Der Plan der Bundesregierung zur teilweisen Abschaffung des Solidaritätszuschlags befreit zwar 90 Prozent der Einkommensteuerzahler von der Ergänzungsabgabe, geht aber am Unternehmenssektor größtenteils vorbei. Dies bremst die Wachstumskräfte der deutschen Wirtschaft.
Die Grenzabgabenbelastung ist eine relevante Größe für die Einkommenserzielung und die Entscheidung, ob und in welchem zeitlichen Umfang die eigene Arbeitskraft auf dem Arbeits-markt angeboten wird. Bei Beschäftigten, die keine Sozialtransfers beziehen, hängt die margi-nale Belastung sowohl von der Einkommensteuer und dem Solidaritätszuschlag als auch von den Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung ab. Je höher die Grenzbelastung ausfällt, desto weniger bleibt vom zusätzlichen Bruttoeinkommen netto übrig. Daher reduzieren hohe Grenzbelastungen nicht nur die Bereitschaft Arbeit aufzunehmen, sondern verhindern tenden-ziell auch eine Ausdehnung der Arbeitszeit. Ein historischer Vergleich der Grenzabgabenkurven der Jahre 2000, 2005, 2010, 2015 und 2019 zeigt, dass mit der Steuerreform 2000 der damaligen rot-grünen Regierung die Grenzbe-lastungen über fast den gesamten Einkommensbereich deutlich gesenkt wurden. Hinzu kamen Reformen zur nachgelagerten Besteuerung der Alterseinkünfte und zur Absetzbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge, was einer weiteren signifikanten Senkung der Grenzsteuer-sätze entsprach. Auffällig ist im betrachteten Zeitraum allerdings eine unzureichende Korrek-tur der kalten Progression - sowohl im engeren Sinne ('nur' Inflation) als auch im weiteren Sinne (nominales Lohnwachstum). Dies hat dazu geführt, dass im Jahr 2019 vor allem im unte-ren Einkommensbereich die Grenzsteuerbelastung für Singles früher beginnt und steiler an-steigt. Bei Lohneinkommen oberhalb der Midi-Job-Grenze steigt die Grenzbelastung rasant an und erreicht bereits bei einem Einkommen von etwas über 20.000 Euro - das entspricht an-nähernd dem Bruttoverdienst eines zum Mindestlohn angestellten Vollzeitbeschäftigten - ein vorläufiges Maximum von fast 48 Prozent. Auffällig bei der Betrachtung der Grenzbelastungskurven sind verschiedene Sprungstellen oder Knicke. Im unteren Lohnbereich resultiert der Knick aus dem Übergang vom Mini- zum Midi-Job oder zu einer regulären sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Hinzu kommt die Freigrenze für den Solidaritätszuschlag im Bereich eines Mindestlohn-Empfängers. Im weiteren Verlauf ist die Sozialversicherung für die Sprungstellen verantwortlich, die allerdings über die (Teilhabe-)Äquivalenz von Leistungsansprüchen grundsätzlich ihre Berechtigung haben, auch wenn dadurch ein linear-progressiver Verlauf der Grenzbelastung verhindert wird. Neben ei-ner allgemeinen Senkung der Grenzabgabenbelastung zur Stärkung von Arbeitsanreizen, die zu relativ hohen Einnahmeausfällen führen würde, wäre die Abmilderung der genannten Sprung-stellen eine mögliche Handlungsoption. ; The marginal tax burden is highly relevant for the labour-supply decision of single households. For employees who do not receive any social transfers, the marginal tax burden depends on income tax and solidarity surcharge as well as social security contributions. The higher the mar-ginal tax burden, the less is the net amount of an additional gross income. Therefore, high mar-ginal burdens not only reduce the willingness to take up work but might also prevent an exten-sion of working hours. A historical comparison of the marginal tax burden on wages in Germany for the years 2000, 2005, 2010, 2015 and 2019 shows that the tax reform of 2000 significantly reduced the marginal tax burden over almost the entire income range. In addition, there were reforms to the subse-quent taxation of retirement income and the deductibility of health insurance contributions, which corresponded to a further significant reduction in marginal tax rates. In the period under consideration, however, there is an insufficient correction of the 'cold progression' - both in a narrow sense ("only" inflation) and in a wide sense (nominal wage growth). As a result, espe-cially for lower income brackets the tax threshold for singles starts earlier and increases steeply. For incomes above the midi-job threshold, the marginal burden increases rapidly and reaches a maximum of almost 48 percent for an income of about 20,000 euros - which is roughly equiva-lent to the gross earnings of a full-time employee working for the minimum wage. Various discontinuities or kinks are a striking observation for all years considered. In the lower income range, a kink results from the transition from a mini-job to a midi-job or to a regular employment subject to social security contributions. In addition, there is a tax allowance for the solidarity surcharge in the income bracket of employees working full-time for the minimum wage. Further, the income threshold for the assessment of social security contributions is re-sponsible for the discontinuities with respect to income above the average. Even if these dis-continuities are not desirable from a tax perspective as they prevent a linear progressive tax rate, they can be justified by referring to the insurance principle of social contributions. There-fore, since a general reduction of the marginal tax burden to strengthen work incentives would be associated with relatively high revenue shortfalls, an additional option would be to extenuate the discontinuities.
