Shitstorms, Hate Speech oder virale Videos, die zum Klicken, Liken, Teilen bewegen: Die vernetzte Gesellschaft ist von Affekten getrieben und bringt selbst ganz neue Affekte hervor. Die Beiträge des Bandes nehmen die medientechnologischen Entwicklungen unserer Zeit in den Blick und untersuchen sie aus der Perspektive einer kritischen Affekt- und Sozialphilosophie. Sie zeigen: Soziale Medien und digitale Plattformen sind nicht nur Räume des Austauschs, sie erschaffen Affektökonomien – und darin liegt auch ihre Macht. Indem sie neue Formen des sozialen Umgangs stiften und bestimmen, wie wir kommunizieren, verschieben sie auch die politische Topographie. Mit einem Beitrag von Antonio Negri. ; Anja Breljak und Rainer Mühlhoff: Was ist Sozialtheorie der Digitalen Gesellschaft? Einleitung I. Infrastrukturen der Kontrolle Anja Breljak: Die Zeit der Datenmaschinen. Zum Zusammenhang von Affekt, Wissen und Kontrolle im Digitalen Felix Maschewski und Anna-Verena Nosthoff: Netzwerkaffekte. Über Facebook als kybernetische Regierungsmaschine und das Verschwinden des Subjekts Rainer Mühlhoff: Big Data Is Watching You. Digitale Entmündigung am Beispiel von Facebook und Google Shirin Weigelt: Tasten. Taktilität als Paradigma des Digitalen II. Affekt, Netz und Subjektivität Jorinde Schulz: Klicklust und Verfügbarkeitszwang. Techno-affektive Gefüge einer neuen digitalen Hörigkeit Katharina Dornenzweig: Die umkämpfte Grenze zwischen Liebe und Stalking. Von hermeneutischer Ungerechtigkeit zu einer Theorie des Narrativzwangs und der affektiven Dissonanz anhand der Erfahrungen gestalkter Frauen Jule Govrin: More Substance Than a Selfie? Affektökonomien des Authentischen beim Onlinedating Henrike Kohpeiß: Tears in Heaven. Mediale Politiken des Schmerzes Christian Ernst Weißgerber: Die neue Lust am Ressentiment. Grundzüge eines affekttheoretischen Ressentiment-Begriffs III. Öffentlichkeit, Protest und Politik Philipp Wüschner: The Internet is Dead – Long Live the Internet. Soziale Medien und idiosynkratisches Aufbegehren Marie Wuth: Affektive Netze. Politische Partizipation mit Spinoza Jan Beuerbach: Öffentlichkeit trotz alledem. Polemisches Erscheinen und Archivarbeit postdigitaler Proteste Anja Breljak und Jorinde Schulz: »Die Mächte verstehen, die am Werk sind«. Ein Gespräch mit Toni Negri Jan Slaby: Negri und Wir: Affekt, Subjektivität und Kritik in der Gegenwart. Ein Nachwort
Kreativität wird in der Spätmoderne zur Ware. Sie unterliegt den neoliberalen Anforderungen von Innovation, Optimierung und Selbstverantwortlichkeit. Der Vortrag untersucht aus einer geschlechtertheoretischen Perspektive das neoliberale "Kreativitätsdispositiv", wie es von Andreas Reckwitz (2012, 2013, 2016) diagnostiziert wird. Er erweitert Reckwitz' soziologische Ausführungen um eine geschlechter- und politiktheoretische Perspektivierung, die die Verschränkung von Neoliberalismus, Individualismus und "gouvernementaler Prekarisierung" (Isabell Lorey) in den Blick nimmt. Dabei wirft der Vortrag auch die Frage auf, ob Kreativität im Spätkapitalismus jenseits eines neoliberalen Optimierungs- und Innovationsimperativs auch emanzipativ-subversive Praktiken hervorbringen kann. Denn dort "wo es Macht gibt, gibt es Widerstand", schreibt Michel Foucault in "Der Wille zum Wissen" (1983). In diesem Sinne geht der Vortrag auch auf die Spurensuche nach den widerständigen Potentialen des Kreativen.
