungen.
5. Soziodemographie: Einschätzung der verwendeten Zeit für ausgewählte Lebensbereiche (Beruf/Ausbildung, Hausarbeit, Freizeit, Partnerschaft, Kinder, Freunde); Familienstand; Familienstand seit wann (Monat und Jahr); Haushaltszusammensetzung; Vater des Kindes lebt im Haushalt; Haushaltsgröße; Personenzahl im Haushalt ab 18 Jahren und Alter dieser Personen; Stellung dieser Personen zum Befragten; Geschlecht und Alter der Kinder im Haushalt, leibliches /nicht leibliches Kind; Wohnfläche der Wohnung; Kinderzimmerzahl; Wohnstatus; jeweils für die Mutter und den Partner wurde erfragt: höchster Bildungsabschluss (ISCED-97), höchster Schulabschluss, Jahre des Schulbesuchs, Schulbesuch in einem anderen Land außer Deutschland, Anzahl der Schuljahre in einem anderen Land, Land des Schulabschlusses, Erwerbstätigkeit, derzeitige bzw. letzte berufliche Stellung, Arbeitstage pro Woche und Arbeitsstunden pro Arbeitstag (jeweils gesamt, Untergrenze und Obergrenze); persönlicher Bruttoverdienst und Nettoverdienst im letzten Monat; Bezug von Transferleistungen, Unterhaltszahlungen oder sonstiger Unterstützung und jeweiliger Betrag; Haushaltsnettoeinkommen; arm-reich-Einstufung der Haushalte des Wohnviertels und des eigenen Haushalts; präferierte Wochenarbeitszeit; Vater hat Elternzeit oder Erziehungsurlaub genommen; Dauer der Elternzeit oder des Erziehungsurlaubs; Berufstätigkeit Vollzeit oder Teilzeit vor der Geburt des Kindes; Unterbrechung der Berufstätigkeit nach der Geburt und Unterbrechungsdauer; beabsichtigte Erwerbstätigkeit und Zeitpunkt für die Aufnahme der Erwerbstätigkeit; Interesse an einer Vollzeit- oder Teilzeitbeschäftigung und gewünschte Stundenzahl; Anzahl Schuljahre von Vater und Mutter, Erikson, Goldthorpe & Portocarero Classification (EGP); Alter der Mutter.
Migration: Deutsche Staatsangehörigkeit bzw. zweite Staatsangehörigkeit und Geburtsland von Mutter und Partner; Geburtsland der Eltern; Türkischstämmigkeit der Mutter bzw. des Vaters; Geburtsland der Eltern des Partners; russischer bzw. türkischer Migrationshintergrund des Zielkindes; Alter des Befragten und des Partners bei Zuzug nach Deutschland und Gründe für die Zuwanderung; Aufenthaltsdauer im Herkunftsland in den letzten zwei Jahren; mit dem Kind und dem Partner in Deutschland gesprochene Sprache; vom Partner mit dem Kind und dem Befragten gesprochene Sprache; Selbsteinschätzung der türkischen, russischen und deutschen Sprachkenntnisse; Freude an der türkischen bzw. russischen Sprache; Wohlfühlen mit der türkischen bzw. russischen Sprache zuhause und mit Freunden; wichtig, mit dem Kind Türkisch bzw. Russisch zu sprechen; Wohlfühlen in einer Gruppe von Deutschen ohne Sprachkenntnisse in Türkisch bzw. Russisch; Freude an der deutschen Sprache; Wohlfühlen mit der deutschen Sprache zuhause und mit Freunden; wichtig, mit dem Kind Deutsch zu sprechen; Wohlfühlen in einer Gruppen Türken bzw. Personen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken ohne Deutschkenntnisse; Religionsgemeinschaft; Kirchgangshäufigkeit; Generationsstatus der Mutter und des Partners.