Politicians accuse corporations of sneakily shifting their profits to tax havens. In fact, tax revenues in low-tax countries such as Ireland and Malta have risen sharply over the past 20 years. However, revenue growth in large countries like Germany and France is not slow. Interestingly, EU countries which favor the unanimity rule in tax issues show higher growth rates in tax revenue than countries preferring a qualified majority system.
Die finanzielle Situation vieler Kommunen in Deutschland hat sich in den letzten 20 Jahren stark verschlechtert. Nicht alle Kommunen konnten Strukturwandel, Finanzmarktkrise, Migration und die demografische Veränderung im Rahmen ihrer verfügbaren Ressourcen bewältigen. Der vorliegende Beitrag untersucht auf Ebene der Bundesländer die Verschuldungssituation und die Investitionstätigkeit der Kommunen. Im Zeitraum 2001 bis 2018 haben im Saarland, in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Hessen Kassenkredite deutlich an Bedeutung gewonnen, obwohl diese eigentlich nur der Liquiditätssicherung bei schwankenden Einnahmen und Ausgaben dienen sollen. Die kommunalen Investitionen zeigen insgesamt eine Seitwärtsbewegung mit eher moderaten Rückgängen. Allerdings geht ein hoher Bestand an Kassenkrediten einher mit niedrigen Investitionen. Die Liquiditätsprobleme der in Kassenkrediten hochverschuldeten Kommunen dürften auf lange Sicht aufgrund ausbleibender Investitionen zu noch größeren finanziellen Problemen führen. Zwischen den sonstigen kommunalen Schulden und den Investitionen gibt es hingegen kaum einen Zusammenhang. Zu möglichen Wegen aus der kommunalen Finanzkrise gehören die Übernahme der Kassenkredite hochverschuldeter Kommunen und die Auflegung eines kommunalen Investitionsprogramms durch die Länder. Allerdings bedroht der geringe Handlungsspielraum, zu dem die Schuldenbremse beiträgt, sowohl die Ausstattung eines Entschuldungs- als auch eines Investitionsprogramms. ; The financial situation of many municipalities in Germany has deteriorated considerably over the past 20 years. Not all municipalities have been able to cope with structural change, the 2009 financial crisis, migration and the demographic transition within the limits of the resources available to them. This article examines the borrowing and investment activity of local governments at the level of Germany's federal states. Between 2001 and 2018 so-called 'cash advances' came to play an increasingly important role in the Saarland, Rhineland-Palatinate, North Rhine-Westphalia and Hesse. This happened despite the fact that these borrowing facilities are actually only intended to provide liquidity for local administrations with fluctuating revenues and expenditures. Overall, local government investment is trending sideways with only relatively moderate declines. While there is hardly any correlation between other forms of municipal debt and investment activity, a high level of cash advances is accompanied by a low rate of investment. This suggests that in the long term municipalities heavily burdened with this type of loan are likely to run into even greater financial difficulty. Potential solutions to the financial crisis facing many municipalities would involve state governments assuming the cash advances of highly indebted municipalities and establishing a local government investment programme. However, the states' restricted scope of action, to which the debt brake, which forbids them to take on new structural debt, is contributing, threatens to limit the resources available for either debt relief or investment support.