Es zieht sich eine Spur der Zerstörung von der Herrschaft der Finanzmärkte über die neuen Netzgiganten bis hin zur dynamisierten Meinungsindustrie. Auf der Strecke bleiben dabei Demokratie, Freiheit und soziale Verantwortung. Joseph Vogl rekonstruiert in seiner brillanten Analyse, wie im digitalen Zeit- alter ganz neue unternehmerische Machtformen entstanden sind, die unser vertrautes politisches Universum mit einer eigenen Bewertungslogik überschreiben und über nationale Grenzen hinweg immer massiver in die Entscheidungsprozesse von Regierungen, Gesellschaften und Volkswirtschaften eingreifen. Drei Thesen zum gegenwärtigen Zeitalter enthält das neue Buch von Joseph Vogl. Erstens: Der Internet- und Plattformkapitalismus der Gegenwart (von Amazon bis Google) ist die jüngste Metamorphose eines Finanzregimes, das sich in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt und die Bewirtschaftung von Informationen als attraktive Quelle der Wertschöpfung erkannt hat. Zweitens: Diese Fusion von Finanzökonomie und Kommunikationstechnologien etabliert neue Paradigmen der Macht, deren Resultat fragmentierte Öffentlichkeiten, gesellschaftliche Schismen und Demokratieverlust sind. Drittens: Affektökonomien mit dem Treibstoff des Ressentiments stabilisieren die Dominanz dieses neuen Plattformkapitalismus auf Kosten des Gemeinwohls. "Es ist ein kaltes, nüchternes Szenario, das Joseph Vogl von unserer Gegenwart zeichnet. Mögliche positive Effekte der Digitalisierung haben bei ihm keinen Raum, auch Lösungen, wie man der Übermacht der Plattformen entkommen könnte, zeigt er nicht auf. Dennoch ist sein Buch sehr lesenswert, weil er mit scharfer Klinge die kapitalistischen Strukturen seziert, in die wir alle verstrickt sind und die wir zugleich – das muss man sich nach der Lektüre eingestehen – durch jeden Klick mit verursachen. "Kapital und Ressentiment" ist die weitsichtige Gesellschaftskritik, die unser digitales Zeitalter dringend braucht" (deutschlandfunkkultur.de)
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Intro -- Titel -- Impressum -- Inhalt -- Susanne Düwell/Nicolas Pethes: Einleitung. Medienkritik und Wirkungsästhetik -- Torsten Hahn: ›Zirkulazion‹ - Informationssteigerung im Umlaufverfahren. Wie elektrische Kommunikation wirkt -- Oliver Fahle: Affekt zwischen Kontroll(verlust) und Dezentrierung im Postkinematographischen -- Johannes F. Lehmann: »Missbrauch«. Zur Diskussion von Theater und Roman bei Diderot, Lenz und Wieland -- Susanne Düwell: Physische Attraktion oder Erziehung durch gesteigerte Empfindung. Theaterkontroversen um 1770 (Goeze, Sulzer, Rousseau) -- Urte Helduser: Shakespearomanie auf dem Theater um 1800 und in Stifters ›Nachsommer‹ -- Susanne Düwell: Von der Lesesucht über das Lesen als Selbstbildung zum digitalen Lesen -- Monika Schmitz-Emans: Schriftkritik, Schreib- und Lesegeschichten bei Jean Paul - und ein Kommentar zur Leseszene im 54. Zykel des ›Titan‹ -- Nicolas Pethes: Bibliomanie. Pathologisierung und Ästhetisierung der Materialität des Buches -- Julia Willms: Frühe Bewegtbilder. Tötungsdarstellungen im Kontext dokumentarischer Affektökonomien -- Rembert Hüser: Polizei schaut vorbei -- Sarah Reininghaus: Provokationen, Unpleasure und Mass Walkouts - Reaktionen und Kritiken zu Gaspar Noés sogenanntem Skandalfilm ›Irreversibel‹ (2002) -- Michael Niehaus: Der Comics Code. Fredric Werthams ›Seduction of the Innocent‹ revisited -- Gabriele Schabacher: Serielle Intensivierung. Staffelprinzip und ›Binge Watching‹ zwischen Komplexitätsversprechen und ökonomischem Kalkül -- Martin Andree: Die Gefahren des Digitalen. Medienhype, Medienkritik, Medienpanik -- Marcus Krause: Ästhetiken der Immersion. Zu Überwältigung und Reflexion von Computerspielwelten -- Christina Bartz: Medienästhetik - und dann?.