Kinderbetreuung: Alter des Kindes zum Zeitpunkt des Eintritts in außerfamiliäre Betreuung (Monate und Lebenshalbjahre); detaillierte Angaben zur Kinderbetreuung (Betreuungsperson, wöchentlicher Betreuungsumfang); Sorgerechtsregelung (wöchentliche oder seltenere Treffen), Stundenzahl pro Monat Betreuung durch den leiblichen Vater; nutzbare Betreuungsmöglichkeiten; Gründe für Familienbetreuung; Bereitschaft zur Nutzung einer Kindestageseinrichtung unter ausgewählten Voraussetzungen; Zeitpunkt der ersten Fremdbetreuung in einer Kindertageseinrichtung bzw. bei einer Tagesmutter; Gründe für die Fremdbetreuung; Zeitbudget für Erwerbstätigkeit, Ausbildung oder Studium und Aktivitäten vor der Betreuung und nach Betreuungsbeginn; Änderungen im Betreuungsumfang persönlich, Partner, Kinderfrau, Großeltern, andere Verwandte, Nachbarn, Freunde, andere Eltern; Änderung der Beziehung zu ausgewählten Familienmitgliedern; Schwierigkeiten, einen Platz in einer Kindertageseinrichtung bzw. einer Krippe oder bei einer Tagesmutter zu bekommen, Wartezeit und Wartedauer; Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Kindertageseinrichtungen; wichtige Kriterien für die Auswahl der Kindertageseinrichtung; Zufriedenheit mit ausgewählten Kriterien der Kindertageseinrichtung; Wechsel der Einrichtung (Anzahl, Zeitpunkt und jeweiliger Grund für den Wechsel); entsprechende Abfragen im Falle der Betreuung durch eine Tagesmutter; Höhe der Betreuungskosten; Essenskosten im Betreuungsgeld enthalten bzw. Betrag Essenskosten; Anzahl weiterer Kinder, die durch Kindertagespflege, Krippe, KITA oder Hort betreut werden; Höhe der Betreuungskosten und Essenskosten für alle Kinder; Veränderung des verfügbaren Haushaltsnettoeinkommens im Vergleich zum Zeitpunkt vor Eintritt in die Betreuung und Betrag der Änderung; Zeitaufwand des Befragten und des Partners für ausgewählte Alltagstätigkeiten und die Wegezeit vom Arbeitsplatz zur Betreuungseinrichtung; keine Fremdbetreuung des Kindes in den letzten 12 Monaten aufgrund seines Gesundheitszustands; Betreuungsperson in dieser Zeit; keine eigene Erwerbstätigkeit in dieser Zeit.
Gesundheit der Mutter: Zufriedenheits-Skalometer körperliche und seelische Gesundheit; Häufigkeit von Stress und Zeitdruck; Raucherstatus der Mutter und des Partners; Krankheitstage der Mutter und des Partners im Jahr 2009; gelbes Vorsorgeheft und Impfausweis des Kindes lagen vor; Lebenszufriedenheit (Skalometer).
Zusätzlich verkodet wurde: Fragebogen allein ausgefüllt bzw. gemeinsam mit Partner oder einem NUBBEK-Mitarbeiter; Ausfülldatum (Tag und Monat); Haushalts-Äquivalenzeinkommen (neue OECD Skala); SES Index (MIMIC-Modell); Interviewbeginn und Interviewende; Tag der Durchführung, Endzeit und Enddatum des Interviews; Unterbrechungen, Verständnisprobleme oder Störungen während des Interviews.
Erfassung erziehungsrelevanter Ressourcen (z.B. kind- und altersgerechtes Spielzeug, Bücher im Haushalt, sichere Wohnung und Wohnumgebung, gemeinsame Mahlzeiten), des Interaktionsverhaltens zwischen Mutter und Kind (z.B. positive emotionale Reaktionen, Lob, Schimpfen, Schläge) und kognitive Anregungen (HOME, Home Observation for Measurement of the Environment).
Zusätzlich verkodet wurde: HOME vollständig; HOME Kommentar des Interviewers.
Interviewereinschätzung des Klimas der Interaktion zwischen Mutter und Kind: Sensivität, Involviertheit, Akzeptanz gemäß Caregiver Interaction Scale (CIS).
6. Kindstestung (Verhalten und Fertigkeiten des Kindes): Sprachkompetenz des Kindes: passiver Wortschatz (Deutsch, Russisch, Türkisch) - Testinstrument: Peabody Picture Vocabulary Test (PPVT); Kompetenz im kognitiven Bereich: räumliches Vorstellungsvermögen, psychomotorische Koordination, Kombinationsfähigkeit, Flexibilität des Denkens, Problemlösungen mit Schwerpunkt auf serieller oder zeitlicher Anordnung der Reize - Testinstrumente: Hannover-Wechsler-Intelligenztest für das Vorschulalter - Experimentalform (HAWIVA) und Kaufman Assessment Battery for Children (ABC, deutsche Version).
Zusätzlich verkodet wurde: Testversionen PPVT und Vollständigkeit der einzelnen Versionen; Kommentare; Zeitdifferenz; Beginn und Ende (Stunden, Minuten) des Mosaiktests (HAWIVA); Versuche, Versuchszeiten und erreichte Punkte; Zeitdifferenz HAWIVA in Minuten; Bearbeitung und Vollständigkeit des Mosaiktests (HAWIVA); Kommentar; Beginn und Ende K-ABC; Handbewegung K-ABC vollständig; Kommentar; Zeitdifferenz; Bearbeitung K-ABC; Reihenfolge der einzelnen Testinstrumente.
