Obwohl in Deutschland das Thema der Organisierten Kriminalität (OK) viel diskutiert wird, mangelt es dazu noch an empirischen Erkenntnissen. Die vorliegende Studie untersuchte die Gewaltpotenziale von jungen Inhaftierten mit Verbindungen zur OK anhand ihres Verhaltens vor, während und nach der Haft. Die Stichprobe setzt sich zusammen aus n = 77 Jugendlichen und Heranwachsenden im Alter von 15 bis 22 Jahren, die in der sozialtherapeutischen Abteilung der Jugendstrafanstalt Berlin behandelt wurden. Mittels Expertinneneinschätzung wurde die OK-Zugehörigkeit bestimmt, demnach 23 Personen Verbindungen zu kriminellen Gruppen aufwiesen. Es wurde geschlussfolgert, dass hierunter einige der sogenannten "Clankriminalität" zuzuordnen sind. Die Ergebnisse zeigen, dass Inhaftierte der OK-Gruppe vor Inhaftierung früher und mehr Gewaltstraftaten begingen. Im Vollzug zeigten Inhaftierte mit OK-Zugehörigkeit ein deutlich auffälligeres und gewalttätigeres Haftverhalten. Sie wiesen mehr Disziplinarverstöße (M = 8,2 bzw. 3,3; p <.01) und Strafanzeigen (M = 2,0 bzw. 0,8; p <..001) auf als die Vergleichsgruppe und fielen in der Beobachtung der Bediensteten vermehrt durch destruktives, antisoziales und subkulturelles Verhalten sowie ein höheres Maß an Aggressivität auf. Auch nach Haft setzte sich dieser Trend fort. So traten die Inhaftierten mit OK-Zugehörigkeit nach Entlassung mit mehr Gewaltdelikten (M = 2,2 bzw. 0,7; p <..05) polizeilich in Erscheinung. In einem Cox-Regressionsmodell zur Vorhersage eines gewalttätigen Delikts war die OK-Zugehörigkeit der einzige signifikante Prädiktor (Hazard ratio = 2,10, p <..05). Die vorliegende Studie zeigt, dass der intramurale Umgang mit dieser Personengruppe eine besondere Herausforderung darstellt. Das andauernde Gewaltpotenzial von jungen Straftätern mit Verbindungen zur OK während und nach Haft wirft Fragen zu deren sozialtherapeutischen Erreichbarkeit und rückfallfördernden Bedingungen im Entlassungsumfeld auf.
ZusammenfassungWissenschaftlich fundierte Einschätzungen zur Rückfälligkeit von Straftätern können grundsätzlich mit zwei methodischen Ansätzen vorgenommen werden. Der nomothetische Ansatz liefert eine auf gruppenstatistischen Erkenntnissen basierende Einschätzung und erfolgt zumeist mit standardisierten Instrumenten. Der klinisch-idiographische Ansatz orientiert sich hingegen am Einzelfall, und die Einschätzung folgt einem regelgeleiteten klinisch-diagnostischen Urteilsbildungsprozess, der insoweit von einem klinisch-intuitiven Vorgehen abzugrenzen ist. Die deutsche Gesetzgebung fordert eine streng auf den Einzelfall bezogene prognostische Einschätzung, die nur die idiographische Methodik zu leisten vermag. Um die Vorzüge des nomothetischen Ansatzes zu berücksichtigen, wurde die Integration beider Ansätze vorgeschlagen. Die integrative Vorgehensweise hat sich in Untersuchungen mit erwachsenen Straftätern als vielversprechend erwiesen. Ziel der vorliegenden Studie war die Untersuchung der prognostischen Validität der nomothetischen und idiographischen Methodik sowie der Integration beider Ansätze bei jugendlichen und heranwachsenden Gewalt- und Sexualstraftätern. Die Stichprobe setzt sich zusammen aus 152 ehemaligen männlichen Inhaftierten der Jugendstrafanstalt Berlin, die zwischen 1998 und 2002 im Alter von 16 bis 29 Jahren entlassen wurden. Die Prognoseinstrumente leisteten eine signifikante Vorhersage allgemeiner (Area under Curve [AUC] = 0,70–0,71) und gewalttätiger Rückfälle (AUC = 0,65–0,74) innerhalb von 3 Jahren nach der Entlassung. Die prognostische Validität der standardisierten Instrumente, die speziell für Jugendliche entwickelt wurden, war vergleichbar mit den entsprechenden Varianten für Erwachsene. Die klinisch-idiographischen Prognosen sagten ebenfalls allgemeine (AUC = 0,71–0,74) und gewalttätige Rückfälle (AUC = 0,71–0,74) signifikant voraus. Insbesondere die klinisch-idiographische Gewaltprognose war den meisten Instrumenten statistisch überlegen. Regressionsanalysen zeigten darüber hinaus, dass die klinisch-idiographische Prognose im Rahmen eines integrierten Ansatzes einen inkrementellen Beitrag zur Vorhersage des allgemeinen und des gewalttätigen Rückfallrisikos leistete. Die Ergebnisse der Studie zeigen somit, dass der klinisch-idiographische Ansatz nicht nur die gesetzlichen Anforderungen an einen einzelfallbezogenen Ansatz erfüllt, sondern auch die Prognosezuverlässigkeit bei jugendlichen Straftätern signifikant verbessern kann.