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Der sogenannte affective turn, der in Medien- und Kulturwissenschaften bereits seit längerem zu verzeichnen ist und mittlerweile auch die Sozialwissenschaften erreicht hat, besitzt ganz offensichtlich politische Implikationen – insbesondere, aber nicht nur, für eine Kritik des Neoliberalismus. Diese sind auch von zahlreichen Forschern aufgegriffen und ausformuliert worden, etwa durch Michael Hardt und Antonio Negri, Lauren Berlant, Sara Ahmed oder Nigel Thrift. Der vorliegende Band, eine Sammlung von Interviews mit dem Philosophen und Affekttheoretiker Brian Massumi, verspricht zumindest in seinem Titel, diese Verbindung von Politik und Affekt auf eine systematische Grundlage zu stellen. Massumi gilt als Vorreiter eines vor allem von Deleuze und Spinoza inspirierten Strangs jüngerer Affekttheorie, der vornehmlich ontologisch argumentiert. In dieser Position ist er breit rezipiert und auch vielfach kritisiert worden. Die Interview-Sammlung dient dazu, seinen Ansatz ausführlich und gleichzeitig verhältnismäßig leicht zugänglich darzustellen. Die Form des Interviews begünstigt gewisse Vereinfachungen und tendiert zu einer Plakativität von Beispielen und Argumenten; gleichzeitig bürgt sie aber für eine Lebhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit jenseits der Mühen der Ebene. Insofern kommt diese Form dem persuasiven, seinerseits deutlich auf Affizierung angelegten Stil Massumis entgegen. Wie konzeptualisiert Massumi nun das Verhältnis zwischen Affektivität und Politik? Diese Frage erweist sich schon zu Beginn als falsch gestellt, insofern Massumi zufolge dem Affekt die politische Dimension von vornherein inhärent ist: In beiden Fällen gehe es um Wandel und Veränderung – es gelte lediglich, diese Dimension zum Vorschein zu bringen (vgl. S. ix). Grundsätzlich ist das Programm sehr ambitioniert: Affekt wird einerseits als ontologisches Begründungskonzept eingeführt, das in letzter Konsequenz an die Stelle sowohl einer Medientheorie als auch einer Theorie des Politischen zu treten vermag – und zielt andererseits klar auf menschliche Erfahrung, die sich in Gefühlen wie Furcht und Stolz manifestiert. Was dabei als politisch verstanden wird, bleibt zunächst vage: es gehe um "the arena of social order and reorderings, of settlement and resistance, of clampdowns and uprisings" (S. viii–ix). Bestimmungen der jüngeren politischen Philosophie, etwa die Unterscheidung zwischen Politik und dem Politischen, spielen demzufolge kaum eine Rolle. Vielmehr leitet sich aus dieser Aufzählung eine Tendenz ab, Politik als Feld von Intensitäten und Energien und politisches Handeln als Aktivismus zu begreifen – eine Tendenz, die schon in der Verwendung des Affektbegriffs angelegt ist: "[…] I use the concept of 'affect' as a way of talking about that margin of manoeuvrability, the 'where we might be able to go and what we might be able to do' in every present situation." (S. 3) Die relationale Verschränkung von Körpern in Situationen, nicht das fühlende und denkende Individuum wird daher als primär gesetzt – Emotion sei dabei jener begrenzte Anteil affektiver Erfahrung, der aus persönlicher Perspektive Sinn ergibt. Damit legt Massumi eine einerseits elegante und andererseits etwas glatt erscheinende Begründung des Politischen vor: Die verkörperte Weise menschlichen Existierens "is never entirely personal […] it's not just about us, in isolation. In affect, we are never alone." (S. 6) Mit Körpern sind dabei im wesentlichen menschliche Körper gemeint – eine Fokussierung, die so weder bei Spinoza noch bei Deleuze zu finden ist, und die aus medientheoretischer Sicht nicht unmittelbar eingängig erscheint. Tatsächlich bringt Massumi seinen Ansatz explizit gegen Theorien medialer Vermittlung in Stellung (denen er vorwirft, den cartesianischen Dualismus zwischen Geist und Körper nur zu überbrücken, nicht aber aufzuheben; vgl. auch den Begriff der Immediation, S. 146–176). Daraus ergibt sich zwangsläufig die Frage nach der 