Erfahrungsbericht zur Kindstestung: Motivation des Kindes; Befolgen von Anweisungen; auffälliges Verhalten; Kommentar zum auffälligen Verhalten; Versuche, einen oder mehrere Tests vorzeitig abzubrechen; Testabbruch (PPVT) durch allgemeine Aufmerksamkeitsprobleme bzw. mangelnde Sprachkenntnisse in Deutsch bzw. Russisch oder Türkisch; Kommentar zu sonstigen Abbruchgründen; Störung während des Tests; Kommentar sonstige Störung; Anwesenheit der Mutter oder anderer Personen während der Kindstestung; Kommentar Anwesenheit anderer Personen; Beeinflussung des Kindes durch anwesende Personen; Kommentar zur Beeinflussung des Kindes; Instruktion erfolgte in Deutsch, in Türkisch oder in Russisch; Einschätzung der Verwendbarkeit der Kindstests direkt nach Testung oder nachträglich; Einschätzungsdatum; Einschätzung der Verwendbarkeit der Testergebnisse der einzelnen Testinstrumente und Begründung; Durchführungsdatum der jeweiligen Testinstrumente.
Zusatzinformationen zum Ablauf der Erhebung: Datum und Dauer (Stunden, Minuten) des 1. und 2. Erhebungstermins.
7. Interviewerbefragung: Beginn und Ende der Erhebertätigkeit (Monat und Jahr); Funktion bei NUBBEK (als Interviewer in Familien, als Erheber in Einrichtungen oder Familieninterview und Erheber); Anzahl der Familieninterviews; Anzahl der Settingerhebungen; Vorerfahrung als Interviewer bzw. Erheber; Vorerfahrung Datenerhebung mit Kindern, mit Erwachsenen bzw. mit Setting; Interviewertätigkeit ausschließlich für NUBBEK; eigene Motivationsgründe für die Interviewertätigkeit und erfüllte Erwartungen; Evaluation der Interviews; Freude an der Interviewertätigkeit mit ausgewählten Personengruppen; Einschätzung der Vorbereitung; Bewertung der Teilnahmebereitschaft bei unterschiedlichen Geldbeträgen als Incentives; teilnahmesteigernde Wirkung durch Erhöhung der Incentives.
Demographie des Interviewers: Schulabschluss; Erwerbstätigkeit; berufliche Stellung; Studienfächer; Familienstand; Geburtsland; Muttersprache Deutsch; Interviewer ist in der Lage Interview in Deutsch, Englisch, Türkisch, Russisch zu führen; sonstige Fremdsprachenkenntnisse; Geschlecht; Alter (Geburtsjahr); Bereitschaft zu einer weiteren Tätigkeit für NUBBEK.
II. Gruppensetting
1. Einrichtungsfragebogen: Personale und räumliche Gegebenheiten in der Einrichtung: Erfassung des gesamten pädagogischen Personals der Einrichtung nach Ausbildung, Wochenarbeitszeit, Fortbildungsumfang in den letzten 12 Monaten, Qualifikation von spez. pädagogischem Personal und dessen Wochenarbeitszeit; Anzahl und Größe der Büroräume, der Aufenthaltsräume für Personal, der speziellen gruppenübergreifenden Räume, der multifunktionalen Flächen; Anzahl der Toilettenräume; Größe der Außenfläche und konkrete Ausgestaltung der Außenfläche (z.B. feste Fläche zum Fahren, Sandflächen u.a.).
2. Gruppenfragebogen: Alter (in Monaten) des jüngsten und des ältesten Kindes in der Gruppe; Öffnungszeiten für Gruppenarbeit, Mittagsschließungszeiten; Gruppenzusammensetzung: Alter und Geschlecht sämtlicher Kinder, Familiensprache Deutsch oder nicht-deutsch, geringe Deutschkenntnisse, Teilnahme an Sprachförderprogrammen, Behinderung, detaillierte Erfassung der üblichen Anwesenheitszeiten, Anzahl und Größe der Gruppenräume dieser Gruppe; Fläche einer zweiten Ebene; pädagogische Nutzung von Flur und Garderobenflächen und deren Größe; wöchentliche Nutzung von Innenräumen außerhalb der Einrichtung.