Anders als noch beim Sondierungsergebnis will die mögliche Koalition von Union und SPD nun doch die kalte Progression in dieser Legislaturperiode ausgleichen. Für die Steuerzahler bedeutet dies immerhin keine schleichende Erhöhung der Einkommensteuer, für den Staat führt dieser Plan jedoch zu Mindereinnahmen. Denn in der bisherigen Finanzplanung sind die Einnahmen aus der kalten Progression einkalkuliert. Von 2018 bis 2021 summiert sich der Effekt für den Bund auf insgesamt 15 Milliarden Euro.
In den vergangenen Jahren zeigte sich beim Bundeshaushalt stets das gleiche Bild: Die tatsächlichen Zinsausgaben fielen geringer aus als geplant und die Steuereinnahmen stiegen stärker als von der Bundesregierung angenommen. Beide Entwicklungen verschafften dem Bund neue Handlungsspielräume. In den Jahren 2013 bis 2018 summierten sich diese auf rund 82 Milliarden Euro, wovon zwei Drittel den geringer ausgefallenen Zinsausgaben und ein Drittel den höheren Steuereinnahmen zuzurechnen sind. Hinzu kommen in diesem Zeitraum höhere sonstige Einnahmen, wie zum Beispiel Gebühren, in Höhe von kumuliert 9 Milliarden Euro. Zum einen nutzte die Bundesregierung den zusätzlichen Spielraum für neue laufende Ausgaben, zum anderen baute sie eine Rücklage auf. Im Zeitraum von 2013 bis 2018 fielen die Ausgaben (ohne Zinsen) um insgesamt 67 Milliarden Euro höher aus als die Finanzplanung es vorsah - als Vergleich dient dabei stets der Mittelwert der zwei, drei und vier Jahre vor dem Ist-Jahr erschienenen Finanzpläne des Bundes. Die Rücklage beläuft sich auf mittlerweile 24 Milliarden Euro. Allerdings soll diese nicht ihrer eigentlichen Funktion als Risikopuffer gerecht werden, vielmehr will die Bundesregierung damit Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag finanzieren. Damit handelt es sich letztlich auch um eine Ausgabensteigerung. Auf alternative Verwendungsmöglichkeiten dieses unverhofften Haushaltsspielraums - Steuerentlastung oder Schuldentilgung - verzichtet die Bundesregierung. Die Steuerquote des Bundes ist jüngst sogar gestiegen. ; In recent years, the federal budget in Germany has always shown the same picture: Actual in-terest expenditures for debt were lower than planned by the federal government due to a falling interest rate at the capital market. Simultaneously, tax revenues rose more strongly than as-sumed due to a solid performance of the German economy. Both developments gave new fiscal scope to the federal government. From 2013 to 2018, additional fiscal expenditures summed to about 82 billion euros, of which two-thirds are attributable to lower interest expenses and one-third to higher tax revenues.
Union und SPD haben sich auf zahlreiche Ausgabenprojekte verständigt. Das Finanztableau im Koalitionsvertrag für die Jahre 2018 bis 2021 entspricht zwar dem von der Regierung geschätzten Handlungsspielraum. Dabei verschweigen die Koalitionäre jedoch, dass die vereinbarte Ausgabendynamik spätestens 2022 eine Neuverschuldung des Bundes von ungefähr 11 Milliarden Euro erforderlich machen würde.
Politiker betonen gerne, wie wichtig Investitionen für die Zukunft der deutschen Volkswirtschaft sind. Doch in den öffentlichen Haushalten wird insgesamt nicht mehr Geld zugunsten von Straßen und Schulen umgeschichtet als in der jüngeren Vergangenheit. Es bestehen jedoch bemerkenswerte Unterschiede zwischen einzelnen Bundesländern.