'Natürlichkeit' des Affekts und nach dem Verhältnis zu Sprache und Diskurs. Hier weicht Massumi aus: "[Affect] includes very elaborated functions like language. There's an affect associated with every functioning of the body, from moving your foot to take a step to moving your lips to make words. Affect is simply a body movement looked at from the point of view of its potential […]." (S. 7) Man mag diese These als Versuch lesen, Medien- durch Affekttheorie zu ersetzen oder neu zu schreiben – und natürlich könnte man den Spieß umdrehen und kurzerhand Affekt als Medium konzipieren. Es erscheint jedoch nicht ausreichend, Sprache auf die Produktion von Wörtern, bzw. die Wortproduktion auf die Bewegung der Lippen zu reduzieren. Man ignoriert dabei zumindest eine historische Dimension der Bedeutungskonstitution, die nicht einfach aus der Akkumulation von Körperbewegungen besteht, sondern eine Dynamik eigenen Rechts entfaltet. Diese Blindheit auf dem Auge der Geschichte wird in der Auseinandersetzung mit medialen Phänomenen besonders deutlich. So eröffnet sich an einigen Stellen die überaus interessante Perspektive, das Konzept einer Politik des Affekts mit Jacques Rancières Konzept einer Politik des Ästhetischen zu verknüpfen (z.B. S. 36). Allerdings scheinen sowohl der Politikbegriff als auch jener des Ästhetischen zu eng – und diese enge Konzeption verbaut den Blick auf die historische Tiefendimension, etwa, wenn Massumi das Auftauchen der affektiven Kraft der Medien, bzw. ihres politischen Einflusses, an die Reifephase des Fernsehens bindet (vgl. S. 33) – als hätten Zeitungen, Kino und Theater stets nur sachliche Aufklärung betrieben, bzw. sich nicht in die Politik eingemischt. Der Sprung von der Ontologie in konkrete Beispiele wird an solchen Stellen nicht genügend durch Analyse vermittelt – so kann der grundlegende Zusammenhang zwischen Ästhetik und Politik nicht erkannt werden, sondern wird als Anomalie, bzw. als besondere aktivistische Haltung behandelt. Zudem wird die betonte Kontrastierung von Affekttheorie und kritischer Theorie (vgl. S. 14f.) durch die Kritik an der Rolle der Medien im gegenwärtigen Kapitalismus konterkariert. Andererseits finden sich erhellende Stellen und produktive Denkanstöße; so eröffnet z.B. Massumis Vorschlag, Sprache weniger als Korrespondenzverhältnis zwischen Signifikant und Signifikat zu verstehen, sondern eher als Weg, den Bedeutungsexzess affektiver Erfahrung ins Bewusstsein zu heben (vgl. S. 13), zahlreiche Anschlussmöglichkeiten an ästhetische Theorien, die diese historische Dimension betonen. Sprache hätte demnach die Doppelfunktion, Erfahrung sowohl zu erfassen als auch freizusetzen. Die Fokussierung des menschlichen Körpers gegenüber Körpern anderer Art wirft noch weitere Fragen auf: so erweckt die Rede vom Affekt als "Potential" an vielen Stellen den Anschein, als stehe es den Menschen frei, wie sehr sie dieses Potential zu nutzen gedenken: "Our degree of freedom at any one time corresponds to how much of our experiential depth we can access towards a next step – how intensely we are living and moving." (S. 6) Im Umkehrschluss heißt das: einige leben freier als andere. Und mehr noch: der politische Begriff der Freiheit läuft in dieser Bestimmung Gefahr, zum Merkmal eines privilegierten, weil irgendwie "intensiveren" Lebensgefühls zu verkümmern. Das auf das politische Gemeinwesen gerichtete Vermögen des Affekts zur Veränderung bliebe so zugunsten einer affirmativen Selbstfeier auf der Strecke – egal, wie sehr dieses Selbst sich mit anderen überschneidet ("Freedom always comes out of active embeddedness in a complex relational field […]", S. 161). Sobald Massumi die ontologische Ebene verlässt um konkret zu werden, gerät die Verbindung zwischen Affektivität und dem Politischen ins Wanken. So vermag z.B. seine Analyse des zeitgenössischen Kapitalismus (Anfang der 2000er formuliert) heute nicht mehr recht überzeugen – zu sehr bleibt sie den "buzzwords" (S. 22) der damaligen Zeit verpflichtet. Die von ihm diagnostizierte