3. Fragebogen für die Kindertagespflege: Erfassung entsprechender Struktur-Merkmale von Tagemüttern: für bis zu neun betreute Kinder wurde erfasst: Geschlecht, geringe Deutschkenntnisse, Familiensprache, Behinderung, Jahr des Beginns der Betreuung, Art der Vermittlung, detaillierte Erfassung der Anwesenheits- bzw. Betreuungszeiten, Alter eigener Kinder und Art der Betreuung, Anzahl der betreuten Kinder insgesamt in den Jahren 2006, 2007 und 2008 und bis September 2009; Lage der Tagespflegeeinrichtung; Anzahl und Größe der Gruppenräume bzw. weiterer Räume; nutzbare Außenflächen; Entfernung des Spielplatzes in Gehminuten; Pflegetätigkeit allein; weitere an der Pflege beteiligte Personen; Anzahl der bisher betreuten Kinder insgesamt; Grund für Beendigung der Betreuungstätigkeit; kürzeste und längste Betreuungszeit eines Kindes; pädagogische Berufsausbildung; Interesse an einer pädagogischen Berufsausbildung; Angaben zur berufliche Tätigkeit vor Tagespflege: als Hausfrau, pädagogische Tätigkeit oder Selbständigkeit; höchster Bildungsabschluss; Grund für die Aufgabe der Berufstätigkeit; Teilnahme an einem Fortbildungskurs für Tagesmütter; Grund für den Beginn der Tätigkeit in der Tagespflege; Art der speziellen Vorbereitung; Zeitpunkt (Monat und Jahr) und Dauer (in Stunden) von Fortbildungskursen; schwierige Teilnahme an Fortbildungskursen; schriftliche Konzeption für Tagespflegestelle; Charakterisierung der Tagespflegetätigkeit anhand ausgewählter Aussagen (z.B. Zeitdruck, nicht abschalten können, finanzielle Probleme, gesundheitliche Probleme, Arbeitszufriedenheit; Zufriedenheit-Skalometer (z.B. berufliche und soziale Sicherheit, finanzielle Lage, Aufgaben als Tagesmutter, Arbeitszeiten, Anzahl der Überstunden, Weiterbildungsangebot, Ausstattung der Tagespflegestelle, Gestaltungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz u.a.).
Demographie der Tagesmutter: Alter; Familienstand; Wohnsituation; Einstellung des Lebenspartners zur Tagespflegetätigkeit; monatliches Haushaltsnettoeinkommen; Wohnungsgröße; Haushaltszusammensetzung.
4. Fragebogen zur Gesundheit und Hygiene in der Einrichtung bzw. Tagespflegestelle: Hygienestandards: Betreuungsangebot für erkrankte Kinder in der Einrichtung; zur Verfügung stehende Beschreibungen über Symptome von Kinderkrankheiten, Anzeichen von Kindesmisshandlung oder Kindesmissbrauch und den Umgang mit Erkrankungen und leichten Verletzungen; Zeitpunkt der letzten Thematisierung von Hygienestandards in einer Teambesprechung; gute Sichtbarkeit von Notfallnummern; aktueller Impfstatus des Kindes als Aufnahmevoraussetzung; schriftliche Informationen für jedes Kind über Impfstatus und Gesundheitsinformationen z.B. Allergien; Räume für Kinder, die sich unwohl fühlen; zusätzliche personelle Unterstützung für in der Einrichtung erkrankte Kinder.
5. Erfassung der Prozessqualität in Kindergruppen mittels KES-R, KES-E und KES-Z (Kindergarten-Skala, revidierte, erweiterte Form und Zusatz) in sieben Bereichen Platz und Ausstattung, Betreuung und Pflege der Kinder, Sprachliche und kognitive Anregungen, Aktivitäten, Interaktionen, Strukturierung der pädagogischen Arbeit, Eltern und Erzieherinnen; neben den zuvor genannten Bereichen wurde mittels KRIPS-R (Krippen-Skala, revidierte Form) zusätzliche Merkmale erfasst. Im Bereich der Kindestagespflege wurde die TAS (Tagespflegeskala) zur entsprechenden Qualitätsfeststellung eingesetzt.
6. Leiterinneninterview zur Erfassung der strukturellen Bedingungen der Einrichtung sowie der persönlichen Merkmale der Leitung: Detaillierte Erfassung der Bereiche: Träger der Einrichtung, Öffnungszeiten und gruppenübergreifende Dienste, Anzahl der Gruppen/Kinder, Leitung bzw. Stellvertretende Leitung, Zusatzpersonal, Aus- und Fortbildungen, Berufserfahrung, Konzeption der Einrichtung.
7. Erzieherinneninterview zur Erfassung der strukturellen Bedingungen der Kindergruppe sowie der persönlichen Merkmale der Erzieherin: detaillierte Erfassung der Bereiche: Pädagogische Fachkräfte, die in der Gruppe arbeiten, Arbeitszeiten, persönliche Merkmale, Aus- und Fortbildungen der Erzieherinnen, Berufserfahrung der Gruppenerzieherin, Arbeitszeiten, Aus- und Fortbildungen der Erzieherinnen.
8. Fragebogen zur Erfassung des Personal-Kind-Schlüssels (Erfassung der Anzahl der anwesenden Kinder und pädagogischen Fachkräfte zu drei festgelegten Messzeitpunkten am Morgen, Mittag und Nachmittag entsprechend den Kernzeiten der Gruppe.