Der Formeltarif der Einkommensteuer wurde seit seiner Einführung in Deutschland vor 60 Jahren 25 Mal verändert. Allerdings hat es die Politik insgesamt versäumt, den Tarifverlauf systematisch anzupassen. Insbesondere wurden die Tarifgrenzen nur unzureichend an die Entwicklung von Preisen und Löhnen angelehnt. Folglich verläuft der Tarif heute wesentlich steiler als noch vor einigen Jahrzehnten, und der Spitzensteuersatz wird schneller erreicht als 1960. Gleichzeitig liegen der Eingangs- und der Spitzensteuersatz im historischen Vergleich auf niedrigem Niveau. Vor diesem Hintergrund wäre eine Anpassung der Tarifgrenzen sinnvoll. Allerdings sind die Pläne der Bundesregierung in dieser Hinsicht wenig ehrgeizig. ; The personal income tax rate was modified 25 times in its 60 years of existence. However, policymakers largely missed opportunities to make systematic changes. The progressive function has to be manually adjusted due to its fixed nominal thresholds. As a result of the insufficient reforms of the past, the tax rates for taxable income increase rapidly and earners reach the top income tax rate is reached rather early. Still, both the minimum and the top tax rate are today lower than they were decades ago. Against this background, we recommend implementing a systematic adjustment to the tax thresholds. The current government proposals are not very ambitious in this regard.
Das Ehegattensplitting taucht auch diesmal wieder in vielen Wahlprogrammen zur Bundestagswahl auf. Dies unterstreicht die Relevanz, die Politiker dieser Institution im Steuerrecht zuschreiben. Während die einen alles beim Alten belassen wollen, planen die anderen grundlegende Änderungen. Vor allem für die klassische Alleinverdiener-Ehe hätte das finanzielle Folgen.
Die Einigung der Koalition auf eine Änderung des Erbschaft- und Schenkungssteuergesetzes hat lange auf sich warten lassen. Die vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Frist wird damit um einige Tage verpasst werden - sofern das Gesetz nach dem Bundestag auch den Bundesrat am 8. Juli passiert. Sollte es so kommen, bedeutet das für Erben großer Unternehmen in der Regel erhebliche Mehrbelastungen. Die effektive Steuerbelastung richtet sich dabei im Rahmen der neu eingeführten Bedürfnisprüfung nach dem bestehenden und mitvererbten Privatvermögen - je größer das Vermögen, desto höher die Steuerzahlung. Das alternative Abschmelzmodell belastet Erben großer Unternehmen in jedem Fall, da eine Verschonung geringer ausfällt und ab einem Wert von 90 Millionen Euro gänzlich ausgeschlossen ist. Insgesamt profitieren Unternehmenserben jedoch von Veränderungen bei den Bewertungsparametern. Die bisherige Überbewertung nicht zuletzt aufgrund der Niedrigzinsphase wird abgemildert. Dadurch entgehen Erben mittlerer Unternehmen gegebenenfalls der Bedürfnisprüfung und kommen unverändert in den Genuss der Verschonungsabschläge. Da der Unternehmenswert die Bemessungsgrundlage darstellt, sinkt die effektive Steuerbelastung sogar im Vergleich zum bisherigen System. Die restriktivere Ausgestaltung der Lohnsummenklausel für kleinere Unternehmen führt dazu, dass potenziell rund 500.000 Unternehmen mehr im Erbfall den Arbeitsplatzerhalt nachweisen müssen. Der Gesetzgeber kommt mit diesen Änderungen einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2014 nach, das die Verschonung von Betriebsvermögen als zu weitgehend eingestuft hatte. Es ist umstritten, ob das reformierte Erbschaft- und Schenkungssteuerrecht den Anforderungen des Urteilsspruchs genügt.