ZusammenfassungDer Justizvollzug sieht sich zunehmenden Herausforderungen gegenüber. So verändert sich einerseits ihre Klientel in Richtung eines multikulturellen Schmelztiegels, was neue Phänomene mit sich bringt, wie z. B. Radikalisierungsprozesse oder kriminogene und organisierte Clanstrukturen. Es findet sich aber auch eine wachsende Kerngruppe im Vollzug gealterter Menschen mit vielfach gescheiterten Behandlungsversuchen, langer Haftsozialisation, oft psychopathologischer Vorbelastung und mit ungünstiger Entlassungsperspektive. Auf der anderen Seite erteilten die Bundesländer den Anstalten zunehmend den Auftrag, ihre Ressourcen verstärkt auf kriminogene Hochrisikogruppen zu fokussieren, und der Bundesgesetzgeber legte ihnen überdies besondere Behandlungspflichten für Sicherungsverwahrte und für die von dieser Maßregel bedrohte Gruppe von Gefangenen auf. Es mehren sich die Indizien, dass die Gefängnisse mit ihren traditionellen Mitteln bei der Bewältigung dieser Aufgaben an Grenzen stoßen. Anliegen des vorliegenden Beitrags ist es deshalb, dafür zu werben, die traditionellen Mittel einer primär erzieherisch und therapeutisch gedachten Intervention auszuweiten und in Richtung einer stärker grundsätzlichen Betrachtung der Voraussetzungen und Prozesse für Veränderungen in dieser speziellen Institution zu erweitern. Nach Überzeugung der Autoren bietet hierfür die Entwicklungspsychologie gute Voraussetzungen und ein passendes methodisches und theoretisches Rüstzeug.Im Beitrag wird deshalb der Justizvollzug zunächst historisch analysiert und sein Auftrag zur Resozialisierung seiner Klientel als Auftrag zur Entwicklungsintervention interpretiert. Dies bietet die Argumentationsgrundlage dafür, eine entwicklungspsychologische Perspektive auf Veränderungsprozesse der Gefangenen einzunehmen, wobei es nicht um eine spezielle EntwicklungspsychologiedesStrafvollzuges und ihrer Klientel geht, sondern vielmehr um eine entwicklungspsychologisch fundierte Betrachtung; mithin um eine EntwicklungspsychologieimStrafvollzug. Im zweiten Teil wird der Versuch unternommen, den Rahmen für eine mögliche entwicklungspsychologische Analyse des Justizvollzuges und seiner Klientel zu entwerfen. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich Veränderung entlang der Beschäftigung des Individuums mit Problemen vollzieht, die sich ihm im Lauf seiner Biografie stellen. Deshalb werden zunächst typische Aufgaben betrachtet, mit denen ein Mensch im Lauf seines Lebens konfrontiert wird, mit Blick auf etwaige Besonderheiten einer straffälligen Personengruppe. Weiterhin werden außergewöhnliche, "kritische" Lebensereignisse untersucht, die wegen ihrer Setzung veränderter Rahmenbedingungen Veränderungserfordernisse bedingen. Dabei wird argumentiert, dass die spezielle Klientel im Kontext einer Haftanstalt vermehrte Risiken solcher kritischen Lebensereignisse birgt. Schließlich werden Probleme aus einer aktionalen Entwicklungsperspektive, insbesondere selbst gesetzter Lebensziele, analysiert. Dabei werden die Prozesse, mit denen Menschen auf solche Herausforderungen reagieren, einer näheren Betrachtung unterzogen. Auch hier wird deutlich, dass die erforderlichen Regulationsprozesse bei einer strafgefangenen Population Besonderheiten erwarten lassen, die, zu untersuchen, lohnenswert zu sein verspricht. Schließlich wird der Strafvollzug als Raum, in dem sich Veränderungsprozesse vollziehen sollen, einer entwicklungspsychologisch informierten Analyse unterzogen. Es zeigt sich, dass eine entwicklungspsychologische Erweiterung der Perspektive auf den Justizvollzug in Praxis und Forschung Potenziale bereithält, zu einer Verbreiterung der Möglichkeiten erfolgversprechender Interventionen beizutragen.