9. Interviewer/Erheber-Einschätzung des Verhaltens der Erzieherin gegenüber den Kindern mittels CIS (Cargiver-Interaction Scale)
Zusätzlich verkodet wurde: Einrichtungs-ID und Gruppen ID (bei familienbetreuten Kindern: Familien-ID; Ost/West; Erhebungsdatum der Testinstrumente.
Der Focus dieser Arbeit liegt auf den strategischen Reaktionen deutscher Städte (insbesondere Stadtpolitik und Stadtverwaltung) auf den demographischen Wandel als ein gesamtdeutsches gesellschaftliches Phänomen, welches sich räumlich differenziert darstellt. Was sind vor diesem Hintergrund die wahrgenommenen Probleme und wie gehen die Städte damit um? Was sind handlungsleitende Strategien? Im Rahmen des Dissertationsvorhabens wurden 122 Städte bezüglich der Fragestellungen untersucht (Auswertung der demographischen Daten, Recherche auf den Homepages der Städte, Analyse der Neujahrsansprachen der Oberbürgermeister, Untersuchung der explizit artikulierten Strategien der Städte in Form von Stadtentwicklungs- und Integrationskonzepten). Die breite Auswahl empirischer Ergebnisse in der Art eines Surveys ergänzt die auf Fallstudien basierenden Forschungen zum demographischen Wandel in Deutschland. Die demographischen Veränderungen werden im Allgemeinen von den Städten als Herausforderung erkannt und auch thematisiert (in 50 von 104 Neujahrsansprachen explizit erwähnt). Die Städte stellen sich der Herausforderung, wollen aktiv in das Geschehen eingreifen: einerseits am Verteilungskampf um Bevölkerung teilhaben/den Trend umkehren und sich aktiv um Bevölkerungszuwanderung bemühen; andererseits die mit dem Wandel einhergehenden Probleme bewältigen und gegebenenfalls die Strukturen an die neue Situation anpassen. 60 von 122 Städten verzeichnen schon jetzt einen Rückgang ihrer Bevölkerung, 62 haben noch Bevölkerungswachstum. Wahrgenommene Probleme bezüglich des Bevölkerungsrückganges sind in erster Linie Leerstände im Wohnbereich, der geringere Anteil an jüngeren Menschen, unterausgelastete soziale und technische Infrastruktur sowie eine steigende Pro-Kopf-Verschuldung der Einwohner. Strategien der Städte im Umgang mit dem Bevölkerungsrückgang sind in erster Linie eine aktivierende Familienpolitik (z.B. Familienfreundliche Stadt, Bauland für Familien, Bündnis für Familie, Familienpass, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie), der Ausbau der Bildungs- und Betreuungseinrichtungen (z.B. Ganztagsschulen, Betriebskindergärten, Krippen, etc.) sowie der Stadtumbau zur Anpassung der Strukturen an die sich ändernden Rahmenbedingungen. Bei 58 von 122 Städten findet sich das Thema Alterung auf den Internetseiten der Städte wieder. In diesem Zusammenhang werden besonders die Herausforderungen im Umgang mit der Bereitstellung einer altersgerechten Infrastruktur und einer optimalen Gesundheitsversorgung herausgestellt. Bezüglich der Strategien überwiegen Ansätze zur Verbesserung der Pflegesituation und des seniorengerechten Wohnens (z.B. betreutes Wohnen, Mehrgenerationenhaus), aber auch der Wissenstransfer von Alt zu Jung soll gefördert werden. Desweiteren werden in 111 von 122 Städten die Belange der älteren Mitbürger von sogenannten Seniorenbeiräten vertreten. Dass der Teilaspekt der Heterogenisierung einen zentralen Aspekt darstellt, zeigen die Ergebnisse der Interneterhebung – bei 108 von 122 Städten fanden sich Treffer zum Thema Integration. Der Ausländeranteil in den untersuchten Städten liegt zwischen 1,4 Prozent in Gera und 25,1 Prozent in Offenbach. Trotz der Integrationsbemühungen vieler Städte zeigen sich doch vielschichtige Probleme – Sprachprobleme, geringe berufliche Qualifizierung, Rückzug der Migranten in Nischenwelten (Segregation, Herausbildung von Parallelgesellschaften), hohe Arbeitslosigkeit, kein Wahrnehmen der Integrationsangebote (z.B. Integrationskurse) und auch Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Dem allen versuchen die Städte zu begegnen – in erster Linie in ihrer Sprache, indem sie sich als weltoffen und tolerant bezeichnen. Desweiteren setzen sich für die Belange der ausländischen Mitbürger in 90 Städten sogenannte Aus-länderbeiräte oder auch Integrationsbeiräte ein. In 25 Städten gibt es anstelle eines Beirates - oder zusätzlich - einen Integrationsbeauftragten. 