Anmerkungen zum Armutsdiskurs
In: Armut in Wohlstandsgesellschaften, S. 19-34
"Stefan Hradil weist eingangs darauf hin, wie kontrovers das Thema Armut diskutiert wird. Schon angesichts der Frage, wie das Phänomen der relativen Armut in Wohlstandsgesellschaften einzuschätzen ist, scheiden sich die Geister. Weiter werden die Ursachen und die Verbreitung relativer Armut erörtert. Überaus aktuell ist die Debatte über die so genannte Unterschicht in Deutschland. Hradil unterteilt die Auffassungen zu diesem Diskurs in vier Stufen wachsender Radikalität: (1) Eine Sichtweise verneint die Existenz einer deutschen Unterschicht. (2) Vertreter einer anderen Ansicht hingegen diagnostizieren eine zunehmende Resignation innerhalb der armen Bevölkerung. (3) Eine dritte, politisch durchaus brisante Auffassung geht davon aus, dass sich innerhalb der armen Bevölkerung aufgrund der schlechten Lebensbedingungen ein eigenes System von Denk- und Verhaltensweisen herausgebildet hat. (4) Ein besonders radikaler und vielfach kritisierter vierter Standpunkt gibt der Unterschicht die Schuld an ihrer Situation und unterstellt ihr einen Mangel an Disziplin. Kritische Stimmen weisen allerdings darauf hin, dass viele Aspekte der Debatte eigentlich an die Mittelschicht adressiert sind, um so sozialpolitische Leistungskürzungen zu legitimieren, ein Feindbild zu schaffen und die Angst vor dem sozialen Abstieg zu schüren. Diese Strategie erzeugt nicht selten übersteigerte Abstiegsängste und Aggressivität gegenüber Arbeitslosen oder Migranten" (Autorenreferat)