Infolge eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts wird die Vermögensteuer in Deutschland seit 1997 nicht mehr erhoben. Eine mögliche Wiederbelebung ist seitdem regelmäßig Gegenstand politischer Debatten. Mehrere Bundesländer bereiten dazu derzeit eine Bundesratsinitiative vor. Ein Basisszenario sieht eine Belastung von Privatpersonen (natürliche Personen) sowie von Kapitalgesellschaften und weiterer juristischer Personen mit einem einheitlichen Steuersatz von einem Prozent vor. Für Privatvermögen soll ein persönlicher Freibetrag von zwei Millionen Euro gewährt werden. Das DIW Berlin hat das Aufkommen einer solchen Vermögensteuer untersucht. Weil die Vermögen in Deutschland stark auf das obere Prozent der Bevölkerung konzentriert sind, ergibt sich trotz hoher persönlicher Freibeträge ein beträchtliches Einnahmepotential: Insgesamt verspricht die Vermögensteuer - unter Berücksichtigung von Anpassungs- und Ausweichreaktionen der Steuerpflichtigen - ein zusätzliches Steueraufkommen von 11,6 Milliarden Euro. ; Following a Federal Constitutional Court sentence, wealth tax has not been levied in Germany since 1997. A possible revival has since regularly been the subject of political debate. Several German federal states are currently preparing to submit a bill to the Bundesrat. A basic scenario envisages individuals (natural persons), corporations, and other legal entities being taxed at a uniform rate of one percent, with a personal allowance of two million euros to be granted for private wealth. DIW Berlin has analyzed the revenue from such a wealth tax. Since wealth in Germany is highly concentrated among the top one percent of the population, the potential revenue is significant despite high personal allowances. Taking into consideration possible adjustments and avoidance by those subject to the wealth tax, it still promises additional tax revenue of 11.6 billion euros.
Wie reagieren private Haushalte auf eine Veränderung der Verbraucherpreise oder des Zinsniveaus? Reduzieren sie gegenwärtigen Konsum und sparen stattdessen für die Zukunft, wenn Preise oder Zinssätze steigen? Oder lassen sie ihren einmal gewählten Konsumpfad unverändert? Nur wer die Antworten auf diese Fragen kennt, kann steuer- und sozialpolitische Reformen wie die Einführung einer Abgeltungsteuer, verbesserte steuerliche Abzugsmöglichkeiten von Altersvorsorgeleistungen oder Änderungen der Mehrwertsteuersätze richtig planen und ihre Wirkung prognostizieren. Die vorliegende Untersuchung analysiert das Sparverhalten privater Haushalte in Deutschland und zeigt, dass diese ihr Konsum-Spar- Verhalten zumindest kurzfristig kaum verändern, selbst wenn Schwankungen im Preis- oder Zinsniveau dafür monetäre Anreize bieten.
Das Solidaritätsprinzip prägt die gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Bislang leisten rund vier von zehn Versicherten einen Solidarbeitrag, weil sie mehr einzahlen, als es ihren alters- und geschlechtsabhängigen Durchschnittsausgaben entspricht. Andersherum ist es bei sechs von zehn GKV-Versicherten. Insgesamt werden knapp 37 Prozent der GKV-Ausgaben aus solidarischer Umverteilung finanziert. Mit einer Bürgerversicherung sollen das Solidaritätsprinzip gestärkt und die Lasten den Befürwortern zufolge "gerechter" verteilt werden. Wendet man die bestehenden GKV-Regeln in einer Bürgerversicherung auf die gesamte Bevölkerung an, ließe sich der Beitragssatz zwar um 0,8 bis 1,0 Prozentpunkte senken und bislang gesetzlich versicherte Personen würden dauerhaft entlastet. Demografischer Wandel, medizinisch-technischer Fortschritt und Fehlanreize sorgen aber weiterhin für einen überproportional starken Anstieg der Ausgaben. Deshalb würde der Beitragssatz bereits nach rund sechs Jahren wieder das Ausgangsniveau erreichen - Tendenz weiter steigend. Trotz der veränderten Lastverteilung im Querschnitt würde das Solidaritätsprinzip nicht nachhaltig gestärkt. Während nämlich der Anteil der Nettozahler, der bei reduziertem Beitragssatz einen Solidarbeitrag entrichtet, in einer Bürgerversicherung nur leicht stiege, würde der Anteil der solidarisch finanzierten Ausgaben kaum das Ausgangsniveau in der bisherigen GKV erreichen. Mehr noch: Der solidarische Ausgleich in einer alternden Bevölkerung lässt sich nur zulasten der intergenerativen Solidarität organisieren. Denn die jeweils jüngeren Kohorten müssen bei steigenden Beitragssätzen immer höhere Solidarlasten schultern. Damit gerät das Solidaritätsprinzip selbst unter Rechtfertigungsdruck. Eine Begrenzung umlagefinanzierter Leistungsansprüche - ergänzt um kapitalgedeckte Finanzierungselemente - könnte dagegen helfen, solidarische Umverteilung auch intergenerativ gerecht zu organisieren.