Der Justizvollzug sieht sich zunehmenden Herausforderungen gegenüber. So verändert sich einerseits ihre Klientel in Richtung eines multikulturellen Schmelztiegels, was neue Phänomene mit sich bringt, wie z. B. Radikalisierungsprozesse oder kriminogene und organisierte Clanstrukturen. Es findet sich aber auch eine wachsende Kerngruppe im Vollzug gealterter Menschen mit vielfach gescheiterten Behandlungsversuchen, langer Haftsozialisation, oft psychopathologischer Vorbelastung und mit ungünstiger Entlassungsperspektive. Auf der anderen Seite erteilten die Bundesländer den Anstalten zunehmend den Auftrag, ihre Ressourcen verstärkt auf kriminogene Hochrisikogruppen zu fokussieren, und der Bundesgesetzgeber legte ihnen überdies besondere Behandlungspflichten für Sicherungsverwahrte und für die von dieser Maßregel bedrohte Gruppe von Gefangenen auf. Es mehren sich die Indizien, dass die Gefängnisse mit ihren traditionellen Mitteln bei der Bewältigung dieser Aufgaben an Grenzen stoßen. Anliegen des vorliegenden Beitrags ist es deshalb, dafür zu werben, die traditionellen Mittel einer primär erzieherisch und therapeutisch gedachten Intervention auszuweiten und in Richtung einer stärker grundsätzlichen Betrachtung der Voraussetzungen und Prozesse für Veränderungen in dieser speziellen Institution zu erweitern. Nach Überzeugung der Autoren bietet hierfür die Entwicklungspsychologie gute Voraussetzungen und ein passendes methodisches und theoretisches Rüstzeug. Im Beitrag wird deshalb der Justizvollzug zunächst historisch analysiert und sein Auftrag zur Resozialisierung seiner Klientel als Auftrag zur Entwicklungsintervention interpretiert. Dies bietet die Argumentationsgrundlage dafür, eine entwicklungspsychologische Perspektive auf Veränderungsprozesse der Gefangenen einzunehmen, wobei es nicht um eine spezielle Entwicklungspsychologie des Strafvollzuges und ihrer Klientel geht, sondern vielmehr um eine entwicklungspsychologisch fundierte Betrachtung; mithin um eine Entwicklungspsychologie im Strafvollzug. Im zweiten Teil wird der Versuch unternommen, den Rahmen für eine mögliche entwicklungspsychologische Analyse des Justizvollzuges und seiner Klientel zu entwerfen. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich Veränderung entlang der Beschäftigung des Individuums mit Problemen vollzieht, die sich ihm im Lauf seiner Biografie stellen. Deshalb werden zunächst typische Aufgaben betrachtet, mit denen ein Mensch im Lauf seines Lebens konfrontiert wird, mit Blick auf etwaige Besonderheiten einer straffälligen Personengruppe. Weiterhin werden außergewöhnliche, "kritische" Lebensereignisse untersucht, die wegen ihrer Setzung veränderter Rahmenbedingungen Veränderungserfordernisse bedingen. Dabei wird argumentiert, dass die spezielle Klientel im Kontext einer Haftanstalt vermehrte Risiken solcher kritischen Lebensereignisse birgt. Schließlich werden Probleme aus einer aktionalen Entwicklungsperspektive, insbesondere selbst gesetzter Lebensziele, analysiert. Dabei werden die Prozesse, mit denen Menschen auf solche Herausforderungen reagieren, einer näheren Betrachtung unterzogen. Auch hier wird deutlich, dass die erforderlichen Regulationsprozesse bei einer strafgefangenen Population Besonderheiten erwarten lassen, die, zu untersuchen, lohnenswert zu sein verspricht. Schließlich wird der Strafvollzug als Raum, in dem sich Veränderungsprozesse vollziehen sollen, einer entwicklungspsychologisch informierten Analyse unterzogen. Es zeigt sich, dass eine