Identitätsbildung und Ethnozentrismus aus der Sicht der Sozialpsychologie
In: Wiederkehr des "Volksgeistes"?: Ethnizität, Konflikt und politische Bewältigung, S. 183-194
"Die Autorin erklärt Ethnozentrismus aus der Perspektive des Handelnden als normales, bewußt normorientiertes Verhalten. Hierfür arbeitet sie zwei Momente heraus, die generelle Bestandteile menschlichen Denkens und Handelns sind: Zum einen kategoriales Denken, d.h. eine konsistente Zu- und Einordnung von Objekten aufgrund bestimmter Merkmale. Zum anderen eine formale Norm zur Gruppensolidarität, die - wie Tajfel in seinen Minimalgruppen-Experiment nachgewiesen hat - auf einer intrinsisch motivierten Verpflichtung, zur eigenen Gruppe zu halten, basiert. Ethnozentrismus entsteht dann, wenn kategoriales Denken und Gruppennorm gleichzeitig wirken. Dies ist um so wahrscheinlicher, wie Gruppenzugehörigkeiten nach identitätskonstitutiven Kriterien gebildet werden. In diesem Falle wächst das Risiko, daß kategoriales Denken und Eigengruppenpräferenz in Fremdgruppendiskriminierung umschlagen. Kognitiv läßt sich dies damit erklären, daß auch soziale Kategorien, beispielsweise die ethnische Zugehörigkeit, wie 'natürliche' Kategorien erlernt werden. Daneben gibt es aber auch motivationale Gründe: eine zugleich formale und intrinsische Motivstruktur ruft bei jedem Menschen das Bedürfnis hervor, einem identitätskonstitutiven Merkmal zu entsprechen, weil er dieses als 'normal' und 'richtig' erlebt ('Ich will ein 'richtiges' Mädchen werden, ...weil ich normal' sein will.'). Nach Tajfel werden identitätskonstitutive Gruppenzugehörigkeiten dann salient, wenn soziale Ungleichheit zwischen kategorial definierten Gruppen wahrgenommen und gleichzeitig als illegitim und veränderbar interpretiert wird wie dies in der Moderne zunehmend der Fall ist. Da kategoriales Denken und somit kategoriale Gruppensolidaritäten nicht abschaffbar sind und die Auslösebedingungen für die Salienz von Gruppenzugehörigkeiten, d.h. wahrgenommene Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten, nie auszuschließen sind, plädiert die Autorin, zur Überwindung von Ethnozentrismus kategoriales Denken zu nutzen: Statt Differenzen zu betonen, gilt es, die kategorialen Gemeinsamkeiten der 'Eigengruppe Mensch' herauszuarbeiten und die Schädigung von Fremdgruppen konsequent zu bekämpfen." (Textauszug)