14 von 122 Städten besitzen weder einen Beirat noch einen Integrationsbeauftragten. 50 Städte weisen schon explizit artikulierte Strategien in Form von Integrationskonzepten auf. Bei 28 weiteren Städten ist ein solches Konzept in Arbeit. Die Sprachförderung wird in den meisten Konzepten als Schlüssel zu Bildung und Integration angesehen. Weitere Strategien sind die Förderung der Arbeitsmarktintegration, die interkulturelle Öffnung und die Partizipation am öffentlichen Leben. Bei der Zusammenführung der sektoralen Strategien der Fachämter in eine übergeordnete für die Gesamtstadt geltende Strategie, leisten 'Integrierte Stadtentwicklungskonzepte' bereits in 70 Städten einen wichtigen Beitrag. Durch ein abgestimmtes Vorgehen können aufgrund der geringeren Finanzausstattung der Kommunen Prioritäten gesetzt und Handlungsschwerpunkte festgelegt werden. Nur ein solch integrierter Ansatz wird es den Städten in Zukunft ermöglichen, ihre Handlungsfähigkeit zu bewahren.:1 Einleitung 3 1.1 Demographischer Wandel und Strategien der Stadtentwicklung – Stand der Diskussion 3 1.2 Problemstellung und Forschungsfragen 8 1.3 Allgemeiner Bezugsrahmen der Arbeit 9 1.4 Empirischer Bezugsrahmen 10 1.4.1 Untersuchungsgegenstand 10 1.4.2 Erhebungsmethoden 12 1.5 Aufbau der Arbeit 16 2 Die Stadt im Kontext des demographischen Wandels 17 2.1 Die Stadt 17 2.1.1 Akteure, Akteurskonstellationen und institutioneller Rahmen 17 2.1.2 Organisation 22 2.1.3 Aufgaben 23 2.2 Der demographische Wandel und die Theorie der zweiten demographischen Transformation 25 2.3 Stadt und Bevölkerungsrückgang – "die schrumpfende Stadt baut um" 28 2.3.1 Wir werden "Weniger" 28 2.3.2 Probleme, Folgen und räumliche Auswirkungen 31 2.3.3 Strategien und Handlungsansätze 38 2.4 Stadt und Alterung – "die alternde Stadt zieht um" 48 2.4.1 Wir werden "Älter" 48 2.4.2 Probleme, Folgen und räumliche Auswirkungen 54 2.4.3 Strategien und Handlungsansätze 55 2.5 Stadt und Internationalisierung – "die bunte Stadt denkt um" 59 2.5.1 Wir werden "Bunter" 59 2.5.2 Probleme, Folgen und räumliche Auswirkungen 61 2.5.3 Strategien und Handlungsansätze 63 2.6 Reurbanisierung – die Lösung für die schrumpfende, alternde und weltoffene Stadt 65 3 Pläne, Strategien und der Beitrag integrierter Stadtentwicklungskonzepte 67 3.1 Strategische Planung oder Planung mit Strategien? 68 3.2 Strategische Planung im Umgang mit dem demographischen Wandel 73 4 Reaktionen deutscher Städte 75 4.1 Wir werden weniger, älter und bunter 76 4.2 Problemwahrnehmung der Städte – aktuelle Herausforderungen 79 4.2.1 Die Herausforderung des demographischen Wandels 81 4.2.2 Bevölkerungsrückgang ist keine Chance 81 4.2.3 Wir werden älter – ein Traum wird wahr? 84 4.2.4 Kulturelle Vielfalt ist nicht nur eine Bereicherung 86 4.3 Handlungsleitende Strategien – Pläne und Konzepte im Umgang mit dem demographischen Wandel 88 4.3.1 Die Kinder- und familienfreundliche Stadt 94 4.3.1.1 Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf 97 4.3.1.2 Attraktives Wohnen in der Stadt 100 4.3.1.3 Sprachrohre für Kinder und Familien 103 4.3.1.4 Städtische Hilfen 106 4.3.2 Die seniorenfreundliche Stadt 108 4.3.2.1 Lebenslanges Lernen, die Potentiale der Alten und das Ehrenamt 109 4.3.2.2 Wohnen im Alter 111 4.3.2.3 Sprachrohre für Senioren 113 4.3.2.4 Angebote und Hilfen für Senioren 114 4.3.3 Die ausländerfreundliche und weltoffene Stadt 117 4.3.3.1 Sprache als Schlüssel zu Bildung und Arbeit 122 4.3.3.2 Wohnen und Migranten – Integration auf Stadtteilebene 125 4.3.3.3 Sprachrohre und Hilfen für Migranten 129 4.3.4 Die Stadtumbaustadt – nicht mehr nur ein ostdeutsches Phänomen 133 4.3.4.1 Chancen für die Städte 134 4.3.4.2 Rückbau- und Anpassungstrategien – Entwicklung findet 'Innenstadt' 135 4.3.5 Strategische Stadtplanung – ein Hilfsmittel im Wandel? 