entwicklungspsychologische Erweiterung der Perspektive auf den Justizvollzug in Praxis und Forschung Potenziale bereithält, zu einer Verbreiterung der Möglichkeiten erfolgversprechender Interventionen beizutragen. ; The penal system is facing increasing challenges. On the one hand, the clientele is changing in the direction of a multicultural melting pot accompanied by new phenomena, such as radicalization processes and organized clan structures. Furthermore, there is an increasing group of inmates who have grown old in prison and are characterized by many failed attempts at treatment, long periods of imprisonment, often psychopathological disorders and unfavorable perspectives for release. On the other hand, the federal states in Germany have increasingly mandated the institutions to focus the resources on criminogenic high-risk groups. In addition, the federal legislature imposed on them special treatment tasks for preventive detention centers and for the group of prisoners threatened by this measure. There is growing evidence that prisons are reaching their limits in coping with these challenges with their traditional means. The aim of this article is therefore to promote the expansion of the traditional means of intervention primarily intended for educational and therapeutic purposes, with which the resocialization mandate to the penal system has been implemented so far. Another aim is to expand them in the direction of a more fundamental consideration of the prerequisites and processes for changes in correctional institutions. The authors are convinced that developmental psychology offers promising prerequisites and appropriate methodological and theoretical tools. In the article the prison system is first analyzed historically and its mandate to resocialize the clientele is interpreted as a mandate for developmental intervention. This provides the basis for the argumentation to take a developmentally psychologically sound perspective on the processes of change of prisoners in prison. This does not entail a particular developmental psychology of the prison system itself but rather of a developmentally psychologically informed consideration and thus of a developmental psychology within the prison system. In the second part an attempt is made to design the framework for a possible developmental psychological analysis of the prison system and its clientele. It is assumed that change, i.e. development, takes place along the individual's responses to and coping with problems that a person faces in the course of the biography. For this reason, typical tasks with which a person is confronted in the course of life are first considered, albeit with a view to special features of a target group of criminal offenders. Furthermore, extraordinary "critical" life events are examined, which cause the requirement for change due to their altering of basic conditions for the individual's development. It is argued that the special clientele in the special context of a prison holds increased risks of such critical life events. Finally, problems are analyzed from an actional perspective on human development in general and the perspective of self-selected life goals in particular. When the processes which regulate peoples' responses to their developmental tasks and challenges are examined, it can be seen that the necessary regulation processes within a prison population can be expected to have special characteristics that are worth investigating from a developmental psychological perspective. Finally, the penal system as a space in which processes of change are to take place is analyzed from a developmental psychological perspective. It is argued that broadening the perspective on prisons in practice and research towards a developmental psychological angle has the potential to contribute to a broadening of the possibilities of promising interventions within prison.