Von der "Tendenzwende" zur "geistig-moralischen Wende": Konstruktion und Kritik konservativer Signaturen in den 1970er und 1980er Jahren
In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Band 61, Heft 1, S. 93-119
"Die sogenannte 'Tendenzwende' der 1970er Jahre und die 'geistig-moralische Wende' der 1980er Jahre erweisen sich bis heute in Forschung und öffentlicher Erinnerung als gängige Signaturen für die 1970er Jahre und die Kohl-Ära der 1980er Jahre. Beide Begriffe wurden von ihren vermeintlichen Protagonisten freilich nur zögerlich oder in dieser Wortverbindung gar nicht verwandt. Während die 'Tendenzwende' durch viel beachtete Kongresse zum Synonym für - keineswegs homogene -'neokonservative' Wortergreifungen wurde, entstand die 'geistig-moralische Wende' eher beiläufig als Bezeichnung für eine politische Kurskorrektur und für den Anspruch auf geistige Führung. Wesentlich zur Karriere dieser Schlagwörter beigetragen haben die Gegner der mit den Wende-Begriffen verbundenen Entwicklungen. Die linksliberalen und linken Kritiker aus den Universitäten, Medien und Parteien konstruierten ein konservatives rollback, während konservative Journalisten, Politiker und Intellektuelle bald nach der schwarz-gelben Regierungsbildung das Ausbleiben einer echten Wende beklagten. Wesentlich gespeist wurden die Befürchtungen vor und die Erwartungen an eine Wende durch die angelsächsischen Vorbilder der Thatcher- und Reagan-Revolutionen. Trotz politischer und intellektueller transnationaler Zusammenarbeit konnten und sollten die Entwicklungen in Großbritannien und in den USA in der Bundesrepublik aber nicht kopiert werden. Dafür fehlten gerade der CDU und ihrem Umfeld der politische Wille sowie die personellen und organisatorischen Voraussetzungen." (Autorenreferat)