140 4.3.5.1 Wir brauchen Strategien 140 4.3.5.2 Die Entwicklung von Strategien – Vorgehen nach Plan 141 4.3.5.3 Der Beitrag integrierter Stadtentwicklungskonzepte 146 5 Zusammenfassende Schlussfolgerungen und Perspektiven 155 6 Quellenverzeichnis 167 6.1 Literatur 167 6.2 Dokumente 186 6.2.1 Reden der Oberbürgermeister/innen 186 6.2.2 Stadtentwicklungskonzepte 198 6.2.3 Integrationskonzepte 201 6.3 Internetseiten der Städte 204 6.4 Telefoninterviews 206 7 Abbildungsverzeichnis 212 ; The focus of this work lies on strategic reactions of German cities (in particular city politics and city council) to the phenomenon of demographic change, which appears spatially differentiated. What are the problems perceived in the recent past? How do cities deal with these problems? What are the strategies pursued? Answers to these questions will be given based on an empirical research of 122 mostly large and medium-sized county-free cities in Germany (analysis and interpretation of demographic data, internet research on city homepages, content analysis of New year's speeches of city mayors, content analysis of established strategies in the form of city development concepts and concepts dealing with the integration of immigrants). The broad range of empirical findings in the manner of a survey complements demographic research in Germany that is mainly based on case studies. Most of the German cities recognize demographic change as the main challenge in the near and further future and pick it out as a central theme in city development (in 50 out of 104 New Year's speeches it was explicitly mentioned). The cities rise to that challenge and are willing to do everything within their power: On the one hand they try to gain population by striving immigration (especially young families), on the other hand they want to deal with the problems that come along with populations loss, ageing and a high percentage of foreigners and adjust city structures to the new developments. 60 out of 122 cities are already affected by population loss, 62 still have a growing population. Perceived problems regarding this matter are primarily the high vacancy rates on the housing market, the small share of young people, less utilization of social and technical infrastructure and the increasing per-capita debt (fewer inhabitants lead to less income and less allocation of funds from the German federation and Länder).To become or to be child and family-friendly is one of the main pursued strategies of cities to confront population decline and ageing. In detail cities follow an activating family policy: they provide beneficial land for building for families, participate in the national program 'Alliance for Families', and give benefits concerning leisure activities. Further strategies concern the development of the urban social infrastructure as fulltime schools, day care and nursery schools to provide a better support in reconciliation of work and family life. For the adjustment of a city's social and technical infrastructure as well as the housing market, funds for urban redevelopment are widely used. On 58 out of 122 city homepages the issue of ageing has been picked out as an important theme. In this regard especially the challenges concerning an age-appropriate infrastructure and health care have been emphasized. So cities strive for a better health care provision for older people (outpatient care, home care, new forms of foster homes) as well as senior-friendly housing (e.g. assisted living, 'Multi-Generational Homes') and the knowledge transfer between different generations (e.g. the elderly and the young). Besides those strategies 111 cities have an elected advisory council for senior citizens that stand up for the concerns of older people. Looking at the aspect of integration of immigrants it can be seen that this issue really concerns city officials. Not only that issue-related hits could be found on 108 city homepages, but also the number of perceived problems and developed concepts makes integration an important aspect in dealing with the consequences of demographic change. The share of immigrants in German cities shows significant differences between East and West Germany – it varies between 1.4 percent in the City of Gera and 25.1 percent in the City of Offenbach. Despite numerous integration efforts cities are confronted with severe and complex problems – like language problems, low professional qualification levels and little career opportunities, high unemployment rates of immigrants, development of parallel societies/immigrant communities (segregation), missing acceptation of integration offers (language courses etc.) and xenophobia. Dealing with these problems cities firstly want to be seen as cosmopolitan, multi cultural and tolerant. Secondly numerous cities (90) established an advisory board for foreigners or so called integration agents (25) that regard the interests and suggestions of immigrants. Thirdly the cities developed (50) or are still working on concepts (28) dealing with the integration of immigrants. The promotion of language skills is in most concepts seen as 'the key' to education and integration. Further strategies are employment promotion and integration in the local labor market, cross-cultural communication and competence and the participation in public life. For the integration of all kinds of sectoral strategies in an overall strategy for the entire city, city development processes and concepts have been a big help in dealing with demographic change in 70 cities. Due to the financial crisis, the coordination of interests enables city officials to assign priorities and key aspects of activity. This approach will be necessary, if German cities want to keep their capacity to act in the future.:1 Einleitung 3 1.1 Demographischer Wandel und Strategien der Stadtentwicklung – Stand der Diskussion 3 1.2 Problemstellung und Forschungsfragen 8 1.3 Allgemeiner Bezugsrahmen der Arbeit 9 1.4 Empirischer Bezugsrahmen 10 1.4.1 Untersuchungsgegenstand 10 1.4.2 Erhebungsmethoden 12 1.5 Aufbau der Arbeit 16 2 Die Stadt im Kontext des demographischen Wandels 17 2.1 Die Stadt 17 2.1.1 Akteure, Akteurskonstellationen und institutioneller Rahmen 17 2.1.2 Organisation 22 2.1.3 Aufgaben 23 2.2 Der demographische Wandel und die Theorie der zweiten demographischen Transformation 25 2.3 Stadt und Bevölkerungsrückgang – "die schrumpfende Stadt baut um" 28 2.3.1 Wir werden "Weniger" 28 2.3.2 Probleme, Folgen und räumliche Auswirkungen 31 2.3.3 Strategien und Handlungsansätze 38 2.4 Stadt und Alterung – "die alternde Stadt zieht um" 48 2.4.1 Wir werden "Älter" 48 2.4.2 Probleme, Folgen und räumliche Auswirkungen 54 2.4.3 Strategien und Handlungsansätze 55 2.5 Stadt und Internationalisierung – "die bunte Stadt denkt um" 59 2.5.1 Wir werden "Bunter" 59 2.5.2 Probleme, Folgen und räumliche Auswirkungen 61 2.5.3 Strategien und Handlungsansätze 63 2.6 Reurbanisierung – die Lösung für die schrumpfende, alternde und weltoffene Stadt 65 3 Pläne, Strategien und der Beitrag integrierter Stadtentwicklungskonzepte 67 3.1 Strategische Planung oder Planung mit Strategien? 68 3.2 Strategische Planung im Umgang mit dem demographischen Wandel 73 4 Reaktionen deutscher Städte 75 4.1 Wir werden weniger, älter und bunter 76 4.2 Problemwahrnehmung der Städte – aktuelle Herausforderungen 79 4.2.1 Die Herausforderung des demographischen Wandels 81 4.2.2 Bevölkerungsrückgang ist keine Chance 81 4.2.3 Wir werden älter – ein Traum wird wahr? 84 4.2.4 Kulturelle Vielfalt ist nicht nur eine Bereicherung 86 4.3 Handlungsleitende Strategien – Pläne und Konzepte im Umgang mit dem demographischen Wandel 88 4.3.1 Die Kinder- und familienfreundliche Stadt 94 4.3.1.1 Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf 97 4.3.1.2 Attraktives Wohnen in der Stadt 100 4.3.1.3 Sprachrohre für Kinder und Familien 103 4.3.1.4 Städtische Hilfen 106 4.3.2 Die seniorenfreundliche Stadt 108 4.3.2.1 Lebenslanges Lernen, die Potentiale der Alten und das Ehrenamt 109 4.3.2.2 Wohnen im Alter 111 4.3.2.3 Sprachrohre für Senioren 113 4.3.2.4 Angebote und Hilfen für Senioren 114 4.3.3 Die ausländerfreundliche und weltoffene Stadt 117 4.3.3.1 Sprache als Schlüssel zu Bildung und Arbeit 122 4.3.3.2 Wohnen und Migranten – Integration auf Stadtteilebene 125 4.3.3.3 Sprachrohre und Hilfen für Migranten 129 4.3.4 Die Stadtumbaustadt – nicht mehr nur ein ostdeutsches Phänomen 133 4.3.4.1 Chancen für die Städte 134 4.3.4.2 Rückbau- und Anpassungstrategien – Entwicklung findet 'Innenstadt' 135 4.3.5 Strategische Stadtplanung – ein Hilfsmittel im Wandel? 140 4.3.5.1 Wir brauchen Strategien 140 4.3.5.2 Die Entwicklung von Strategien – Vorgehen nach Plan 141 4.3.5.3 Der Beitrag integrierter Stadtentwicklungskonzepte 146 5 Zusammenfassende Schlussfolgerungen und Perspektiven 155 6 Quellenverzeichnis 167 6.1 Literatur 167 6.2 Dokumente 186 6.2.1 Reden der Oberbürgermeister/innen 186 6.2.2 Stadtentwicklungskonzepte 198 6.2.3 Integrationskonzepte 201 6.3 Internetseiten der Städte 204 6.4 Telefoninterviews 206 7 Abbildungsverzeichnis 212