Tendenz des Warenverkehrs zum Immateriellen, einhergehend mit einem Verlust direkten zwischenmenschlichen Kontakts (vgl. S. 113) passt zwar sehr gut zu seiner theoretischen Agenda, ist jedoch mittlerweile ihrerseits als teleologisches Modell kritisiert worden. Immerhin ist diese diskursive Bewegung symptomatisch dafür, wie sehr ein Denken des Politischen unter dem Vorzeichen des Affekts zur ökonomischen Analyse wird (und vielleicht werden muss). In diesem Zusammenhang opfert Massumi gelegentlich theoretische Präzision zugunsten einer zu reibungslos anmutenden Beschreibung affektiver Ökonomien, etwa bezüglich des Ineinandergreifens von Patriotismus und Kapitalismus rund um 9/11 – hier wird nicht klar, wie die "affektive Umformung" ("affective conversion", S. 32) von Furcht vor Terror in Stolz auf das eigene Land vor sich gehen soll. Möglicherweise wird Massumis Projekt eher produktiv, wenn man es als Utopie begreift – Affekt als überschüssiges Potential selbst rigide kontrollierter Situationen (S. 58). Entsprechend müsste man Begriffe wie Mikropolitik (S. 47–82) als Grenzbegriffe verstehen, die sich zwar zeitphilosophisch herleiten, sich aber eben nicht ohne weiteres auf jene Phänomene übertragen lassen, die im Alltagsverständnis 'politisch' sind – etwa auf den Alarmismus der Bush-Regierung nach 9/11. Die Logik der Übertragung operiert hier kumulativ, im Sinne der Formung von Gewohnheiten und Tendenzen. Ein Ereignis ist jedoch mehr als die Summe einzelner Affizierungsakte; es unterbricht den linearen Verlauf der Zeit und öffnet die Sicht auf historische Zusammenhänge. Damit setzt es kritisches Potential frei, wobei 'kritisch' nicht zufällig auf den Konnex zwischen Krise und Kritik hinweist. Die pauschale Abgrenzung gegen die kritische Theorie, der Massumi vorwirft, sie objektiviere und fixiere ihren Gegenstand auf unzulässige Weise, erscheint so als fatale Beschneidung des affekttheoretischen Ansatzes. Massumi verkennt, dass wahre Kritik, wie etwa Jean-Luc Nancy betont, stets aus der Notlage, aus der Krise heraus operiert und sich daher den Standpunkt immer erst erarbeiten muss, von dem aus geurteilt werden kann. Ein solcher fester Standpunkt trägt für Massumi den Namen der Moral und vor allem den der Emotion, die als Gegenbegriff zum Affekt aufgebaut wird. Sie lenke die Energie des Affekts in konventionelle Bahnen, lasse das mit ihm verbundene Potential verkümmern. Hierin liegt schließlich die affekttheoretische Crux von Massumis Politikbegriff: ohne eine Instanz, die aus dem Affektgeschehen Sinn extrahiert, sich positioniert und zustimmt oder ablehnt, ist nicht ersichtlich, wie eine Intervention in die reibungslosen Kreisläufe der Affektökonomien – und damit politisches Handeln – möglich sein soll. Eine solche Instanz muss dazu mit dem Diskurs in Beziehung treten, ohne dass sie zwangsläufig rationalisierend wirken müsste (vgl. S. 115). Das transformative Potential des Affekts braucht Akte der Aneignung, braucht den Widerstand eines Urteils, soll es politisch wirksam werden. Keineswegs wäre es dazu erforderlich, das psychologische Individuum primär zu setzen. Erforderlich wäre aber eine Analyse der Handlungsweisen unter dem Gesichtspunkt der Hervorbringung des Neuen und der Konstitution historischer Erfahrungsräume. Massumis detaillierte Beschreibungen affektiver Vollzüge sind dazu ein erster Schritt. Der Wert des Buches bestünde, so gesehen, nicht darin, dass Massumi fertige Rezepte für die Formulierung einer Theorie des Politischen lieferte – darin liegt auch gewiss nicht seine Absicht. Ihre Produktivität entfalten könnten seine Überlegungen als radikaler Grenzanspruch, der beispielsweise keine simple Abgrenzung einer 'Sphäre' des Politischen oder der Öffentlichkeit mehr erlauben würde. Obwohl also der "turn to affect" keineswegs eine neue Erscheinung ist, und obwohl das vorliegende Buch Massumis durchaus kontroversen Ansatz erschöpfend zu behandeln scheint, wäre damit eher ein Anfang gemacht als das letzte Wort in Sachen "Politik des Affekts" gesprochen.